Vorsorge nach Kassenlage

 

Was macht man, wenn man – anders als Bayern und Niedersachsen – den gesetzgeberischen Vorgaben gehorchen will, das Geld aber hinten und vorne nicht reicht und man trotzdem keinerlei Unruhe bei den Betroffenen aufkommen lassen will? Dafür ist das Land Nordrhein-Westfalen ein gutes Beispiel. Der nordrhein-westfälische Landtag beschloss am 20. April 1999 das Gesetz zur Errichtung von Fonds für die Versorgung der Beamten in Nordrhein-Westfalen (Versorgungsfondsgesetz – EFoG) und legte dafür ein »Sondervermögen« an. Das soll ab dem Jahr 2018 schrittweise aufgelöst und zur Finanzierung zukünftiger Versorgungsaufwendungen eingesetzt werden. Im Jahr 2018 soll sich das angesparte Volumen auf bis zu sieben Milliarden Euro belaufen.[1]

So weit, so gut. Doch auch hier muss die Frage gestellt werden: Wie setzt sich dieses »Sondervermögen« eigentlich zusammen? Zum Beispiel aus einer kreditfinanzierten Sonderzuweisung des Landes in Höhe von 925 Millionen Euro. Auf eine kleine Anfrage des Landtagsabgeordneten Harald Schartau (SPD) im Jahr 2008 erklärte der damalige Finanzminister Helmut Linssen die »Anlagestrategie« des Pensionsfonds. Als Landtagsdrucksache trägt die Erläuterung des Ministers übrigens den schönen Titel: »Von der erfolgreichen Anlagepolitik des Finanzministers sollen alle Beschäftigten des Landes profitieren.«[2] Im Text heißt es: »Die Summe von insgesamt 925 Millionen Euro ist in zwei Teilbeträgen in den Jahren 2007 und 2008 aus dem Landeshaushalt dem Sondervermögen Versorgungsrücklage zugeführt worden. Der erste Teilbetrag von 680 Millionen Euro wurde im November 2007 als Termingeld bei einer Bank zu einem Zinssatz von 4,59 Prozent für drei Monate angelegt. Im Anschluss daran erfolgte eine Verlängerung der Termingeldanlage bis zum 30. Juni 2008 zu 4,35 Prozent. Ab dem 1. Juli 2008 erbrachte eine Wiederanlage dieser Summe zzgl. der erwirtschafteten Zinsen in drei etwa gleich großen Teilbeträgen für eine Dauer von neun Monaten bis zu zwei Jahren 5,23 Prozent, 5,48 Prozent und 5,65 Prozent. Der zweite Teilbetrag in Höhe von 245 Millionen Euro ist der Versorgungsrücklage im März 2008 zugeflossen; dieser wurde in zwei Teilbeträgen zu 125 Millionen Euro und 120 Millionen Euro beim Land selbst angelegt zu Zinssätzen von 4,31 Prozent und 4,36 Prozent. (…) Der durchschnittliche Zinssatz, den das Land für festverzinsliche Kredite bezahlt hat, betrug im November 2007 4,3 Prozent und im März 2008 4,1 Prozent. Damit ist belegt, dass die vom Sondervermögen erzielten Erträge über den vom Landeshaushalt für die aufgenommenen Kredite zu zahlenden Zinsen liegen.«

Wenn die Landesregierung für angelegtes Geld also mehr Zinsen einnimmt, als sie für die entsprechenden Kredite zahlen muss, warum, so wollte der Abgeordnete Harald Schartau daraufhin mit einem Augenzwinkern wissen, eröffnet sie dann den Beschäftigten des Landes nicht den Zugang zu dieser profitablen Anlage? »Weil das Betreiben von Bankgeschäften nicht Aufgabe der Landesregierung ist«, antwortete der befragte Minister augenscheinlich nicht ohne gewissen Stolz. Ach.

Politiker als Banker sind, so viel wissen wir heute, alles andere als Garanten für eine sichere Zukunft. Noch viel weniger sind sie dies, wenn sie mit sogenannten Arbitragegeschäften bei der Altersvorsorge ihrer Staatsdiener jonglieren. Das kann einmal gut gehen, beim nächsten Mal allerdings schon wieder nicht mehr. Denn es ist nur allzu offensichtlich, dass hier gegen alle Prinzipien verstoßen wurde, die sich die Politik selbst in diesem Zusammenhang vollmundig verordnet hat.

»Die Gelder der Versorgungsrücklage werden«, so schrieb der gleiche Finanzminister ein Jahr zuvor, 2007, »vom Besoldungsreferat des Finanzministeriums unter strikter Beachtung der Grundprinzipien Sicherheit und Ertrag angelegt.«[3] Gleichzeitig zählte Linssen den Landtagsabgeordneten auf, um was es sich hierbei handelte: Neben Anleihen der Deutschen Post sowie Pfandbriefen namhafter Unternehmen im Euroraum waren dies vor allem Landesschatzanweisungen und Schuldscheine der Länder Berlin, Brandenburg und NRW. Einmal ganz davon abgesehen, wie seriös Schuldscheine des Landes Berlin im Ernstfall wirklich sind – aus der Auflistung ging auch hervor, dass Nordrhein-Westfalen Gelder des Pensionsfonds in Staatsanleihen Griechenlands investiert hat. Und nicht zu knapp! Völlig regelkonform und auf Anraten und nach den Grundsätzen der Bundesbank wurden insgesamt 220 Millionen Euro investiert. In den Statuten heißt es eindeutig: »Spekulative Vermögensanlagen sind für die Versorgungsrücklage ausgeschlossen.« Da kann NRW im Vertrauen auf die Bundesregierung, die Europäische Union und die EZB nur beten und hoffen, dass das Investment nicht unter einem Schuldenschnitt Griechenlands leiden wird. »Hilfe für Griechenland rettet Nordrhein-Westfalen vor dem Fiasko«, titelte im Mai 2010 auf dem Höhepunkt der Staatsschuldenkrise in Europa die ›WAZ‹. Im Düsseldorfer Finanzministerium gab man sich da noch ganz cool: »Aus Sicht des Landes ist die Rückzahlung der Anleihen nicht gefährdet«, sagte eine Sprecherin – selbstverständlich in der stillschweigenden Annahme, dass der Bund im Notfall einspringen und dem Land helfen wird.[4]

Ob ein Angestellter, für den sein Arbeitgeber eine Lebensversicherung – sagen wir mal: bei der Allianz, die ebenfalls gut im Griechenland-Geschäft engagiert ist – als Zusatzversorgung abgeschlossen hat, wohl auch auf so viel Entgegenkommen rechnen darf? Von allen anderen Anlegern, die sich derzeit um ihr Erspartes für das Alter sorgen, einmal ganz abgesehen. Übrigens weiß bis heute niemand – noch nicht einmal der nordrhein-westfälische Beamtenbund – genau, wie die restlichen knapp drei Milliarden Rücklagen des Pensionsfonds angelegt sind. Auszahlungen aus den Pensionsfonds an Ruhestandsbeamte gibt es ohnehin erst ab dem Jahr 2017.

Aber nicht nur die Nordrhein-Westfalen sind in die »griechische Falle« getappt. Auch das Land Baden-Württemberg hält eine Griechenland-Anleihe in Höhe von zehn Millionen Euro. Diese ist nicht im Haushalt enthalten, sondern Teil des Sondervermögens Versorgungsrücklage. Neben der Griechenland-Anleihe sind darin auch Schuldtitel weiterer Staaten enthalten.[5] Sachsen-Anhalt besitzt spanische und italienische Anleihen und Hamburg – auf das wir gleich noch im Detail zu sprechen kommen – hat Italien Geld geliehen. Auch keine schönen Aussichten. Gibt es noch einen besseren Beweis dafür, wie wenig solide Anlagen in eigene Schuldverschreibungen oder die anderer maroder Staaten sind? Denn »griechische Zustände« haben wir – wie bereits beschrieben – in der Berliner Finanzpolitik allemal.

Nordrhein-Westfalen hatte noch andere Vorsorgepläne gefasst. Neben der verpflichtend vorgeschriebenen Versorgungsrücklage beschloss der Landtag im April 2005 die Einführung eines zusätzlichen Versorgungsfonds für alle Landesbeamten, die nach dem 31. Dezember 2005 eingestellt wurden. Um eine spätere Vollabdeckung der Versorgungsansprüche aus dem Kapitalstamm zu sichern, müssten für jeden – so hatte man errechnet – neu einzustellenden Beamten im mittleren Dienst 21,5 Prozent der Bruttojahresbezüge abgeführt werden. Für den gehobenen Dienst liegt dieser Wert bei 24,8 Prozent, im höheren Dienst sogar bei 29,2 Prozent.[6] Das Vorhaben erwies sich aufgrund der klammen Haushaltslage in Düsseldorf schon bald als undurchführbar. Und so beschloss man, weil das Geld eben fehlt, für jeden Beamten summarisch 500 Euro zurückzulegen. Ähnlich machen dies auch andere Bundesländer. Aus den 500 Euro sind in NRW aufgrund neuerer versicherungsmathematischer Berechnungen inzwischen 536 Euro geworden, danach knapp 600 Euro, wovon ab 2035 rund siebzig Prozent der Altersversorgung von Beamten beglichen werden sollen. Es ist klar, dass von einer wirklich nachhaltigen Vorsorge im Sinne einer Vollabdeckung auch hier nur bedingt die Rede sein kann. Es gibt den guten Willen, aber keine materielle Basis dafür.

Für den »Versorgungsfonds« in Düsseldorf gilt – das gab Finanzminister Helmut Linssen freimütig zu – dasselbe wie in München und Mainz: Das eingezahlte Geld wird bis heute ausschließlich in Schuldscheinen des eigenen Landes angelegt. Ein im Auftrag des »Bundes der Steuerzahler« erstelltes Gutachten kommt denn auch zu dem vernichtenden Schluss: »Das Ganze ist ein Nullsummenspiel: Am Kreditmarkt werden Anleihen des Bundeslandes ausgegeben, die daraus erzielten Einnahmen werden an das Sondervermögen transferiert, das selbst wiederum Schuldverschreibungen des Landes aufkauft. Im selben Maß wie der Versorgungsfonds gestiegen ist, sind bei dieser Variante auch die Neuverschuldung und damit auch zukünftige Zinsverpflichtungen gestiegen«.[7]

So richtig erklären wollen sich die Länder-Finanzminister – mit Ausnahme Niedersachsens, wie wir gesehen haben – zu diesem fragwürdigen Vorgehen nicht. Carsten Kühl, Finanzminister von Rheinland-Pfalz, streitet sogar schlichtweg ab, dass diese In-Sich-Geschäfte unseriös sind. Er setzt – im Gegenteil – auf den disziplinierenden Wert solcher Maßnahmen: »Ich teile nicht die Bewertung, dass das im Grunde genommen – ich sage das mit meinen Worten – nur Makulatur sei. Wir meinen immer noch, dass die Preisfunktion, die Transparenzfunktion und die Sicherheit, die man den Versorgungsempfängern damit gibt, einen Wert an sich darstellen und dass wir fest davon überzeugt sind, dass es in den Konsolidierungsüberlegungen eine deutlich größere Rolle spielt, dass man die Pensionsverpflichtungen transparent macht und sie durch einen solchen Pensionsfonds dokumentiert.«[8] Kühl geht noch einen Schritt weiter in seiner Verteidigung: »Alle, der Bund und die Länder, die mittlerweile einen solchen Pensionsfonds etabliert haben, machen das von der Technik her ein bisschen anders, aber alle finanzieren das aus laufenden Haushalten, und alle haben momentan Haushalte mit einer Nettokreditaufnahme größer als null. Wenn man das also zum entscheidenden Kriterium machen würde, (…) müssten jetzt alle ihre Pensionsfonds aussetzen, und das wäre zweifellos falsch.«

Mit Letzterem hat er sicherlich recht. Aber solide finanziert werden sollten Vorsorgefonds schon. Und das kann nicht mithilfe von neuen Schulden geschehen.

Die Pensionslüge: Warum der Staat seine Zusagen für Beamte nicht einhalten kann und warum uns das alle angeht
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