15

 

Nachdem ich Tippy verlassen hatte, fuhr ich kurz zu mir, auf ein schnelles Mittagessen, das ich eher lustlos verdrückte. Es war herzlich wenig im Kühlschrank, und ich sah mich gezwungen, eine Dose Spargelsuppe aufzumachen, die ich ursprünglich wohl gekauft hatte, um sie über irgendetwas anderes zu kippen. Ich habe mir sagen lassen, dass alle Küchennovizen mit diesem alten Trick operieren. Selleriecremesuppe auf Schweinekoteletts, eine Stunde bei 180 Grad überbacken. Champignoncremesuppe auf Hackbraten, gleiche Zeit, gleiche Temperatur. Hühnercremesuppe auf Hühnerbrust, eine halbe Tasse Reis zugeben. Die Variationen sind unerschöpflich, und das Beste ist: wenn man einmal Gäste hat, sieht man sie nie wieder. Außer den oben genannten Gerichten bin ich noch im Stande, Rührei und einen ganz passablen Tunfischsalat zuzubereiten, aber das ist auch schon so ziemlich alles. Ich esse haufenweise Sandwiches, Erdnussbutter mit Gürkchen oder Käse mit Gürkchen, um nur zwei Sorten zu nennen. Gerne mag ich auch in Scheiben geschnittene harte Eier auf Vollweizenbrot mit viel Salz und Mayonnaise. Wenn man mich fragt, ist das Einzige, was für das Kochen spricht, dass man seine Hände beschäftigen kann, während man über andere Dinge nachdenkt.

Die Sache mit Morleys Tod ließ mich nicht los. Und wenn David Barneys Paranoia berechtigt war? Alles Übrige, was er gesagt hatte, stimmte ja. Wenn Morley nun tatsächlich der Wahrheit zu dicht auf der Spur gewesen und deswegen ausgeschaltet worden war? Ich schwankte zwischen dem Impuls, das Ganze als viel zu weit hergeholt zu verwerfen, und dem beunruhigenden Gedanken, dass sich womöglich irgendwo ein raffinierter Mörder ins Fäustchen lachte. Ich dachte beide Gedanken abwechselnd weiter, explorierte ihre Möglichkeiten. Vielleicht hatte das Gespräch mit David Barney Morleys Neugier geweckt. Vielleicht war er ja zufällig über irgendetwas Wichtiges gestolpert. War er zum Schweigen gebracht worden? Ich merkte, wie ich vor diesem Gedanken zurückscheute. Das war so verdammt melodramatisch. Morley war einem Herzinfarkt erlegen. Der Totenschein war von seinem Hausarzt ausgestellt. Zweifellos gab es Substanzen, die die Symptomatik eines Herzstillstands hervorrufen konnten, aber es war kaum vorstellbar, wie ihm jemand ein solches Mittel verabreicht haben sollte. Morley war nicht dumm gewesen. Bei seinen Gesundheitsproblemen hätte er sicher nie irgendetwas eingenommen, was ihm nicht sein Arzt verschrieben hatte. Es kam ja wohl nur Gift in Frage, aber meines Wissens hatte niemand diese Möglichkeit auch nur in Betracht gezogen. Wer war ich, mich einfach einzumischen und seiner kranken Witwe noch mehr Kummer zu bereiten? Sie hatte auch so schon Probleme genug, und alles, was ich vorzubringen hatte, waren vage Vermutungen.

Ich aß meine Suppe auf, wusch das Schüsselchen ab und deponierte es zusammen mit dem einsamen Löffel auf dem Abtropf-Gestell. Wenn ich diesen Zyklus von Flocken und Suppe beibehielt, konnte ich mich eine ganze Woche lang ernähren, ohne mehr Abwasch zu produzieren. Ich wanderte ziellos in meiner Wohnung auf und ab, von Unruhe und Unbehagen getrieben. Ich musste dringend mit Lonnie reden, sah aber keine Möglichkeit, es sei denn, ich nahm die Stunde Fahrt nach Santa Maria auf mich. Ida Ruth meinte, jede Störung würde ihn nur auf die Palme bringen, aber er musste doch wohl erfahren, was hier ablief. Sein Fall war ein einziges Chaos, und ich sah nicht, wie ich es sortieren sollte, ehe er wiederkam. Er würde gar nicht gut auf mich zu sprechen sein.

Wir hatten jetzt Donnerstagnachmittag. Morleys Beerdigung war für Freitag angesetzt, und wenn ich Zweifel an der Todesursache anmelden wollte, musste ich mich beeilen. Wenn sie ihn erst einmal unter der Erde hatten, würde die ganze Angelegenheit mit begraben. Da auf eine natürliche Todesursache erkannt worden war, hatte sich vermutlich niemand die Mühe gemacht, seine letzten Lebenstage zu rekonstruieren. Ich hatte immer noch keine Ahnung, wo er gewesen war und wen er getroffen hatte. Ich wusste nur, dass er die Fotos gemacht hatte. Ich ging davon aus, dass ihn das Gespräch mit David Barney darauf gebracht hatte, aber sicher war auch das nicht. Vielleicht hatte er ja mit Dorothy oder Louise über den Fall geredet.

Ich rief bei den Morleys an. Louise nahm beim ersten Läuten ab. »Hi, Louise. Hier ist Kinsey. Haben Sie die Tasche gefunden?«

»Ja, vielen Dank. Tut mir Leid, dass wir nicht da waren, aber Dorothy wollte zum Bestattungsinstitut, um Morley noch einmal zu sehen. Als wir heimkamen, haben wir gleich gemerkt, dass Sie da waren.«

»Wie hält sich Dorothy?«

»Den Umständen entsprechend ganz gut. Sie ist ein ganz schön zähes altes Hühnchen. Das sind wir beide, wenn’s darauf ankommt.«

»Ähm, hören Sie, Louise, ich weiß, es ist lästig, aber könnte ich vielleicht heute Nachmittag kurz mit Ihnen beiden reden?«

»Worüber?«

»Das möchte ich Ihnen wirklich lieber persönlich sagen. Kann Dorothy einen kurzen Besuch verkraften?«

Ich hörte sie zögern.

»Es ist wichtig«, sagte ich.

»Augenblick. Ich frage nach.« Sie legte die Hand über die Sprechmuschel, und ich hörte leises Gemurmel. Dann war sie wieder da. »Wenn Sie’s kurz machen können«, sagte sie.

»Ich bin in fünfzehn Minuten da.«

Zum dritten Mal in zwei Tagen fuhr ich hinaus nach Colgate zu Morleys Haus. Die Frühnachmittagssonne kam gerade durch. Dezember und Januar sind bei uns wirklich die besten Monate. Im Februar ist es manchmal ziemlich regnerisch und meistens grau. Der Frühling in Santa Teresa ist wie der Frühling überall im Land. Im Frühsommer hüllt uns ständiger Nebel ein, so dass die Tage mit einem hellen Weiß-Grau beginnen und mit einem merkwürdig goldenen Licht enden. Bisher war dieser Dezember eine gelungene Mischung gewesen, ein täglicher sprunghafter Wechsel zwischen Frühling und Sommer.

Louise machte mir auf und führte mich ins Wohnzimmer, wo Dorothy, auf das Sofa gebettet, wartete.

»Ich werde uns eine Kanne Tee machen«, murmelte Louise. Sie entschuldigte sich und ging hinaus. Kurz darauf hörte ich Geschirr klappern.

Dorothy war noch in Rock und Pullover von ihrem Besuch im Bestattungsinstitut. Sie hatte keine Schuhe an, und ihre Beine waren in eine wärmende Decke gehüllt. Ein schmaler Fuß, so fragil wie Porzellan, guckte heraus. Vielleicht hatten sie und Louise ja mehr wie Schwestern ausgesehen, ehe die Krankheit ihr alle Farbe aus dem Gesicht gesogen hatte. Beide waren feinknochig, mit blauen Augen und zarter Haut. Dorothy trug eine platinblonde Perücke in der Art einer nachlässigen Schlafzimmerfrisur. Sie fing meinen Blick auf und griff sich lächelnd an den derangierten Dutt, um ihn ein wenig zu justieren. »Ich wollte schon immer blond sein«, sagte sie wehmütig. Dann streckte sie mir die Hand hin. »Sie sind also Kinsey Millhone. Morley hat mir viel von Ihnen erzählt.« Wir begrüßten uns. Ihre Hand war leicht und kalt und ledrig wie eine Vogelklaue.

»Morley hat von mir gesprochen?«, sagte ich überrascht.

»Er hat immer gemeint, Sie könnten es weit bringen, wenn Sie nur lernen würden, Ihre Zunge im Zaum zu halten.«

Ich lachte. »Das gelingt mir immer noch nicht ganz, aber es freut mich. Ich habe es immer bedauert, dass er und Ben ihre Differenzen nicht ausräumen konnten.«

»Dafür waren sie beide viel zu dickschädlig«, sagte sie mit gespielter Empörung. »Morley wusste gar nicht mehr, worüber sie sich eigentlich gestritten hatten. Setzen Sie sich doch. Louise wird uns gleich eine Tasse Tee bringen.«

Ich wählte einen kleinen, mit Gobelinstoff bezogenen Stuhl. »Ich will Ihnen nicht lange zur Last fallen. Ich danke Ihnen, dass ich herkommen durfte. Sie sind bestimmt müde.«

»Ach, das bin ich gewöhnt. Wenn mich die Kräfte verlassen, müssen Sie es mir nachsehen und sich mit Loo weiterunterhalten. Wir waren gerade im Bestattungsinstitut, zum detzten Abschieds wie sie das nennen.«

»Wie sieht er aus?«

»Nun, ja, gut sehen Tote wohl nie aus. Irgendwie wirken sie immer so eingefallen. Ist Ihnen das schon mal aufgefallen? Als hätte man ihnen die Hälfte der Füllung rausgenommen«, sagte sie. Ihr Ton war so nüchtern, als spräche sie über eine alte Matratze und nicht über den Mann, mit dem sie über vierzig Jahre verheiratet gewesen war. »Ich hoffe, das klingt nicht herzlos. Ich habe diesen Mann innig geliebt, und ich kann Ihnen gar nicht sagen, was für ein Schock es war, ihn so plötzlich zu verlieren. Im letzten Jahr haben wir viel über den Tod geredet, aber ich dachte immer, es ginge um meinen.«

Louise kam wieder herein. »Der Tee ist gleich fertig. Solange könnten Sie uns doch schon mal erzählen, was Sie hergeführt hat.« Sie hockte sich auf die Armlehne von Morleys Ledersessel.

»Ich muss ein paar Dinge klären, und ich dachte, Sie könnten mir vielleicht helfen. Hat Morley je mit Ihnen über den Fall gesprochen, an dem er zuletzt gearbeitet hat? Wenn Sie die Hintergründe schon kennen, brauche ich sie Ihnen nicht erst lange zu erläutern.«

Dorothy zupfte ihre Decke zurecht. »Morley hat mir von allen seinen Fällen erzählt. Wenn ich es richtig verstanden habe, war dieser Barney schon mal wegen Mordes vor Gericht. Mit diesem Prozess will jetzt der Ex-Mann des Opfers versuchen, ihn des Mordes zu überführen, damit ihm die Erbschaft entzogen wird.«

»Genau«, sagte ich. »David Barney hat gestern zwei Mal mit mir Kontakt aufgenommen. Er sagte, er habe am Mittwoch der letzten Woche mit Morley gesprochen. Er deutete an, Morley habe einigen Punkten nachgehen wollen, die ihn hätten entlasten können. Hat Morley Ihnen gesagt, was er vorhatte? Ich versuche, das Geschehen zu rekonstruieren, und möchte nach Möglichkeit keine voreiligen Schlüsse ziehen.«

»Hm, lassen Sie mich mal nachdenken. Ich weiß, dass dieser Mensch an ihn herangetreten ist, aber Einzelheiten sind mir nicht bekannt. Ich hatte am Mittwochnachmittag meine Chemotherapie und war in schlechter Verfassung. Normalerweise haben wir abends immer ein bisschen miteinander geredet, aber ich war total erschöpft und musste ins Bett. Ich habe den ganzen Abend geschlafen und auch noch den halben Donnerstag.«

Ich sah Louise an. »Und Sie? Hat er Ihnen davon erzählt?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nichts Konkretes. Nur, dass er mit dem Mann gesprochen habe und ein paar Dinge tun müsse.«

»Meinen Sie, dass er geglaubt hat, was David Barney ihm erzählt hat?«

Louise dachte kurz nach und schüttelte dann den Kopf. »Ich bin mir nicht ganz sicher. Irgendwie muss er ihm wohl schon geglaubt haben, sonst hätte er bestimmt nichts unternommen.«

Dorothy mischte sich ein. »Nein, das kannst du nicht sagen, Loosie. Was dieser Mensch auch erzählt haben mag — Morley hat sich immer bemüht, nach allen Seiten offen zu bleiben. Er hat immer gesagt, es sei blödsinnig, sich auf Annahmen zu verlassen, solange man nicht alle Fakten vorliegen hätte.«

Ich sagte: »Genau das habe ich auch gelernt.« Ich griff in meine Umhängetasche und fischte den Packen Fotos heraus. »Sieht aus, als hätte er die hier irgendwann am Freitag gemacht. Hat er Ihnen gesagt, was er an dem Tag vorhatte?«

»Das kann ich beantworten«, sagte Louise prompt. »Wir haben früh zusammen zu Mittag gegessen. Da er sich ja an seine Diät halten musste, nahm er die Mahlzeiten lieber zu Hause ein. Da sei die Versuchung nicht so groß, hat er gemeint. Er ging so etwa um zwölf und fuhr raus in sein Büro, um die Post zu holen. Er hatte am frühen Nachmittag einen Termin und war dann den Rest des Tages unterwegs, auf der Suche nach diesen Lieferwagen. Er hat den Film auf dem Heimweg abgegeben und gesagt, er wolle die Fotos am Samstag abholen, aber da ging es ihm ja schon nicht gut. Er hat es wahrscheinlich einfach vergessen.«

»Woher wusste er, was er suchen musste?«

»Sie meinen, welche Art Lieferwagen? Darüber hat er nichts gesagt. Er dachte, der fragliche Wagen sei womöglich in irgendeinen Unfall verwickelt gewesen, aber er hat nicht gesagt, was für ein Unfall das war oder wie er darauf gekommen ist. Die Beschreibung hatte er aus dem Polizeiprotokoll.«

Ich dachte über den zeitlichen Ablauf nach. Offenbar hatte sich das alles aus seinem Gespräch mit David Barney ergeben. »Was war am Samstag?«

»Sie meinen, bezüglich seiner Arbeit?«

»Ich meine, überhaupt.« Ich sah von Louise zu Dorothy, um sie beide zu ermuntern, meine Frage zu beantworten.

Dorothy reagierte. »Nichts Besonderes. Er fuhr ins Büro und erledigte dort ein paar Sachen. Post und dergleichen, wie es klang.«

»Hatte er einen Termin?«

»Wenn er sich mit jemandem getroffen hat, hat er nichts davon gesagt. Er kam gegen Mittag zurück und hat kaum etwas gegessen. Er hat seine Mahlzeiten gewöhnlich bei mir im Zimmer eingenommen, damit wir in der Zeit zusammen sein konnten. Ich habe ihn gefragt, ob ihm nicht gut sei. Er sagte, er habe Kopfschmerzen und sei wohl dabei, irgendetwas auszubrüten. Ich dachte, da wird Louise sich freuen — zwei Kranke auf einmal. Ich habe ihm gesagt, er solle sich hinlegen. Ich konnte es kaum fassen, aber er hat es tatsächlich getan. Dann stellte sich heraus, dass er diese schreckliche Magen-Darm-Grippe hatte, die überall umging. Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Magenkrämpfe.«

»Könnte es auch daher gekommen sein, dass er etwas Schlechtes gegessen hatte?«

»Das kann ich mir kaum vorstellen. Zum Frühstück hatte er nur Flocken mit Magermilch.«

»So etwas hat Morley gegessen? Sieht ihm gar nicht ähnlich«, sagte ich.

Dorothy lachte. »Sein Arzt hatte ihn — auf mein beharrliches Drängen hin — auf Diät gesetzt. Fünfzehnhundert Kalorien am Tag. Zum Mittagessen am Samstag hat er nur ein bisschen Suppe und ein paar Happen trockenen Toast gegessen. Er meinte, ihm sei ein bisschen schlecht und er habe keinen großen Appetit. Am Nachmittag war ihm dann hundeelend. Er hat die halbe Nacht mit dem Kopf über der Kloschüssel gehangen. Wir haben noch gewitzelt, dass wir uns wohl abwechseln müssten, falls es mir schlechter gehen sollte. Am Sonntagmorgen fühlte er sich besser, obwohl er gar nicht gut aussah. Seine Gesichtsfarbe war erschreckend, aber das Erbrechen hatte aufgehört, und er konnte immerhin schon ein bisschen Ginger Ale bei sich behalten.«

»Erzählen Sie mir von dem Mittagessen am Sonntag. Hatten Sie es selbst gekocht?«

»Ach Gott, nein, ich koche nie. Ich habe schon seit Monaten nicht mehr gekocht. Kannst du dich noch erinnern, Loosie?«

»Ich habe uns eine kalte Platte gemacht, gedünstete Hühnerbrust mit Salat«, sagte sie. Aus der Küche kam das durchdringende Pfeifen des Wasserkessels. Sie entschuldigte sich und eilte hinaus, während Dorothy den Faden übernahm.

»Mir ging es inzwischen besser. Also habe ich mich zu den beiden gesetzt, um ihnen ein wenig Gesellschaft zu leisten. Er klagte über Schmerzen in der Brust, aber ich dachte, das käme vom Magen. Louise war besorgt, aber ich habe ihn noch aufgezogen. Ich habe vergessen, was ich gesagt habe, aber ich war fest davon überzeugt, dass es nichts Ernstes war. Er schob den Teller weg und stand auf. Er presste sich die Hand auf die Brust und rang nach Atem. Er machte zwei Schritte und sackte dann zusammen. Er war gleich tot. Wir haben den Krankenwagen gerufen und erst noch Mund-zu-Mund-Beatmung versucht, aber es hatte keinen Sinn mehr.«

»Mrs. Seine, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber könnten Sie sich vorstellen, einer Autopsie zuzustimmen? Ich weiß, das ist ein schmerzliches Thema, und Sie sehen vielleicht keine Notwendigkeit, aber mir wäre um vieles wohler, wenn wir bezüglich der Todesursache wirklich Gewissheit hätten.«

»Wieso zweifeln Sie daran?«

»Ich frage mich, ob es nicht sein kann, dass jemand... äh... nun ja, an seinem Essen oder seinen Medikamenten herummanipuliert hat.«

Ihre Augen richteten sich mit fast schon leuchtender Klarheit auf mein Gesicht. »Sie glauben, er ist ermordet worden.«

»Ich hätte es gern ausgeschlossen. Das mag völlig unbegründet sein, aber anders werden wir es nie sicher wissen. Wenn er erst einmal beerdigt ist...«

»Ich verstehe«, sagte sie. »Ich würde es gern mit Louise besprechen und vielleicht auch noch mit Morleys Bruder, der heute Abend kommt.«

»Kann ich Sie am späteren Abend nochmals anrufen? Es tut mir Leid, dass ich Sie drängen muss. Ich weiß, das ist eine große Belastung, aber da die Trauerfeier ja schon morgen ist, bleibt nicht mehr viel Zeit.«

»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, sagte sie. »Natürlich können Sie anrufen. Im Augenblick denke ich nicht, dass einer Autopsie etwas im Wege steht.«

»Ich würde gern mit der Gerichtsmedizin sprechen, um die Leute schon mal vorzuwarnen, aber ich möchte nichts ohne Ihre Einwilligung tun.«

»Ich habe nichts dagegen.«

»Wogegen?«, fragte Louise, die gerade mit einem voll beladenen Teetablett durch die Tür kam. Sie setzte das Tablett auf dem Couchtisch ab. Dorothy informierte sie, indem sie die Entscheidungsfrage so knapp und präzise resümierte wie vorhin den anstehenden Prozess.

»Ach, gib ihr doch grünes Licht«, sagte Louise. Sie goss eine Tasse voll und reichte sie mir. »Wenn du es erst mit Frank besprichst, kommt ihr nie zu einem Entschluss.«

Dorothy lächelte. »Das habe ich auch gedacht, aber ich wollte es nicht sagen.« Und zu mir sagte sie: »Tun Sie, was Sie für das Beste halten.«

»Danke.«

 

Detektiv Burt Walker von der Gerichtsmedizin war ein Mann von Anfang vierzig mit schütterem, hellbraunen Haar und einem kurz getrimmten, rotblonden Schnauz- und Backenbart. Sein Gesicht war rund und rötlich, und seine ganze Erscheinung ließ ein skandinavisches Erbteil vermuten. Er trug eine dünne Drahtbrille mit kleinen runden Gläsern. Er war nicht schwer gebaut, wirkte aber wie ein Mann, der mit den Jahren Gewicht ansetzt. Die Pfunde standen ihm gut. Er trug ein braunes Tweed-Jackett, beige Hosen, ein blaues Hemd und einen roten Schlips mit weißen Punkten. Während ich ihm die Umstände erläuterte, saß er vornübergebeugt da, den einen Ellbogen aufgestützt. Seine einzige Reaktion war ein gelegentliches Nicken oder Stirnreiben. Ich legte ihm meine Zweifel dar, konnte aber nicht einschätzen, ob er mich wirklich ernst nahm oder mir nur aus Höflichkeit zuhörte.

Als ich fertig war, sah er mich an. »Was wollen Sie damit sagen?«

Ich zuckte die Achseln. Ich hatte doch Hemmungen, meinen vagen Verdacht unverblümt auszusprechen. »Dass er in Wirklichkeit an irgendeiner Art von Gift gestorben ist.«

»Oder dass es vielleicht ein Gift war, das den tödlichen Herzanfall ausgelöst hat«, sagte Burt.

»Richtig.«

»Hm. Das ist nicht undenkbar«, sagte er langsam. »Klingt, als könnte ihm jemand etwas verabreicht haben. Es besteht wohl nicht die Möglichkeit, dass er es selbst getan hat, weil er verzweifelt oder deprimiert war?«

»Wohl nicht. Seine Frau hat zwar Krebs, aber sie waren vierzig Jahre verheiratet, und er wusste, dass sie ihn brauchte. Er hätte sie nie im Stich gelassen. Soweit ich weiß, hingen Sie sehr aneinander. Wenn er vergiftet wurde, muss es wohl etwas gewesen sein, was er unwissentlich zu sich genommen hat.«

»Haben Sie irgendeine Theorie, um welche Substanz es sich gehandelt haben könnte?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nichts von diesen Dingen. Ich habe mit seiner Frau über seine letzten Lebenstage gesprochen, und die erinnert sich an nichts Besonderes. Nichts Auffälliges oder Verdächtiges. Sie sagt, seine Gesichtsfarbe sei erschreckend gewesen, aber ich habe nicht näher nachgefragt, was sie damit meint.«

»Könnte also schon mal nichts Ätzendes gewesen sein, weil man das sofort merkt«, sagte er. Er seufzte, schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen soll. Ich werde keinen Toxikologen daransetzen, nach einer nebulösen >unbekannten Substanz< zu fahnden. Das geht ins Uferlose. Nehmen Sie nur mal die vielen verschiedenen Arzneimittel, Pestizide, Industrieprodukte... Mannomann... oder auch nur die Chemikalien, mit denen man im Haushalt hantiert. Nach dem, was Sie sagen — mal angenommen, Sie hätten Recht, nur mal theoretisch — , wird das Problem noch dadurch verkompliziert, dass er in so miserabler körperlicher Verfassung war.«

»Haben Sie Morley gekannt?«

Er lachte. »Ja, ich habe Morley gekannt. Prima Kerl, aber er lebte noch immer in den fünfziger Jahren, als man noch dachte, ein halber Liter Alkohol am Tag und drei Päckchen Zigaretten gehörten einfach zum Vergnügen. Bei Leuten wie Morley, deren Leber- und Nierenfunktionen sowieso schon durch Krankheit beeinträchtigt sind, wirken toxische Substanzen jeder Art doppelt stark, weil sie nicht wirksam ausgeschieden werden können, und solche Menschen vertragen daher in der Regel nicht so viel wie ein gesunder Mensch. Ein paar Dinge können wir schon mal ausschließen«, sagte er. »Säuren, Laugen. Wenn ich Sie recht verstehe, hat seine Frau nichts davon gesagt, dass sein Atem auffällig gerochen hätte.«

»Nein, und das hätte sie bestimmt bemerkt. Sie haben es noch mit Mund-zu-Mund-Beatmung versucht und erst dann gemerkt, dass es keinen Sinn hatte.«

»Damit entfallen Zyanid, Paraldehyd, Äther, Disulfid und Nikotinsulfat. Aber das alles könnte man sowieso niemandem heimlich unterjubeln.«

»Arsen?«

»Schon eher. Die Symptome, die Sie schildern, würden ganz gut dazu passen. Nur nicht, dass er sich zwischendurch besser fühlte. Das gefällt mir gar nicht. Zu schade, dass er nicht in der Ambulanz war. Die hätten es rausgefunden.«

»Ich nehme an, da seine Frau so krank ist, wollte er keine Umstände machen«, sagte ich. »Alle hatten die Magen-Darm-Grippe. Er hat wahrscheinlich gedacht, es sei nichts weiter.«

»War es ja vielleicht auch nicht«, sagte Burt. »Aber noch etwas: Wenn es etwas war, was er gegessen hat, und wenn wir annehmen, dass der Magen-Darm-Trakt die Eintrittspforte war, dann ergibt sich ein Zeitraum, in dem sowohl chemische Umwandlungs- als auch Ausscheidungsprozesse stattgefunden haben. Mal ganz allgemein gesagt: Chemische Substanzen, die in einen lebenden Organismus gelangen, werden entweder Stoffwechselprozessen unterzogen oder ausgeschieden oder beides, was bedeutet, dass sich die Menge an nachweisbarem Gift immer weiter reduziert. Das Verdauungssystem tut sein Werk. Zu allem Überfluss kotzt der Mann die Beweismittel auch noch aus. Wenn das Gift rasch tötet, sind bei der Autopsie fast immer noch erhebliche Mengen zu finden. Dass er einbalsamiert wurde, macht es auch nicht besser. Wenn die Konservierungsflüssigkeit in das Kreislaufsystem gespritzt wird und die inneren Organe durchtränkt, schwimmen dem Toxikologen alle Felle davon.«

»Aber würde sich denn trotzdem noch etwas nachweisen lassen?«

»Wahrscheinlich schon. Wir müssten Proben von der Einbalsamierungsflüssigkeit nehmen und mit dem vergleichen, was sich an Fremdstoffen und — Verbindungen in den inneren Organen findet. Ich will Ihnen sagen, was das Beste wäre, wenn es Ihnen wirklich ernst damit ist. Bringen Sie mir sämtliche Haushaltsprodukte, die Sie bei ihm zu Hause finden können. Filzen Sie den Müll auf verdächtige Essensreste. Suchen Sie nach Pillenfläschchen, Rattengift, Kakerlaken-Pulver, Putz- und Desinfektionsmitteln, Insektenvertilger und dergleichen. Ich kann ja mal mit dem Leichenbestatter reden und hören, ob er irgendetwas beizusteuern hat. Diese Leute sind ganz schön gewitzt, wenn sie erst einmal wissen, wonach man sucht.«

»Sie werden es also tun?«

»Na ja, wenn sie die Papiere unterschreibt, werden wir’s einmal versuchen.«

Mich packte Erregung, zu gleichen Teilen mit Angst gemischt. Wenn ich mich irrte, würde ich ziemlich dumm dastehen.

»Warum grinsen Sie so?«, fragte er.

»Ich hätte nicht gedacht, dass Sie mich ernst nehmen.«

»Ich werde dafür bezahlt, dass ich Leute im Zweifelsfall ernst nehme. Sehr oft ergibt sich der Nachweis einer Vergiftung nur dadurch, dass irgendwelche Angehörigen oder Freunde einen vagen Verdacht haben. Wir werden Morley hierher schaffen und ihn uns ansehen.«

»Und die Beerdigung?«

»Die Trauerfeier kann ruhig stattfinden. Wir lassen ihn danach herbringen und machen uns gleich dran.« Er hielt inne und sah mich forschend an. »Haben Sie schon einen Verdacht, wer es war, falls sich herausstellen sollte, dass Sie Recht haben?«

»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, sagte ich. »Ich versuche immer noch herauszukriegen, wer Isabelle Barney umgebracht hat.«

»An Ihrer Stelle würde ich mich nicht zu intensiv bemühen.«

»Wieso?«

»Weil diese Art Neugier Morley vielleicht das Leben gekostet hat.«