Gerechtigkeit im Alter

 

Über die Frage, wie die gesetzliche Rentenversicherung nachhaltig zukunftsfest gemacht werden kann, und über die »Rente mit 67« wird bis heute heftig gestritten. Über das zweite Standbein unseres Altersversorgungssystems, die Beamtenpensionen, erstaunlicherweise nicht. Doch auch wenn der Deutsche Beamtenbund diese Diskussion scheut wie der Teufel das Weihwasser und auch wenn die Politik ihr augenscheinlich, soweit sie es eben kann, ebenfalls aus dem Weg zu gehen versucht: Deutschland braucht eine offene und ehrliche Diskussion über seine Beamten. Vor allem über die Frage, wo sie in Zukunft eingesetzt werden sollen und wo nicht. Was sie uns in ihrer aktiven Zeit wert sein sollten und was nicht. Wie teuer uns Beamte im Ruhestand kommen.

De facto hat sich das Versorgungssystem für Beamte in den letzten Jahrzehnten in einem Maß von den übrigen Sozialsystemen abgekoppelt, dass Analogien kaum mehr herzustellen sind. Die Kluft wird immer größer. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass bei der Rentenversicherung und bei den Versorgungssystemen aus dem öffentlichen Sektor heute keine gleichgerichtete Entwicklung mehr stattfindet. Die Versorgungssysteme, die aus Steuermitteln und damit von der Allgemeinheit finanziert werden, stellen sich deutlich günstiger dar als das Rentenversicherungssystem, das für den Großteil der Bevölkerung gilt. Es fällt dabei schwer zu glauben, dass dies alles nur historisch gewachsene Zufälle sind.

Abgesehen von den immer wieder kurzzeitig aufkeimenden medialen Entrüstungswellen gibt es in Deutschland bis heute keine seriöse Debatte über einen Vergleich von Renten und Pensionen. Was spricht gegen einen solchen Vergleich? Dass der Beamtenbund ihn für ganz und gar falsch hält? Das mag eine Interessenvertretung so sehen, der Rest der Republik muss sich dem aber nicht anschließen. In beiden Fällen – Renten und Pensionen – geht es um finanzielle Anwartschaften für das Alter, die sich im Laufe von Erwerbsbiografien ergeben haben. Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf einen solchen Vergleich und eine darauf basierende politische Diskussion. Der Deutsche Beamtenbund tut ihn mit dem Hinweis auf »Äpfel und Birnen« oder auch »Eier und Wassermelonen« ab. »Abenteuerlich« oder »schlichtweg Unfug«, nennt ihn Konrad Freiberg, der frühere Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Doch ein solcher Vergleich muss und darf in einem Land wie Deutschland erlaubt sein, das einen erheblichen Teil seiner politischen Stabilität in den letzten fünfzig Jahren dem Gefühl seiner Bürger verdankt, dass es in diesem Land sozial gerecht zugeht.

Vor allem, wenn wir mit Riesenschritten auf eine neue Altersarmut in den nächsten Jahrzehnten zusteuern. »Die meisten Frührentner leben an der Armutsgrenze«, titelte ›Welt-Online‹ im August 2011 und berief sich dabei auf einen Bericht des Sozialverbands Deutschland (SOvD). Wer wegen Krankheit oder Behinderung nicht mehr arbeiten kann, erhalte heute oft nur noch eine Minirente. Binnen zehn Jahren sei der durchschnittliche Zahlbetrag bei neu bewilligten Erwerbsminderungsrenten für Männer von 817 auf 672 Euro im Monat abgesackt. Das Schrumpfen der Zahlbeträge hat nach Darstellung des Verbands zwei Gründe: Zum einen führen Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne dazu, dass Beitragszeiten fehlen oder weniger in die Rentenversicherung eingezahlt wird. Zum anderen gelten auch bei der Erwerbsminderungsrente – wie bei der normalen Altersrente – Abzüge von bis zu 10,8 Prozent, wenn man die Leistung vor dem 63. Lebensjahr in Anspruch nimmt.[1] Viele Wissenschaftler warnen deshalb auch in immer neuen Studien vor einer Armutswelle in den nächsten Jahrzehnten. Bereits heute machen sich die Menschen in Deutschland vermehrt Sorgen um ihre Altersversorgung. Zu diesem Ergebnis kommt zum Beispiel eine jährliche Studie des Allensbacher Instituts für Demoskopie im Auftrag der Postbank.[2] Demnach befürchtet mittlerweile mehr als jeder dritte Berufstätige (37 Prozent), dass ihm der Staat die gesetzliche Rente im Alter kürzen wird, weil er wegen der Schuldenlast und der Staatsschuldenkrise in Europa kaum Geld hat. Außerdem erwarten 28 Prozent der Berufstätigen, dass ihre Ersparnisse durch steigende Preise entwertet werden.

Nur durch einen Gleichklang der öffentlichen Versorgungssysteme mit der gesetzlichen Rentenversicherung lässt sich Gerechtigkeit im Alter herstellen. Und die wird wichtiger denn je, wenn immer mehr Menschen den Eindruck haben, dass es im Hinblick auf ihre eigene persönliche Zukunft stetig bergab gehe. Deshalb ist es eigentlich erstaunlich, wie wenig Aufsehen, ganz zu schweigen von politischen Debatten oder gar Konsequenzen eine Studie gefunden hat, die zwei Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin ausgerechnet im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zu Beginn des Jahres 2010 vorgestellt haben. Sie zeigt: Spätestens an der Pensionsgrenze öffnet sich die Einkommensschere zwischen Ruhestandsbeamten und Beitragszahlern der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die beiden Forscher – Joachim R. Frick und Markus M. Grabka – haben die Vermögensaufteilung in Deutschland untersucht und dabei zum ersten Mal die unterschiedlichen Anwartschaften an die Alterssicherungssysteme mit in eine solche Rechnung einbezogen.[3] Für ihre Berechnungen kombinierten Frick und Grabka die aktuellsten verfügbaren Befunde aus dem »Sozio-ökonomischen Panel« (SOEP) mit anonymisierten Daten der Rentenversicherung. Das SOEP ist eine am DIW Berlin angesiedelte Einrichtung, die Wiederholungsbefragungen von mehr als 12 000 Haushalten zu sozialen und wirtschaftlichen Lebensverhältnissen durchführt. Da Jahr für Jahr die gleichen Menschen befragt werden, eignen sich die Daten sehr gut, um gesellschaftliche Trends und Entwicklungen zu verfolgen.

Danach haben die beiden Wissenschaftler auf der Basis von Erwerbsbiografien, Alter und Daten zur Lebenserwartung für verschiedene Bevölkerungsgruppen den »Gegenwartswert« ihrer Alterssicherungsansprüche zum Zeitpunkt der Erhebung abgeschätzt. Konkret handelt es sich dabei um Anwartschaften an die gesetzliche Rentenversicherung und an die Beamtenversorgung. Ansprüche an berufsständische Versorgungssysteme, an die Alterssicherungskassen der Landwirte und an Betriebsrenten konnten nur zum Teil erfasst werden. Es ist ein kompliziertes Verfahren, dessen Methodik Frick und Grabka aber sauber und transparent aufgeführt haben. Ansprüche auf Renten und Pensionen nehmen für viele Menschen, schreiben sie zu Recht, einen hohen Anteil in ihrem Gesamtvermögen ein. Schließlich sind die meisten Erwerbstätigen in eines der Alterssicherungssysteme einbezogen.

Die Deutschen hatten im Jahr 2007 Anwartschaften auf mehr als 4,6 Billionen Euro an die verschiedenen Alterssicherungssysteme. Eine unvorstellbar große Summe. Insgesamt beziffern die beiden Forscher das Vermögen der Deutschen im Jahr 2007 auf 10,6 Billionen Euro. Was das bedeutet, wird deutlich, wenn man das Alterssicherungsvermögen rechnerisch neben das private Geld- und Sachvermögen stellt und addiert. Nach dieser Berechnungsbasis lag der Durchschnittswert des individuellen Vermögens von allen Erwachsenen über 17 Jahre im Jahr 2007 bei mehr als 150 000 Euro, netto, nach Abzug aller Schulden. Davon waren gut 88 000 Euro Geld- und Sachvermögen und rund 67 000 Euro entfielen auf Renten- oder Pensionsanwartschaften. Das klingt nach viel Geld, aber es ist ein Durchschnittswert, der sich zum Beispiel bei Brüchen in der Erwerbsbiografie sehr schnell relativiert.

Die Gesamtschau der Vermögenssituation erlaubte den beiden Wissenschaftlern auch einen Vergleich nach beruflicher bzw. sozialer Stellung: Un- und angelernte Arbeiter sowie Angestellte ohne Ausbildungsabschluss hatten nach der DIW-Untersuchung Rentenanwartschaften von durchschnittlich 40 000 Euro. Facharbeiter und Angestellte mit einfachen Tätigkeiten lagen lediglich rund 500 Euro höher. Vorarbeiter, Meister und Angestellte mit qualifizierter Tätigkeit besitzen im Schnitt Ansprüche an die Alterssicherungssysteme von gut 49 000 Euro. Das führt in diesen Gruppen zu einem durchschnittlichen erweiterten Nettovermögen (Geld- und Sachvermögen plus Anwartschaften an die Alterssicherung), das von rund 74 000 Euro bis gut 130 000 Euro reicht. Deutlich mehr haben Angestellte in hohen Führungspositionen zu erwarten: Ihr Alterssicherungsvermögen liegt bei durchschnittlich über 78 000 Euro. Hinzu kommen rund 308 000 Euro Geld- und Sachvermögen. Arbeitslose besitzen durchschnittlich rund 39 500 Euro Alterssicherungsvermögen und weniger als 17 000 Euro an Geld- und Sachwerten und sind trotz dieser auf den ersten Blick ganz erstaunlichen Summen »am ärmsten dran«.[4]

Eine Berufsgruppe, das haben die Wissenschaftler quasi en passant herausgefunden, erwies sich bei der Vermögensbildung als doppelt privilegiert: die Beamten. »Sowohl bei ihrem aktuellen Geldvermögen als auch bei ihren Pensionen verfügen sie über fast doppelt so viel Geld wie Angestellte mit vergleichbarer Qualifikation«, schreiben Frick und Grabka. Am deutlichsten wird der Unterschied beim Vergleich von Rentnern und Pensionären. Kommen Rentner mit ihren Anwartschaften im Schnitt auf 125 000 Euro, haben Beamte im Ruhestand im Schnitt einen Anspruch von mehr als 300 000 Euro. Alles in allem beträgt das Nettovermögen der Rentner damit 230 000 Euro und das der Pensionäre mehr als 500 000 Euro. Beamte im einfachen Dienst und mittleren Dienst verfügen über durchschnittliche Pensionsansprüche von gut 80 000 Euro, im gehobenen und höheren Dienst sind es gut 128 000 Euro. Hinzu kommen Netto-Geld- und Sachvermögen von durchschnittlich rund 63 000 bzw. rund 140 000 Euro. Das sind zusammengenommen Altersvermögen von gut 140 000 Euro bei Beamten des einfachen und mittleren Dienstes – beim einfachen Dienst also zum Beispiel eines Polizeiwachtmeisters, eines Gefreiten bei der Bundeswehr oder Bahnschaffners (alle Besoldungsgruppe A2) – bzw. 270 000 Euro beim mittleren Dienst, etwa eines Feuerwehr-Brandmeisters oder einer Krankenschwester, eines Kriminalmeisters oder Feldwebels (alle Besoldungsgruppe A7).

Demgegenüber stehen, so haben die Wissenschaftler errechnet, Altersvermögen bei Arbeitern und Angestellten mit einfachen Tätigkeiten in Höhe von 85 000 Euro bzw. bei qualifizierten Tätigkeiten in Höhe von 130 000 Euro. »Die bereits relativ günstige Position der Beamten beim Geld- und Sachvermögen verbessert sich also noch durch die Hinzurechnung der Renten- und Pensionsanwartschaften«, schlussfolgern die beiden Wissenschaftler.[5] Unter Berücksichtigung der Rentenanwartschaften relativiert sich sogar die dominierende Stellung der Selbstständigen in der Netto-Geld- und Sachvermögenshierarchie. So weisen Pensionäre im Durchschnitt ein erweitertes Nettovermögen inklusive Pensionsanwartschaften in Höhe von mehr als 500 000 Euro auf und damit mehr als Selbstständige mit einem mittelgroßen Betrieb. Bezieher einer Rente der gesetzlichen Rentenversicherung erreichen dagegen nicht einmal die Hälfte dieses Wertes. Zudem sanken in den letzten Jahren die Löhne für viele Menschen real und die Lohnquote verringerte sich. Gleichzeitig wurde der Niedriglohnsektor immer weiter ausgeweitet.

Zu einem in der Tendenz ähnlichen Ergebnis kam übrigens wenige Jahre zuvor Margot Münnich in einer Studie für das Statistische Bundesamt. Sie verglich für das Stichjahr 2003 die Einnahmen und Ausgaben von Rentner- und Pensionärshaushalten. Die Ergebnisse hätten schon damals für öffentliches Aufsehen sorgen müssen. Taten sie aber nicht, obwohl sie an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. Demnach betrug das Haushaltsnettoeinkommen der damals mehr als 5,8 Millionen Einpersonenrentnerhaushalte in Deutschland durchschnittlich 1476 Euro monatlich. Allein lebende Pensionsempfänger hatten im selben Jahr ein durchschnittliches Haushaltsnettoeinkommen von monatlich 3125 Euro. »Das durchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen allein lebender Pensionäre war 2003 im Schnitt gut doppelt so hoch wie das der Einpersonenrentnerhaushalte«, bilanziert Margot Münnich.[6] Und sie geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn sie schreibt: »Während Einpersonenrentnerhaushalte – wie schon bei vorangegangenen Erhebungen – bei weitem nicht das Einkommensniveau der Haushalte von allein lebenden Erwerbstätigen erreichten, hatten Einpersonenpensionärshaushalte im Jahr 2003 ein höheres Nettoeinkommen als Einpersonenbeamtenhaushalte. Im Schnitt kamen Erstere auf 3125 Euro, Letztere auf 2739 Euro.«[7] Im Klartext: Ruhestandsbeamte verfügen monatlich über mehr Geld als aktiv im Dienst befindliche Beamte. Eigentlich hätte angesichts solcher Zahlen ein großer Aufschrei mindestens in den Reihen der jungen Beamten stattfinden müssen – von anderen DGB-Gewerkschaften ganz zu schweigen.

Der Deutsche Beamtenbund bestreitet solche Zahlen rundweg. Dazu später mehr. Wirklich verwunderlich sind sie nicht. Wer außer Beamten kann heute noch eine weitgehend ungebrochene Erwerbsbiografie vorweisen? Ohne Kurzarbeit, ohne Phasen von Arbeitslosigkeit? Ohne einen beruflichen Neuanfang etwa mit niedrigerem Gehalt? Daher kommen Ruhestandsbeamte auch auf das höchste Alterssicherungsvermögen aller Berufsgruppen und hängen dabei beispielsweise auch die gut situierten Selbstständigen ab, die privat fürs Alter vorsorgen müssen. Anwärter einer gesetzlichen Rente erreichen nicht einmal die Hälfte dieses Wertes. »Angesichts der aktuellen Entwicklungen in der gesetzlichen Rentenversicherung erscheinen die Beitragsfreiheit zur Alterssicherung von Beamten während der Erwerbszeit und das überdurchschnittliche Versorgungsniveau im Pensionsalter zumindest diskussionsbedürftig«, schreiben Grabka und Frick noch eher vorsichtig und zurückhaltend. Die Boulevardzeitungen waren da schon deutlicher: »Beamte sind die heimlichen Reichen«, lautete eine Schlagzeile.

Solche Vergleiche dürfe man nicht anstellen, meint DBB-Chef Peter Heesen. Denn: »Was hier gemacht wird, ist kein Vergleich mit Äpfeln und Birnen mehr, sondern eher Eier mit Wassermelonen.« Die Durchschnittsrente und die Mindestversorgung ins Verhältnis zu setzen und dabei alle Unterschiede in Berechnung und Begründung außer Acht zu lassen, sei »wirklich abenteuerlich«.[8] Unterschiedliches Bildungsniveau, Steuerzahlungen und Krankenversicherungskosten im Alter müssten genauso in jede Vergleichsrechnung einbezogen werden wie die großen Unterschiede in den Erwerbsbiografien der »durchschnittlichen« Pensionäre und Rentenempfänger.[9] Bei einem Beamten steigere zudem jeder Euro, den er mehr verdient, die Pension, während bei der Rente ab einem Verdienst von 5500 Euro (West) nichts mehr angerechnet werde. »Natürlich ist der durchschnittliche Pensionssatz dann höher«, zitiert die ›Welt am Sonntag‹ Peter Heesen.[10] Außerdem ginge in die Rechnung nicht ein, darauf verweisen Beamtenfunktionäre immer wieder, dass Arbeitnehmer auch Alterseinkünfte aus betrieblicher Altersvorsorge erzielten. Nur mit ihnen – Rente plus betrieblicher Altersvorsorge – seien deshalb auch Beamtenpensionen – wenn überhaupt – zu vergleichen, da die Pension eine sogenannte »Vollversorgung« sei.

Dass längst nicht alle Arbeitnehmer – nämlich in Westdeutschland nur rund zwanzig Prozent, nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung in Höhe von 403 Euro, und nur einer von hundert in Ostdeutschland, in Höhe von 199 Euro – eine derartige Zusatzversorgung bekommen, stört beispielsweise Dieter Berberich, den Vorsitzenden des »Bundes der Ruhestandsbeamten, Rentner und Hinterbliebenen« (BRH) nicht im Geringsten. »Die betriebliche Altersversorgung ist jedenfalls in großen Unternehmen üblich und nur sie können mit dem größten deutschen Betrieb, nämlich dem öffentlichen Dienst, verglichen werden«, meint er kurzerhand.[11] Berberich will sogar Arbeitslose mit ihren Rentenanwartschaften aus einem Vergleich zwischen Pensionen und Renten explizit herausrechnen. Sie verzerrten seiner Ansicht nach das Bild zu sehr. Als Beamtenfunktionär kann man sich von der Wirklichkeit in Deutschland sehr weit entfernen. Zudem seien Beamte im Durchschnitt besser qualifiziert als gesetzlich Versicherte und hätten alleine schon deshalb ein Anrecht auf mehr als 2000 Euro monatlicher Pension. Außerdem würden die Pensionen voll besteuert. Das stimmt zwar, aber auch Renten werden seit dem Jahr 2005 schrittweise besteuert. Aktuell beträgt der steuerpflichtige Anteil der gesetzlichen Rente maximal 62 Prozent, bis 2040 steigt er jährlich um zwei Prozent an. Dieser angebliche Vorteil der Rentner wird somit laufend kleiner. Nicht zu vergessen, dass Angestellte und Arbeiter für ihre Zusatzversorgung oftmals mitzahlen müssen. Doch selbst wenn ein Beamter und ein Angestellter im Arbeitsleben gleich viel verdienen, gibt es laut Bund der Steuerzahler deutliche Unterschiede bei den Altersbezügen. Der BdSt hat im Jahr 2007 die Alterseinkünfte eines Pensionärs und eines Rentner verglichen, die beide ein Monatsgehalt von 2500 Euro hatten. Das Ergebnis: Der Pensionär bekam am Ende im Ruhestand netto 27 Prozent mehr. Und es handelt sich hier nicht um den einfachen Amtmann. Ein Oberstudienrat bekommt knapp 3400 Euro Pension, der höchstbezahlte Beamte, ein Staatssekretär, bekommt eine Pension von 7900 Euro. Für eine vergleichbare Rente müsste ein Durchschnittsverdiener rund 300 Jahre arbeiten.

Was so ein durchschnittlicher Pensionsanspruch am Ende in Euro und Cent wert ist, lässt sich sehr schön an einem Beispiel anschaulich machen, das in einem Bericht im ›Stern‹ aufgeführt wurde.[12] Da wurde das Altersruhegehalt einer Kriminalkommissarin nach vierzig Dienstjahren für einen Vergleich zugrunde gelegt. Geht sie in Pension, erhält sie 1965 Euro Ruhegehalt; abzüglich 200 Euro Steuern verbleiben ihr Monat für Monat 1765 Euro. Ein Modellrentner mit gleichem Bruttoverdienst dagegen, der vierzig Berufsjahre lang Rentenversicherungsbeiträge gezahlt hat, kommt auf nur etwa 1080 Euro Rente. Die Differenz beträgt 685 Euro. Monat für Monat. Nach zwanzig Jahren Ruhestand mache dies bereits über 164 000 Euro. Rechne man den Netto-Vorsprung von knapp 106 000 Euro aus der aktiven Zeit hinzu, habe die Beamtin mit 85 Jahren netto 270 000 Euro mehr auf der hohen Kante als der Angestellte. Die Quintessenz im ›Stern‹ lautet: »Es geht hier nicht um Kleinigkeiten, es geht um ein Häuschen. Keine Villa, aber ein Haus. Nicht eins am Ufer des Starnberger Sees, aber vielleicht eins am Rande einer Stadt.« Dürfen dies dem Staat und uns Steuerzahlern unsere Beamten wert sein?

Natürlich kann der Angestellte versuchen, so geht die Rechnung weiter, die eigene Rente um 885 Euro aufzubessern, um so die Versorgungslücke im Vergleich zur Beamtenpension selbst zu schließen. Bei einer klassischen privaten Rentenversicherung müsste er dafür vierzig Jahre lang monatlich knapp 380 Euro einzahlen. Um aber weiterhin ein frei verfügbares Gehalt von 1900 Euro im Monat zu haben wie die Kriminalkommissarin, bräuchte er dazu ein monatliches Netto von 2280 Euro, was er aber als kinderloser, lediger Angestellter in der Steuerklasse I nur dann herausbekäme, wenn sein Bruttolohn 3800 Euro betrüge. Sein Chef müsste ihm also eine Gehaltserhöhung von fast 1200 Euro gönnen. So gesehen sind die 2610 Euro der Kommissarin nicht gerade wenig. Brutto ist eben nicht gleich Brutto, rechnen die Autoren des ›Stern‹-Artikels vor.

Die Unterschiede beim Alterssicherungsvermögen werden durch die Rentenreformen und veränderte Erwerbsverläufe in Zukunft wahrscheinlich eher größer als kleiner werden. Langzeitarbeitslose bauen zum Beispiel mit einem Rentenanspruch von 2,19 Euro pro Jahr inzwischen so gut wie gar kein Alterssicherungsvermögen mehr auf. Folglich ist damit zu rechnen, meinen die Forscher vom DIW, »dass die Vermögensungleichheit auch bei der Alterssicherung zunimmt und wir auf mehr Altersarmut zusteuern«.

Das hat ein Beamter nicht zu fürchten. Beamtenpensionen bemessen sich nach den Bezügen der letzten Dienstjahre, in dem Beamte naturgemäß ihre höchste Laufbahn- und Besoldungsstufe erklommen haben. Der aktuelle Höchstpensionssatz nach vierzig Dienstjahren beträgt 71,75 Prozent. Rentner dagegen sammeln ihre Versorgungsansprüche mühsam während des gesamten Berufslebens an. Niedrige Gehälter zu Beginn der Karriere hängen ihnen daher im Alter nach. Das durchschnittliche Rentenniveau liegt derzeit bei knapp 48 Prozent. Kein Wunder also, dass das Nettoeinkommen von Pensionären heute um fast ein Drittel höher liegt als das der Haushalte mit Einkünften aus der gesetzlichen Rente. Das Rentenniveau sinkt demnächst voraussichtlich sogar noch weiter – auf bis zu 43 Prozent, denn der sogenannte Nachhaltigkeitsfaktor, im Jahr 2004 in der gesetzlichen Rente eingeführt, erlaubt es, die Rente von Jahr zu Jahr in Abhängigkeit vom Verhältnis der Rentner zu den Beitragszahlern weiter zu kürzen. Er stellt so etwas wie den demografischen Faktor dar und ist – je ungünstiger die Entwicklung verläuft – vielleicht sogar von noch einschneidenderer Bedeutung und ein weitaus größerer Eingriff als die »Rente mit 67«, um die so erbittert gestritten wird. Darunter werden vor allem die heute Dreißig- bis Fünfzigjährigen besonders zu leiden haben, denn das Rentenniveau wird so bis 2030 noch einmal erheblich gesenkt.

Die jetzige Bundesregierung geht davon aus, dass die Renten für die derzeit 20,4 Millionen Rentner in Deutschland in den nächsten 15 Jahren um knapp dreißig Prozent, nämlich um 1,9 Prozent pro Jahr, steigen werden.[13] Auch da dürfte Skepsis angebracht sein. Denn nur ein kleiner Teil der Arbeitnehmer hat so lange gearbeitet wie der berühmte »Eckrentner«, der überall als Berechnungsgrundlage gilt. Er hat 45 Jahre lang Beiträge bezahlt und dabei immer durchschnittlich verdient. Nach den Modellrechnungen des Arbeitsministeriums würden sich dabei die Bezüge für den sogenannten Eckrentner von derzeit 1224 auf 1584 Euro monatlich erhöhen. Nach Angaben des Sozialverbands VdK können in Westdeutschland jedoch nur 4,6 Prozent der Frauen und 42 Prozent der Männer 45 und mehr Versicherungsjahre vorweisen.

Tatsächlich sind die ausgezahlten Renten deutlich niedriger: Dem Bericht zufolge lag bei Männern, die wegen ihres Alters oder verminderter Erwerbsfähigkeit in den Ruhestand gehen, zum 1. Juni 2009 der durchschnittliche Zahlbetrag bei 982 Euro. Dieser Wert war in den neuen Ländern mit 1020 Euro etwas höher als in den alten Ländern (973 Euro). Bei Frauen betrug die durchschnittliche Versichertenrente 542 Euro. Jeder fünfte Ruheständler bekommt mehrere Renten. Wer dazu gehört, erhält im Schnitt 1110 Euro.[14] Selbst dann ist immer noch ein erheblicher Unterschied zwischen den Pensionsleistungen und den Zahlungen, die ein Rentner selbst bei gleicher beruflicher Qualifikation erhält.[15]

Das Mantra des DBB, alle Kürzungen in der gesetzlichen Rentenversicherung würden auch »1:1« in der Beamtenversorgung übernommen werden, das auch immer fleißig von der Politik wiederholt wird, hat mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun. Eigentlich weiß die Politik nur zu genau, dass genau dies nicht stimmt.[16] Dennoch gibt es beim zweiten Alterssicherungssystem, den Beamtenpensionen, bis heute keine vergleichbare Regelung wie den Nachhaltigkeitsfaktor. Es ist schleierhaft, wie der Deutsche Beamtenbund den übrigen befreundeten Gewerkschaften im DGB diesen gar nicht so kleinen und feinen Unterschied für Beamte erklären will. Die rot-grüne Bundesregierung hatte mit Bundesinnenminister Otto Schily im Jahr 2005 mit einer entsprechenden Gesetzesinitiative das Thema in Angriff nehmen wollen. Die von Bundeskanzler Gerhard Schröder initiierten vorgezogenen Neuwahlen vereitelten das Vorhaben. Seither schlummert das Gesetz in den Schubladen, und es findet sich niemand in der christlich-liberalen Koalition unter Angela Merkel, der es dort freiwillig wieder herausholen will. Selbst in der aktuellen Staatsschuldenkrise wagt sich keiner daran – kein Bundesfinanzminister und auch kein Bundesinnenminister.

Die Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors in der Beamtenversorgung wäre eine Maßnahme, die insbesondere die Länderetats am schnellsten entlasten würde, allerdings auch die Beamten am stärksten treffen würde: Von einer Pensionshöhe von derzeit fast 72 Prozent der letzten Bezüge würden die Ruhestandsgehälter in einem solchen Fall auf rund 66 Prozent sinken. Eine spürbare Einbuße, die allerdings alle übrigen Rentner heute bereits hinnehmen müssen. Experten fordern deshalb dringend, den Nachhaltigkeitsfaktor analog den Regelungen in der gesetzlichen Rentenversicherung bei den Beamtenpensionen einzuführen und dabei das Verhältnis von Leistungsempfängern zu Steuerzahlern zum Maßstab zu machen. Solange Pensionen mehrheitlich aus dem laufenden, steuerfinanzierten Haushalt finanziert werden, ist das in einer alternden Gesellschaft der einzige Parameter.

Auch die Tatsache, dass Studienzeiten für Beamte bei der Altersversorgung mitgezählt werden, aber in der gesetzlichen Rentenversicherung für alle sonstigen Beschäftigten schon lange nicht mehr gelten, wird ver.di keinem gewerkschaftlich organisierten Angestellten glaubhaft erklären können, falls der mal nachfragen sollte, was denn der Beamtenbund alles sonst noch für Sondervereinbarungen mit sich herumschleppt.

Im politisch gesehen anderen »Lager«, beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, ist man übrigens nicht weit entfernt von den Erkenntnissen der Hans-Böckler-Stiftung über das Auseinanderdriften der Alterssicherungssysteme. Wir brauchen dringend eine Reform der Ruhestandsbezüge, sonst laufen unsere staatlichen Haushalte aus dem Ruder, heißt es dort. Die Versorgungsempfänger im Öffentlichen Dienst seien gegenüber Rentnern in einem »grob ungerechten Ausmaß« deutlich bevorteilt, meint der IW-Wissenschaftler und Finanz- und Steuerexperte Winfried Fuest. Er hat in Sachen Beamtenpensionen und Ruhestandsgelder eigene Berechnungen aufgestellt. Sein Fazit: Wer 45 Jahre durchschnittlich verdient und auf Basis dieses Einkommens in die gesetzliche Rentenkasse eingezahlt hat, hat nicht viel mehr als die Hälfte dessen an Geld zu erwarten, was ein Pensionär bekommt. Seit Mitte der 1990er Jahre, so Fuests weitergehende Erkenntnisse, sei die Standard- oder Eckrente um 11,15 Prozent gestiegen, die durchschnittlichen Versorgungsbezüge pensionierter Beamter hätten dagegen um fast ein Drittel zugelegt. Am höchsten sei der Zuwachs bei ehemaligen Gemeindebeamten gewesen, deren Durchschnitts-Pension im vergangenen Jahrzehnt um 34,57 Prozent zulegte. Beamte erhalten etwa siebzig Prozent ihres aktiven Verdienstes im Alter, Angestellte und Arbeiter per Gesetz immer unter fünfzig Prozent. »Wenn die Altersversorgung der Beamten nicht einschneidend reformiert wird, wird diese Kluft beim Alterseinkommen bis 2018 auf 124,9 Prozent einer Standardrente anwachsen«, erklärte Fuest in der ›FAZ‹.[17] Künftige Altersarmut mag stattfinden, wo sie will, aber nicht bei den Beamten, die trotz des Lebenszeitprivilegs so überdurchschnittlich gut versorgt sind, dass man die Gerechtigkeitsfrage stellen muss. »Im Grunde ist das eine Zumutung für den Steuerzahler«, resümiert Fuest klipp und klar.[18] Schon bald werde diese Entwicklung »zu massiven gesellschaftspolitischen Akzeptanzproblemen führen«.

Sein Kollege Dietmar Bräunig, Professor an der Universität Gießen, geht noch einen Schritt weiter. Die bereits heute bestehende Einkommenskluft zwischen Rentnern und Pensionären werde ohne durchgreifende Reformen in der Zukunft noch weiter zunehmen. Er glaubt deshalb nur mehr an eine einfachere, wenn auch heute noch unvorstellbar klingende Lösung: Die Beamtenpensionen müssten der demografischen Realität angepasst werden, sagt er. Auf Deutsch: Sie müssten gekürzt werden. Für etwas anderes sei es längst zu spät.[19]

Die Pensionslüge: Warum der Staat seine Zusagen für Beamte nicht einhalten kann und warum uns das alle angeht
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