Das Treueverhältnis des Staates

 

Deutschland wird in der Historikerzunft gerne und oft mit den Worten des Philosophen und Soziologen Helmut Plessner als eine »verspätete Nation« bezeichnet. Ganz besonders gilt dies für seine innere gesamtstaatliche Verfasstheit. Es hat lange gedauert, bis aus dem Flickenteppich des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und des Deutschen Bundes ein Deutsches Reich wurde. Und so ist auch die Idee von einem einheitlichen Beamtenstand noch vergleichsweise jung. Das Konzept des öffentlich-rechtlichen Beamtenstatus sowie das klassische bürokratische Laufbahnsystem wurden Anfang des 19. Jahrhunderts durch Napoleon in fast alle europäischen Staaten exportiert und dort wiederum an die eigenen Rechts- und Verwaltungstraditionen angepasst. Bis dahin gab es in Deutschland eine Vielzahl von länderspezifischen Regelungen für Beamte. Heute entwickeln wir uns – nach der deutschen Wiedervereinigung und den in ihrer Folge tagenden Föderalismuskommissionen – genau dorthin wieder zurück. Wir werden sehen, dass dies für die aktuelle Diskussion über Beamte und Beamtenpensionen nicht ohne Bedeutung ist. Und wir werden sehen: Vom besonderen Treueverhältnis des Staates gegenüber seinen Beamten kann – historisch gesehen – bestenfalls nur bedingt die Rede sein. Wenn es eng wurde für Staat und Politik, blieb vom Treueversprechen nicht viel übrig.

Dabei waren die ersten Beamten nicht einem Staat, sondern ihrem jeweiligen Monarchen zu Diensten. Dieser legte auch ihre Bezahlung fest, die nicht selten knapp bemessen war. »Eine Regierung muss sparsam sein, weil das Geld, das sie erhält, aus dem Blut und dem Schweiß ihres Volkes stammt.« Das hat niemand anderes als der Preußenkönig Friedrich II., der Große, gesagt. Von den Ausmaßen, die das Berufsbeamtentum einmal für ein Land wie Deutschland annehmen würde, hatte er noch keine Vorstellung. Wohl aber davon, dass die Kosten des Staates in einem angemessenen Verhältnis zum Wohl seiner Staatsbürger stehen sollten. »Es ist gerecht, dass jeder Einzelne dazu beiträgt, die Ausgaben des Staates tragen zu helfen. Aber es ist nicht gerecht, dass er die Hälfte seines jährlichen Einkommens mit dem Staat teilen muss«, schrieb Friedrich. Heute muss manches Bundesland bereits vierzig Prozent seiner Steuereinnahmen als Personalkosten für seine Landesbediensteten ausgeben. Als Friedrich der Große zu seiner Einsicht kam, konnte er bereits auf dem aufbauen, was sein Vater, Friedrich Wilhelm I. (1713  1740), aus Preußen gemacht hatte – den ersten »Beamtenstaat« auf deutschem Boden. Friedrich Wilhelm I. wird deshalb auch gerne als der »Vater des Berufsbeamtentums« bezeichnet.

Die erste zusammenfassende und schriftlich niedergelegte gesetzliche Regelung des Beamtenberufs ist im »Preußischen Allgemeinen Landrecht« von 1794 zu finden. Danach war der Beamte nicht mehr Diener eines Fürsten, sondern Diener des Staates. »Von den Rechten und Pflichten der Diener eines Staates« handelt deshalb auch folgerichtig eine eigene Abhandlung im »Landrecht«.[1] Darin wurden Beamte erstmals ausdrücklich als »Staatsorgan« bezeichnet und die Regelungen entwickelt, die wir bis heute als die »hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums« bezeichnen. Die Übertragung solcher »staatstragenden Aufgaben« auf Personen, die sich nicht wie bisher allein durch ihre adlige Abstammung dafür »qualifiziert« hatten, musste damals als geradezu revolutionär für die Menschen in einer ständischen Ordnung gewesen sein. Die ersten Beamten kämpften deshalb vor allem gegen die Vorrechte des oftmals korrupten und unfähigen Adels.

Für ihre absolute »Hingabe und Dienst für den Monarchen bei Tag und bei Nacht ein Leben lang« erhielten sie als Gegenleistung eine Entlohnung, die die »Würde und den Schutz des Standes, einen gerechten und anständigen Besoldungsgrad und ein beruhigendes Schicksal ihrer hinterlassenen Witwen und Waisen« sicherstellen sollte. Ab diesem Zeitpunkt war den Beamten zur unabhängigen Aufgabenwahrnehmung eine regelmäßige und nicht geringe Bezahlung – auch nach dem aktiven Dienst – gewiss.

Weiterentwickelt wurde das Beamtenrecht mit der »Bayerischen Hauptlandes-Pragmatik« vom 1. Juni 1805. Sie stellte einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Anerkennung von Unabsetzbarkeit und Lebenszeitprinzip der Beamten dar. Für ihren Dienst gegenüber dem Staat gewährleistete dieser ihnen nämlich eine dauerhafte finanzielle Absicherung während ihres aktiven Dienstes. Und das galt auch im Ruhestand und für die Familie der Beamten. Nicht ganz unwichtig ist dabei der Umstand, dass von den Beamten eine 40- bis 45-jährige Mindestdienstzeit erwartet wurde, verbunden mit dem Anspruch auf eine Pension ab dem 70. bzw. 72. Lebensjahr.

In der Folgezeit entwickelte sich das Berufsbeamtentum in Preußen, Bayern und Württemberg am schnellsten. In Preußen finden sich etwa ab 1820 die ersten Ansätze für Beamtengehälter, die im heutigen Sinn in den jährlichen Haushaltsplänen aufgeführt wurden. In den übrigen Landesteilen des Deutschen Bundes ging es in unterschiedlicher Schnelligkeit weiter. In nahezu allen Ländern des Deutschen Bundes kam es jedoch bis 1867 zum Erlass von Beamtengesetzen, die alle eine lebenslange Alimentation für die Beamten und ihre Familie vorsahen.[2]

Aber auch nach der Reichsgründung von 1871 war das Berufsbeamtentum von einer Vielzahl unterschiedlicher Länderregelungen geprägt. Ein erster großer einheitlicher Ansatz erfolgte mit dem »Gesetz betreffend der Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten« vom 31. März 1873. Es ging als sogenanntes »Reichsbeamtengesetz« in die Geschichte ein. In der Weimarer Zeit gab es nicht weniger als fünf verschiedene Gesetze, die das deutsche Beamtenrecht im Einzelnen beschrieben: Das Beamtenreichsrecht, das Reichsbeamtenrecht, das Landesbeamtenrecht, das gemeine Beamtenrecht und das Beamtenrecht gewisser Sondergruppen (Reichsbahn, Reichsbankbeamte, Polizeibeamte, Lehrer). In den 17 deutschen Ländern galten genauso viele verschiedene Rechte für die Landesbeamten. Das Recht der Gemeinden für die Besoldung der Beamten war darüber hinaus in einer Vielzahl von Städte-, Kreis- und Provinzialordnungen und -satzungen festgelegt. Ein einheitliches kommunales Beamtengesetz und damit auch eine einheitliche Alimentation gab es lediglich in Preußen und Bayern.

Was für die »aktiven« Beamten galt, traf für die »Ruhestandsbeamten« in ähnlicher Weise zu: Auch hier gingen die deutschen Länder unterschiedliche Wege. In Preußen gab es bis 1872 Pensionskassen, die – so modern war Preußen bereits! – durch Beiträge finanziert wurden. Andere Länder, wie zum Beispiel Bayern, führten dagegen schon früh eine beitragsfreie Versorgung aus Steuermitteln ein. Dies setzte sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts dann mehrheitlich durch.

Das Berufsbeamtentum überdauerte auch den Übergang von der Monarchie zur parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik. Es wurde in der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 in den Artikeln 128 bis 131 festgeschrieben. Und auch hier regelten wiederum eine Vielzahl unterschiedlicher Gesetze und Verordnungen das Beamtenrecht. Darunter waren das Beamtenreichsrecht, das Landesbeamtenrecht und das Beamtenrecht für Sondergruppen, wie etwa Lehrer und Polizisten. Auch die Besoldung für Reichs-, Landes- und Kommunalbeamte war nicht einheitlich geregelt. Deshalb wurde 1920 für die Reichsbeamten und Soldaten eine grundlegende Besoldungsreform durch das Reichsbesoldungsgesetz vom 30. April 1920 durchgeführt. Das Gesetz sah unter anderem vor, dass man Erhöhungen bei der Besoldung der aktiven Beamten auch auf die Versorgungsbezüge der Pensionäre übertrug. Zum ersten Mal wurde dabei eine gesetzliche Altersgrenze eingeführt, die bei Vollendung des 65. Lebensjahres lag.[3]

Doch entgegen aller anfänglichen Hoffnung der Reichsregierung übernahmen die Länder, Gemeinden und sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften diese Regelungen nicht. Es kam zu etwas, was uns heute im Zeichen einer Reföderalisierung des Beamtenrechts bekannt vorkommt – zu einem Besoldungswettlauf zwischen Kommunen, Ländern und dem Reich. Er sollte eigentlich durch das Gesetz zur »Sicherung einer einheitlichen Regelung der Beamtenbesoldung« (Besoldungssperrgesetz) vom 21. Dezember 1920 unterbunden werden, in dem festgelegt wurde, dass die Höhe der Besoldung von Reichsbeamten nicht von den Landesdienstherrn überschritten werden durfte. Die beabsichtigte Wirkung wurde aber nicht erreicht, weil die Länder keine entsprechenden Gesetze erließen. Nach mehrmaligen Verlängerungen trat das Besoldungssperrgesetz mit Änderung vom 24. März 1925 zum 1. April 1926 außer Kraft.

Spannend ist die Zeit der Weimarer Republik aber noch aus einem anderen Grund: Denn in den Jahren der Weltwirtschaftskrise 1929 / 30 griff – zum ersten Mal in der neueren Zeit – der finanziell tief angeschlagene Staat vor dem Hintergrund der Lasten der Kriegsschulden und anstehender Reparationszahlungen an die Siegermächte seinen Beamten tief in die Tasche. Die Notverordnungen des Kanzlers Heinrich Brüning setzten vor allem dort an, wo der Staat bis heute am leichtesten Einsparungen realisieren kann – im Öffentlichen Dienst. Der Historiker Hans Mommsen hat vor mehr als 25 Jahren dazu eine hochinteressante Studie vorgelegt, die heute aktueller denn je erscheint.[4] Folgen wir ihm ein wenig in der Chronologie der damaligen Ereignisse und der daraus resultierenden Folgen.

Um die wachsenden Lasten des Reiches und der Kommunen hinsichtlich der Arbeitslosenversicherung und vor allem der Wohlfahrtsunterstützung auszugleichen, hatte bereits das zweite Kabinett mit Reichskanzler Hermann Müller ein »Notopfer« von Beamten erwogen. Die Arbeitslosenversicherung war 1927 eingeführt worden und geriet unter Druck, weil sie bei einem Beitragssatz von höchstens drei Prozent auf durchschnittlich 800 000 Arbeitslose ausgelegt war. Im Winter 1928 / 29 waren jedoch in Deutschland bereits mehr als drei Millionen Menschen arbeitslos und der Staat musste einspringen. Die SPD drängte Anfang 1930 auf eine Erhöhung des Beitrags auf vier Prozent und ein Notopfer der Festbesoldeten, scheiterte jedoch am Einspruch des Koalitionspartners DVP. Der Bruch der Großen Koalition sollte dabei zu einem entscheidenden inneren Wendepunkt in der Entwicklung der Republik werden.

Trotz des Widerstands der DVP hielt jedoch Müllers Nachfolger, Heinrich Brüning, am Vorhaben eines »Notopfers« fest und ordnete die »Reichshilfe der Personen des Öffentlichen Dienstes« in der Notverordnung vom 26. Juli 1930 an. Die zunächst relativ maßvolle Herabsetzung der Gehälter um sechs Prozent wurde mit dem besonderen Treueverhältnis der Beamten gegenüber dem Staat begründet und als vorübergehend und einmalig bezeichnet. Doch das Karussell weiter fortschreitender Besoldungskürzungen drehte sich immer schneller, je mehr es mit der deutschen und der Weltwirtschaft bergab ging. Am 1. Dezember 1930 wurden die Gehälter bereits wieder um weitere sechs Prozent gekürzt, am 1. Juni 1931 folgte eine weitere Kürzungsrunde von bis zu acht Prozent, ein halbes Jahr später waren es bei der vierten Notverordnung (8. 12. 1931) dann noch einmal neun Prozent. Die Löhne und Gehälter in der Privatwirtschaft wurden auf dem Stand von 1927 eingefroren. Brünings Sturz verhinderte weitere Kürzungsmaßnahmen. Aber immerhin sollte die im Dezember verfügte Senkung von Gehältern, Ruhe- und Wartegeldern, Pensionen und Übergangsbezügen noch bis Anfang 1934 in Kraft bleiben.

Aus dem vorübergehenden »Notopfer« war so ein systematischer Gehaltsabbau geworden, dessen »schematischen« und »willkürlichen« Charakter die Beamtenverbände in immer neuen Eingaben heftig beklagten. Alles in allem verringerten sich die Einkommen im Öffentlichen Dienst damals um 25 Prozent. Zugegeben: Das war immer noch eine recht komfortable Situation angesichts des Heers der Arbeitslosen auf den Straßen Deutschlands. Aber die Lage für die rund 1,25 Millionen Beamten und Angestellten im Reich war alles andere als rosig. Hinzu kamen noch rund 400 000 Versorgungsempfänger, das Personal der Reichswehr und nicht zuletzt eine hohe Zahl kriegsversehrter Pensions- und Versorgungsempfänger sowie schließlich das statistisch kaum erfassbare Heer der von öffentlichen Körperschaften beschäftigten Arbeiter.

Vor allem hier, bei den unteren Einkommensgruppen und den Versorgungs- und Pensionsempfängern, machten sich die Einschnitte stark bemerkbar. Das Schlagwort von dem »umgekehrten Steuerprivileg« der Beamten und der Vorwurf ungleichmäßiger Lastenverteilung machten die Runde. Insbesondere die Herabsetzung der Pensionen und Ruhe- und Wartestandsbezüge führte zu erbitterten Reaktionen bei den Beamten, da diese Maßnahmen als Eingriff in die in Art. 129 der Weimarer Verfassung geschützten »wohlerworbenen Rechte« der Beamten und als widerrechtliche Enteignung gedeutet wurden. Schließlich galt das, was auch heute noch Gültigkeit hat: Die Pension wurde als ein »zurückgelegter Teil« des Gehalts angesehen. Die Verbitterung der deutschen Beamten richtete sich besonders gegen die Notverordnung vom 24. August 1931, die die Länder und Gemeinden betraf und die Brüning in der Rückschau als »die einschneidendste staatsrechtliche Änderung seit der Weimarer Verfassung und eine Rückkehr zu den besten Traditionen der preußischen Verwaltung vor hundert Jahren« bezeichnete. In Abweichung vom geltenden Landesrecht und unter Ausschaltung der parlamentarischen Vertretungen wurden damals die Landesregierungen ermächtigt, die Beamten- und Angestelltengehälter in Ländern und Gemeinden mindestens auf die Stufe vergleichbarer Reichsbeamten herabzusetzen.

Dies führte am Ende zu einer tiefgreifenden Zersplitterung des Besoldungswesens und der Laufbahnbestimmungen, da die Länder in einander überstürzenden Sparverordnungen jeweils eigene Wege gingen und vielfach sogar das Prinzip gleicher Besoldung gleichrangiger Beamtengruppen durchbrachen. Unter dem extremen Finanzdruck und unter Berufung auf die Ermächtigung kam es zur Herabstufung von Beamten in niedrigere Besoldungsgruppen, zur Reduzierung der Bezüge einzelner Beamtengruppen, zur Beseitigung der Emeritierung, zur Entlassung verheirateter Beamtinnen, schließlich zur Entlassung von weiblichen Bediensteten überhaupt. Darüber hinaus bewirkten die generelle Einstellungssperre, die häufige Herabsetzung der Dienstaltersgrenze, der Beförderungsstopp sowie Maßnahmen zur Verwaltungsvereinfachung und die Ersetzung von Beamten durch Angestellte, dass der komplizierte, aber im Sinne des Berufsbeamtentums sakrosankte Mechanismus von Laufbahnbestimmungen, Beförderungsreihenfolge, Dienstaltersberechnungen und vorher bestimmbarer Pensionsansprüche vollkommen durcheinandergeriet.

Sieht so die Blaupause für staatliche Kürzungsmaßnahmen im Öffentlichen Dienst aus, wenn dem Staat das Geld ausgeht? Griechische, irische und spanische Beamte werden dies sicherlich so sehen. In Deutschland trug die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Beamten und Staat, von der seit 1931 allenthalben die Rede war und die den Reichspräsidenten von Hindenburg nicht unbeeinflusst ließ, maßgeblich zum Sturz von Reichskanzler Brüning bei. Dies war ein Schritt in die nachfolgende Katastrophe.[5]

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde mit dem Führerprinzip und der Gleichschaltung das zersplitterte deutsche Beamtenrecht durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, das Beamtenrechtsänderungsgesetz, das Deutsche Beamtengesetz und die Reichsdienststrafordnung vereinheitlicht. Diese Gesetze galten für alle Beamten im Reich, in den Ländern, in den Gemeinden sowie die Beamten der sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Zugleich wurden die für Preußen bestehenden Strukturen in der Verwaltung beseitigt. Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 konnten alle politisch wie rassisch unerwünschten Beamten entfernt werden. Nach dem Beamtenrechtsänderungsgesetz vom 30. Juni 1933 durfte als Beamter nur behalten bzw. berufen werden, wer die Gewähr dafür bot, jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzutreten. Das deutsche Beamtengesetz von 1937 ging von einem Dienst- und Treueverhältnis des Beamten zu Führer und Reich aus; der Treueid wurde auf den Führer geleistet. Jeder Beamte konnte in den Ruhestand versetzt werden, wenn er nicht die Gewähr dafür bot, für den nationalsozialistischen Staat einzutreten. Die nationalsozialistische Diktatur brachte damit die Beamten in eine immer stärkere Abhängigkeit vom Staat.

Interessant für unser Thema wird jedoch wieder das Ende der Naziherrschaft im Mai 1945. Das Jahr der Kapitulation Deutschlands leitete eine große Debatte um die Existenzberechtigung des Berufsbeamtentums ein. Sie soll hier nicht im Detail nachgezeichnet werden. Nur so viel: Die Amerikaner wollten damals aufgrund der Erfahrungen mit den Deutschen im Dritten Reich das deutsche Berufsbeamtentum komplett abschaffen. Sie forderten, den öffentlich-rechtlichen Status der Staatsdiener durch einen privatrechtlichen Dienstvertrag zu ersetzen und die Altersversorgung der Beamten, die sie als überhöht ansahen (!), an die Leistungen der Sozialversicherung anzugleichen. Dazu hätte dann auch gehört, dass Beamte Beiträge zahlen müssten, so wie jeder andere Arbeitnehmer auch. Zunächst in den Bundesländern der amerikanischen Zone, dann auch in der Verwaltung der Bizone, wurde versucht, ein neues Personalsystem einzuführen und durchzusetzen.[6] Es unterschied sich unter anderem vom deutschen System dadurch, dass es keinerlei Unterschied mehr zwischen Angestellten und Beamten gab. So wurden schon bald in der amerikanischen und auch in der britischen Besatzungszone Personalämter unter deutscher Leitung eingerichtet, um dieses neue System durchzusetzen, obwohl es dabei zu erheblichem Widerstand besonders bei den deutschen Beamtenverbänden kam. So gab es zum Beispiel in den Verfassungen von Bremen und Hessen ausdrücklich ein einheitliches Dienstrecht für Arbeiter, Angestellte und Beamte. Nach und nach machten sich auch die SPD und vor allem die Gewerkschaften die Position der Amerikaner zu eigen.

Doch während in der russischen Besatzungszone und späteren DDR der Beamtenstatus komplett abgeschafft und in den westlichen Zonen noch darum gerungen wurde, stellte der »Parlamentarische Rat« 1949 bereits die Weichen und bestimmte, das deutsche Berufsbeamtentum wieder einzuführen.[7] Alle anderen Regelungen verloren damit ihre Gültigkeit. 1950 regelte das Bundespersonalgesetz die Weitergeltung des Reichsrechts, das von den Nationalsozialisten bereinigt wurde. Die Rechtsverhältnisse der Beamten wurden mit der Verabschiedung des Bundesbeamtengesetzes (BBG) vom 14. Juli 1953 grundlegend geregelt. Heute bestimmt somit im Wesentlichen Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes den Status von Beamten. Hier werden unter anderem die Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses als öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis, die Treuepflicht des Beamten, das Streikverbot, die grundsätzliche Anstellung auf Lebenszeit, das Leistungsprinzip, das Laufbahnprinzip, die Neutralitätspflicht der Beamten und die Fürsorgepflicht des Dienstherrn geregelt.

 

Zu den wesentlichen Bestandteilen der »hergebrachten Grundsätze« des Berufsbeamtentums zählt das uns hier besonders interessierende Alimentationsprinzip. Dies verpflichtet den Dienstherrn, den »amtsangemessenen Unterhalt« (Besoldung und Versorgung) des Beamten und seiner Familie sicherzustellen. Nach Aussage des Bundesverfassungsgerichts ist die Besoldung der Beamten dabei so zu bemessen, dass eine unparteiische und frei von sachwidrigen wirtschaftlichen Überlegungen mögliche Amtsführung – und damit eine rechtsstaatliche und funktionsfähige Verwaltung – gewährleistet ist.

Wichtig ist in Bezug auf die Altersversorgung von Beamten dabei vor allem: Nach geltendem Verfassungsrecht ist es nicht möglich, die Beamtenversorgung als Sondersystem sozialer Sicherung einfach abzuschaffen und die Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung miteinzubeziehen. Ein gravierender Punkt, wenn wir an das Stichwort von der »Bürgerversicherung« und die Diskussion darüber denken, dass auch Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen sollen. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in mehreren Urteilssprüchen wiederholt betont. Aber: Die grundgesetzlich geschützten »hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums« schließen weder eine Harmonisierung von Beamtenversorgung und gesetzlicher Rentenversicherung noch eine Reform der Beamtenversorgung angesichts sich verändernder demografischer, wirtschaftlicher und finanzieller Rahmenbedingungen aus. Dies ist eine wichtige Einschränkung und soll uns noch beschäftigen.

Und genau dieser Versuch im Hinblick auf eine gesicherte Versorgung der Beamten ist auch durchaus schon sehr frühzeitig und weitsichtig in einem interessanten, vielversprechenden Anlauf unternommen worden. Denn in seiner Regierungserklärung zur Eröffnung der 2. Legislaturperiode kündigte Bundeskanzler Konrad Adenauer grundlegende Sozialreformen an. Zu diesem Zweck wurde im Bundesarbeitsministerium sogar ein eigenes »Generalsekretariat« für die Sozialreform, das eine Neuordnung der sozialen Leistungen vor allem nach stärker finanziellen statt nach kausalen Kriterien vornehmen sollte.[8] Von diesen ambitionierten Plänen blieb am Ende jedoch nur die Rentenreform von 1957 und das sogenannte Bundesversorgungsreformgesetz vom 20. Juli 1957 übrig. Als überzeugter Verfechter der Marktwirtschaft konnte sich Ludwig Erhard dabei im Streit um die Rentenreform nicht durchsetzen. Das seitdem bestehende Umlageverfahren (der sogenannte Generationenvertrag) lehnte der Vater des Wirtschaftswunders als nicht zukunftsfähig ab. Adenauer setzte sich mit dem bekannten Ausspruch »Kinder kriegen die Leute sowieso« dabei über diese Bedenken hinweg.

Anders sah es beim sogenannten Bundesversorgungsreformgesetz vom 20. Juli 1957 aus, das uns in diesem Zusammenhang ganz besonders interessiert. Es sah nämlich vor, dass die Beamtengehälter ab 1957 um sieben Prozent gekürzt wurden, um den dadurch entstandenen Betrag für die spätere Versorgung der Beamten zu verwenden.[9] Was wir hier in Ansätzen sehen, ist der Versuch, einen ersten kapitalgedeckten Pensionsfonds für die spätere Beamtenversorgung der noch aktiven Jahrgänge einzurichten. Das Gesetz sah ausdrücklich vor, dass die einbehaltenen sieben Prozent der aktiven Beamten zur Sicherung der späteren Altersversorgung verwendet werden sollten. Der Anteil entsprach dem damaligen Eigenanteil der gesetzlichen Rentenversicherung der übrigen Arbeitnehmer. Das alles war ein Manöver des ersten deutschen Bundeskanzlers, mit dem er vor allem die Entlastung der öffentlichen Haushalte erreichen wollte. Adenauer und seine Regierung hatten nämlich das Problem, Millionen von Kriegsteilnehmern, Heimatvertriebenen und Kriegerwitwen versorgen zu müssen, und der Kanzler wollte natürlich auch die Wahl im Jahr 1957 wieder gewinnen. Deshalb sollten sich auch die Beamten frühzeitig an ihrer eigenen Altersvorsorge beteiligen. In der gesetzlichen Rentenversicherung führte Adenauer übrigens zeitgleich das Umlageverfahren ein, bei dem die Einzahlungen in die Rentenkasse gleich wieder ausbezahlt werden.[10]

Doch der Pensionsfonds von 1957 verschwand in den Folgejahren sang- und klanglos in den Haushalten der nachfolgenden Regierungen. Und auch von ihren Beiträgen sahen die Beamten in der Folgezeit nichts mehr wieder. »Hätte man mit dem Neubeginn des Öffentlichen Dienstes nach dem Krieg Vorsorge für die späteren Pensionen durch die Einrichtung eines Fonds getroffen, wären die Kosten für die Alterssicherung der Beamtinnen und Beamten sofort transparent geworden«, meint denn auch Gisela Färber, Expertin für die Altersvorsorge im Öffentlichen Dienst der Verwaltungshochschule Speyer. »Man hätte klar erkennen müssen, dass sich der Staat die Stellenexpansion der sechziger und siebziger Jahre nicht hätte leisten können.«[11]

Was auf den ersten Blick wie ein klarer Verstoß gegen die Treuepflicht des Staates gegenüber seinen Beamten anmutet, darf man heute aus der Rückschau aber sicherlich auch als ein Geschäft auf Gegenseitigkeit bezeichnen: Die Politik konnte das Geld aus dem angelegten Pensionsfonds gut gebrauchen und die Beamten waren sich sicher, auch weiterhin ihre Pensionen und Ruhestandsgehälter aus den laufenden Steuereinnahmen zu bekommen. Es gab folgerichtig auch keinen großen Aufschrei von den Beamten. Sie hielten sich mit größeren Protesten zurück. Wichtig ist aber: Bereits 1957 – also vor mehr als einem halben Jahrhundert – haben die Finanzpolitiker das entstandene und bis heute existierende Problem richtig erkannt und damals einen als notwendig erachteten, weitsichtigen Beschluss getroffen. Nicht zuletzt, um einen aus dem Ruder laufenden Haushalt zu retten. Ein vergleichbarer Pensionsfonds sollte jedoch erst wieder – viel zu spät – vierzig Jahre später aufgelegt werden: in Rheinland-Pfalz.

Die größte Änderung in jüngster Zeit in der Beamtenbesoldung und -versorgung hat die Föderalismuskommission I im Zuge der deutschen Einheit 1992 gebracht. Sie regelte die Aufteilung von Zuständigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern in einigen Bereichen neu. Dazu zählte auch das Beamtenrecht. Die bisher konkurrierende Zuständigkeit des Bundes für Laufbahn, Besoldung und Versorgung ist seitdem in der konkreten Ausgestaltung für die Beamten der Länder auf die Landesregierungen übertragen worden (Art. 70 GG) – im Gegensatz übrigens zum bundesweit einheitlichen Tarifvertrag für Angestellte im Öffentlichen Dienst. Für die Beamtenbesoldung gilt seitdem eine neue Reföderalisierung der Zuständigkeiten. Eine Entwicklung, die übrigens auf europäischer Ebene in anderen EU-Ländern ihre Entsprechung findet. Die traditionelle Auffassung vom Öffentlichen Dienst als einem einheitlichen Arbeitgeber tritt so allmählich in den Hintergrund, das betrifft insbesondere die Wahl der Regelaltersgrenze sowie die Ausgestaltung der Beamtenversorgung. Bund und Länder haben sich darauf verständigt, nur mehr Rudimente des Beamtenrechts in Deutschland zukünftig zu vereinheitlichen. Damit fördert das Beamtenstatusgesetz die »kleinteilige Parzellierung des Beamtenrechts«,[12] statt einen gesamtstaatlichen Konsens in den zentralen Fragen des Beamtenrechts zu gewährleisten.

Erklärtes Ziel der Föderalismusreform I war es, die unterschiedlichen Gemengelagen dienstrechtlicher Zuständigkeiten zu beseitigen und damit zugleich Sparpotenziale in öffentlichen Haushalten zu verwirklichen. Auch wollte die Mehrheit der Länder – und will dies bis heute – für ihre Beamtenschaft landesangepasste Lösungen verwirklichen und nicht länger über den Bundesrat gezwungen sein, Kompromisse und Öffnungsklauseln in der Rahmengesetzgebung des Bundes auszuhandeln. Somit regelt das am 1. April 2009 vollständig in Kraft getretene Beamtenstatusgesetz die Sicherung eines Mindestmaßes an Homogenität des deutschen Berufsbeamtentums. Das Gesetz beansprucht, die beamtenrechtlichen Basisnormen festzulegen, »die gemeinsam mit Art. 33 Abs. 5 eine Klammer für einheitliche Grundstrukturen im Beamtenrecht darstellen« sollen. Damit kommt dem Gesetz eine »Schlüsselfunktion für die gesamte Föderalisierung des Beamtenrechts« zu.[13] Interessant ist dabei, dass es aber auch bereits in den Beratungen zur Föderalismusreform erste warnende Stimmen finanzschwacher Bundesländer gab, die darauf hinwiesen, es dürfe kein »bundesweites Gefälle im Bereich der Besoldung und Versorgung der Beamten« entstehen und die »Mobilität der Beamten« sei weiterhin zu gewährleisten. Wie wir noch sehen werden, war diese Warnung berechtigt.

Mit dem Beschluss der Föderalismuskommission wurde dabei eine gegenläufige Initiative der Bundesländer aus dem Jahr 1971 revidiert, in der Teile dieser Kompetenzen von den Ländern im Wege einer Rahmengesetzgebungskompetenz auf den Bund übertragen worden war. Nicht unwichtig war übrigens 1971 die Begründung für eine solche bundeseinheitliche Regelung: Es sollte ein ruinöser Wettlauf zwischen den Ländern vermieden werden. Mit Sparzielen in öffentlichen Haushalten, so der interessante Befund, lassen sich also sowohl Zentralisierungen als auch Föderalisierungen des Dienstrechts in Deutschland begründen, beurteilt ein so profunder Kenner der Materie wie Jürgen Lorse diese Veränderungen ahnungsvoll.[14] Er dürfte recht behalten.

Die Pensionslüge: Warum der Staat seine Zusagen für Beamte nicht einhalten kann und warum uns das alle angeht
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