Kapitel 6

Nach der Beerdigung blieb ich noch drei Tage zu Hause. Das war zu lang; es wäre besser für mich gewesen, wieder arbeiten zu gehen. Aber mir fielen ständig Sachen ein, die ich unbedingt erledigen mußte oder bei denen ich mir einredete, ich müsse sie dringend erledigen. Ich räumte das Zimmer meiner Oma aus. Arlene kam, um mich zu besuchen, und ich bat sie, mir dabei behilflich zu sein. Ich hätte es nicht ertragen, allein all diese so unendlich vertrauten Dinge auszusortieren, die immer noch Großmutters ganz persönlichen Duft nach Johnsons Babypuder und Antiseptikum verströmten.

Also half mir meine Freundin Arlene, alles zusammenzupacken und dem Roten Kreuz zu spenden. Wenige Tage zuvor hatten ein paar Tornados das nördliche Arkansas heimgesucht, und irgendwer, der alles verloren hatte, würde bestimmt etwas mit der Kleidung meiner Großmutter anfangen können. Oma war kleiner und dünner gewesen als ich und hatte auch einen ganz anderen Geschmack gehabt. Außer ihrem Schmuck wollte ich nichts behalten. Nicht, daß sie je viel Schmuck getragen hatte, aber ihre wenigen Stücke waren alle echt und für mich ungeheuer wertvoll.

Es war ziemlich erstaunlich, was Großmutter in ihrem Zimmer alles hatte unterbringen können. An den Speicher mochte ich jetzt noch nicht denken. Damit würde ich mich später befassen, im Herbst, wenn dort oben wieder erträgliche Temperaturen herrschten und ich Zeit zum Nachdenken gehabt hatte.

Letztlich warf ich wahrscheinlich mehr weg, als ich hätte wegwerfen sollen, aber die Arbeit sorgte dafür, daß ich mich stark und tüchtig fühlte, und so beließ ich es nicht bei halben Sachen. Arlene faltete und packte, wobei sie nur Briefe, Dokumente, Fotos, Rechnungen und entwertete Schecks beiseite legte. Meine Großmutter hatte in ihrem ganzen Leben keine Kreditkarte besessen, noch hatte die gute Seele je etwas auf Raten gekauft, was es viel einfacher machte, ihre Angelegenheiten endgültig abzuwickeln.

Arlene erkundigte sich nach dem Auto meiner Oma. Der Wagen war fünf Jahre alt und hatte nicht besonders viele Kilometer auf dem Tacho. „Verkaufst du dein Auto und behältst das von deiner Oma?“ wollte Arlene wissen. „Dein Wagen ist neuer, aber er ist auch recht klein.“

„Darüber habe ich noch nicht nachgedacht“, antwortete ich, und da merkte ich, daß ich über diese Frage auch noch gar nicht nachdenken konnte. Es gelang mir gerade mal, Omas Schlafzimmer auszuräumen. Mehr schaffte ich nicht.

Als sich der Nachmittag seinem Ende zuneigte, enthielt das Zimmer nichts mehr, was an Oma erinnerte. Arlene und ich wendeten die Matratze, und dann bezog ich aus reiner Gewohnheit das Bett neu. Es war ein altmodisches, im Reismusterstil gehaltenes Himmelbett. Ich hatte die Schlafzimmermöbel meiner Oma immer schon wunderschön gefunden; nun wurde mir mit einem Mal bewußt, daß sie jetzt mir gehörten. Ich konnte jederzeit ins große Schlafzimmer ziehen. Dann hätte ich auch mein eigenes Badezimmer und bräuchte nicht mehr über den Flur zu gehen.

Plötzlich wollte ich genau das tun: umziehen. Die Möbel in meinem Zimmer waren nach dem Tod meiner Eltern aus deren Haus hierher geschafft worden; es waren die Möbel eines Kindes, viel zu mädchenhaft. Erinnerungsstücke an eine Zeit der Barbiepuppen und der Freundinnen, die zum Übernachten zu Besuch kamen.

Nicht, daß bei mir oft Freundinnen übernachtet hätten oder umgekehrt ich bei Freundinnen.

Aber nein, nein und nochmals nein! In dieses Loch wollte ich jetzt nicht fallen. Ich war ich und hatte durchaus auch ein Leben, hatte Dinge, die mich erfreuten, kleine Belohnungen, die ich mir ausdachte, um mich bei der Stange zu halten.

„Vielleicht ziehe ich ja hier in dieses Zimmer“, sagte ich zu Arlene, die gerade einen letzten Pappkarton mit Klebeband verschloß.

„Meinst du nicht, das ist ein wenig früh“, fragte sie besorgt und wurde dann knallrot, als ihr klar wurde, daß sich das so angehört hatte, als wolle sie mich kritisieren.

„Ich glaube, es wäre einfacher für mich, als auf der anderen Flurseite zu liegen und daran zu denken, daß dieses Zimmer jetzt leer ist“, erwiderte ich. Arlene kniete neben ihrem Pappkarton, den Klebebandabroller noch in der Hand, und dachte über meine Antwort nach.

„Doch, das kann ich verstehen“, sagte sie dann, und ihre flammend roten Haare wippten, als sie mir zustimmend zunickte.

Als nächstes luden wir die gepackten Kartons alle in Arlenes Wagen. Sie hatte sich freundlicherweise bereit erklärt, sie auf ihrem Nachhauseweg bei der Sammelstelle des Roten Kreuzes vorbeizubringen, und ich hatte ihr Angebot dankbar angenommen. Ich wollte nicht, daß mir irgendwer wissende und mitleidige Blicke zuwarf, während ich die Kleider meiner Großmutter, ihre Schuhe und Nachthemden weg gab.

Als Arlene fertig war und gehen wollte, umarmte ich sie kurz und drückte ihr einen Kuß auf die Wange. Sie starrte mich verwundert an - dieser Kuß lag jenseits der Grenzen, in denen sich unsere Freundschaft bisher bewegt hatte. Dann beugte sie ihren Kopf, und wir stießen sanft mit den Stirnen aneinander.

„Verrücktes Huhn“, murmelte meine Freundin liebevoll. „Komm uns besuchen, hörst du? Liza möchte, daß du ganz bald mal wieder bei uns babysittest.“

„Grüß Liza von Tante Sookie, und Coby auch.“

„Wird gemacht.“ Mit diesen Worten stolzierte Arlene zu ihrem Wagen, ihre flammenden Haare ein Feuermeer, ihr üppiger Körper in der engen Kellnerinnentracht ein einziges riesiges Versprechen.

Als Arlenes Wagen langsam und vorsichtig die holprige Auffahrt hinabfuhr und zwischen den Bäumen verschwand, fühlte ich mich ausgelaugt. Ich kam mir vor, als sei ich ungefähr eine Million Jahre alt, allein und einsam. So würde ich also von nun an leben.

Ich verspürte keinen Hunger, aber die Uhr teilte mir mit, es sei Zeit zum Essen. Also ging ich in die Küche und holte mir einen der zahlreichen Plastikbehälter aus dem Kühlschrank. Er enthielt einen Salat aus Trauben und Truthahn, der mir gut schmeckte, aber trotzdem saß ich da am Küchentisch und stocherte einfach nur mit der Gabel darin herum. Das gab ich bald wieder auf. Ich trug den Behälter zum Kühlschrank zurück und ging ins Bad, um zu duschen, denn das hatte ich dringend nötig. Schrankecken sind immer schrecklich staubig, und selbst eine so großartige Hausfrau wie meine Oma hatte es nicht geschafft, diesem Staub eine Niederlage zuzufügen.

Die Dusche war wunderbar. Das heiße Wasser schien all mein Elend fortzuspülen. Ich schamponierte mir die Haare ein und schrubbte jeden einzelnen Zentimeter Haut; ich rasierte mir die Beine und die Achselhöhlen. Dann trocknete ich mich ab, zupfte meine Augenbrauen, cremte mich von oben bis unten ein, sprühte Deodorant unter die Arme und massierte eine Haarspülung ins Haar, um es später besser auskämmen zu können, sprühte und cremte überhaupt mit allem, was mir in die Finger geriet. Das Haar floß mir wie ein wirrer, wüster Wasserfall über den Rücken. Ich zog mir mein Nachthemd an, das mit Polly Pinguin, und nahm meinen Kamm mit, als ich das Bad verließ. Ich wollte mich vor den Fernseher hocken, um mich ein wenig unterhalten zu lassen, während ich mir die Haare auskämmte - jedesmal ein mühsames Unterfangen.

Da zerbarst meine kleine geschäftige Wolke auch schon wieder, und ich fühlte mich wie betäubt.

Langsam schlurfte ich durch das Wohnzimmer, in der einen Hand meinen Kamm, in der anderen mein Badehandtuch, als es an der Tür klingelte.

Ich warf einen Blick durch den Türspion. Draußen auf der Veranda wartete geduldig Bill.

Ich öffnete die Tür, wobei mich sein Anblick weder freute noch tröstete.

Bill musterte mich ziemlich überrascht: das Nachthemd, die nassen Haare, die bloßen Füße. Kein Make-up.

„Komm doch rein“, sagte ich.

„Bist du sicher?“ „Ja.“

Er kam ins Haus, wobei er sich gründlich umsah, wie er es immer tat. „Was machst du gerade?“ wollte er wissen, als er die Ecke entdeckte, in der ich alle Sachen gesammelt hatte, von denen ich dachte, die Freunde meiner Oma würden sich darüber freuen. So gab es ein Photo, das die Mutter von Mr. Norris zusammen mit meiner Urgroßmutter zeigte, und ich hatte gedacht, das würde Mr. Noris doch bestimmt gern haben wollen.

„Ich habe heute Omas Zimmer ausgeräumt“, erklärte ich. „Ich glaube, ich ziehe dort ein.“ Mehr fiel mir nicht ein. Bill wandte sich zu mir und sah mich vorsichtig fragend an.

„Ich würde gern dein Haar auskämmen“, sagte er.

Ich nickte. Ohne irgendwelche Gefühle zu zeigen. Bill setzte sich auf die geblümte Couch und wies auf das alte Sitzkissen, das direkt davor lag. Gehorsam nahm ich dort Platz, und er beugte sich ein wenig vor, wobei er mich mit seinen Oberschenkeln einrahmte. Er fing oben am Scheitel an und kämmte mir ganz sanft und vorsichtig das Haar aus.

Sein Schweigen in meinem Kopf war auch diesmal ein wohltuendes Geschenk, ein großer Luxus. Stets war es so, als trete man nach einer langen Wanderung an einem heißen, staubigen Tag mit bloßen Füßen in einen eiskalten Bach.

Bills lange Finger schienen wie geschaffen dafür, meine Mähne auskämmen; das war ein zusätzlicher Bonus. Mit geschlossenen Augen saß ich einfach da und wurde innerlich immer ruhiger. Ich spürte die bedächtigen Bewegungen, mit denen er kämmte, spürte seinen Körper. Fast meinte ich, sein Herz schlagen zu hören, aber dann dachte ich: Wie merkwürdig, sein Herz schlägt doch gar nicht.

„Früher habe ich das immer für meine Schwester Sarah getan“, murmelte Bill leise, als wüßte er genau, wie ruhig und friedlich mir zumute war, und wolle diese Stimmung nicht stören. „Sie hatte dunkleres Haar als du, und es war sogar noch länger als deines. Sie hat es nie abgeschnitten. Als wir noch Kinder waren, hat meine Mutter mich immer gebeten, mich um Sarahs Haar zu kümmern, wenn sie selbst zu beschäftigt war.“

„War Sarah jünger als du oder älter?“ fragte ich langsam und wie mit Drogen betäubt.

„Sie war jünger als ich, sie war drei Jahre jünger.“

„Hattest du noch andere Brüder und Schwestern?“

„Meine Mutter verlor zwei Kinder bei der Geburt“, sagte Bill langsam, als könne er sich kaum noch daran erinnern. „Ich habe meinen Bruder Robert verloren, als er zwölf war und ich elf. Er starb an einem Fieber. Heute würden sie ihn einfach mit Penizillin vollpumpen, und er würde überleben. Aber damals konnten sie das noch nicht. Sarah überlebte den Krieg. Sie und meine Mutter überlebten, aber mein Vater starb, als ich bei den Soldaten war. Er starb an einem Schlaganfall, so viel habe ich inzwischen gelernt. Damals kannte ich den Begriff noch nicht. Meine Frau lebte zu der Zeit bei meiner Familie, und meine Kinder ...“

„Ach Bill“, sagte ich traurig und ganz leise, denn er hatte so viel verloren.

„Nicht, Sookie“, sagte er daraufhin, und seine Stimme klang wieder klar und kalt.

Danach arbeitete er eine Weile schweigend, bis ich spürte, daß der Kamm ohne irgendwelche Hindernisse mühelos durch mein Haar glitt. Er nahm das weiße Handtuch, das ich einfach über die Sofalehne geworfen hatte und fing an, mir das Haar trocken zu tupfen, und während er es trocknete, ließ er die Finger hindurchgleiten, damit das Haar mehr Fülle bekam.

„Mm!“ sagte ich und klang nicht mehr wie jemand, der sich einfach nur trösten läßt.

Ich spürte Bills kühle Finger, die mir das Haar aus dem Nacken strichen, und dann spürte ich seinen Mund an meinem Haaransatz. Ganz sacht atmete ich aus, wobei ich mich bemühte, keinen Laut von mir zu geben. Bills Lippen glitten zu meinem Ohr, und dann fing er mein Ohrläppchen zwischen den Zähnen. Seine Zungenspitze schnellte in mein Ohr. Bill schlang die Arme um meinen Körper und zog mich an sich.

Wie durch ein Wunder hörte ich nur, was sein Körper sagte. Nicht einen einzigen der nörgelnden kleinen Gedanken, die ich aus den Köpfen anderer kannte und die Augenblicke wie diesen verdorben hatten. Bills Körper sagte etwas sehr einfaches.

Er hob mich hoch, so mühelos, wie ich ein Kleinkind hochgehoben hätte, und drehte mich so, daß ich ihm auf seinem Schoß gegenübersaß, meine Beine baumelten rechts und links neben seinen herunter. Ich legte die Arme um ihn und beugte mich ein Stück vor, um ihn zu küssen. Der Kuß dauerte und dauerte und schien kein Ende nehmen zu wollen. Nach einer Weile verfiel Bill mit seiner Zunge in einen Rhythmus, den selbst jemand mit so wenig Erfahrung wie ich nicht mißverstehen konnte. Mein Nachthemd rutschte die Oberschenkel hinauf. Meine Hände streichelten hilflos Bills Arme. Dabei mußte ich komischerweise an einen Topf mit schmelzendem Zucker denken, wie meine Großmutter ihn auf dem Herd stehen gehabt hatte, wenn sie Karamelbonbons machen wollte, und ich dachte immerfort an schmelzende, warme, goldene Süße.

Bill erhob sich, immer noch mit mir in seinen Armen. „Wo?“ fragte er.

Ich zeigte auf das ehemalige Zimmer meiner Großmutter. Er trug mich so, wie wir waren, meine Beine um ihn geschlungen, mein Kopf auf seiner Schulter, und legte mich auf das frisch bezogene Bett. Dann stand er neben dem Bett, und im Mondlicht, das durch die vorhanglosen Fenster drang, sah ich zu, wie er sich auszog, rasch und ordentlich. Es machte mir viel Spaß, ihm beim Ausziehen zuzusehen, und ich wußte, ihm würde es umgekehrt ebenso viel Spaß machen, aber ich fühlte mich ein wenig befangen, und so zog ich mir einfach das Nachthemd über den Kopf und warf es auf den Boden.

Dann sah ich mir Bill an, und im ganzen Leben hatte ich noch nie etwas so Schönes und gleichzeitig so Furchterregendes gesehen.

„Oh Bill!“ sagte ich besorgt, als er nun neben mir im Bett lag. „Ich möchte dich nicht enttäuschen.“

„Das ist gar nicht möglich“, flüsterte er. Seine Augen ruhten auf meinem Körper, als sei er ein Krug Wasser mitten auf einer Düne in der Wüste.

„Ich weiß kaum etwas“, gestand ich mit kaum hörbarer Stimme.

„Keine Sorge. Ich weiß sehr viel.“ Seine Hände glitten über meinen Leib und berührten mich an Stellen, an denen ich noch nie zuvor berührt worden war. Erst zuckte ich erstaunt zurück, dann öffnete ich mich ihm.

„Ist es mit dir anders als mit einem normalen Typen?“ fragte ich.

„Oh ja.“

Ich sah ihn fragend an.

„Es ist besser!“ flüsterte er mir ins Ohr, und mich durchzuckte ein Stromstoß reiner Begierde.

Ein wenig schüchtern langte ich nach unten, um ihn zu berühren und da gab er einen sehr menschlichen Laut von sich. Nach einer Weile klang dieser Laut tiefer.

„Jetzt?“ fragte ich, meine Stimme rauh und zitternd.

„Oh ja“, sagte er, und dann lag er auf mir.

Einen Moment später wurde ihm das ganze Ausmaß meiner Unerfahrenheit bewußt.

„Das hättest du mir sagen sollen“, sagte er sanft und bewegte sich nicht weiter, was ihn - das spürte ich deutlich - ungeheure Mühe kostete.

„Oh bitte, nicht aufhören“, flehte ich, denn mir war, als würde mir die Schädeldecke wegfliegen, als würde auf jeden Fall etwas ganz Drastisches passieren, wenn er das tat.

„Ich habe nicht vor aufzuhören“, versprach er. „Sookie ... das tut jetzt weh.“

Als Antwort hob ich die Hüfte; er reagierte mit einem unverständlichen kleinen Laut, und dann drang er in mich ein.

Ich hielt die Luft an; ich biß mir auf die Lippen. Aua, aua, aua!

„Liebling!“ sagte Bill, und noch nie hatte mich jemand so genannt. „Wie ist es?“ Vampir hin oder her - er zitterte, so schwer fiel es ihm, sich zurückzuhalten.

„Gut!“ erwiderte ich, auch wenn das nicht ganz stimmte. Aber den ersten Schmerz hatte ich hinter mir, und wenn wir jetzt nicht weitermachten, würde mich schlichtweg der Mut verlassen. „Jetzt!“ befahl ich und biß Bill heftig in die Schulter.

Er holte tief Luft und zuckte ein wenig zusammen, aber dann fing er an, sich wirklich zu bewegen. Zuerst war ich wie benommen. Dann aber paßte ich mich seinem Rhythmus an und hielt mit. Bill fand meine Reaktion offenbar sehr erregend, und langsam fühlte ich, daß da etwas war, gleich um die Ecke sozusagen, etwas ungeheuer Schönes, ungeheuer Großes. „Oh bitte, Bill!“ stöhnte ich und grub ihm die Nägel in die Hüfte, fast da, fast da, und dann gab es eine winzige Veränderung in der Art, wie unsere Körper zueinander lagen, und er konnte mich noch direkter, noch fester an sich drücken, und ehe ich es überhaupt fassen konnte, flog ich schon und flog und sah Weiß mit goldenen Streifen. Ich fühlte Bills Zähne an meinem Hals, und ich sagte: „Ja!“, und seine Fangzähne drangen durch meine Haut, aber das war nur ein kleiner Schmerz, ein erregender Schmerz, und als er nun in mir kam, fühlte ich, wie er aus der kleinen Wunde trank.

So lagen wir lange beieinander, von Zeit zu Zeit erschüttert von kleinen Nachbeben. Solange ich lebte würde ich Bills Geschmack, seinen Geruch nicht vergessen, und ich würde nie vergessen, wie er sich beim ersten Mal angefühlt hatte, tief in mir drin - mein erstes Mal überhaupt. Nie würde ich diese große Freude vergessen.

Schließlich streckte sich Bill auf den Ellbogen gestützt neben mir aus und legte mir die Hand auf den Bauch.

„Ich bin der erste.“ „Ja.“

„Ach Sookie!“ Er beugte sich über mich und strich mit den Lippen an meiner Kehle entlang.

„Du hast wohl gemerkt, daß ich nicht viel Ahnung habe“, sagte ich schüchtern. „Aber war es gut für dich? Ich meine: halbwegs so gut wie mit anderen? Ich werde bestimmt besser werden.“

„Geschickter kannst du werden, Sookie, aber auf keinen Fall besser!“ Bill küßte mich auf die Wange. „Du bist wundervoll.“

„Werde ich wund sein?“

„Das wirst du wahrscheinlich merkwürdig finden, Sookie, aber ich weiß es nicht. Ich habe es vergessen. Die einzige Jungfrau, mit der ich je zusammen war, war meine Frau, und das ist jetzt anderthalb Jahrhunderte her ... doch, jetzt erinnere ich mich wieder. Du wirst wund sein. Wir werden uns ein oder zwei Tage nicht mehr lieben können.“

„Dein Blut heilt doch aber“, bemerkte ich nach einer kleinen Pause und spürte, wie ich errötete.

Im Mondlicht konnte ich erkennen, wie Bill seine Haltung veränderte, um mir direkter in die Augen sehen zu können. „Das stimmt“, sagte er. „Möchtest du das?“

„Ja. Du nicht?“

„Doch!“ erwiderte er atemlos und biß sich selbst in den Arm.

Das geschah so überraschend, daß ich leise aufschrie. Bill jedoch beschmierte ganz beiläufig seinen rechten Zeigefinger mit Blut und ließ ihn, ehe ich mich verkrampfen konnte, in mich gleiten. In mir bewegte er seinen Finger sehr sanft und sachte, und wirklich: nach kurzer Zeit war jeglicher Schmerz verschwunden.

„Danke“, sagte ich, „jetzt geht es mir besser.“

Aber Bill ließ den Finger, wo er war.

„Oh!“ sagte ich, „willst du es gleich noch einmal tun? So schnell? Geht das?“ Sein Finger bewegte sich in mir, und ich hoffte inständig, es möge gehen.

„Sieh doch nach, ob du das feststellen kannst“, flüsterte er, ein Hauch Belustigung in seiner süßen, süßen dunklen Stimme.

Da flüsterte ich zurück, wobei ich mich kaum selbst wiedererkannte: „Sag mir, was ich tun soll.“

Das tat er dann auch.

* * *

Am nächsten Tag ging ich zur Arbeit. Ein wenig wund war ich doch, trotz der Heilkräfte, über die Bill verfügte, aber Mann oh Mann: Ich fühlte mich echt stark. Für mich war das ein neues Gefühl. Es fiel mir wirklich schwer, nicht völlig überheblich - nein, das ist vielleicht das falsche Wort - nicht völlig selbstzufrieden aufzutreten.

Im Lokal gab es natürlich dieselben alten Probleme wie immer: das Durcheinander von Stimmen, das Summen und Brummen der Gedanken anderer, die Hartnäckigkeit, mit der sie an meinen Kopf klopften.

Aber irgendwie schien es mir leichter zu fallen, sie auszublenden, sie in ihre Schranken zu verweisen und in eine Ecke zu stopfen. Es fiel mir leichter, mein Visier geschlossen zu halten, und infolgedessen fühlte ich mich sehr viel entspannter. Oder vielleicht fiel es mir leichter, mich vor Eindringlingen zu schützen, weil ich entspannter war? Mann, war ich entspannt! Genau konnte ich nicht sagen, was Ursache und was Wirkung war, aber es ging mir so viel besser, und ich war in der Lage, die Beileidsbekundungen unserer Gäste gefaßt entgegenzunehmen, statt ständig in Tränen auszubrechen.

Mittags kam Jason ins Lokal. Er trank zwei große Bier zu seinem Burger, was nicht seinen Gewohnheiten entsprach, denn eigentlich trank mein Bruder an Werktagen tagsüber gar nicht. Ich wußte, er würde wütend werden, wenn ich ihn direkt darauf ansprach, also fragte ich ihn nur ganz allgemein, ob mit ihm soweit alles in Ordnung sei.

„Der Polizeichef hat mich heute schon wieder vorgeladen“, teilte er mir daraufhin mit leiser Stimme mit und sah sich vorsichtig um, ob uns auch niemand zuhörte. Unser Lokal war aber relativ spärlich besucht, denn der Rotary Club traf sich an diesem Tag im Gemeindehaus.

„Was fragt er dich denn so?“ Auch ich hatte meine Stimme gesenkt.

„Er fragt, wie oft ich mich mit Maudette getroffen habe, ob ich immer bei der Tankstelle getankt habe, in der sie gearbeitet hat ... immer wieder dieselben Fragen, als hätte ich ihm das nicht schon fünfundsiebzig mal erzählt. Mein Chef sieht sich das nicht mehr lange an, Sookie, und ich kann ihm da keinen Vorwurf machen. Ich habe insgesamt bestimmt schon zwei, wenn nicht sogar drei Tage nicht gearbeitet, wenn man diese ganzen Fahrten zur Polizeiwache zusammenzählt...“

„Vielleicht solltest du dir einen Anwalt besorgen“, meinte ich ein wenig besorgt.

„Das sagt Rene auch.“

Dann waren Rene Lenier und ich in diesem Punkt ja einer Meinung.

„Was hältst du von Sid Matt Lancaster?“ Sidney Matthew Lancaster war ein Sohn unserer Stadt, trank am liebsten Whiskey Sour und stand im Ruf, der aggressivste Strafverteidiger der Gegend zu sein. Ich konnte ihn gut leiden, denn er behandelte mich immer höflich und respektvoll, wenn ich ihn bediente.

„Mag sein, daß ich mit Sid am besten fahre.“ Jason sah so verdrießlich aus und blickte so finster drein, wie es einem hübschen jungen Mann nur möglich ist. Wir sahen einander an. Wir beide wußten genau daß Omas Anwalt, sollte Jason - Gott behüte - verhaftet werden, zu alt war, um mit der Sache fertig zu werden.

Jason war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um irgendwelche Veränderungen an mir wahrzunehmen, aber die Tatsache war die, daß ich an diesem Tag nicht mein übliches T-Shirt mit abgerundetem Ausschnitt trug, sondern ein Polohemd, dessen Kragen meinen Hals ein wenig abdeckte. Arlene war nicht so blind wie mein Bruder. Sie hatte mir schon den ganzen Morgen über Blicke zugeworfen, und als es gegen drei ein wenig ruhiger wurde, war sie zu dem Schluß gekommen, sie wüßte nun über alles Bescheid.

„Na, Mädel?“ fragte sie. „Hast du dich vergnügt?“

Ich wurde feuerrot. 'Vergnügt' - das ließ die Beziehung zwischen Bill und mir so leicht klingen, aber irgendwie hatten wir ja genau das getan. Ich überlegte, ob ich mich aufs hohe Roß schwingen und vornehm erwidern sollte, nein, wir hätten uns nicht amüsiert, wir hätten Liebe gemacht, oder ob ich ganz einfach den Mund halten oder Arlene sagen sollte, das ginge sie gar nichts an, oder ob ich aus voller Kehle, so daß alle es hören konnten, schreien sollte: „Ja!“

„Sookie! Wie heißt der Mann?“

Oh je. „Weißt du, er ist nicht... “

„Nicht hier aus der Gegend? Gehst du mit einem von diesen Soldaten aus Bosier City?“

„Nein“, sagte ich zögernd.

„Mit Sam? Ich habe gesehen, wie er dich ansieht.“

„Nein.“

„Mit wem denn dann?“

Ich stellte mich ja an, als würde ich mich schämen! Brust raus, Sookie Stackhouse, schalt ich mich innerlich. Steh gefälligst zu der Sache!

„Bill“, verkündete ich und hoffte insgeheim und wider besseres Wissen, Arlene würde daraufhin einfach nur: „Ach ja?“ sagen.

„Bill ...“ erwiderte meine Freundin jedoch verständnislos. Aus dem Augenwinkel hatte ich wahrgenommen, daß Sam langsam näher an uns beide herangetreten war. Dasselbe galt auch für Charlsie. Selbst Lafayette hatte den Kopf durch die Durchreiche gesteckt.

„Bill“, wiederholte ich und strengte mich sehr an, ruhig und gelassen zu klingen. „Du weißt doch: Bill.“

„Bill Auberjunois?“

„Nein.“ „Bill...“

„Bill Compton“, sagte Sam tonlos, als ich gerade den Mund aufmachen wollte, um dasselbe zu sagen. „Vampirbill.“

Arlene wirkte baß erstaunt. Charlsie Tooten stieß einen kleinen Schrei aus, und Lafayette fiel der Unterkiefer herunter.

„Aber Herzchen, konntest du dir nicht einen normalen Mann aussuchen?“ fragte Arlene, als sie ihre Sprache wiedergefunden hatte.

„Von den normalen Männern hat keiner gefragt.“ Ich spürte deutlich, daß das Rot auf meinen Wangen einfach nicht verblassen wollte, und so stand ich da, kerzengerade, hoch aufgerichtet, fühlte mich sehr trotzig und sah höchstwahrscheinlich auch so aus.

„ Aber Schatz“, flötete Charlsie Tooten mit ihrer hohen Babystimme, „Schätzchen, Bill hat doch ... dieses Virus.“

„Das weiß ich“, erwiderte ich und hörte selbst, wie scharf meine Stimme klang.

„Ich habe schon gedacht, gleich erzählt sie uns, sie geht mit einem Schwarzen, aber du hast ja glatt noch einen draufgelegt“, kommentierte Lafayette und pulte an seinem Nagellack.

Sam sagte gar nichts. Er stand einfach nur gegen den Tresen gelehnt da, und um seinen Mund zeichnete sich eine dünne weiße Linie ab, als würde er sich innen auf die Wangen beißen.

Ich starrte sie alle der Reihe nach an und zwang sie dazu, entweder runterzuschlucken, was sie in der Birne hatten, oder aber es auszuspucken.

Arlene kam als erste darüber hinweg. „Na denn! Soll er dich bloß anständig behandeln, sonst zücken wir unsere Holzpflöcke.“

Darüber lachten dann alle, auch wenn es ein wenig gequält klang.

„Was du da an Lebensmitteln sparst!“ verkündete Lafayette begeistert.

Aber dann kam Sam und machte mit einem Schlag alles kaputt, das ganze zaghafte Akzeptieren, indem er plötzlich neben mich trat und mir den Hemdkragen herunterzog.

Das Schweigen meiner Freunde hätte man mit dem Messer schneiden können.

„Ach du liebe Scheiße“, sagte Lafayette ganz, ganz leise.

Ich sah Sam direkt in die Augen und dachte, daß ich ihm das nie verzeihen würde.

„Rühr meine Klamotten nicht an!“ sagte ich fest, trat einen Schritt zurück und richtete den Hemdkragen wieder auf. „Laß die Finger von meinem Privatleben.“

„Ich mache mir doch nur Sorgen um dich“, erwiderte Sam, während Arlene und Charlsie sich rasch etwas zu tun suchten und sich verdrückten.

„Nein, das tust du nicht!“ gab ich zurück. „Zumindest ist das nur ein Teil der Sache. Du bist einfach sauer. Hör gut zu, Kumpel: Du rangierst bei mir noch nicht mal unter ferner liefen.“

Dann stolzierte ich davon, um ein paar Tische abzuwischen, die gerade abgeräumt worden waren. Danach sammelte ich alle Salzstreuer ein und füllte sie auf. Dann überprüfte ich alle Pfefferstreuer und die Flaschen mit Tabascosauce und scharfer Pfeffersauce auf allen Tischen und auch in allen Nischen. Ich arbeitete vor mich hin und achtete auf nichts anderes. Langsam kühlte sich die Atmosphäre auch wieder ab.

Sam war in seinem Büro und erledigte Bürokram oder tat sonst etwas, was, war mir egal, solange er seine Meinung für sich behielt. Mir war zumute, als hätte er einen Vorhang hochgezogen und eine private Ecke meines Lebens zur Schau gestellt, als er meinen Hals entblößte. Ich hatte ihm nicht vergeben. Arlene und Charlsie hatten sich, genau wie ich, etwas zu tun gesucht, und als sich das Lokal mit den frühen Abendgästen füllte, die sich auf dem Nachhauseweg einen Schluck genehmigen wollten, fühlten wir alle uns wieder relativ wohl miteinander.

Arlene folgte mir auf die Damentoilette. „Hör mal, Sookie, ich muß das fragen: Sind Vampire wirklich so, wie man ihnen nachsagt? Als Liebhaber, meine ich?“

Daraufhin lächelte ich nur.

Auch Bill kam an diesem Abend ins Lokal, gleich nach dem Dunkelwerden. Ich hatte länger gearbeitet, da eine der Kellnerinnen, die die Frühschicht ablösen sollten, Probleme mit ihrem Wagen hatte und später kommen würde. Bill tauchte auf wie immer: In einem Moment ahnte man noch nichts von ihm, im nächsten war er bereits an der Tür und wurde nur langsamer, damit ich sehen konnte, wie er sich näherte.

 Wenn Bill Bedenken gehabt hatte, unsere Beziehung publik werden zu lassen, dann ließ er sich das zumindest nicht anmerken. Er hob meine Hand an seine Lippen und küßte sie, eine Geste, die bei jedem anderen so gekünstelt und falsch wie nur irgend etwas gewirkt hätte. Als seine Lippen meinen Handrücken berührten, spürte ich es bis hinunter in die Zehen und wußte, daß Bill das mitbekommen hatte.

„Wie geht es dir heute abend“, flüsterte er mir zu, und ich zitterte.

„Etwas ... “ Ich bekam kein einziges Wort heraus.

„Vielleicht erzählst du es mir später“, schlug er vor. „Wann bist du hier fertig?“

„Sobald Susie da ist.“

„Komm doch bei mir vorbei.“

„Ja, gern.“ Ich lächelte zu ihm auf, wobei mir ganz strahlend und beschwingt zumute war.

Bill lächelte zurück, wobei er seine Fänge zeigte, denn mich so direkt vor sich zu sehen hatte bei ihm Empfindungen geweckt. Es kann gut sein, daß der Anblick dieser Fangzähne alle anderen im Raum - bis auf mich natürlich - etwas verunsicherte.

Bill beugte sich vor, um mir einen Kuß zu geben - nur einen ganz sanften Kuß auf die Wange - und wandte sich dann zum Gehen. Genau in diesem Augenblick ging der Abend den Bach hinunter.

Malcolm und Diane stürmten das Lokal, wobei sie die Tür so weit aufstießen, daß klar war, sie wollten einen astreinen Bühnenauftritt hinlegen, was ihnen auch prima gelang. Ich fragte mich, wo Liam stecken mochte. Wahrscheinlich parkte er noch den Wagen. Es war wohl zu viel verlangt, zu hoffen, sie hätten ihn zu Hause gelassen.

Die Leute in Bon Temps waren gerade dabei, sich an Bill zu gewöhnen, aber das Auftauchen des schrillen Malcolm und der nicht weniger schrillen Diane verursachte einen ziemlichen Aufruhr. Mein erster Gedanke war, daß das ja nun nicht gerade helfen würde, die Leute an den Anblick von Bill und mir als Paar zu gewöhnen.

Malcolm trug Lederjeans, ein Hemd, das einem Kettenpanzer ähnelte und sah insgesamt aus wie die Erscheinungen, die normalerweise die Plattenhüllen von Rock-Alben zierten. Diane trug einen einteiligen, ungeheuer eng anliegenden, limonengrünen Bodysuit aus Lycra oder sonst einem sehr dünnen, dehnbaren Material, und ich war mir sicher, daß ich ihre Schamhaare hätte bewundern können, hätte mir der Sinn danach gestanden. Das Merlottes wird nicht oft von Schwarzen besucht, aber wenn es in der Gegend eine schwarze Frau gab, die sich in unserem Lokal sicher fühlen konnte, dann war das Diane. Ich sah Lafayette durch die Durchreiche glotzen und ganz offen seine Bewunderung zur Schau stellen, die allerdings auch mit einem Schuß Angst gepaart war.

Als die beiden Vampire Bill sahen, kreischten sie wie zwei Betrunkene die schon nicht mehr recht bei Verstand sind, und taten völlig überrascht. Soweit ich sehen konnte, freute sich Bill nicht über das Kommen seiner Freunde, schien aber mit der Invasion ebenso ruhig umgehen zu können, wie wohl mit den meisten Dingen.

Malcolm küßte Bill direkt auf den Mund, und Diane tat es ihm nach. Es ließ sich schwer sagen, welcher Begrüßungskuß bei unseren Gästen größeren Anstoß erregte. Bill würde nun ganz rasch deutlich zu verstehen geben müssen, dachte ich, wie sehr ihm diese Küsse zuwider waren, wenn er sich weiterhin des Wohlwollens der menschlichen Bewohner von Bon Temps erfreuen wollte.

Es zeigte sich, daß Bill kein Narr war: Er trat einen Schritt zurück und legte den Arm um mich, womit er sich auf die Seite der Menschen stellte und einen deutlichen Abstand zwischen sich und den Vampiren schuf.

„Da ist ja unsere kleine Kellnerin!“ rief Diane, und ihre Stimme war im ganzen Lokal deutlich zu vernehmen. „Sie ist immer noch am Leben! Ist das nicht erstaunlich?“

„Letzte Woche wurde ihre Großmutter umgebracht“, sagte Bill leise, in der Hoffnung, Dianes Bedürfnis nach einer Szene damit einen Dämpfer versetzen zu können.

Dianes wunderbare dunkle Augen - die Augen einer Wahnsinnigen - fixierten mich lange, und mir wurde eiskalt.

„Ach ja?“ sagte sie dann und lachte auf.

Das war es dann wohl gewesen; jetzt würde ihr niemand mehr vergeben. Hätte Bill sich auf der Suche nach einer Möglichkeit befunden, sich auf unsere Seite zu schlagen, hätte ich ihm genau solch ein Szenario angeraten. Andererseits konnte es durchaus passieren, daß der Widerwille, den ich deutlich von allen Besuchern unseres Lokals ausgehen fühlte, umschlug, um nicht nur die Renegaten unter sich zu begraben, sondern auch Bill.

Wobei für Diane und ihre Freunde der Renegat natürlich Bill war.

„Wann bringt dich denn jemand um, Kleines?“ fragte Diane nun, wobei sie mir mit dem Fingernagel am Kinn entlang fuhr. Ich schlug ihre Hand weg.

Sie hätte sich auf mich gestürzt, hätte nicht Malcolm wie ganz nebenbei und so, als würde ihn das keinerlei Anstrengung kosten, ihren Arm gepackt und sie festgehalten. Wobei es nur so schien, als koste es ihn nichts. An der Art, wie er stand, sah ich durchaus, welche Kraft er aufwenden mußte.

„Bill“, sagte er dann in ganz normalem Plauderton, als würde er nicht jeden einzelnen Muskel bemühen müssen, um Diane festhalten zu können, „diese Stadt verliert, wie ich höre, in erschreckendem Tempo ungelerntes Dienstleistungspersonal, und wie ein kleines Vögelchen aus Shreveport mir erzählt, warst du neulich mit deiner Freundin im Fangtasia. Ihr sollt Fragen gestellt haben. Welcher Vampir wohl mit den ermordeten Fangbangern zusammengewesen sein mag, wolltet ihr wissen.“

„Du weißt genau, daß das nur uns und niemanden sonst etwas angeht“, fuhr Malcolm fort, sein Gesicht mit einem Mal so ernst, daß es wirklich schreckenerregend wirkte. „Manche von uns haben nun mal keine Lust, zu Baseballspielen zu gehen und ... (offensichtlich forschte er in seinen Erinnerungen nach etwas besonders eklig Menschlichem) zu Grillabenden! Wir sind Vampire!“ So wie er das Wort aussprach, klang darin Majestät und Glanz, und ich sah, daß eine Menge Leute im Lokal in seinen Bann gerieten. Malcolm war klug; er wollte den schlechten Eindruck, den Diane erweckt hatte, gern wieder wettmachen - während er gleichzeitig alle, die den schlechten Eindruck gewonnen hatten, mit Verachtung strafte.

Mit aller Kraft, die ich aufbieten konnte, trat ich Malcolm auf den Fuß. Er zeigte mir die Fänge. Die Menschen im Lokal blinzelten und schüttelten sich.

„Warum verschwinden Sie nicht einfach wieder, Mister?“ fragte Rene. Er hing über dem Tresen, beide Ellbogen neben ein Glas Bier gestützt.

Es folgte ein Moment, in dem alles auf der Kippe stand, wo es ohne weiteres zu einem Blutbad hätte kommen können. Keiner meiner menschlichen Gefährten schien auch nur im Entferntesten zu ahnen, wie stark, wie unbarmherzig Vampire waren. Bill hatte sich vor mich gestellt, eine Tatsache, die von jedem einzelnen Besucher im Merlottes registriert wurde.

„Nun, wenn wir hier nicht erwünscht sind ... “, sagte Malcolm, und seine Stimme erklang mit einem Mal in hohen Flötentönen, was in völligem Gegensatz zu der ausgesprochenen Männlichkeit lag, die er und all seine Muskeln ansonsten zur Schau stellten. „Die guten Leute hier wollen Fleisch fressen, Diane, und all die anderen Dinge tun, die Menschen so tun, und das wollen sie allein tun, Diane, oder höchstens zusammen mit unserem ehemaligen Freund Bill.“

„Ich glaube ja gern, daß unsere kleine Kellnerin ein ziemlich menschliches Ding mit unserem Bill treiben will“, setzte Diane an, aber Malcolm bugsierte sie aus dem Lokal, ehe sie weiteren Schaden anrichten konnte.

Als die beiden aus der Tür waren, schien der ganze Raum wie ein Mann zu erschauern, und ich dachte, es sei wohl das Beste zu gehen, auch wenn Susie noch nicht eingetroffen war. Bill hatte draußen auf mich gewartet, und als ich ihn fragte warum, sagte er, er habe ganz sicher gehen wollen, daß sie auch wirklich verschwunden waren.

Ich fuhr hinter Bill her zu seinem Haus und dachte dabei darüber nach, daß wir bei dem Vampirüberfall doch eigentlich ganz gut weggekommen waren. Dann fragte ich mich, was Malcolm und Diane wohl zu uns geführt hatte. Ich konnte mir nicht richtig vorstellen, daß die beiden sich so weit von zu Hause einfach auf einer Vergnügungsfahrt befunden hatten, in deren Verlauf sie dann beschlossen, doch einmal im Merlottes vorbeizuschauen. Da die beiden und Liam überhaupt keine Anstrengungen machten, sich zu assimilieren, waren sie ja vielleicht aufgetaucht, um Bills diesbezügliche Bemühungen zu torpedieren.

Das Haus der Comptons hatte sich seit meinem letzten Aufenthalt an jenem schrecklichen Abend, an dem ich die anderen Vampire kennengelernt hatte, sehr verändert.

Offenbar hatten sich die Handwerker alle sehr um Bill bemüht - sei es, weil sie Angst davor hatten, ihn zu verstimmen, sei es, weil er gut bezahlte. Vielleicht lag es ja auch an beidem, das wußte ich nicht. Das Wohnzimmer erhielt gerade eine neue Decke und hatte bereits eine neue Tapete, weiß, mit einem zarten Blumenmuster. Man hatte die Hartholzfußböden gesäubert und gebohnert, so daß sie im alten Glanz erstrahlten, als seien sie gerade erst verlegt worden. Bill führte mich m die Küche. Sie war natürlich sparsam eingerichtet, aber hell und freundlich und verfügte über einen funkelnagelneuen Kühlschrank voller Synthetikblut in Flaschen. (Igitt!)

Das untere Badezimmer war äußerst verschwenderisch ausgestattet!

Soweit ich das wußte, benutzte Bill das Badezimmer zumindest in seiner einen, überaus menschlichen Funktion nie, und so sah ich mich baßerstaunt um.

Man hatte das ursprüngliche Badezimmer um einiges vergrößert, indem man es mit einer Speisekammer und einem Teil der alten Küche zusammengelegt hatte.

„Ich dusche gern“, sagte Bill und wies auf eine durchsichtige Duschkabine in der einen Ecke des Raums. Die Kabine war groß genug für zwei Erwachsene und den einen oder anderen Zwerg. „Ich liege auch gern in warmem Wasser“, fügte er hinzu und zeigte auf das Herzstück des ganzen Raumes, eine Art riesige Wanne, umgeben von einer Plattform aus Zedernholz, zu der an zwei Seiten Stufen hinaufführten. Um die Wanne standen große Zimmerpflanzen. Das Ganze kam dem Aufenthalt in einem ziemlich luxuriösen Dschungel so nahe, wie man einem solchen Aufenthalt im nördlichen Louisiana überhaupt kommen kann.

„Was ist denn das?“ fragte ich höchst beeindruckt.

„Das ist eine transportable heiße Quelle“, erklärte Bill stolz. „Es hat Düsen, die man individuell einstellen kann, so daß jeder sich mit genau dem Druck massieren lassen kann, den er gern hätte. Ein Whirlpool!“ fügte er hinzu, als ich immer noch verständnislos blickte.

„Der hat ja Sitze!“ sagte ich und blickte in die riesige Wanne hinab, deren Inneres mit grünen und blauen Kacheln ausgekleidet war. Außen befanden sich ein paar reich verzierte Hähne.

Bill drehte die Hähne auf, und Wasser schoß in die Wanne.

„Vielleicht können wir zusammen baden?“ schlug Bill vor.

Ich fühlte, wie meine Wangen knallrot wurden und mein Herz ein wenig rascher schlug.

„Vielleicht gleich jetzt?“ Bills Finger zupften an meinem Hemd, das ich in die Shorts gesteckt hatte.

„Nun gut ... warum nicht.“ Irgendwie konnte ich ihm nicht ins Gesicht sehen. Dieser - nun gut: dieser Mann! - hatte mehr von mir zu sehen bekommen, als ich je jemanden hatte sehen lassen, meinen Arzt eingeschlossen.

„Habe ich dir gefehlt?“ fragte er, wobei seine Hände mir die Shorts aufknöpften und sie mir von den Hüften schoben.

„Ja!“ erwiderte ich auf der Stelle, denn er hatte mir gefehlt, das wußte ich genau.

Bill hatte sich gerade hingekniet, um mir die Schnürsenkel meiner Nikes aufzubinden. Meine Antwort brachte ihn zum Lachen. „Was hat dir am meisten gefehlt, Sookie?“

„Mir hat dein Schweigen gefehlt“ sagte ich, ohne groß nachzudenken.

Bill sah auf. Seine Finger, die gerade an einem Ende des Schnürsenkels gezogen hatten, um die Schleife zu lösen, hielten inne.

„Mein Schweigen“, wiederholte er.

„Daß ich nicht in der Lage bin, deine Gedanken zu hören. Du kannst dir gar nicht vorstellen, Bill, wie wunderbar das ist.“

„Ich dachte, du würdest etwas anderes sagen.“

„Das hat mir auch gefehlt!“

„Sag mir, wie sehr“, bat er mich, zog mir die Socken aus und ließ seine Hände an meinen Schenkeln emporgleiten, um mir den Slip und die Shorts herunterzuziehen.

„Bill! Das ist mir peinlich!“ protestierte ich.

„Bei mir soll dir nichts peinlich sein. Bei mir am allerwenigsten!“ Er stand nun wieder auf und entledigte mich meines Hemdes; dann langte er hinter mich, um mir den BH aufzuhaken, streichelte mit seinen Händen die Abdrücke, die mein BH auf der Haut hinterlassen hatte, und wandte seine Aufmerksamkeit meinen Brüsten zu. Irgendwann zwischendurch schüttelte er sich die Sandalen von den Füßen.

„Ich werde es versuchen“, sagte ich und blickte auf meine Zehen hinunter.

„Zieh mich aus.“

Das konnte ich! Rasch knöpfte ich sein Hemd auf und zog es ihm aus der Hose, streifte es von den Schultern. Ich löste seinen Gürtel und machte mich dann an dem Knopf an seinem Hosenbund zu schaffen. Der Hosenbund war steif und bereitete mir Probleme.

Ich dachte, ich müsse anfangen zu heulen, wenn sich der Knopf nicht bald als kooperativer erweisen sollte. Ich kam mir so ungeschickt und unfähig vor.

Bill nahm meine Hände und legte sie sich an die Brust. „Langsam, Sookie, langsam“, sagte er, und seine Stimme war ganz leise und zittrig. Ich konnte förmlich spüren, wie ich mich Stück für Stück entspannte, und ich streichelte seine Brust, wie er die meine gestreichelt hatte, wickelte mir sein lockiges Haar um die Finger, kniff ihn sanft in eine flache Brustwarze. Er legte die Hand an meinen Hinterkopf und drückte mich gegen seine Brust. Ich hatte nicht gewußt, daß Männer das mögen, aber Bill gefiel es sehr, und so schenkte ich der anderen Brustwarze dieselbe Aufmerksamkeit. Währenddessen nahmen auch meine Hände die Arbeit an dem vermaledeiten Knopf wieder auf, und diesmal ließ sich dieser ganz einfach handhaben. Ich schob Bill die Hose über die Hüften und ließ meine Hand in seinen Slip wandern.

Er half mir in die brodelnde Wanne, wo das Wasser sanft um unsere Beine sprudelte.

„Soll ich dich zuerst baden?“ fragte er.

„Nein“, erwiderte ich atemlos. „Gib mir die Seife!“