8.

24. 4. 2079

Im Morgengrauen näherte sich unser Boot erneut der Küste. Romen hatte es herausgeführt aus der Bucht von Tunis, und nun zielte sein Bug auf das betonierte Rampengelände in der Nähe der überwucherten Trümmer des alten Karthago. Joscha, der Älteste unter den Zigeunern, ein stämmiger, grauhaariger Mann mit einem verwittert wirkenden Gesicht, dirigierte uns. Um völlig sicherzugehen, warf ich dann und wann einen Blick auf den Stadtplan.

Das Rampengelände rückte näher. Ich erkannte die turmgleichen, rostenden Skelette der mächtigen Winden, die niemals in Betrieb genommen worden waren, weil die radioaktive Pest, die sich als Folge des Kilimandscharo-Ausbruchs über den ganzen Kontinent senkte, alle Arbeiten zum Erliegen brachte. Hitze und Frost – das Glas enthüllte mir die Einzelheiten – hatten mittlerweile den Beton gesprengt, und nun forderte die Natur ihr angestammtes Recht zurück. Wo ursprünglich große antarktische Eisberge hatten an Land gehievt werden sollen, um danach in die gewaltigen Kavernen zum Zwecke langsamen Auftauens gestürzt zu werden, wuchs Gras.

Joscha sagte: »Daß das etwas mit Eisbergen zu tun haben muß, ist allerdings nur eine Vermutung meinerseits, Sir.«

Ich erwiderte: »Ich erinnere mich, daß das Projekt vor ein paar Jahren lebhaft diskutiert worden ist.«

Das Projekt sollte der chronischen Wassernot der verwüsteten Provinz Tunis ein Ende setzen, indem es diese in das IT-Programm der Ice-Shipping-Company mit einbezog.

Tanja Grusinow war bei den Vorbesprechungen mit anwesend gewesen, und bei der Gelegenheit hatte Dr. West, der in Tunis einen verlängerten Wochenendurlaub verbrachte, sie kennengelernt. Eine Anmerkung im Stadtplan gab über das Projekt Auskunft.

Man rechnete mit einer jährlich zu verarbeitenden Kapazität von knapp siebzig angelandeten Eisbergen. Neunzig Prozent des Schmelzwassers sollte der Bewässerung des tunesischen Hinterlandes dienen und dazu beitragen, es in die üppige Kornkammer zurückzuverwandeln, die es in antiker Zeit einmal gewesen war: der Rest des Schmelzwassers sollte der Stadt selbst zur Verfügung stehen. All das interessierte mich nur am Rande. Von Bedeutung waren die neun blauen Adern, die ich auf dem Stadtplan entdeckt hatte. Eine davon zielte geradewegs von der Küste zur Stadtmitte auf das Herz der Kasbah.

Um zu Dr. West vorzudringen, benötigte ich weder eine Armee noch ein Dutzend Kaiman-Panzer. Als man in den Jahren 2075/76 die Kavernen schuf und die Slipanlage errichtete, hatte man auch schon das unterirdisch verlaufende Verteilernetz zu installieren begonnen.

Die blauen Adern auf dem Stadtplan kennzeichneten nicht mehr und nicht weniger als die tief unter der Oberfläche verlaufenden Aquädukte. Da die Kavernen leer waren, mußten die Aquädukte trocken sein.

Ich wandte mich an Joscha.

»Sind Sie schon einmal auf dem Gelände gewesen?«

»Ein paarmal«, erwiderte er. »Es ist eine verlassene Gegend.«

»Und?« fragte ich. »Sind Sie in die Aquädukte eingedrungen?«

»Nicht sehr weit, Sir«, erwiderte Joscha. »Es gibt dort nichts, was für uns von Interesse wäre.«

»Wie weit?«

»Vielleicht zwei, drei Kilometer, bis zur Baustelle. Dann ging uns das Licht aus, und wir kehrten um.«

»Und haben es nie wieder versucht?«

»Nie wieder. Wozu?«

Romen nahm die Fahrt aus dem Boot und manövrierte es an den verfallenden Anleger. Ein junger Zigeuner sprang an Land, und Joscha warf ihm die Leinen zu.

Nachdem Romen die Maschinen abgestellt hatte, gesellte er sich zu mir. Ein letztes Mal studierten wir den Stadtplan.

»Nun gut«, sagte Romen, »wir dringen also in die Kasbah ein. Und weiter?«

»Wir bemächtigen uns der Person von Dr. West und des Behälters und kehren auf dem gleichen Weg zurück. Danach nehmen wir Kurs auf Sizilien und sind in Sicherheit.«

Romen nickte, und seine braunen Augen bekamen Glanz.

»Das Moment der Überraschung ist auf unserer Seite. Es könnte klappen.«

»Alles hängt davon ab«, sagte ich, ob uns deine Zigeuner nicht in letzter Sekunde im Stich lassen.«

Romen lachte.

»Mark, auf meine Familie ist Verlaß.«

Wir überprüften die Waffen und brachen auf. Bis zur Kaverne Dora, von der aus der Aquädukt zur Kasbah startete, waren es nur wenige Schritte. Die Kaverne erwies sich als ein tief in das Erdreich eingelassener Schacht, etwa einen Kilometer im Quadrat und rund dreihundert Meter tief. In die östliche Wand war ein Fahrstuhl eingelassen, doch ein Blick darauf genügte, um zu wissen, daß wir auf ihn verzichten mußten.

Wir benutzten für den Abstieg die eiserne Leiter. Auf dem Grund der Kaverne war es dämmerig und kühl. Der Boden war mit feinem Sand bedeckt – die Folge unzähliger Sandstürme, die mittlerweile über das Gelände hinweggezogen waren. Der Sand fühlte sich so trocken an wie der in der Wüste. Der Eingang zum Aquädukt lag im Südwesten: ein betoniertes Rund mit einem Durchmesser von nahezu zwei Metern.

Ich übernahm die Führung. Romen ging gleich hinter mir. Die Zigeuner folgten. Nach einigen Schritten schaltete ich die Lampe ein. Ihr heller, kräftiger Strahl wanderte vor mir her. Es war, wie ich vermutet hatte: Durch diesen Aquädukt war nie auch nur ein Tropfen Wasser geflossen. Die Röhre war völlig trocken, der Beton wie neu. Wir stießen auf den ersten Pumpenraum. Hier, wo die Unbillen der Witterung nicht hinreichten, hatte das Material dem Verfall getrotzt. Die Pumpe konnte jederzeit in Betrieb genommen werden. Alles, was ihr fehlte, war Strom – und, natürlich, Wasser.

Hinter dem Pumpenraum führte der Aquädukt weiter, aber sein Durchmesser betrug nur noch die Hälfte. Ich bückte mich und zog den Kopf ein. Das Gehen wurde beschwerlich. Dann und wann blieb ich stehen und sah mich um. Romen und die Zigeuner waren mir auf den Fersen. Ich vernahm ihr gequältes Atemholen und das leise Klirren der Waffen.

Die Baustelle, von der Joscha gesprochen hatte, tauchte auf, ein hoher, tropfenförmig angelegter Raum: offenbar dazu bestimmt, eine zusätzliche Pumpenmaschinerie aufzunehmen. Hier wurde auch die Luft wieder besser. Ich richtete mich auf und reckte die schmerzenden Glieder. Die Folge der überstürzten Evakuierung war allenthalben zu sehen. Wer immer hier unten gearbeitet hatte, war, als der Alarm ihn erreichte, um sein Leben gerannt.

Das Licht der Lampe schweifte über gestapeltes Material, aufgebrochene Kisten mit Maschinenteilen, allerlei fortgeworfenes Werkzeug und technisches Gerät.

Ich setzte mich wieder in Bewegung und ging weiter. Erneut nahm der Aquädukt mich auf – doch nachdem ich darin sechzig oder siebzig Meter zurückgelegt hatte, stand ich vor einer Wand. Der Aquädukt war nie vollendet worden.

Auf dem Stadtplan stand er zwar bereits verzeichnet – doch die afrikanische Katastrophe hatte seine Fertigstellung vereitelt.

Ich fühlte mich wie vor den Kopf geschlagen. Auf diesem Aquädukt beruhte mein ganzer Plan, und nun mußte ich feststellen, daß ich eine Rechnung ohne den Wirt gemacht hatte. Romen fluchte.

Die Zigeuner beratschlagten flüsternd. Ich machte kehrt, und wir gingen zur Baustelle zurück. Dort setzte ich mich auf eine der Maschinen und überlegte.

Romen sagte: »Jetzt werden wir doch noch eine Armee benötigen!«

Er gab nur seiner Erbitterung Ausdruck. Im Grunde wußte er genausogut wie ich, daß das leere Worte waren. Der Einsatz von Militär gegen Dr. West schied aus. Nur bei einem überraschenden Handstreich konnte er am Öffnen des Behälters gehindert werden.

Das Nachdenken half mir nicht weiter. Ich mußte mir eingestehen, daß mein Vorhaben gescheitert war. Ich stand auf, um den Befehl zum Rückzug zu geben.

Der Schein der Lampe fiel auf die Maschine, auf der ich gesessen hatte. Es war ein Maulwurf – etwas größer und umfangreicher als jener, mit dem sich Dr. West auf Dal Bor 13 unter uns durchgewühlt hatte. Ich leuchtete in den Fahrstand. Das Gerät machte einen gesunden, intakten Eindruck. Das ›Manometer‹ des Behälters für komprimierte Atemluft stand auf 180 Atmosphären; die Flaschen waren noch fast voll.

Ich drückte auf den Anlasser, und der Maulwurf erwachte vibrierend zum Leben. 

Romen kehrte zu mir zurück. »Mark, was hast du vor?« 

Ich klopfte auf den Maulwurf. Romen begriff, und seine Hand schloß sich um meinen Arm.

»Mark, du bist verrückt. Du weißt ja nicht einmal, wie man mit so einem Ding umgeht.«

Ich widersprach: »Es kann kaum schwieriger sein als der Umgang mit einem großen Raumschiff. Und die Navigation ist narrensicher.«

Romens Stimme wurde rauh.

»Mark, wenn du das wirklich vorhast, nimm mich mit!«

Ich leuchtete den Maulwurf an; die Kabine bot Platz für eine Person. 

»Wie?« fragte ich. »Etwa im Schlepp?«

Romen suchte nach weiteren Argumenten, um mich zurückzuhalten, aber ich hielt an meinem Entschluß fest. Was ich auf Dal Bor 13 versäumt hatte, mußte ich nun wieder in Ordnung bringen – und zudem war es an der Zeit, Romen klarzumachen, wer bei diesem Unternehmen das Kommando führte.

»Captain Romen«, sagte ich scharf, »passen Sie jetzt gut auf.«

Romen erstarrte. 

»Mark –«

»Im Augenblick für Sie Commander!« sagte ich. »Und jetzt merken Sie sich gut, was ich Ihnen sage, denn ich werde es nicht wiederholen. Folgendes: Ich werde mit dem Maulwurf in die Kasbah eindringen – in der Hoffnung, auf diese Weise Dr. West schachmatt zu setzen, bevor er seine Drohung wahr machen kann. Für den Fall jedoch, daß mir das nicht gelingt und Dr. West mit der Tornado erneut flüchten kann, bin ich auf Sie angewiesen. Haben Sie das soweit mitbekommen?«

Romen knurrte: »Aye, aye, Sir.«

Ich schöpfte Luft, dann fuhr ich fort: »Sie werden daher unverzüglich zum Boot zurückkehren und John Harris vom Stand der Dinge unterrichten. Er soll eines unserer schnellsten Schiffe dazu abstellen, die Tornado, sofern sie Tunis verläßt, bis zum Augenblick ihrer erneuten Landung zuverlässig und unauffällig zu beschatten.«

»Sir«, sagte Romen, »Dr. West ist kein Trottel. Falls man ihn beschattet, wird er es merken.«

»Er darf es nicht merken«, antwortete ich. »Sagen Sie das Harris. Und nun los! Ich verlasse mich auf Sie.«

Ich schlug Romen leicht auf die Schulter und zwängte mich in den Maulwurf. Nachdem ich hinter mir den Fahrstand verriegelt hatte, öffnete ich das Preßluftventil, und frische, kühle Luft wehte mir ins Gesicht. Ich studierte Hebel, Armaturen und Navigationshilfen. Anschließend zog ich noch einmal den Stadtplan zu Rate. Von der Kasbah – genauer: vom markierten Innenhof innerhalb der Kasbah, auf dem die Tornado parkte – trennten mich knappe vier Kilometer. Der Kurs, den ich halten mußte, betrug 284 Grad, der Winkel der Steigung 4 Grad.

Aus diesen Werten ging hervor, daß ich mich aus meiner gegenwärtigen Tiefe von 273 Metern schräg aufwärts wühlen würde, um schließlich mitten in der Kasbah zum Vorschein zu kommen. 

Ich probierte den Vorwärtsgang. Der Maulwurf setzte sich in Bewegung. Ich probierte die Steuerung. Der Maulwurf gehorchte willig. Er wand sich fauchend auf den Aquädukt zu und tauchte in ihn ein. Ich suchte nach dem Lichtschalter, fand ihn, und die Kontrollbirnen des Armaturenbretts leuchteten auf.

Der Maulwurf erreichte das blinde Ende des Aquädukts, von dem aus ich den Rückzug angetreten hatte. Ich schaltete den Arbeitsgang hinzu, und das Raupenband begann scheppernd und klirrend zu rotieren.

Schnell und gierig fraß sich der Maulwurf in das weiche, nachgiebige Erdreich. Eine lange Weile konzentrierte ich meine Aufmerksamkeit auf Kurs und Steigung. Es war mir klar, daß ich völlig auf mich allein gestellt sein würde, aber dafür hatte ich die Überraschung auf meiner Seite. Mit etwas Glück sollte, was ich mir vorgenommen hatte, zu verwirklichen sein, und in ein paar Stunden schon konnte sich Dr. West in sicherem Gewahrsam befinden, unter der Obhut erfahrener Ärzte. Über seine absonderliche Moral konnte man nachdenken, sobald die Gefahr, die von ihm ausging, gebannt war. Daß er, auch wenn er über das Ziel weit hinausschoß, nicht völlig unrecht hatte, ließ sich nicht bestreiten: Die Katastrophen der letzten Jahre lieferten dafür den Beweis.

Die Wissenschaft wucherte aus: sie folgte den Verlockungen des Machbaren und vergaß darüber ihre ethischen Verpflichtungen. Aber der Goodman-Bazillus war kein Argument.

Zuallererst mußte ich mich des Behälters bemächtigen.

Erneut überprüfte ich die Armaturen. Der Maulwurf kam zügig voran. Ein guter Kilometer blieb noch zurückzulegen: sechzig Minuten. In diesem Augenblick passierte es. Ein rotes Warnlicht flammte links vor mir auf; der Maulwurf begann zu rütteln; das gleichmäßige Scheppern der Raupe ging über in ein heulendes Winseln.

Als ich begriff, daß ich mich, irgendwo zwischen der Küste und Tunis, in einer Tiefe von hundertundelf Meter festgefahren hatte, durchzuckte mich nacktes Entsetzen.

Bisher hatte ich es mit weichem Erdreich zu tun gehabt; nun biß der Maulwurf auf hartes Gestein, ohne auch nur noch einen Zoll voranzukommen. Ich begriff, daß es an mir lag, ihn um dieses Hindernis herumzuführen, und legte den Rückwärtsgang ein.

Der Maulwurf reagierte nicht. Ich nahm den Gang heraus und legte ihn gleich darauf erneut ein: kraftvoll und zügig. Der Maulwurf rührte sich auch diesmal nicht. Der Rückwärtsgang war defekt. Die Arbeiter, die den Maulwurf auf der Baustelle abgestellt hatten, mochten das gewußt haben. Nur – keiner von ihnen war zurückgeblieben, um mich darauf hinzuweisen.

Ich stellte die Raupe ab und zwang mich zum Überlegen – und plötzlich wurde ich mir des Umstands bewußt, daß mir der kalte Schweiß in wahren Sturzbächen über das Gesicht lief. Ich dachte an den jungen Abenteurer, der tief unter der Sahara begraben lag – ein Gefangener seines Maulwurfs.

Meine Situation war kaum besser. Vor dem Maulwurf lag hartes, undurchdringliches Gestein, an dem er sich die Zähne ausbiß, und der Weg zurück war ihm infolge seines Defekts verwehrt.

Vielleicht mochte es mir gelingen, mich aus ihm hinauszuzwängen – obwohl ich selbst dies bezweifelte; es würde mir nicht weiterhelfen. Der Stollen mußte, da keine nachgeschleppte Rohrleitung ihn stützte, längst eingebrochen sein. Der Maulwurf hatte mir das Grab gegraben: zugegeben, ein ungewöhnliches, ein königliches Grab. Nun konnte ich nichts anderes mehr tun, als die mitgeführte Luft zu verbrauchen und mich dann in mein Schicksal zu fügen.

Es gelang mir, mich zu beruhigen. Ich dachte an vergleichbare Situationen unter den Sternen – an Situationen, in denen ein schwächerer, weniger kaltblütiger Commander als ich mit dem Leben abgeschlossen hätte. Ich hingegen war aus diesen Situationen zurückgekehrt. Diese Kaltblütigkeit hatte mir das Kommando über die Medusa eingebracht – aber auch den verfluchten Kurierflug zum Mars. Mit der Lampe in der Hand untersuchte ich die verschiedenen Hebel. Dabei stellte ich fest, daß der Maulwurf über insgesamt drei Arbeitsgänge verfügte. Ich schaltete auf den, der mir der stärkste und wirksamste zu sein schien.

Die Raupe begann wieder zu rotieren. Der Maulwurf schüttelte sich noch heftiger als zuvor, und das schrille Winseln, mit dem die Diamantzähne in das harte Gestein bissen, schwoll an zu einem ohrenbetäubenden Lärm. 

Der Maulwurf bewegte sich vorwärts: langsam zwar, aber doch merklich. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und atmete auf.

Das rote Warnlicht flackerte weiter: es protestierte hysterisch gegen die Überbeanspruchung, die ich dem Maulwurf zumutete: es signalisierte den bevorstehenden Totalausfall. In jedem anderen Fall hätte ich mich davon beeindrucken lassen. Ich war mit Maschinen aufgewachsen und respektierte sie als kostspielige, anfällige Instrumente. Diesmal jedoch war mir das Wohlbefinden des Materials völlig gleichgültig: die Hauptsache war, daß es lange genug standhielt, um mir den Ausbruch aus meinem Grab zu ermöglichen.

Würde es standhalten? Ich wußte es nicht. Mit dem Pistolenkolben zerschlug ich die rote Lampe. Danach war mir wohler. Das Gestein schien zu rauchen. Auf jeden Fall füllte sich der Fahrstand mit heißen, beißenden Gasen; die Luft schmeckte bitter.

Ich verlor alles Zeitgefühl und achtete lediglich darauf, den Maulwurf auf Kurs zu halten. Irgendwann wurde das Winseln leiser, und ein paar Minuten später war wieder das vertraute Scheppern zu hören.

Das Gestein war durchbrochen; der Maulwurf wühlte sich erneut durch weiches, nachgiebiges Erdreich.

 

Kurz nach elf Uhr brach der Maulwurf in einem Innenhof der Kasbah wie eine höllische Rakete aus der Erde und wälzte sich hinaus in das helle Licht des Tages.

Ich stellte den Antrieb ab, zwängte mich aus dem Fahrstand und zog die Waffe. Nach Möglichkeit wollte ich von ihr keinen Gebrauch machen, aber andererseits mußte ich auf alles gefaßt sein. Ich war ein unwillkommener Eindringling, mit dem das Gesindel kurzen Prozeß machen würde. Wozu es fähig war, hatte ich bereits erlebt.

Der Tag war voller Sonne. Ich war geblendet. Einige Sekunden verstrichen, bis meine tränenden Augen sich an das grelle Licht gewöhnt hatten. So wie mir pflegte es verschütteten Bergleuten nach ihrer Befreiung zu ergehen. Nach Tagen oder auch nur Stunden der Finsternis wirkte das Licht des Tages wie eine atomare Explosion. Irgendwo schrie laut und gellend eine Frau. Die Zeit arbeitete gegen mich. Das Moment der Überraschung begann sich bereits zu verflüchtigen. Das Gesindel war nicht lange zu verblüffen. Ich sah mich um.

Ich befand mich in der Kasbah, aber es war der falsche Innenhof. Entweder stimmte das navigatorische Instrumentarium des Maulwurfs nicht ganz, oder ich hatte einen Fehler gemacht. Unter anderen Bedingungen wäre die seitliche Abweichung vorn Kurs – dreißig oder vierzig Meter auf drei Kilometer – kaum ins Gewicht gefallen. In diesem Fall jedoch war sie verhängnisvoll.

Von der Tornado sah ich lediglich das Cockpit. Die Verglasung funkelte in der Sonne. Davor drängten sich Mauern und Dächer. Der einzige Weg dorthin führte durch das Haus, zu dem der Innenhof gehörte, in dem ich mich befand. Die Tür stand auf. Ich rannte los.

In der Tür erschien ein schmalgesichtiger schwarzer Mann, warf mir einen entsetzten Blick zu und verschwand. Ich kannte ihn. Er war es gewesen, der auf der Kaimauer mit dem Finger auf mich gewiesen hatte. Er hatte die Fliegenden Löwen befehligt, die mich an den Himmel zu hängen versucht hatten.

Als ich in das Haus stürzte, hatte er den Karabiner bereits in der Hand. Sein Gesicht war verzerrt. Bevor er den Karabiner in Anschlag bringen konnte, war ich heran und schlug ihm den Kolben meiner Waffe über den Schädel. Er verdrehte die Augen und brach zusammen. Ich sprang über ihn hinweg. Ich rannte durch mehrere Räume, fand den Ausgang, lief durch einen schattigen Laubengang und zählte die Haustüren. Im Hintergrund ertönte lautes Geschrei.

Ich blickte zurück.

Der Laubengang begann sich mit gestikulierenden Gestalten zu füllen. Das Gesindel war aufmerksam geworden. Bald würde es aufhören, sich mit Warten zu begnügen.

Die vierte Tür schien mir die richtige zu sein. Ich drückte die Klinke nieder. Die Tür war verschlossen. Ich richtete die Waffe auf das Schloß und drückte ab. Das Holz der Füllung begann zu schwelen und fing Feuer. Ich stemmte ein Bein gegen die Tür, und sie flog auf.

Eine junge weiße Frau kam auf mich zugetaumelt. Auf ihrem Gesicht lag das mir bereits sattsam bekannte idiotische Grinsen. Sie streckte die Arme nach mir aus und fiel hin.

Mir blieb keine andere Wahl. Vor dem Haus rottete sich das Gesindel zusammen. Ich setzte über die verkrümmte Gestalt hinweg, rannte durch das Haus und fand den Innenhof. Es war zu spät.

Dr. West, einen knallroten Behälter in der Hand, enterte gerade zum Cockpit der Tornado hinauf. 

Ich brüllte: »Nat – gib auf! Nat!«

Dr. West warf den Behälter in das Cockpit, fuhr herum und legte mit einer kurzläufigen Waffe auf mich an. Ich warf mich auf die Erde.

Der Schuß fuhr ins Haus und verursachte darin einen wahren Feuersturm. Ich stemmte mich auf die Knie und brachte die Pistole in Anschlag.

Dr. West war bereits im Cockpit verschwunden. Die Verriegelung rastete ein. Das Triebwerk sprang an. Ich sprang auf, rannte zum Haus und preßte mich gegen die Mauer. Ein Orkan aus siedender Hitze fiel über mich her. 

Die Tornado löste sich mit Donnergetöse vom Boden und begann zu steigen. Ich blickte ihr nach. Sie stieg höher und höher und ging schließlich auf südlichen Kurs.

Dr. West hatte keine Sekunde verloren. Als er die Unruhe vernahm, war es ihm klar gewesen, was sie zu bedeuten hatte. Erneut befand er sich auf der Flucht – in Erwartung des Tages, an dem sich entweder die VEGA unterwarf oder aber er den Behälter öffnete und seine Drohung verwirklichte. Das Haus glühte. Die Flammen hielten den Pöbel in Schach, aber ich konnte ihn hören, wie er auf der Straße johlte und tobte.

Ich rannte auf die Mauer zu, sprang daran hoch und zog mich hinauf. Ich fiel in einen fremden Innenhof, und ein breitschultriger Mann, der darin stand, wirbelte herum und richtete sein Gewehr auf mich. Er zwang mich zu blitzschneller Reaktion. Ich schoß. Erst hinterher ging mir auf, daß ich ihn schon einmal gesehen hatte; auf der Kaimauer, als er einen betrunkenen Neger erschoß.

Ich zog mich auf die nächste Mauer hinauf – und nie zuvor war mir ein lieblicherer Anblick beschieden gewesen. Der Maulwurf stand unangetastet, wie ich ihn verlassen hatte.

Ich ließ mich fallen, brach in die Knie, raffte mich wieder auf, rannte auf den Maulwurf zu und zwängte mich in den Fahrstand. Ein Engel war mit mir im Bunde. Später hätte ich nicht zurückkehren dürfen – oder aber ich wäre geradewegs in die Falle gelaufen. Das Gesindel hatte sich davon überzeugt, daß ich allein war, und wurde mutig.

Der schmalgesichtige Schwarze, den ich niedergeschlagen hatte, war zu sich gekommen und hatte Verstärkung bekommen. Aus dem Haus brach ein Dutzend bewaffneter Gestalten. Ich verriegelte den Fahrstand und drückte auf den Anlasser. Der Maulwurf erwachte zum Leben. Im Innenhof entluden sich Gewehre und Pistolen. Ich hörte das gespenstische Prasseln der Einschläge. Die Luft, die ich atmete, roch plötzlich nach verschmortem Metall.

Mein Atem ging rasch; mein Herz pochte wie verrückt. Es war nicht nur das Alter, das sich auf diese Weise bemerkbar machte. Ich war nicht mehr in Form. Mein Körper protestierte gegen die ihm zugemutete Anstrengung. Der Alkohol hatte ihn ausgezehrt.

Ich riß mich zusammen, schaltete auf den Vorwärtsgang, ließ die Raupe anlaufen und drückte das Steuer nach vorn. Der Maulwurf stellte sich auf den Kopf und wühlte sich in die Erde.