Schuldentilgung und Pensionslasten

 

Es war ein Paukenschlag, mit dem der damalige hessische Finanzminister Karlheinz Weimar und Ministerpräsident Roland Koch (beide CDU) die Eröffnungsbilanz ihres Bundeslandes zum 1. Januar 2009 vorlegten.[1] Der Grund: Hessen enthüllte als erstes Flächenland mit einer Staatsbilanz gemäß Handelsgesetzbuch, dass die Ansprüche aktueller und künftiger Pensionäre den mit Abstand größten Passivposten von 38 Milliarden Euro im Landeshaushalt darstellen. Auch wenn viele Landesbeamte und ihre Kollegen in anderen Bundesländern dies vielleicht nicht gerne hören werden: Hessen ist überall. Die Kosten für bereits im Ruhestand befindliche Beamten und künftige Ruhestandsbeamten waren im Jahr 2009 bereits um acht Milliarden Euro größer als Hessens gesamtes Landesvermögen. Für ein Unternehmen ohne Rücklagen wäre dies der sofortige Weg in die Pleite. Müssten die Länder ihre künftigen Lasten in einer Bilanz ausweisen wie jeder »ehrbare Kaufmann«, dann könnten – wie wir noch sehen werden – die Ministerpräsidenten reihenweise den Gang zum Insolvenzrichter antreten.

»Kaufmännische Rechnungslegung macht wie kein anderes buchhalterisches Instrument transparent, welche Lasten auf den Staatshaushalt zukommen«, sagte etwa Wolfgang Wagner, Vorstand bei PricewaterhouseCoopers, die die Hessen-Bilanz unter die Lupe genommen haben. Noch wichtiger sei aber, dass die Haushälter daraus Konsequenzen zögen. Denn die bei Kämmerern und Finanzministern traditionell übliche Kameralistik lasse in der Zukunft liegende Pensionslasten schnell unter den Tisch fallen.

Es ist also Zeit, sich dem Problem zu stellen – nicht nur in Hessen. In der Politik und in der Öffentlichkeit wächst das Bewusstsein dafür, dass die »expliziten« Staatsschulden eben kein zutreffendes Bild von den wahren Lasten für zukünftige Generationen abgeben, zu langsam. »Werden die Staatsschulden wirklich richtig erfasst«, fragte etwa Sybille Wagener bereits vor einigen Jahren zu Recht in einem lesenswerten Aufsatz und führte als Beispiel neben Darlehensrückzahlungen an das zum damaligen Zeitpunkt hochverschuldete und kurz vor dem Staatsbankrott stehende Jelzin-Russland auch die Beamtenversorgung an. Ihre Freiburger Kollegen vom »Forschungszentrum Generationenverträge« haben darauf eine eindeutige Antwort gegeben. »Zu der Spitze des Eisbergs«, schreiben die dortigen Wissenschaftler, »kommen die impliziten Schulden, die fünf Mal so viel ausmachen und unter der ›statistisch‹ ausgewiesenen Wasserlinie liegen. Die fiskalische Relation entspricht dabei fast genau der physikalischen, also jener zwischen Wasser und Eis.« Die »Stiftung Marktwirtschaft« argumentiert ähnlich. Sie beziffert deshalb auch die Gesamtverschuldung aller Gebietskörperschaften nicht nur mit den rund zwei Billionen Euro, mit denen die Bundesrepublik Deutschland Ende 2011 auf allen drei föderalen Ebenen »offiziell« in der Kreide steht, sondern auf ein Vielfaches davon: auf rund acht Billionen Euro bzw. 315 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Den milliardenschweren Unterschied nennt die Stiftung die »Nachhaltigkeitslücke«.

Die Berechnung dieser Nachhaltigkeitslücke baut auf dem Konzept der Generationenbilanz auf: Die implizite Schuld entspricht dem zukünftigen Missverhältnis zwischen öffentlichen Einnahmen und Ausgaben und damit dem Umfang, in dem die Staatsschulden bei geltendem Recht zukünftig zunehmen werden. Mit anderen Worten: Die Nachhaltigkeitslücke zeigt, wie groß die Rücklagenbildung sein muss, damit das heutige Leistungsniveau auch für die Zukunft finanzierbar bleibt. »Wäre ein Kaufmann ehrbar, der seiner Bank bei der Aushandlung eines Kredites zwei Drittel seiner Kreditschulden verschweigt?«, fragen deshalb nicht zu Unrecht auch die Wissenschaftler der »Stiftung Marktwirtschaft« und ergänzen: »Der Staat hat indes gegenüber seinen Bürgern weniger Bedenken. Statt die Staatsschulden in voller Höhe anzugeben, verschweigt er einen beträchtlichen Betrag.«[2]

Zum »Eisbrecher« zu werden, der die unter der Wasserlinie liegenden Schuldenblöcke miteinbezieht, um im Bild der Freiburger Wissenschaftler zu bleiben, dazu hat sich die Politik bisher nur ansatzweise entschließen können. Bestenfalls ist sie mit dem Eispickel im Finanz-Packeis unterwegs und kratzt an den Eisschollen mal hier, mal da herum, auf der Suche nach einer sicheren, aber vor allem bequemen Passage. Warum sollte die Politik auch mehr tun? Würde sie die Probleme ernsthaft angehen, müssten nämlich höchst unpopuläre Entscheidungen getroffen werden. Also lieber auf die große Katastrophe in zehn oder 15 Jahren warten, als heute entschieden gegen sie vorgehen. Den Preis für dieses Nichtstun werden wir alle entrichten müssen. Heute schon leiden besonders junge Beamte darunter.[3]

Die Zahlen sind alarmierend: Auf 767 Milliarden Euro, das haben Fachleute errechnet, belaufen sich die Pensionsverpflichtungen der bis zum Jahr 2060 in Deutschland ausscheidenden Beamten – und das unter der wenig realistischen Annahme, dass keiner von ihnen ersetzt wird.[4] Falls doch, dann steigt der Barwert der Pensionen auf fast 1,8 Billionen Euro. Zum Vergleich: Die Schulden aller Bundesländer zusammengerechnet betrugen Ende des Jahres 2010 insgesamt 660 Milliarden Euro. Für die Speyerer Verwaltungsexpertin Gisela Färber ist die Lage der Beamtenversorgung deshalb »so alarmierend wie die Finanzkrise« seit der Lehman-Pleite. Und Gisela Färber ist keineswegs der Riege der Privatisierungseiferer zuzurechnen. In einer Studie für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung kommt sie sogar zu noch höheren Belastungen. Ihr Ergebnis: Würde der Staat jetzt schon ernsthaft Vorsorge bis 2050 treffen, müsste er rund 970 Milliarden Euro zurücklegen – »und das«, so Färber, »sei noch konservativ gerechnet«.[5]

970 Milliarden Euro – das ist ungefähr die Hälfte der deutschen Staatsschulden insgesamt! Eine Zahl, die niemand hören will. Weder die Politik in Bund und Ländern, die zurzeit mit vergleichbaren Summen dafür kämpft, das internationale Finanzsystem und ganz besonders den Euro zu retten. Und schon gar nicht der Deutsche Beamtenbund. Denn so schnell und um so viel kann ein Haushalt in den nächsten Jahren gar nicht wachsen, dass man derartige Summen aus ihm mal einfach so herausschneiden könnte, ohne vielen Wählern wehzutun. Wäre dies korrekt ausgewiesen in den öffentlichen Haushalten, wäre dadurch jede Etatplanung sofort hinfällig. Und so werden die künftigen Verpflichtungen des Staates auch nur in den seltensten Fällen genau dort ausgewiesen, wo sie eigentlich hingehören: in den nationalen Haushalten.

Denn auch die expliziten Staatsschulden aller Bundesländer zusammengenommen wachsen bereits mehr als bedrohlich an – um 66 Prozent allein seit dem Jahr 2001 auf heute rund 660 Milliarden Euro. Das sind mehr als 26 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – also mehr als ein Viertel aller in Deutschland produzierten Waren und Dienstleistungen.[6] Bedenkt man aber, dass mit dem Alimentationsprinzip für die gegenwärtig (aktiven und passiven) verbeamteten Staatsdiener Leistungsversprechen für die Zukunft eingegangen worden sind, dann müsste, wenn man richtig bilanziert, in den Länderhaushalten in der Summe mehr als das Doppelte, also über fünfzig Prozent des Bruttoinlandsprodukts, ausgewiesen werden.

Diese Summen tauchen in den Länderhaushalten nicht auf, weil der Staat auch auf Länderebene rein kameralistisch budgetiert. Erst langsam tastet man sich in ersten ländereigenen Versorgungsberichten mit Modellrechnungen und verschiedenen Projektionen in eine Richtung vor, die auch in der Zukunft liegende Kosten bereits heute sichtbar macht.

Dabei lauern die größten Gefahren vor allem in den Länderhaushalten. Weil Personalkosten feststehende Ausgabenblöcke sind, sind Länderhaushalte – anders als beispielsweise der Haushalt des Bundes – sehr unflexibel. Der weitaus größte Teil der Ausgaben eines Landeshaushalts ist bereits festgelegt, bevor überhaupt die Landtage mit den ersten Haushaltsberatungen beginnen. Dabei ist der größte Brocken die Personalkosten inklusive der Versorgungsausgaben. Sie liegen in den westdeutschen Ländern zwischen 35 und mehr als vierzig Prozent des Gesamtetats.[7] Das ist ein weit höherer prozentualer Anteil als beim Bund. Zu dem guten Drittel an Personalkosten, die Jahr für Jahr steigen, kommt – ebenfalls mit wachsender Tendenz – der Haushaltsposten namens Zinszahlungen hinzu. Die Vergangenheitslasten werden in Zukunft immer größere Teile der Steuereinnahmen aufzehren und der Politik damit immer engere Fesseln anlegen.

In welchem Ausmaß die vollständige Bedienung der Schulden die künftigen Steuereinnahmen der Länder beanspruchen werden, lässt sich dabei unter anderem durch die »Schuldenquote« errechnen, die das Verhältnis zwischen Schulden und dem Barwert der künftigen Steuereinnahmen wiedergibt. Der Barwert ist ein Wert, den zukünftige Zahlungen in der Gegenwart besitzen. Hilfreich ist aber auch der Wert, der sich mittlerweile in etlichen Versorgungsberichten des Bundes und einzelner Länder wiederfindet: die sogenannte »Versorgungs-Haushaltsquote«. Sie gibt das in Prozent ausgedrückte Verhältnis der Versorgungsausgaben zum Staatshaushalt wieder und wird uns noch bei den folgenden Fallbeispielen beschäftigen. Vor allem dann, wenn wir sie zu der »Zinsausgaben-Steuerquote«, also den Ausgaben, die wir für die Zinsen der Altschulden im Verhältnis zum Steueraufkommen der Länder, addieren. Das alles klingt ein wenig kompliziert, bedeutet aber nichts anderes als eine Addition der »Vergangenheitslasten« zukünftiger Haushalte. Dieser Wert sagt sehr viel über die bisherige und künftige Nachhaltigkeit von Finanz- und Haushaltspolitik aus.

Für alle Länder haben die Wissenschaftler um Bernd Raffelhüschen in Freiburg errechnet, dass sich die für die Bedienung der Beamtenversorgung notwendigen Steuereinnahmen auf rund 13,7 Prozent der gesamten – erhofften – zukünftigen Steuereinnahmen summieren.[8] In absoluten Zahlen entspräche dies einem Barwert von 1806 Milliarden oder 1,8 Billionen Euro. Mit 942 Milliarden Euro entfällt etwa die Hälfte davon ausschließlich auf die Versorgungsbezüge für bereits pensionierte Beamte sowie auf die Pensionszusagen des noch aktiven Personals – das heißt, wenn ab sofort keine weiteren Verbeamtungen mehr vorgenommen würden. Müssten die öffentlichen Haushalte also wie private Unternehmen Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten bilden, wären für die bestehenden Beamten Pensionsrückstellungen in Höhe von eben jenen 942 Milliarden Euro vorzunehmen. Zu den vorhandenen Versorgungszusagen kämen noch einmal weitere 864 Milliarden Euro oder 6,6 Prozent hinzu, wenn die Länder ihre bisherige Einstellungspolitik in der Zukunft beibehalten würden. Insgesamt würden sich so die notwendigen Rückstellungen von Bund und Ländern sehr schnell auf bis zu drei Billionen Euro summieren. Eine Horrorvorstellung für jeden Haushälter und Politiker und den Wählern wohl kaum verständlich zu machen. Rücklagen in einer solchen Höhe bilden zu müssen, bedeutet nämlich, an anderer Stelle notwendige Einsparungen in einem bis heute ungeahnten Ausmaß vornehmen zu müssen. Wer aber mitverfolgt, wie in Haushaltsberatungen in Bund, Ländern und Gemeinden oftmals um weitaus geringerer fünf- oder sechsstelliger Einsparungssummen gerungen wird, ahnt, welche Kraftanstrengung hier gefordert wäre.

Eine ausreichende Rücklage bilden müssten insbesondere die Bundesländer. Die Versorgungsausgaben für die Beamten der Länder und Gemeinden stiegen zwischen 1991 und 2006 um 9,1 Milliarden Euro auf 20,9 Milliarden Euro an.[9] Dies entspricht einem Anstieg um 77,1 Prozent. 2009 waren es bereits 22 Milliarden Euro und für 2020 wird mit mehr als 34 Milliarden kalkuliert. Wohlgemerkt: Jahr für Jahr. Im Jahr 2030 wird sogar mit einem Spitzenwert von 78 Milliarden Euro allein an Versorgungsleistungen für Ruhestandsbeamte und deren Hinterbliebene gerechnet.[10]

 

Wie brisant das ist, stellt man fest, wenn man einen Blick auf die Situation einzelner Länder richtet. Nehmen wir das Beispiel eines angeblich so »reichen« Landes wie das Musterländle Baden-Württemberg, das im Länderfinanzausgleich – sehr zum Leidwesen vieler Baden-Württemberger – anderen, »ärmeren« Bundesländern in der Vergangenheit Jahr für Jahr mit viel Geld unter die Arme greifen musste. In einem generationengerecht bilanzierten Haushalt würden sich einige wichtige Kennziffern des Landeshaushalts grundlegend verschieben. Denn die schwarz-gelbe Regierung unter Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) hinterließ der ersten bundesdeutschen grün-roten Landesregierung mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) rote Zahlen und zusätzlich manche versteckte Erblast. Der Berg der Altschulden des Landes am Kreditmarkt türmt sich auf gut 45 Milliarden Euro.[11] Das ist knapp ein Drittel mehr als das Volumen eines einzigen Jahresetats. Zwar hatte die CDU/FDP-Koalition die zunächst geplante Rekordneuverschuldung von 4,8 Milliarden Euro im Doppelhaushalt 2010 / 11 nach dem Anziehen der Konjunktur wieder auf 2,6 Milliarden Euro gedrückt. Aber ein schlüssiges Sanierungskonzept für einen ausgeglichenen Etat liegt für die kommenden Jahre bis heute nicht vor. Dabei gilt seit Anfang 2008, dass das Land grundsätzlich ohne neue Kredite auskommen will. Sollte es sich – wie nach der Wirtschafts- und Finanzkrise – dennoch zu neuen Schulden gezwungen sehen, müssen diese binnen sieben Jahren wieder getilgt werden.

Aber die regulär im Haushaltsplan stehende Kreditaufnahme ist nur die halbe Wahrheit. Bis zum Jahr 2030 werden sich die Versorgungsausgaben – ohne Beihilfeaufwendungen – von derzeit drei Milliarden auf sechs Milliarden verdoppeln.[12] Im Jahr 2050 werden sie bei rund zehn Milliarden Euro liegen, so der offizielle Versorgungsbericht des Landes. Dies würde eine Steigerung von 263 Prozent im Vergleich zum Jahr 2008 bedeuten. Und das bei einem derzeitigen Haushaltsvolumen von »nur« 35 Milliarden Euro. Die oben beschriebene »Versorgungs-Haushalts-Quote« betrug im Jahr 1980 noch 5,7 Prozent und erhöhte sich bis zum Jahr 1998 nur leicht um 0,3 Prozentpunkte auf 6,0 Prozent. Ab 1999 verschärfte sich der Anstieg jedoch deutlich, wie man im Versorgungsbericht nachlesen kann. Die Quote stieg innerhalb von nur sieben Jahren bis 2005 um 3,5 Prozentpunkte auf 9,5 Prozent an.

Schon heute hat Baden-Württemberg insgesamt eine »Personalausgaben-Steuerquote« – das sind die Ausgaben für alle aktiven und passiven beim Land Beschäftigten in Relation zum Steueraufkommen – von 59 Prozent und eine »Zinsausgaben-Steuerquote« – das ist die Bedienung der Schuldzinsen in Relation zum Steueraufkommen – von acht Prozent (Stand: 2011). Das bedeutet, dass der durch Steuergelder finanzierte Anteil am Landeshaushalt bereits heute allein durch die Personal-, Versorgungs- und Zinskosten zu rund 67 Prozent ausgeschöpft wird. Damit steht das Land alles andere als gut da. Im Gegenteil: Aus dem »reichen« Land kann so aufgrund der demografischen Entwicklung schon sehr bald ein »armes« Land werden.

In der ersten Regierungserklärung eines grünen Ministerpräsidenten in Deutschland, Winfried Kretschmann, heißt es deshalb sehr zu Recht: »Zwar sieht die vordergründige Optik des Haushalts im Vergleich zu anderen Bundesländern recht gut aus. Doch wenn man die verdeckten und verschobenen Lasten berücksichtigt, sieht es anders aus: Zählt man die wachsenden Pensionsverpflichtungen und die im Haushalt verbuchte Verschuldung zusammen, so steht Baden-Württemberg auf dem letzten Platz aller 13 deutschen Flächenländer – auf dem letzten Platz! (…) Das alles bei einem Schuldenberg von vierzig Milliarden Euro! Hinzu kommt, dass die bisherige mittelfristige Finanzplanung eine erhebliche Schieflage hat. Sie weist für die Jahre 2012 bis 2014 eine jährliche Finanzierungslücke von etwa drei Milliarden Euro aus.«[13]

Was müsste das Land also in einer ehrlichen Bilanz hierfür zurückstellen? Im Bericht des baden-württembergischen Rechnungshofes aus dem Jahr 2010 finden sich – nicht zum ersten Mal – dafür deutliche Worte: »Der finanzpolitische Sprengsatz der Pensionsverpflichtungen würde noch deutlicher, wenn – wie es die ›Standards staatlicher Doppik‹ nach § 7a in Verbindung mit § 49a Haushaltsgrundsätzegesetz vorsehen – für Beamte und andere nach Bundes- oder Landesrecht versorgungsberechtigte Personen nach versicherungsmathematischen Regeln Rückstellungen für Pensionen, Beihilfen und ähnliche Verpflichtungen gebildet würden. Das Land Hessen hat mit der Einführung des kaufmännischen Rechnungswesens in seiner Eröffnungsbilanz am 1. Januar 2009 mehr als 38 Milliarden Euro Rückstellungen für Pensionen und ähnliche Verpflichtungen ausgewiesen. Nach einem überschlägigen Vergleich der dargelegten Personal- und Versorgungsausgaben in 2009 mit den entsprechenden Aufwendungen des Landes Hessen ergäbe sich in Baden-Württemberg ein Rückstellungsbedarf von grob gerechnet siebzig Milliarden Euro. Diese Größenordnung der Pensionsverpflichtungen als sogenannte ›implizite Staatsverschuldung‹ verdeutlicht die Auswirkungen der Versorgungslasten auf die künftigen Haushalte. Der Rechnungshof in Stuttgart wiederholt deshalb seine frühere Empfehlung (siehe Denkschrift 2003 und 2006), den Umfang der Pensionsverpflichtungen im Haushaltsplan auszuweisen.«[14]

Dieser eigentlich notwendige Rücklagenbedarf entspricht damit ungefähr der »expliziten« Staatsverschuldung in Höhe von 63,8 Milliarden Euro (Stand: 6 / 2011). So sparsam können die Menschen in Baden-Württemberg gar nicht sein, um derartige Kosten ohne gravierende Einbußen in der Zukunft aufzufangen. Der Rechnungshof mahnt deshalb: »Das Land hat seine Pensionsverpflichtungen über viele Jahre nicht etatisiert und keine oder nur unzureichende Vorsorge für die künftigen Versorgungsleistungen getroffen. So wurde die Illusion erzeugt, neue Beamtenstellen seien besonders preiswerte Ressourcen. Auch hier muss die bisherige politische Praxis nachhaltig geändert werden: Für jeden neu eingestellten Beamten müssen dem Versorgungsfonds des Landes 13 600 Euro jährlich zugeführt werden. Das geltende Recht sieht für neue Beamte lediglich 6000 Euro vor.« Das Resümee der Rechnungsprüfer: »Ohne weitere Eingriffe in die bestehenden Versorgungs-, Beihilfe- und Heilfürsorgeregelungen wird der Anteil der Versorgungsausgaben an den gesamten Personalausgaben weiter drastisch steigen. Bei einer ansonsten unveränderten Ausgabenstruktur drohen künftige Haushalte völlig aus dem Ruder zu laufen. Die ab 2018 bis 2020 vorgesehene Entnahme von Mitteln aus den Sondervermögen ›Versorgungsrücklage‹ und ›Versorgungsfonds‹ kann nicht zu einer ausreichenden Entlastung der Versorgungsausgaben führen.«

Das bedeutet: Eigentlich müsste Grün-Rot den Rotstift bei der Altersversorgung der Staatsdiener ansetzen, um den Haushalt mittel- und langfristig auch nur einigermaßen wieder ins Lot zu bekommen. Das dürfte aber auf den erbitterten Widerstand von ver.di und dem Beamtenbund stoßen, die sich schon erfolgreich gegen das sogenannte »Vorgriffsstundenmodell« gewehrt hatten, mit dem die schwarz-gelbe Vorgängerregierung die Arbeitszeit der Beamten vorübergehend erhöhen wollte, um Kosten zu sparen. Dass Entscheidendes geschieht, ist unwahrscheinlich. Kann eine grün-rote Landesregierung mit einem grünen Ministerpräsidenten, dem nicht gerade wenige Sympathien aus dem Bereich des Öffentlichen Dienstes entgegengebracht werden, der eigenen Wählerklientel sagen, dass sie über Gebühr die öffentlichen Haushalte belastet?

Nehmen wir als ein weiteres Beispiel das Land Bayern. Bis zum Jahr 2050 werden im ungünstigsten Fall die Versorgungsaufwendungen von drei Milliarden Euro im Jahr 2008 auf zehn Milliarden Euro ansteigen – ein Plus von 222,4 Prozent.[15] Im gleichen Zeitraum wächst der landeseigene Haushalt aber »nur« von 31,3 Milliarden Euro auf 68 Milliarden Euro, also um 94,4 Prozent. Die Personalausgaben – und hier in erster Linie die Versorgungsleistungen (ohne Beihilfe) steigen also doppelt so stark an wie das Haushaltsvolumen – in absoluten Zahlen von 15,1 Milliarden Euro im Jahr 2006 auf 33,7 Milliarden Euro im Jahr 2050. Insgesamt werden die Besoldungsausgaben von 2006 bis 2050 um 78,8 Prozent und die Versorgungsausgaben um 166,2 Prozent anwachsen.

Seit längerem hat deshalb der bayerische Rechnungshof angemahnt, dass das Land mit 300 000 Beamten und öffentlichen Angestellten »überbesetzt« ist.[16] 17,2 Milliarden Euro kostete dies die Verwaltung allein im Jahr 2010. Eine »Personalausgaben-Steuerquote« von über vierzig Prozent und eine »Zins-Steuerquote« von derzeit 4,8 Prozent zeigen: Auch diesseits der Alpen wird in den nächsten Jahren fast jeder zweite Euro für »aktive« und »passive« Beschäftigte im Öffentlichen Dienst sowie die Bedienung der Altschulden ausgegeben. Das ist viel. Vor allem dann, wenn das Land sich so ehrgeizige Ziele gesetzt und im Doppelhaushalt 2010 / 2011 wieder keine neuen Schulden aufgenommen hat. Was auf den ersten Blick wie eine glanzvolle Sparaktion aussieht, hat jedoch weitreichende Auswirkungen – auch auf die künftige Versorgung der Beamten – und ist alles andere als ein politisches Bravourstück.

In jedem Fall werden die Belastungen für den Steuerzahler groß. Und sie sind mit allerlei Risiken versehen. Das gilt insbesondere für das nicht zuverlässig abschätzbare künftige Wirtschaftswachstum sowie für die Entwicklung der für den Haushalt besonders wichtigen Größe des Steueraufkommens – und auch für die Entscheidungen, wofür dieses Geld am Ende ausgegeben werden wird. Und das kann im Fall Bayerns eben auch schon mal für die Sanierung der Bayern-LB sein.

Wollte die bayerische Staatsregierung, die sich ja auch stets der besonderen Wertschätzung von Familie rühmt, den Barwert der künftigen Pensionsverpflichtungen »generationengerecht« ausweisen, müsste sie dafür Rückstellungen in Höhe von 154 Milliarden Euro bilden. Das wäre rund das Fünffache des derzeitigen Schuldenstands des Freistaats, der sich auf rund 29 Milliarden Euro (Stand 2011)[17] beläuft. Aus dem solide finanzierten Freistaat, für den sich Bayern gerne hält, würde so sehr schnell ein gravierender Problemfall.

Ähnlich sieht es in Nordrhein-Westfalen aus: Die Zahl der Versorgungsempfänger wird sich hier von 144 700 im Jahr 2006 auf 252 300 im Jahr 2040 erhöhen.[18] Das ist ein Anstieg von 67,8 Prozent. Die Modellrechnungen des zweiten Düsseldorfer Versorgungsberichts aus dem Jahr 2007 gehen davon aus, dass sich die Versorgungsausgaben, ausgehend von 4,3 Milliarden Euro im Jahr 2006, um 72 Prozent auf 7,4 Milliarden Euro im Jahr 2040 erhöhen werden. Der Höchststand würde demnach zwischen den Jahren 2027 und 2029 mit einem Wert von 7,8 Milliarden Euro erreicht. Der nordrhein-westfälische Haushalt 2011weist einen Umfang von 55,3 Milliarden Euro auf. Im Jahr 2010 gab die Düsseldorfer Landesregierung 5,5 Milliarden Euro für die Versorgung und die Beihilfeleistungen des Landes für seine Ruhestandsbeamten aus. Das sind rund zehn Prozent des Haushalts. Berücksichtigt man ferner noch den Schuldendienst – kein anderer Flächenstaat weist so viel Schulden auf wie Nordrhein-Westfalen, allein zwischen 1998 und 2009 kam es hier zu einem Anwachsen der Verschuldung um 63 Prozent –, entfallen bereits in der Gegenwart rund 27 Prozent der Ausgaben im steuerfinanzierten Landesetat NRW allein auf Versorgung und Schuldzinsen. Nimmt man die »Personalausgaben-Steuerquote« und die »Zinsausgaben-Steuerquote« zusammen, so kommt man auf Werte von 45,9 Prozent (Stand: 2012) und 13,2 Prozent (Stand: 2012).[19] Mithin werden 59,1 Prozent des Landeshaushalts für »aktiv« und »passiv« Beschäftigte im Öffentlichen Dienst und die Bedienung der laufenden Schuldzinsen ausgegeben. Da bleibt nicht viel Geld für Investitionen und sonstige Vorhaben. Politischer Gestaltungsspielraum sieht auf jeden Fall anders aus – es sei denn, man versucht, wie die rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf dies 2011 getan hat, einen Haushalt mit noch mehr neuen Schulden aufzustellen. Dabei berief sich die rot-grüne Minderheitsregierung von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) selbst im Jahr des größten wirtschaftlichen Wachstums seit langem auf eine »Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts«. Wenige Monate später erklärte der Verfassungsgerichtshof im westfälischen Münster den so ausgestalteten Haushalt für verfassungswidrig.

Auch für Nordrhein-Westfalen gibt es Berechnungen darüber, was im Landeshaushalt als notwendige Rücklage eingestellt werden müsste, um den Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden. Ein Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass sich der Barwert aller bis zum Jahr 2050 anfallenden Ruhegehaltsausgaben in NRW auf 182,6 Milliarden Euro beläuft – das ist mehr als die derzeitige »explizite« Verschuldung Nordrhein-Westfalens im Jahr 2011 von »offiziell« 173 Milliarden.[20] Nordrhein-Westfalen, das seit Dekaden über seine Verhältnisse lebt, läge damit eindeutig oberhalb der durch die Maastricht-Kriterien festgesetzten Verschuldungsobergrenze von sechzig Prozent des landeseigenen Bruttoinlandsprodukts. Das Fazit der Gutachter ist deshalb auch klar: »Aufgrund des in naher Zukunft beginnenden Eintritts kohortenstarker Beamtenjahrgänge in den Ruhestand wird der Anteil der Versorgungsaufwendungen an den Gesamtausgaben Nordrhein-Westfalens deutlich steigen. Schon diese Entwicklung wird die fiskalische Handlungsfreiheit der Landespolitik einschränken. Gelingt es nicht, in Zukunft Ausgaben und Einnahmen in Einklang zu bringen, also negative Finanzierungssalden und weitere Nettokreditaufnahme zu vermeiden, wird die Verschuldung des Bundeslandes wachsen. Dies führt wiederum zu steigenden Zinslasten. Somit werden Beamtenversorgung und Schuldendienst immer größere Posten des Landeshaushaltes werden.«

In Rheinland-Pfalz, bei dem dienstältesten Ministerpräsidenten der Bundesrepublik, Kurt Beck (SPD), sieht es ähnlich aus: Der Landeshaushalt 2010 hat laut Ansatz des zweiten Nachtragshaushalts einen Umfang von 13,6 Milliarden Euro. Ein großer Teil dieser Mittel floss in den Personaletat. Die angesetzten Personalausgaben inklusive Versorgungsausgaben lagen bei 5,15 Milliarden Euro. Der Personalkostenanteil inklusive Ruhestandsbezüge betrug somit rund vierzig Prozent.[21] Rechnet man die Zinssteuerquote von 12,7 Prozent (Stand: 2012) dazu, kommt man auch für den Mainzer Haushalt darauf, dass jeder zweite Euro für »aktive« und »passive« im Öffentlichen Dienst Beschäftigte sowie für die Bedienung der laufenden Schulden ausgeben wird.[22] Eine generationengerechte Bilanzierung müsste für die Beamtenversorgung der Jahre bis 2050 dabei Finanzmittel in Höhe von 36,5 Milliarden Euro an Rückstellungen vorsehen – das entspricht ungefähr der derzeitigen Verschuldung des Landes von 35 Milliarden (Stand 6 / 2010).[23] Allerdings vermutet der rheinland-pfälzische Rechnungshof schon jetzt, dass sie bis zum Jahr 2014 auf 41 Milliarden Euro ansteigen wird.[24] Damit ist Rheinland-Pfalz mit 67 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt verschuldet – und eigentlich ein klarer Fall für einen »blauen Brief« aus Brüssel wegen jahrzehntelangen Verstoßes gegen die Maastricht-Kriterien.

Und auch ein Blick nach Niedersachsen verrät: In Hannover wird haushaltstechnisch und finanzpolitisch ebenfalls alles andere als nachhaltig und umsichtig gewirtschaftet. Würden die Niedersachsen generationengerecht bilanzieren, müssten sie für die künftigen Pensionsansprüche ihrer Beamten auf einen Schlag 78 Milliarden Euro zurückstellen.[25] Und das bei einem Schuldenstand von derzeit 64 Milliarden Euro. Das Land Niedersachsen ist unter den westdeutschen Flächenstaaten dasjenige mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung. Es wäre deshalb auch nicht annähernd in der Lage, diesen Kapitalbetrag aufzubringen. Seit 1980 gab es kein einziges Jahr ohne eine positive Nettokreditaufnahme. Schon heute gibt das Land (Personalkosten-Steuerquote: 39 Prozent; Zins-Steuerquote: 13,2 Prozent) mehr als fünfzig Prozent der steuerfinanzierten Haushaltsmittel für Personal und Kreditzinsen aus.[26] Eine gefährliche Entwicklung, denn hinzu kommt das, was für alle Bundesländer und den Bund sowie die Kommunen generell zutrifft: Aufgrund des demografischen Wandels und des Rückgangs der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter werden in den nächsten Jahren die Steuereinnahmen tendenziell eher zurückgehen. Trotz immer neuer jährlicher Rekorde beim Steueraufkommen dürfte sich so die Einnahmebasis für alle Gebietskörperschaften in Zukunft eher verkleinern.

Was das im Extremfall bedeuten kann, lässt sich sehr schön am Beispiel des Stadtstaates Bremen zeigen. Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen, im Mai 2011 für vier Jahre wieder in sein Amt gewählt, ist ein bedächtiger Mann. Besondere Statur gewann er sehr zu Recht, als er eine Zeit lang für den zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler »erster Mann« im Staat wurde. Doch auf die einfache Frage, wie er auch in Zukunft seinen Haushalt, und vor allem seine Beamten, über die aktive Tätigkeitsphase hinaus bezahlen will, reagierte er bereits im Wahlkampf 2010 merkwürdig einsilbig. Aber irgendwie interessiert der Schuldenstand Bremens auch niemanden in Deutschland so richtig – vor allen Dingen nicht die Bremer selbst, denn an der Weser weiß keiner so genau, wie es finanziell weitergehen soll.

Fest steht nur: Das Land, ursprünglich von der amerikanischen Militärregierung erfunden, hat mit 660 000 Menschen weniger Einwohner als Frankfurt am Main und ist seit Jahrzehnten chronisch überschuldet. Jedes Jahr geben die Bremer eine satte Milliarde mehr aus, als sie einnehmen. Ende 2010 hatte die Stadt 17,7 Milliarden Euro Schulden.[27] Damit stieg auch der persönliche Anteil, der auf jedem Einwohner des Zwei-Städte-Staates allein an Kommunal- und Landesschulden lastet, zum Jahresende auf 26 788 Euro. Nach den Finanzplanungen des Senats soll die Pro-Kopf-Verschuldung Bremens bis zum Ende des Jahres 2013 sogar auf über 30 000 Euro anwachsen. Bremen nimmt damit den Spitzenplatz im bundesdeutschen Schulden-Ranking ein.

Man muss wissen, dass Stadtstaaten generell ein relativ großes öffentliches Angebot an Dienstleistungen aufweisen müssen, das auch für das Umland bereitgestellt wird wie zum Beispiel im Bereich der Hochschulen und Kultur. Zudem haben Stadtstaaten die besondere Situation, dass die Wirtschaftskraft und die Steueranteile gemessen am jeweiligen Anteil des Landes nicht übereinstimmen. Ursächlich hierfür ist, dass Einpendler in vielen Fällen im Nachbarbundesland leben. Vollständig hausgemacht sind die Bremer Schulden also nicht. Aber nichtsdestoweniger trifft auf Bremen seit langem das nun wirklich nicht zu, was in Artikel 29 des Grundgesetzes steht, dass nämlich »die Länder nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen« müssen. Bei der Durchführung dieser Aufgaben soll die »wirtschaftliche Zweckmäßigkeit« berücksichtigt werden. Die folgerichtige Konsequenz könnte nur eine Neugliederung des Bundesgebiets sein. Davon sind wir heute weiter denn je entfernt.

Und so hilft allen deutschen Stadtstaaten eigentlich nur das, was zurzeit bei der Staatsschuldenkrise auf gesamteuropäischer Ebene diskutiert wird: ein »haircut«, also ein Schuldenschnitt, auf Kosten der öffentlichen und privaten Gläubiger mit einem anschließenden Sanierungsprogramm, so wie dies der IWF für die PIIGS-Staaten – Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien – verlangt. Denn die Bremer Finanzen sind einfach nur desolat. Umso unverständlicher ist, dass sich nicht – ähnlich wie im Fall Griechenland – ein Sturm der Entrüstung zuallererst bei den Bremer Steuerzahlern selbst, aber auch im Rest der Republik dagegen erhebt, marode Kleinstaaten wie die Hansestadt mit immer neuen Geldspritzen vor dem eigentlich Unausweichlichen zu bewahren: dem Insolvenzfall.

In der freien Wirtschaft wäre das, was in Bremen seit Jahren stattfindet, ein Fall für die Justiz – wegen erfolgter Insolvenzverschleppung. Die Personalausgaben-Steuerquote beläuft sich in Bremen auf 58,7 Prozent und die Zinsausgaben-Steuerquote auf stolze 25,5 Prozent (Stand: 2012).[28] Damit sind mehr als achtzig Prozent der Steuereinnahmen im Bremer Haushalt für Personalausgaben und Kreditfinanzierung ausgegeben, bevor irgendwelche anderen Projekte überhaupt angegangen werden können. Ähnlich sieht es in Hamburg aus. Auch Hamburg wird in den nächsten Jahren in massivste Finanzierungsschwierigkeiten kommen. Die Hafenstadt wird schon in Kürze mehr als 25 Prozent ihres Steueraufkommens allein für Pensionsaufwendungen aufbringen müssen. Bremen und Hamburg sind deshalb ein Paradebeispiel dafür, wie die Politik in einem Kleinstaaten-Biotop jahrzehntelang vor sich hin wurschteln konnte, ohne dem Steuerzahler auch nur ansatzweise offenzulegen, was mit seinen Steuergeldern jetzt und in der Zukunft passieren wird. Ein Ende der Unvernunft ist im bundesdeutschen Föderalismus nicht abzusehen.

Im Gegenteil: An der Weser konzentrieren sich die Politiker nicht etwa auf eine Lösung des alten Schuldenproblems, sondern setzen alles auf eine Reform des Länderfinanzausgleichs im Jahr 2019, um so am Ende noch mehr Steuergelder aus dem gemeinsamen Ausgleichstopf zu erhalten. Rechnet man zu den expliziten Schulden, die Bremen angehäuft hat, auch noch die zusätzliche implizite Verschuldung von 27,7 Milliarden Euro hinzu, kommt man auf eine Verschuldung des bremischen Bruttoinlandsprodukts von weit über hundert Prozent. Bremen »(ist) ein Paradebeispiel dafür, wie starke Überschuldung langfristig die Handlungsfähigkeit der Politik (geradezu lähmt)«.[29]

Und Bremen steht nicht allein: Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit hat der neu gegründete »Stabilitätsrat« von Bund und Ländern im Mai 2010 zum ersten Mal eine drohende Haushaltsnotlage nicht nur für Bremen, sondern auch für Berlin (Pro-Kopf-Verschuldung: 17 140 Euro), das Saarland (Pro-Kopf-Verschuldung: 10 340 Euro) sowie Schleswig-Holstein (Pro-Kopf-Verschuldung: 8545 Euro) festgestellt.[30] Durchschnittlich sind die deutschen Bundesländer mit 6250 Euro pro Kopf verschuldet. Bereits im Oktober 2010 beschloss das Gremium, das seit der Föderalismusreform II die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse kontrollieren soll, die vier maroden Länder einer besonderen Beobachtung von außen zu unterstellen – ähnlich wie dies der IWF und die EU-Kommission auf der größeren europäischen Ebene für Griechenland und Italien tun. Es ist das erste Mal in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte, dass es ein solches Verfahren gibt. Dem Gremium gehören der Bundesfinanzminister, die Landesfinanzminister und der Bundeswirtschaftsminister an, die nun mit den betroffenen Landesregierungen Sanierungsmaßnahmen vereinbaren, deren Erfolge alle sechs Monate überprüft werden. Im Fall der vier Haushaltssünder bedeutet dies, dass die Sanierungsprogramme ab dem Jahr 2012 fünf Jahre lang laufen werden. Mit einem kleinen Unterschied gegenüber den von der EU geforderten Sanierungsprogrammen: Sollten Erfolge bei der nachhaltigen Haushaltskonsolidierung ausbleiben – und sollten sie zum Beispiel in Bremen unter diesen Umständen je eintreten? –, gibt es anders als im Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt keinerlei nennenswerte Strafen für die Länder. Es gibt ja den reichen Steuerzahler im Rest der Republik 

Wie man es auch ganz anders machen kann, zeigt wiederum einmal mehr Sachsen mit einer der niedrigsten »Beamtenintensitäten« – ein furchtbares Wort – in Deutschland. Das Land muss deshalb nur einen niedrigen Prozentsatz von seinen künftigen Steuereinnahmen für die Versorgungsleistungen seiner Beamten ausgeben. Dementsprechend niedrig ist auch die Versorgungs-Steuerquote. Im Jahr 2010 gab Sachsen (circa 4,1 Millionen Einwohner) gerade einmal 133 Millionen für die Versorgung seiner beamteten Staatsdiener aus (Versorgungs-Steuerquote: 1,2 Prozent), 2020 werden es 335 Millionen (Versorgungs-Steuerquote: 3,9 Prozent) sein, 2030 511 Millionen (Versorgungs-Steuerquote: 6,6 Prozent) und 2040 552 Millionen (Versorgungssteuer-Quote: 7,6 Prozent).[31] Aber das sind alles sehr moderate Werte für ein Land, das derzeit nicht mehr als rund jeden vierten Euro (Personalausgaben-Steuerquote: 26,4 Prozent) für seine aktiven und passiven im Öffentlichen Dienst arbeitenden Beschäftigten ausgibt und für seine Altschulden eine Zinsausgaben-Steuerquote von gerade einmal 5,6 Prozent hat. Insgesamt gibt der sächsische Finanzminister Georg Unland die »implizite« Verschuldung seines Landes im Doppelhaushalt 2009 / 2010 mit gut sechs Milliarden Euro an – bei einem Bruttoinlandsprodukt von 95 Milliarden ist dies ein sehr respektabler Wert.[32] In Sachsens Nachbarschaft, in Thüringen (2,2 Millionen Einwohner), liegt das Bruttoinlandsprodukt bei circa 48 Milliarden. Der Schuldenstand beträgt 16,2 Milliarden. 2005 lagen die Kosten für die Versorgung von Beamten, Richtern und deren Hinterbliebenen noch bei knapp 32 Millionen Euro. Für 2011 waren es aber bereits 81,5 Millionen Euro, für 2020 wird sogar mit der vierfachen Summe gerechnet.[33]

Die Pensionslüge: Warum der Staat seine Zusagen für Beamte nicht einhalten kann und warum uns das alle angeht
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