15

Mac meldete sich: »Voorhies.«

»Guten Tag, Mr. Voorhies. Mein Name ist Hannah Moore. Ich habe eine Kraftfahrzeugversicherung bei Ihnen und hätte gern Genaueres über meinen Versicherungsschutz gewusst.«

Totenstille. Er hatte meine Stimme erkannt. Raymond beugte den Kopf und drehte den Hörer ein wenig, um besser mithören zu können.

Mac zögerte. Ich konnte hören, wie sein Gehirn arbeitete, um dahinter zu kommen, was sich da abspielte und was er sagen konnte, ohne mich irgendwie zu kompromittieren. Er kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ich so was nicht ohne triftigen Grund tun würde. »Geht es um einen Unfall?«, fragte er vorsichtig.

»Mmm — nein. Ich... äh... möchte vielleicht den Wagen eines Freundes von mir fahren, und ihm ist das nicht so recht, wenn er nicht weiß, dass ich im Notfall versichert bin.« Raymonds Gesicht war fünfzehn Zentimeter von meinem entfernt. Ich roch sein Rasierwasser und seinen warmen, leicht näselnden Atem.

»Ich verstehe. Ist Ihr Freund auch anwesend?«, fragte Mac.

»Ja, ganz recht.«

»Haben Sie vielleicht die Nummer der Police parat?«

»Ah... nein. Aber der Agent ist Con Dolan.«

Raymond zog sich ein Stückchen zurück und angelte nach einem Blatt Papier. Er kritzelte darauf: »Fragen wegen Unfallschutz! « Er tippte demonstrativ auf den Zettel. Ich wedelte gereizt mit der Hand.

»Also, eigentlich möchte ich vor allem wissen, wie es mit dem Unfallschutz steht«, spezifizierte ich.

Wieder ratloses Schweigen. Ich lächelte Raymond matt zu, während Mac sich räusperte. »Hören Sie, Miss...«

»Moore.«

»Richtig. Ich denke, es wird das Beste sein, ich setze mich mit Mr. Dolan in Verbindung. Er ist zwar nicht mehr hier in der Firma, aber ich bin sicher, dass er sich noch in der Stadt aufhält. Dann kann ich in unseren Unterlagen nachsehen und Sie zurückrufen. Gibt es vielleicht eine Nummer, unter der Sie heute Nachmittag erreichbar sind?«

Raymond zog den Kopf zurück und legte den Zeigefinger auf die Lippen.

Ich sagte: »Nein, das ist zu unsicher. Ich wohne hier bei meinem Bekannten in Los Angeles, aber ich weiß nicht genau, wie lange ich noch im Haus bin. Ich kann Sie ja später noch mal an-rufen, wenn Sie mir eine Zeit sagen.«

»Versuchen Sie’s doch um fünf. Bis dahin müsste ich eigentlich Bescheid wissen.«

»Danke. Das ist sehr nett von Ihnen.« Ich reichte Raymond den Hörer und er legte ihn auf.

»Was hat er gesagt?«

»Er muss nachgucken. Ich soll ihn heute Nachmittag um fünf noch mal anrufen.«

»Aber Sie sind sicher, dass die Versicherung noch in Kraft ist?«

»Das hab’ ich doch schon gesagt.«

Raymond und Luis wechselten einen Blick. Raymond sah über seine Schulter auf Bibianna, die immer noch ganz in ihre Patience versunken war. »Hol deine Jacke. Wir gehen.« Dann sagte er zu mir: »Brauchen Sie auch eine Jacke? Sie kann Ihnen ja eine geben.«

»Was haben wir vor?«

»Wir gehen auf Tour.«

»Was immer das heißt«, sagte ich.

Wir fuhren den Sepulveda Boulevard hinauf nach Culver City. Luis saß am Steuer. Bibianna hockte mit verschränkten Armen und mürrisch schweigend hinten, während Raymond entweder am Autotelefon hing oder an ihr herumrubbelte und — fingerte und ihr auf die Nerven ging. Er schwadronierte pausenlos von dem vielen Geld, das er für sie zu machen gedachte, von all den Dingen, die er für sie getan hatte, und von seinen großen Plänen für ihre gemeinsame Zukunft. Ich würde dem guten Mann wohl ein paar Nachhilfestunden geben müssen. Er ging die Sache völlig verkehrt an. Ganz abgesehen von der (ihm unbekannten) Tatsache, dass sie bereits Mrs. Jimmy Tate war, würde er sie ohnehin nie dadurch rumkriegen, dass er ihr diesen ganzen Senf erzählte. Keine Frau will dasitzen und sich anhören, wie irgendwelche Männer von sich selbst quatschen. Frauen wollen sich über Dinge unterhalten, die wirklich relevant sind, wie zum Beispiel Gefühle und insbesondere ihre eigenen. Raymond schien zu glauben, er habe sie nur noch nicht ausreichend von der Tiefe seiner Liebe überzeugt. Ich hätte am liebsten dazwischengebrüllt: »Das weiß sie doch alles, Blödmann! Es kümmert sie einen Scheißdreck!«

Wir hielten bei der ersten Adresse.

Der 79er Caddy, ein schwarzer Seville, stand am Bordstein. Der Verkäufer war ein muskulöser Schwarzer mit einer rosa Duschhaube auf dem Kopf, einer tätowierten Träne auf der Wange und einem Goldring im linken Ohr. Ehrenwort, ich erfinde nichts. Er trug ein T-Shirt und tiefsitzende Hüftjeans, aus denen oben sein Calvin-Klein-Slip hervorguckte. Er sah richtig niedlich aus, mit seinem Schnauz- und Kinnbärtchen, dem durchtriebenen Grinsen und der kleinen Lücke zwischen den Vorderzähnen. Bibianna blieb im Auto sitzen, während ich ausstieg, mich zu den Männern gesellte und von einem Bein aufs andere trat, während sie ihre zähen Verhandlungen abwickelten. Raymond absolvierte mehrere Zuck-Sequenzen, aber die einzige Reaktion des Typs bestand darin, an ihm vorbeizugucken. Ich begriff, dass Raymond in gewissen Kreisen wie eine Art Missgeburt behandelt wurde. Ich wollte ihm beispringen und sagte: »Hey, er kann nicht anders, okay?«

Sie einigten sich schließlich auf einen Preis hundert Dollar unter der VB. Raymond wandte sich leicht ab und zog eine dicke Rolle Banknoten hervor, die von einem Gummi zusammengehalten wurde. Er deponierte das Gummi an seinem Handgelenk, während er die Summe abzählte. Der rosa Schein wurde unterschrieben und wechselte den Besitzer, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass Raymond tatsächlich damit zur Anmeldestelle marschieren würde. Man hat immer das Gefühl, dass sich Gewohnheitsverbrecher mit solchen Dingen gar nicht abgeben. Sie tun, was ihnen Spaß macht, während unsereins meint, sich brav an die Spielregeln halten zu müssen.

Sobald die Transaktion vollzogen war, schlenderte der schwarze Typ davon. Raymond und Luis inspizierten den Wagen, der tatsächlich in einigermaßen brauchbarem Zustand schien. Von der Stoßstange platzte das Chrom ab, und die rechte Heckleuchte hatte kein Glas mehr. Die Reifen waren total abgefahren, aber die Karosserie hatte keine größeren Beulen. Das Interieur war grau. Einen Riss im Bezug des Beifahrersitzes hatte jemand säuberlich mit schwarzem Faden zusammengezogen. Der Boden war vorn und hinten mit Fast-Food-Kartons, leeren Limo-Dosen, zerknautschten Zigarettenpäckchen und Zeitungen übersät. Luis nahm sich als erstes ein paar Minuten, um den ganzen Müll in den Rinnstein zu befördern und noch einen kleinen Berg Kippen aus dem Aschenbecher dazuzuschütten.

»Na, wie gefällt er Ihnen?«, fragte mich Raymond.

Ich konnte mir nicht denken, wieso meine Meinung von Interesse sein sollte. »Sieht besser aus als alles, was ich je gefahren habe.«

Er steckte einen Finger durch den Schlüsselring und ließ die Schlüssel in seine Hand flippen. »Steigen Sie ein. Bibianna fährt bei ihm mit.«

Ich sah zu dem dunkelgrünen Ford hinüber, in dem Bibianna saß. Sie hockte hoch aufgerichtet auf dem Rücksitz und flocht sich unter Zuhilfenahme des Rückspiegels Zöpfchen in ihr dunkles, glänzendes Haar. »Soll mir recht sein«, sagte ich.

Ich stieg in den Caddy.

Raymond setzte sich ans Steuer und klipste seinen Gurt zu. »Anschnallen«, sagte er. »Es wird gleich scheppern.«

»Ist der Wagen denn versichert? Wir haben das Ding doch gerade erst gekauft«, sagte ich erstaunt.

»Kein Problem. Das kann ich später mit meinem Agenten regeln. Er macht alles, was ich will.«

Ich legte den Gurt an und versuchte, mir meinen Hals in einem Stützkragen vorzustellen.

Der Wagen hatte Automatik, elektrische Türverriegelung und Fensterbedienung und Servo-Bremsen. Raymond drehte den Zündschlüssel, und der Motor sprang tuckernd an. Er stellte den Rückspiegel ein und wartete, bis ein silberner Toyota an uns vorbeigezogen war, um dann auszuparken und loszufahren.

Ich probierte die Fensterbedienung aus. Die Scheiben hoben sich mit leisem Surren. »Und was passiert jetzt?«, fragte ich.

»Werden Sie gleich sehen.«

Wir fuhren scheinbar ziellos durch die Gegend, erst auf dem Venice Boulevard durch Palms, dann rechts ab, über den Sepulveda in einen Stadtteil namens Mar Vista. Dieses Viertel bestand aus kleinen Steinbungalows mit kleinen Gärtchen und schlaffen Bäumen, deren Blättern der smogbedingte Sauerstoffmangel sichtlich zusetzte. Raymond beobachtete die Straße wie ein Polizist, der nach Indizien für eine kriminelle Handlung sucht.

»Und worin besteht so eine Tour?«

»Das heißt einfach, dass wir rumfahren, um einen Unfall zu bauen. Der Wagen hier ist eine Schleuder. Ich hab’ eine ganze Flotte von Schleudern und eine ganze Crew von Fahrern, die das Gleiche tun wie wir jetzt. Und Sie sind ein Geist.«

Ich grinste. »Wieso das?«

»Weil Sie nicht bezahlt werden. Deshalb gibt’s Sie gar nicht.«

»Und wieso werd’ ich nicht bezahlt?«

»Sie sind in der Ausbildung. Sie sind nur da, um Masse abzugeben.«

»Oh, vielen Dank«, sagte ich. Ich wandte mich ab und sah aus dem Beifahrerfenster. »Und was genau suchen wir?«

Raymond warf einen durchdringenden Blick zu mir herüber. Seine Züge waren scharf von Misstrauen.

»Ich will ja nur lernen«, sagte ich.

»Ein Opfer«, beantwortete er jetzt meine Frage. »Irgendeinen Trottel, der ein Stoppschild überfährt oder einfach rückwärts aus der Einfahrt setzt oder ausparkt...«

»Und dann?«

Er grinste leise. »Dann halten wir drauf. Man muss immer versuchen, ihn seitlich am Heck zu erwischen, weil man da ordentlich was sieht und keinem was passiert.«

Wir fuhren eine Stunde durch die Gegend, konnten aber partout keinen Verkehrssünder finden. Ich sah, dass Raymond langsam die Geduld ausging, aber seltsamerweise überkam ihn in der ganzen Zeit nicht das kleinste Zucken. Vielleicht war die Arbeit ja Balsam für sein Nervenkostüm. »Darf ich mal?«, fragte ich.

»Is’ das Ihr Ernst?«

»Wenn ich einen erwische, will ich auch Geld. Was ist der Satz?«

»Hundert am Tag.«

»Sie wollen mich wohl verscheißern? Ich wette, Sie machen die dicke Kohle, und ich will einen fairen Anteil.«

»Freches Aas«, sagte er milde.

Wir tauschten die Plätze. Ich musste zuerst den Fahrersitz ein Stück vorschieben, um an Gas und Bremse heranzukommen. Dann parkte ich aus. Inzwischen waren wir über den Lincoln Boulevard in die Randbezirke von Santa Monica vorgedrungen. Am Pico Boulevard hielt ich mich links, um dann am San Vi-cente die Ocean Avenue zu nehmen. Raymond hatte nicht weiter darauf geachtet, wo ich hinfuhr, aber jetzt sah er mich erstaunt an. »Wieso nicht Venice?«

»Wieso nicht Beverly Hills?«, fragte ich. Zuerst schien ihm der Gedanke nicht zu behagen, aber dann erkannte er wohl die Möglichkeiten. Wir arbeiteten uns bis zum Sunset Boulevard durch und fuhren dann ostwärts, vorbei am Nordrand des wuchernden Universitäts-Geländes. Gleich hinter dem Beverly Hills Hotel bog ich nach rechts in den Rexford Drive. Ich fand es wohltuend, die breiten, von Bäumen gesäumten Straßen entlangzuschnurren. Wir befanden uns jetzt im so genannten »unteren« Beverly Hills. Die überdimensionalen Häuser nahmen die ganze Grundstücksbreite ein. Überall waren die Rasenflächen grün, die Büsche adrett gestutzt, die Gärtner dabei, versprengte Blätter die Einfahrten entlang zu blasen. Auf dem Grasstreifen zwischen Bürgersteig und Straße standen Schatten spendende Bäume: Platanen und dazwischen Eichen. Hohe Zäune schirmten die Tennisplätze hinter den Häusern ab. Da und dort erhaschte ich einen Blick auf einen Swimming-Pool mit Poolhäuschen. Die Ampel am Santa Monica Boulevard war grün. Ich steuerte den Caddy gemächlich ins Zentrum der Einkaufsgegend von Beverly Hills.

Ich wusste, dass ich mich rechtlich gesehen auf äußerst dünnem Eis bewegte. Eins war mir von der Polizeischule zum Thema Undercover-Arbeit hängen geblieben: Es war »sittenwidrig«, als Polizeibeamter bei der Begehung von Straftaten mitzuwirken oder andere dazu zu provozieren. Aber zum Glück war ich ja keine Polizistin, und im Ernstfall würde Raymonds Wort gegen meins stehen. Raymond bei ein paar Unfällen zu helfen, schien mir immer noch der schnellste Weg, ihn von meiner Verlässlichkeit zu überzeugen.

Raymond starrte missmutig aus dem Seitenfenster. »Hier finden Sie nie was.«

»Wetten?« Ich hatte soeben einen Mercedes neueren Typs entdeckt, der gerade im Begriff war, aus einer Parklücke herauszufahren, und brav links blinkte. Es war eine viertürige Limousine, in konservativem Schwarz und mit einem Jux-Nummernschild mit den Lettern Bull Mkt. Am Steuer saß eine Frau von etwa vierzig, mit einer blonden Haarhaube und einer großen, runden Sonnenbrille vorn auf der Nasenspitze. Ich bremste den Caddy ab und tat im Geist jetzt schon Abbitte für die Sünden, die ich erst noch begehen würde. Ich hielt und signalisierte ihr mit einem freundlichen Winken, dass ich sie herauslassen wollte. Sie dankte mir mit einer flüchtigen Handbewegung und einem Lächeln, das perfekte Jacket-Kronen entblößte.

»Was machen Sie?«

»Ich lass’ sie raus«, sagte ich unschuldig.

Sobald sie auf die Spur vor mir ausbog, gab ich Gas, und der Caddy donnerte mit einem dumpfen Krachen auf den linken hinteren Quadranten des Mercedes. Es war wie Box-Auto-Fahren, und ich fühlte die gleiche verrückte Mischung aus schlechtem Gewissen und Erregung. Der Treffer war gut platziert. Die Frau schrie auf und drehte sich um. Vor Verblüffung hing ihr der Unterkiefer herunter.

Raymond war wie der Blitz aus dem Wagen. »Was machen Sie denn, verdammt noch mal? Sie können doch nicht einfach so rausfahren!«

Ich stieg aus, ging zum Kühler des Caddy und inspizierte den kaputten Scheinwerfer und die rostige Stoßstange. Nicht schlecht. Der Schaden am anderen Auto würde locker auf sechs Riesen kommen. Inzwischen hatte sich die Blonde vom ersten Schock erholt. Sie stieg aus und knallte die Wagentür zu. Sie war im Tennis-Dress: kurzes, weißes Röckchen, grün-weiß geringeltes Polohemd, lange, braune Beine und Söckchen mit knallgrünen Pompons über den makellos weißen Tennisschuhen. Der linke Hinterquadrant des Mercedes, eben noch jungfräulich glänzendes Schwarz, war jetzt durch eine mächtige Delle verunziert. Von dem zerknautschten Kotflügel stand die Chromleiste im Winkel ab wie eine horizontale Antenne. Die hintere Tür würde sich wohl nur mit dem Stemmeisen öffnen lassen. Ich sah ihr Gesicht rot anlaufen, als sie den Schaden in Augenschein nahm. Sie drehte sich zu mir um und fuhr zornig mit dem Zeigefinger auf mich los. »Sie miese Kuh! Sie haben mich doch selbst rausgewinkt!«

»Hat sie nicht!«, sagte Raymond.

»Hat sie wohl!«

»Hab’ ich nicht!«, warf ich ein, um zu demonstrieren, wo ich stand.

Raymond sagte: »Sehen Sie sich mein Auto an! Wir haben den Wagen gerade neu gekauft, und jetzt das!«

»Ihr Wagen! Schauen Sie meinen an!«

Ich fasste mir an den Nacken, und Raymond wandte sich mir besorgt zu.

»Alles in Ordnung, Schatz?«

»Ich glaub’ schon«, sagte ich ohne rechte Überzeugung. Ich rollte den Kopf einmal um seine Achse und stieß einen kleinen Schmerzenslaut aus.

Raymond gab jetzt sein zorniges Gebaren auf und schaltete auf eine beherrschte Gelassenheit um, die auf ihre Weise noch wirksamer war. »Ich hoffe, Sie sind gut versichert, junge Frau...«

Der ganze Nachmittag stand im Zeichen dieses intermittierenden Crash-Derby. So surreal die Action selbst war, so deprimierend war sie in ihrer Auswirkung. Wir fuhren von Beverly Hills zurück nach Brentwood und über Westwood wieder nach Santa Monica. Wir suchten uns stark befahrene Straßen aus und lauerten auf einen kleinen Verstoß gegen die Verkehrsregeln, eine kurze Unaufmerksamkeit, eine Fehleinschätzung. Raymond führte über alle vier Unfälle, die wir bauten, genauestens Buch. Er notierte Ort und Zeitpunkt sowie Namen und Versicherung des Gegners.

Der Caddy erwies sich als der ideale Rammbock. Verglichen mit dem, was wir unseren vier arglosen Mit-Automobilisten an Schaden zufügten, trug er nur wenig davon. Die Opfer reagierten alle gleich einfältig — verzweifelt, zerknirscht, manchmal auch wütend, aber durchweg mit einer panischen Angst vor kostspieligen gerichtlichen Auseinandersetzungen. Ich spielte meine Rolle — Schock, Empörung und plötzliche Schmerzen im Nacken oder Rücken — leidlich überzeugend, aber ich konnte diese Leute nicht ansehen. Das war keine Art von Trickserei, die mir lag, und ich stand es nur durch, indem ich auf den gleichen inneren Distanzierungsmechanismus rekurrierte, den ich auch einschaltete, wenn ich ein Leichenschauhaus betrat. Raymond interessierte natürlich nur das Versicherungsgeld, das er für die »Schäden« an seinem Wagen und die von uns erlittenen »Verletzungen« kassieren konnte. Seine betrügerischen Fähigkeiten waren durch langjähriges Training bis zur Virtuosität ausgebildet.

Um vier befand er, sehr zu meiner Erleichterung, dass wir für heute genug getan hatten. Bei den ersten beiden Unfällen hatte ich am Steuer gesessen. Dann hatte er mich abgelöst. Jetzt nahm er die nächste Auffahrt auf den Freeway 405. Wir fuhren Richtung Süden, zurück zu unserem Apartment. Ich kam mir vor wie eine Handlungsreisende mit ihrem Chef. Die Fragen, die ich Raymond stellte, waren von jener banal-interessierten Art, wie man sie von einem strebsamen Trainee erwarten würde. »Wie sind Sie denn da drangekommen?«, forschte ich, gerade so, als fragte ich nach seinen Qualifikationen für eine Karriere bei der Encyclopaedia Britannica.

»Der Boss, bei dem ich angefangen hab, hat’s mir gezeigt. Dann ist er eingebuchtet worden, und ich hab’ den Laden übernommen.«

»So wie eine Beförderung?«

»Kann man sagen. Genau. Ich hab’ einen ganzen Stall von Ärzten und Rechtsanwälten, die den Papierkram machen. Ich brauch’ das Ganze nur zu überwachen. Aber in ruhigen Zeiten mach’ ich schon mal selbst mit, so wie heute. Ich hab’ gern ein bisschen die Finger mit drin.«

»Und Ihr Job ist was? Leute ranzuschaffen, die dann die Forderungen an die Versicherungen stellen?«

»Na klar. Was denken Sie, was wir den ganzen Nachmittag gemacht haben? Momentan hab’ ich zehn Mann, die für mich arbeiten, aber das schwankt immer ein bisschen. Es ist schwer, gute Leute zu finden.«

Ich lachte.

»Das glaub’ ich.«

»Ich will Ihnen was verraten. Das A und O, wenn Sie’s im Leben zu was bringen wollen: Passen Sie genau auf den Mann auf, der unter Ihnen auf der Leiter kommt. Erzählen Sie ihm nichts.«

»Weil er einen sonst am Ende noch ausbootet?«

»Genau. Das ist der Kerl, der drauf wartet, Ihnen ein Messer in den Rücken zu rammen. Nehmen Sie mal Luis. Ich liebe den Jungen wie einen Bruder, aber bestimmte Sachen erzähl’ ich ihm nicht, und gewisse Leute kriegt er nie zu sehen. Auf die Weise hab’ ich nichts zu befürchten. Verstehen Sie?«

»Man kann wohl ganz gut davon leben?«

Raymond schüttelte den Kopf. »Soll das ein Witz sein oder was? So gutes Geld machen Sie nirgends. Für mich springt so etwa ein Tausender pro Unfall raus. Kommt auf die Verletzungen drauf an. Und der Arzt oder der Chiropraktiker kassiert auch noch mal seine fünfzehnhundert.«

»Hey, das ist ja Wahnsinn. Wie machen die das denn? Schlagen sie was auf die Rechnungen drauf?«

»Manchmal. Oder sie berechnen gleich Sachen, die sie gar nicht gemacht haben. Die Versicherung kommt da sowieso nicht drauf, und der Doc macht seinen Schnitt, so oder so. Und dann ist ja noch der Anwalt mit drin«, sagte er. Er grinste durchtrieben. »Aber der größte Batzen geht natürlich an mich.«

»Weil Sie das ganze Risiko tragen?«

»Weil ich die ganze Kohle vorstrecke. Ich leg’ das Geld für die Autos hin, zahl’ die Leute im voraus. Kostet mich mindestens fünf, sechs Riesen, bis ich eine Crew auf der Straße hab’. Mal zehn, zwanzig Crews, sieben Tage die Woche. Da läppert sich ganz schön was zusammen.«

»Klingt so«, schloss ich das Thema ab.

Es folgte längeres Schweigen. Ich kam zwar mit der Rechnerei nicht ganz mit, aber so viel war klar: es ging um einen Haufen Geld. Ich lehnte den Kopf zurück. Es war nicht schwer, die Verlockung nachzuvollziehen. Für einen Mann wie Raymond war dieses Geschäft viel lohnender als jeder ehrliche Beruf. Verdammt noch mal, selbst ich konnte als Crash-Fahrerin wesentlich mehr verdienen als in meinem Job. Natürlich hatte die Sache auch ihre Schattenseiten. Von all den Stößen und Schlägen und Angriffen auf meine Nackenwirbel hämmerte es in meinem Kopf, und den Hals konnte ich auch nicht mehr drehen. Ich massierte mir die eine Schulter. Die Muskeln fühlten sich verspannt an.

»Was ist los?«

»Mein Hals ist steif.«

»Kann ich nachfühlen«, sagte er in einer Anwandlung von Selbstironie. Dann sah er mich scharf an: »Echt?«

»Raymond, wir haben vier Autounfälle hinter uns! Beim letzten bin ich fast vom Sitz geflogen. Sie hätten mich auch warnen können.«

»Möchten Sie zum Arzt? Ich kann das arrangieren. Wärmebehandlung, Reizstrom, was Sie wollen. Gehört zum Service.«

»Mal sehen, wie’s mir geht, wenn wir wieder zu Hause sind. Wo ist eigentlich Bibianna? Ich hoffe doch, ich bin nicht die einzige, die hier draußen rumgurkt und ihren Hals riskiert.«

»Sie und Luis machen genau das gleiche wie wir.«

»Schön zu hören.«

Er sah mich an und versuchte, meine Stimmung zu taxieren. »Wie gefällt’s Ihnen denn so weit?«

»Auf jeden Fall besser, als arbeiten zu gehen.«

Er grinste breit und richtete den Blick wieder auf die Straße. »Muss man doch zugeben, was?«

Wir fuhren zuerst noch zu Buddys Autowerkstatt, schräg gegenüber von Raymonds Wohnung. Die Werkstatt selbst befand sich in der einen Ecke des Geländes, das bis zur nächsten Parallelstraße durchging. In der diagonal gegenüberliegenden Ecke stand ein rostiger Wellblechschuppen, umgeben von einem Chaos aus Chassis-Teilen, Kotflügeln, Stoßstangen, Motoren und Reifen. Ein verlotterter Drahtzaun umschloss ein etwa einen Hektar großes Areal voller Schrottwagen und Haufen verschiedenster Autoteile. Ein Schild besagte: Buddys Auto-Verwertung, GEÖFFNET TGL. AUSSER So., ABNAHME VON PKWs und LKWs zu Spitzenpreisen, umfassendes Ersatzteil-Lager. Ein großer schwarzer Rottweiler mit einem Kopf wie ein runzliger Baumstumpf lag schlafend im Schatten neben einem Abschleppwagen.

Ich sagte: »Arbeitet Buddy auch für Sie?«

»Ich bin Buddy. Der Mann, der den Laden hier macht, heißt Chopper. Bin gleich wieder da«, murmelte er im Aussteigen. Offenbar betrieb Raymond sein »Reparatur«-Geschäft im Zusammenspiel mit einer Auto-Verwertung. Wahrscheinlich wurden die Schleudern hier ausgeschlachtet, wenn ein Maximum an Versicherungsgeld aus ihnen herausgeholt worden war.

Ich wartete, bis er in der Garage verschwunden war, um dann ebenfalls auszusteigen und zu dem Pepsi-Automaten gleich hinter dem Eingang zu schlendern. Ich steckte gemächlich die Münzen in den Schlitz und zog mir ein Pepsi Light. Ich riss die Lasche auf und kippte den Inhalt hinunter. Dabei sah ich mich um. Es war keine Menschenseele zu entdecken, und nichts deutete darauf hin, dass hier irgendwo gearbeitet wurde. Die schräg einfallende Spätnachmittagssonne malte lohfarbene Streifen auf den rissigen Zementboden. Es roch nach Öl, alten Reifen und heißem Metall. Blaue Blechfässer waren zu einer Pyramide aufeinander gestapelt und dienten als Lagerregal für verschiedenartigste rostige Autoteile. Ich konnte Raymond durch die offene Tür eines als Büro gekennzeichneten Raums sehen. Der Flachdachbau war offenbar ein umgebautes kleines Wohnhaus. Als zusätzlicher Büroraum diente ein zwischen Zaun und Werkstatt aufgestellter Trailer. Zwei eingestaubte Lamellenfenster waren schräggestellt, um Luft hereinzulassen. An dem Trailer lehnte eine Holzpalette. Außen an dem improvisierten Büro klebte der Aufkleber einer Alarmanlagen-Firma, aber ich nahm ihn nicht weiter ernst. Der Laden wirkte nicht gerade so, als würde er sich durch besonders wirksame Sicherheitsvorkehrungen auszeichnen.

Raymond hatte offenbar getan, was er zu tun gehabt hatte, und kam jetzt wieder aus der Werkstatt, zusammen mit einem Mann, den er mir als Chopper vorstellte. Er war Anglo, in den Vierzigern, kahlköpfig und vierschrötig. Er atmete schwer, und auf seinem Gesicht standen Schweißperlen.

Ich sagte: »Klasse Hund«, in der Hoffnung, mich bei seinem Herrchen beliebt zu machen.

»Das ist Brutus.« Chopper ließ einen durchdringenden Pfiff los, worauf Brutus pflichtschuldig aufwachte und sich auf die Beine hievte. Das arme Tier war uralt und so arthritisch, dass es sich nur schaukelnd und im Schneckentempo vorwärts bewegte. Von nahem sah ich, dass sein schwarzes Fell wie weiß gepudert schien. Der Hund blieb demütig neben mir stehen. Ich hielt ihm die Hand vor die Schnauze, und er leckte sie. Das verflixte Biest machte mich ganz sentimental.

Raymond und Chopper wechselten noch ein paar Worte. Wir ließen den Wagen stehen und gingen zu Fuß zu dem Apartment-Haus hinüber.