XIII

 

Das Bairro hat mich wieder.

Es ist Frühling in Campo de Ourique – na, es ist natürlich Frühling im ganzen Land – aber da ich in Campo de Ourique bin, spüre ich den Frühling hier in Campo de Ourique. Ich laufe durch das Viertel und entdecke es wieder. Wie schön es hier ist. Ich habe mein Viertel vermisst, ich habe Lissabon vermisst, ich habe Portugal vermisst, aber komischerweise erst jetzt im Rückblick. Oder mit anderen Worten: Solange ich in meinem Dorf am Ende der Welt war, war ich in meinem Dorf am Ende der Welt.

Jetzt bin ich wieder hier in meinem Bairro in Lissabon und merke, wie sehr mir das alles gefehlt hat. Die kleinen Läden, noch selbständig, unabhängig, nicht geschluckt von den Ketten mit den bekannten Namen.

Ein paar Boutiquen mit gelangweilten Verkäuferinnen hinter dem Tresen. Läden, von denen man sich fragt, wie sie existieren, da man nur selten Leute dort irgendwas kaufen sieht. Eine Weinhandlung, wo man Weine aus allen Regionen Portugals kaufen kann und der Verkäufer richtig Ahnung hat und an den Wochenenden auf die Weingüter fährt und mit den Besitzern redet und Weine testet. Ein kleiner Laden voller Halb-Edelsteine. Ketten, Anhänger, lose Steine. Was gibt es doch für tolle Steine! Ich kann nicht widerstehen, gehe in den Laden, und kaufe mir eine Kette aus türkisgrünen Steinen mit braunen Sprenkeln.

Ich frage die Verkäuferin, wie dieser Stein heißt. Sie sagt, sie ist nur die Vertretung, die Kusine, und wenn ich ein bisschen warte, kommt die Besitzerin wieder, sie ist nämlich auf der Post, einen Brief abgeben und einen Kaffee trinken, das ist hier zwar Großstadt, aber in diesem Viertel hat sich das Lebensgefühl der Provinz gehalten. Doch ich will nicht warten, ich will laufen, will mein Viertel zurückerobern, ich lasse mir die Kette nicht einpacken, ich brauche keine Schachtel, ich hänge mir die Kette um den Hals und gehe weiter. Die Luft riecht hier ganz anders als am Ende der Welt. Die Luft hier ist voll von Gerüchen, das liegt an den ganzen Cafés und Restaurants. Hier wird gekocht und gegrillt und gebacken. Hier fahren alte Autos, hier blühen die ersten Bäume. So viel Geruch, so viel Lärm, so viel Trubel, so viel Leben. So viele kleine Cafés, so viele Restaurants.

Auf dem Weg zu meinem Café komme ich an der Boutique Cecilia vorbei, hier habe ich manchmal was gekauft, mal eine Bluse, mal eine Jacke, die hatten immer schöne Teile, ein bisschen anders, ein bisschen was Besonderes, jetzt sind die Fenster weiß verhängt. Der Laden ist zu. Der Laden ist zu vermieten. Eine Telefonnummer steht dran. Und wenn ich so einen Laden mieten würde? Könnte ich dort vielleicht ein Atelier aufmachen, Quilts nähen, Decken, alles Mögliche, Wandbehänge, vielleicht wäre das ... ja, wäre das nicht eine Möglichkeit?

Im Café begrüßt mich José, der Kellner – ihm stehen vor Freude fast die Tränen in den Augen, die Menina Jasmina, sagt er, da ist sie ja wieder und wo war sie denn so lange?

Ich sitze in meinem Café an meinem Lieblingstisch. Der Tisch in der Ecke, mit Blick aus dem Fenster, auf die Straße und auf die Leute. Während ich auf Jorge warte, denke ich an den Cookshack und den Blick auf das Inlet, an den Mann mit dem Hund und dem Kaffeebecher. An mein Dorf am Ende der Welt. An Carl. Natürlich denke ich auch an Carl. Es ist die Erinnerung an mein nicht-gelebtes Leben, eine Art Erinnerung an ein Leben im Parallel-Universum.

Jorge kommt. Etwas zu spät wie immer. Er gibt mir einen flüchtigen Kuss (die nicht-flüchtigen Küsse heben wir uns für die Nicht-Öffentlichkeit auf, wir sind ja schließlich keine zwanzig mehr), setzt sich und bestellt eine Bica.

„Die Boutique Cecilia hat zugemacht“, sagt er. „Hab ich gerade auf dem Weg hierher gesehen. Wäre das nicht ein schöner Platz für ein Atelier? Ich habe die Telefonnummer aufgeschrieben, vielleicht könntest du ja mal anrufen und fragen, was sie an Miete haben wollen.“

Dann legt er einen Brief auf den Tisch. Ich mache den Brief auf und lese. Er ist von Joana, an uns beide, und sie möchte wissen, wann wir endlich nach mal New York kommen und sie besuchen. Wir sind herzlich bei ihr eingeladen.

Na ja, es gibt bestimmt einfachere Möglichkeiten nach New York zu reisen als von der außerehelichen Tochter des Fast-Ex-und-nun-doch-wieder-Ehemannes eingeladen zu werden. Aber es ist natürlich eine Möglichkeit.