KAPITEL 6 

DER WILLE LÄSST SICH TRAINIEREN

Wenn der Körper leidet,

blüht der Geist auf.

 

David Blaine, in Anlehnung an den Heiligen Symeon Stylites d. Ä., ein Asket des 5. Jahrhunderts, der jahrzehntelang auf einer Säule in der Wüste lebte

In diesem Kapitel werden wir versuchen, eine wissenschaftliche Erklärung für das Phänomen David Blaine95 zu finden. Wenn der Mann nicht gerade im Fernsehen seine berühmten Zaubertricks vorführt, betätigt er sich der Ausdauerkünstler in Stunts, die nichts mit Magie zu tun haben, sondern mit nacktem Willen. Im New Yorker Bryant Park stand er beispielsweise 35 Stunden lang ohne jede Sicherheitsvorrichtung auf einer 25 Meter hohen Säule, die einen Durchmesser von gerade einmal 60 Zentimetern hatte. Auf dem Times Square verbrachte er 63 schlaflose Stunden in einem riesigen Eisblock. Eine Woche lang ließ er sich in einen Sarg einsperren und nahm nichts als Wasser zu sich. Und schließlich hing er 44 Tage lang in einer Glaskiste über der Themse, nahm nur Wasser zu sich und verlor dabei 25 Kilogramm Gewicht, während die Temperaturen in der Kiste zwischen dem Gefrierpunkt und 45 Grad Celsius schwankten.

»Wenn ich meine Komfortzone verlasse, wachse ich«, sagt Blaine und zitiert den Säulenheiligen Symeon, der behauptete, Leid lasse die Seele erblühen.

Wir wollen wissen, wie Blaine das schafft. Sein Geheimnis kann Ihnen auch helfen, wenn Sie kein Ausdauerkünstler sind. Warum auch immer er sich diesen Torturen unterzieht, es wäre nützlich zu wissen, woher er dabei seine Ausdauer nimmt. Wenn wir wissen, wie er es schafft, 44 Tage lang keine Nahrung zu sich zu nehmen, dann hilft uns das vielleicht, geduldiger auf unser Mittagessen zu warten. Wenn wir wissen, wie er es eine Woche lang lebendig begraben in einem Sarg aushielt, dann gibt uns das vielleicht die Geduld, ein zweistündiges Meeting durchzustehen. Was tut Blaine, um seine Willenskraft zu trainieren? Warum gab er beispielsweise nicht auf, als er bemerkte, dass bei seinem Weltrekordversuch im Luftanhalten von Anfang etwas schiefging?

Blaine hatte sich mehr als ein Jahr lang auf das Ereignis vorbereitet und gelernt, seine Lungen mit reinem Sauerstoff zu füllen, unbeweglich unter Wasser auszuharren und Sauerstoff zu sparen, indem er so wenig Energie wie möglich verbrauchte. Körperlich und geistig konnte er sich so vollständig entspannen, dass sein Puls auf unter 50 sank, gelegentlich sogar auf unter 20. Während eines Trainings in einem Swimmingpool auf den Kaimaninseln verlangsamte sich sein Herzschlag auf die Hälfte, sobald er nur die Luft anhielt, und er blieb ohne sichtliche Anstrengung 16 Minuten lang unter Wasser. Als er auftauchte und den Weltrekord von 16:32 nur knapp verfehlt hatte, wirkt er gelassen und erklärte, er habe keinerlei Schmerzen gespürt und seinen Körper und seine Umgebung kaum wahrgenommen.

Als er jedoch einige Wochen später in der Sendung von Oprah Winfrey und in Anwesenheit der Guinness-Richter den Versuch unternahm, den Weltrekord zu brechen, ergaben sich verschiedene Komplikationen. Es war nicht nur die zusätzliche Aufregung eines Fernsehauftritts: In der Sendung sollte er nicht mit dem Gesicht nach unten auf der Oberfläche eines Swimmingpools treiben, sondern aus einer großen Glaskugel heraus ins Publikum schauen. Um aufrecht stehen zu bleiben und nicht nach oben zu treiben, musste er seine Füße in zwei Schlaufen am Grund der Kugel einhängen. Während er seine Lungen mit reinem Sauerstoff füllte, machte er sich Sorgen, dass er vielleicht durch diese zusätzliche Muskelanstrengung mehr Sauerstoff verbrauchen könnte. Sein Puls war schneller als gewöhnlich, und als er die Luft anhielt, verlangsamte er sich nicht, sondern blieb bei über 100. Schlimmer noch, er konnte sein Herz rasen hören, weil der Herzrhythmusmesser zu dicht neben der Kugel aufgestellt worden war; das rasche Piep-Piep-Piep lenkte ihn ab und hinderte ihn zusätzlich daran, sich zu entspannen. Nach etwas über einer Minute war sein Puls auf 130 gestiegen und Blaine war klar, dass er ihn nicht würde kontrollieren können. Während die Minuten vergingen und sein Körper immer mehr Sauerstoff verbrauchte, blieb er bei über 100. Statt in meditative Ruhe zu versinken, beobachtete er versessen seinen Puls und den schmerzhaften Anstieg des Kohlendioxids in seinem Körper.

Nach sieben Minuten war er sich sicher, dass er es nicht schaffen würde. Nach neun Minuten kribbelten Arme und Beine, da der Körper Blut aus den Gliedmaßen abzog, um die wichtigen Organe zu versorgen. Nach elf Minuten spürte er ein schmerzhaftes Pochen in seinen Beinen und hörte ein lautes Klingeln in den Ohren. Nach zwölf Minuten fürchtete er, dass das taube Gefühl in seinem Arm und die Schmerzen in der Brust auf einen bevorstehenden Herzinfakt hindeuteten. Eine Minute später spürte er Krämpfe in der Brust und ein überwältigendes Bedürfnis, nach Luft zu schnappen. Nach vierzehn Minuten hatte sein Herz Aussetzer und sein Puls sprang wild zwischen 150, 40 und 100 hin und her. In dem Gefühl, dass ein Herzinfarkt bevorstand, löste er die Füße aus den Halterungen, damit ihn ein Notarztteam aus der Kugel ziehen konnte, für den Fall, dass er ohnmächtig wurde. Er ließ sich nach oben treiben und blieb knapp unter der Oberfläche, in der Erwartung, jeden Moment das Bewusstsein zu verlieren. In diesem Moment hörte er den Jubel des Publikums und wusste, dass er den bisherigen Weltrekord gebrochen hatte. Er sah auf die Uhr, hielt noch eine halbe Minute durch und tauchte mit einer neuen Rekordzeit von 17:04 Minuten auf.

»Das Leid hat völlig neue Dimensionen erreicht«, sagte er wenig später. »Ich habe immer noch das Gefühl, als hätte mir jemand mit voller Wucht in den Magen geschlagen.«

Aber warum hat er diese Tortur durchgehalten?

»Das hat viel mit Training zu tun«, erklärte er. »Das gibt einem das Selbstvertrauen, auch etwas schwierigere Situationen durchzustehen.«

Mit Training meinte er nicht nur seine jüngsten Tauchübungen, auch wenn er im Jahr vor dem Rekordversuch eine Menge davon absolvierte. Jeden Morgen begann er mit einer Reihe von einfachen Übungen zum Luftanhalten (mit normaler Luft, nicht reinem Sauerstoff), die sich allmählich steigerten. Über die Dauer von einer Stunde hielt er insgesamt 48 Minuten lang die Luft an und litt danach für den Rest des Tages unter heftigen Kopfschmerzen. Mit diesen Übungen gewöhnte er seinen Körper an den Schmerz während des Kohlendioxidanstiegs. Aber genauso wichtig waren andere Übungen, die er seit mehr als drei Jahrzehnten durchführte – also seit seinem fünften Lebensjahr. Blaine ist schon lange überzeugt, dass die Willenskraft ein Muskel ist, den man trainieren kann. Zum einen imitierte er einen Helden seiner Kindheit, den Zauberer Houdini, und zum anderen lernte er durch eigene Experimente.

In seiner Kindheit in Brooklyn zwang sich Blaine, stunden- und tagelang Kartentricks zu üben. Er lernte, Wettschwimmen zu gewinnen, indem die gesamte Länge des Beckens durchtauchte – mit einiger Übung gewann er 500-Dollar-Wetten, weil er fünf Bahnen tauchen konnte. Im Winter trug er nur ein T-Shirt, auch wenn er an eisigen Tagen nach draußen musste. Er duschte regelmäßig kalt und ging gelegentlich barfuß durch den Schnee. Nachts schlief er auf dem Dielenboden seines Zimmers, und einmal ließ er sich zwei Tage lang in seinem Schrank einsperren, wohin ihm seine geduldige Mutter das Essen brachte. Er gewöhnte es sich an, sich dauernd Ziele zu setzen, die er erreichen musste, zum Beispiel jeden Tag eine bestimmte Strecke zu rennen oder so hoch zu springen, dass er das Blatt des höchsten Astes an einem bestimmten Baum erreichte, unter dem er jeden Tag hindurchging. Als er im Alter von elf Jahren in Hermann Hesses Roman Siddhartha vom Fasten las, wollte er es selbst ausprobieren und nahm vier Tage lang nur Wasser zu sich. Im Alter von achtzehn Jahren fastete er zehn Tage lang. Als Ausdauerkünstler benutzte er diese Übungen, um sich auf einen Event vorzubereiten. Dazu suchte er sich kleine Rituale, die nichts mit dem Stunt selbst zu tun hatten.

»Bevor ich einen Ausdauertest mache, mutiere ich fast zum Zwangsgestörten«, erzählt er uns. »Ich nehme mir lauter komische Sachen vor. Wenn ich im Park auf dem Radweg jogge und an einem Radfahrersymbol vorbeikomme, das auf den Weg gepinselt ist, dann muss ich dem Radler beim Laufen auf den Kopf treten. Ich muss den Kopf genau treffen. Für die Leute, die mit mir laufen, ist das vermutlich ziemlich nervig, aber ich habe das Gefühl, wenn ich das nicht mache, dann habe ich keinen Erfolg.«

Aber warum glaubt er das? Warum sollte er besser die Luft anhalten können, nur weil er einem Strichmännchen auf den Kopf tritt?

»Wenn Sie Ihr Gehirn dazu bringen, sich kleine Ziele vorzunehmen und umzusetzen, dann hilft Ihnen das, auch größere Dinge zu erreichen«, erwidert Blaine. »Es geht nicht nur darum, eine bestimmte Fähigkeit zu trainieren. Es geht darum, alles ein bisschen schwieriger zu machen als normal, und alles zu erreichen. Das gibt mir eine zusätzliche Reserve, mit der ich immer über das Ziel hinausgehen kann. Das ist für mich Disziplin. Wiederholung und Übung.«

Im Falle von Blaine funktionieren diese Übungen offenbar, aber seine Ausdauerleistungen sind natürlich kein wissenschaftlicher Beweis und schon gar kein Vorbild für andere Menschen. David Blaine steht nicht stellvertretend für den Rest der Menschheit. Jemand, der als Kind kalt duscht und vier Tage lang fastet, ist nicht gerade repräsentativ. Vielleicht haben seine Leistungen ja gar nichts mit Training zu tun, vielleicht wurde er ja mit dieser Willenskraft geboren. Vielleicht sind seine Trainingserfolge ja nichts anderes als immer neue Beweise dafür, dass er mit einem übernatürlichen Willen zur Welt kam. Vielleicht ist die Willenskraft ein Muskel, den man trainieren kann, aber vielleicht verfügte Blaine von Anfang an über einen besonders kräftigen Muskel. Um festzustellen, ob das Training wirklich etwas bewirkt und auch uns Normalsterblichen etwas bringt, muss man es an Menschen testen, die keine Ausdauerkünstler sind und als Vorbild keinen heiligen Pfahlsitzer haben.

Willenstraining

Sozialwissenschaftler waren zunächst skeptisch, ob sich die Willenskraft tatsächlich trainieren ließe. Baumeisters Experimente zur Ego-Erschöpfung96 hatten schließlich gezeigt, dass wir weniger Willenskraft besitzen, wenn wir Radieschen essen und dafür die Schokolade stehen lassen müssen. Es gab keinen Grund anzunehmen, dass eine Wiederholung von Übungen dieser Art unsere Willenskraft langfristig stärken könnte.

Aber wenn es tatsächlich eine solche Möglichkeit gab, dann wäre der Nutzen gewaltig. Kurz nach Veröffentlichung der Ergebnisse zur Ego-Erschöpfung setzte sich die Forschergruppe zusammen, um zu diskutieren, ob sich der Wille trainieren lassen könnte, und wenn ja, wie. Der Doktorand Mark Muraven, der die ersten Experimente zur Ego-Erschöpfung entwickelt und durchgeführt hatte, diskutierte verschiedene Trainingseinheiten mit seinen Betreuern Roy Baumeister und Dianne Tice. Da niemand wusste, was funktionieren würde und was nicht, beschlossen sie, verschiedene Übungen auszuprobieren und zu beobachten, wie sie sich auf die Willenskraft auswirkten. Ein Problem war natürlich, dass die Teilnehmer von vornherein ein unterschiedliches Maß an Willenskraft mitbrachten, genau wie einige Sportler mehr Kraft und Ausdauer haben als andere. Um diesen Faktor auszuschalten, mussten die Forscher vor den Übungen messen, wo ihre Probanden standen. Sie ließen die Teilnehmer zunächst einen Test zur Selbstbeherrschung durchführen, dann eine Übung zur Ego-Erschöpfung und maßen schließlich die Selbstbeherrschung ein zweites Mal. Dann gaben sie den Teilnehmern eine Übung mit, die sie in den folgenden zwei Wochen allein zu Hause durchführen sollten. Zum Abschluss maßen sie ein letztes Mal im Labor die Willenskraft der Teilnehmer. Die verschiedenen Übungen entsprachen unterschiedlichen Vorstellungen dessen, was zur »Charakterbildung« erforderlich war beziehungsweise welche mentalen Ressourcen gestärkt werden mussten. Was war es, das den Willen schwächte, und was musste deshalb trainiert werden? Die Unterdrückung einer Reaktion? Die Beobachtung des Verhaltens? Oder die Veränderung einer inneren Einstellung?

Eine Gruppe von Teilnehmern sollte zwei Wochen lang an ihrer Körperhaltung arbeiten. Wann immer sie daran dachten, sollten sie sich aufrecht hinstellen oder hinsetzen. Da die Teilnehmer an die für Studenten typische Gammelhaltung gewöhnt waren, wurden sie durch diese Übung gezwungen, Energie aufzuwenden, um ihre gewohnheitsmäßige Körperhaltung zu unterdrücken. An einer zweiten Gruppe sollte überprüft werden, ob der Wille durch die Selbstbeobachtung geschwächt wurde. Diese Teilnehmer sollten in den folgenden beiden Wochen festhalten, was sie über den Tag hinweg aßen. Sie sollten keine Änderungen an ihrer Ernährung vornehmen, doch es ist durchaus denkbar, dass der eine oder andere aus Scham dies trotzdem ein wenig tat. (»Hm, Montag Pizza und Bier. Dienstag Pizza und Wein. Mittwoch Hotdogs und Cola. Es sieht vielleicht besser aus, wenn ich hin und wieder einen Salat oder einen Apfel esse.«) An einer dritten Gruppe sollte überprüft werden, wie sich die Änderung der inneren Einstellung auswirkte. Sie sollten sich zwei Wochen lang um positive Stimmungen und Emotionen bemühen. Da die Wissenschaftler hier die besten Chancen sahen, ließen sie diese Übung von doppelt so vielen Teilnehmern durchführen, um statistisch möglichst verlässliche Resultate zu bekommen.

Doch die Forscher lagen mit ihrer Vermutung daneben. Die von ihnen favorisierte Strategie brachte gar nichts. Als die große Gruppe, die ihre Emotionen kontrollieren sollte, zwei Wochen später ins Labor zurückkam und die Tests zur Selbstbeherrschung wiederholte, zeigte sie keinerlei Verbesserung. Rückblickend ist das allerdings nicht verwunderlich, denn unsere Gefühle unterliegen nicht unserem Willen. Wir können nicht einfach beschließen, verliebt zu sein, uns zu freuen oder Schuldgefühle einzustellen. Die Emotionen lassen sich über kleine Tricks kontrollieren, etwa indem wir unsere Einstellung zu einem anstehenden Problem ändern oder uns ablenken. Aber wenn wir unsere Emotionen kontrollieren, trägt dies nicht zu einer Stärkung unserer Willenskraft bei.

Andere Übungen funktionieren dagegen sehr wohl, wie die beiden Gruppen bewiesen, die an ihrer Körperhaltung arbeiteten und ihre Mahlzeiten protokollierten. Als diese beiden Gruppen zwei Wochen später ins Labor zurückkamen, hatten sie sich im Vergleich zu einer Kontrollgruppe97 (die keine Übungen machte) deutlich verbessert. Das war ein überraschendes Ergebnis, und bei sorgfältiger Auswertung der Daten wurden die Schlussfolgerungen klarer. Erstaunlicherweise erzielte die Kontrolle der Körperhaltung die besten Resultate. Das ermüdende »Setz dich gerade hin!« der Eltern bewirkte mehr, als irgendjemand erwartet hätte. Die Verbesserungen fielen umso größer aus, je gewissenhafter die Teilnehmer die Übung umgesetzt hatten (das ging aus den Aufzeichnungen hervor, die sie parallel dazu führen mussten).

Das Experiment ergab außerdem einen wichtigen Unterschied zwischen Willenskraft und Willensausdauer. Im Eingangstest hatten die Teilnehmer zunächst so lange sie konnten einen Handmuskeltrainer gedrückt (eine Übung, die bekanntermaßen nicht nur mit Muskel-, sondern mit Willenskraft zusammenhängt), dann eine Übung zur Erschöpfung ihrer Willenskraft gemacht (»Denken Sie nicht an einen Eisbären«) und schließlich die Übung mit dem Handmuskeltrainer wiederholt, um zu sehen, wie weit ihr Wille geschwächt worden war. Als sie nach zwei Wochen Haltungstraining ins Labor zurückkamen, zeigten sie in der ersten Runde Muskeltrainerdrücken keine Verbesserung, was bedeutete, dass ihre Willenskraft nicht gestärkt worden war. Was sich dagegen verbessert hatte, war ihre Ausdauer, denn in Runde zwei zeigten sie deutliche Verbesserungen gegenüber den Werten des ersten Labortermins. Dank der Haltungsübungen wurde ihre Willenskraft nicht so schnell geschwächt wie zuvor, und sie besaßen mehr Energie für weitere Aufgaben.

Sie können diese Übung selbst machen, um Ihre Willenskraft zu trainieren, Sie können aber auch andere Übungen ausprobieren. Es ist nicht die Sitzhaltung an sich – der Schlüssel ist die Änderung einer gewohnheitsmäßigen Verhaltensweise.

Versuchen Sie beispielsweise einmal, bei Routinetätigkeiten die andere Hand zu verwenden. Rechtshänder neigen dazu, automatisch alle Aufgaben mit der rechten Hand zu erledigen. Wenn Sie die linke Hand verwenden, müssen sie dazu Selbstdisziplin aufbringen. Zum Beispiel könnten Sie mit der linken Hand Zähne putzen, die Maus Ihres Computers betätigen, Türen öffnen oder eine Tasse zum Mund heben. In einigen Experimenten sollten Teilnehmer von 8 Uhr morgens bis 20 Uhr abends die linke statt die rechte Hand verwenden; wenn sie abends erschöpft waren, durften sie zu ihrer starken Hand zurückkehren. (Anmerkung für Linkshänder: Diese Strategie funktioniert in Ihrem Fall vermutlich weniger gut, da viele Linkshänder beidhändig sind und gelernt haben, in einer Welt der Rechtshänder auch ihre rechte Hand zu verwenden. Deshalb stellt der Wechsel auf die rechte Hand keine echte Stärkung des Willens dar.)

Oder versuchen Sie, Ihre Sprechgewohnheiten zu verändern. Sie könnten zum Beispiel versuchen, nur vollständige Sätze zu verwenden oder »Ähs« und »Öhs« zu vermeiden. Sagen Sie »ja« und »nein« statt »jo« und »ähem« oder »nee« und »nö«. Oder Sie könnten versuchen, Schimpfwörter zu vermeiden. Viele Menschen halten dieses Tabu heute für altmodisch: Warum sollte die Sprache diese Wörter hervorbringen, wenn man sie nicht verwenden darf? Aber der Wert dieser verbotenen Wörter liegt vielleicht genau darin, dass wir die Disziplin aufbringen müssen, sie nicht auszusprechen.

Diese Techniken bilden eine gute Aufwärmübung für größere Willensanstrengungen wie mit dem Rauchen aufzuhören oder Ihre Ausgaben einzuschränken. Es kann sein, dass es Ihnen schwerfällt, diese Techniken lange durchzuhalten. Es stellt eine echte Herausforderung dar, Übungen durchführen zu müssen, die keinen unmittelbaren Nutzwert haben.

Die Ergebnisse sorgten für großes Aufsehen unter Psychologen, zumal die Selbstdisziplin eine der beiden Eigenschaften ist, die bekanntermaßen am meisten zu unserem Wohlbefinden beitragen. (Die zweite Eigenschaft, die Intelligenz, ist kaum zu steigern. Programme wie »Head Start«98 verbessern zwar die Leistung der Teilnehmer, doch nach dem Ende des Kurses verfliegt die Wirkung schnell wieder. Unterm Strich ist Intelligenz weitgehend angeboren. Umso interessanter wurde die Selbstdisziplin.) Daher machten sich Sozialwissenschaftler daran, systematische Trainingsprogramme zu entwickeln. Dabei stellten sie fest, dass die Schwierigkeit vor allem darin bestand, die Teilnehmer bei der Stange zu halten. Es reichte nicht aus, die Übungen auf dem Reißbrett zu entwickeln – sie mussten auch in der Praxis funktionieren.

Einfach zu mehr Willenskraft

Die erfolgreichsten Strategien entwickelten die beiden australischen Psychologen Meg Oaten und Ken Cheng.99 Sie arbeiteten vor allem mit Menschen, die einen bestimmten Aspekt ihres Lebens verändern wollten. Die eine Hälfte der Teilnehmer wurde sofort einem Kurs zugeteilt, die andere Hälfte diente zunächst als Kontrollgruppe und wurde später versorgt. Dieses Verfahren trug dazu bei, dass die Mitglieder der Test- und Kontrollgruppe dieselben Ziele und Interessen mitbrachten. Beide kamen letztlich in den Genuss derselben Dienstleistung, aber die einen mussten warten und unterzogen sich in dieser Zeit denselben Tests wie die Gruppe, die bereits an den Übungen teilnahm. Diese Übungen standen in direktem Zusammenhang mit den Zielen der Teilnehmer, weshalb diese motiviert waren, sie tatsächlich durchzuführen.

An einem der Experimente nahmen Freiwillige teil, die ihre Fitness verbessern wollten, aber zuvor nie regelmäßig Sport getrieben hatten. Die Hälfte von ihnen erhielt sofort eine Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio und traf sich mit einem der Wissenschaftler, um regelmäßige Trainingseinheiten zu planen. Sie führten ein Tagebuch, in dem sie jede Übung verzeichneten.

An einem anderen Experiment nahmen Studenten teil, die ihre Lerngewohnheiten verbessern wollten. Zusammen mit den Wissenschaftlern stellten sie langfristige Ziele auf, brachen sie in kleine Schritte herunter und führten Tagebuch, um ihre Fortschritte zu beobachten.

Im dritten Experiment lernten die Teilnehmer, ihre Finanzen zu sanieren, stellten einen Haushaltsplan auf und planten Einsparmöglichkeiten. Sie hielten nicht nur Einnahmen und Ausgaben fest, sondern auch, wie sie sich fühlten, wenn sie mit der Versuchung von Schaufenstern rangen, Reisen strichen oder Ausgaben aufschoben.

In allen Experimenten kamen die Teilnehmer hin und wieder ins Labor, um Übungen durchzuführen, die scheinbar nichts mit ihren Programmen zu tun hatten. Dazu sollten sie auf einem Bildschirm sechs schwarze Quadrate beobachten. Drei dieser Quadrate blinkten kurz auf, dann bewegten sich alle sechs willkürlich über den Bildschirm. Nach fünf Sekunden mussten die Teilnehmer die drei Quadrate identifizieren und mit einer Maus anklicken, die zu Beginn des Spiels geblinkt hatten. Das heißt, sie mussten sich zu Beginn die drei Quadrate einprägen und ihre Bewegungen verfolgen. Die Übung wurde zusätzlich erschwert, weil in einem nahe dabeistehenden Fernseher eine Show lief, in der Eddie Murphy seine Witze riss und sich das Publikum schier totlachte. Wer auf den Fernseher sah oder auf die Witze hörte, verlor die Quadrate aus den Augen. Um möglichst viele Punkte zu sammeln, mussten die Teilnehmer die Witze und das Gelächter ignorieren und sich auf die langweiligen Quadrate konzentrieren, und diese Aufgabe erforderte ein gewisses Maß an Selbstbeherrschung. Die Teilnehmer mussten diese Übung zweimal durchführen: Einmal kurz nach ihrer Ankunft im Labor, wenn sie noch frisch waren, und ein zweites Mal nach einer Ego-Erschöpfung.

Sämtliche Experimente ergaben mehr oder weniger dasselbe Muster. Denjenigen Teilnehmern, die ihre Willenskraft regelmäßig stärkten, sei es durch Fitnessübungen, Lernen oder Finanzplanung, gelang es im Laufe der Wochen zunehmend besser, den Fernseher auszublenden und die Quadrate im Auge zu behalten. Die Veränderungen zeigten sich vor allem in der zweiten Aufgabe nach der Ego-Erschöpfung, das heißt, die Übungen stärkten die Ausdauer der Teilnehmer und ermöglichten es ihnen, trotz geschwächter Willenskraft den Versuchungen zu widerstehen.

Aber auch bei der Umsetzung ihrer Ziele machten sie große Fortschritte. Die Sportler wurden fitter, die Lerner effizienter und die Haushaltsplaner reicher. Doch überraschenderweise verbesserten sie sich auch auf anderen Gebieten: Die Lerner trieben öfter Sport und gaben weniger Geld aus, und die Sportler und Haushaltsplaner lernten eifriger.

Selbstdisziplin in einem Lebensbereich schien sich auch auf andere auszuwirken. Die Teilnehmer rauchten und tranken weniger, räumten ihre Wohnung auf, erledigten den Abwasch und wuschen häufiger ihre Wäsche. Sie schoben weniger auf. Sie erledigten ihre Aufgaben, statt sich zuerst vor den Fernseher zu setzen oder mit Freunden abzuhängen. Sie aßen weniger Fastfood und ernährten sich gesünder. Man sollte meinen, dass Menschen, die Sport treiben, sich automatisch besser ernähren, aber oft ist das genaue Gegenteil der Fall: Wer mit einem Fitnessprogramm beginnt, meint oft, sich jetzt mit zusätzlichen Kalorien belohnen zu dürfen. Doch in diesem Experiment gaben die Sportler dieser Versuchung nicht nach. Und die Haushaltsplaner widerstanden der naheliegenden Versuchung, Geld zu sparen, indem sie teure frische Lebensmittel durch billigeres Junkfood ersetzten. Im Gegenteil, viele gaben mehr Geld für gesunde Lebensmittel aus, weil sie offenbar insgesamt ein größeres Interesse an Selbstdisziplin hatten.

Einige Teilnehmer gaben außerdem an, sie könnten ihre Gefühle besser im Zaum halten. Diesem Phänomen ging Oaten zusammen mit Eli Finkel von der Northwestern University in einem Nachfolgeexperiment100 zur häuslichen Gewalt nach. Sie befragten Teilnehmer nach der Wahrscheinlichkeit, mit der sie körperliche Gewalt gegen ihre Partner ausüben würden, wenn sie beispielsweise von diesen »nicht respektiert« oder betrogen werden würden. Dann gaben sie ihnen Übungen mit, die sie zwei Wochen lang durchführen sollten. Nach zwei Wochen ergaben die Befragungen eine geringere Gewaltbereitschaft sowohl im Vergleich mit der ersten Runde als auch zu einer Kontrollgruppe. (Aus ethischen und praktischen Gründen können die Wissenschaftler die Teilnehmer lediglich nach ihrer Gewaltbereitschaft befragen, aber sie können die tatsächliche Gewalt nicht vor Ort messen.) Selbstbeherrschung verringert also offenbar die häusliche Gewalt.101

Alles in allem zeigt Willenstraining erstaunliche Ergebnisse. Ohne es zu bemerken, erzielten die Teilnehmer Verbesserungen in Lebensbereichen, die gar nichts mit ihren Übungen zu tun hatten. Die Laborversuche lieferten die Erklärung für dieses Phänomen: Ihre Willenskraft wurde allmählich stärker und vor allem ausdauernder. Wer in einem Bereich seine Selbstbeherrschung trainierte, konnte sie auch in anderen verbessern, genau wie Benjamin Franklin oder David Blaine behaupteten. Die Versuche zeigten außerdem, dass Sie keine übermenschliche Selbstdisziplin mitbringen müssen, um von den Übungen zu profitieren: Solange Sie motiviert sind, eine bestimmte Übung durchzuführen, kräftigt sich Ihre Willenskraft insgesamt, zumindest über die Dauer des Experiments.

Aber was passiert danach? Die Erfolge waren zwar bemerkenswert, doch die Experimente dauerten natürlich nur ein paar Wochen oder Monate. Wie schwer ist es, die Disziplin auch danach aufrechtzuerhalten? Auch auf diese Frage gibt der Fall von David Blaine Aufschluss.

Der schwerste Stunt von allen

Ehe wir David Blaine von den wissenschaftlichen Untersuchungen zur Willenskraft erzählten, fragten wir ihn, welches seiner Ausdauerexperimente am schwierigsten gewesen sei. Die Antwort fiel ihm verständlicherweise nicht leicht. Jede Tortur hatte ihren eigenen Schmerz. Der siebzehnminütige Tauchrekord bei Oprah war zwar schrecklich, aber kurz. Schlimmer war da schon der Horror der letzten Stunden seines 35-stündigen Pfahlstehens, als er Halluzinationen bekam und gegen sein Schlafbedürfnis ankämpfen musste (wäre er eingenickt, dann wäre er acht Stockwerke in die Tiefe gestürzt). Oder der Schmerz seiner 44 Fasttage in einer Glaskiste über der Themse. Er musste nicht nur den Anblick der essenden Menschen auf der Promenade ertragen, sondern hatte die ganze Zeit eine riesige Tafel mit einer Werbung für Batterien vor der Nase, auf der stand: »Wenn die Willenskraft nicht ausreicht«. Er versuchte, den Spruch witzig zu finden, doch es fiel ihm täglich schwerer. »Ab dem 38. Tag hatte ich einen Schwefelgeschmack im Mund, weil mein Körper angefangen hat, seine Organe aufzuzehren«, erinnert er sich. »Mein ganzer Körper hat mir wehgetan. Wenn der Körper seine Muskeln abbaut, dann fühlt sich das an, als würde einem jemand ein Messer in den Arm rammen.«

Aber die härteste seiner Übungen waren die 63 Stunden in einem Eisblock. Als er am Times Square in 6 Tonnen Eis eingeschlossen wurde, war das Eis nur einen Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Er verspürte eine ungewohnte Platzangst und zitterte sofort vor Kälte. Drei Tage lang fror er elendig, obwohl es draußen inzwischen für die Jahreszeit ungewöhnlich warm wurde. Die Sonnenstrahlen schufen ein zusätzliches Problem: Das Eis schmolz und tropfte ihm wie bei einer chinesischen Wasserfolter auf den nackten Hals und den Rücken. Gleichzeitig durfte er nicht einschlafen, denn wenn er sich gegen das Eis gelehnt hätte, dann hätte er Erfrierungen erlitten. Während er am Nachmittag des letzten Tages auf seine Befreiung wartete, die zur besten Sendezeit im Fernsehen übertragen werden sollte, wurde der Schlafmangel schier unerträglich.

»Ich hatte das Gefühl, das irgendetwas nicht in Ordnung war«, erinnert sich Blaine. »Ich habe Organversagen durchgemacht, aber es gibt nichts Schlimmeres als geistige Verwirrung. Durch das Eis habe ich einen Typen gesehen, der vor mir gestanden hat, und ich habe ihn gefragt, wie spät es ist. Er hat gesagt: ›2 Uhr‹. Ich habe mir gedacht, ›Mann, ich muss das noch bis 10 Uhr durchhalten. Das sind noch acht Stunden!‹ Ich habe mir gesagt, wenn es nur noch sechs Stunden sind, dann ist das nicht mehr ganz so schlimm, also muss ich nur die nächsten zwei Stunden überstehen. Ich habe diese Technik auch bei anderen Stunts als Durchhaltetechnik benutzt. Also habe ich zwei Stunden gewartet. Ich habe einfach nur geduldig gewartet, aber es war verdammt schwer. Ich habe Stimmen gehört. Ich habe ins Eis gemeißelte Körper gesehen. Und ich habe natürlich nicht gewusst, dass ich wegen des Schlafmangels Halluzinationen hatte. In solchen Situationen weißt du einfach nicht mehr, was los ist – du meinst, das ist alles real, weil du wach bist. Also habe ich zwei Stunden gewartet. Dann habe ich durch das Eis einen Typen gesehen und ihn gefragt: ›Wie spät ist es?‹«

Blaine besaß noch genug mentale Ressourcen, um zu erkennen, dass der Mann vor ihm gewisse Ähnlichkeiten mit dem Mann aufwies, den er um 2 Uhr gefragt hatte. Dann stellte er fest, dass es derselbe Mann war.

»Er hat gesagt: ›Es ist fünf nach zwei‹«, erinnert sich Blaine. »Danach ist es mir richtig schlecht gegangen.«

Irgendwie gelang es ihm, bis zur geplanten Sendezeit durchzuhalten. Doch als er aus dem Eis geschnitten wurde, war er derart benommen und schwach, dass er sofort in einem Krankenwagen abtransportiert wurde. »Am Ende habe ich gedacht, das ist das Fegefeuer. Ich habe ehrlich geglaubt, dass ich verurteilt werde und dass ich da zu warten habe, bis man mir sagt, ob ich in den Himmel oder in die Hölle komme. Diese letzten acht Stunden waren das Schlimmste, was ich je erlebt habe. Dass ich da nicht ausgestiegen bin, dazu war etwas nötig, das stärker war als ich.«

Das klang wirklich so, als könne es kaum schlimmer werden. Doch als wir Blaine von den Experimenten berichteten, die Baumeister und andere Psychologen durchführten, fiel Blaine noch etwas ein. Als er hörte, welchen zusätzlichen Nutzen das Training der Willenskraft brachte, nickte er: »Das leuchtet mir ein. Man stärkt die Disziplin. Jetzt, wo Sie es sagen – wenn ich mich auf einen Stunt vorbereite und ein Ziel habe, ändere ich alles. Ich beherrsche mich in jedem Bereich. Ich lese viel. Ich ernähre mich gesund. Ich betätige mich sozial – ich besuche Kinder im Krankenhaus und so. Ich habe eine ganz andere Energie. Völlige Selbstbeherrschung. Ich esse nach einem Ernährungsplan. Ich mäßige mich. Ich trinke keinen Alkohol. Ich verschwende keine Zeit. Aber wenn es vorbei ist, gehe ich zum anderen Extrem über, ich verliere jede Beherrschung, und das ist wie ein Dominoeffekt. Wenn ich mich nicht mehr gesund ernähre, dann lese ich weniger. Ich bin nicht mehr so konzentriert. Ich nutze meine Zeit nicht mehr so gut. Ich vergeude viel Zeit. Ich trinke Alkohol. Ich mache Dummheiten. Nach einem Stunt kann es passieren, dass ich in drei Monaten 20 Kilo zunehme.«

Während unseres Gesprächs in seiner Wohnung in Greenwich Village befindet sich Blaine in einer Nach-Stunt-Phase. Er war kurz zuvor ein paar Tage lang ungeschützt unter Haien geschwommen und dachte darüber nach, sich als Nächstes in einer Glasflasche über den Atlantik treiben zu lassen. Doch das Projekt war noch nicht fest geplant, also hatte er sich entspannt und einige Pfunde zugelegt.

»Sie erwischen mich in einem Moment, in dem ich alles andere als diszipliniert bin«, gesteht er. »Ich esse fünf Tage lang gesund und zehn Tage lang wie ein Irrer. Aber wenn es wieder so weit ist und ich mich auf eine Aktion vorbereite, dann nehme ich pro Woche anderthalb Kilo ab. In fünf Monaten bin ich fit und meine Disziplin ist groß. Schon komisch. Bei der Arbeit bin ich diszipliniert, aber im Leben nicht immer.«

Blaine konnte mit Haien schwimmen, siebzehn Minuten lang die Luft anhalten oder 63 Stunden in der eisigen Vorhölle stehen. Aber alltägliche Dinge empfand er noch immer als frustrierend. Mit seiner Eisfolter stellte er einen neuen Ausdauerweltrekord auf, aber der wurde nie ins Guinness-Buch aufgenommen, weil er die Formulare nicht rechtzeitig ausgefüllt hatte. Nicht, dass er die Formulare nicht gehabt hätte – er hatte es einfach vor sich hergeschoben, bis es zu spät war. In seiner Glaskiste über der Themse hatte er 44 Tage lang gefastet, und nun schaffte er es nicht einmal, seinem Kühlschrank zu widerstehen. Ein Grund war natürlich die Verfügbarkeit. »Ich glaube nicht, dass ich hier in dieser Wohnung 44 Tage lang fasten könnte«, sinniert er. »In der Kiste gab es keine Versuchung. Deshalb habe ich es in der Öffentlichkeit gemacht, denn dann kann ich nicht anders.« Aber selbst wenn er zu Hause keine sieben Wochen lang fasten kann, warum schafft er es dann nicht einmal, seine täglichen Mahlzeiten ein bisschen zu reduzieren?

Der Grund war die fehlende Motivation. Er hat sich und dem Publikum nichts zu beweisen. Er wusste, dass er sich beherrschen konnte, wenn er wollte, und niemand würde es ihm verübeln, wenn er zwischen seinen Stunts ein bisschen entspannte. Trotz seiner erstaunlichen Willenskraft stand er vor demselben Problem, das wir alle haben, wenn es um die schwierigste Form der Selbstbeherrschung geht: die Disziplin nicht nur ein paar Tage oder Wochen aufrechtzuerhalten, sondern über Jahre hinweg. Dazu sind die Techniken nötig, die ein anderer Ausdauerkünstler entwickelt hat.