12

Es war wirklich eng in der Kellerwohnung, die der Hausbesitzerin früher als Gästesuite gedient hatte. Almut und Reinhard schliefen in dem kleinen Schlafzimmer, Reinhards Vater auf der Wohnzimmercouch. Wohin nun mit Janna-Berta?

Man fand keine bessere Lösung, als eine Matratze in den Flur zu legen. Aber noch war keine überzählige Matratze da. So legte sich Reinhard in der ersten Nacht zu seinem Vater auf die Couch, und Janna-Berta kam bei Almut unter.

Die beiden schliefen lange nicht, obwohl Janna-Berta nach der langen Fahrt todmüde war. Sie erzählte Almut von der Schule und von Helga und der Perücke. Nach einigem Zögern auch von Elmars Tod.

»Es ist gut, daß du gekommen bist«, sagte Almut. »Ich hätte dich gleich mitnehmen sollen. Unser Leben hier ist zwar ein einziges Provisorium – aber vielleicht ist es gerade das, was du jetzt brauchst.«

»Ich brauch keine geordneten Verhältnisse«, flüsterte Janna-Berta. »Nichts von dem, was ich in Hamburg hatte.«

»Schau halt, wie du mit uns klarkommst«, sagte Almut. »Wir selber versuchen, uns nicht gegenseitig auf die Nerven zu fallen. Was wir dir bieten können, ist der schwache Trost, daß auch wir manchmal verzweifelt sind und nicht weiterwissen – und daß du hier ›Scheiße‹ sagen kannst, wann immer dir danach ist.«

Mit einem Gefühl von Geborgenheit schlief Janna-Berta ein, träumte nichts und wachte auch nicht auf, als ihr Almut, in einem Angsttraum wild um sich schlagend, gegen das Schienbein trat.

 

Sie wollte sich den anderen gern nützlich machen. Aber sie kam gar nicht dazu, nach Arbeit zu fragen. Gleich am nächsten Morgen nahm Reinhards Vater sie mit. »Paps«, wie ihn alle nannten, hatte die Küche übernommen und machte die Einkäufe, während Reinhard unterrichtete und Almut für eine neugegründete »Notgemeinschaft der Atomgeschädigten« unterwegs war. Paps unterwies Janna-Berta, welche Lebensmittel man unbedenklich essen konnte, auf welche Stempel und Aufdrucke man achten mußte, welchen Geschäften man trauen durfte.

»Wir halten uns an Reis«, sagte er. »Morgens, mittags, abends Reis. Alles übrige ist nur ein Drumrum. Wenn man sich erst dran gewöhnt hat, geht das ganz gut. Reis ist zwar doppelt so teuer wie früher, aber gerade noch erschwinglich. Mit Fleisch haben wir ganz Schluß gemacht. Zu riskant. Die versuchen immer wieder, einem das verseuchte Zeug anzudrehen, und das Fleisch aus Argentinien und Brasilien ist zu teuer.«

»Wozu das alles?« fragte Janna-Berta verwundert. »Wir sind doch längst verseucht!«

»Stimmt«, sagte Paps. »Aber wir feilschen um jeden Tag. Und dabei zählt jeder saubere Salatkopf.«

Das leuchtete ihr ein. Sie bemühte sich, seine Ratschläge zu behalten und sich die Läden, in denen er kaufte, einzuprägen. »Vor allem«, sagte er, »trau den Behörden nicht.«

Janna-Berta nickte. Sie mochte ihn. Sein Gesicht war braungebrannt von der Arbeit im Freien. Der weiße Haarschopf ließ es noch dunkler erscheinen. Daß Paps nachts laut schnarchte, verzieh sie ihm.

Auf dem Postamt gab sie eine Karte an Helga auf. Almut und Reinhard hatten darauf bestanden. Dann kaufte Paps ihr eine Luftmatratze.

Zurück vom Einkauf, kochten sie zusammen ein Gericht, das in keinem Rezeptbuch zu finden war: indischen Reis mit kolumbianischen Bohnen. Reinhard und Almut fanden es genießbar, obwohl ein paar Bohnen noch hart waren. Paps meinte, wenn sie noch hart seien, könne es sich nicht um Bohnen handeln. Vielleicht seien es Gewehrkugeln. Janna-Berta registrierte verblüfft, daß gelacht wurde. Hier wurde oft und gern gelacht. Aber es dauerte ein paar Tage, bis sie mitlachte.

 

Janna-Berta schrieb für Almut Adressen auf Stapel von Briefumschlägen, sie begleitete sie auf Behördengängen, tippte mit zwei Fingern Briefe für sie, nahm ihr die Wäschewascherei ab und putzte mit ihr zusammen die Wohnung. Sie half beim Sammeln von Spenden für die Einrichtung eines Hibakusha-Zentrums und bekam mehr gespendet als Almut.

»Das macht dein Kopf«, sagte Paps. »Wer dir begegnet, ist dankbar dafür, daß er besser weggekommen ist.«

Als sich Paps tagelang mit einem hartnäckigen Durchfall herumquälte, übernahm Janna-Berta das Kochen, bis auch für Reinhard das Schuljahr zu Ende ging. Reinhard kochte gern und gut. Aber Almut brauchte ihn auch beim Einrichten des Zentrums.

»Da wird es eine Rechtsberatung und eine ärztliche Beratung und einen Beistand für allen Formalitätenkram geben, und bei der Wohnungsbeschaffung werden wir helfen, und eine Kopie der Suchkartei wird ausliegen –«, schwärmte sie. »Wer will, kann auch einfach nur Zeitungen lesen oder sich mit Leuten treffen – oder sich mal ordentlich ausheulen.«

Bis sie irgendwann einmal wieder als Lehrerin würde arbeiten können, wollte sie sich ganz dem Zentrum widmen. Es sollte mit einer großen Kundgebung und einem Treffen aller Hibakusha, die im Rhein-Main-Gebiet Unterkunft gefunden hatten, eröffnet werden. Almut sprühte vor Ideen für das Programm dieses Tages. »Wer dabei war, soll mit neuer Hoffnung heimfahren«, sagte sie, »und sich vor allem nicht mehr allein fühlen.«

Paps fand, daß sie genug Optimismus für alle habe. Aber Janna-Berta kannte sie auch anders: Gegenüber denen, die alles gelassener nahmen, wurde sie oft ungeduldig.

»Ihr macht mich verrückt mit eurer Ruhe!« schimpfte sie einmal mit Reinhard und seinem Vater. »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, und ihr laßt euch auf einen Stuhl fallen und seht euch das Getriebe an, bevor ihr euch zu irgendwas bequemt!«

»Ich hab nicht vor, mein Uhrwerk zu überdrehen«, gab ihr Reinhard zur Antwort.

Das machte sie noch wütender. Im Zorn gingen sie fort, zum Zentrum. Aber am Abend kamen sie einträchtig und gutgelaunt heim.

»Pack schlägt sich, Pack verträgt sich«, sagte Paps.

Janna-Berta bewunderte Almut: wie sie trotz des Verlusts, den sie erlitten hatte, den Kopf zurückwarf und lachte, wie sie unermüdlich für andere unterwegs war, wie sie sich mit den Behörden stritt und Rechte für die Überlebenden ihres Umkreises erzwang, und mit welcher wilden Hoffnungslosigkeit sie sich manchmal auf die Couch warf und »Hat doch alles keinen Zweck! Ich geb's auf!« rief – um sich tags darauf mit der größten S elbstverständlichkeit weiterzumühen.

»Wolltest du nicht alles hinschmeißen?« fragte Janna-Berta beim ersten Mal erstaunt.

»Was geb ich auf mein dummes Geschwätz von gestern«, sagte Almut leichthin und lief zum Bus.

Anfangs hatte die Hausbesitzerin einige Male gegen Janna-Bertas Anwesenheit gewettert. Ihre Stimme hatte durch das Treppenhaus gehallt. Janna-Berta hatte ihr antworten wollen, aber Paps hatte ihr davon abgeraten.

»Pflück ihr einen Blumenstrauß«, hatte er gemeint. »Wenn sie etwas besänftigen kann, dann am ehesten so was. Man muß sie auch zu verstehen versuchen. Für sie sind wir die Katastrophe.«

Janna-Berta pflückte hinter den Wartturm-Kastanien einen Feldblumenstrauß, den Paps einmalig schön fand, und brachte ihn der Hausbesitzerin hinauf. Das Gesicht der alten Dame verfinsterte sich, als sie die Tür öffnete. Aber sie nahm den Strauß an. Mit einem unsicheren Blick auf Janna-Bertas Kopf bedankte sie sich knapp und schloß die Tür. Seitdem schimpfte sie jedenfalls nicht mehr durchs Treppenhaus herunter.

 

Ein paar Tage später kam Almut auffallend still nach Hause. Sie hatte eine ehemalige Kollegin in einem Frankfurter Krankenhaus besuchen wollen, aber sie war zu spät gekommen.

»Leukämie«, sagte sie, »viel zu spät entdeckt.«

Janna-Berta erfuhr, daß die Frau zwei kleine Mädchen von drei und fünf Jahren hinterließ. Sie hatte – wie Almut – in Bad Kissingen gewohnt und auch in Hammelburg unterrichtet und war nach dem Katastrophenalarm nach Bad Kissingen zurückgefahren, um ihre Kinder zu retten. Sie hatte ihren Wagen an der Absperrung stehengelassen und war zu Fuß durch die Stadt gelaufen – vergeblich: Die Kinder waren schon mit dem Kindergarten evakuiert worden. Viel zu spät, mit den Letzten, verließ die Frau die Stadt.

Nun hatte die Großmutter die Kinder bei sich. Aber sie konnte sie auf die Dauer nicht behalten. Sie war schon über siebzig und kränklich, und es waren sehr lebhafte Kinder.

»Und der Vater?« fragte Janna-Berta.

Die Frau hatte nie geheiratet und ihre Kinder allein erzogen.

»Kannst du dich an die beiden erinnern?« fragte Almut, an Reinhard gewandt. »Sie hatte sie auf dem Betriebsausflug mit. Süße kleine Racker.«

Reinhard nickte. »Die beiden, die immer abwechselnd geplärrt haben«, sagte er. »Sie waren nicht zu überhören.«

»Oberlehrer«, sagte Almut trocken.

Reinhard hob den Blick und sah sie an. »Mit anderen Worten, du möchtest die beiden –?«

Sie nickte und lachte. Er schaute zu Paps. Der nickte auch.

»Und was meint Janna-Berta?« fragte er.

»Natürlich!« rief sie.

Almut und Reinhard ließen alles stehen und liegen und gingen hinaus. Janna-Berta sah ihnen nach. Sie wanderten lange unter den Kastanien herum, immer im Kreis, und sprachen miteinander. Er hatte seinen Arm um ihre Schulter gelegt, sie ihren Arm um seine Hüfte.

»Da kommt dann wohl Leben in die Bude«, sagte Paps. »Und Arbeit, was?«

Janna-Berta nickte. Er lächelte, und sie lächelte zurück.

»Falls du es nicht weißt«, erklärte er ihr, »Kinder können einem schrecklich auf die Nerven fallen.«

»Meine Mutter hat immer gesagt, ich kann's mit Kindern«, sagte Janna-Berta.

»Na dann –«, sagte Paps heiter. »Jetzt brauchen wir nur noch eine größere Wohnung.«

 

Am Vormittag ihres Geburtstags war Janna-Berta allein zu Hause. Sie hatte eine Schürze von Almut um und kochte Reissuppe, als es an die Kellertür klopfte. Es war Helga. Sie trug ein Reisekostüm und hatte ein Köfferchen bei sich.

»Warum hast du mir nicht gesagt, daß du zu Almut willst?« fragte sie, als sie, sehr steif, auf Paps' Couch saß.

»Weil ich Angst hatte, du könntest mich überreden dazubleiben«, antwortete Janna-Berta. »Du hast immer gleich so vernünftige Argumente.«

Sie brühte Kaffee auf und balancierte eine volle Tasse aus der Kochecke auf den Couchtisch. Natürlich schwappte ein bißchen heraus. Helga hätte nie eine Tasse mit Fußbad angeboten. Janna-Berta kehrte trotzdem nicht um.

»Warum hast du nicht wenigstens eine Nachricht hinterlassen, wohin du gegangen bist?« fragte Helga.

»Ich dachte, für dich ist das klar, wohin ich gehe.«

Helga rührte in ihrer Tasse und lehnte sich zurück.

»Dein Kärtchen aus Wiesbaden hat nicht viel geklärt«, sagte sie. »Eigentlich gar nichts. Es hat nur meine Vermutung bestätigt, daß du hier bist. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.«

»Warst du nicht froh, mich los zu sein?« fragte Janna-Berta.

»Was sagst du da?« rief Helga. »Hätte ich dich dann zu mir geholt? Ich hab's mir, weiß Gott, nicht leicht mit dir gemacht.«

»Ich will allein dafür verantwortlich sein, was mit mir wird«, sagte Janna-Berta schroff.

»Mit deinen fünfzehn Jahren?« fragte Helga mit einem spöttischen Unterton. »Und in deinem – deinem Zustand?«

»Hier fragt niemand nach meinem Alter«, sagte Janna-Berta. »Und ich lebe unter Leuten, denen es genauso dreckig geht wie mir.«

»Ich möchte, daß du nach den Ferien wieder nach Hamburg kommst«, sagte Helga. »Dort habe ich die Rente für dich beantragt, und für Hamburg hast du die Wohngenehmigung.«

»Die habe ich auch schon für hier«, sagte Janna-Berta. »Almut hat sie mir besorgt. Ich hab sie ganz schnell bekommen.«

Helga blieb eine Weile stumm. Dann sagte sie: »Du hast alle deine Schulsachen in Hamburg gelassen. Wie willst du die Lücken aufholen?«

»Ich komme nicht wieder nach Hamburg, und ich gehe auch nicht mehr zur Schule«, sagte Janna-Berta heftig.

Helga bemühte sich, Ruhe zu bewahren. »Wie stellst du dir eine Zukunft ohne Schulbildung vor?« fragte sie.

»Zukunft«, sagte Janna-Berta finster. »Weißt du, ob ich eine hab? Ich weiß es nicht. Aber das bißchen Leben, das mir vielleicht bleibt, will ich so leben, wie ich will. Als ob's für unsereinen nichts Wichtigeres gäbe als die Schule!«

»Und was ist das, was wichtiger ist als die Schule?« fragte Helga.

»Daß ich hier lebe«, sagte Janna-Berta. Als Helga nicht verstand, fügte sie hinzu: »Daß ich hier lebendig bin.«

Helga verstand noch immer nicht.

»Gut«, sagte sie, »die Schulpflicht hast du hinter dir. Aber wenn du dich ernstlich entschließt, die Schule nicht weiter zu besuchen, wird das Konsequenzen haben. Ohne Abitur hast du keine großartigen Aussichten.«

Janna-Berta antwortete nicht mehr. Sie spülte Geschirr.

»Es war nicht schön von dir«, sagte Helga nach einer Pause, »daß du mich zwei Wochen vor deinem Geburtstag hast sitzenlassen.«

»Tut mir leid«, sagte Janna-Berta und drehte sich um. »Entschuldige. Es war eine Flucht.«

»Ich habe allen, die wir eingeladen hatten, abschreiben müssen«, sagte Helga. »Ich habe ihnen erklärt, daß dir, nach all dem, was du durchgemacht hast, nicht nach feiern zumute ist.«

Sie nahm eine Handvoll Briefe aus ihrem Täschchen.

»Einige haben schon geantwortet«, sagte sie. »Sie verstehen dich.«

»Sind es Briefe an mich?« fragte Janna-Berta.

»Ja«, sagte Helga. Sie zögerte, dann fügte sie hinzu: »Ich habe sie gelesen, ja. Schließlich waren sie Antworten auf meinen Brief.«

Janna-Berta beugte sich über einen Topfund schrubbte ihn.

»Werdet ihr heute Geburtstag feiern?« fragte Helga.

Janna-Berta drehte sich um. Ihre Blicke begegneten sich.

»Die anderen wissen gar nicht, daß ich heute Geburtstag hab«, sagte sie. »Und wahrscheinlich hätte ich's selber verschwitzt, wenn du mich nicht daran erinnert hättest.«

Helga schüttelte den Kopf. Sie klappte ihr Köfferchen auf und nahm einen Stapel Wäsche heraus.

»Das hast du auch in Hamburg gelassen«, sagte sie. »Und deine Kleider. Ich sehe, du trägst wieder sehr bunt. Und da ist die Perücke. Vielleicht willst du sie eines Tages doch benutzen.«

Sie reichte Janna-Berta ein Kuvert aus Büttenpapier über den Tisch. »Dein Geburtstagsgeschenk«, sagte sie. »Kauf dir selber davon, was du brauchst oder was du dir wünschst.«

Janna-Berta dankte und bot Helga ihre Luftmatratze für die Nacht an. Aber Helga lehnte ab. Sie habe schon ein Hotelzimmer in der Stadt. Bevor sie ging, sagte sie noch: »Oma Berta und Opa Hans-Georg werde ich vorerst nur schreiben, daß du deine Sommerferien bei Almut in Wiesbaden verbringst.«

Janna-Berta antwortete mit einem Achselzucken.

»Ich gratuliere dir zum Geburtstag«, sagte Helga, als sie vor die Kellertür traten, »und wünsche dir ein Leben, wie du es dir wünschst. Solltest du eines Tages nach Hamburg zurückkommen wollen, dann tu's. Ich warte. Ich hoffe, daß du's tust. Denn außer meinen Eltern bist du die nächste Verwandte, die mir geblieben ist. Weißt du, was das heißt? Ich wollte dich als meine Tochter betrachten. Wir tragen den gleichen Familiennamen. Und – glaub mir – ich hätte dir viele Tore öffnen können!«

Sie drehte sich um und ging fort. »Grüß Almut und Reinhard von mir!« rief sie, schon auf halbem Weg zur Kastanienallee. »Sag ihnen, ich wünsche ihnen alles Gute.«

Janna-Berta kehrte ins Haus zurück. Sie sah ihr durchs Fenster nach, während sie Kleider, Wäsche und Perücke in ein Regal stopfte. Unter den großen Kastanien blieb Helga noch einmal stehen und schneuzte sich.

 

Abends breitete Almut wieder ihre Arbeit aus: Briefe waren zu schreiben, Plakate zu entwerfen, Hinweisschilder zu malen. Drei Hibakusha aus Mainz, zwei junge Männer und ein Mädchen, halfen mit. Sie setzten sich an den Tisch, Janna-Berta und Almut pinselten auf dem Fußboden. Fast beiläufig erzählte Janna-Berta von Helgas Besuch. Sie zog das zerknitterte Kuvert aus der Hosentasche und öffnete es. Drei Hundertmarkscheine lagen darin. Sie stopfte sie in die Spendenbüchse.

»Mein Geburtstagsgeschenk«, sagte sie.

»Du hast heute Geburtstag?« fragten die anderen überrascht.

Sie räumten Briefe, Pinsel, Farben und Plakate weg und ließen Janna-Berta hochleben. Paps, noch etwas wackelig auf den Beinen, machte in der Kochecke einen Salat aus Vor-Katastrophen-Kartoffeln.

»Was ganz Feines«, sagte er. »Teuer wie Kiwis und so gut wie nicht mehr erhältlich. Noch vor einem halben Jahr hätten wir die verschrumpelten Dinger weggeworfen. Ich hab sie für einen festlichen Anlaß eingekauft, und den haben wir jetzt.«

Almut kramte eine Flasche Wein aus dem Kleiderschrank im Schlafzimmer, Reinhard fand eine Flasche Maracuyasaft im Kühlschrank und dichtete ein Geburtstagsgedicht:

Heut gibt es Wein und Kartoffelsalat, weil Janna-Berta Geburtstag hat. Sie gleicht den Kirschenblüten – ein Engel soll sie behüten!

 

Janna-Berta schossen Tränen in die Augen, während sie lachte.

»Du darfst nicht daran denken, wie es früher war«, flüsterte ihr Almut zu. »Denk lieber nach vorn.«

»Nach vorn?« Janna-Berta schluchzte.

Almut umarmte sie. »Alles Gute zum Geburtstag!«

Sie ließ sie wieder los und starrte plötzlich wie gebannt auf Janna-Bertas kahlen Kopf, faßte ihn mit beiden Händen, zog ihn zu sich heran, strich sanft über ihn und rief: »Deine Haare wachsen wieder, Mädchen! Du hast schon Flaum!«

Janna-Berta lief zum winzigen Toilettenspiegel.

»Es ist wahr!« jubelte sie. »Sie kommen! Ich werde wieder Haare haben!«

Sie tanzte im Zimmer herum, außer sich vor Freude. Die anderen tanzten mit, auch der eine der Mainzer Gäste, der selber einen Kahlkopf hatte. Sie waren so laut, daß die Hausbesitzerin doch wieder durchs Treppenhaus herunterschimpfte.