Kapitel dreiundvierzig
Ashworth wartete an der Zufahrt nach Springhead House in seinem Wagen. Vera hielt in einer Toreinfahrt, die zu einem kleinen Gehölz führte, und ging die Straße hinunter in seine Richtung. Es roch nach nassem Laub und nach Kühen. Sie fühlte sich besser, obwohl die Sorge um Emma in ihrer Magengrube wühlte, ein dumpfer Schmerz. Noch mehr schlechte Nachrichten zu überbringen, das würde sie nicht ertragen. Und sie würde es nicht ertragen, wenn sie sich geirrt hätte. Sie setzte sich auf den Beifahrersitz. Joe hörte Radio. Classic FM. Er besuchte einen Abendkurs zum Verständnis klassischer Musik. Sie streckte den Arm aus und schaltete das Radio ab.
«Und?», fragte sie.
«Ich habe mit den Nachbarn gesprochen. Zunächst kam nicht viel. Die meisten sind erst da hingezogen, als die Winters schon weg waren. Es ist eine von diesen Nobelgegenden, wo alle viel zu viel zu tun haben und sich nicht darum scheren, was hinter verschlossenen Türen vor sich geht. Große Häuser, riesige Gärten. Dann habe ich eine ältere Dame gefunden, die sie noch kannte. ‹Eine reizende Familie›, hat sie gesagt. ‹Es war so ein Jammer, dass sie wegzogen.›» Er nahm eine Alte-Damen-Stimme an, hoch und dünn, mit gehobenem Akzent. Beim örtlichen Laienspiel wäre er echt gut, dachte Vera. Er könnte die komische Alte geben.
Joe fuhr fort: «Sie war damals schon Witwe und hat bei den Winters babygesittet, als die Kinder noch klein waren. Bis sie sie nicht mehr darum baten. Das hat sie sehr getroffen, sie hat sich gefragt, ob sie etwas falsch gemacht hat, ob die Kinder sie aus irgendeinem Grund nicht mehr mochten. Es hat sie so beschäftigt, dass sie Mary aufgesucht hat. ‹Natürlich habe ich mir völlig umsonst solche Sorgen gemacht. Eine von Roberts Kolleginnen hatte eine Tochter, die das Geld viel eher gebrauchen konnte. Selbstverständlich haben sie sie statt meiner gebeten.›»
«Ach», sagte Vera. Ein Seufzer der Befriedigung und Erleichterung.
«Die Kollegin heißt Maggie Sullivan. Sie haben zu viert zusammengearbeitet. Drei Architekten und jemand für den Bürokram. Der eine Architekt und der Büroleiter waren schon fast in Rente, ein bisschen alt für heranwachsende Töchter, also musste sie es sein. Sie arbeitet immer noch in York. Als ich ihr erklärt habe, weshalb ich da bin, schien sie erleichert zu sein. Sie hat sich schuldig gefühlt, weil sie damals nicht zur Polizei gegangen ist.»
«Und was genau ist damals passiert?»
«Robert Winter war ganz besessen von ihrer Tochter. Er hat sie überallhin verfolgt, vor der Schule auf sie gewartet. Ist richtig lästig geworden.» Ashworth hielt inne. «Woher wussten Sie das nur?»
«Ich wusste es nicht. Nicht sicher zumindest. Aber irgendwas musste passiert sein, weshalb sie ihr Leben so dramatisch geändert haben.» Außerdem hat er etwas an sich, das meine Haut kribbeln lässt. Und der Psychiater hat gesagt, jemand mit genügend Selbstbeherrschung könnte damit davonkommen.
«Weshalb er sich Gott zugewandt hat?»
«Ja, genau.» Sie deutete mit dem Kinn auf das Haus. «Was geht da drinnen vor?»
«Keine Ahnung. Seit ich hier bin, ist alles ruhig.»
«Und Emma Bennett ist nicht vorbeigekommen?»
«Nein, aber ich bin ja auch noch nicht lange da.»
«Sie hat sich mit ihrem Mann gestritten und ist verschwunden.» Vera erzählte von Michael Long und der Sache im Anchor. «Es ist wahrscheinlich nichts, aber ich habe ein scheußliches Gefühl dabei.»
«Das wird nichts zu bedeuten haben.» Er sah sie an, unbesorgt. Er glaubte ganz genau zu wissen, wer Abigail und Christopher umgebracht hatte. Sie antwortete nicht gleich. Jetzt, wo es darauf ankam, wurde sie unsicher.
«Wie wollen Sie vorgehen?», sagte er. «Wir können bis zum Morgen warten und einen Durchsuchungsbeschluss erwirken. Das Handy von dem Jungen ist immer noch nicht aufgetaucht. Wenn es dadrinnen ist, haben wir was Brauchbares.»
Vera wusste, dass sie es nicht aushalten würde, bis zum nächsten Morgen zu warten. Sie fand diesen Fall abscheulich. Sie fand die ganze Heuchelei abscheulich, die nicht zu Ende gebrachte Trauer, die grauenhafte, platte Landschaft. Sie wollte nach Hause. Außerdem sollten sie an Emma und den Kleinen denken.
«Warum gehen wir nicht einfach rein?»
«Jetzt?»
«Wieso nicht? Ein paar inoffizielle Fragen. Und wir haben eine Entschuldigung. Wir suchen Emma.»
«Was, wenn wir ihn damit verscheuchen?»
«Das glaube ich kaum. Sie etwa?»
Ashworth dachte einen Augenblick nach. «Nein», sagte er. «So jemand will erwischt werden.»
Vera glaubte zwar nicht, dass Joe die Sache damit richtig einschätzte, aber sie würde ihn vielleicht noch dazu bringen müssen, ein paar Regeln zu beugen, deshalb sagte sie lieber nichts.
Ashworth griff nach dem Schlüssel, um das Auto anzulassen, doch sie hielt ihn davon ab.
«Wir gehen zu Fuß. Ich will sie nicht vorwarnen.»
Und sie konnte noch etwas Zeit gebrauchen, um die Puzzleteile zusammenzusetzen. Oder vielmehr, um ihr seelisches Gleichgewicht wiederzufinden. Den Glauben, dass sie dem Job gewachsen war. Und um den Augenblick der Panik zu vergessen, der sie vor dem Captain’s House befallen hatte.
Sie gingen den schnurgeraden Zufahrtsweg entlang, und ihre Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit, sodass sie Joe Ashworths Taschenlampe nach einer Weile nicht mehr brauchten. Es war eine klare Nacht. Gut möglich, dass es später noch frieren würde, wie in der Nacht, in der Christopher umgebracht worden war. Ob Robert und Mary wohl nach draußen in den Himmel schauten und sich erinnerten? Die Autos auf der Hauptstraße und der Mond spendeten genug Licht. Zu ihrer Rechten wurde die Küste von dem roten Leuchten des Lotsensignals markiert, und direkt vor sich sahen sie zwei orange Vierecke, eins über dem anderen. Ein Fenster im Erdgeschoss und eins im ersten Stock des hässlichen, kantigen Hauses. Auch eine Art Leuchtfeuer.
Die Vorhänge des Küchenfensters waren nicht zugezogen, und Vera blieb stehen, drückte sich an die Außenmauer, damit sie von innen nicht gesehen werden konnte, und spähte hinein. Robert und Mary saßen am Küchentisch. Mary stand gerade auf, nahm einen Topf Milch vom Herd und goss sie in Becher. Vera sah nur zwei Becher. Der Anflug von Panik kehrte zurück. Wo war Emma? Aus dem Nebenzimmer kam ein Geräusch, ein Brüllen.
Dann trat Emma in die Küche, und Vera spürte, wie ihr Puls sich beruhigte. Emma trug das schreiende Baby auf dem Arm, ihre Augen waren vom Weinen gerötet. Mary bot an, ihr Matthew abzunehmen, aber sie klammerte sich an ihm fest. Sie ging auf und ab und rieb ihm über den Rücken, bis das Schreien nachließ, dann setzte sie sich an den Tisch. Sofort fing Robert an, auf sie einzureden.
Dieses ganze Gerede, dachte Vera. Alle sitzen immer nur herum und erzählen Geschichten, um sich zu rechtfertigen oder die Schuld auf andere abzuwälzen. Sie fragte sich, was wohl passiert war. War Emma überhaupt in der Töpferei gewesen? Vielleicht hatte Dan sie hierhergefahren. Noch so eine Geschichte. Noch mehr Erklärungen. Natürlich war Emma nach Springhead House gekommen, um den Kleinen zu holen, nicht, um mit ihren Eltern zu reden. Denen hatte sie sich doch noch nie anvertraut.
Vera stand im Hof und schaute in die Küche. Über ihr wölbte sich der gewaltige Winterhimmel, von dem einem schwindelig werden konnte, und vor ihr spielte sich ein kleines Familiendrama ab, eine Seifenoper. Und genau dazwischen stand sie. Selbst wenn ihr Schatten in der Dunkelheit zu sehen wäre, dachte Vera, würde es den Winters wohl nicht auffallen. Sie waren ganz in ihr Gespräch vertieft, und Vera hörte alles, was gesagt wurde. Zu Doppelfenstern hatte es in Springhead House bis heute nicht gereicht.
Gerade sprach Mary. «Ich verstehe das nicht», sagte sie. «Wieso sollte James so etwas tun?»
«Ich verstehe es ja auch nicht. Er hat mich angelogen. Was willst du denn sonst noch wissen? Wenn Mr Long seine Vergangenheit nicht ausgegraben hätte – er selbst hätte es mir wahrscheinlich nie erzählt.»
«Solltest du nicht besser mit ihm reden?»
«Vielleicht hat er ja gelogen, weil er Abigail umgebracht hat. Das will ich nicht wissen.»
«Das ist doch lächerlich», sagte Mary. «James hat seinen Namen geändert. Das macht ihn nicht zu einem anderen Menschen. Er hat ja nicht bei irgendwas Wichtigem gelogen. Und du hast ihn geheiratet, hast sein Kind bekommen. Du kannst dich jetzt nicht einfach so davonmachen und weglaufen.» Sie umklammerte die riesige Patchworktasche auf ihrem Schoß, als wäre sie ein Baby, das ihr gehörte.
«Und wieso nicht? Hat er nicht genau dasselbe getan? Ihm hat nicht gefallen, wer er war, also ist er weggelaufen.»
«Du solltest ihn anrufen», sagte Robert. «Er macht sich bestimmt Sorgen.»
«Gut so.» Emma hätte wieder fünfzehn sein können, aufsässig und fest entschlossen, ihren Willen durchzusetzen. Genau den Gesichtsausdruck musste sie gehabt haben, als sie loslief, um Abigail in der Alten Kapelle zu besuchen, und ihrem Zorn im Kampf gegen den Wind Luft machte. «Ich hoffe, er kommt fast um vor Sorge.»
Vera trat vom Fenster zurück und klopfte an die Tür. Nicht zu laut. So blank, wie die Nerven der drei lagen, würden sie sonst noch alle einen Herzanfall bekommen. Wahrscheinlich würden sie denken, es sei James. Sie stellte sich vor, wie sie von einem zum anderen blickten und versuchten, sich zu einigen, wer aufmachen sollte. Schließlich öffnete Emma die Tür. Das haben bestimmt die Eltern so gewollt, dachte Vera. Sie haben immer gewusst, was am besten für sie war, und sich immer durchgesetzt. Die junge Frau stand in der Tür, das Baby noch auf dem Arm, und funkelte sie wütend an.
«Ich kann einfach nicht glauben, dass James Sie in der Sache eingeschaltet hat», sagte Emma. «Das geht die Polizei nichts an. Es hat nichts mit Ihrer Arbeit zu tun.»
«Er macht sich große Sorgen», sagte Vera freundlich. «Es tut niemandem weh, wenn Sie ihn wissen lassen, dass Sie in Sicherheit sind. Dürfen wir bitte hereinkommen?»
«Was wollen Sie denn von uns, mitten in der Nacht?»
«Wir haben noch ein paar Fragen. Wo Sie doch sowieso noch alle wach sind.»
Plötzlich schien Emma der Kampfgeist zu verlassen, und sie wurde wieder ganz teilnahmslos, bleich und mädchenhaft. Sie trat beiseite, um die beiden hereinzulassen. Warum macht sie das bloß?, dachte Vera. Warum verwandelt sie sich jedes Mal, wenn es Ärger gibt, in ein Kind? Ihr Kleines-Mädchen-Gesicht. Die großen, traurigen Augen. Macht sie das mit Absicht? Glaubt sie, das hält ihr die Probleme vom Leib? Bringt Dan Greenwood dazu, sie zu lieben?
«Wie sind Sie eigentlich hierhergekommen?», fragte Vera. Wie immer, wenn sie Emma so sah, hätte sie ihr am liebsten eine gescheuert, und die Frage kam grob heraus.
«Jemand hat mich mitgenommen.»
«Und wo ist er jetzt?»
«Wer?» Doch da wurde Emma schon rot. Es fing am Hals und bei den Ohren an und stieg dann ihr Gesicht hoch.
«Dan Greenwood. Sie sind zu ihm gegangen, und er hat Sie hergefahren. Spielen Sie nicht die Ahnungslose. Wenn ich Sie was frage, dann, weil ich die Information brauche.»
«Ich weiß nicht, wo er jetzt ist.» Emma schien den Tränen nahe. Vera konnte Ashworth hinter sich spüren, der sich mit seiner Ritterlichkeit gern zum Narren machte. Jeden Augenblick würde er der Kleinen sein Taschentuch anbieten. Er fiel auf jedes hübsche Gesicht und jede rührselige Geschichte herein. Sie ging in die Küche, wo die Winters noch genauso saßen wie eben, als sie sie durchs Fenster beobachtet hatte.
«Bitte verzeihen Sie die Störung», sagte sie.
Keiner sagte etwas. Sie starrten sie an.
«Ich habe Emma gerade schon erklärt, dass wir noch ein paar Fragen haben.» Und danach, dachte sie, könnte sie mit ein bisschen Glück diesen Ort und diese Menschen endlich verlassen. Sie gingen ihr allmählich unter die Haut. Bald glaubte sie schon, dass sie die Ursache für den Ausschlag an ihren Beinen waren, für das Jucken und Kratzen. Es waren die Menschen hier oder das Brackwasser in den Gräben, oder das modernde Unkraut auf den brachliegenden Feldern. Dann ermahnte sie sich, nicht so dämlich zu sein und ihren Job zu machen.
«Bei Ermittlungen wie diesen», sagte sie, «müssen wir tief graben. Die Menschen haben Geheimnisse …»
«Sprechen Sie von James?», unterbrach Robert sie. «Das hat uns Emma schon erklärt. Dafür hätten Sie nicht hier herauskommen müssen.»
«Nein», sagte Vera. «Es geht nicht um James.» Sie brach ab und wandte sich Emma zu. «Aber wieso rufen Sie ihn nicht an? Erlösen Sie den armen Mann von seinem Elend.»
«Was kann es sonst noch für Geheimnisse geben?», fragte Emma.
Vera antwortete ihr nicht direkt. «Rufen Sie James an. Hören Sie sich an, was er zu sagen hat.»
«Warum wollen Sie mich aus dem Weg haben?», fragte Emma. «Ich bin kein Kind mehr. Sie können ruhig reden, wenn ich dabei bin.»
Vera sah sie traurig an.
«Die meiste Lauferei hat Sergeant Ashworth erledigt. Er war heute in York.» Robert Winter saß ihr gegenüber. Sie wartete auf eine Reaktion von ihm, aber es kam keine. Vielleicht hatte er ja genau das erwartet. Vielleicht wartete er darauf seit dem Tag, an dem die Nachricht von Jeanie Longs Unschuld veröffentlicht worden war. Mary neben ihr, die vorher schon unruhig gewesen war, wurde noch nervöser.
«Da müssen wir doch jetzt nicht drüber sprechen, oder? Es ist spät. Wie Sie wissen, Inspector, haben wir unsere eigenen Probleme in der Familie. Emma ist ganz aufgelöst.»
«Mr Winter …»
«Was möchten Sie gern wissen?» In seiner Stimme lagen professionelle Höflichkeit und der Hauch einer Drohung. Ich hoffe, Sie kommen mir nicht mit Anschuldigungen, die Sie nicht beweisen können. Wir sind Opfer. Sie sollten uns mit Respekt und Mitgefühl behandeln.
«Ich habe mit Ihrer früheren Geschäftspartnerin gesprochen, mit Mrs Sullivan.» Joe Ashworth stand immer noch in der Tür. Alle sahen zu ihm hoch. Früher wäre es ihm unangenehm gewesen, im Mittelpunkt zu stehen. Vera war stolz auf sein neues Selbstvertrauen, wollte gern glauben, dass er es ihr zu verdanken hatte.
«Maggie und ich haben uns unter ziemlich unerfreulichen Umständen getrennt», sagte Robert. «Sie hatte das Gefühl, finanziell schlecht weggekommen zu sein. Ich glaube nicht, dass Sie sich auf ihre Version der Ereignisse verlassen sollten.»
«Sie sagte mir, Sie seien ganz vernarrt in ihre Tochter gewesen, als die noch ein Teenager war.»
«Lächerlich.»
«Sie sagte, sie sei diejenige gewesen, die die Partnerschaft aufgelöst hat. Sie fühlte sich gezwungen, die berufliche Verbindung mit Ihnen zu lösen, weil sie sich solche Sorgen wegen Ihres Umgangs mit Zoe machte.»
«Schauen Sie», sagte Robert. Er legte ein Lächeln in seine Stimme, klang wie ein Politiker, der kein Wässerchen trüben konnte. «Der Mann von Maggie Sullivan hat die beiden verlassen, als Zoe noch ein Baby war. Ich war eine Vaterfigur. Ich gebe zu, dass ich Interesse an dem Mädchen gezeigt habe, aber ich wollte nur helfen.»
«Ich glaube gern, dass es so angefangen hat. Sie war fast schon ein Teil der Familie, nicht wahr? Sie hat viel Zeit bei Ihnen verbracht und Ihnen mit den Kindern geholfen.»
«Sie war ein Einzelkind», sagte Robert. «Sie hat die beiden geliebt.»
«Dann haben Sie angefangen, sie anzurufen, wenn Sie wussten, dass ihre Mutter nicht zu Hause war. Sie haben vor der Schule auf sie gewartet, sind ihr nach Hause gefolgt. Haben ihr Liebesbriefe geschickt. Mrs Sullivan hat Sie als einen Stalker beschrieben. Sie hat damit gedroht, zur Polizei zu gehen, aber dann wollte sie nicht, dass ihre Tochter in ein Gerichtsverfahren verwickelt würde.»
«Wenn Sie das sagen, klingt es so schmutzig», erwiderte Robert. «So war es nicht.»
«Wie war es dann?» Vera fragte, als wäre sie nur neugierig, als würden sie beim Nachmittagstee ein bisschen Klatsch und Tratsch austauschen.
«Ich würde sagen, ich war in einer Lebenskrise. Alles kam mir sinnlos vor. Ich war depressiv. Zoe zu helfen gab mir das Gefühl, etwas wert zu sein. Ich habe gehofft, etwas für sie zu bewirken. Etwas Liebe in ihr Leben zu bringen. Es ist leicht, sich das Maul über so was zu zerreißen, aber genau so habe ich es empfunden. Zu der Zeit habe ich die Bedeutung des Glaubens entdeckt. Das war alles vorherbestimmt, wissen Sie. Das Missverständnis mit Zoe und Maggie, die Schwierigkeiten bei der Arbeit, all das half mir, mich Christus zuzuwenden.»
Seine Stimme klang ruhig und vernünftig. Es war, als legte er dem Schiedsgericht Beweise zugunsten eines Straftäters vor. Dann herrschte Schweigen. Einen Moment lang wusste nicht einmal Vera, was sie sagen sollte. Eigentlich wäre ein lautes Lachen die einzig mögliche Antwort auf eine solche Verdrehung der Wahrheit gewesen, aber sie hatte Emmas Gesicht gesehen, das weiß war und vergrämt, und wusste, dass es hier nichts zu lachen gab.
Robert blickte sie alle der Reihe nach an. «Das versteht ihr doch, oder?»
Niemand antwortete.