|62|3. Blütezeit und Untergang der Kelten – Caesar erobert Gallien

Das Keltenland der Städte

Näherte man sich etwa im Jahr 100 vor Chr. der weiten Donauebene um das bayerische Ingolstadt, zog eine mächtige Mauer den Blick auf sich. Fünf Meter ragte sie empor und kündete dem Reisenden von Macht und Reichtum ihrer Erbauer. Der Fremde könnte ein Händler gewesen sein, der auf seinem von Pferden gezogenen Fuhrwerk Amphoren mit griechischem |63|Wein transportierte. In der Umgebung des ausgefahrenen und viel benutzten Weges sah er einzelne Höfe und Felder, auf denen rege Betriebsamkeit herrschte. Den Reisenden führte die Straße daran vorbei zu der Befestigung, aus der sich eine große Toranlage hervorhob. Sie lag zurückversetzt im Mauerwerk, sodass sie eine Gasse bildete, in der mögliche Feinde in die Zange genommen werden konnten.Von oben schauten Bewaffnete aufmerksam auf das rege Kommen und Gehen herab, und vor dem Tor kontrollierten Krieger den Wagen des Weinhändlers.

Er durfte passieren und betrat die zum Teil gepflasterten Straßen einer großen Stadt. Sie bildeten ein planmäßig angelegtes Netz, dessen Mittelpunkt ein großer Marktplatz war. Auf ihm boten nicht nur die Bauern des Umlandes ihre Ernte an. Hier fanden sich Händler aus allen Himmelsrichtungen ein: Männer von den gallischen Stämmen an Seine und Rhône, keltische Noriker und Vindeliker aus den benachbarten Alpengebieten, Griechen und Römer von jenseits des Hochgebirges, einige Germanen aus dem unwirtlichen Gebiet Richtung Nordsee und Kelten aus Böhmen und |64|Ungarn. Ein buntes Stämme- und Völkergemisch herrschte auf dem Platz und in den Straßen; denn man befand sich in der größten keltischen Siedlung seiner Zeit. Weil ihre historische Bezeichnung nicht überliefert worden ist, trägt sie heute den Namen der benachbarten Stadt Manching.

Das keltische Manching dehnte sich über eine Fläche von 380 Hektar aus, die erwähnte Mauer begrenzte das gesamte Stadtgebiet auf einer Länge von 7 Kilometern. Das Innere prägten die vielen Gebäude, die in der traditionellen Bauweise errichtet waren – aus Holz, aus mit Lehm verschmierten Rutenwänden, die Strohdächer getragen von Pfosten. Außer kleinen Wohnhäusern und Ställen bestimmten vor allem Speicher und bis zu 50 Meter lange Magazine das Bild. Daneben gab es separate Heiligtümer mit Opferplätzen und größere Gebäude, die den adligen Herrschern mit ihren Kriegern und für Versammlungen vorbehalten waren.

Ein geschützter Hafen stellte Manchings Verbindung zur Donau her, außerdem liefen aus vielen Richtungen Wege und Straßen auf die Stadttore zu. Auf dem Fluss und den Landwegen transportierten die Kaufleute |65|per Schiff und Fuhrwerk Waren aus aller Herren Länder in die Stadt, die ein Umschlagplatz und das wichtigste Handelszentrum weit und breit war. Doch Manching bot auch vielen Handwerkern eine profitable Heimstatt: Die keltischen Eisenschmiede stellten außer ihren berühmten Schwertern Produkte für den alltäglichen Gebrauch her – Scheren, Kesselhaken, Hacken und anderes. Bronzegießer und -schmiede produzierten Schmuck, Reitzeug, Kessel und filigranen Zierrat. Weiterhin fertigte man Tuche, Glasschmuck, Räder, Holzarbeiten und vieles mehr. Vieles davon verkaufte man in den Süden, für zahlreiche Waren traten die Manchinger als Zwischenhändler auf.

Ihre Stadt war mit vermutlich mehreren tausend Einwohnern gegen Ende des 2. Jahrhunderts vor Chr. eine Drehscheibe der keltischen Welt. Das Gebiet unabhängiger Keltenstämme reichte damals von den Pyrenäen bis ins Hessische Bergland und von den Britischen Inseln bis auf den nördlichen Balkan. Südlich der Alpen und der unteren Donau hatten Rom und die griechischen Staaten alle Stämme unterworfen und deren beutereiche  |66|Kriegszüge beendet. Im nördlichen Europa entwickelte sich eine neue keltische Kultur, deren herausragende Kennzeichen städtische Siedlungen wie die von Manching waren. Nach einem von Caesar verwendeten Begriff nennt man solch eine Keltenstadt Oppidum; diese Handelszentren prägten die letzten beiden Jahrhunderte vor Chr. als spätkeltische Oppida-Kultur.

Die Oppida gelten als der Höhepunkt keltischer Geschichte. Zu den größten ihrer Art gehörten neben Manching jene von Závist in Tschechien und auf dem Mont Beuvray nahe dem französischen Autun. In Deutschland zählten dazu Dünsberg, Amöneburg und Glauberg in Hessen, der Donnersberg in der Pfalz, der Martberg oberhalb der unteren Mosel sowie das Oppidum Tarodunum im Zartener Becken unweit Freiburgs. Insgesamt gab es Hunderte größere und kleinere Oppida. Die meisten waren im Unterschied zu Manching auf Bergplateaus angelegt, dort thronten sie über der Umgebung wie Jahrhunderte früher die Fürstensitze.

Die neuen Zentren der Keltenstämme waren jedoch nicht mehr einer kleinen Herrscherschicht vorbehalten. Insbesondere Handwerker und Händler kamen in den Oppida zusammen und verschafften deren Herren Reichtum und Wohlstand. Die Macht der Städte zeigte sich nicht nur an ihrer Ausdehnung und den mächtigen Befestigungen, sondern auch an der Einführung griechischer und römischer Bräuche. So prägten die Kelten nach südlichem Vorbild Münzen in Kupfer, Silber und Gold und zierten sie mit Bildern ihrer Stammeshäuptlinge und von Tieren. Funde von Geldbörsen mit derartigen Münzen belegen, wie weit das Geldwesen unter den Kelten schon verbreitet war. Auch die Schrift in Form des griechischen und lateinischen Alphabets wurde übernommen und mutmaßlich bei Geschäftsabschlüssen verwendet.

Dies alles waren Anzeichen für einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel, der sich unter den Stämmen im Europa nördlich der Alpen vollzog. Die Ursache dafür lag unter anderem in den Keltenwanderungen nach Italien und Griechenland, deren Teilnehmer den Kontakt in die alte Heimat selten abbrechen ließen. Mit den römischen Siegen und der Entstehung der Großmacht Rom kam es teilweise zu Rückwanderungen. Außerdem verloren viele Krieger, die sich am Mittelmeer als Söldner verdingt hatten, ihre Arbeit, denn an die Stelle vieler kleiner, sich untereinander bekämpfender Staaten war Rom getreten. Die Heimkehrer brachten Unruhe in die traditionelle Stammeswelt; ihre selbstbewussten Anführer behaupteten sich zusehends gegen den alten Adel und vertrieben ihn das eine oder andere Mal von der Macht. Die Menschen, welche die Städte Italiens aus nächster Nähe kennen gelernt hatten, brachten ihr Wissen mit in den Norden. Sie hatten die Vorteile solcher Zentren selbst genossen und führten sie nun in ihren Stämmen ein.

|67|So veränderten sich weite Teile des Keltenlandes; vor allem das Gallien genannte Gebiet des heutigen Frankreich stellte eine entwickeltere Gesellschaft dar, deren städtische Zentren durch ein Straßennetz verbunden waren, und die alte Traditionen mit modernen Zügen der Mittelmeerwelt verknüpfte.

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Häuser, Siedlungen und Alltagsleben

Die Kelten lebten während ihrer gesamten Geschichte in allen Siedlungsgebieten überwiegend als Bauernvolk, über das eine adlige Führungsschicht herrschte. Deren zeitweilige Fürstensitze, die man in großer Zahl aus Südwestdeutschland kennt,repräsentieren genauso wenig die typischen Behausungen wie die stadtähnlichen Oppida der Spätzeit (vgl. dazu Kapitel 3). Denn die Masse der Bevölkerung siedelte auf einzelnen Höfen und in kleinen Dörfern inmitten ihrer Felder.

Grundsätzlich errichtete man keine Steingebäude. Als Material fand überwiegend Holz Verwendung, aus dem Blockhäuser oder Pfostenbauten entstanden, wobei bei Letzteren dieWände aus lehmbestrichenem Flechtwerk bestanden. Die Dächer der fensterlosen Bauten deckte man mit Stroh, Schilf oder Baumrinde; der Estrich der meistens rechteckigen, aber auch ovalen und runden Grundrisse bestand aus gestampftem Lehm.

Der übliche Bauernhof,den eine Familie mit Knechten, Mägden und anderenAbhängigen bewohnte, setzte sich aus mehreren Gebäuden zusammen – manche tiefte man im Boden ein, Getreidespeicher setzte man auf Pfosten, um Schädlingen wie Mäusen den Zugang zu erschweren.Die Hauptgebäude nahmenWohnung, Stall undWerkstätten ein.Eine derartige Siedlungseinheit konnte zudem durch eine Einfriedung aus Graben, Wall und Palisade geschützt sein. Dann kam sie einer der von Archäologen so genannten Viereckschanzen nahe, fast quadratisch umwehrten mutmaßlichen Gutshöfen, auf denen der Adel lebte. Über die Inneneinrichtungen der keltischen Bauernstuben ist wenig bekannt, wahrscheinlich besaß man allenfalls Truhen und Haken zum Aufhängen. Ansonsten machte man es sich am offenen Feuer auf dem Lehmboden mit Decken, Fellen und Kissen bequem. |63|

Die rekonstruierte Altburg bei Bundenbach im Hunsrück veranschaulicht das keltische Alltagsleben. Sie wurde vom 3. bis ins 1. Jahrhundert vor Chr. als befestige Höhensiedlung benutzt und diente wahrscheinlich einer treverischen Häuptlingssippe als Sitz.

Auch hierzu hat der Historiker Poseidonios eine ausführliche Schilderung überliefert, die zwar wohlhabendenAdligen gilt und vollerVorurteile ist, aber gleichwohl ein überzeugendes Bild des keltischen Lebens bietet: »Die Kelten setzen sich zum Essen auf Heu und an hölzerneTische, die sich nur gering vom Boden erheben.Ihre Nahrung besteht aus wenig Brot, dafür aber aus viel Fleisch, das inWasser gekocht und auf Kohlen oder am Spieß gebraten ist. Das essen sie zwar reinlich, aber nach Art der Löwen, indem sie mit beiden Händen ganze Glieder ergreifen und davon |64|abbeißen.Wenn etwas schwer abzureißen ist,trennen sie es mit einem kleinen Messer ab, das sich an den Schwertscheiden in einem eigenen Behältnis befindet. Diejenigen, die an den Flüssen sowie am inneren wie äußeren Meer wohnen, essen auch Fisch, auch diesen gebraten mit Salz, Essig und Kümmel, den sie auch in das Getränk werfen. Öl haben sie nicht in Gebrauch, weil es knapp ist, und da sie es nicht gewöhnt sind, erscheint es ihnen widerlich.

Wenn mehrere zusammen essen, sitzen sie im Kreis, der Mächtigste wie ein Chorführer in der Mitte – dieser übertrifft die anderen an kriegerischer Fertigkeit oder an Herkunft oder an Reichtum –, neben ihm der Gastgeber, dann der Reihe nach die anderen beiderseits nach der Würde des Ranges, den sie einnehmen. Die Schildträger stehen hinter ihnen, die Speerträger aber setzen sich gegenüber im Kreise hin und schmausen wie ihre Herren.Die Diener reichen das Getränk in Gefäßen herum, entweder in tönernen oder in silbernen. Auch besitzen sie ebensolche Schüsseln, auf die sie die Speisen legen, andere besitzen welche aus Bronze und wieder andere aus Ruten geflochtene Körbe. Das Getränk ist bei den Reichen aus Italien und aus dem Land der Marseiller importierter Wein. Dieser ist aber unvermischt; bisweilen wird auch ein wenigWasser hinzugefügt. Bei den etwas Geringeren ist das GetränkWeizenbier, das mit Honig zubereitet ist, bei der großen Masse ohne diesen. Aus ein und demselben Trinkgefäß schlürfen sie langsam, nicht mehr als einen kleinen Schluck; das jedoch tun sie häufiger. Der Diener trägt rechts und links das Gefäß herum; so werden sie beiTisch bedient. Und den Göttern huldigen sie, indem sie sich nach rechts wenden.«

Poseidonios beschreibt ein kostspieliges Festgelage, dessen große Mengen an Schweine- und Rindfleisch sich nur die Häuptlinge und andere Adlige leisten konnten.Diese machten jedoch bekanntermaßen nur einen recht geringenTeil der keltischen |65|Gesellschaft aus. Das Grundnahrungsmittel der breiten Bevölkerung bestand hingegen in Getreidearten wie Gerste, Weizen und Hafer, die in Form von Brot und Brei ähnlich dem englischen Porridge gegessen wurden. Hülsenfrüchte wie Erbsen und Linsen, Gemüsearten wie Karotten, Rüben, Salat und Zwiebeln bereicherten das Speisenangebot. Dazu kamen gegebenenfalls saisonal und regional verschiedene Obstsorten wie Äpfel, Birnen, Kirschen, Trauben und Walnüsse sowie Milch und deren Produkte.

Die keltischen Landleute erwirtschafteten offensichtlich nicht selten so hohe Erträge, dass sie den Überschuss nach Rom und in andere Teile Italiens verkaufen konnten. Dazu gehörte neben Mänteln aus Schafwolle gepökeltes Schweinefleisch. Überhaupt erzählte man sich im Süden von diesen Tieren ganz bemerkenswerte Geschichten. Danach wurde das keltische Borstenvieh im Freien gehalten und zeichnete sich durch ausnehmende Größe, Angriffslust und Schnelligkeit aus, die für einen ihnen nahe kommenden Fremden und ebenso auch für natürliche Feinde wie Wölfe nicht ungefährlich waren.

Trotz ihrer recht einfachen und mühsamen Lebensumstände konnte selbst die Mehrheit der Bevölkerung hinsichtlich ihrer Körperpflege nicht als barbarisch gelten – zumindest nach dem Zeugnis archäologischer Funde. Nach ihnen und den Berichten antiker Autoren waren Männer wie Frauen durchaus reinlich, was sich in Bädern und Mundpflege zeigte. Neben Nagelmessern zeugen Schermesser von der Pflege des Haars bei beiderlei Geschlecht.Die Männer waren ohnehin für ihren prächtigen Schnurrbart berühmt, der auch bei antiken Skulpturen aus Pergamon dargestellt wird. Die Frauen zierten sich mit Hauben, Haarnetzen und Kopfreifen – vom Schmuck ganz abgesehen.

|67|Gallien – Das Land der Oppida, Kopfjäger und Druiden

Gallien, das Land zwischen Ärmelkanal und Mittelmeer, vom Atlantik bis an den Rhein und zu den Alpen, war kein einheitliches Reich. Nach den Worten des griechischen Geschichtsschreibers Diodor bewohnten viele verschiedenartige Stämme weite Gebiete West- und Mitteleuropas. Sie sollen jeweils zwischen 50 000 und 200 000 Menschen umfasst haben; nach modernen Berechnungen ergibt sich daraus für das ganze Land eine Summe von 12 Millionen Einwohnern. Auch wenn die Gallier verschiedene Sprachen gebrauchten und unterschiedliche Traditionen pflegten, so waren sie doch alle von der keltischen La Tène-Kultur geprägt.

Dies galt für die als wild verrufenen Belger im fernen Nordosten zwischen Seine und Maas ebenso wie für die Arverner des Zentralmassivs im Süden, die schon früh mit Griechen und Römern Kontakt hatten. Die als Seefahrer berühmten Veneter pflegten an der bretonischen Küste genauso die keltische Zivilisation wie die Sequaner, deren Oppidum in Besançon im Osten lag. Zum Vielstämmevolk der Gallier zählte auch die kleine Völkerschaft der Parisier, nach denen später die französische Hauptstadt benannt wurde, während im Moselland die als geschickte Reiter bekannten Treverer der Römerstadt Trier ihren Namen gaben. Um 100 vor Chr. durften die mächtigen, als Rom-Freunde geltenden Haeduer zwischen Seine und Loire ihr Stammeszentrum Bibracte als größtes Oppidum ansehen. Darüber hinaus soll es landesweit 200 solcher Siedlungen gegeben haben, von denen wohl um die dreißig größere Städte gewesen sind.

Gaius Julius Caesar unterscheidet 50 Jahre später in Gallien drei Gebiete – das der Belger nördlich von Seine und Marne, jenes der Aquitanier zwischen Garonne und Pyrenäen und schließlich dazwischen den größten Teil, dessen Bewohner sich als Kelten bezeichneten und von den Römern Gallier genannt wurden.

Diodor gab eine eindringliche Beschreibung ihres Äußeren und ihrer Mentalität. Seine Informationen trafen in vielen Details zu und haben bis in die Gegenwart das Bild der Gallier bestimmt: »Sie haben eine mächtige Körpergröße, aufgeschwemmtes Fleisch und weiße Hautfarbe; sie haben nicht nur von Natur blondes Haar, sondern sie suchen diese eigentümliche |68|Naturfarbe auch noch durch künstliche Mittel zu verstärken. Sie reiben nämlich die Haare dauernd mit Kalkwasser ein und streichen es von der Stirn zum Scheitel und Nacken hin zurück, sodass ihr Aussehen Satyrn und Panen ähnlich erscheint. Die Haare werden nämlich von dieser Behandlung so dick, dass sie sich gar nicht von einer Pferdemähne unterscheiden. Den Bart scheren einige ab, andere lassen ihn mittellang wachsen. Die Adligen rasieren die Backen glatt, den Schnurrbart lassen sie aber lang hängen, sodass ihr Mund dadurch bedeckt wird. Daher verwickeln sie sich mit ihrem Bart beim Essen in den Speisen, und beim Trinken wird das Getränk gleichsam durchgeseiht. Sie essen alle sitzend, nicht auf Stühlen, sondern auf der Erde, wobei sie als Unterlage Wolfs- und Hundefelle nehmen. Bedienen lassen sie sich von den Jungen und Mädchen, die gerade das Alter der Reife erreicht haben. In ihrer Nähe stehen Herde, in denen Feuer brennt; darauf befinden sich Kessel und Bratspieße voller Fleisch in ganzen Gliedern. Die tapferen Männer zeichnen sie mit den besten Fleischstücken aus … Sie laden auch die Fremden zu ihren Festmählern, und nach der Mahlzeit fragen sie, wer sie sind und welches Anliegen sie haben. Bei der Mahlzeit geraten sie auch häufig aus unbedeutendem Anlass in einen Wortwechsel und fordern einander zum Zweikampf heraus, da sie sich aus dem Verlust des Lebens nichts machen.«

Bibracte, das Hauptoppidum der Haeduer, imponierte Besuchern mit diesem monumentalen Zangentor. Inmitten Burgunds stellte die Keltenstadt auf dem über 800 Meter hohen Mont Beuvray ein Zentrum Galliens dar.

Diese anscheinend leicht erregbaren und aufbrausenden Burschen tranken |69|gern Bier und Met, schätzten aber Wein über alle Maßen. Da dessen Anbau im Keltenland unbekannt war, nutzten griechische wie italische Kaufleute die barbarischen Vorlieben seit langem für lukrative Geschäfte. Sie brachten das begehrte Getränk über die vielen schiffbaren Flüsse und auf Landwegen mit Wagen ins Innere Galliens, wo dessen Bewohner laut Diodor den Wein unvermischt in sich hineingossen: Aus Gier sprachen sie dem Trank so lange zu, bis sie in Schlaf oder gar in einen Zustand des Deliriums fielen. Den Händlern brachte eben jene Gier unglaublich hohen Gewinn; immerhin bekamen sie für einen Krug Wein einen Sklaven.

Derartige Schilderungen antiker Autoren sind mit Vorsicht zu genießen. Denn stets sahen sie die Kelten und andere Völker aus der Sicht ihrer Kultur, die sie für weit überlegen und zivilisierter hielten. Darum ist die Schilderung gallischer Gelage zwar nicht unglaubwürdig, gibt aber allenfalls Szenen aus dem Leben der Oberschicht wieder. Diese stellte der Stammesadel, dessen Angehörige auf eine ehrwürdige Ahnenreihe zurückblickten oder in jüngerer Zeit wie oben erwähnt die Macht an sich gerissen hatten. Der gallische Aristokrat zeichnete sich zuerst durch seinen Kriegerstolz aus. Reichtum gewann er durch die Kontrolle über ein Oppidum oder zumindest über eine Fürstenburg und Landbesitz. Seine Macht offenbarte sich in der Größe seiner Gefolgschaft an Kämpfern und in der Masse der Menschen, die von ihm abhängig waren oder ihm gar als Sklaven gehörten. Nur ein Adliger konnte sich aufwändige Weingelage leisten; auf ihnen mag mancher sich dem Trunk hemmungslos ergeben und darüber hinaus mit seinen Taten geprahlt haben. Dabei spielten zweifelsohne Köpfe eine hervorragende Rolle, denn die Kelten waren als Jäger dieser Trophäen ihrer Feinde weit und breit gefürchtet. Sie waren stets kampfbereit und schreckten auch vor Überfällen auf benachbarte Stämme nicht zurück. Trotzdem herrschte in Gallien kein ständiger Kampf aller gegen alle; denn in den einzelnen Stämmen bestimmten die Versammlungen der Ältesten respektive der Adligen die Politik. Manche Gemeinschaften hatten einen oder zwei Könige an ihrer Spitze, andere wählten einen führenden obersten Beamten.

Neben der Aristokratie bildeten die Druiden die zweite mächtige und tonangebende Gruppe. Die geheimnisumwitterten Weisen, auf die weiter unten ausführlich eingegangen wird, beherrschten große Teile des Stammeslebens. Ihnen oblag nicht nur das Opferwesen, sie galten auch als Rechtspfleger und Richter, hüteten die Stammestraditionen und verfügten über immense Wissensschätze. Angeblich stand ein Oberster an der Spitze aller gallischen Druiden, die sich einmal im Jahr an einem geweihten Ort im Land der Karnuten trafen, um Streitfälle zu schlichten und Urteile zu fällen.

Unter den Kriegern und Druiden stand in der Stammeshierarchie die |70|breite Masse der Bevölkerung, überwiegend Bauern. Daneben gingen vor allem in den Oppida Kaufleute und Handwerker ihren Geschäften nach, wo sie sich eines gewissen Ansehens und Wohlstands erfreuten. In völliger Unfreiheit lebte die Schicht der Sklavinnen und Sklaven, die teils als Kriegsgefangene, teils als zahlungsunfähige Schuldner ihr trauriges Schicksal erdulden mussten.

Gallien am Vorabend der römischen Intervention

Die Keltenstämme Galliens mochten bei den Römern als exotisch und mit ihren oftmals missverstandenen Sitten und Bräuchen sogar als abstoßend gelten – fremd waren sie ihnen jedoch schon lange nicht mehr. Nach der Unterwerfung und Romanisierung der oberitalienischen Kelten hatte das expandierende Rom seinen Blick auf die südfranzösischen Küstengebiete geworfen. Durch deren Kontrolle gewann man eine Landverbindung zur Iberischen Halbinsel, auf der man 133 vor Chr. mit der Eroberung der keltiberischen Festung Numantia den letzten Widerstand gebrochen hatte.

Wenige Jahre später baten die Griechen von Massalia die Römische Republik um Hilfe gegen gallische Stämme, die die Stadt angriffen. Rom |71|entsprach dem Gesuch gern und setzte seine Truppen in Marsch. In kurzer Zeit gelang die Eroberung Südfrankreichs, wo nach 121 vor Chr. eine römische Provinz eingerichtet wurde. Man bezeichnete sie im Unterschied zur italienischen Gallia Cisalpina als Gallia Transalpina, als »Gallien jenseits der Alpen« oder nach ihrer Hauptstadt Narbonne als Gallia Narbonensis. Am Tiber war sie auch unter dem Namen »Provincia« bekannt, der in dem der Provence fortlebt. Bald schon machten die neuen Herren daraus eine mustergültige Provinz, in der sie Straßen anlegten und Städte wie das spätere Aix-en-Provence gründeten. Ihr Gebiet, das sich im Landesinnern von Toulouse über die Cevennen und rhôneaufwärts bis zum Genfer See erstreckte, wies weit ins verbliebene freie Gallien hinein.

Zwischen dem Süden und dem großen Rest des Keltenlandes verlief eine offene Grenze, die manchmal von unruhigen Stämmen und ihren Kriegern überschritten wurde. Auch in der Provincia kam es zu einzelnen Erhebungen, die die römischen Soldaten rasch niederschlugen. Ansonsten zeigte man am Tiber wenig Ambitionen gegenüber dem freien Gallien, zumal die Republik selbst über Jahrzehnte von immer wieder aufflackernden Unruhen und Bürgerkriegen erschüttert wurde. Außerdem bestanden ziemlich enge Verbindungen zu den Galliern, denen römische Kaufleute mit den Waren des Südens – man denke an den Wein – in ihren Oppida stets willkommen waren. Die Adligen vergewisserten sich darüber hinaus der Freundschaft |72|und Unterstützung des mächtigen Nachbarn im Süden. Viele nahmen den Weg nach Rom und lernten die Lebensweise der dortigen reichen Oberschicht kennen.

In zahlreichen Stämmen galt ein Bündnis mit Rom als wichtige Hilfe bei der ständigen Rivalität, die unter den Aristokraten und zwischen ihren Völkerschaften herrschte. Diese führte zu Kämpfen mit gegenseitigen Verwüstungen des Landes, aus denen die Haeduer als Sieger hervorgingen, deren Stammessitze sich im zentralen Gallien zwischen der Loire und der Saône erstreckten. Sie taten sich schon während der Eroberung Südgalliens als Verbündete Roms hervor und waren schließlich durch eine Blutsbrüderschaft mit den Römern verbunden. Kein Stamm sollte jemals ein engerer und verlässlicherer Bündnispartner werden, keiner sollte sich solch hoher Ehren und vergleichbarer Anerkennung erfreuen. Rom war das Pfund, mit dem die Haeduer im innergallischen Machtkampf wuchern konnten.

Einen Ausdruck fand diese politische Bedeutung in ihrem Hauptoppidum Bibracte, das mächtig auf dem Mont Beuvray emporragte, dem nördlichsten Ausläufer des Zentralmassivs. Ein doppelter Ring von Befestigungsanlagen umgab die Stadt, die jeweils über 5 Kilometer Länge aufwiesen. Sie waren in der typischen spätkeltischen Bauweise errichtet, die Caesar als Murus Gallicus bezeichnete. Eine derartige »Gallische Mauer« |73|bestand aus einem Balkengerüst, das man mit Steinen und Erde füllte. Die Außenfront der Wälle war mit einer 4 Meter hohen Steinmauer befestigt, davor hatten die Haeduer einen breiten und tiefen Graben ausgehoben. Das gewaltige Bauwerk diente wahrscheinlich nicht nur Verteidigungszwecken, sondern symbolisierte auch die Macht des Stammes und seiner Führer. Unter den etlichen Toren der Mauer fand sich eines, das als die größte bisher bekannte keltische Toranlage jener Zeit gilt und mutmaßlich römische Stadttore zum Vorbild hatte.

Innerhalb der Mauern lebten mehrere tausend Einwohner. Unter ihnen arbeiteten viele Handwerker als Eisen- und Bronzeschmiede, als Glashersteller, Töpfer und Knochenschnitzer. Wie in Manching und anderen Oppida lieferten Händler aus dem Süden die begehrten Weinamphoren und das dazu passende Trinkgeschirr. Bibracte war jedoch nicht nur eine geschäftige Siedlung, in der eifrig produziert wurde und wo Kaufleute mit ihren Waren ein- und ausgingen. In seinen Mauern befand sich außerdem der Regierungssitz der Haeduer, an dem Gesandte und Delegationen aller gallischer Stämme empfangen wurden. Vom großen Haupttor führte eine bis zu 15 Meter breite Straße quer durch das Oppidum hinauf zum höchsten Punkt, an dem sich eine Kultstätte befand. Sie wurde wahrscheinlich als Mittelpunkt des ganzen Stammes angesehen und verehrt. Dafür sorgten die Druiden, die das religiöse Leben mit seinen Riten und Zeremonien überwachten.

Unter ihnen ragte ein Mann namens Diviciacus besonders hervor, der nicht nur Druide war, sondern auch eines der beiden höchsten Stammesämter innehatte. Wie Caesar berichtet, wurde sein Inhaber jährlich gewählt und hatte dann Gewalt über Leben und Tod. Der regierende Druide pflegte gute Kontakte zu Rom, das er mindestens einmal besuchte. Während seines Aufenthaltes im Jahr 61 vor Chr. führte er unter anderem Gespräche mit dem römischen Staatsmann Cicero. Diviciacus unternahm seine Reise nach Rom allerdings in großer Verzweiflung. Denn die Haeduer hatten in jüngster Zeit durch bittere Niederlagen ihre Vormachtstellung in Gallien eingebüßt. Deshalb rief der Druide den römischen Senat um Hilfe an, die man ihm jedoch verwehrte. Er musste drei Jahre warten, bis Gaius Julius Caesar Statthalter wurde und in Gallien intervenierte – zu Gunsten der Haeduer und auf Kosten der gallischen Freiheit.

|70|Die Kelten: Meister des Eisens

Die Kelten galten weithin als die Meister des Eisens, mit dessen Beherrschung ihre Kultur identifiziert wurde. Deshalb fasst man die Hallstatt- und La Tène-Zeit des letzten vorchristlichen Jahrtausends unter dem Begriff der Eisenzeit zusammen. Aber sie waren weder die Entdecker noch die Erfinder des damals neuen und geradezu unverwüstlichen Metalls. Vor ihnen hüteten lange Zeit die anatolischen Hethiter das Geheimnis von dessenVerarbeitung, bis es über den Balkan den Weg nach Mitteleuropa fand.Dort eigneten sich die keltischen Handwerker diese Künste an und vervollkommneten sie derart, dass man sie sogar in den Hochkulturen dafür rühmte. Immerhin soll um 400 vor Chr. in Rom ein keltischer Helvetier namens Helico gelebt haben, dessen Schmiedekünste weit und breit berühmt waren. Diese später überlieferte Episode scheint einen Kern historischerWahrheit zu enthalten; denn das lateinische Wort für Schwert gladius stammt aus der keltischen Sprache und belegt somit den Ruf des Schmiedehandwerks der Kelten.

Die Eisenverarbeitung unterschied sich in vielerlei Hinsicht von der der Bronze. Den dafür notwendigen Rohstoff des Eisenerzes fand man fast überall in Europa – im Gegensatz zu den Bronzebestandteilen Kupfer und Zinn.Von der Gewinnung imTagebau künden Spuren unter anderem im Siegerland, in Britannien, imAlpengebiet und in Lothringen. Der einfacheren Gewinnung folgte allerdings eine kompliziertere |71|Verarbeitung, an deren Ende das Eisen geschmiedet werden musste: Erst im Schmiedefeuer wurde Roheisen zu Stahl und erhielt seine typische Härte.Doch auch die Gewinnung des Roheisens war mit erheblichem Aufwand verbunden. Das Erz musste in so genannten Schachtöfen verhüttet werden, in schacht- oder kuppelförmigen Lehmbauten von bis zu 1,5 Metern Höhe. Dort schied man durch den Schmelzprozess die leichtflüssige Eisenschlacke vom teigigen Eisenschwamm, dem eigentlichen metallischen Eisen. Viele Verhüttungsschritte und Wiederholungen waren nötig, um die Schlackenreste herauszupressen und möglichst reines Eisen zu gewinnen. Für die Erzeugung hoher Brenntemperaturen brauchte man zudem Unmengen von Holzkohle,was zu intensivenWaldrodungen führte.Dieses aufwändige Verfahren führte schließlich zum begehrten Roheisen, das in bis zu 10 Kilogramm schweren Barren in den Handel kam.

Die keltischen Eisenschmiede schufen daraus zahlreiche Dinge, die von nun an aus derAlltagswelt nicht mehr wegzudenken waren:für dieWaffen Schwerter, Speer und Pfeilspitzen, an landwirtschaftlichen Geräten Pflugscharen, Hacken, Schaufeln, Sicheln und Sensen, als Werkzeuge und Gegenstände des Hausrats Hämmer, Zangen, Äxte und Sägen sowie Messer, Scheren und vieles mehr. Das Eisen trug entscheidend zur Ausbreitung der keltischen Kultur bei, denn seine Schwerter waren härter und seine Pflugscharen rissen tiefer den Ackerboden auf.

Aber das keltische Schmiedehandwerk blühte auch ansonsten: Aus Bronze, Gold |72|und Silber schufen die Feinschmiede all jene Schmuckstücke und filigranenVerzierungen, mit denen die La Tène-Kunst ihre ausdrucksstarke Form erhielt. Überhaupt erwiesen sich die keltischen Handwerker als Meister ihres Fachs, die nördlich der Alpen unübertroffen blieben und oftmals sogar mit den Griechen und Römern konkurrieren konnten. So lernte man, mit der Töpferscheibe zu arbeiten und eine Vielfalt an Gefäßformen herzustellen. Die Zimmerer waren beim Haus und Festungsbau tätig und schufen Eimer, Fässer undWagen, für die natürlich ebenso spezialisierteWagner tätig waren. AnTextilien führte manWollstoffe für Frauenkleider und anderes nach Italien aus. Selbst an der Glasproduktion versuchten sich die Kelten, wobei sie jedoch über gläserne Schmuckperlen nicht hinausgingen und keine Gebrauchsgegenstände wie etwa Gefäße herstellten.

Das Handwerk erwies sich im Laufe der Jahrhunderte als hoch entwickelt und spezialisiert, sodass es im 1. Jahrhundert vor Chr. in den großen Oppida wie Manching und Bibracte ganze Handwerkerviertel gab, in denen reges und buntes Treiben herrschte. Dort fand sich auch der geschäftige Berufsstand der Händler ein, der das keltische Sortiment in den Süden verkaufte: Salz, das an vielen Orten gewonnen und abgebaut wurde, Bernstein, Zinn von den Britischen Inseln, Eisenschwerter, Pökelfleisch, Textilien und Sklaven. Deshalb belegen Handel und Handwerk der Kelten, wie sehr deren Kultur sich entwickelt und Züge der antiken Zivilisation angenommen hatte.

|73|Germanen, Helvetier und der römische Statthalter Caesar

Wie die meisten keltischen Stämme des europäischen Festlands unter Roms Herrschaft gerieten, schildert detailreich ihr Eroberer Caesar. In seinen |74|Commentarii de bello Gallico, den Aufzeichnungen über den Gallischen Krieg, kurz Bellum Gallicum, Gallischer Krieg genannt, verfasste er während und am Ende seiner Gallien-Feldzüge eine umfangreiche Rechtfertigungsschrift für die politischen Kreise Roms. Darüber hinaus bietet das Werk eine Fülle ethnografischer Informationen und Berichte über die Geschehnisse im Norden. Ohne den Bellum Gallicum wüsste man kaum etwas von den Vorgängen, die das Ende einer blühenden keltischen Kultur bedeuteten. Der Preis dieser wertvollen Quelle ist ihre Einseitigkeit, denn ihr Autor stellte sich natürlich im besten Licht dar. Und die Gallier selbst haben über die Ereignisse keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen. Deshalb muss man Caesars Worte vorsichtig abwägen und versuchen, der historischen Realität auf die Spur zu kommen.

Wie war es zum rapiden Machtverfall der einst einflussreichen Haeduer gekommen? Der Druide und Politiker Diviciacus führte Caesar gegenüber aus, seit langem habe es unter den gallischen Stämmen zwei Parteien gegeben. Die eine sei von den Haeduern angeführt worden, die andere von deren Nachbarn im Süden und Nordosten, den Arvernern und Sequanern. Letztere hätten die innergallischen Streitigkeiten missbraucht, um germanische Söldner über den Rhein zu holen. Immer mehr dieser »wilden und barbarischen Menschen« seien von Fruchtbarkeit, Lebensstil und Reichtum Galliens angelockt worden, inzwischen schon 120 000 Männer. Dem hätten die Haeduer schließlich nichts mehr entgegensetzen können, weil sie nach verlustreichen Kämpfen so gut wie wehrlos dastünden. Zudem hätten sie den Sequanern Geiseln stellen müssen und Eide geschworen, das römische Volk nicht um Hilfe zu bitten.

Demnach hatten es die Sequaner den rivalisierenden Haeduern gleichgetan und fremde Unterstützung herbeigeholt. Sie bedienten sich der unzähligen Stämme, die unter bescheidenen Verhältnissen weit jenseits des Rheins im Herkynischen Wald und darüber hinaus siedelten. Seit Caesars Zeit fasste man sie unter dem Namen der Germanen zusammen. Immer häufiger zogen ihre verwegenen Kriegertrupps nach Westen und Süden, oft folgten ihnen ganze Stammesverbände mit Kind und Kegel. Genauso waren vor wenigen Generationen die Kimbern und Teutonen aus Dänemark durch Gallien bis nach Italien gezogen, auf der Suche nach Beute und Land. Erst nach mehr als einem Jahrzehnt der Unruhe gelang es dem römischen Feldherrn Marius in den Jahren 102 und 101 vor Chr., die Kriegerscharen in der Provence und bei Mailand entscheidend zu schlagen.

Ihnen folgten die Sueben unter ihrem König Ariovist, die den Auftrag der Sequaner annahmen und gegen die Haeduer zogen. Caesar erblickte in ihren Scharen zu Recht das von den Kelten verschiedene Volk der Germanen. Allerdings stellte er diese Erkenntnis stark vereinfacht dar, indem er zum Beispiel den Rhein zur Völkergrenze zwischen ihnen und den Galliern |75|machte. In Wahrheit waren die Sueben ein multiethnisches Kriegerbündnis, das aus vielen germanischen und keltischen Stämmen bestand. In Gallien suchten sie Land zum Siedeln, um die angenehmere gallische Lebensweise anzunehmen. Das Leben des Ariovist verdeutlicht, wie weit das Streben nach Assimilation ging: Er trug einen keltisch geprägten Namen und war mit einer Keltin verheiratet.

Diviciacus war wahrscheinlich gleichgültig, ob sein Stamm Galliern oder Germanen unterlag; für ihn zählte jede Niederlage als herber Machtverlust der Haeduer. Was hatten sie schon zu verlieren, wenn sie ihre römischen »Blutsbrüder« um Hilfe baten? Die Keltenwelt war mit ihren zahlreichen Stämmen und den benachbarten Völkerschaften ohnehin nie ein statisches Gebilde mit fest umrissenen Grenzen und Territorien gewesen. Immer wieder zogen germanische Stämme nach Gallien und ließen sich alsbald keltisieren – etwa am Niederrhein und in den Ardennen. Auch innerhalb keltischer Gebiete kam es zu Wanderungen. So setzten nordgallische Stämme nach Britannien über und nahmen dort Land in Besitz.

Ein Beispiel für einen wandernden Gallierstamm boten auch die Helvetier, deren Zug Caesar als Begründung der militärischen Intervention im freien Gallien diente. Einst hatten sie ihre Siedlungen in Süddeutschland verlassen, den Hochrhein überquert und sich das Land zwischen Rhein, Genfer See und Alpen angeeignet. Dieses Gebiet entsprach ungefähr der heutigen Schweiz, die ihren Namen Helvetien nach diesen Kelten trägt. Doch in seiner neuen Heimat scheint sich der Stamm nicht wohl gefühlt zu haben. Eingeengt zwischen Alpen, Römern und anderen gallischen Stämmen bot das Land wenig Entwicklungsmöglichkeiten. Unter vielen adligen Kriegern kam Unwille darüber auf, dass man hier nur eingeschränkt auf Kriegszüge und Kopfjagd gehen konnte. Zum Sprecher dieser Unzufriedenen, die auswandern wollten, machte sich Orgetorix, der in der Stammesgesellschaft erheblichen Einfluss besaß. Davon zeugten Tausende von Sklaven und ihm anderweitig Verpflichtete. Ob dieser helvetische Aristokrat die Alleinherrschaft anstrebte – wie Caesar behauptet –, sei dahingestellt; jedenfalls unternahm er alles, um der Anführer der abwandernden Helvetier zu werden, vergleichbar dem Sueben Ariovist. Darüber hinaus führte er Gespräche mit anderen Stämmen und fand sowohl bei den Sequanern als auch bei den Haeduern Verbündete, die ihn unterstützten. Unter diesen befand sich pikanterweise Dumnorix, der Bruder des haeduischen Druiden und Romfreundes Diviciacus.

Doch das Establishment des Stammes widersprach den ehrgeizigen Plänen des Orgetorix, weil es dessen Machtambitionen erkannte und Kämpfe mit anderen Stämmen und den Römern fürchtete. Man nötigte ihn, sich den Stammesgesetzen zu unterwerfen: »Ihren Bräuchen entsprechend zwangen sie Orgetorix, sich in Fesseln zu verantworten. Wurde er schuldig |76|gesprochen, musste er zur Strafe verbrannt werden.« Doch anscheinend wollte sich der Angeklagte keinem Urteil beugen. Er rief seine gesamte Gefolgschaft einschließlich der Sklaven zusammen, und entzog sich mit ihrer Hilfe dem Prozess. Bei anschließenden Unruhen und Kämpfen fand Orgetorix den Tod. Wie stark jedoch seine Anhänger waren, zeigte sich daran, dass sie das Vermächtnis des Getöteten durchsetzten: Man hielt an den Auswanderungsplänen fest. Die Helvetier gaben alle Siedlungen auf und brannten Oppida, Dörfer sowie Bauernhöfe nieder. Was an Getreidevorräten nicht mitgenommen werden konnte, wurde vernichtet. Die Rückkehr war ausgeschlossen. Eine neue Heimat wollte man im Westen gewinnen, in den weiten Gebieten am Atlantik nördlich des heutigen Bordeaux. Um sie zu erreichen, musste man nicht nur etliche Stammesgebiete, sondern auch römisches Territorium durchqueren. Denn der einfachste Weg führte die angeblich 350 000 Menschen mit ihren Wagen und ihrem Vieh durch das Land der Allobroger, in deren Siedlung Genava (Genf ) eine Brücke über die Rhône führte. Der Nachteil dieses Weges war, dass das Gebiet zur Gallia Narbonensis gehörte. Und für diese Provinz trug Gaius Julius Caesar als Statthalter die Verantwortung.

Caesar greift in Gallien ein

Der Name dieses römischen Politikers und Staatsmannes ist in die Geschichte eingegangen und blieb im deutschen Kaiser und im russischen Zar erhalten. Seit 2 000 Jahren gilt er als machtgieriger Staatsmann, skrupelloser Eroberer und Diktator, der das Ende der Republik einleitete, andererseits aber auch als hervorragender Schriftsteller, genialer Stratege und visionärer Planer des römischen Weltreichs, dessen Idee sein Adoptivsohn Augustus als Kaiser in die Tat umsetzte.

Caesar stammte aus einer der angesehensten Patrizierfamilien Roms und übte in zwanzig Jahren alle Verwaltungsämter aus, die einem karrierebewussten jungen Mann der Oberschicht gut anstanden. Allerdings brachten sie ihm nicht das Geld ein, das ein Politiker investieren musste, etwa für Wahlgeschenke oder Bestechungssummen. Nachdem Caesar 59 vor Chr. mit einem Kollegen das Konsulat innegehabt hatte und damit der höchste Repräsentant der Republik gewesen war, übernahm er ein Jahr später die Statthalterschaft in drei Provinzen. Dieses Amt bot üblicherweise die Gelegenheit, endlich an Geld zu gelangen – viele Statthalter beuteten ihre Provinzen schamlos aus. Doch Caesars Pläne gingen über die bloße Bereicherung hinaus. Er erbat sich die Gallia Cisalpina, Gallia Narbonensis und Illyricum. Damit verfügte er über die ertragreichen Gebiete in der  |77|Po-Ebene und in der Provence. Außerdem blieb er der Hauptstadt Rom möglichst nah, um weiterhin politisch Einfluss zu nehmen.

Gallien zur Zeit der Eroberung durch Caesar

Einem risikobereiten Statthalter boten die gallischen Grenzgebiete überdies viele Möglichkeiten, militärische Erfolge zu erringen und reiche Beute zu machen. Denn unruhige Keltenstämme boten ausreichend Anlässe, einen Krieg zu führen, Eroberungen zu machen und Tributzahlungen zu verhängen. Mit derlei Geldern wurde man nicht nur reich, sondern konnte auch seine Popularität unter den Legionären wie unter dem römischen Volk steigern. Bis heute ist ungewiss, wie weit Caesars Pläne zu Beginn seiner Statthalterschaft gingen. Offiziell durfte er keinen Krieg außerhalb |78|römischen Territoriums führen, lediglich dessen Grenzen sollten verteidigt werden. Doch dann bot der Zug der Helvetier die Möglichkeit, an der Grenze der Provincia und im freien Gallien zu intervenieren.

Die Massen der Helvetier und kleinerer Stämme, die sich ihnen angeschlossen hatten, wussten davon nichts. Sie wollten nur auf dem leichtesten Weg vorankommen. Umso überraschter waren sie, als sie die Genfer Brücke zerstört fanden und am anderen Rhône-Ufer massive Befestigungswerke erblickten, die von römischen Legionären besetzt gehalten wurden. Caesars Soldaten hatten ganze Arbeit geleistet: Sie waren in Eilmärschen zum Genfer See gezogen und hatten vor dem schwerfälligen Wagentreck der Kelten ihr Ziel erreicht. Diese versuchten nichtsdestotrotz, mit eilig gezimmerten Flößen und zusammengebundenen Kähnen den Fluss zu überqueren. Die Römer vereitelten diese Bemühungen, und der Statthalter Caesar erklärte den Helvetiern, er werde keinen Durchmarsch über römisches Gebiet dulden. Die keltischen Führer akzeptierten notgedrungen dieses Verbot. Obwohl sie über mehr als 90 000 Krieger verfügten, wollten sie zu diesem Zeitpunkt keinen Krieg mit Rom anzetteln. Sie entschieden sich für den beschwerlicheren Weg über das Jura-Gebirge und durch das Gebiet der Sequaner. Deren Erlaubnis hatte der Haeduer Dumnorix, der alte Verbündete des Orgetorix, für sie ausgehandelt.

Damit hätte sich Caesar zufrieden geben müssen, die Gefahr für die Provinz war abgewehrt. Doch gegenüber Rom argumentierte er mit einer fortwährenden Bedrohung durch die Helvetier. Sie zögen in steter Nachbarschaft zu römischen Gebieten quer durch Gallien und stellten ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Ihre hungrigen Menschenmassen plünderten die Rom treuen Haeduer aus und brächten damit das ohnehin schon gestörte Machtgleichgewicht unter den Barbaren durcheinander. Über kurz oder lang würden die Unruhen auf die eigenen Provinzen übergreifen. Caesar musste im Übrigen nur an die Gallierkatastrophe von 387 vor Chr. erinnern und an die jüngeren Züge der Kimbern und Teutonen. Auf diese Weise gewann er Rückendeckung aus Rom, sodass er mit fünf Legionen, also bis zu 30 000 Mann, im freien Gallien einmarschieren konnte.

Nach mehreren kleineren Gefechten und ergebnislosen Verhandlungen kam es in der Nähe von Bibracte zur Entscheidungsschlacht mit den Helvetiern, die durch ihren Treck stark behindert waren. Schutzlos vermochten sie nur mit Mühe den von einer Anhöhe herabstürmenden römischen Reitern standzuhalten. Dann rückten die dicht gestaffelten Legionäre in drei Schlachtreihen vor und schleuderten ihre Wurfspieße auf die keltischen Krieger. Deren gelichtete Scharen griffen mit der weit gerühmten gallischen Todesverachtung die Römer an, wurden jedoch blutig abgewehrt. Dem Gegenangriff leisteten sie stundenlang erbitterten Widerstand, bis sie sich schließlich in ihre Wagenburg zurückziehen mussten. Auch diese wurde |79|von Roms Soldaten eingenommen, wobei sie die Tochter des Orgetorix sowie einen seiner Söhne gefangen nahmen. Den geflohenen Überlebenden ließ Caesar unerbittlich nachsetzen, bis sich der Reststamm bedingungslos unterwarf. Die Helvetier mussten Geiseln stellen, die Waffen abliefern und in ihre alten Siedlungsgebiete zurückkehren. Nur 110 000 Menschen sollen Caesars Angriff überlebt haben.

Nach dem raschen und vollständigen Sieg des Statthalters suchten ihn Gesandte vieler gallischer Stämme auf, um die neue Lage zu sondieren. Immerhin stand nun das mächtige Rom mit seinen Legionären mitten im Land der Haeduer und damit im unabhängigen Gallien. Die Gespräche führten zur Einberufung einer gesamtgallischen Versammlung mit dem anwesenden Caesar. Dabei mögen auch die Sueben des Ariovist angesprochen worden sein, die sich inzwischen im Sequanergebiet zunehmend Land aneigneten. Wahrscheinlich waren die Meinungen darüber geteilt, wer das größere Übel für die Gallier sei: der Germane Ariovist oder der Römer Caesar.

Dieser nutzte jedenfalls die Situation aus und ergriff die Gelegenheit, um tiefer nach Gallien vorzustoßen. Angeblich waren gallische Häuptlinge mit Diviciacus zu ihm gekommen und hatten sich ihm weinend vor die Füße geworfen: Er müsse sie von dem germanischen Barbaren Ariovist befreien und ihn über den Rhein zurücktreiben. Caesar erfüllte diese Bitten gern und brachte sie mit Roms Interessen in Einklang: Auch die Wanderlawine der Sueben stelle eine Gefahr dar, die irgendwann Rom bedrohen werde. Caesars anschließende Verhandlungen mit Ariovist, die sogar zu einem persönlichen Treffen führten, markierten den Beginn jahrhundertelanger wechselhafter Beziehungen zwischen Rom und den Germanen, die nach dem Ende der freien keltischen Stämme in Westeuropa zum neuen barbarischen Feindbild der Mittelmeerwelt avancierten. Die Legionäre besiegten die Sueben in einer Schlacht bei Mühlhausen im Elsass, mit der im Jahr 58 vor Chr. der römische Einmarsch in Gallien erfolgreich abgeschlossen wurde.

Anschließend erklärte der Feldherr den Rhein zur Völkergrenze, hinter der angeblich noch wildere Barbaren als die Gallier hausten, vor denen Rom geschützt werden müsse. Um die Germanen abzuwehren, überschritt Caesar in den folgenden Jahren zweimal den Rhein. Doch mit dem Entscheidungskampf um die Freiheit der gallischen Stämme hatten die Germanen nichts mehr zu tun.

|80|Die gallischen Stämme und Caesar

Mit Caesars Legionen standen auf einmal starke Truppen einer fremden Macht im Gebiet der unabhängigen Gallier. Die Reaktion darauf waren überall erregte Debatten in den Ältestenräten und Versammlungen, wie damit umzugehen sei. Gallien stellte weder ein einheitliches Reich dar, noch hatten seine Bewohner so etwas wie ein Nationalbewusstsein. Den Aristokraten stand jeweils ihr eigener Stamm am nächsten; ihn galt es zu schützen. Was kümmerte die Stämme am Ärmelkanal die Not und Bedrängnis der Haeduer oder Sequaner. Sie waren nur von Interesse, wenn es um Bündnisse ging und um die Interessen des eigenen Stammes. Ob die gesamtgallische Druidenschicht gezielt ein stammesübergreifendes Bewusstsein pflegte und ob ihr darin Adlige und die breite Bevölkerung folgten, ist völlig ungewiss. Sicher ist dagegen, dass Stammesdenken und Zersplitterung der Gallier ein gemeinsames Vorgehen gegen Caesar erschwerten und fast unmöglich erscheinen ließen.

Außerdem herrschten innerhalb der Stämme viele verschiedene Meinungen. Am deutlichsten trat dies bei den Haeduern zu Tage, wo die Brüder Diviciacus und Dumnorix nicht nur die politische Lage unterschiedlich einschätzten, sondern wohl auch entgegengesetzte Ideen vertraten. Nach Caesars Schilderung galt Diviciacus als traditionsbetonter Druide, der die überkommenen Stammesgesetze pflegte. Das enge Bündnis mit Rom, das von den Vorvätern übernommen worden war, setzte er gegenüber Caesar fort. Während des gallischen Krieges zählte er offenbar zu dessen engsten einheimischen Beratern.

Ganz anders verhielt sich Dumnorix, den Caesar als Gegner einschätzte. Schon während der Kämpfe gegen die Helvetier sah er unter den Haeduern eine starke Opposition am Werk, die Hilfeleistungen für die Römer, etwa das wichtige Getreide, zu boykottieren versuchte. Der oberste Stammesführer machte Dumnorix dafür verantwortlich und beschrieb ihn nach Caesars Worten wie folgt: »Tollkühn und verwegen sei er beim Volk überaus beliebt. Mehrere Jahre lang habe er die Zölle und die übrigen Abgaben bei den Haeduern für eine geringe Summe gepachtet, weil niemand wage, dagegen zu bieten, wenn er biete. Auf diese Weise habe er sein Vermögen vermehrt und sich umfangreiche Möglichkeiten der Bestechung geschaffen. Er unterhalte eine große Zahl von Reitern, die sich immer in seiner Nähe befänden, und nicht allein in der Heimat, sondern auch bei den benachbarten Stämmen sei sein Einfluss bedeutend. Um seine Macht zu sichern, habe er seine Mutter dem vornehmsten und mächtigsten Mann der Biturigen zur Ehe gegeben, während er selbst eine Frau aus dem Stamm der Helvetier besitze und seine Schwester mütterlicherseits sowie die Frauen aus seiner Familie in andere Stämme verheiratet habe. Auf Grund seiner |81|Verwandtschaft sei er den Helvetiern freundschaftlich verbunden, während er Caesar und die Römer aus ganz persönlichen Gründen hasse, weil durch ihr Erscheinen seine Machtstellung erschüttert worden sei, wohingegen sein Bruder Diviciacus seine frühere Beliebtheit und sein ehrenvolles Ansehen wiedererlangt habe.«

Jenseits von Caesars einseitiger Darstellung erwies sich der Haeduer als machtbewusster Adliger, der alle Register der Stammesgesellschaft zu ziehen verstand – kriegerische Tapferkeit, Beliebtheit beim Volk, Reichtum und eine Schar von Abhängigen, eine schlagkräftige Kriegergefolgschaft und die diplomatischen Feinheiten einer weit verzweigten Heiratspolitik. Er war bei weitem nicht der hinterlistige Intrigant, als den ihn Caesar hinstellte, sondern ein stolzer keltischer Aristokrat, der sich sogar auf Münzen abbilden ließ. Eine zeigt ihn mit den Insignien des siegreichen Kämpfers: mit dem Schwert und dem Kopf eines Feindes in der Hand. In lateinischen Buchstaben ist zudem sein Name zu lesen. Roms Feinde griffen also auf die Schrift der Römer zurück, ohne auf die eigenen Traditionen zu verzichten. Unter den Galliern gab es viele Männer, die wie Dumnorix dachten.

Die Belger sind die Tapfersten der Gallier

Weit oben in den nördlichsten Teilen Galliens lagen jenseits der Seine und der Marne die Siedlungsgebiete der Belger. Das Land ihrer vielen Stämme wurde von Wäldern und Sümpfen geprägt und war insofern erheblich unzugänglicher als das so genannte keltische Gallien, dessen Oppida durch ein Wegenetz verbunden waren. Wegen dieser rauen Umwelt unterschieden sich die Menschen dort von den übrigen Galliern. Darüber hinaus hielt man sie für Abkömmlinge eingewanderter Germanen, die sich einen Teil ihrer Wildheit bewahrt hatten. Caesar bezeichnete sie als die Tapfersten unter den Galliern, die Gründe dafür sind für ihn offensichtlich: Sie wohnten am weitesten entfernt von der verfeinerten Lebensweise und Zivilisation der römischen Provinz, weshalb nur selten deren Händler mit ihren Waren zu ihnen gelangten. Überdies führte die Nachbarschaft zu den Germanen ständig zu kriegerischen Auseinandersetzungen.

Als kampferfahrenster belgischer Stamm verstanden sich die Bellovaker, die 100 000 Krieger auf die Beine brachten und daher die Führung beanspruchten. Die Suessionen nannten dagegen die fruchtbarsten Gebiete ihr Eigen und genossen hohes Ansehen. Und den weitab lebenden Nerviern sagte man eine besondere Wildheit nach. Neben diesen drei größten Stämmen existierte eine Anzahl kleinerer Völkerschaften. Von ihnen allen berichtete man Caesar, sie hätten sich gegen Rom verschworen und Bündnisse |82|untereinander geschlossen. Ob die Belger in ihren entlegenen Gebieten die römische Präsenz im Süden als so bedrohlich wahrnahmen, ist allerdings fraglich. Vermutlich schlossen sie sich zu einer weiteren Runde von Feldzügen gegen benachbarte Stämme zusammen, nicht zuletzt, um auf Kopfjagd zu gehen. Für Caesar stellten diese Nachrichten jedenfalls einen triftigen Grund dar, um sein angenehmes Winterlager in Oberitalien aufzugeben und in den kalten Norden zu reisen. Im Namen Roms beanspruchte er das Gewaltmonopol in Gallien – auch interne Stammeskämpfe durften nicht mehr ausgefochten werden.

Eine Silbermünze offenbart, was Caesar verschweigt: Die Gallier schätzten noch die Kopfjagd. Der hier dargestellte adlige Haeduer Dumnorix trägt einen Lederpanzer und ein Schwert und hält in der Rechten eine Kriegstrompete, eine Eberstandarte sowie in der Linken einen Kopf.

Unterdessen sammelten sich die Belger für den Kampf gegen die Nachbarn. Feldzüge größeren Ausmaßes mussten rasch ausgeführt werden, um die Versorgung der Krieger zu sichern und den eigenen Stammesgebieten die Hauptmacht der Truppen nicht zu lange zu entziehen. Überraschend traf die Verbündeten ein Angriff der Haeduer, die das Land der Bellovaker verwüsteten. Wahrscheinlich ahnten diese nicht, dass Caesar den Haeduer Diviciacus damit beauftragt hatte. Trotzdem stürmten die Belger an der Aisne gegen ein Oppidum der Remer, die zwar selbst zum großen belgischen Verband gehörten, sich aber mit den Römern verbündet hatten. Noch hielten sich deren Legionen in ihren Verschanzungen zurück, während die Angreifer das Oppidum von allen Seiten einschlossen. Ein erbitterter Kampf entbrannte, in dem die Belger die Mauern der Remer mit Steinen beschossen und gleichzeitig versuchten, die Tore einzunehmen. Nur der Einbruch der Nacht rettete die Belagerten, die Caesar um rasche Hilfe baten. Als dann die Belger die Verstärkung der fremden Soldaten erspähten, brachen sie die Belagerung ab und wandten sich gegen Caesar selbst, in dessen Nähe sie ein großes Lager errichteten.

Der römische Statthalter zögerte einige Zeit, sich auf eine offene Schlacht mit dem Feind einzulassen. Dann begann er mit den Vorbereitungen, denen die Belger anscheinend tatenlos zusahen. Die vom Lager flach abfallende Ebene ließ er mit Gräben und Kastellen begrenzen, an denen große Schleudermaschinen aufgestellt wurden. Damit hinderte er den Feind, ihn an den Flanken zu umgehen und in die Zange zu nehmen. Zwei Legionen blieben im Lager, sechs Legionen stellten sich in Schlachtordnung auf. Ihnen gegenüber nahmen die belgischen Krieger ihre Positionen ein.

Damit standen sich nicht nur zwei feindliche Heere gegenüber, sondern |83|auch zwei völlig unterschiedliche Strategien, die im Laufe der römischen Unterwerfung Galliens immer wieder aufeinander treffen sollten. Caesars Legionen bildeten als Fußtruppen den Kern seiner Heeresmacht, der meist von Reitern unterstützt wurde. Der einzelne Legionär war ein Berufssoldat, der eine harte Ausbildung hinter sich hatte. In ihr lernte er, mit dem Pilum, dem Wurfspeer, und der Spatha, einem kurzen Hiebschwert, zu kämpfen. Seinem Schutz dienten ein lederbezogener Holzschild, ein Panzerhemd aus Lederstreifen und Eisenplatten sowie ein Helm. Ein solcher gedrillter Kämpfer musste kräftig genug sein, um 30 Kilogramm Marschgepäck über viele Kilometer tragen zu können: Verpflegung, Kochgeschirr und Schanzpfähle sowie Werkzeuge für den Lagerbau. Aber vor allem musste der Legionär sich den Befehlen bedingungslos unterordnen und sich als Teil einer rational geordneten Kampfeinheit verstehen. Diese Eigenschaften verliehen der Legion aus bis zu 6 000 Soldaten ihre Stärke. Hatten diese ihre Verschanzungen ausgehoben und sich auf übersichtlichem Terrain Schild an Schild wie eine menschliche Mauer aufgestellt, waren sie kaum zu besiegen.

Den Schlachtreihen der Legionen standen die Gallier gegenüber, die ein ganz anderes Bild von sich gaben. Sie trugen bunte Hemden, Hosen und einen gestreiften Überwurf. Ließ sie diese Bekleidung in römischen Augen eher komisch erscheinen, wirkten ihre militärische Ausrüstung und ihr Gebaren erschreckend martialisch, wie der Historiker Diodor berichtet: »Bewaffnet sind sie mit mannshohen Schilden, die eigenartig bunt bemalt sind. Einige haben auch aufgesetzte bronzene Tierfiguren in guter Ausführung, nicht nur als Schmuck, sondern auch zum Schutz. Sie tragen Bronzehelme mit hoch emporragenden Aufsätzen, die ihren Trägern ein sehr großes Aussehen geben. Einige Helme haben nämlich angeschmiedete Hörner, andere Darstellungen der Köpfe von Vögeln oder vierfüßigen Tieren. Sie haben Trompeten mit eigentümlichem, barbarischem Klang. Denn wenn sie in diese blasen, bringen sie einen rauen und zum Kriegslärm passenden Ton hervor. Einige tragen eiserne Kettenpanzer, andere begnügen sich mit ihrer bloßen Haut und kämpfen unbekleidet.« Als Waffen benutzten sie lange Schwerter, die an eisernen oder bronzenen Ketten hingen und an der rechten Seite anlagen. Ferner gebrauchten sie Speere mit langen Spitzen, die furchtbare Wunden reißen konnten.

Vor Kampfbeginn und während der Schlacht sollen sie folgende Bräuche gepflegt haben: Wenn sie sich zur Schlacht aufgestellt hatten, herrschte die Sitte, vor die Kampflinie zu treten und die Tapfersten der Gegner zum Zweikampf herauszufordern, wobei sie ihre Waffen schwangen, um ihren Gegnern Furcht einzuflößen. Nahm einer die Herausforderung zum Kampf an, priesen sie die Heldentaten ihrer Vorfahren und brüsteten sich mit ihrer eigenen Tapferkeit. Den Gegner beschimpften sie, setzten ihn herab |84|und suchten ihm im Voraus die Kampfmoral zu nehmen. Den gefallenen Feinden schlugen sie die Köpfe ab und hängten diese ihren Pferden an den Hals; die erbeuteten Waffen übergaben sie ihren Dienern, und obwohl sie blutverschmiert waren, führten sie die Trophäen unter Hymnen und Siegesgesängen mit sich.

Den keltischen Stammeskriegern mussten die römischen Legionäre in ihrer anonymen Masse völlig fremdartig erscheinen. Verlangte nicht der Kriegerstolz, dass man sich kundtat, sich vorstellte und seine Heldentaten pries; dass man die tapferen Feinde aufzählte, deren Köpfe man sein Eigen nannte! Die Gallier orientierten sich an ihren Stammes- und Gefolgschaftsverbänden. Und wenn der Klang der Kriegstrompeten zum Kampfbeginn ertönte, stürmte man mit Todesverachtung los und dachte nur an den ruhmreichen Sieg. Den antiken Geschichtsschreibern erschien diese Taktik als Beweis barbarischer Tollheit. Trotzdem waren die Kelten damit über Jahrhunderte erfolgreich, sie erregten bei ihren Feinden Furcht und Schrecken.

Derart unterschiedlich standen sich also Belger und Römer zum ersten Mal gegenüber und erwarteten jeweils den Angriff der gegnerischen Seite. |85|Zwischen ihnen erstreckte sich ein Sumpf, den keiner als Erster durchqueren wollte. Die Gefahr, sich darin eine Blöße zu geben, war zu groß. Die gallischen Krieger wollten siegreich kämpfen und nicht in einem Morast niedergemetzelt werden. Caesar zog daraus die Konsequenz und führte seine Legionen ins Lager zurück. Als die Belger anschließend doch einen Überraschungsangriff unternahmen, wurden sie blutig zurückgeschlagen. Eine rasche Entscheidung schien demnach nicht möglich zu sein. Zudem gingen die lebenswichtigen Vorräte zur Neige. So entschloss man sich, den Kampf abzubrechen und in die jeweiligen Stammesgebiete heimzukehren. Diesen überraschenden Aufbruch mitten in der Nacht hielt Caesar anfangs für die Inszenierung eines Hinterhalts. Doch das Zweckbündnis der Belger hatte sich in der Tat aufgelöst und war wieder in seine Einzelstämme zerfallen, denen in erster Linie die Verteidigung des eigenen Gebiets notwendig erschien. Als der Römer diesen für ihn unbegreiflichen Rückzug erkannt hatte, schickte er ihnen Reiter und Legionen hinterher, die den Abziehenden am nächsten Tag noch größere Verluste bereiteten. Gleichwohl wurde die Entscheidungsschlacht vertagt.

|84|Die Krieger und ihre Welt

Unter den Griechen und Römern waren die keltischen Stämme weniger wegen ihrer Druiden bekannt, von denen ohnehin erst Caesar berichtet. Hingegen fürchtete man seit dem 4. Jahrhundert vor Chr. die Kampfkraft und Unberechenbarkeit der Keltenkrieger, wie die Zitate antiker Historiker an anderen Stellen eindrucksvoll belegen. Auch wenn sich darin manches Mal Klischeevorstellungen mit der historischen Wahrheit vermischten, so ist doch gewiss, dass seit Beginn der großen Wanderungen der Kriegeradel mit seinen Gefolgsleuten denTon angab in der keltischen Gesellschaft.

Deswegen versammelten die Häuptlinge und andere mächtige Adlige ihre Krieger in der Halle, um auch in Friedenszeiten das Loblied ihrer vermeintlichen Heldentaten zu singen.Poseidonios,der als einer der Ersten ausführlicher von den Barbaren des Nordens berichtet, schildert die Atmosphäre solcher Versammlungen: »Die Kelten führen zuweilen beim Mahle Zweikämpfe auf. Sie versammeln sich unter Waffen, führen Scheinkämpfe auf und ringen miteinander. Aber manchmal kommt es zu Verletzungen, und im Zorn darüber treiben sie es sogar bis zum Totschlag, wenn nicht die Anwesenden einschreiten. Früher erhielt der Mächtigste das beste Stück von dem aufgetragenen Schinken.Wenn ein anderer darauf Anspruch erhob, kämpften sie im Zweikampf bis zum Tode. Andere auf dem Schauplatz empfangen Silber oder Gold, wieder andere eine Anzahl von Weingefäßen, und wenn sie sich gegenseitig für das Geschenk Bürgschaft geleistet und es an Verwandte oder Freunde als Geschenk verteilt haben, strecken sie sich rücklings auf Schilde aus,  |85|und einer, der daneben steht, schneidet ihnen mit dem Schwert die Kehle durch.«

Auf Poseidonios und andere antike Autoren geht das Bild des zwischen Treuherzigkeit und Jähzorn schwankenden keltischen Kriegers zurück, der gegenüber dem Feind wie unter seinesgleichen zu Unbesonnenheit, Prahlsucht und Eitelkeit neigt. Diese zeigte sich angeblich besonders im Tragen von Goldschmuck – sei es in Form des Torques-Halsrings oder als Reifen um Arm und Handgelenk.Wegen ihrer Selbstgefälligkeit schimpfte man sie nach einem Sieg unerträglich, nach Niederlagen aber wie benommen.

Dazu kam ein für die Menschen der Mittelmeerwelt fremdartiges Gebaren, das oftmals geradezu kindlich schien: Sie hätten nämlich ein Furcht erregendes Aussehen und tief tönende, ganz raue Stimmen. Im Gespräch drückten sie sich kurz und rätselhaft aus; und während sie das meiste nur versteckt andeuteten, sprächen sie andererseits gern mit Übertreibungen, um sich selbst zu erhöhen und alle anderen herabzusetzen.Sie gäben sich gern drohend, hochtrabend und gespreizt.Dabei hätten sie einen scharfenVerstand und seien nicht unbegabt zum Lernen.

In diesem Zusammenhang werden die später weithin berühmten Barden erwähnt, die Liederdichter, die, von lyraähnlichen Instrumenten begleitet, sowohl Lob- als auch Schmählieder sangen. Auf dieseWeise priesen sie ihren Herrn, seine Tapferkeit und vermutlich die Anzahl seiner erbeuteten Köpfe, wohingegen sie die Feinde verhöhnten und der Lächerlichkeit Preis gaben. Derart feierte man sich, seine Ruhmestaten und seine Ehre bei so manchem Gelage, wobei die Teilnehmer kräftig dem Trinkhorn voll Wein oder Met zusprachen – kein Wunder also, wenn Streit und Ehrenhändel durchaus blutig ausgehen konnten.

|86|Aber in der Schlacht standen die keltischen Krieger ihren Mann, und ihre ungestümen Gefolgschaften schreckten als Söldner nicht selten Feinde in allen Teilen der antikenWelt bis nach Ägypten.Überall zeichneten sie sich durch Eigentümlichkeiten aus, von denen die erschreckendste die genannte Gewohnheit war, den toten Feinden die Köpfe abzuschlagen und alsTrophäen mitzunehmen.Doch schon die Kleidung der Barbaren war gewöhnungsbedürftig, bestand sie doch aus der am Mittelmeer ungewohnten Hose und einem farbenfroh gemusterten Wollumhang, der an die Schottenkilts erinnert. Hinzu kam die ebenso befremdliche Schmuckfreudigkeit der keltischen Männer, die außer den erwähnten Hals- und Armringen Gewandspangen und Fingerringe trugen, was von Griechen und Römern als unmännliche Protzerei angesehen wurde.

Von den Kämpfen wird glaubhaft überliefert, dass keltische Krieger nackt zum Angriff gestürmt seien – wobei dies eher fanatischen Kriegerbünden vorbehalten blieb.Während der einfache Kämpfer kaum über einen ausdrücklichen Schutz verfügte,trugen dieAdligen Panzer unterschiedlicherArt,so als Brustpanzer aus Leder und Metall oder Schuppen- und Ringpanzer, die Ähnlichkeit mit den mittelalterlichen Brünnen zeigten. Helme fanden sich ebenso selten und bestanden üblicherweise aus Eisen oder Bronze. Sie konnten mit prächtigen Tierfiguren verziert sein, die etwa einen Eber oder ein Pferd darstellten.Darüber hinaus trug man hohe Feldzeichen mit sich, die mit ihren Figuren und Symbolen die Schlacht magisch vorbestimmen sollten. Schließlich gehörten zu einer keltischen Schlachtreihe Hörner und die Karnyx, eine Kriegstrompete, deren Schalltrichter die Form eines Tierkopfes annahm. Deren Töne, das Geschrei und raue Singen der Krieger sowie |87|deren exotisches Aussehen ließen so manchem griechischen oder römischen Soldaten den Schreck in die Glieder fahren.

Dabei kämpfte die Masse der Krieger zu Fuß, während der Kampf zu Pferde den Adligen und herausragenden Kämpfern vorbehalten blieb. Eine auffallende Eigenart der keltischen Kampfweise war die Verwendung eines zweirädrigen Streitwagens, vor den man zwei Pferde spannte. Eine Beschreibung seiner Verwendung gibt im 1. Jahrhundert vor Chr. der Sizilianer Diodor: Auf ihren Reisen und in den Schlachten benutzten sie Zweigespanne mit einem Lenker und einem Kämpfer auf dem Wagen. Stießen sie im Gefecht auf Reiter, so warfen sie mit dem Spieß auf die Gegner, stiegen dann ab und traten zum Kampf mit dem Schwert an. Einige von ihnen verachteten denTod so sehr, dass sie nackt bis auf einen Gürtel in den Kampf zogen. Sie führten auch Diener mit sich, die Freie waren; sie wählten sie aus den Armen aus und verwendeten sie während der Kämpfe als Wagenlenker und Waffenträger. Allerdings war zu Lebzeiten dieses Gewährsmannes der Streitwagen auf dem Kontinent schon lange nicht mehr in Gebrauch. Caesar lernte ihn dagegen in Britannien noch kennen, wo man ihn bis zur späteren römischen Eroberung verwendete.In Irland blieb dieseTradition noch lange erhalten und die Heldengestalten der mittelalterlichen Erzählungen sind dementsprechend Streitwagenkämpfer – in ähnlicher Art und Weise, wie sie Diodor mehr als 1000 Jahre früher beschrieben hat.

Das eiserne Schwert war die viel geschätzte und gefürchtete Hauptwaffe der Kelten, die als Meisterstück ihrer Schmiedekunst galt. Im Laufe der Jahrhunderte machte sie viele Veränderungen durch: Zu Zeiten der Salzherren von Hallstatt |88|betrug die Schwertlänge mehr als einen Meter,während Fürsten wie der von Hochdorf sich mit erheblich kürzeren Dolchen schmückten, die kaum einen halben Meter erreichten. Darüberhinaus wurden Kurzschwerter geschmiedet, die teils als Hieb-, teils als Stichwaffe Verwendung fanden. Schließlich setzte sich das 80 Zentimeter lange Hiebschwert mit seiner abgerundeten Spitze durch, das man in einer Metallscheide mit Kette an der rechten Hüfte trug. Doch wie immer das Schwert aussah und benutzt wurde – stets schätzte es sein Träger außerordentlich und zierte es mit reichenTier- und Symboldarstellungen.Und in der irischen Sagenwelt schien manches Schwert ein lebendiges, mit magischen Kräften erfülltesWesen zu sein.

Außerdem bediente man sich einer Vielzahl weiterer Waffen, zu denen im Nahkampf Keulen und Streitäxte gehörten. Mithilfe von Lederriemen wurden Steine oder Tonkugeln auf den Feind geschleudert. Neben Wurfspeeren fanden zeitweilig auch Lanzen Verwendung, die eine Länge von bis zu 4 Metern erreichen konnten.

Doch neben dem Schwert stellte der schutzbietende Schild das augenfälligste Attribut des Kriegers dar. Grundsätzlich bestand er aus mit Leder überzogenen Holzbrettern, wobei der metallene Schildbuckel die Stelle schützte, an der die Hand den Schild hielt. Auch Schilde und Schildbuckel konnten – ähnlich den Schwertern – reich verziert sein. Im Laufe der keltischen Geschichte nahmen Schilde alle möglichen Formen an und konnten oval, viereckig oder in die Länge gezogen sein; betrug ihre Höhe anfangs einen halben Meter, so waren sie später fast mannshoch.

|86|Kämpfe in der Wildnis

Doch die Belger sollten kein gemeinsames Heer mehr aufstellen, weil Caesar die Gunst der Stunde zu nutzen wusste. Er marschierte gegen die einzelnen Stämme und nahm ihre Unterwerfung an. Anders verhielt es sich nur mit den Nerviern, die unter den kampfstarken Belgern als besonders wild und tapfer galten. Sie lehnten eine Kapitulation ab und verweigerten jegliche Verhandlungen mit Gesandten oder Caesar selbst. Schon um sein Gesicht zu wahren, musste dieser mit den Legionen in das unwegsame Sumpfland der Nervier an der Schelde vordringen. Dessen Bewohner schienen ihre Stärke im Kampf aus dem Unterholz und im Hinterhalt zu sehen. Zu ihren traditionellen Angriffs- und Verteidigungstechniken gehörte es, junge Bäume einzuschneiden und umzubiegen. Zwischen ihren dann in die Breite wachsenden zahlreichen Zweigen pflanzten sie Brombeer- und Dornbüsche und stellten auf diese Weise einen Schutzverhau her. Nach Caesars Bericht war diese künstliche Hecke so undurchdringlich wie eine Mauer.

Damit gelang es den Nerviern nicht nur, die Römer abzuwehren, sie |87|sorgten mit ihren Überraschungsangriffen aus den Wäldern sogar für erhebliche Unruhe beim Feind. Mit großer Geschwindigkeit stürmten sie hervor und stürzten sich auf die Reiterei. Nachdem diese sie zurückgeschlagen hatte, griffen sie unverzüglich die gerade einen Fluss überquerenden Legionäre an und störten anschließend deren Schanzarbeiten beim Lagerbau. Caesar sah sich zur Eile getrieben und hieß die Legionäre, sich in Schlachtordnung aufzustellen. Doch sie wurden von den ständigen Attacken der Nervier überrascht und mussten unter chaotischen Verhältnissen kämpfen. Der Feldherr selbst nannte die Situation mitten im wilden Nervierland »außerordentlich ungünstig«. Derweil hatten seine Feinde entdeckt, dass das römische Lager große Schwachstellen aufwies. In dichten Reihen stürmten sie über ungedeckte Verschanzungen und glaubten das Lager in ihrer Hand. Daraufhin machten sich Schrecken und Verzweiflung unter den Römern und ihren Verbündeten breit. Die mit Caesar verbündete Reiterei der Treverer verließ sogar den Kampfplatz und kehrte heim ins Moselland.

In dieser Situation musste der Statthalter sein Leben wagen, um in letzter Minute die Katastrophe abzuwehren. Er griff sich einen Schild und |88|drang bis zur ersten Kampfreihe vor, wo er seine Soldaten ermutigte und anspornte. Tatsächlich gelang es ihm, ihren Widerstand zu stärken und die desolaten Reihen zu schließen. Zugleich erschienen drei lang erwartete Legionen, die die Wende herbeiführten. Die Nervier sahen sich auf einmal von mehreren Seiten angegriffen und verteidigten sich erbittert bis zum letzten Mann, denn eine Aufgabe kam für sie nicht in Frage. Darum fanden fast alle ihrer Krieger in dieser Schlacht den Tod. Den überlebenden Alten mit den Frauen und Kindern gewährte Caesar Frieden. Noch nie war der Römer bis dahin in Gallien einer Niederlage so nahe gewesen wie in dieser Schlacht in der Wildnis. Anschließend wurde der letzte Widerstand unter den Belgern gebrochen, von denen man Tausende in die Sklaverei verkaufte.

Gegen Ende des Jahres 57 vor Chr. herrschte nach Caesars Angaben in ganz Gallien Ruhe. Er hatte nicht nur die gefürchteten Belger in ihre Schranken verwiesen. Seine Legionen hatten darüber hinaus viele andere Stämme Galliens unterworfen. Römische Truppen wurden in Winterlagern mitten in den Stammesgebieten stationiert, um die römische Herrschaft über Gallien sicherzustellen. Nach diesen Erfolgen nahm Caesar gern die |89|Ehrungen des Senats entgegen, mit denen zugleich sein Oberkommando in Gallien bestätigt wurde.

Aber wenn er tatsächlich glaubte, das ganze Land zu kontrollieren, irrte er sich. Er hatte zwar mit seinen rasanten Feldzügen einigen Stämmen römische Heeresmacht demonstriert. Zu vielen war jedoch noch kein einziger Legionär vorgedrungen; dort wusste man nichts von der vermeintlichen Eroberung Galliens.

|89|Seeschlachten, Guerillas und Massaker – Gallien steht nicht unter Caesars Herrschaft

Während das Land der Belger ein Randgebiet Galliens darstellte, das mit seinen schwer zu durchdringenden Wäldern und Sümpfen schon an die Wildnis Germaniens erinnerte, lebte der Stamm der Veneter in einer völlig anderen Welt. Diese Kelten siedelten an der bretonischen Atlantikküste und hatten als geschickte Seefahrer großen Wohlstand erworben. Mit ihren flachen Schiffen, deren Bug und Heck hoch emporragten, konnten sie sowohl Untiefen meistern als auch die starken Wellen des offenen Meeres überstehen. Segel aus Leder sorgten für eine beachtliche Geschwindigkeit. Die Veneter verfügten über eine ganze Flotte derartiger Schiffe, die in Gallien ihresgleichen suchte. Auf ihnen betrieben sie neben der Fischerei vor allem intensiven Handel mit Spanien und den Britischen Inseln. Damit kontrollierten sie den selbst für Rom wichtigen Zinnhandel, der die Basis ihres Reichtums und ihrer Macht bildete. Sie beherrschten die vereinzelten Häfen, prägten Münzen und erhoben Steuern. Deshalb sah man sie in Gallien als selbstbewussten und einflussreichen Stamm an, dessen Meinung unter den vielen Nachbarn zählte.

Die stolzen Veneter hatten anfangs wie andere Stämme den Römern Geiseln gestellt, die ihr Wohlverhalten garantieren sollten. Darüber hinaus waren zusehends Vertrauensleute Caesars ins Land gekommen, unter denen sich nicht nur Kelten, sondern auch Römer befanden. Bald schon berieten die Häuptlinge darüber, ob man dem fremden Statthalter nicht zu sehr entgegengekommen sei und ob man die Stellung von Geiseln mit der Stammesehre vereinbaren könne. Der Adel verneinte dies und zog daraus die Konsequenz: Man ließ alle Römer festnehmen, derer man habhaft werden konnte. Sie galten als Pfand, mit dem man die eigenen Geiseln austauschen wollte.

Dem mächtigen Küstenvolk schlossen sich die schwächeren Nachbarn an. Auf einmal befand sich der ganze Nordwesten Galliens in Unruhe und Aufruhr. Die Veneter wussten um die Stärke ihrer Flotte, mit der sie sowohl |90|in der Anzahl der Schiffe als auch in Navigations- und Ortskenntnis den Römern überlegen waren. Darum zogen sie sich mit ausreichenden Getreidevorräten in ihre befestigten Küstensiedlungen zurück und erwarteten dort die Legionäre Roms.

Caesar selbst schilderte ihre sichere und starke Position: »In der Regel waren die Städte so angelegt, dass sie am Ende von Landzungen oder auf Vorgebirgen erbaut und zu Fuß unerreichbar waren, wenn vom offenen Meer her die Flut heranströmte, was in einem Abstand von zwölf Stunden stets zweimal am Tag geschah. Da bei zurückweichender Flut Schiffe auf Sandbänke aufliefen, waren die Städte auch für die Schiffe schwer erreichbar. Beides zusammen machte daher die Belagerung einer Stadt sehr schwierig. Wenn die Einwohner dennoch einmal einer groß angelegten Belagerung nicht gewachsen waren, wenn Damm und Molen das Meer gestaut und die Höhen der Stadtmauern erreicht hatten, sodass die Einwohner alle Hoffnung aufzugeben begannen, ließen sie eine große Zahl von Schiffen landen, über die sie reichlich verfügten, schafften ihren ganzen Besitz fort und zogen sich in die nächstgelegenen Städte zurück. Dort verteidigten sie sich aufs Neue unter den gleichen günstigen Umständen. Über lange Strecken des Sommers konnten sie so verfahren, umso leichter, als starke Stürme unsere Schiffe abhielten und die Seefahrt vor fast unüberwindlichen Schwierigkeiten stand, denn es handelte sich um ein weites, offenes Meer mit starken Strömungen, wo es nur wenige oder fast gar keine Häfen gab.«

Trotzdem verzichtete Caesar auf eine Belagerung zu Land und versuchte von Anfang an, die Entscheidung in einer Seeschlacht herbeizuführen. Dafür hatte er eine große Zahl römischer Kriegsschiffe bauen lassen, denen die Veneter eine Flotte von 220 Schiffen entgegenstellten. Oberbefehlshaber, Militärtribunen und Zenturionen waren zunächst ratlos, wie man gegen die Veneter vorgehen könne; denn eine gewohnte Taktik schien wenig Erfolg versprechend – weder das Rammen der feindlichen Schiffe noch der Einsatz von Wurfgeschossen. Doch die für ihren Pragmatismus berühmten Römer waren auch in dieser Situation einfallsreich. Sie befestigten an Stangen scharfe Sicheln, mit denen sie die Taue der feindlichen Takelage durchschnitten. Wenn dies gelang, konnten die Veneter ihre Segel nicht mehr nutzen und verloren ihre Wendigkeit. Eintretende Windstille ermöglichte es den römischen Soldaten zusätzlich, auf die venetischen Schiffe zu springen und im Nahkampf den Feind zu schlagen. Dem hatten die Gallier nichts mehr entgegenzusetzen – sie verloren ihre Flotte und mussten ihre Städte aufgeben.

Caesar ging mit ungewöhnlicher Härte gegen die Besiegten vor: Er ließ den gesamten Ältestenrat hinrichten und verkaufte die Bevölkerung in die Sklaverei. So setzte er ein deutliches Zeichen, womit Widerstand leistende |91|Stämme und ihre Führer in Zukunft zu rechnen hatten. Bei loyaler Zusammenarbeit mit den Besatzertruppen winkten dagegen reicher Lohn und Einfluss unter Roms Herrschaft. Die völlige Entmachtung der Veneter brachte Caesar noch ganz andere Vorteile; denn durch sie konnte er das Ruder im ertragreichen Seehandel übernehmen und hohe Gewinne einstreichen.

Trotz des harten Vorgehens gegen die Veneter kam Gallien in den nächsten Jahren nicht zur Ruhe. Immer wieder schickte Caesar Gesandte zu den Stämmen, die dringendst ermahnt wurden, ihre Bündnisverpflichtungen gegen Rom einzuhalten. Mehrere Legionen stießen in viele Teile des Landes vor, um unruhige Stämme im Zaum zu halten und Aufstände niederzuschlagen. Caesar selbst kämpfte nicht nur im Rheinland gegen germanische Völkerschaften, er unternahm auch zwei Expeditionen nach England, die allerdings erfolglos blieben.

Schon vorher war mit dem Haeduer Dumnorix einer der prominentesten gallischen Widersacher des Feldherrn ums Leben gekommen. Anscheinend hatte er auch unter römischer Aufsicht das Feuer des Aufstands kräftig geschürt und geheime Verhandlungen mit gleich Gesinnten aus vielen Stämmen geführt. Als ihn Caesar mit nach Britannien nehmen wollte, unterstellte er dem Römer, er wolle ihn und andere Stammesführer auf diesem Feldzug eliminieren. Darum machte er sich samt seiner Gefolgschaft auf den Heimweg ins innere Gallien. Caesar sandte ihm sofort seine Reiter hinterher, die Dumnorix unter ungenannten Umständen töteten.

Doch damit endete keineswegs der Widerstand gegen die römischen Legionen und ihre gallischen Verbündeten. Wie unruhig die Lage war, bewies ein Vorfall bei den Karnuten. Dort hatte Caesar dem Edlen Tasgetius die Königswürde verliehen, die früher immer von dessen Familie wahrgenommen worden war. Später hatte der Stammesadel die Königssippe entmachtet, und ebenso wenig war man willens, Caesars Schützling zu akzeptieren. Als er im dritten Jahr herrschte, wurde er von der Adelsopposition getötet. Caesar musste Truppen in das Gebiet entsenden, die für Ruhe sorgen sollten. Solche Vorfälle geschahen zuhauf in Galliens Stämmen und richteten sich gegen Könige, einzelne Adlige und ganze Ältestenräte. Caesars gallische Verbündete waren ihres Lebens nicht mehr sicher.

Außerdem erhoben sich viele Stämme geschlossen, sei es unter den Aquitaniern im Südwesten oder wiederholt unter den Belgern im wilden Norden, die mit ihrer Guerillataktik den Legionen erhebliche Schwierigkeiten bereiteten. Die zwischen Maas und Rhein siedelnden Eburonen, ein keltisierter Germanenstamm, lockten Roms Truppen in einen Hinterhalt, der mehrere tausend Legionäre das Leben kostete. Sobald Caesar konnte, eilte er durch Eifel und Ardennen ins Gebiet des unbotmäßigen Volkes, wo er blutige Rache nahm. Er löschte den Stammesnamen aus und rief alle |92|Völker der Nachbarschaft zur Ausplünderung der Eburonen auf. Deren Aufstand hatte ihm erneut gezeigt, auf welch unsicheren Fundamenten Roms Herrschaft ruhte. Nur eine Vielzahl von Feldzügen und Besatzungstruppen hielt die gallischen Stämme unter Kontrolle.

Geheime Versammlungen in den Wäldern

Die Fäden dieses gewaltigen und riskanten Eroberungsnetzes hielt allein Caesar in der Hand. Zwar verfügte er über fähige und verlässliche Offiziere und von seinen Legionären soll er gesagt haben, mit ihnen könne man den Himmel zum Einsturz bringen – doch der Statthalter war der Mann, von dem die Freiheit oder die Unfreiheit Galliens abhing.

Das wussten die führenden Männer der gallischen Stämme, die seit Winterbeginn des Jahres 53 vor Chr. wiederholt zusammentrafen. In dieser Jahreszeit weilte Caesar wie üblich in Norditalien, während seine Truppen in ihren verschanzten Lagern die Stellung hielten. Bald schon verbreiteten sich unter den Stämmen Gerüchte, der Statthalter habe in Rom innenpolitische Probleme, weshalb ihm die Hände in Gallien gebunden seien. Caesar selbst gibt im Gallischen Krieg die Stimmung dieser Zusammenkünfte glaubwürdig wieder: »Da die Gallier schon vorher ihre Unterwerfung unter die Herrschaft des römischen Volkes bitter empfanden, trieb dieser Umstand sie an, ungehemmter und verwegener Kriegspläne ins Auge zu fassen. Die führenden Männer Galliens setzten für ihren Kreis Versammlungen an entlegenen Orten in den Wäldern an.« Dort stellte man fest, dass das Unglück Galliens bitter zu beklagen sei; nun aber sei der Zeitpunkt gekommen, sich gegen die römische Fremdherrschaft zu erheben. Gallien müsse seine Unabhängigkeit zurückerhalten; denn besser sei es, auf dem Schlachtfeld zu sterben, als den alten Kriegsruhm und die Freiheit nicht wiederzugewinnen, die man von den Ahnen übernommen habe.

Auf Vorschlag der Karnuten traten die Versammelten vor ihren gemeinsamen Feldzeichen zusammen und legten einen feierlichen Eid ab, sich im Krieg gegen die Römer gegenseitig zu unterstützen. Anschließend einigte man sich auf einen Tag, an dem man losschlagen wollte. Die Karnuten erklärten sich bereit, in ihrem Hauptoppidum Cenabum, dem heutigen Orléans, das Fanal für ganz Gallien zu setzen. Am vereinbarten Tag stürmten Krieger durch die Straßen der Stadt und töteten jeden Römer, den sie ergreifen konnten. Zumeist lebten dort Kaufleute, die in Gallien gute Geschäfte machten und von dem Angriff völlig überrascht wurden. Keiner entkam dem Gemetzel. Anschließend wurden ihre reichen Warenlager und ihr Vermögen geplündert. Wie erwartet, verbreitete sich die Nachricht |93|davon in Windeseile in ganz Gallien. Sie verband sich mit der Botschaft, dass kein einzelner Stamm den Aufstand wagte, sondern dass alle Gallier die Römer töten oder aus dem Land treiben wollten.

Vercingetorix und der große Aufstand

Unter den Arvernern machte sich der junge Adlige Vercingetorix zum Haupt der Erhebung. Schon sein Vater Celtillus hatte im Stamm großen Einfluss ausgeübt, ebenso verfügte der Sohn über eine zahlreiche Gefolgschaft. Aber die Stammesaristokratie widersetzte sich dem Aufstand, den Vercingetorix vehement propagierte. Die Mehrzahl der Adligen unterstellte dem jungen Mann wahrscheinlich Ambitionen auf die Alleinherrschaft; darum vertrieb ihn ausgerechnet sein Onkel Gobannitio aus dem Stammeszentrum Gergovia, das sich bei Clermond-Ferrand auf einem Bergplateau erstreckte. Doch auf dem Land gelang es Vercingetorix, so viele Anhänger zu gewinnen, dass er nach Gergovia zurückkehren, seinerseits seinen Onkel vertreiben und die Macht übernehmen konnte. Trotz seines verhältnismäßig jungen Alters von etwa 30 Jahren bewies der neue Herrscher der Arverner genügend Machtinstinkt. Zuerst beseitigte er die unmittelbaren Gegner, dann verhandelte er mit vielen anderen Stämmen über ein festes Bündnis gegen die Römer. Man einigte sich auf ihn als Oberbefehlshaber der gesamtgallischen Truppen.

Diese Aufgabe nahm er mit großer Strenge wahr, die ihn als Schüler römischen Militärwesens auszeichnete. Er bestimmte die Anzahl der Krieger, die jeder Stamm zu stellen hatte, ebenso wie die Zahl der herzustellenden Waffen und den Termin, an dem die Waffen zu liefern seien und die Truppen anrücken sollten. Die Aufstellung einer schlagkräftigen Reiterei war ihm ein weiteres Anliegen. Schließlich legte er höchsten Wert auf Disziplin und Gehorsam: »Denn bei größeren Vergehen ließ er die Schuldigen nach Anwendung aller Arten von Foltern verbrennen, bei weniger schwer wiegenden Anlässen ließ er ihnen die Ohren abschneiden oder ein Auge ausstechen und schickte sie nach Hause zurück, um den anderen einen Beweis seiner Strenge zu geben und sie durch die Härte der Strafe in Schrecken zu versetzen.«

Derart drakonisch gerüstet, zog Vercingetorix im Land umher und entsandte Truppen zu den Stämmen, die noch zögerten oder gar weiter zu Rom standen. Mit seiner auf ganz Gallien ausgerichteten Strategie und den Vorstellungen eines Heeresaufgebots, in dem strengste Disziplin herrschte, rückte der Arverner weit von den traditionellen keltischen Kampftugenden ab. Der einzelne Krieger sollte zwar von Todesverachtung erfüllt sein,  |94|zugleich aber musste er sich als Teil eines riesigen Heeres verstehen, das weit über den gewohnten Rahmen der Stammes- und Gefolgschaftsordnung hinausreichte. Vercingetorix war ein Reformer, dessen Denken den keltischen Partikularismus überwinden wollte, und der danach trachtete, Rom mit dessen eigenen Waffen zu schlagen.

Inzwischen hatte man Caesar über die Ereignisse informiert, worauf dieser im Februar des Jahres 52 vor Chr. in die römische Provence eilte. Dort musste er zunächst einen gallischen Angriff gegen Narbonne abwehren, der ihm deutlich machte, dass Vercingetorix den Krieg nicht auf das freie Gallien zu begrenzen gedachte. Anschließend sah sich der Statthalter mit dem Problem konfrontiert, wie er zu seinen Truppen im aufständischen Keltenland gelangen sollte. Denn die gewohnten Wege blockierten starke gallische Verbände, denen Caesar vorerst noch ausweichen wollte. Es kennzeichnet seine außergewöhnliche Risikobereitschaft, dass er mit seinen Soldaten durch die verschneiten Cevennen marschierte, um die Arverner zu überraschen. Diese hatten in der Tat mit einem so schnellen Angriff nicht gerechnet. Vercingetorix musste erfahren, wie schwierig strategische Überlegungen durchzusetzen waren, wenn es die Krieger zurückzog, um das Kernland des Stammes zu verteidigen. Dem römischen Überraschungscoup folgte ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Caesar und dem gallischen Oberbefehlshaber. Die Bemühungen des Römers gingen dahin, sich möglichst vieler Stämme zu vergewissern und sie davon abzuhalten, Vercingetorix Gefolgschaft zu leisten. Der Gallier hingegen schreckte nicht davor zurück, gegnerische Stämme anzugreifen, denen Caesar wiederum Hilfe bringen musste.

Den Römern bereitete diese Kriegsführung große Schwierigkeiten, denn anstatt die Legionen konzentrieren zu können, mussten sie in viele Landesteile entsandt werden. Zudem wandten sich immer mehr Gallier von Caesar ab. Kaum tauchte Vercingetorix mit seinen Truppen bei einem Stamm auf, schlossen sich ihm dessen Krieger an und richteten ihre Waffen gegen die Römer. Diese jedoch blieben in kleineren Gefechten und Schlachten siegreich, sodass die Gallier ihr weiteres Vorgehen überdenken mussten.

Vercingetorix berief eine Versammlung ein, in der er eine andere Taktik forderte. Man müsse den Krieg mit anderen Mitteln führen, indem man die Römer vom Nachschub abtrenne. Die starke gallische Reiterei könne dies erreichen, wenn sie jeden nahrungssuchenden Römertrupp angreife. Außerdem müsse man den Römern verbrannte Erde hinterlassen, so schmerzlich dies sei. Nichts dürfe von der Zerstörung ausgenommen werden, weder Oppida noch Dörfer und Gehöfte noch die Felder. Schon bald zeigte die neue Taktik bei den römischen Soldaten Wirkung; aber trotzdem hielten sie bei Märschen, Kämpfen und Belagerungen durch. Das Oppidum Avaricum (Bourges) der Biturigen hatten die Gallier ausnahmsweise |95|nicht niedergebrannt. Nur zähneknirschend hatte sich Vercingetorix in dieser Frage den Bitten des Stammes gefügt; doch leider sollte er Recht behalten. Denn dort kam es zu schweren Kämpfen mit den Römern, die einen Belagerungsring um das Oppidum zogen. Anfangs bewiesen die gallischen Verteidiger großes Geschick, die römischen Angriffstechniken abzuwehren. So unterhöhlten sie einen Sturmdamm der Legionäre mit Tunneln. Auf den Mauern errichteten sie Türme, die mit Leder verkleidet wurden und somit kaum in Brand gerieten. Diese Techniken und ständige Ausfälle erschwerten die Belagerung. Trotzdem konnten die Römer in 25 Tagen einen Damm aufschütten, den die Soldaten wie eine Rampe benutzten, um die Mauern einzunehmen. Die Gallier versuchten, sie mit Feuer und Pech davon abzuhalten. Doch schließlich besetzten die Legionäre den gesamten Mauerring. Dann stürmten und verwüsteten sie die Stadt: »Der Mord in Cenabum und die anstrengende Belagerungsarbeit hatten unsere Soldaten so erregt, dass sie nicht einmal Greise, Frauen und Kinder schonten. Von der ganzen Bevölkerung, deren Zahl etwa 40 000 betragen hatte, konnten am Ende kaum 800 … unversehrt zu Vercingetorix entkommen.«

Da dieser von Anfang an gegen die Verteidigung der Stadt gewesen war, gewann er durch die Katastrophe sogar noch an Zustimmung. Caesar entschied mit anbrechendem Sommer, die Entscheidung in einer großen Schlacht zu suchen. Denn die Lage in Gallien war aus seiner Sicht alles andere als stabil; sogar bei den treuesten Verbündeten, den Haeduern, musste er mittlerweile innenpolitische Streitigkeiten schlichten und die Romfeinde mit Drohungen im Zaum halten. Darum zog er mit sechs Legionen und Reitern ins Land der Arverner zu deren Hauptort Gergovia. Um dorthin zu gelangen, musste er einen Fluss überqueren, den das Wasser der Schneeschmelze zu einem reißenden Gewässer gemacht hatte. Zudem hatte Vercingetorix alle Brücken einreißen lassen und sein Heer auf dem gegenüberliegenden Ufer versammelt. Doch die römischen Legionäre verfügten über Erfahrung im Brückenbau, die sie schon bei Caesars beiden Rheinübergängen unter Beweis gestellt hatten. Es gelang ihnen, eine Behelfsbrücke zu errichten, auf der die Legionen den Fluss überschritten. In dieser Situation scheute Vercingetorix die Schlacht und zog sich nach Gergovia zurück.

Gergovia – Ein Sieg für die Gallier

Das Oppidum lag auf einem hohen Berg und war deshalb von allen Seiten nur schwer zugänglich. Die gallischen Truppen hielten dieses Plateau und |96|die anderen Höhen besetzt und boten laut Caesar »einen Schrecken erregenden Anblick«. Unter solchen Verhältnissen kam für die Römer ein Sturmangriff nicht in Frage, weshalb sich der Statthalter auf eine Belagerung einstellte. Immerhin gelang es den Legionären, zwei Stellungen auf halber Höhe einzunehmen und dort Befestigungen zu errichten. Zwischen beiden Lagern ließ Caesar einen doppelten Graben ausheben, damit beide Stützpunkte über eine sichere Verbindung zueinander verfügten.

Während die Römer vor Gergovia mit Erdarbeiten beschäftigt waren, taten sich die Arverner durch Verhandlungsgeschick hervor. Ihnen gelang es, den Führer der Haeduer, Convictolitavis, auf ihre Seite zu ziehen. Da Caesar diesem nach eigenen Angaben das Amt verschafft hatte, war er über dessen Verrat erzürnt. Aber der Haeduer befand sich mit seiner Entscheidung auf der Seite der jungen adligen Kämpfer, die schon längst gegen die Besatzer hatten losschlagen wollen. Auch sie wollten um die Freiheit der gallischen Stämme kämpfen. 10 000 Krieger der Haeduer, die auf dem Weg zu Caesar waren, um sich ihm gegen die Arverner anzuschließen, wurden aufgerufen, gegen die Römer zu kämpfen. Daraufhin plünderten sie römische Händler, die sie begleiteten, und töteten sie »unter grausamen Foltern«.

Die Nachricht, dass die erwarteten Haeduer nicht als Verbündete, sondern als Feinde kamen, löste beim Statthalter Bestürzung aus, da mit ihrem Eintreffen seine Soldaten in die Zange genommen werden würden. Ein weiteres Mal reagierte Caesar für die Gallier unerwartet: Mit äußerster Schnelligkeit führte er vier Legionen und die Reiterei den 10 000 Kriegern entgegen. Dieser Zug und die Argumente seiner Anhänger dürften bewirkt haben, dass die Haeduer die Waffen niederlegten. Caesars Gegner schlugen sich nach Gergovia durch und schlossen sich Vercingetorix an.

Dieser hatte die zwischenzeitlich schwächer besetzten Römerlager von starken Kräften angreifen lassen. Tausende gallischer Krieger hatten sie immer wieder bestürmt; fast pausenlos ging ein Regen von Pfeilen und allen möglichen Wurfgeschossen auf sie nieder. Boten meldeten Caesar die Lage und forderten ihn dringend zur Rückkehr auf; denn die nächsten Angriffe würden nicht lange auf sich warten lassen und nur mit Mühe habe man sich bisher behaupten können. Der römische Feldherr sah sich in einer bedrohlichen Situation, die er im Bellum Gallicum treffend beschreibt: »Da Caesar einen größeren Aufstand in Gallien erwartete, überlegte er, wie er sich, um nicht von allen Stämmen eingekreist zu werden, von Gergovia zurückziehen und das Gesamtheer wieder vereinigen könne, ohne dass sein Abzug aussähe, als entspringe er der Furcht vor einem Aufstand, und ohne dass er einer Flucht gliche.«

Eine Schwachstelle der Gallier schien ihm die Gelegenheit für einen Überraschungsangriff zu bieten. Er sollte lediglich die Feinde verunsichern |97|und auf keinen Fall eine große Schlacht eröffnen. In der Tat lief alles wie geplant: Die Legionäre nahmen einige kleinere Lager der Gallier so unerwartet ein, dass angeblich ein aus dem Mittagsschlaf aufgeschreckter Stammeskönig nur mit Glück die Flucht ergreifen konnte. Da der Angriff voll und ganz gelungen war, ließ Caesar zum Rückzug blasen. Aber drei vorwärts stürmende Legionen hörten das Signal nicht. Sie standen vor den nur schwach verteidigten Mauern und Toren Gergovias, deren Einnahme Offizieren wie Legionären Sieg, Ruhm und große Beute verhieß. Deshalb erinnerte man sich nicht der Befehle des Feldherrn und alle stürmten weiter. Damit geriet die von Caesar sorgfältig geplante Aktion außer Kontrolle.

»Da aber erhob sich in allen Teilen der Stadt ein Geschrei, und da die Einwohner der etwas weiter entfernten Stadtbezirke, die durch den plötzlichen Aufruhr in Schrecken versetzt wurden, glaubten, der Feind befinde sich schon innerhalb der Stadtmauern, stürzten sie aus der Stadt hinaus. Die Frauen warfen von der Mauer Kleider und Silber herab, beugten sich mit entblößter Brust hinüber, streckten die Hände aus und beschworen die Römer, sie zu verschonen und nicht, wie sie es bei Avaricum getan hätten, selbst vor Frauen und Kindern keinen Halt zu machen. Einige ließen sich sogar an den Händen von der Mauer herab und lieferten sich den Soldaten aus.« Während mancher Legionär schon Ausschau nach einer hübschen Sklavin hielt, stürmten die alarmierten gallischen Krieger heran. Sie waren auf der anderen Seite des Oppidums mit Schanzarbeiten beschäftigt gewesen, als sie vom römischen Angriff hörten. Nun strömten sie in großer Zahl aus den Toren heraus und schlugen auf die Römer ein. Diese hatten dem wenig entgegenzusetzen. Denn zum einen hatten sie damit nicht gerechnet und sich schon als ruhmreiche Sieger gefühlt, zum anderen waren sie vom steilen Anstieg zur Stadtmauer erschöpft. Außerdem hielten sie die von Caesar als Unterstützung geschickten Haeduer für Feinde und kämpften auch gegen sie. Das Chaos war perfekt! Die Krieger des Vercingetorix trieben sie regelrecht den Abhang hinunter. Erst am Rand der Ebene stellten sich den Galliern frische römische Kräfte entgegen. Vercingetorix war aber so klug, seine Männer hinter die Stadtmauern zurückzuführen.

Allein während der Jagd den Berg hinab fielen 46 Zenturionen, wie Caesar bitter feststellte. Die so Erfolg versprechende Belagerung Gergovias entwickelte sich zusehends zum Debakel. Sie band auf nicht absehbare Zeit die römischen Legionen, während im weiten Gallien Unruhen herrschten. Caesar gab die Belagerung auf; er versuchte nur noch, vor den Truppen und vor Vercingetorix sein Gesicht zu wahren. Auf einer großen Heeresversammlung tadelte er das ungestüme Verhalten der Soldaten. Anschließend und am folgenden Tag ließ er die Legionäre in Schlachtordnung Aufstellung nehmen; damit bot er den Galliern oben in Gergovia den Entscheidungskampf |98|an. Doch Vercingetorix ließ sich nicht provozieren und hielt seine Krieger hinter den Mauern zurück. Von dort beobachtete er den Abzug der Römer mit Genugtuung. Caesar hatte seinen effizienten Militärapparat erfolglos in Bewegung gesetzt. Mit dem Namen Gergovias durfte zumindest ein moralischer Sieg der Gallier verbunden werden.

Die Entscheidungsschlacht von Alesia

Für die Römer wurde die Lage in Gallien immer unsicherer. Die Haeduer waren aufs Neue abgefallen, und ihre Reiterei hatte in Noviodunum (Nevers) römische Händler und Beamte erschlagen. Auch viele kleinere Stämme schlossen sich nun dem Aufstand an, die nur mit Mühe besiegt werden konnten.

Auf einer gesamtgallischen Versammlung in Bibracte berieten die Stammesführer über ihr Bündnis und das weitere Vorgehen gegen Caesar. Sie bestätigten Vercingetorix als Oberbefehlshaber und stimmten seiner bisherigen Strategie zu. Der Arverner forderte 15 000 Reiter, die noch schneller Getreidefelder und Dörfer niederbrennen konnten. Auf diese Weise sollten Caesar mit seinen zehn Legionen weiter Versorgungsprobleme bereitet werden. Außerdem forderte Vercingetorix Truppen von den Verbündeten an und entsandte Krieger gegen die Stämme, die sich der antirömischen Koalition noch nicht angeschlossen hatten. Caesar verblieb dagegen weniger als eine Hand voll gallischer Stämme, auf die er sich nur mit Vorsicht verlassen konnte. Darüber hinaus schreckte er nicht davor zurück, von den gefürchteten germanischen Stämmen Reiter anzufordern.

Vercingetorix versammelte seine Krieger und die von den Stämmen gestellten Reiter. Im Grenzgebiet der Lingonen und Sequaner am Rand der Juraberge kam er Caesars Legionen und Hilfstruppen auf wenige Meilen nahe. Beide Feldherren schienen die Entscheidungsschlacht zu suchen. Der Arverner ließ seine Reiter noch einmal ausdrücklich die Treue schwören. Dann sollten sie in drei Gruppen schnell und kraftvoll den römischen Heerzug angreifen, ihm Verluste bereiten und Verwirrung stiften. Mit Hilfe der germanischen Reiter konnte Caesar die heftigen Angriffe abwehren. Anscheinend hatte Vercingetorix so stark auf den Erfolg seiner Reiterei gebaut, dass er jetzt die offene Schlacht vermied. Gleichwohl wollte er vor den Römern nicht die Flucht ergreifen oder sich durch Gallien treiben lassen. Warum also sollte er nicht einen Stellungskrieg wie in Gergovia wagen, der Caesar an den Rand der Niederlage gebracht hatte. So wurden dessen Truppen erneut gebunden und konnten nicht gegen frische Stammesverbände vorgehen. Aus solchen möglichen Erwägungen zog sich |99|Vercingetorix ins nahe Alesia zurück, das Hauptoppidum des kleinen Mandubierstammes. Hier sollte die Entscheidung um Gallien fallen!

Die Siedlung lag auf dem Mont Auxois nordwestlich des heutigen Dijon. Auch hier konnte Caesar, der am nächsten Tag sein Lager aufschlug, wegen der steilen Hänge keinen direkten Angriff wagen. Er beschloss, einen Belagerungswall um die Stadt ziehen zu lassen. In mehreren großen Lagern und in 23 Kastellen stationierte er seine Soldaten. Während der Arbeiten am Wall kam es zu einem ersten Reitergefecht, in dem wiederum die Römer in Bedrängnis geraten wären, hätten ihnen die germanischen Reiter keine Hilfe gebracht und unter den fliehenden Galliern, wie Caesar berichtete, ein Gemetzel angerichtet.

Vercingetorix sammelte auf dem Bergplateau 80 000 Krieger um sich, für welche die Getreidevorräte 30 Tage reichten. Alle Krieger zog er hinter die Stadtmauern zurück, die er aufwändig verstärken ließ. Ehe der römische Belagerungsring geschlossen wurde, sandte der gallische Oberbefehlshaber die überlebenden Reiter zu allen verbündeten Stämmen. Sie sollten das größte Heer heranführen, das die Gallier jemals aufgestellt hatten, und Caesar in den Rücken fallen.

Caesar verfügte über 70 000 Soldaten, die nicht nur die Belagerung bestreiten, sondern notfalls auch einen äußeren Angriff abwehren mussten. Um einem Angriff von zwei Seiten standhalten zu können, ließ er ein monumentales Befestigungs- und Belagerungssystem errichten, das an die 15 Kilometer Gesamtlänge aufwies. Es bestand aus einem doppelten Ring von Gräben und Wällen mit Mauern und Türmen. Ein Graben war 7 Meter breit, ein anderer wurde mit Wasser gefüllt und einen dritten versah man mit angespitzten Pfählen, die die Soldaten als Leichensteine bezeichneten. Sie waren Bestandteil eines ausgeklügelten Systems von Fallen und Hindernissen. Caesars Belagerungs- und Verteidigungswerke vor Alesia suchen in der antiken Geschichte ihresgleichen und haben ihre Spuren bis in die Gegenwart hinterlassen. Sie dokumentieren die Situation des Jahres 52 vor Chr.: In Alesia suchte Vercingetorix wie Caesar die Entscheidung, und für beide ging es um Leben oder Tod.

Währenddessen hatte eine Versammlung der gallischen Stammeshäuptlinge entschieden, Truppen einzuberufen und Vercingetorix Hilfe zu bringen. Aus allen Teilen Galliens zogen Krieger heran, nur wenige versagten sich dem Aufruf. Selbst enge Verbündete Caesars folgten dem Appell im Namen der Freiheit und des alten Kriegerruhmes. Schließlich kamen 8 000 Reiter und 250 000 Fußsoldaten im Gebiet der Haeduer zusammen. Sie erhielten vier Oberbefehlshaber, denen Vertreter der einzelnen Stämme an die Seite gestellt wurden: »Es gab nicht einen unter ihnen, der nicht glaubte, der Feind könne den bloßen Anblick einer solchen Menge nicht aushalten.«

|100|Aber die riesige Truppenaushebung hatte Zeit gekostet, Tage um Tage, an denen die Vorräte der Belagerten aufgezehrt wurden. Hunger machte sich in Alesia breit, und man erwog, ob man einen Ausfall wagen oder sogar kapitulieren solle. Jedenfalls halte man den Hungertod nicht aus. Dem Vorschlag, sich vom Fleisch der getöteten Alten und Unnützen zu ernähren, scheint man nicht gefolgt zu sein. Doch zumindest sollten Kriegsuntaugliche nebst Frauen und Kindern die Stadt verlassen. Caesar allerdings verbot deren Aufnahme, sodass sie verzweifelt zwischen den Fronten lagerten.

Als das gallische Heer erschien, war die Lage der Römer äußerst bedrohlich. In Alesia standen 80 000 Gallier, und hinter den Legionen hatten sich mehr als eine viertel Million Krieger aufgestellt. Caesar schien in der Falle zu sitzen. Er verteilte seine Soldaten an allen Seiten, sodass nirgends eine Schwachstelle entstand. Dann schickte er die Reiter los, um den Kampf zu eröffnen: »Die Gallier hatten zwischen die Reiter einzelne Bogenschützen und leicht bewaffnete Fußsoldaten verteilt; falls die Reiter zurückweichen mussten, sollten sie ihnen zu Hilfe kommen und den Ansturm unserer Reiter aufhalten.« Die Schlacht fand vor Hunderttausenden von Augenpaaren statt, die gebannt das Geschehen verfolgten. Nachdem über etliche Stunden gekämpft worden war, gelang es wiederum den germanischen Reitern, die Gallier endgültig niederzumachen. Dieser Sieg fiel zugunsten Caesars aus.

Als Nächstes versuchte das Entsatzheer, in einem nächtlichen Angriff die Mauern zu überwinden. Mit Pfeilen, Schleudern und Steinen sollten die Römer vom Wall vertrieben werden. Vercingetorix hörte den Angriff und ließ darauf seine Männer zum Sturm blasen. Doch die äußeren Angreifer konnten die römischen Wälle nicht einnehmen. Sobald sie ihnen näher kamen, spießten sie sich an den gesetzten Pfählen auf oder stürzten in die Gräben. Viele fanden den Tod durch die herabgeschleuderten Speere der römischen Verteidiger. Am Tagesanfang brachen die Gallier ihren Angriff ab, und auch die Männer des Vercingetorix mussten unverrichteter Dinge nach Alesia zurückkehren.

Nachdem mehrere Angriffe dieser Art von den Legionären abgewehrt worden waren, fasste man einen anderen Plan. Der arvernische Oberbefehlshaber Vercassivellaunus, ein Verwandter des Vercingetorix, sollte mit 60 000 Kriegern eine schlecht zu verteidigende Stelle der römischen Befestigungslinie angreifen und eine Lücke reißen. Wiederum ließ auch Vercingetorix seine Kämpfer angreifen, sodass die Römer an diesem Abschnitt auf verlorenem Posten zu stehen schienen. Überall wurde inzwischen so erbittert gekämpft, dass die Stunde der Entscheidung nahe schien. Die erwähnte Schwachstelle war auf steilem Gelände schlecht zu verteidigen. Deshalb ließ Vercassivellaunus seine Männer mit Geschossen angreifen und im Schutz der Schilde vorrücken. Die Gallier stürmten über zugeschüttete |101|Gräben hinauf auf die Wälle: Waren sie überwunden, gab es kaum noch ein Halten. Der alles im Blick habende Caesar sandte Kohorten in alle Ecken, um das Schlimmste zu verhindern. Schließlich griff er selbst ins Kampfgeschehen ein, bei dem es oft nicht mehr um das Halten der Wälle ging, sondern um den Schwertkampf Mann gegen Mann.

Doch die Strategie des römischen Feldherrn behielt die Oberhand. Wieder einmal wusste er seine zahlenmäßig begrenzten Truppen sinnvoll und erfolgreich einzusetzen. Endlich erschienen zudem Reiter und Hilfe bringende Kohorten, die die überraschten Gallier in die Flucht schlugen. Daraus entwickelte sich ein furchtbares Gemetzel, das schließlich zum Zusammenbruch des großen gallischen Entsatzheeres führte. Wer überlebte, suchte sein Heil in der Flucht und kehrte zu seinem Stamm zurück. Auch viele Männer des Vercingetorix nutzten ihre Chance und flohen. Der Arverner sah sich mit den restlichen Kriegern gezwungen, in die Stadt zurückzukehren. Er konnte den Belagerungsring nicht durchbrechen. Vercingetorix wusste, dass die Schlacht verloren war und nun der gallische Aufstand zusammenbrach. Ihm blieb keine andere Wahl, als sich mit seinen Männern zu ergeben.

Caesar hatte als Kapitulationsbedingungen die Auslieferung sämtlicher Waffen und die Übergabe des Vercingetorix gefordert. Das Zusammentreffen des römischen Siegers und des gallischen Besiegten wurde von der Nachwelt stets als welthistorisch bedeutsamer Moment voller Symbolik angesehen. Der einzige unmittelbare Gewährsmann, Caesar selbst, ging darüber im Bellum Gallicum nüchtern hinweg. Andere Quellen berichteten vom weiteren Schicksal des Arverners: Jahrelang wurde er gefangen gehalten, bis man ihn schließlich 46 vor Chr. auf Caesars Triumphzug durch die Straßen Roms führte. Anschließend wurde er hingerichtet. Gegenüber seinem großen gallischen Gegner wollte Caesar offenbar keine Gnade walten lassen.

Letzter Widerstand und das Ende des freien Gallien

Unmittelbar nach dem Sieg von Alesia bewies der römische Statthalter gegenüber den Geschlagenen sowohl Milde als auch Härte: Die Hauptverschwörer, den Arvernerstamm, verschonte er genauso wie die Haeduer, die in seinen Augen treulose Verräter waren. Aber Caesar dachte pragmatisch und hielt es deshalb für sinnvoll, den stärksten Stämmen die Hand zu reichen. Auf ihre Kooperation würde Rom in der Zukunft angewiesen sein. Seine Härte zeigte er gegen andere und kleinere Stämme, die sich am Aufstand beteiligt hatten – viele ihrer Angehörigen wurden zu Sklaven |102|gemacht und verkauft. Sie trugen damit zu den kaum schätzbaren Gewinnen bei, die der Statthalter persönlich mit der Eroberung Galliens machte.

Den folgenden Winter verbrachte Caesar in Gallien und richtete sein Lager bei den Haeduern im Oppidum von Bibracte ein. Mit Recht hielt er seine Anwesenheit für notwendig, denn ganz Gallien war weder unterworfen noch befriedet. Der gesamtgallische Widerstand hatte ein dramatisches Ende gefunden, aber immer noch herrschte die Unbotmäßigkeit einzelner Stämme. Darum wurden in alle Richtungen Truppen entsandt, die die Unzufriedenheit schon im Keim ersticken sollten. Caesar selbst unternahm im folgenden Jahr einige kleinere Feldzüge, etwa gegen die Karnuten und Bellovaker. Je nach Bedarf gab er sich bei deren Unterwerfung mit der Stellung von Geiseln zufrieden, verfügte aber auch eine Reihe von Hinrichtungen. Schließlich sah der Feldherr keinen Stamm mehr, der sich zum Krieg rüstete, um ihm Widerstand zu leisten. Daraufhin entließ er Teile des Heeres. Seinen Umgang mit den Galliern beschreibt er wie folgt: »Caesar erwies daher den Stämmen alle möglichen Ehren, ließ den führenden Männern bedeutende Belohnungen zukommen und legte dem Land keine neuen Lasten auf, sodass er für das durch so viele Niederlagen erschöpfte Gallien eine Unterwerfung vorteilhafter erscheinen ließ und auf diese Weise mühelos den Frieden erhalten konnte.«

Sogar diese beschönigenden Worte verraten einen Teil der historischen Wirklichkeit: Gallien war nach sechs Jahren Krieg ausgeblutet und erschöpft. Man schätzt, das von den zwölf Millionen Einwohnern eine Million umkam und eine weitere versklavt wurde – Zahlen, die den ungeheuren Aderlass der keltischen Stämme verdeutlichen. Hinzu kamen weite Flächen verödeten Landes und eine große Zahl zerstörter Oppida und Dörfer. Wirtschaft, Verkehrswege und Stammesstrukturen waren zum Teil zusammengebrochen. An Widerstand und Revolten schien man in Gallien nicht mehr zu denken: Als zwei Jahre später in Rom ein neuer Bürgerkrieg ausbrach, der dessen Herrschaft ohne Zweifel schwächte, nutzten die gallischen Stämmen die Möglichkeit nicht mehr, um gegen Rom zu rebellieren.

Gallien war seine enge Anlehnung an die antiken Hochkulturen zumindest militärisch zum Verhängnis geworden. Denn die so genannten Barbaren nutzten deren Wissen und Erkenntnisse, um einen eigenen Weg zu gehen. Er führte zu einer zunehmenden Erschließung des Landes mit Wegen und Handelsrouten, welche die einzelnen Oppida miteinander verbanden. Dort wurde intensiv produziert, exportiert und Handel getrieben. Man nimmt an, dass die gallischen Stämme mit der Einführung des Münzwesens, der Verwendung griechischer und lateinischer Schrift und der Anwendung gewisser Verwaltungsstrukturen an der Schwelle zur Hochkultur standen. Was ihnen noch fehlte, war ein geeintes Reich. Vielleicht förderten |103|die pangallischen Druiden ein Gemeinschaftsbewusstsein in dieser Richtung. Jedenfalls war Gallien keine Wildnis wie Germanien, sondern ein erschlossenes Land. Roms Legionen nutzten seine Straßen, um es zu erobern, und sie besetzten seine Oppida, wo sich die Herrschaftszentren befanden. Vercingetorix konnte sich nicht wie sechs Jahrzehnte später der germanische Cheruskerführer Arminius in die Wälder zurückziehen und den Römern auflauern. Die Gallier unterlagen vor Alesia den Legionen in einer Belagerungsschlacht, während die Germanen in der Schlacht von Kalkriese, der so genannten Schlacht im Teutoburger Wald im Jahr 9 nach Chr., aus dem Hinterhalt angriffen und den Römern eine katastrophale Niederlage bereiteten. Den Galliern wurde dagegen ihre fortgeschrittene Zivilisation zum Verhängnis. Mit ihrer Eroberung endete die Geschichte der meisten freien Keltenstämme auf dem Kontinent.

Caesar wusste die Eroberung Galliens zur Stärkung seiner politischen Macht in Rom zu nutzen. Aus seinem Konflikt mit dem Senat entwickelte sich ein Bürgerkrieg, aus dem der Feldherr als Sieger hervorging. Er wurde Konsul und übernahm schließlich das außergewöhnliche Amt eines Dictators auf Lebenszeit. Doch seine enorme Machtfülle missfiel einer Gruppe von Oppositionellen, die ihn im Jahr 44 vor Chr. während einer Senatssitzung ermordeten. Ihrem Anliegen, dadurch die Republik zu retten, war dennoch kein Erfolg beschieden. Denn einige Jahre später wurde Caesars Großneffe Octavian als Augustus erster römischer Kaiser. Unter ihm und der Herrschaft seiner Nachfolger sollte sich Gallien zu einer der wichtigsten Provinzen des Römischen Reiches entwickeln.

Das Verschwinden der Kelten

Im Laufe des 1. Jahrhunderts vor Chr. endete auf dem europäischen Kontinent die Kultur der Kelten, die seit mehr als einem halben Jahrtausend West- und Mitteleuropa geprägt hatte. Nur in Teilen der Britischen Inseln blieb die Stammesgesellschaft erhalten und konnte ihre Selbstständigkeit noch über Jahrhunderte behaupten.

Die Gallier zwischen Rhein und Atlantik wurden Untertanen und später Bürger des Römischen Reiches, an dessen Zivilisation sie sich in starkem Maße anpassten. Gleichwohl bewahrten sie eine Fülle keltischer Traditionen, die sich unter Roms durchaus auch toleranter Herrschaft zu einer spezifischen gallo-romanischen Kultur entwickelten. Ähnlich verhielt es sich mit den Keltenstämmen im östlichen Alpen- und Donauraum. Dort wurde beispielsweise das recht mächtige Reich der Noriker, das unter anderem über die alte Hallstattsiedlung herrschte, im Jahr 15 vor Chr. von |104|Roms Truppen erobert und dem Imperium eingegliedert. Auch in diesen Gebieten nahmen die Kelten die römische Kultur an, bewahrten aber zugleich Teile ihrer eigenen.

Wenig weiß man dagegen vom Ende der keltischen Stämme in den Mittelgebirgen, wohin die Römer nicht vordrangen. Dorthin gelangten immer mehr Kriegerscharen und Siedlertrecks germanischer Stämme aus dem Norden. Entgegen vieler klischeehafter Vorstellungen scheinen sie die Kelten nicht überrannt und vertrieben zu haben, wollten sie doch an deren Lebensweise teilhaben. In Böhmen begründete der Markomannenherrscher Marbod ein germanisches Vielstämme-Reich, in dem auch Kelten lebten. Der mächtige König residierte in ihren Oppida und übernahm viele Elemente ihrer Kultur. Trotzdem kam es zu einer zunehmenden Verarmung dieser Gebiete, zu einem Verschwinden keltischer Eigenarten und zu einer letztlichen Germanisierung. Denn die alte keltische Welt war mit der Eroberung Galliens zusammengebrochen. Sie basierte auf offenen Verkehrswegen und regem Handel zwischen den Oppida, die, wie oben dargestellt, das Bild weiter Gebiete Europas bestimmten.

Nun herrschte Rom über die Handelswege und teilte schließlich Europa in zwei Welten – in sein Reichsgebiet und in die unterentwickelten Länder der germanischen Stämme. Dazwischen gab es keinen Platz mehr für die Kelten.

Besonders deutlich zeigten dies die Verhältnisse in Süddeutschland: Im Südwesten entstand nach der Abwanderung der Helvetier in die Gebiete südlich des Hochrheins eine von den antiken Historikern so genannte Einöde, die kaum noch Spuren menschlicher Siedlungen aufwies. Weiter östlich kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen, Stammeswanderungen und dem Zusammenbruch der Handelswege und wirtschaftlichen Beziehungen. Darauf weisen die archäologischen Spuren der einstmals mächtigen Keltenstadt von Manching. Ihr prächtiges Tor wurde ein Raub der Flammen, ihre Befestigungen verfielen zusehends und immer mehr Menschen verließen das Oppidum. Schließlich kündeten nur noch die Reste der großen Mauer und verfallene Häuser vom vergangenen Ruhm Manchings.