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Die offizielle Anklageerhebung gegen Bailey sollte im Raum B des Amtsgerichts stattfinden, im Untergeschoss des Justizgebäudes vom San Luis Obispo County in der Monterey Street. Royce fuhr mit mir. Eigentlich war sein Gesundheitszustand viel zu labil für ein solches Unternehmen, aber er hatte einen eisernen Willen. Da Ann an diesem Vormittag ihre Mutter zum Arzt gefahren hatte und uns somit nicht begleiten konnte, versuchten wir die Anstrengungen für ihn auf ein Minimum zu beschränken. Ich setzte Royce daher vor dem Portal des Justizgebäudes ab und beobachtete, wie er mühsam die breite Steintreppe erklomm. Wir waren übereingekommen, dass er in dem kleinen Café in der kühlen und luftigen Eingangshalle auf mich warten sollte. Bereits auf der Fahrt hatte ich ihn vom Stand meiner Ermittlungen unterrichtet, und er schien mit meinen Unternehmungen zufrieden zu sein. Ich allerdings brannte jetzt darauf, mich mit Clemson zu unterhalten.
Ich stellte den Wagen auf dem kleinen Privatparkplatz hinter der Anwaltskanzlei ab, einen Block vom Justizgebäude entfernt. Clemson und ich gingen dann gemeinsam zum Gericht hinüber und nutzten die Zeit, um über Baileys psychische Verfassung zu sprechen. Während meines Besuchs hatte Bailey zwischen Teilnahmslosigkeit und Verzweiflung geschwankt. Bis zu seiner späteren Unterredung mit Clemson schien sich sein Zustand erheblich verschlechtert zu haben. Er war offenbar überzeugt, dass Clemson die Anklage wegen Flucht aus der Haft nicht aus der Welt schaffen konnte, erwartete, wieder im Zuchthaus zu landen, und sagte voraus, dass er eine nochmalige Haftstrafe nicht überleben werde.
»Der Junge ist ein Nervenbündel«, erklärte Jack. »Es ist kein vernünftiges Wort aus ihm rauszukriegen.«
»Wie stehen seine Chancen? Realistisch gesehen, meine ich.«
»Mein Cott, ich tue, was ich kann! Die Kaution ist auf eine halbe Million festgesetzt. Einfach lächerlich! Fowler ist schließlich nicht Jack the Ripper. Ich stelle selbstverständlich einen Antrag auf Herabsetzung der Kautionssumme. Vielleicht kann ich den Staatsanwalt auch noch überreden, für die Flucht aus der Haftanstalt auf die Mindeststrafe zu plädieren. Aber natürlich wird die Strafe seiner alten Strafe zugeschlagen. Darum kommt er nicht herum.«
»Und wenn ich überzeugende Beweise erbringe, dass er Jean Timberlake nicht umgebracht hat?«
»Dann beantrage ich, dass die ursprüngliche Anklage fallen gelassen oder dass die Aktenlage grundsätzlich neu festgestellt wird. Damit wären wir dann aus dem Schneider.«
»Verlassen Sie sich nicht zu sehr darauf, aber ich tue, was ich kann.«
Er sah mich lächelnd an und kreuzte die Finger.
Im Justizgebäude verabschiedete er sich in der Eingangshalle, um sich mit dem Staatsanwalt und dem Richter zu besprechen. Das Café war eigentlich nichts weiter als eine Verlängerung der Eingangshalle, mittlerweile vollbesetzt mit Presseleuten. Royce saß an einem kleinen Tisch in der Nähe der Treppe und hatte die Hände auf dem Knauf seines Stocks gefaltet. Er wirkte müde. Sein Haar hatte den stumpfen, leicht feuchten Glanz des Kranken. Er hatte Kaffee bestellt, der jedoch kalt und unberührt vor ihm stand. Ich setzte mich. Die Bedienung kam mit einer Kanne frischen Kaffees, doch ich schüttelte dankend den Kopf. Royces ängstliche Sorge wirkte beklemmend. Er war ganz offenbar ein stolzer Mann, der es gewohnt war, der Umwelt seinen Willen aufzuzwingen. Die offizielle Anklageerhebung gegen Bailey hatte jetzt schon den Anstrich eines öffentlichen Spektakels. Die Lokalzeitung brachte die Geschichte seiner Verhaftung seit Tagen auf der ersten Seite, die Regionalsender eröffneten alle Nachrichten und die kurzen Zusammenfassungen von den Ereignissen des Tages mit Meldungen zu seinem Fall.
Ein Fernsehteam ging rechts an uns vorbei und die Treppe hinunter, ohne zu registrieren, dass Bailey Fowlers Vater in Reichweite ihrer Kamera gesessen hatte. Royce warf ihnen einen bösen Blick nach, und sein Lächeln wirkte bitter.
»Ich glaube, wir sollten jetzt hinuntergehen«, schlug ich vor.
Im Zeitlupentempo stiegen wir die Stufen hinab. Ich widerstand der Versuchung, Royce zu stützen, um ihn nicht zu verletzen. Seine Sturheit schien irgendwie ein Ausdruck dafür zu sein, dass er sich über sich selbst lustig machte. Offenbar bereitete es ihm ein grimmiges Vergnügen, so lange ausgehalten zu haben, und seinen Körper ohne Rücksicht seinem Willen zu unterwerfen.
Der Korridor im Untergeschoss war auf einer Seite von großen Fensterscheiben aus schusssicherem Glas gesäumt und hatte zwei Eingänge, zu denen man durch einen Innenhof gelangte. Innenhof und Korridor füllten sich mit Schaulustigen, von denen etliche Royce erkannten. Die Menge machte uns stumm Platz, und Blicke wandten sich ab, als wir den Gerichtssaal betraten. Die Leute in der dritten Reihe rückten enger zusammen, damit wir uns setzen konnten. Im Saal herrschte das gedämpfte Stimmengemurmel einer Kirchengemeinde vor dem Gottesdienst. Die meisten Anwesenden waren sonntäglich gekleidet, und in der Luft mischten sich verschiedene Parfüms. Niemand sprach Royce direkt an, doch ich glaubte zu ahnen, dass man um uns herum Zeichen machte und tuschelte. Royce war ein angesehener Bürger gewesen, bis Baileys Lebenswandel seinen guten Ruf zunichte machte. Einen Sohn zu haben, der des Mordes verdächtigt wird, ist ebenso verwerflich, wie selbst ein Verbrechen zu begehen — elterliches Versagen der schlimmsten Kategorie. So unfair es auch war, immer und überall schwebte unausgesprochen die Frage in der Luft: Was haben diese Eltern getan, dass aus einem einst unschuldigen Kind ein kaltblütiger Mörder werden konnte?
Ich hatte mir die Prozessliste angesehen, die im Korridor aushing. Für diesen Vormittag waren noch zehn weitere Anklageerhebungen angesetzt. Die Tür zum Richterzimmer war geschlossen. Die Gerichtsdienerin, eine schlanke, hübsche Frau im marineblauen Kostüm, saß unterhalb des Richtertischs etwas rechts vom Richterstuhl. Die Gerichtsreporterin hatte an einem Tisch gegenüber auf der linken Seite Platz genommen. Außerdem waren ungefähr ein Dutzend Staatsanwälte anwesend, in schwarzen Talaren, weißen Hemden mit dezent gemusterten Krawatten. Es gab nur eine Frau unter ihnen.
Während wir auf die Eröffnung der Verhandlung warteten, ließ ich meine Blicke über die Menge der Anwesenden schweifen. Shana Timberlake saß auf der gegenüberliegenden Seite des Mittelganges eine Reihe weiter hinten. Die kalte Neonbeleuchtung des Saals entlarvte den Eindruck von Jugendlichkeit als Illusion; ich sah die tiefen Falten an ihren Augenwinkeln, die Alter, Müdigkeit und die vielen Nächte schlechter Gesellschaft verrieten. Sie hatte breite Schultern, einen üppigen Busen und schmale Hüften und trug Jeans und ein Flanellhemd. Ihr Haar war beinahe schwarz mit vereinzelten silbrigen Strähnen und glatt aus dem Gesicht gekämmt. Im Nacken wurde es von einer Spange zusammengehalten. Ihre brennenden, dunklen Augen waren plötzlich auf mich gerichtet, und ich wandte mich hastig ab. Natürlich wusste sie jetzt, dass ich mit Royce gekommen war. Als ich wieder in ihre Richtung sah, ruhte ihr Blick unverhohlen abschätzend auf Royce. Offenbar versuchte sie abzulesen, wie lange er wohl noch zu leben hatte.
Noch eine andere Frau erregte meine Aufmerksamkeit. Sie kam den Mittelgang herunter, Anfang dreißig, blass, hager, in einem aprikotfarbenen Strickkleid mit einem großen Fleck knapp über dem Saum. Dazu hatte sie eine weiße Jacke, weiße Schuhe mit hohen Absätzen und weiße Baumwollsöckchen an. Ihr Haar war platinblond und wurde von einem breiten, billig aussehenden Band aus der Stirn gehalten. Sie war in Begleitung eines Mannes, in dem ich den Ehemann vermutete. Ich schätzte ihn auf Mitte dreißig. Er hatte lockiges blondes Haar und jenes puttenhafte Aussehen, das ich bei Männern noch nie gemocht hatte. Bei ihnen war Pearl, sodass ich mich unwillkürlich fragte, ob der junge Blonde der Sohn war, von dem Pearl erzählt hatte, der Bailey in der Mordnacht mit Jean Timberlake gesehen hatte.
Hinten im Saal wurde das Stimmengemurmel plötzlich lauter, und ich drehte mich um. Die Aufmerksamkeit der Zuschauer war wie bei einer Hochzeit, wenn die Braut erscheint, auf den Saaleingang gerichtet, durch den gerade die Häftlinge hereingeführt wurden. Ihr Anblick war seltsam beklemmend: neun Männer in Handschellen, aneinandergekettet; sie schlurften in Fußketten den Mittelgang entlang und trugen Anstaltskleidung: lose orangefarbene Anstaltshemden, hellgraue, dunkelgraue oder hellblaue Baumwollsocken und Plastiksandalen, die man im Häftlingsjargon »Schleicher« nannte. Die meisten waren sehr jung: fünf Latinos und drei Schwarze. Bailey war der einzige Weiße. Er wirkte entsetzlich verlegen, hatte hochrote Backen und den Blick niedergeschlagen. Er war der bescheidene Star dieser Gangstertruppe. Seine Mithäftlinge schienen die Prozedur gelassener zu nehmen und nickten Freunden und Verwandten im Publikum zu. Die meisten der Zuschauer waren allerdings wegen Bailey Fowler gekommen, und niemand machte Anstalten, ihm seinen Status streitig zu machen. Ein Hilfssheriff in Uniform führte die Männer zur Geschworenenbank, wo man ihnen die Fußketten abnahm für den Fall, dass sie zum Richtertisch gerufen wurden. Anschließend nahmen die Häftlinge Platz und harrten wie wir anderen der Dinge, die da kommen mochten.
Die Gerichtsdienerin forderte uns mit der üblichen Formel auf, uns zu erheben, was wir befolgten, als der Richter den Saal betrat und sich auf seinem Stuhl niederließ. Richter McMahon war ungefähr Mitte vierzig und schien vor Energie und Tüchtigkeit zu platzen. Er war schlank, blond und sportlich, sah aus wie jemand, der Handball und Squash spielte und Gefahr lief, trotz blendender Gesundheit eines Tages einem Herzinfarkt zu erliegen. Baileys Fall sollte als vorletzter verhandelt werden, sodass wir noch eine Menge juristischen Kleinkrieg erleben sollten, bis es so weit war. Ein Übersetzer musste eiligst von irgendwoher aus dem Justizgebäude herbeigeholt werden, da zwei Angeklagte des Englischen nicht mächtig waren. Dann waren Protokolle verschwunden oder falsch abgelegt worden. Zwei Verhandlungen wurden vertagt. Eine Akte war geschickt worden, aber nicht angekommen, und der Richter war wütend, weil der Staatsanwalt keinen Beleg für die Zustellung besaß und die Gegenseite noch nicht vorbereitet war. Zwei zusätzliche Beschuldigte waren auf Gerichtsbeschluss vorläufig freigelassen worden und saßen nun unter den Zuschauern. Sie mussten jeweils vortreten, als ihr Fall aufgerufen wurde.
Ein andermal zog der Hilfssheriff einen Schlüsselbund aus der Tasche und nahm einem der Häftlinge die Handschellen ab, damit dieser hinten im Saal ungestört mit seinem Verteidiger sprechen konnte. Während dieses Gespräch andauerte, verwickelte ein anderer Häftling den Richter in einen längeren Disput. Er beharrte darauf, seine Verteidigung selbst zu übernehmen. Richter McMahon war entschieden dagegen und brachte gut zehn Minuten damit zu, dem Mann zuzureden, zu drohen und zu schimpfen. Der Häftling ließ sich letztendlich doch nicht umstimmen, und der Richter war von Rechts wegen gezwungen, dem Wunsch des Beschuldigten stattzugeben, zeigte sich jedoch sichtlich verärgert. In der Zwischenzeit war das Publikum merklich unruhiger geworden. Man begann sich leise zu unterhalten und zu lachen. Alle warteten auf die Hauptattraktion des Tages und mussten diese Serie von drittklassigen Einbruchs- und Sexualdelikten über sich ergehen lassen. Ich wartete schon fast darauf, dass die Menge mit rhythmischem Klatschen ihr Recht wie im Kino fordern würde, wenn sich der Hauptfilm verzögerte.
Jack Clemson hatte sich die ganze Zeit über, an die Wand gelehnt, mit einem Anwaltskollegen unterhalten. Kurz bevor Baileys Fall aufgerufen werden sollte, verließ er seinen Platz und ging zur Geschworenenbank. Dort sprach er kurz mit dem Hilfssheriff, der schließlich Bailey die Handschellen abnahm. Clemson und der Polizeibeamte waren gerade wieder zur Seite getreten, als vom Saaleingang her ein scharfer Befehl ertönte. Der Kopf des Richters fuhr hoch, und alle Übrigen drehten sich automatisch in einer synchronen Bewegung um. Im Türrahmen stand ein Mann mit roter Skimütze, die nur die Augenpartie freiließ. Er hatte ein Schrotgewehr mit abgesägtem Lauf im Anschlag. Die Wirkung, die von diesem Anblick ausging, war elektrisierend. Ein Raunen ging durch den Saal.
»Keine Bewegung!«, brüllte der Mann. »Jeder bleibt, wo er ist!«
Dann feuerte er einmal, wie um seiner Aufforderung Nachdruck zu verleihen. Der Knall war ohrenbetäubend, die Ladung durchtrennte die Halterungskette einer Deckenlampe, die damit krachend zu Boden fiel und einen Glassplitterregen aussandte. Menschen suchten schreiend nach Deckung. Ein Baby begann schrill zu weinen. Die meisten, ich eingeschlossen, warfen sich einfach zu Boden. Baileys Vater allerdings saß wie gelähmt vor Schreck noch immer aufrecht auf seinem Platz. Ich packte ihn an der Hemdbrust, zog ihn zu mir herunter und warf mich schützend über ihn. Er wehrte sich, versuchte aufzustehen, doch in seiner gegenwärtigen körperlichen Verfassung war es nicht schwer, mit ihm fertig zu werden. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie einer der Hilfssheriffs im Schutz der Zuschauerbänke, die ihn gegen die Blicke des Amokschützen abschirmten, auf dem Bauch den Mittelgang entlangkroch.
In diesem Augenblick sah ich den Schützen deutlicher und hätte schwören können, dass es Tap war. Seine Hände zitterten erbärmlich, und er wirkte viel zu klein und verkrampft, um wirklich gefährlich zu sein. Die eigentliche Gefahr stellte das Schrotgewehr mit seiner breiten, alles vernichtenden Streuung dar. Sein Finger am Abzug zuckte. Jede unerwartete Bewegung konnte ihn veranlassen, abzudrücken. Zwei Frauen in der Nähe von Royce begannen hysterisch zu jammern und hielten sich wie Liebende umklammert.
»Los Bailey! Hau ab, verdammt nochmal!«, brüllte der Schütze, dann versagte ihm vor Angst die Stimme, und ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, als ich vorsichtig über die Bankreihen spähte. Der Mann musste Tap sein.
Bailey war wie gelähmt. Er starrte den Typ mit dem Schrotgewehr ungläubig an, dann kam Bewegung in ihn. Mit einem Satz sprang er über die Holzbrüstung und rannte den Mittelgang hinunter zur Hintertür, während Tap erneut einen Schuss abgab. Ein großes, gerahmtes Foto des Gouverneurs fiel von der Wand und löste sich in seine Bestandteile auf, als die Gewehrladung durch Glas und Rahmen schlug und nur noch weißen Staub hinterließ. Aus dem Publikum ertönten erneut Schreie und lautes Jammern. Zu diesem Zeitpunkt war Bailey bereits verschwunden. Tap knickte den Tauf des Schrotgewehrs ab und lud zwei weitere Patronen nach, als er rückwärts den Gerichtssaal verließ. Ich hörte schnelle Schritte. Eine Tür fiel draußen ins Schloss. Dann ertönten Schreie und ein Schuss.
Im Gerichtssaal herrschte das Chaos. Die Gerichtsdienerin und die Gerichtsreporterin waren verschwunden, und ich konnte nur vermuten, dass auch der Richter auf allen vieren kriechend das Weite gesucht hatte. Nachdem die unmittelbare Gefahrenquelle nicht mehr da war, drängten die Leute in panischer Hast dem Ausgang zu. Pearl zerrte seinen Sohn und die Schwiegertochter zum Notausgang und löste eine Alarmsirene aus, die ohrenbetäubend durchs Gebäude schrillte.
Aus dem Korridor drangen immer mehr Schreie herüber, ich konnte jedoch kein Wort verstehen. Schließlich lief ich geduckt in die Richtung, aus der die Schreie kamen; ich wollte nicht von herumschwirrenden Kugeln erwischt werden. Auf dem Weg zur Hintertür kam ich an einer Frau vorbei, die heftig blutende Schnittwunden durch Glassplitter davongetragen hatte. Jemand versuchte bereits fachmännisch, die Wunden zu verarzten. Neben ihr weinten zwei Kinder eng umschlungen. Schließlich erreichte ich die Hintertür und rannte ins Freie. Draußen lehnte Shane Timberlake an der Hauswand. Sie war kreidebleich. Die Schatten unter ihren Augen wirkten wie melodramatisch geschminkt.
Das Heulen der Polizeisirenen zerriss die stille Morgenluft.
Durch die verglaste Seitenwand des Korridors konnte ich sehen, wie Polizisten in Uniform die Treppe heruntergelaufen kamen und in den Innenhof rannten. Frauen kreischten auf, als hätten die Schüsse jahrelang unterdrückte Gefühle plötzlich freigesetzt. Die in Panik geratene Menge im Korridor wogte vorwärts und teilte sich abrupt.
Tap Granger lag auf dem Rücken, die Arme seitlich ausgebreitet wie beim Sonnenbaden. Jemand hatte ihm die rote Skimütze vom Gesicht und über die Stirn gezogen, wo sie ihm wie ein lascher Hahnenkamm übers Haar hing. Er trug ein kurzärmeliges Hemd, und ich konnte sogar die Falten erkennen, die seine Frau hineingebügelt hatte. Seine Arme wirkten mager. Tap war tot. Bailey war nirgends zu sehen.
Als ich in den Gerichtssaal zurückkehrte, wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass unter meinen Schritten Glassplitter und Schutt knirschten. Royce Fowler war wieder auf den Beinen und schwankte unsicher durch die leeren Bankreihen. Sein Mund zitterte.
»Ich kann nur hoffen, dass Sie damit nichts zu tun hatten«, begann ich.
»Wo ist Bailey? Wo ist mein Junge? Sie werden ihn niederschießen wie einen räudigen Hund.«
»Nein, das werden sie nicht tun«, widersprach ich. »Er ist schließlich nicht bewaffnet. Aber sie finden ihn sicher. Ich will zu Ihren Gunsten annehmen, dass Sie keine Ahnung von dem hatten, was hier passieren sollte?«
»Wer war der Kerl mit der Mütze?«
»Tap Granger. Er ist tot.«
Royce sank auf eine Bank und verbarg das Gesicht in den Händen. Der Schutt unter meinen Füßen knirschte. Als ich hinuntersah, wurde mir klar, dass der Fußboden mit weißen Körnchen übersät war.
Verwirrt starrte ich an mir herab, dann bückte ich mich und hob eine Hand voll davon auf. »Was ist denn das?«, murmelte ich unwillkürlich. Im selben Augenblick wusste ich es, aber es machte keinen Sinn. Taps Schrotgewehr war mit Salzkristallen geladen gewesen.