10

 

Ich eilte zurück ins Büro und rief Sergeant Hixon an, eine Freundin von mir im Bezirksgefängnis. Sie sah in Curtis McIntyres Haftakte nach und gab mir die Adresse durch, die er seinem letzten Bewährungshelfer genannt hatte. Curtis schien jeweils einen Teil des Jahres von der mietfreien Wohnmöglichkeit zu profitieren, die das Santa Teresa County Sheriffs Department bot — für ihn wahrscheinlich so etwas wie ein Time-Share-Ferienappartment auf Hawaii. Wenn er nicht gerade die Gratis-Mahlzeiten und die Volleyballanlagen der Bezirksstrafanstalt nutzte, bewohnte er offenbar ein Zimmer im Thrifty Motel (»tage-, Wochen-, monatweise... mit Kochgelegenheit«) an der oberen State Street.

Ich parkte meinen VW auf der gegenüberliegenden Straßenseite und musterte das Etablissement, das, wie ein kurzer Überschlag ergab, in bequemer Gehweite des Gefängnisses lag. Curtis brauchte bei der Entlassung noch nicht einmal das Geld für ein Taxi zu berappen. Ich dachte mir, dass er wohl in dem einzigen Zimmer wohnen musste, vor dem kein klappriger Wagen stand. Die übrigen Bewohner verfügten über ein Sortiment von Chevies und zehn Jahre alten Cadillacs, die bevorzugten Vehikel von Auto-Versicherungsbetrügern, was sie ja vielleicht auch waren. Curtis war noch nicht lange genug auf freiem Fuß, um schon wieder illegalen Aktivitäten nachzugehen. Nun ja, vielleicht Verunreinigung städtischer Anlagen, unsittliches Verhalten oder Spucken in der Öffentlichkeit, aber nichts Ernstes.

Das Thrifty Motel wirkte wie eine jener Absteigen, die schon Bonny und Clyde als Unterschlupf dienten. Es war L-förmig, aus Hohlblocksteinen gebaut und in jenem eigentümlichen Grün gestrichen, das Eigelb annimmt, wenn es zu lange gekocht wird. Es hatte insgesamt zwölf Zimmer, jedes mit einer kleinen Eingangsveranda, die kaum größer war als eine Fußmatte. Jemand hatte Stiefmütterchen in lauter Kaffeedosen der gleichen Marke gepflanzt und jeweils zwei oder drei davon um die Treppenstufen arrangiert. Das Büro am Eingang wurde dominiert von einem Cola-Automaten, und die Frontscheibe war mit Faksimiles aller gängigen Kreditkarten bepflastert.

Ich wollte gerade die Straße überqueren und nachsehen, ob er da war, als ich ihn aus genau dem Raum treten sah, den ich ihm im Stillen zugeordnet hatte. Er wirkte ausgeruht und frischrasiert und trug Jeans, ein weißes T-Shirt und eine Jeansjacke. Er fuhr sich mit einem Kamm durchs Haar, das noch duschfeucht war und sich um seine Ohren kringelte. Er rauchte und kaute gleichzeitig Kaugummi, eine herb-frische Duftkomposition für den Atem. Ich ließ den VW an und folgte ihm in einiger Entfernung.

Ich behielt ihn im Auge, während er in westlicher Richtung davonschlenderte und etliche kleinere Geschäfte passierte: eine Pizza-Bude, eine Tankstelle, eine Transporter-Vermietung, einen Laden für Heimwerker- und einen für Gartenbedarf. Dahinter, wo die Straße eine leichte Linkskurve machte, lag ein Bar-Grillrestaurant namens Wander Inn. Die Tür stand offen. Curtis schnippte seine Zigarette auf den Bürgersteig und verschwand im Eingang. Ich fuhr auf den Schotterparkplatz hinter dem Gebäude und parkte auf einem von zehn freien Stellplätzen. Ich ging durch den Hintereingang, vorbei an den Toiletten und an der Küche, wo ich den Mann am Frittierbecken ein Drahtsieb voller goldgelber Pommes frites trockenschütteln sah.

Das Lokal war ganz Plastik und Bierdunst, illuminiert von einem breiten Strahl Tageslicht, das zur Vordertür hereinfiel. Schon um diese Uhrzeit hüllte der Zigarettenqualm alles in einen leichten Nebelschleier wie auf alten Fotos. Das einzig Bunte waren die grellen Grundfarben des Flippers, auf dem eine Barbarella mit riesigen Spitzkegelbrüsten im hautengen Raumanzug und schenkelhohen, gelben Stiefeln breitbeinig auf dem Erdball ritt. Hinter ihr schoss ein großes, rotes, Dildo-förmiges Raumschiff in Richtung Mond.

An der Bar wandten sechs Männer die Köpfe nach mir um, aber Curtis war nicht darunter. Ich sichtete ihn in einer Nische, eine Bierflasche an den Lippen. Sein Adamsapfel ruckte auf und ab wie ein Pumpkolben. Er stellte die leere Flasche auf den Tisch und verharrte einen Moment, um eine Serie dröhnender Rülpser zu produzieren wie ein wütender Seelöwe, der sein Weibchen anbellt.

Eine Kellnerin in weißer Bluse, schwarzen Hosen und Tennisschuhen kam aus der Küche, bewehrt mit einem Tablett mit heißem Essen, das sie zu seinem Tisch trug. Ich wartete, bis sie ihm einen Cheeseburger und einen Berg Pommes frites hingestellt hatte, was er beides mit üppigen Dosen Salz und Ketchup überschüttete. Er türmte Salat, Tomatenscheiben, Gürkchen und Zwiebeln auf den Burger, legte dann die obere Brötchenhälfte wieder darauf und quetschte das ganze Gebilde platt. Zum Abbeißen musste er es mit beiden Händen zum Mund führen. Ich ging zu seiner Nische und schlüpfte ihm gegenüber auf die Bank. Er gab seiner Begeisterung so lebhaft Ausdruck, wie es ihm mit vollem Mund und ketchupverschmierten Lippen möglich war. »Hey, wie geht’s? Ist ja toll! Schön, Sie zu sehen. Ist ja ein Ding. Woher wussten Sie, dass ich hier bin?« Er schluckte den Inhalt seiner Backentaschen hinunter und wischte sich mit einer Papierserviette über die untere Gesichtshälfte. Ich reichte ihm eine zweite Serviette aus dem Spender und beobachtete, wie er sich die Finger abputzte, worauf er prompt darauf bestand, mir die Hand zu schütteln. Ich sah keine höfliche Möglichkeit, dem zu entgehen, obwohl mir klar war, dass meine Hand noch eine Stunde nach Zwiebeln riechen würde.

Ich stützte mich auf die verschränkten Unterarme, um weitere Kontakte im Vorfeld abzubiegen. »Curtis, ich muss mit Ihnen reden.«

»Ich hab Zeit. Möchten Sie ein Bier? Nur zu, ich spendier Ihnen eins.«

Ohne meine Einwilligung abzuwarten, signalisierte er dem Barkeeper seine Bestellung, indem er seine Bierflasche hochhob und zwei Finger in die Luft reckte. »Möchten Sie auch was essen? Bestellen Sie sich was«, sagte er.

»Ich habe gerade gegessen.«

»Na, dann ein paar Fritten. Bedienen Sie sich. Woher haben Sie gewusst, dass ich wieder draußen bin? Das letzte Mal, als wir uns gesehen haben, saß ich noch im Bau. Sie sehen toll aus.«

»Danke. Sie auch. Das war übrigens gestern«, erinnerte ich ihn. Curtis sprang auf und ging hinüber an die Bar, um das Bier zu holen. Während er weg war, aß ich ein paar von seinen Pommes frites. Sie waren handgeschnitten, mit Schale und richtig schön knusprig. Er kam mit dem Bier zurück, und ich sah, wie er Anstalten machte, sich neben mich zu quetschen.

»Nichts da«, sagte ich. Er benahm sich, als seien wir liiert, und die Typen an der Bar äugten neugierig zu uns herüber.

Ich weigerte mich, zur Seite zu rutschen, und er musste sich wohl oder übel wieder auf seinen alten Platz setzen. Er streckte mir ein Bier entgegen und grinste mich fröhlich an. Curtis schien zu glauben, dass ihm an diesem Nachmittag zu all dem schönen Bier, den Zigaretten und den ganzen gesättigten Fettsäuren auch noch eine nette Begegnung im Bett beschieden war. Er stützte das Kinn auf die Faust und probierte es wieder mit dem seelenvollen Hundebaby-Blick. »Sie werden doch nicht so hässlich zu mir sein?«

»Essen Sie auf, Curtis, und sparen Sie sich diesen Hundeblick. Er löst bei mir nur den Wunsch aus, Ihnen mit der zusammengerollten Zeitung einen Klaps zu geben.«

»Verdammt, Sie sind wirklich süß«, sagte er. Die Liebesgefühle schlugen ihm offenbar auf den Appetit. Er schob seinen Teller weg und zündete sich eine Zigarette an. Er offerierte mir einen Zug, als seien wir postkoitale Bettgenossen.

»Ich bin gar nicht süß. Ich bin eine sehr kratzbürstige Person. Könnten wir jetzt vielleicht zur Sache kommen? Ich habe da ein Problem mit der Geschichte, die Sie mir erzählt haben.«

Er runzelte die Stirn, um Ernst zu demonstrieren. »Wieso?«

»Sie sagten, Sie hätten sich den Prozess gegen David Barney angesehen...«

»Nicht den ganzen. Das hab ich ja schon gesagt. Verbrechen sind ja vielleicht was Spannendes, aber die Justiz ist langweilig, finden Sie nicht?«

»Sie sagten, Sie hätten mit David Barney gesprochen, als er gleich nach dem Freispruch aus dem Gerichtssaal kam.«

»Das hab ich gesagt?«

»Jawohl, das haben Sie gesagt.«

»Weiß ich gar nicht mehr. Und was ist das Problem?«

»Das Problem ist, dass Sie zu dem Zeitpunkt im Gefängnis saßen und auf Ihre Anklagevernehmung wegen Einbruchs gewartet haben.«

»Neee«, sagte er ungläubig. »Ich war im Knast?«

»Jawohl, das waren Sie.«

»Na gut, Treffer. Da haben Sie mich drangekriegt. Hatte ich ganz vergessen. Ich hab da wohl mit dem Datum was durcheinander gebracht, aber der Rest ist die reine Wahrheit.« Er hob die Hand, als wolle er einen Eid ablegen. »Ich schwör’s bei Gott.«

»Sparen Sie sich den Quatsch, Curtis, und sagen Sie mir, was hier abläuft. Sie haben nie mit ihm geredet. Das ist doch alles erstunken und erlogen.«

»Moment. Warten Sie mal. Ich hab mit ihm geredet. Es war nur nicht da, wo ich gesagt hab.«

»Wo dann?«

»Bei ihm zu Hause.«

»Sie waren bei ihm zu Hause? Das ist doch Blödsinn. Wann soll das denn gewesen sein?«

»Weiß nicht. Ein paar Wochen nach dem Prozess.«

»Ich dachte, da saßen Sie noch im Gefängnis.«

»Nee, da war ich schon wieder draußen, ganz legal und normal. Mein Anwalt hat einen Deal rausgehandelt. Ich hab mich... wie sagt man noch mal? Der geringfügigeren Straftat schuldig bekannt.«

»Sparen Sie sich das Wortgeklingel, und erzählen Sie mir, wie es kam, dass Sie zu David Barney nach Hause gegangen sind. Haben Sie ihn angerufen oder er Sie?«

»Weiß ich nicht mehr.«

»Sie wissen es nicht mehr?«, äffte ich ihn in beißendem Ton nach. Ich wurde allmählich grob, aber Curtis schien es gar nicht zu merken. Er war es vermutlich gewohnt, so behandelt zu werden — von all den wenig zart fühlenden Vertretern der Staatsanwaltschaft, mit denen er im Zuge seiner kurzen, glanzvollen Karriere zu tun gehabt hatte.

»Ich hab ihn angerufen.«

»Wie sind Sie an seine Telefonnummer gekommen?«

»Über die Auskunft.«

»Was hat Sie dazu bewogen, sich mit ihm in Verbindung zu

setzen?«

»Ich dachte, er hat bestimmt nicht viele Freunde. Ich kenn das ja. Wenn man mal mit dem Gesetz in Konflikt kommt, wollen die Leute nichts mehr von einem wissen. Mit einem Knastbruder wollen sie nichts zu tun haben.«

»Und da dachten Sie sich, er hätte einen Freund nötig und der würden Sie sein. Und wie geht die Geschichte weiter?«

Er guckte verlegen und hatte immerhin den Anstand, sich ein bisschen zu winden. »Na ja, ich wusste ja, wo er wohnt — draußen in Horton Ravine. Und da hab ich mir gedacht, ein Essen oder ein paar Drinks würden allemal dabei rausspringen. Wir waren ja schließlich Zellengenossen, und ich dachte, er würde mich auf jeden Fall höflich behandeln.«

»Sie sind zu ihm gegangen, um ihn anzupumpen«, sagte ich.

»So könnte man es sagen.«

Das war bislang der einzige Satz aus seinem Mund, der aufrichtig klang.

»Ich war gerade aus dem Knast gekommen. Ich hatte so gut wie nichts auf der Kralle, und dieser Typ hatte jede Menge Kohle. Er ist stinkreich...«

»Schon gut. Das können Sie sich schenken. Beschreiben Sie das Haus.«

»Er hat zu der Zeit in dem Haus von seiner toten Frau gewohnt — dort oben auf dem Hügel, so ein spanisches Ding, mit einem Innenhof und so einer Terrasse mit einem Pool, der so schwarz...«

»Alles klar. Weiter.«

»Ich klingle. Er ist da, und ich sag, ich war gerade in der Gegend und wollte mal reinschauen, um ihm zu gratulieren, dass er aus dieser Mordsache rausgekommen ist. Er sagt, ich soll doch reinkommen, und wir kippen ein paar Drinks...«

»Was haben Sie getrunken?«

»Er hat sich so ein Weibergesöff gemixt, Wodka-Tonic mit irgendwas. Ich hatte Bourbon, mit einem kleinen Schuss Wasser. Klasse-Bourbon, muss ich echt sagen.«

»Sie haben also getrunken...«

»Genau. Wir haben uns ein paar hinter die Binde gegossen, und er hat der Frau in der Küche gesagt, sie soll uns was zu knabbern bringen. Dieses grüne Zeug. Guacamole und Salsa und solche dreieckigen Chips, die so grau sind. Ich hab ihn gefragt: >Was zum Teufel ist das?< und er hat gesagt: >Das sind blaue Mais-Tortilla-Chips<. Sahen aber mehr grau aus, wenn Sie mich fragen. Wir haben rumgesessen und getrunken und geredet, bis es fast Mitternacht war.«

»Was war mit dem Abendessen?«

»Gab kein Abendessen. Nur das Knabberzeug, deshalb waren wir ja so blau.«

»Und was war dann?«

»Dann hat er das gesagt — dass er sie umgelegt hat.«

»Was genau hat er gesagt?«

»Er hat gesagt, er hat geklingelt und sie ist runtergekommen und hat das Licht über der Tür angeknipst. Er hat gewartet, bis er kein Licht mehr durch den Spion gesehen hat, weil sie das Auge dran hatte. Dann hat er losgeballert. Bumm!«

»Warum haben Sie mir das nicht gleich erzählt?«

»Ich dachte, das kann ich nicht bringen«, sagte er im Brustton moralischer Überzeugung. »Ich meine, ich bin doch hingegangen, um ihn zu fragen, ob er mir Geld leiht. Ich wollte nicht, dass es so aussieht, als ob ich sauer auf ihn wär, weil er mich abgewimmelt hat. Hätte mir doch keiner geglaubt, wenn ich die Sache so erzählt hätte. Außerdem war er ja nett zu mir, und ich wollte nicht als hinterfotziger Arsch dastehen — entschuldigen Sie mein Französisch.«

»Wieso hätte er zugeben sollen, dass er sie getötet hat?«

»Wieso nicht? Wenn er mal freigesprochen ist, können sie ihn doch nicht noch einmal vor Gericht stellen.«

»Nicht vor ein Strafgericht.«

»Na und? Was juckt ihn ein blöder Zivilprozess?«

»Und Sie sind bereit, das vor Gericht zu wiederholen?«

»Von mir aus.«

»Sie werden unter Eid aussagen müssen«, sagte ich, um sicherzustellen, dass ihm wirklich klar war, worum es ging.

»Ich weiß. Nur...«

»Nur was?«

»Ich hätt gern ein bisschen was dafür«, sagte er.

»Wie meinen Sie das?«

»Na ja, eine Hand wäscht die andere.«

»Geld wird Ihnen niemand dafür geben.«

»Ich weiß. Ich mein auch nicht Geld.«

»Was denn?«

»Ich hätt gern einen kleinen Nachlass bei meiner Bewährung, so was in der Art.«

»Curtis, ein Geschäft ist nicht drin. Das steht überhaupt nicht in meiner Macht.«

»Ich hab ja nichts von Geschäft gesagt, aber eine kleine Anerkennung könnt ich gebrauchen.«

Ich sah ihn lange und ernst an. Warum glaubte ich nichts von dem, was er mir erzählte? Weil er aussah wie jemand, der die Wahrheit nicht einmal erkennen würde, wenn sie ihn ansprang. Ich weiß nicht, was mich zu meiner nächsten Frage trieb. »Curtis, sind Sie je wegen Meineids drangekriegt worden?«

»Meineid?«

»Verdammt noch mal! Sie wissen genau, was Meineid ist. Beantworten Sie einfach meine Frage, und lassen Sie uns weitermachen.«

Er kratzte sich am Kinn und sah mir nicht ganz in die Augen. »Drangekriegt nicht.«

»Ach, zum Teufel noch mal«, sagte ich.

Ich zwängte mich aus der Sitzbank, wandte mich ab und marschierte in Richtung Hinterausgang. Ich hörte, wie er aufsprang. Ich drehte mich kurz um und sah, wie er ein paar Scheine auf den Tisch warf und mir nachsetzte. Ich trat auf den Parkplatz, wobei mich die grelle Sonne, die auf den weißen Kies knallte, kurz zurückzucken ließ.

»Hey! Halt, warten Sie! Ich sag Ihnen die Wahrheit.«

Er griff nach mir, und ich zog meinen Arm weg. »Sie werden im Zeugenstand ein schwaches Bild abgeben«, sagte ich, ohne meine Schritte zu drosseln. »Sie haben eine Menge auf dem Kerbholz, unter anderem auch Meineidsgeschichten.«

»>Geschichten< nicht. Nur eine. Na ja, zwei, wenn man diese andere Sache mitzählt.«

»Ich will nichts mehr hören. Sie haben Ihre Geschichte schon einmal umgemodelt. Und Sie werden es wieder tun, wenn Sie das nächste Mal gefragt werden. Barneys Anwalt wird Sie auseinander nehmen.«

»He, ich kapier nicht, warum Sie so von mir denken«, sagte er. »Nur, weil ich einmal gelogen hab, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht auch die Wahrheit sagen kann.«

»Sie können Lüge und Wahrheit noch nicht mal unterscheiden, Curtis. Das ist es, was mir Sorge macht.«

»Ich kann unterscheiden.«

Ich schloss meinen Wagen auf, öffnete die Tür und kurbelte das Fenster herunter, um den Luftwiderstand beim Zumachen zu reduzieren. Ich stieg ein und klappte die Tür zu, wobei ich um ein Haar seine Hand eingeklemmt hätte, die auf dem Rahmen ruhte. Ich öffnete das Handschuhfach, nahm eine meiner Visitenkarten heraus und warf sie ihm durchs Fenster zu. »Rufen Sie mich an, wenn Sie sich entschlossen haben, die Wahrheit zu sagen.«

Ich ließ den Wagen an und preschte, Staub und Kies hinter mir aufwirbelnd, vom Parkplatz.

Ich fuhr zurück zum Büro, das Radio voll aufgedreht. Es war fünf nach halb vier und natürlich gebührenpflichtige Parkzeit. Ich dachte nicht daran, dass Lonnies Parkplatz frei sein musste, da er ja in Santa Maria war. Ich kurvte durch die Gegend, bei jeder Runde ein Stück weiter weg, um eine Parklücke in noch einigermaßen zumutbarer Entfernung zu finden. Schließlich fand ich ein etwas fragwürdiges Plätzchen, wo meine hintere Stoßstange in eine Einfahrt ragte. Damit riskierte ich zwar einen Strafzettel, aber vielleicht hatten die Politessen ja schon Feierabend.

Den Rest des Nachmittags verbrachte ich mit Kleinkram. Mein Termin mit Laura Barney war zwar erst in einer Stunde, aber im Grunde schlug ich nur die Zeit tot, während ich auf eine Möglichkeit lauerte, mit Lonnie zu reden, der, wie Ida Ruth mir wiederholt versicherte, im Moment leider nicht erreichbar war. Ich lungerte in der Nähe ihres Schreibtischs herum, um auf jeden Fall zur Stelle zu sein, falls er zufällig anrufen sollte. »Er ruft nie an, wenn er zu tun hat«, sagte sie geduldig.

»Rufen Sie ihn jemals an?«

»Wenn ich klug bin, nicht. Er wird sehr ärgerlich, wenn ich’s tue.«

»Meinen Sie nicht, er würde es gerne wissen wollen, wenn sich sein Hauptzeuge als Niete entpuppt?«

»Was hat er davon? Jetzt ist diese Sache dran. Er ist mit anderen Dingen beschäftigt. Ich arbeite seit sechs Jahren für ihn, und allmählich kenne ich ihn. Ich kann ihm eine Nachricht hinterlassen, aber er wird sie einfach ignorieren, bis dieser Prozess vorbei ist.«

»Und was soll ich tun, bis er wieder da ist? Ich kann es mir nicht leisten, Zeit zu verplempern, und ich hasse Leerlauf.«

»Tun Sie, was Sie wollen. Ihn werden Sie vor Montag früh um neun garantiert nicht erreichen.«

Ich sah auf meine Uhr. Es war immer noch Mittwoch, 16 Uhr 05. »Ich habe in einer halben Stunde einen Termin beim St.-Terry-Krankenhaus. Danach werde ich dann wahrscheinlich nach Hause fahren und putzen«, sagte ich.

»Wieso putzen? Das sieht Ihnen gar nicht ähnlich.«

»Ich mache alle drei Monate Großputz. Das ist ein Ritual, das ich von meiner Tante übernommen habe. Sämtliche Teppiche klopfen, Bettwäsche an der Luft trocknen...«

Sie sah mich angewidert an. »Warum machen Sie nicht eine schöne Wanderung in den Los Padres?«

»Ich treibe mich nicht in der freien Natur rum, wenn ich es irgendwie vermeiden kann, Ida Ruth. Dort oben in den Bergen gibt es Zecken, so groß wie Wasserwanzen. Wenn einen so ein Biest am Knöchel erwischt, saugt es einem das ganze Blut aus dem Leib. Und außerdem kriegt man vermutlich auch noch die Beulenpest.«

Sie lachte und machte eine wegwerfende Handbewegung.

Schließlich räumte ich diversen Kleinkram von meinem Schreibtisch und schloss hinter mir ab. Ich war gespannt auf David Barneys Ex-Frau, rechnete aber nicht damit, dass sie mich besonders weiterbringen würde. Ich ging die Treppe hinunter und marschierte die dreieinhalb Blocks zu meinem Wagen. Erfreulicherweise steckte kein Strafzettel an der Windschutzscheibe. Unerfreulicherweise sprang der Motor nicht an, als ich den Anlasser betätigte. Ich brachte ihn zwar dazu, ein eifrig bemühtes, mahlendes Geräusch von sich zu geben, aber er kriegte einfach nicht die Kurve.

Ich stieg aus, ging zum Fleck und öffnete die Motorklappe. Ich starrte auf den Motor, als wüsste ich, was ich da vor mir hatte. Das einzige Teil der Auto-Innereien, das ich identifizieren kann, ist der Keilriemen, und der schien ganz okay. Ich bemerkte, dass irgendwelche kleinen Dinger von einem runden Etwas abgegangen waren. Ich sagte: »Oh«, und stöpselte sie wieder fest. Ich wollte gerade wieder einsteigen, als ein Wagen halb in die Einfahrt einbog und stehen blieb. Ich betätigte erneut den Anlasser, und der Motor sprang an.

»Kann ich was helfen?« Der Mann am Steuer hatte sich über den Vordersitz gebeugt und kurbelte das Beifahrerfenster hinunter.

»Nein, danke. Schon in Ordnung. Versperre ich Ihnen die Einfahrt?«

»Kein Problem. Ist ja Platz genug. Was ist es denn? Die Batterie? Soll ich es mir mal ansehen?«

Was sollte das? Der Motor lief. Ich brauchte keine Hilfe. »Danke, aber ich habe schon alles im Griff«, sagte ich. Um meine Worte zu unterstreichen, gab ich Gas. Ich schaltete in den Leerlauf, ratlos, was ich tun sollte. Ich konnte nicht vorwärts ausparken wegen des Wagens vor mir. Rückwärts setzen konnte ich auch nicht, weil mir sein Wagen den Weg versperrte.

Er stellte seinen Motor ab und stieg aus. Ich ließ meinen weitertuckern und überlegte, ob mir wohl noch Zeit blieb, mein Fenster hochzukurbeln, ohne allzu unfreundlich zu erscheinen. Er wirkte allerdings eher harmlos, obgleich mir sein Gesicht irgendwie bekannt vorkam. Ein nett aussehender Mann, Ende vierzig, mit hellbraunem, welligem Haar, an den Schläfen schon leicht ergraut. Gerade Nase, energisches Kinn. Kurzärmliges T-Shirt, legere Hose, die Füße barfuß in Segeltuchschuhen.

»Wohnen Sie hier in der Gegend?«, fragte er höflich.

Ich kannte diesen Mann. Ich spürte, wie mein Lächeln erschlaffte. Ich sagte: »Sie sind David Barney.«

Er legte den Arm auf mein Wagendach und beugte sich an mein Fenster. Ich spürte, wie dieser Mann auf subtile Weise in mein Terrain eindrang, obgleich er sich nach wie vor freundlich verhielt. »Hören Sie, ich weiß, das gehört sich nicht. Mir ist klar, dass ich mich danebenbenehme, aber wenn Sie mir nur fünf Minuten zugestehen, werde ich Sie nie wieder belästigen.«

Ich musterte ihn kurz, während ich auf mein inneres Alarmsystem lauschte. Kein Klingeln, kein Heulen, kein Warnzeichen. Am Telefon war mir dieser Kerl gegen den Strich gegangen, aber jetzt, leibhaftig und von Nahem besehen, schien er ein ganz normaler Mensch zu sein. Es war helllichter Tag in einem anständigen, bürgerlichen Wohnviertel. Er schien nicht bewaffnet. Was sollte er schon wollen? Mich auf offener Straße niederschießen, einen Monat vor seinem Prozess? Im Moment hatte ich keine Ahnung, wie meine Ermittlungen weiterlaufen sollten. Vielleicht würde er mir ja irgendeine Inspiration liefern. Ich überdachte kurz die professionelle Seite. Nach dem anwaltlichen Standesrecht ist es einem Anwalt untersagt, direkt mit dem »Mandanten der Gegenseite« zu kommunizieren. Privatdetektive unterliegen diesen strengen Bestimmungen jedoch nicht.

»Fünf Minuten«, sagte ich. »Dann muss ich zu einem Termin.« Ich erzählte ihm nicht, dass es sich um ein Treffen mit seiner Ex-Frau handelte. Ich stellte den Motor ab und blieb bei halb heruntergekurbeltem Fenster in meinem Wagen sitzen.

Er schloss die Augen und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Danke«, sagte er. »Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Sie das tun würden. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll«, erklärte er. »Zuerst muss ich Ihnen etwas gestehen. Ich habe Ihre Verteilerkappen abgezogen. Das war eine List, und ich entschuldige mich vielmals. Aber ich dachte, anders würde ich Sie nie dazu kriegen, mit mir zu reden.«

»Da lagen Sie richtig«, sagte ich.

Er sah die Straße hinunter und schüttelte den Kopf. »Ist es Ihnen schon mal passiert, dass Sie Ihre Glaubwürdigkeit verloren haben? Das ist ein verblüffendes Phänomen. Da sind Sie ihr Leben lang ein unbescholtener Bürger gewesen, der brav seine Steuern und Rechnungen bezahlt, und auf einmal zählt das nichts mehr, und alles, was Sie sagen, kann gegen Sie verwendet werden. Das ist verrückt...«

Ich driftete kurz ab, weil ich daran denken musste, wie vor gar nicht langer Zeit meine eigene Glaubwürdigkeit plötzlich dahin gewesen war und ich von derselben Firma, die mir sechs Jahre lang in allem vertraut hatte, der Annahme von Bestechungsgeldern verdächtigt worden war.

»...habe ich wirklich geglaubt, es sei vorbei. Ich dachte, ich hätte das Schlimmste hinter mir, als ich in dem Strafprozess freigesprochen worden bin. Ich habe kaum mein Leben wieder, und jetzt soll mir alles entzogen werden, was ich besitze. Ich lebe wie ein Aussätziger. Ich bin geächtet...« Er richtete sich auf. »Ach, verdammt, lassen wir das«, sagte er. »Ich will kein Mitleid.«

»Was wollen Sie dann?«

»An Ihren Gerechtigkeitssinn appellieren. Dieser McIntyre, Ihr Informant...«

»Woher wissen Sie den Namen?«

»Mein Anwalt hat seine Aussage vorliegen. Ich war völlig am Boden, als ich hörte, was dieser Mensch da erzählt.«

»Es ist mir nicht möglich, mit Ihnen darüber zu debattieren, Mr. Barney. Ich hoffe, Sie verstehen das.«

»Ich weiß. Das verlange ich ja auch gar nicht. Ich bitte Sie lediglich inständig, sich das Ganze noch einmal zu überlegen. Selbst wenn er tatsächlich damals nach dem Urteil im Gerichtsgebäude gewesen sein sollte, wieso hätte ich so etwas zu ihm sagen sollen? Ich müsste ja verrückt sein. Kennen Sie diesen... wie heißt er doch gleich, Curtis? Ich war mit dem Mann noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden in einer Zelle zusammen. Der Kerl ist ein schmieriger kleiner Gauner. Er kommt nach dem Freispruch zu mir, und ich gestehe ihm, dass ich den Mord begangen habe? Das ist doch Irrsinn. Er ist ein Wirrkopf. Sie können ihm das doch nicht abnehmen.«

Ich spürte den absurden Drang, Curtis in Schutz zu nehmen. Ich konnte Barney unmöglich erzählen, dass der Informant seine Geschichte revidiert hatte. Curtis’ Aussage konnte uns immer noch nützlich sein, falls wir je dahinter kommen sollten, was wirklich los war. Ich hatte nicht vor, mich auf eine Diskussion über die Details seiner Geschichte einzulassen, so wacklig sie auch scheinen mochte. »Das ist kein besonders gutes Argument«, sagte ich.

Barney fuhr fort: »Denken Sie nur mal darüber nach. Bitte. Wirkt er auf Sie wie der Typ, dem ich meine schwärzesten Geheimnisse anvertrauen würde? Das ist doch ein abgekartetes Spiel. Jemand bezahlt ihn dafür, dass er das sagt.«

»Kommen Sie auf den Punkt. Diese Sache mit dem abgekarteten Spiel ist doch kalter Kaffee. Davon will ich nichts hören.«

»Okay, schon gut. Ich verstehe Ihren Standpunkt. Das war auch nicht das, was ich wollte«, sagte er. »Ich habe es am Telefon schon angesprochen — die Sache mit diesem Shine. Ich war fix und fertig, als ich hörte, dass er tot ist. Das war ein echter Schock für mich, glauben Sie mir. Ich weiß, Sie haben mir das in dem Moment nicht abgenommen, aber es ist wirklich wahr. Ich habe letzte Woche mit ihm gesprochen und ihm dasselbe erzählt, was ich Ihnen jetzt erzähle. Er meinte, er wollte ein paar Sachen überprüfen. Ich dachte, der Mann könnte mir vielleicht helfen. Als ich hörte, dass er gestorben ist, bin ich wirklich erschrocken. Ich habe das Gefühl, dass ich mit einem unsichtbaren Gegner Schach spiele, und er hat gerade einen Zug gemacht. Ich werde immer weiter in die Enge getrieben und sehe keinen Ausweg.«

»Moment mal. Dachten Sie, Morley Shine könnte etwas erreichen, was Ihr Anwalt nicht fertig bringt?«

»Foss mit dieser Sache zu betrauen war ein Riesenfehler. Zivilprozesse interessieren ihn nicht. Vielleicht ist er ja ausgebrannt, oder er ist es einfach leid, mich zu vertreten. Er verfährt strikt nach Schema und tut, soweit ich sehe, nur das allgemein Übliche. Er hat einen Ermittler drangesetzt — einen von diesen Burschen, die einen Haufen Papierkram produzieren, aber nichts Vertrauen Erweckendes tun.«

»Warum entziehen Sie ihm dann nicht das Mandat?«

»Weil man mir dann nur vorwerfen würde, ich wollte das Verfahren sabotieren. Außerdem habe ich kein Geld mehr. Das bisschen, was mir noch bleibt, geht für meinen Anwalt und die laufenden Kosten für das Haus drauf. Ich weiß nicht, was Kenneth Voigt glaubt, was bei der Sache für ihn rauskommt, selbst wenn sein Plan aufgeht.«

»Ich bin nicht bereit, mit Ihnen über die juristische Sachlage zu diskutieren. Das ist sinnlos, Mr. Barney. Ich verstehe, dass Sie Probleme haben...«

»Hey, Sie haben ja Recht. Ich wollte das auch gar nicht im Einzelnen aufrollen. Der Punkt ist der: Wenn die Sache vor Gericht kommt, springt nichts dabei raus als ein Haufen Geld für die beiden Anwälte. Aber Voigt wird nicht lockerlassen. Der Kerl will Blut sehen und würde sich nie mit einem Handschlag und einem dicken Scheck zufrieden geben, selbst wenn ich das Geld hätte. Aber ich will Ihnen eins sagen — ich habe etwas anderes, und zwar ein Alibi.«

»Ach, wirklich«, sagte ich ungerührt.

»Ja, wirklich«, sagte er. »Es ist nicht absolut wasserdicht, aber immerhin ganz schön solide.«

»Warum ist dieses Alibi im Strafprozess nicht auf den Tisch gekommen? Ich habe die Protokolle gelesen. Ich erinnere mich nicht, dass da je von einem Alibi die Rede gewesen wäre.«

»Dann sollten Sie sich vielleicht hinsetzen und die Protokolle erneut lesen. Da steht die Aussage nämlich schwarz auf weiß drin. Ein gewisser Angeloni. Er hat bezeugt, dass ich meilenweit vom Tatort weg war.«

»Und Sie selbst haben nie zu Ihrer Entlastung ausgesagt?«

Er schüttelte den Kopf. »Foss hat es mir nicht erlaubt. Er wollte nicht, dass die Anklage mich auseinander nimmt, und das war ja ganz geschickt so. Er meinte, es wäre >kontraproduktiv<, wenn ich in den Zeugenstand träte. Wahrscheinlich dachte er, ich würde einen schlechten Eindruck auf die Geschworenen machen.«

»Warum erzählen Sie mir das alles?«

»Um die Sache abzubiegen, ehe es zum Prozess kommt. Die Uhr tickt. Die Zeit ist knapp. Ich denke, es ist meine einzige Chance, dafür zu sorgen, dass Lonnie Kingman weiß, welche Karten wir in der Hand halten. Vielleicht kann er mit Voigt reden und ihn dazu bringen, die Klage zurückzuziehen.«

»Dann soll Herb Foss mit Lonnie reden! Dazu sind Anwälte doch da.«

»Ich habe ihn ja darum gebeten. Aber der Kerl verschaukelt mich nur. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es Zeit ist, ihn einfach zu umgehen.«

»Heißt das, Sie wollen mir verraten, was Ihre Verteidigung in der Hinterhand hat?«

»Ganz recht.«

»Sind Sie lebensmüde?«

»Ich habe Ihnen ja gesagt, ich bin verzweifelt. Ich stehe das nicht noch einmal durch. Sie brauchen sich ja nicht auf mein Wort zu verlassen. Prüfen Sie die Fakten selbst nach«, sagte er. »Also, wollen Sie mich anhören oder nicht?«

Das Einzige, was ich wollte, war, meine Stirn gegen das Steuerrad zu schlagen, bis sie blutete. Vielleicht würde mir ja der Schmerz helfen, wieder klar zu denken. Aber ich muss gestehen, er hatte mich am Haken. Zumindest wäre es für Lonnie von großem Vorteil, Herb Foss’ Strategie zu kennen, oder nicht? »Herrgott, meinetwegen. Schießen Sie los«, sagte ich.