Die Beamtenversorgung im europäischen Vergleich

 

»Es war einmal … ein ganzer Kontinent des Öffentlichen Dienstes mit krisensicheren, festen Stellen, mit Gehältern, die sich der Inflation anpassten, dazu ein 13. oder 14. Monatsgehalt, mit schönen Pensionen und einem leichten Übergang in den wohlverdienten Vorruhestand. Mit dem klassischen Einleitungssatz für ein Märchen aus der guten alten Zeit könnte man die Situation in Europa umschreiben, wenn man den Kontinent im Rückblick aus der Sicht eines »Fonctionnaire«, »Civil Servant«, »Regierungsbeamten«, »Statale« oder »Funcionario Público« betrachtet. Alle europäischen Regierungen – von den liberalen Briten bis zu den etatistischen Franzosen – kürzen derzeit Gehälter, streichen Prämien und verringern die Zahl der Staatsdiener, um die riesigen Schuldenberge in ihren Staatshaushalten wieder in den Griff zu bekommen und das Vertrauen der Märkte zurückzugewinnen. Die gegenwärtigen Reformen im Beamtenrecht führen zu einem europaweiten Aufbrechen traditioneller und hergebrachter Strukturprinzipien des Beamtentums. Seit dem »Fulton Report« in Großbritannien im Jahr 1968, der sogenannten »Normalisierungspolitik« in den Niederlanden (seit 1982), der »Angleichungspolitik« in der schwedischen (seit den achtziger Jahren), italienischen (seit 1993), dänischen (seit den neunziger Jahren) und österreichischen (seit 2001) Verwaltung ist kaum ein Jahr vergangen, in dem nicht zumindest ein EU-Land das Dienstrecht der öffentlich Beschäftigten einer grundlegenden Reform unterzogen hat. In Zentral- und Osteuropa sowie auf dem Balkan befinden sich fast alle Systeme seit 1989 in einem ständigen Umbruch. Seit 2008 befindet sich auch Frankreich inmitten eines Reformprozesses. 2009 wurde das Beamtenrecht in Portugal einer Totalrevision unterzogen.[1] Schon jetzt ist aber erkennbar, dass dies alles vor allem angesichts der europäischen Staatsschuldenkrise bei weitem nicht ausreicht.

Das gilt ganz besonders für Großbritannien. Dort sieht der Premierminister David Cameron im »spending review«, dem Haushaltsplan seiner Regierung, die Streichung von insgesamt 490 000 Stellen im Öffentlichen Dienst vor. Die Zahl könnte am Ende noch höher ausfallen: Laut dem »Chartered Institute of Personnel and Development« (CIPD, ein Institut, das sich satzungsgemäß um Angestellte und Ausbildung im Öffentlichen Dienst kümmert) werden »bis 2015 / 2016 rund 750 000 Stellen verloren gehen, wenn sich die Koalition an ihren Plan für langfristige Ausgaben hält«. Beamte, die in Pension gehen, werden nicht ersetzt und eine große Anzahl wird schlicht entlassen.

Im Sommer 2011 gingen deshalb die Lehrer in Großbritannien wieder massenweise auf die Straße. 750 000 Lehrer streikten. 6000 Schulen blieben geschlossen. Es war der erste große Streikaufruf seit dem März 2006, als mehrere 100 000 Angestellte der englischen Stadtbehörden wegen einer bevorstehenden Rentenreform die Arbeit niederlegten und besonders London mit seinen Flughäfen in einem gigantischen Verkehrschaos versank. Vergebens, die Reform kam trotzdem. Jetzt will Cameron die Leistungen für die übrigen Angestellten und Beamten im Land angleichen. Der Entwurf der Regierung sieht vor, das alle Beamten und im Öffentlichen Dienst Beschäftigten bis zum 67. Lebensjahr arbeiten und einen höheren Beitrag von 3,2 Prozent ihres Gehalts zu ihrer eigenen Staatsrente beisteuern sollen. Zudem soll der Anstieg der Pensionen im Alter an die Inflation und nicht mehr an den Preissteigerungsindex gekoppelt werden.[2]

Diese Pläne führten im Winter 2011 zu erneuten Massenstreiks im Öffentlichen Dienst. Es waren die größten Streiks seit den Unruhen der britischen Bergarbeiter im Jahr 1979. Hier verfügt die britische Gewerkschaftsbewegung noch über ihre letzte große Bastion auf der Insel. Die streikenden Beamten wehrten sich gegen die geplante Rentenreform im Öffentlichen Dienst, weil sie nicht mehr in die Pensionskasse einzahlen wollten, obwohl vergleichbare Reformen für die Privatwirtschaft in Großbritannien schon längst vollzogen wurden. Auch in Großbritannien wird die Beamtenpension auf der Basis der vollen Bezüge berechnet, während bei angestellten Mitarbeitern des Öffentlichen Dienstes nur zwei Drittel diese Bezüge die Berechnungsgrundlage für die Rente sind. Mit 33 Milliarden Pfund machen die Beamtenpensionen auch im Haushalt des englischen Schatzkanzlers einen der größten Posten aus.

In Frankreich hat Staatspräsident Nicolas Sarkozy im Jahr 2011 die Besoldung für die Beamten eingefroren. Zudem soll die Hälfte aller in den Ruhestand gehenden Beamten nicht ersetzt werden. Nur einen Tag nach der Ankündigung eines »nouveau contrat social« samt einer Rentenreform für Staatsunternehmen im Jahr 2007 kündigte Sarkozy eine »révolution culturelle« für französische Beamte an – einen effizienteren, schlankeren und weniger teuren Öffentlichen Dienst, den »service public 2012«. Bis heute sind seitdem rund 100 000 Stellen gestrichen worden. Im letzten Jahr – 2011 – kündigte er nochmals die Streichung von weiteren 31 600 Planstellen an.[3]

Das gleiche Bild im krisengeschüttelten Portugal: Dort kündigte der Sozialist José Socrates nach einem Lohnstopp 2010 zwei weitere harte Einschnitte an: eine Lohnkürzung für Beamte um fünf Prozent und einen Stopp bei Beförderungen und Neueinstellungen. Im benachbarten Spanien erklärte der damalige spanische Ministerpräsident José Luis Rodriguez Zapatero, dass die spanischen Staatsdiener drei Jahre warten müssten, bis sie bei ihren Gehältern die Kürzung um fünf Prozent vom Frühjahr 2010 wieder aufgeholt hätten. In Irland drohen, nach einem Minus von sage und schreibe 14 Prozent für Gehälter des Öffentlichen Diensts und einer Heraufsetzung der Lebensarbeitszeit im Öffentlichen Dienst auf 68 Jahre, bis zum Jahr 2028 weitere Kürzungen von Sonderleistungen für Beamte.[4] Ebenso senkte die Regierung von Giorgos Papandreou in Athen die Gehälter für griechische Beamte um 15 Prozent, bei staatsnahen Betrieben sogar um dreißig Prozent. Papandreou verordnete außerdem rigide Einschnitte bei Pensionen und Sozialleistungen, einen Einstellungsstopp im Öffentlichen Dienst, erhöhte das Renteneintrittsalter, und die noch vor kurzem für krisensicher gehaltenen Zeitverträge für Angestellte im Öffentlichen Dienst werden nicht mehr verlängert.

Aber auch anderswo setzen Regierungen in Europa den Rotstift bei ihren Beamten an. Beispielsweise im Dauerkrisengeschädigten und über Jahre hinweg regierungslosen Belgien. Dort versuchte Elio Di Rupo, Vorsitzender der »Parti Socialiste« (PS), im Sommer 2011 – mittlerweile erfolgreich – eine Regierungsmehrheit in dem tief gespaltenen Land aufzustellen. Eine seiner Kernforderungen für ein unabdingbares Sparprogramm der nächsten Jahre, das übrigens die Finanzmärkte von den notorisch politisch zerstrittenen belgischen Politikern einforderten, rührt an das bisher unantastbare Tabu der Beamtenpensionen. Derzeit wird die Beamtenpension auf Basis der letzten fünf Jahre berechnet. Di Rupo will zu einer weniger günstigen Berechnung der Renten für Beamte übergehen und die Rente auf Basis der letzten zehn Lohnjahre berechnen. Außerdem steht auch der sogenannte Inflationsausgleich, also die automatische Kopplung der Beamtenpensionen an die Beamtenbezüge, zur Diskussion. Auf diese Weise will Di Rupo bei den hohen Kosten für die Beamtenpensionen sparen, die die Staatskasse jedes Jahr mit knapp zwölf Milliarden Euro belasten.[5] Eine gleich hohe Summe muss das hoch verschuldete Königreich – pro Jahr – einsparen, damit der Schuldenstand von knapp hundert Prozent des BIP nicht noch weiter ansteigt und das Land nicht zu einem weiteren Sanierungsfall in der Eurozone wird.

Aber es ist nicht nur Westeuropa, das einen Ausweg aus der Schuldenspirale sucht. Auch im Osten gärt es. So erlebte im September 2010 die Tschechische Republik die größte Demonstration seit dem Zusammenbruch des Kommunismus: 40 000 Beamte gingen auf die Straße, um gegen die von ihrer Regierung geplante Kürzung ihrer Gehälter um zehn Prozent zu protestieren. In Ungarn strich Regierungschef Viktor Orbán den Neukauf von Dienstwagen und Handys für Staatsdiener. In Litauen verloren die Beamten durchschnittlich rund dreißig Prozent ihres Einkommens.[6] Überall wird gespart, gekürzt, Stellen werden nicht wieder besetzt – und es werden sogar Beamte entlassen. Die Politik, einmal unter Druck gesetzt, sucht ihr Heil in schnellen Haushaltsschnitten. Doch viel wichtigerwäre gerade in Krisenzeiten der Blick auf die strukturellen Schwächen und Fehlentwicklungen im System. Wann, wenn nicht jetzt, sollten dazu die notwendigen Konsequenzen gezogen werden. Denn es gibt in Europa durchaus interessante Lösungsansätze für die Probleme, die der Öffentliche Dienst den nationalen Haushalten bereitet. Wegen der vielen voneinander abweichenden Systeme ist dabei jedoch ein direkter Vergleich der Beamtenversorgung nur schwer möglich. Viele Länder haben nämlich eine eigene Ausgestaltung ihrer Beamtenversorgung vorgenommen, die sich zum Teil sogar innerhalb eines Landes je nach öffentlichem Arbeitgeber voneinander unterscheiden kann. Dies gilt sowohl für die Stellung der Beamtenversorgung innerhalb der jeweiligen Altersversorgungssysteme als auch für die Finanzierung und für weitere Kriterien wie Altersgrenzen, Wartezeiten, Höhe der Versorgung und zum Beispiel die Ansprüche von Angehörigen.

In nahezu allen europäischen Ländern wurde dabei in den vergangenen Jahren immer wieder versucht, die allgemeine staatliche Altersvorsorge zu reformieren. Hauptgrund war vor allem die demografische Entwicklung, denn das Verhältnis von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern hat sich aufgrund niedriger Geburtenraten und höherer Arbeitslosigkeit immer weiter verschlechtert. Überdies führt die gestiegene Lebenserwartung zu einer längeren Bezugsdauer von Alterssicherungsleistungen. Deshalb ist die Finanzierung der Alterssicherungssysteme europaweit schwieriger geworden – vor allem dort, wo die Finanzierung überwiegend oder ausschließlich aus dem laufenden Haushalt erfolgt. In vielen europäischen Ländern macht sich zudem in den nächsten Jahren – ähnlich wie in Deutschland – auch ein überdurchschnittlicher Zuwachs an Ruhestandseintritten bemerkbar, zurückzuführen in erster Linie auf den Personalzuwachs in der Vergangenheit.

Und so versucht die Politik die größten Auswüchse abzufedern – beispielsweise durch das Anheben der Regelaltersgrenze. Dies geschah zum Beispiel in Finnland, Schweden und Frankreich. Das Renteneintrittsalter in den Eurostaaten ist dabei in jüngerer Zeit – unter anderem durch gemeinsame Absichtserklärungen des französischen Staatspräsidenten Sarkozy und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel im August 2011 – in die öffentliche Debatte geraten. Es entstand der Eindruck, der Renteneintritt erfolge gerade in den stark verschuldeten Peripherieländern relativ früh. Tatsächlich ist aber dervorzeitige Ausstieg aus dem Erwerbsleben ein weit verbreitetes Phänomen. Im Eurogebiet scheiden die Bürger (2009) im Durchschnitt bereits mit 61,2 Jahren aus dem Beruf aus. Dabei reicht die Spanne von einem Renteneintrittsalter von 60,0 bzw. 60,1 Jahren in Frankreich und in Italien bis 63,5 und 64,1 Jahren in den Niederlanden bzw. Irland (2006). In Großbritannien liegt derzeit das Renteneintrittsalter für Frauen bei sechzig Jahren. Bis 2020 soll die Altergrenze für Frauen schrittweise angehoben werden, auf dann ebenfalls 65 Jahre, wie bei den Männern. Die südlichen Peripherieländer liegen hier im Durchschnitt (Griechenland 61,5) sogar darüber: Spanien 62,3, Portugal (2007) 62,6 Jahre. Im Öffentlichen Dienst scheiden die Arbeitnehmer sogar einige Jahre früher aus.[7] Andere Leistungseinschränkungen kommen dazu: beispielsweise strengere Vorruhestandsregelungen (etwa in Italien und Schweden), die Integration der Beamtenversorgung in das Regelsystem (etwa in Spanien und Griechenland) und die Einführung einer teilweisen Kapitaldeckung (zum Beispiel in Dänemark, Finnland, Italien, Schweden und Belgien) oder die Kürzung des Höchstversorgungssatzes.

 

Überall versucht die Politik verzweifelt, Fehlentwicklungen im Öffentlichen Dienst durch Drehen an den verschiedensten Stellschrauben nach und nach zu korrigieren. Es lohnt ein Blick auf das große Ganze. Die strikte »Zweiklassengesellschaft« bei der Altersversorgung, so wie wir sie in Deutschland mit der Rentenversicherung und berufsständischen Versicherungen auf der einen und der Beamtenversorgung auf der anderen Seite kennen, ist in Europa sonst nur in Frankreich mit seinen autonomen Pflichtkassen anzutreffen. In beiden Ländern ist die Versorgung für die Beamten beitragsfrei und steuerfinanziert. In Dänemark, Finnland, den Niederlanden, Schweden und der Schweiz geht man andere Wege.[8] Dort setzt die Politik auf eine Art Volksversicherung als Grundsicherung für alle Bürger einschließlich der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst sowie der Beamten. Sie wird ergänzt durch weitere Zusatzversorgungen. In Großbritannien, Irland, Italien, Österreich, Portugal und Spanien haben wir es mit einer Erwerbstätigenversicherung zu tun – oftmals ergänzt durch eine zusätzliche Versorgung für Staatsdiener. Ähnlich werden Staatsdiener in Schweden mit einer zusätzlichen Altersvorsorge durch einen Pensionsfonds abgesichert. In Dänemark sind die Beamten in das einheitliche steuerfinanzierte staatliche Umlagesystem integriert. Ihre Alterssicherung wird durch eine beitragsfreie betriebliche Zusatzversorgung ergänzt. Weitere grundlegende Unterschiede gibt es zum Beispiel auch bei der Mindestdienstzeit für einen Versorgungsanspruch. Sie reicht von zwei Jahren in Großbritannien bis zu 15 Jahren in Frankreich. Wenn das Kriterium der Mindestdienstzeit erfüllt ist, gewähren etliche Länder eine Mindestversorgung. Die Obergrenze für das Versorgungsniveau liegt zwischen 57 Prozent der ruhegehaltfähigen Bezüge in Dänemark und 83 Prozent in Luxemburg.

Politiker tun sich mit grundlegenden Reformen des Öffentlichen Dienstes und der Alterssicherung seiner Staatsdiener überall schwer, besonders aber in einem so staatsgläubigen Land wie Frankreich, das nach der Rentenreform von Staatspräsident Nicholas Sarkozy im Jahr 2010 – als eine Folge wurde das Renteneintrittsalter von 60 auf 62 Jahre hochgesetzt – durch zahllose Demonstrationen, Generalstreiks und Straßenschlachten nahezu am Abgrund eines Bürgerkrieges zu stehen schien. Dabei kann sich das Land, das nach Amerika um die Herabstufung seines Triple-A-Ratings zittert, bereits heute seine gut fünf Millionen Beamten schon nicht mehr leisten. Sie kosten den Staat inklusive der Ruhestandsbezüge für die Pensionäre mehr als ein Drittel des gesamten Staatshaushalts, denn nahezu ein Fünftel der aktiv Beschäftigten in Frankreich arbeitet im Öffentlichen Dienst. Paris hat einen der größten Staatsapparate aller Industrieländer.

Im Jahr 2013 wird der Schuldendienst der größte Posten im Haushalt Frankreichs sein. Direkt danach kommen die Ausgaben für die öffentliche Verwaltung. Die Staatsverschuldung hat sich seit 1970 vervierfacht. Am Jahresende 2012 wird sie dem IWF zufolge gut 85 Prozent des BIP erreichen – der höchste Schuldenstand aller europäischen AAA-Länder. Selbst bei einem Wachstum von mindestens zwei Prozent jedes Jahr und bei deutlich sinkender Arbeitslosigkeit wird der Schuldenstand weiter ansteigen, auf 88 Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahr 2013, so hat es der IWF errechnet. Wächst die Wirtschaft nicht wie erhofft und steigen die Zinsen nur um ein halbes Prozent, steigt auch Frankreichs Staatsschuld bis auf 95 Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahr 2016.[9] Laut einer Umfrage des französischen Meinungsforschungsunternehmens »Ifop« gingen im Jahr 2011 zwei von drei Franzosen davon aus, dass Frankreich in den nächsten Jahren ähnlich wie Griechenland, Irland und Portugal finanzielle Hilfe von der EU, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalem Währungsfonds benötigen könnte. Zum Vergleich: Nur 46 Prozent der Deutschen hielten dies im gleichen Zeitraum für ihr eigenes Land für möglich.

Noch wagt sich der französische Staatspräsident nicht an eine ernsthafte Reform der Beamtenversorgung heran. Immerhin sind im etatistischen Frankreich mehr als achtzig Prozent aller öffentlich Beschäftigten verbeamtet. Innerhalb des Systems bestehen auch immer noch eine Reihe von Sonderregeln für bestimmte Berufsgruppen, so dass es auch in Frankreich zwischen den 5,3 Millionen Beamten und den Beschäftigten in der Privatwirtschaft erhebliche Unterschiede gibt. Immer noch gehen Beamte früher in Rente, obwohl sie nur 7,85 Prozent ihrer Bezüge für ihre Altersvorsorge einzahlen, während Angestellte 10,55 Prozent ihrer Gehälter zahlen müssen. Gleichzeitig beziehen die Staatsdiener relativ hohe Pensionen, da diese auf Grundlage der letzten sechs Beitragsmonate berechnet werden, weshalb sich viele von ihnen kurz vor der Rente noch einmal befördern lassen. In der Privatwirtschaft dagegen werden die Renten auf Basis der besten 25 Erwerbsjahre berechnet. Lokführer, Fluglotsen oder Zöllner genießen ebenfalls gesonderte Vorteile und können sich teilweise noch einmal wesentlich früher pensionieren lassen. Aber lange wird das Land, das schon heute unter einer zunehmenden Kluft zwischen Arm und Reich und einer noch viel höheren Jugendarbeitslosigkeit leidet, nicht darum herumkommen, sich auch damit zu befassen. Dabei muss eigentlich allen Beteiligten klar sein: Ist ein Land erst einmal in einer so prekären wirtschaftspolitischen Lage wie die sogenannten PIIGS-Staaten – Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien – ist keine Zeit mehr für Reformen. Dann wird in der Politik nur noch der Rotstift eingesetzt.

Wie man es anders machen kann, zeigen in unserem Zusammenhang die Reformen, die die Niederlande bei der Beamtenversorgung in den letzten Jahren – noch vor der Finanz-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise – vorgenommen haben.[10] Die Renten der niederländischen Beamten werden durch einen – inzwischen privatisierten – Pensionsfonds ergänzt. Ein Weg, der lohnt, sich näher mit ihm zu befassen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Beamtenversorgung in den Niederlanden ähnlich zersplittert wie auch im Deutschen Reich und der Weimarer Republik. Der letzte Schritt zu einem einheitlichen Pensionsgesetz für sämtliche Beschäftigte im Öffentlichen Dienst erfolgte im Jahr 1922. Durch das Inkrafttreten dieses Pensionsgesetzes (Pensioenwet) verloren die bisherigen verschiedenen Pensionsgesetze ihre Geltung und wurden vereinheitlicht und zu einem Pensionsfonds für den gesamten Öffentlichen Dienst, dem Allgemeinen Bürgerlichen Pensionsfonds (Algemeen Burgerlijk Pensioenfonds, ABP), zusammengefasst. Die Finanzierung dieses Pensionsfonds erfolgte dabei nicht mehr im Umlage-, sondern im Kapitaldeckungsverfahren durch Beiträge der öffentlichen Arbeitgeber und der Beschäftigten. Die Höhe der Beiträge richtete sich nach der Höhe der Pensionszahlungen der jeweils Beschäftigten. Die Pension sollte nicht weniger als dreißig Prozent und nicht mehr als siebzig Prozent der letzten Durchschnittsgehälter betragen und wurde ab dem 65. Lebensjahr gezahlt. In der Praxis waren die Beamten damit jedoch ebenfalls von der Finanzierung ihrer eigenen gesetzlichen Rentenansprüche befreit.

Diese Regelung hatte bis zum Jahr 1986 Bestand. Ab dann wurden auch die ABP-Mitglieder selbst in der allgemeinen Rentenversicherung als erster Säule der Altersversicherung beitragspflichtig. Ein weiterer tiefgreifender und im Land äußerst kontrovers diskutierter Einschnitt erfolgte im Jahre 1996, als das ABPW (»Algemeen Burgerlijk Pensioenwet«) außer Kraft gesetzt und in eine »Stiftung ABP« (Stichting Pensioenfonds ABP) überführt wurde. Parallel dazu wurde der ABP von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts in eine private Stiftung umgewandelt. Heute ist der niederländische Pensionsfonds mit einem Bilanzvermögen von 187 Milliarden Euro einer der größten der Welt. Die Konsequenz war eine Begrenzung des staatlichen Einflusses, da der ABP ab nun unter der Aufsicht eines halbparitätischen Verwaltungsrates (Staat und Gewerkschaften) und der gesetzlichen Versicherungskammer steht. Der Staat ist seitdem nichts weiter als der Arbeitgeber, der entsprechend den Vorschriften des Renten- und Sparfondsgesetzes (Pensioenen Spaarfondsenwet, PSW) agiert. Für die Zusatzrenten der im Öffentlichen Dienst Beschäftigten gelten demnach genau die gleichen Bestimmungen wie für die Zusatzrentenprogramme für die Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft. Das heißt, die Ausgestaltung der Leistungen, die Feststellung der Betragshöhe und die Anlagepolitik ist nun nicht mehr dem Gesetzgeber überlassen, sondern liegt in der Verantwortung eines Verwaltungsrates. Die Probleme, die sich aus der Doppelrolle des Staates als Arbeitgeber, der gleichzeitig auch Gesetzgeber ist, ergaben, waren damit aus der Welt geschafft. Durch die Privatisierung garantiert nun nicht mehr der Staat für die Renten der im Öffentlichen Dienst Beschäftigten, sondern allein der ABP und damit seine Mitglieder.

Damit sind die Niederländer selbst in den Krisenjahren 2010 / 11 nicht schlecht gefahren: Der Deckungsgrad der meisten der rund 900 verschiedenen niederländischen Pensionsfonds erreichte im März 2011 wieder 112 Prozent.[11] Allerdings mit einigen nervenaufreibenden Schwankungen: Im Verlauf des Jahres 2009 stieg die Quote von 92 Prozent Ende März auf 109 Prozent im 3. Quartal, um dann bis September 2010 wieder auf 99 Prozent einzubrechen. Seit Ende 2010 erfüllen aber alle niederländischen Pensionsfonds im Durchschnitt wieder die von der Aufsichtsbehörde vorgeschriebene Mindestdeckungsquote von 105 Prozent. In den Jahren vor der Krise lag die Quote deutlich höher (Ende 2007: 144 Prozent). Der jüngste Aufwärtstrend bewahrte viele Pensionsfonds davor, auf Kürzungen von Pensionsansprüchen oder Renten (bzw. des Verzichts auf Anpassung an die Inflationsrate) zurückgreifen zu müssen. Gleichwohl haben die Probleme der letzten Jahre auch in den Niederlanden Ängste und Befürchtungen ausgelöst. Alles in allem kommt aber eine Wissenschaftlerin wie Susann Rochlitz zu der Schlussfolgerung, dass das niederländische Rentensystem klar und konsequent definiert ist. Ihr Fazit: »Das niederländische Rentensystem steht damit im Ganzen nicht zur Diskussion, jedoch werden auch hier immer wieder Änderungen vorzunehmen sein.«[12] Damit kann man leben.

Die Pensionslüge: Warum der Staat seine Zusagen für Beamte nicht einhalten kann und warum uns das alle angeht
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