12.

17.5.2079

Ich hatte gegessen und danach ein wenig geschlafen. Lo Tai weckte mich. Ich schlug die Augen auf und erkannte Tao Lin.

»Wir müssen miteinander reden, Commander«, sagte er.

Ich stand auf, zog mich an und folgte ihm hinüber in den anderen Raum. Dort auf dem Tisch lag eine Aufstellung der geborgenen Gegenstände aus der Tornado. Irgend jemand – wahrscheinlich Tao Lin selbst – hatte die Liste in meine Sprache übersetzt. Ich überflog sie. Der Behälter befand sich nicht unter den sichergestellten Gegenständen. Auch fehlte jeder Hinweis auf Dr. West. 

»Und der Pilot?« fragte ich. 

Tao Lin wiegte den Kopf.

»Ich sagte doch – die Tornado war leer. Es gab keinen Piloten.«

Ich zuckte mit den Achseln und ging über diesen Punkt hinweg.

»Wahrscheinlich wurde er hinausgeschwemmt, als das Cockpit aufbrach. Wir wollen uns jetzt nicht damit aufhalten. Wichtig ist einzig und allein der Umstand, daß der Behälter mit dem Bazillus nicht gefunden worden ist, und das bedeutet, daß er sich noch immer an Bord befinden muß«

Tao Lin schenkte Tee ein. Während er mir die Tasse reichte, bemerkte er: »Deswegen habe ich Sie wecken lassen, Commander. Peking ist leider nicht bereit, Sie aus Shinkoku wieder ausreisen zu lassen, aber man ist damit einverstanden, daß Sie den Bazillus bergen.«

Der Tee war heiß. Ich verbrannte mir die Lippen. Wütend stellte ich die Tasse ab. 

»Wie das?« fragte ich. 

Der alte Mann lächelte beschwichtigend. »Shinkoku ist fortan auch Ihre Stadt, Commander. Und Sie haben gesagt, daß sich die Stadt in Gefahr befindet. Folglich werden Sie etwas unternehmen, um die Gefahr zu bannen. Man wird Sie jetzt zu Ihrem Sumo bringen und Ihnen gestatten, das Wrack zu untersuchen. Aber das bedeutet nicht, daß man Ihnen Gelegenheit geben wird, zu fliehen. Eine Anzahl Kampfschwimmer wird Sie begleiten.«

Tao Lin war mir wohlgesonnen, und ich zweifelte nicht daran, daß er sich nach bestem Vermögen für meine Freilassung eingesetzt hatte. Nun jedoch schien er sich um mich zu sorgen. Er war ein weiser alter Mann, der mich durchschaute, und er wollte nicht daß ich zu Schaden kam.

Ich begab mich noch einmal zu Lo Tai. Ihre Augen ließen mich wissen, daß auch sie meine Gedanken las. Mit einem langen Blick nahm sie Abschied von mir.

»Mark«, sagte sie leise, »gib auf dich acht.«

Ich lachte, küßte sie und streifte mir die Kombination über.

»Drück mir die Daumen, Lo Tai!« sagte ich. 

Als ich den Pavillon verließ, stand Lo Tai in der Tür und blickte mir nach, und um ihre Lippen schwebte jenes unergründliche Lächeln, wie es nur das geheimnisvolle Asien kennt. Tao Lin begleitete mich bis zum Wachraum. Ein Dutzend Kampfschwimmer stand dort schon bereit, um meine Eskorte zu bilden. Ich musterte ihre Gesichter mit unguten Gefühlen. Von diesen Männern hatte ich keinerlei Unaufmerksamkeit zu erwarten.

Der koreanische Hauptmann herrschte mich an, und Tao Lin übersetzte: »Der Hauptmann weist Sie darauf hin, daß seine Leute strikte Anweisung haben, jeglichen Fluchtversuch, den Sie unternehmen könnten, mit Gewalt zu vereiteln.«

Ich ging nicht darauf ein und erwiderte: »Sagen Sie ihm, daß er, statt seine Zeit mit Drohungen zu vergeuden, seine Leute lieber anweisen soll, einen Schneidbrenner zur Tornado hinauszuschaffen. Und er soll ihnen klarmachen, daß ich einen vertikalen Schnitt benötige, der mir das Heck der Maschine öffnet.«

Tao Lin sprach auf den Hauptmann ein, und dieser griff mit wütendem Gesicht zum Telefon. Aus irgendeinem Grunde haßte er mich. Ich drückte Tao Lin die Hand. Seine Lippen bewegten sich. 

Er sagte das gleiche wie seine Enkelin: »Geben Sie auf sich acht, Commander.«

Ich zwängte mich in das Sumo, ließ die Verriegelung einrasten und startete. Das Sumo begann zu vibrieren. Ich überprüfte die Armaturen. Alle Anzeigen waren normal. Ein Fischmensch gab mir ein Klopfzeichen, und ich nahm Fahrt auf und steuerte das Sumo langsam in die Schleuse hinein. Mein Herz pochte wie verrückt, aber meine Hände waren ruhig.

 

Vor dem Wrack der Tornado hatte ich das Sumo auf Grund gelegt. Zwei Fischmenschen waren damit beschäftigt, mit Hilfe des Schweißbrenners einen Zugang zum Heck zu öffnen. Sie arbeiteten rasch und sehr geschickt. Die übrigen Kampfschwimmer hatten einen Kreis um die Tornado und mein Sumo gebildet und ließen mich nicht aus den Augen. In ihren Händen erkannte ich jenes knüppelartige Gerät, mit dem ich schon einmal Erfahrungen gemacht hatte, die ich keinesfalls zu wiederholen wünschte. 

Übler noch als diese Fischmenschen war der Albinohai. Auch er hatte sich auf Grund gelegt, nur wenige Meter von mir entfernt, und jedesmal, wenn mein Sumo sich bewegte, zuckte seine riesige Schwanzflosse. Falls ich einen Ausbruch wagen sollte, würde er als erster hinter mir her sein – mit jener wütenden, zielstrebigen Beharrlichkeit, mit der eine Meute geifernder Bluthunde einem entlaufenen Sträfling folgt.

Vor dem Hai hatte ich am meisten Respekt. Die beiden Schweißer setzten das Gerät ab und winkten. Die Öffnung, die sie für mich geschaffen hatten, war groß genug.

Ich zeigte ihnen den abgespreizten Daumen und ließ das Sumo aufschwimmen. Aus den Augenwinkeln sah ich, daß auch der Hai aufschwebte.

Vor mir dämmerte der Rumpf der Tornado. Langsam und vorsichtig, immer darauf bedacht, die Ruderanlage meines Sumos klar zu halten, Zoll um Zoll, manövrierte ich mich in das Wrack hinein und ließ den Scheinwerfer aufleuchten. Ich ließ mir Zeit, den Befund zu verdauen, aber auch das brachte mich nicht weiter. Die Tornado war, wie Tao Lin gesagt hatte, leer.

Es gab darin weder einen toten Piloten noch einen knallroten Behälter. Ich fühlte mich ratlos. Die Tornado war mir bis zuletzt als sichere Spur erschienen. Ich selbst hatte gesehen, wie Dr. West den Behälter in das Cockpit lud, bevor er startete; und nachdem er Tunis verlassen hatte, war er von Captain O'Brien nicht aus den Augen gelassen worden: bis zum Augenblick des Absturzes. Einen Atemzug lang hegte ich den Verdacht, von Tao Lin getäuscht worden zu sein, aber diesen Verdacht ließ ich sofort wieder fallen. Tao Lin war der Bürgermeister von Shinkoku, und er liebte seine absonderliche, phantastische Stadt. Die Liste, die er mir gezeigt hatte, war gewiß vollständig gewesen. Das bedeutete, daß Dr. West uns wieder einmal überlistet hatte.

Es gab nur eine Erklärung. Sie war abenteuerlich. Und sie würde mir alles abverlangen, was ich jetzt noch an Mut, Kraft und Entschlossenheit aufbringen konnte. Dr. West war noch am Leben, und die Bakterienkultur befand sich nach wie vor in seinem Besitz. Dringender denn je war es, daß ich zur Poseidon zurückkehrte – denn dort war man ahnungslos.

Falls ich nicht auftauchte, würde Kapitän Utrecht Bericht erstatten – und Harris würde zwangsläufig ein neues Team zur Absturzstelle schicken. Und inzwischen saß Dr. West irgendwo auf dem Trockenen und lachte sich ins Fäustchen. Ein letztes Mal dachte ich an Lo Tai, die mich nun nie mehr wiedersehen würde.

Vielleicht hätte ich in ihren Armen all das gefunden,  wonach mich verlangte: Ruhe und Glück. Vielleicht hätte ich mit ihrer liebenden Hilfe das Leben in Shinkoku erträglich gefunden. Aber nun ging es nicht länger nur um mich. Ich befand mich wieder im Dienst. Der Auftrag war noch nicht erfüllt.

Vorsichtig zwängte ich das Sumo – mit dem Heck voraus – ins Freie. Der Hai kam heran und postierte sich unmittelbar neben mich.

Er war wirklich ein Monstrum: fast ebensolang wie die Tornado. Hinter jedem Schlag seiner Schwanzflosse steckte der Druck mehrerer Tonnen. Falls er das Sumo damit erwischte, würde er es geradewegs in den sandigen Boden stampfen. Ein Fischmensch kam auf mich zugeglitten, klopfte gegen die Scheibe und machte eine fragende Bewegung.

Ich schüttelte den Kopf und deutete auf den Schneidbrenner. Der Fischmensch verstand nicht, was ich wollte, und wiederholte seine Bewegung, und ich wölbte meine Hände zu einer angedeuteten Öffnung, die sich vergrößerte, und wies erneut auf den Schneidbrenner.

Endlich begriff der Fischmensch; er gab den anderen ein Zeichen. Ich lachte ihn an und fuhr den stählernen Greifer aus.

Einer der Schweißer – nunmehr im guten Glauben, ich selbst hätte mir vorgenommen, die Öffnung zu erweitern – kam heran und drückte den Schneidbrenner in die ihm hingehaltene Klaue. Die bläuliche Flamme erhellte sein Gesicht; es war arglos. Ich vergewisserte mich, daß sich der Greifer nach Belieben manövrieren ließ – dann schwenkte ich das Sumo plötzlich herum und nahm Fahrt auf. Der Hai reagierte zu spät auf meinen Angriff. Bevor er ausweichen konnte, brannte sich die Flamme tief in seine Kiemen. Er bäumte sich auf, seine Schwanzflosse peitschte den Meeresboden und wirbelte den Sand auf, dann schoß er torkelnd davon. Der aufgewirbelte Sand wirkte wie plötzlicher Nebel. Die Sicht verfinsterte sich. Die Lichtbündel der Fischmenschen zuckten aufgeregt und wirkungslos hin und her.

Ich klinkte den Schneidbrenner aus, ging auf volle Fahrt voraus und begann zu steigen. Schon einmal hatte ich auf diese Weise den Versuch unternommen, den Fischmenschen zu entkommen, und schon einmal hatte ich dabei eine bittere Erfahrung machen müssen. So war es auch diesmal.

Eine Schar von Kampfschwimmern war auch noch über mir postiert. Ich erkannte sie erst, als ich aus dem Nebel auftauchte. Der Weg zur Oberfläche war mir versperrt. Darüber, was mir blühte, falls ich erneut in die Gewalt der VORs fiel, machte ich mir keine Illusionen. Diesmal würde auch Tao Lin mir nicht helfen können. Der Kredit, den ich in Shinkoku gehabt hatte, war aufgebraucht. Fortan würde der koreanische Hauptmann das Sagen haben. Ich drückte das Steuer nach vorn und tauchte zurück in den Nebel.

Ich sah die undeutliche Gestalt eines Fischmenschen, die zielstrebig auf mich zuhielt, mit ausgestrecktem Arm, doch noch bevor ich mit ihr zusammenstieß, riß ich das Steuer herum. Das Sumo berührte den Grund und prallte davon ab. Erneut wallte Sand auf.

Ich überzeugte mich davon, daß alle meine Lichter gelöscht waren, und warf einen Blick auf den Kompaß. Ich entschied mich für eine Flucht in nordöstlicher Richtung. Von dort war ich gekommen. Vielleicht mochte es mir im Gebirge gelingen, die Verfolger abzuschütteln und mich in einer der vielen Schluchten so lange zu verkriechen, bis sie es satt bekamen, nach mir zu suchen. Es war eine verzweifelte Hoffnung, und ich war mir dessen bewußt. Gewiß kannten sich die Fischmenschen im Gebirge aus, während ich mit meinem unzulänglichen Kartenmaterial darin planlos umherirren würde.

Andererseits hatte ich wenig zu wählen. Die erste Maßnahme der VORs würde darin bestehen, mir den Fluchtweg nach oben vollends abzuschneiden. Sie verfügten gewiß über hinreichend schnelle Schiffe, um dazu in der Lage zu sein. Stieß ich jedoch weiter in das Tal vor, so bedeutete das meine Rückkehr nach Shinkoku – und dort gellten längst die Alarmsirenen.

Lediglich im Gebirge durfte ich auf eine Chance hoffen – so gering diese auch sein mochte. Ich zog das Sumo ein wenig in die Höhe, um einen Blick zurückzuwerfen. Die Verfolger waren mir auf den Fersen. Ich sah das Glimmen ihrer Lichter. Aber der Abstand schien größer geworden zu sein.

Danach hielt ich das Sumo knapp über dem Meeresboden, um möglichst viel Sand aufzuwirbeln. Es ging mir dabei darum, die Fischmenschen nicht nur in ihrer Sicht zu behindern, sondern auch bei der Atmung zu belästigen. Zwar wußte ich nicht, wie ihre künstlichen Kiemen beschaffen waren, doch Sand, davon war ich überzeugt, würde ihnen auf jeden Fall schlecht bekommen. Eine bessere Waffe hatte ich nicht einzusetzen.

Im Kopfhörer begann es zu summen, und ich nahm zur Kenntnis, daß ich im Begriff stand, die elektronische Markierungsboje zu passieren, die ich für Captain Romen hinterlassen hatte, bevor ich mich auf eigene Faust auf Erkundungsfahrt in das Tal begab.

Ich befand mich unmittelbar vor der Schlucht, und wohl oder übel mußte ich mit der Fahrt heruntergehen. Noch einmal blickte ich zurück. Der Abstand zu meinen Verfolgern hatte sich weiter vergrößert; der aufgewirbelte Sand tat seine Schuldigkeit. Aber damit hatte ich mir lediglich einen flüchtigen Vorsprung erkauft – einen Vorsprung, der, falls mir kein neues Ablenkungsmanöver einfiel, nicht von Dauer sein konnte. 

Das Gebirge war wild und zerklüftet, und ich würde gezwungen sein, ohne Licht zu fahren. Ich vertraute auf die Radaranzeige und führte das Sumo in die Schlucht hinein. Die Felswände zu meinen Seiten mußten zum Greifen nahe sein, aber die Dunkelheit war undurchdringlich. Ich konnte sie nicht sehen. Die geringste Unruhe am Steuer genügte, um mit ihnen unsanft zusammenzustoßen. Im Kopfhörer ertönte eine Melodie. Sie hörte sich an wie eine muntere Zigeunerweise. Jemand blies die Mundharmonika. Einen Atemzug lang mußte ich an Grischa Romen denken.

Wahrscheinlich handelte es sich um eine Sinnestäuschung.

Die Melodie brach ab, und wieder war ich allein, mehr als viertausend Meter unter dem Meer – und die uralte Regel, daß viele Hunde des Hasen Tod sind, galt auch für mich. 

Was ich für eine Mundharmonika gehalten hatte, war das Rufzeichen von Shinkoku. Man hatte dort Tao Lin ans Mikrofon geholt; ich vernahm seine Stimme: »Commander, ich möchte, daß Sie auf mich hören. Ich weiß, wie Ihnen jetzt zumute ist, und trotzdem möchte ich Sie von Herzen bitten, die sinnlose Flucht aufzugeben. Dafür, daß Sie diesen Fluchtversuch unternommen haben, werde ich bei meinen vorgesetzten Instanzen Verständnis erwirken. Voraussetzung jedoch ist, daß Sie unverzüglich zurückkehren. Ihre Aussicht zu entkommen ist gleich Null. Man weiß, wo Sie sich befinden, und unsere Patrouillen werden das ganze Gebirge nach Ihnen durchkämmen. Bitte, Commander, hören Sie auf den Rat eines alten Freundes, der tief in Ihrer Schuld steht.«

Tao Lin, dieser gütige alte Mann aus China, meinte es gut mit mir – doch gewiß ahnte er bereits, daß er zu tauben Ohren predigte.

Ich hatte nicht die Absicht, nach Shinkoku zurückzukehren. Doch weder ihn noch seine Enkelin Lo Tai würde ich je vergessen. Dank ihnen hatte ich einmal mehr erfahren, wie unsinnig diese blutende Grenze war, die quer über den Globus verlief und ihn in zwei einander mißtrauende Machtblöcke teilte. Auf Menschlichkeit stieß man hüben wie drüben – nur war die Suche danach oft genug überlagert von Vorurteilen und mangelndem Verstehen. Freilich, mehr noch als in der EAAU, die auf eine lange demokratische Tradition zurückblicken konnte, hatten sich in den VOR Machtdünkel, Militarismus und Menschenverachtung breitgemacht – doch daran trug Tao Lin keine Schuld. Er würde mit unter den ersten sein, wenn es einmal darum ginge, über die Grenze hinweg eine ausgestreckte Hand zu ergreifen. Auf meine konnte er bereits zählen. Die Schlucht verengte sich.

Ich war genötigt – auf die Gefahr hin, von meinen Verfolgern eingeholt zu werden –, mit der Fahrt auf ein Minimum herabzugehen. Auf diese kurze Distanz war das Radar ein miserabler Wegweiser. Das Sumo berührte die rechte Felswand und schrammte mit schrillem Mißton daran entlang. Ich beeilte mich, es vorsichtig auf den richtigen Kurs zu legen.

Vorhin, in der ersten Aufregung der Flucht, hatte ich die Kälte, die in der engen Röhre nistete, kaum wahrgenommen. Nun bekam ich sie zu spüren. Die Kälte war tödlich. Sie fraß sich durch die Kombination und beeinträchtigte mein Denkvermögen. Ich zitterte am ganzen Leib, und das Zittern übertrug sich auf die Steuerung.

Wollte ich nicht zu einem Eisblock gefrieren, mußte ich in absehbarer Zeit den Durchbruch nach oben wagen. Doch bis dahin konnte ich nichts anderes tun, als mich zusammenzureißen und möglichst viele Meilen hinter mich bringen – fort von Shinkoku.

Auf dem Radar zeichnete sich eine Bewegung ab: sieben Grad voraus, in einer Distanz von hundert Metern. Es war nichts als ein flüchtiges Aufflackern, das gleich wieder erlosch, doch es reichte aus, um mich zu warnen. Ich legte das Sumo auf Grund, schaltete den Scheinwerfer ein und leuchtete voraus. Ich saß in der Falle.

Der alte Mann hatte nicht übertrieben. Die Fahndung der VORs nach meinem Sumo lief auf vollen Touren. Meine Chance, eine Masche im Netz zu finden, durch die ich schlüpfen konnte, war gleich Null.

Eine Patrouille mochte mich umschwommen haben – oder aber ich hatte es mit einer Kampfschwimmereinheit zu tun, die im Gebirge stationiert war und dort die alarmierende Order erhalten hatte. Die Schlucht war von den Fischmenschen besetzt. Ich schwenkte den Scheinwerfer und leuchtete aufwärts. Dort bot sich mir das gleiche, trostlose Bild. Mindestens eine Hundertschaft dieser schwarzgekleideten, bebrillten Fischmenschen war über mir postiert und kam nun fächergleich herabgetaucht, um über der Schlucht das Netz zusammenzuziehen. Ich ließ das Sumo aufschweben und machte eine Kehrtwendung.

Wieder irritierte mich der Kopfhörer – und diesmal war, was ich hörte, eindeutig eine auf der Mundharmonika geblasene Zigeunerweise.

Die Melodie brach ab; ich vernahm Romens Stimme: »Mark! Mark, bist du auf Empfang?«

Zwei, drei, vier Sekunden verstrichen, bevor ich bereit war, das, was ich hörte, auch zu glauben. Es kam zu überraschend. 

Romens Stimme fragte erneut: »Mark, kannst du mich hören?«

Seine Stimme klang laut und deutlich; er mußte sich ganz in meiner Nähe befinden. Es mußte ihm klar sein, daß er auch von meinen Verfolgern gehört wurde – doch er schien sich nicht darum zu kümmern. Möglicherweise wußte er sich in Sicherheit – ohne daß ich mir vorstellen konnte, welcher Art diese Sicherheit war.

Mein Blick ruhte auf den Fischmenschen. Beide Einheiten hatten sich wieder in Bewegung gesetzt und rückten näher. Ich kam zu der Einsicht, daß ich nichts zu verlieren hatte, und antwortete: »Ich höre, Grischa.«

Der Kopfhörer knisterte eine Weile. 

»Sind sie dir hart auf den Fersen?«

»Ziemlich.«

»Dann tu, was ich dir sage.«

»Was?«

»Fahrt achteraus – zwanzig Meter. Ruder hart backbord. Zehn Meter steigen.«

Ich verwechselte die Handgriffe. Ich riß das Sumo in die Höhe und bog hart nach backbord ab, noch bevor ich auf achterliche Fahrt geschaltet hatte – doch darauf kam es nicht an.

Romen sagte: »So ist es gut. Und jetzt nimmst du langsam Fahrt auf.«

Ich suchte den kleinen Monitor nach ihm ab. Sein Sumo befand sich nicht im Bereich meines Radars. Vor der Sumonase erhob sich allem Anschein nichts als nackter, harter Fels. 

Ich zögerte. »Wo, zum Teufel, steckst du?«

Romen lachte. »Genau vor deiner Nase. Mach die Funzel wieder an. Wir werden sie ohnehin gleich brauchen.«

Noch bevor ich dazu kam, meinen Scheinwerfer wieder in Betrieb zu nehmen, flammte ein anderer Scheinwerfer im Inneren des Berges auf. Ich sah, daß ich mich unmittelbar vor einer der unzähligen Höhlen befand, die das Massiv durchzogen und derentwegen ich dies mit einem Schweizer Käse verglichen hatte. Romens Sumo steckte – mit dem Bug voraus – im dunklen Hintergrund der Höhle; ich blickte auf das rote Schlußlicht. Ich sah mich um. Die Fischmenschen waren heran. Mir blieb nichts anderes übrig, als es Romen nachzutun. 

Ich sagte: »Ich komme!«

Danach stieß ich den Fahrthebel nach vorn, und mein Sumo schoß in die Höhle hinein. Ich hörte es klirren und scheppern und beeilte mich, mit der Fahrt herunterzugehen, bevor das Sumo ernstlichen Schaden nahm. In diesem Augenblick war ich, der niederen Temperatur zum Trotz, die in der metallenen Röhre herrschte, in Schweiß gebadet. Vor mir nahm Romens Sumo langsam Fahrt auf. Im Licht seines Scheinwerfers sah ich, daß wir uns in einem Höhlengang befanden, der tief in den Berg hineinführte. Der Gang war gerade hoch und breit genug, um ein Sumo durchzulassen. Eine Fülle kleinerer Gänge und Spalten zweigte davon ab. 

Romen sagte gemütlich: »Paß auf, daß du nirgends aneckst, Mark. Davon abgesehen, bist du hier sicher wie in Abrahams Schoß. Die Burschen werden sich hüten, uns zu folgen. Hier wimmelt's nämlich von allerlei widerlichem Getier. Das heißt – gut aufgehoben bist du nur, wenn es mir gelingt, mich an den Weg zu erinnern. Das Labyrinth des Minotaurus war ein nettes, kleines Spielchen im Vergleich hierzu.«