III

 

Adler fliegen auch bei Regen. Das hätte ich nicht gedacht. Es regnet jetzt seit Tagen. Der Fluss ist braun-grün-undurchsichtig und so schnell, dass sich kleine weiße Schaumkronen bilden. Ein Weißkopfadler fliegt über den Fluss, braune Schwingen, weißer Kopf, gelber Schnabel.

Das sind keine weißen Weihnachten, sondern nasse Weihnachten. Nasse Weihnachten alleine. Ich fahre nirgendwo hin. Ich bleibe hier. Aber Nicoles Nachricht liegt mir ein bisschen auf dem Herzen und ich gebe mir einen Ruck und ziehe eine Regenjacke an und spanne den Regenschirm auf und gehe rüber zur Telefonzelle.

Ja, hier gibt es noch Telefonzellen. Ganz so wie bei Es geschah in einer Nacht. Eine Telefonzelle vor dem Laden, eine vor dem Cookshack, eine unten in der Marina. Weil die Handys hier nicht funktionieren, weil es ja keinen Empfang gibt, nicht wahr. Für die Touristen und die Leute, die keinen Festnetzanschluss haben, oder wie es hier so schön heißt: eine Landlinie. Ich habe keine Landlinie, deswegen kann ich Jorge keine Telefonnummer geben. Und deswegen werde ich mich jetzt bei ihm melden.

Ich wähle seine Nummer. Die ja eigentlich auch meine Nummer ist, wenn man es sich so recht überlegt. Unsere alte Nummer. Also seine jetzige. Also wessen auch immer – ich höre das Klingeln und dann meine Stimme: Das ist der Anschluß von Jasmin und Jorge Monteiro, wir sind im Moment nicht zu Hause, bitte hinterlassen Sie eine Nachricht.

Wir sind nicht zu Hause. In der Tat. Denn ich bin ja hier. Aber wo ist Jorge? Am Weihnachtsabend? Ich sehe auf die Uhr. Hier ist es zwölf Uhr mittags, dann ist es in Lissabon acht Stunden später. Also zwanzig Uhr. Man kann sich das gut merken. Wir sind hier acht Stunden zurück, weil Amerika ja viel später entdeckt wurde als Europa. Ganz einfach, nicht wahr?

Aber wo ist Jorge? Nicole hat doch geschrieben, dass er mit den Kindern feiern will, also mit ihr und Tiago. Ich sammel meinen Kram wieder ein, Portemonnaie, Telefonkarte, Handschuhe, so eine Telefonzelle ist schon ungemütlich, kein Wunder, dass die aus der Mode gekommen sind, spanne den Regenschirm auf und gehe wieder nach Hause. Ich werde zwei Stunden warten, und dann werde ich es nochmal versuchen. Und weil ich überhaupt nicht weiß, was ich tun soll, mache ich den Computer an und gucke, was alle anderen auf Facebook so treiben. Nicht viel los, die sind alle mit Weihnachten beschäftigt, nur ich nicht.

April hat ein süßes Foto von Peppermint mit Weihnachtsmütze reingestellt und mir wird ein bisschen weh ums Herz. Die kleine Peppermint. Aber hier – da ist eine Freundschaftsanfrage. Wer kann das sein? Ich sehe mir die Anfrage an. Eine Maria Teresa Candeias Monteiro möchte mit mir befreundet sein. Wer ist das denn. Kenne ich nicht. Aber dann macht es plötzlich Klick in meinem Kopf und ich weiß, wer es ist. Jorges Mutter. Na, das haut einen allerdings um. Die Frau ist Anfang achtzig. Mit achtzig auf Facebook.

Und so langsam reime ich mir zusammen, was da in Lissabon abgeht. Und das Szenario sieht vermutlich so aus: Mama Maria Teresa hat Jorge und die Kinder zum Essen am Weihnachtsabend eingeladen, weil die böse deutsche ausländische Frau ihren Sohn verlassen hat. Und jetzt will sie über Facebook mal nach dem Rechten sehen.

Eine Falle. Eine Facebook-Falle. Denn wenn ich nicht annehme, ist das ja sowas wie eine Ablehnung. Und wenn ich annehme, dann kann Dona Maria Teresa alle meine Aktivitäten sehen. Nicht, dass ich was zu verbergen hätte, aber trotzdem. Aber trotzdem. Es ist ein komisches Gefühl. Mal ganz ehrlich, ich bin mit Jorges Mutter nie wirklich warm geworden. Ich kann mich noch gut an unser erstes gemeinsames Weihnachten in Lissabon erinnern. Das ist jetzt dreißig Jahre her. Das waren ja irgendwie ganz andere Zeiten. Da war Portugal noch nicht mal in der EU. Da flog man nicht mal einfach so von Hamburg nach Lissabon. Jorge und ich sind mit dem Continentbus gefahren. Das haben wir allerdings auch nur einmal gemacht. Später sind wir dann mit dem Auto gefahren, mit unserem weißen Passat, geräumig und günstig weil Diesel. Und noch später sind wir dann geflogen.

Aber diese erste Fahrt nach Portugal, unsere erste gemeinsame Reise und meine erste Reise nach Portugal überhaupt – die haben wir mit dem Bus gemacht. Nach vierundfünfzig Stunden kamen wir erschöpft in Lissabon an und wurden von Sr Monteiro im Anzug und einer gepflegten Dona Maria Teresa am Busbahnhof abgeholt. Und da standen wir dann: ungewaschen und müde, zwei Tage nicht aus den Klamotten gekommen und mit Rucksack und Plastiktüten beladen.

Dona Maria Teresa sah uns an und wir kamen uns vor wie die Hippies. Und ein bisschen hatte ich so das Gefühl, Jorges Mutter machte mich dafür verantwortlich, dass ihr Sohn nicht ein ordentliches Leben führte, so ein Leben, wie sie es sich wünschte und vorstellte.

Die Wohnung von Jorges Eltern war in der Lapa, in der Rua dos Navegantes, gutes Viertel, da wohnen Diplomaten, Kaufleute und alte Namen mit geerbtem Geld und Anteilen an Banken und Fabriken. Jorges Eltern hatten eine große Wohnung mit großen Fenstern zur Straße hin. Aber es war kalt und ungemütlich. Ungeheizt, natürlich, wie überall. Nirgendwo war richtig geheizt, nicht mal in den Restaurants. In den Cafés und den Läden waren die Außentüren auf, selbst im Dezember. Und da habe ich das erlebt, was Anna später bei unserem Treffen im Bota Alta so gut auf den Punkt gebracht hat mit ihrem Satz: Der erste Winter in Portugal ist der kälteste.

Annehmen oder nicht annehmen? Tja, ich weiß nicht.

Aber dann denke ich: Was soll´s? Ich meine, was soll´s, jetzt mal ganz ehrlich. Dann sieht sie eben, was ich so mache. Dann kriegt sie vielleicht auch mal mit, dass ihr geliebter Sohn ein untreuer Ehemann ist. Das ist vielleicht gar nicht so schlecht. Yeps – das ist es doch überhaupt und zack – ist diese Freundschaftsanfrage mit Ja beantwortet und angenommen. Und der Neugier halber gehe ich auch gleich auf Dona Maria Teresas Seite und da schlägts dich doch nieder.

Dona Maria Teresa hat doch in der Tat sage und schreibe unglaubliche 487 Freunde auf Facebook.

Ich habe fünfundvierzig, das heißt, jetzt sind es natürlich sechsundvierzig, mit Jorges Mutter. Die Prinzessin hat 93 und das erklärte Ziel eines Tages tausend Freunde auf Facebook zu haben. Und diese über achtzigjährige Frau hat vierhundertsiebenundachtzig Freunde und ist dem Ziel der Prinzessin damit erheblich näher als ich. Dona Maria Teresa hat Freunde in Angola und Mosambik. Und sie hat Familie in Brasilien und Venezuela. Stimmt, mir fällt jetzt ein, dass sie in ihrer Jugend in Luanda gewohnt hat, und ich kann mich auch an Geschichten von einer Schwester in Brasilien erinnern. Und der Rest der Freunde ist in Spanien, in Portugal, in Frankreich. Männer und Frauen, Junge und Alte (soweit man das sehen kann, nicht alle Profilbilder lassen einen das Alter erkennen. Und nicht jeder hat das Geburtsjahr im Profil. Ich auch nicht. Muss ja nicht sein, dass jeder sieht, wie alt – oder jung – ich bin, nicht wahr).

Ich gehe wieder auf meine Seite. Da ist nichts Neues außer einem Update über den Zustand der Straße, reingesetzt von Jeff am 24. Dezember um 13.13 Uhr. Und auch der sagt nicht wirklich viel Neues. The Road ist verschneit, vereist und teilweise glatt. Also nichts zum Rausfahren. Was ich ja auch gar nicht will. Weil ich ja gar nicht wüsste, wohin.

Nach zwei Stunden versuche ich noch mal bei Jorge anzurufen. Immer noch keiner da.

 

Am Abend fahre ich in den Cookshack und hole mir Essen als Take-out. Hier ist Weihnachten ja erst so richtig morgen. Aber für mich ist es heute.

Und ich denke, was soll´s, ich versuche jetzt noch mal bei Jorge anzurufen, es ist zwar nachts um zwei in Lissabon, aber wir sind immer spät ins Bett gegangen.

Ich nehme den Hörer ab und höre Jeff und Kathleen reden. Das ist ja abgefahren. Der Cookshack und die Telefonzelle vor dem Cookshack haben nur eine Leitung. Ich höre, wie Jeff bei Kathleen sein Essen für morgen bestellt. Das ist ja wie in diesem Film. Mit Rock Hudson und Doris Day. Wo die beiden sich einen Anschluss teilen müssen, weil es nicht genug Telefone gibt. Und wo sich die beiden dann so richtig schön in die Haare kriegen. Bettgeflüster, so heißt der Film. Schöne alte Schnulze. Das Problem: Wenn ich jetzt auflege, merken die doch, dass jemand mithört, und das ist ja irgendwie doof, also bleibe ich besser einfach dran und wenn Jeff auflegt, lege ich auch auf und rufe dann bei Jorge an.

Aber Jeff legt nicht auf. Erst verhandeln sie darüber, was Jeff essen will, ob Truthahn oder Roastbeef, dann über die Größe der Portion. Jeff möchte eine ordentliche Portion, aber nur für eine Person. Und eine Nachspeise. Kathleen fragt ihn, lieber Blaubeer-Pie oder Apple Pie. Apple Pie, sagt Jeff, mit Vanilleeis. Auch eine Portion. Und da wird mir klar: Jeff ist auch alleine. Und womöglich gibt es furchtbar viele Leute, die über Weihnachten alleine sind, und dann wird das Gespräch privat. Hätte ich doch bloß aufgelegt. Jetzt geht es natürlich gar nicht mehr.

Kathleen sagt zu Jeff, es ist nun lange genug her und er muss einfach mal wieder anfangen zu leben. Und Jeff sagt, selbst wenn er wollte, hier im Dorf gibt es keine Frau für ihn. Und Kathleen sagt, da ist doch diese Ausländerin, diese Deutsche, die da in Spanien oder Portugal wohnt, die wäre doch was.

Und jetzt höre ich gebannt zu. Nicht, dass Jeff mein Typ wäre, aber was, wenn er mich jetzt ablehnt, dann wäre ich trotzdem geknickt. Geknickt drückt es gar nicht aus. Das würde mich treffen. Obwohl ich ihn ja auch ablehnen würde, wenn man zu mir sagen würde, der wäre doch was für dich. Jetzt nur nicht atmen oder niesen. Ich bleibe still, still, still. Ich atme flach. Ich höre gespannt zu. Was wird Jeff sagen?

„Diese Jasmin?“, sagt Jeff.

„Ja“, sagt Kathleen, „diese Jasmin, die macht doch einen netten Eindruck“.

„Ich weiß nicht“, sagt Jeff, „findest du?“

„Aber klar“, sagt Kathleen, „finde ich.“

„Ich weiß nicht“, sagt Jeff jetzt wieder.

Und ich presse die Lippen aufeinander, auf dass ich keinen Ton sage. Frechheit, das ist doch eine Frechheit.

„Deine Frau ist jetzt seit sieben Jahren tot“, sagt Kathleen. „Sieben Jahre sind eine lange Zeit“.

„Was ist mit dir“, sagt Jeff, „du bist doch auch alleine“.

„Ja, aber ich bin es gerne“, sagt Kathleen, „ich bin es freiwillig“.

„Ich auch“, sagt Jeff.

„Stimmt nicht“, sagt Kathleen, „du bist weder freiwillig alleine, noch bist du es gerne“.

„Aber das heißt nicht, dass ich mich irgendeiner Ausländerin an den Hals werfe, nur weil sie der einzige verfügbare weibliche Single hier ist“, sagt Jeff.

Also das ist doch. Also echt. Aber hallo. Ich fasse es nicht. Was bildet dieser Jeff sich eigentlich ein. Und was bitte schön heißt hier: verfügbar? Habe ich durch irgendwas, durch irgendeine und sei es noch so kleine Geste zu verstehen gegeben, dass ich verfügbar bin? Für Jeff?? Nein. Habe ich nicht. Ich lege auf. Ist mir egal, ob das jetzt jemand mitkriegt oder nicht. Ich gehe in den Cookshack. Kathleen ist am Telefon. Klar, weiß ich ja. Sie sagt (zu Jeff, weiß ich auch, aber Kathleen weiß nicht, dass ich weiß, aber ist im Grunde auch völlig egal): du, ich muss auflegen, da ist Kundschaft, und dreht sich zu mir um.

Ich lasse mir von ihr eine Lasagne einpacken. Und einen Blaubeer-Pie. Ohne Eis. Dafür mit Sahne.

„Kennst du eigentlich Jeff?“, fragt mich Kathleen.

„Klar“, sage ich. „Wir sind sogar auf Facebook befreundet.“

„Das sind wir ja alle“, sagt Kathleen. „Wegen The Road.“

Und ich denke, sagt sie jetzt noch was weiter dazu, aber sie sagt nichts weiter. Sie bringt mir mein Essen und packt die ganzen Alu-Dinger in eine Plastiktüte. Und dann wünschen wir uns Merry Christmas.

Ich steige in den dunkelblauen Van und fahre wieder nach Hause. Es ist dunkel. Um diese Jahreszeit wird es hier sehr früh dunkel. Ich fahre langsam die South Maquinna hoch – und da steht doch plötzlich ein Reh auf der Straße. Als es das Auto sieht, erstarrt es. Jetzt steht das Reh ganz still. Ich bleibe auch stehen. So sehen wir uns eine Weile an, das Reh und ich. Irgendwie sieht das Reh zart aus. Verletzlich. Unschuldig. Weiß ich jetzt auch, dass ich da menschliche Eigenschaften in ein Tier reininterpretiere. Aber trotzdem. Irgendwie rührt es mich. So ein kleines verletzliches Reh am Weihnachtsabend einsam auf der Straße.

 

Am nächsten Tag regnet es. Ich meine, es regnet ja viel und oft hier, kein Wunder, schließlich ist hier Regenwald, nicht wahr. Gemäßigter Küstenregenwald. Dafür ist Vancouver Island berühmt. Für die riesigen Douglas-Tannen und Sitka-Fichten. Für die mit grünen Flechten behangenen Äste. Ein Regenwald braucht die Nähe des Ozeans, er braucht Berge und er braucht tüchtig Niederschlag. Und den haben wir heute. Aber wie. Wie heißt es auf Englisch so schön? Jedenfalls haben wir das damals in der Schule gelernt, keine Ahnung, ob das die Leute hier wirklich sagen. It rains cats and dogs. Na, das finde ich jetzt nicht, die Regentropfen haben keinerlei Ähnlichkeit mit Aprils Prozac-Pudel oder der Katze der Nachbarin. Da passt schon eher das deutsche Es schüttet wie aus Eimern. Aber was heißt hier Eimer? Aus Eimern schütten ist gar kein Ausdruck für das, was hier passiert. Es regnet, als ob der Himmel einen Wasserschaden hätte. Einen gigantischen Rohrbruch. Einen Durchbruch im himmlischen Staudamm.

Ich stehe am Fenster und gucke raus. Eine Böe treibt das Wasser über die Straße. Der Fluss ist braun und reißend. Eine kleine Ente reitet in Höllengeschwindigkeit auf den Wellen in Richtung Inlet. Und plötzlich regne ich auch. In Form von Tränen. Ich denke an unsere Wohnung in Campo de Ourique, ich denke an die Zeit, als Nicole und Tiago klein waren, ich denke an Lissabon und an Sofia und Joana, an Catarina und Mariana, an ... ach, an alle eben.

In den letzten Jahren hat es mich eigentlich gar nicht mehr so gestört. Jedenfalls dachte ich das. Irgendwie hatte das Ganze einen Rhythmus bekommen. Ich kannte die Anzeichen. Jorge war besser gelaunt und weniger zu Hause. Wenn er zu Hause war, war er nett und zuvorkommend. Er achtete mehr auf sein Aussehen. Er achtet eigentlich immer auf sein Aussehen, aber es war dieses noch etwas mehr. Etwas regelmäßiger zum Friseur. Immer gut rasiert. Ein neues Hemd oder eine neue Hose. Er pfiff unter der Dusche. Er ging zu Arbeitsessen (angeblich) und fuhr zu Tagungen (die nicht existierten).

Einmal bei einem Essen mit Kollegen von der Uni habe ich eine Frau gefragt, ob ihr Mann auch so oft zu Tagungen fährt. Und die Frau hat gesagt: Ach wissen Sie, Ihr Mann hat ja ein ganz anderes Aufgabenfeld.

Ja, so kann man es natürlich auch ausdrücken.

Ich stehe am Fenster und sehe in den Regen. Heute fliegen keine Adler. Nicht eine einzige Möwe in Sicht. Keine Krähen auf der Telefonleitung. Nur Regen, unendlicher, unaufhörlicher, stetiger Regen. Ich höre das Rauschen, es dringt in mich ein, setzt sich in meinem Kopf fest, es lullt mich ein.

Irgendwann dann nach einiger Zeit, manchmal nach ein paar Wochen, manchmal schon nach wenigen Tagen: der Blumenstrauß. Und das Geständnis. Jedes Mal eine Versöhnung. Jedes Mal die Hoffnung: nun wird alles gut.

Ich bin dabei, mich hier am Ende der Welt im Regen ganz in Tränen und Erinnerungen aufzulösen. Ich reiße mich zusammen und schicke Anna und Clara eine e-mail: brauche Aufmunterung. Dringend. Bitte. Jasmin.

 

Ich hätte nie gedacht, dass mir mal jemand am zweiten Weihnachtstag das Märchen von Schneeweißchen und Rosenrot über Skype vorliest. Schon, weil ich bis gestern garnicht wußte, was Skype ist. Aber jetzt hat Clara mich dazu überredet. Sie will mich aufmuntern und sie will mir was vorlesen. Also richte ich mir Skype auf dem Computer ein, mit Kamera für Videogespräch und allem, und Clara lässt mich einen Blick in ihr Appartement in der 33. Straße in Hermosa Beach, LA, Californien werfen und auf die mit Weihnachtslichtern geschmückte Palme auf ihrem Balkon. Allan winkt und wünscht mir Frohe Weihnachten und dann liest Clara mir das Märchen vor.

Da sind also diese beiden supernetten Mädels, die sich total gut mit ihrer Mutter verstehen und die beiden sind ja sowas von brav, und sie tun nie was Schlechtes. Lieb, lieb, lieb ohne Ende. Arbeitsam. Unverdrossen. Immer nur Gutes im Sinn. Tun keiner Fliege was zu Leide.

Clara sieht mein ungeduldiges Gesicht und sagt, ich werde dir sagen, warum ich dir das vorlese. Das ist unser neues Projekt. Und ich sage, was? Ich meine WAS? Ihr wollt aus Schneeweißchen und Rosenrot einen äh, also einen äh, also einen na du weißt schon machen? CLARA. Jeez Louise!

Nein, nein, sagt Clara. Das nicht. Sie wollen eine Satire draus machen. Und ich soll mir mal vorstellen, wie das Ganze wirkt, wenn Schneeweißchen und Rosenrot und die liebe Mama Hexen wären.

Ich frage: Schwarze oder weiße Magie?

Schwarze Magie, sagt Clara, wenn schon, denn schon, und manchmal hat sie echt genug von den Heldinnen, die sie für ihre Kitschromane kreiert. Von den im Herzen reinen jungen Frauen, die sich so unverdrossen durchs Leben schlagen und sich auf keinen Fall von Mr Alpha-Mann helfen lassen wollen, obwohl er doch gerade ihnen so gerne helfen würde und es am Ende ja dann auch immer darf.

Und deswegen sind Schneeweißchen und Rosenrot im Herzen und im Handeln rabenschwarz. Denn wer hat wohl den Zwerg in diese ganzen Zwangslagen gebracht, aus denen sie ihn dann scheinbar wohlmeinend befreien? Richtig, unsere beiden Schwestern.

Ja. In der Tat. Das kommt gut. Wow. Ja, das gefällt mir.

Und das Gute ist, dass es zwei Schwestern sind, sagt Clara, und sie ist sich nur noch nicht sicher, ob Rosenrot das Sequel oder die B-Story ist.

Clara liest weiter und jetzt habe ich totalen Spaß dran. Am Ende des Märchens sage ich zu Clara: Und willst du mir damit irgendwas Bestimmtes sagen? Nö, sagt Clara, sie wollte mich einfach aufmuntern und außerdem erzählen, was sie so treibt, da in LA, und was ihre neuen Projekte sind, und jetzt muss sie los, ein Freund von Alan ist Stand-up Comedian und hat einen Auftritt in der Pizzaria um die Ecke und da wollen sie nicht zu spät kommen. Und mit Alan ist sie nach wie vor glücklich wie im Tal der wilden Rosen.