Das Verzocken von Vorsorgegeldern

 

Die Stadtstaaten in Deutschland sind aufgrund der Struktur der öffentlichen Verwaltung und der Aufgaben, die eine Stadt als Bundesland für ihre Bürger vorhalten muss, ganz besonders vom Problem steigender Versorgungsausgaben betroffen. Das gilt auch für Hamburg. Auf die stolze Hansestadt rollt eine Pensionswelle zu, die die Stadt weitaus mehr belasten könnte, als dies zurzeit absehbar ist. Hamburg leistet sich nämlich nicht nur eine Elb-Philharmonie, die alle bisherigen und neuen Kostenansätze mit schöner Regelmäßigkeit sprengt. Hamburg leistet sich auch eine üppige öffentliche Verwaltung. Allein in den vergangenen Jahren wurden 2000 neue Mitarbeiter eingestellt, die im Alter versorgt werden wollen.

2009 beliefen sich die Personalausgaben der Stadt auf rund 3,5 Milliarden Euro. Sie machen damit etwa ein Drittel der bereinigten Gesamtausgaben im Haushalt der Stadt aus. Berücksichtigt man noch die Zuweisungen für das Personal der Wirtschaftsbetriebe, erhöht sich das Gesamtvolumen der Personalausgaben auf über fünf Milliarden Euro. Dabei sanken in den letzten zehn Jahren die Personalausgaben für die aktiv Beschäftigten der Stadt um rund hundert Millionen Euro (von 2,4 Milliarden Euro auf 2,3 Milliarden Euro). Demgegenüber sind aber die Versorgungsausgaben im gleichen Zeitraum um 325 Millionen Euro gestiegen – von 800 Millionen Euro auf 1,15 Milliarden Euro. In der laufenden Finanzplanung geht der Senat bis 2013 von einem Anstieg um weitere hundert Millionen Euro auf dann knapp 1,3 Milliarden Euro aus.

Insgesamt belaufen sich die Pensionslasten des Stadtstaats auf den astronomischen Betrag von 16,8 Milliarden Euro. Das ist der Stand von 2008.[1] Schon jetzt gibt die Stadt Jahr für Jahr mehr Geld für Pensionäre aus als beispielsweise für Kindertagesstätten und Kultur. »Diese Entwicklung wird nicht kurzfristig aufgehalten werden können«, befürchtet Marcel Schweitzer, Geschäftsführer des Hamburger »Bundes der Steuerzahler« in einem Zeitungsinterview im Jahr 2010.[2] Immerhin gingen die Beschäftigten nun mit durchschnittlich 64 Jahren in den Ruhestand, vor zehn Jahren habe das Durchschnittsalter noch bei 62 Jahren gelegen.

Auch für Hamburg gilt, was für andere Bundesländer zu einem immer größer werdenden Problem wird. »Neben dem Schuldensockel sind die Pensionslasten ein zweites erhebliches Risiko für künftige Haushaltsjahre«, so der damalige haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Peter Tschentscher, der heute Finanzsenator ist, im selben Zeitungsinterview. Auch er hält die vom schwarz-grünen Senat betriebene Ausweitung der Beschäftigten in der Hamburger Verwaltung für »problematisch«. Es kommt deshalb einiges an Problemen auf den neuen Ersten Bürgermeister Hamburgs, den ehemaligen Bundesarbeits- und -sozialminister Olaf Scholz (SPD) zu. Ganz besonders deswegen, weil die Hafenstadt mehr als viele andere Industrieregionen von der Finanz- und Weltwirtschaftskrise überdurchschnittlich getroffen wurde. Die Hansestadt leistet sich nicht nur deutlich mehr Mitarbeiter, sondern musste auch in den zurückliegenden Jahren enorme Einnahmeausfälle hinnehmen – gerade von Unternehmen, deren Gewinne die Altersbezüge der Pensionäre eigentlich mitfinanzieren sollten.

Das gilt besonders für den Hamburger Versorgungsfonds (HVF). Der 2006 mit einem Startkapital von 1,3 Milliarden Euro gegründete Fonds soll die auflaufenden Pensionslasten verschiedener Anstalten öffentlichen Rechts wie des Uniklinikums Eppendorf oder »Fördern und wohnen« sowie die Pensionsaltlasten des ehemaligen Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) übernehmen, für die die Stadt lange Zeit gar keine Vorsorge getroffen hatte.[3] Während Nordrhein-Westfalen einen nicht geringen Teil seiner Pensionsgelder auf dem Peloponnes anlegte, griffen die Hamburger, die sich ansonsten gerne auf spezifische »hanseatische Kaufmannstugenden« berufen, bei ihrer Anlage größtenteils auf Aktien der HSH-Nordbank zurück. Infolge der Bankenkrise und des offensichtlichen Missmanagements bei der HSH-Nordbank rauschte der Wert der HSH-Aktien in den Jahren 2006 bis 2008 von 76 auf 19 Euro pro Aktie in den Keller. Allein für 2008 ergab sich nach Berechnungen der SPD ein Jahresfehlbetrag des Fonds in Höhe von 770 Millionen Euro und zum 31. Dezember 2008 ein negatives Eigenkapital von 256,9 Millionen Euro.

Insgesamt muss die Stadt Abschreibungen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro vornehmen. Auch wenn sich die Aktie der Nordbank mittlerweile wieder etwas erholt hat, ist der Fonds immer noch finanziell ausgeblutet. »Der HVF ist praktisch pleite«, urteilt Tschentscher.[4] Sein Fazit im Jahr 2010: »Die laut Finanzsenator angeblich nicht betroffenen Steuerzahler müssen sich auf erhebliche Ausgleichszahlungen an städtische Unternehmen gefasst machen. Denn Hamburg muss frisches Geld in den Fonds und die HGV pumpen. Die Wertkorrektur der Aktien bedeutet einen massiven Vermögensverlust für Hamburg.«[5]

Nach dem Wegfall der ursprünglich erwarteten Dividenden aus der Beteiligung an der HSH Nordbank AG bestehen die wesentlichen Erträge des HVF in Erlösen aus dem Verkauf von Grundstücken, die nicht mehr betriebsnotwendig sind. Soweit die zugeführten oder erwirtschafteten Mittel zur Erfüllung der Aufgaben der Anstalt nicht ausreichen, nimmt der HVF zur Deckung seiner Verpflichtungen Kredite auf, für die Hamburg unbeschränkt haftet.[6] Und auch der Haushaltsexperte der Linkspartei, Joachim Bischoff, spricht von »dramatischen Finanznöten« des Versorgungsfonds, die die SPD nun verringern will. Zu Hilfe kommt den mit absoluter Mehrheit regierenden Sozialdemokraten dabei, dass die Stadt bis 2014 2,8 Milliarden Euro mehr an Steuereinnahmen einstreichen wird. Nachdem die Konjunktur wieder angesprungen ist, sieht Hamburg den höchsten Steuereinnahmen in der Nachkriegsgeschichte entgegen. Gleichwohl ist für Finanzsenator Tschentscher klar: »Die Lage ist durch die Steuerschätzung nicht rosig geworden. Wir schwimmen nicht im Geld, wir schwimmen nach wie vor in Schulden.«[7] Und die betragen insgesamt rund 25 Milliarden Euro. Die Mehreinnahmen bei den Steuern sollen nun unter anderem für die Rekapitalisierung des Hamburger Versorgungsfonds aufgewendet werden. Andreas Dressel, Chef der SPD-Bürgerschaftsfraktion, machte in einem Bericht der ›taz‹ jedoch deutlich, dass die für 2011 erwarteten Steuermehreinnahmen »nur ein Tropfen auf den heißen Stein der Verschuldung dieser Stadt« seien.[8]

So wirken sich die Landesbankenpolitik des Senats, die Weltfinanzkrise und die Staatsschuldenkrise in Europa sehr direkt auch auf die Versorgungslasten der Stadt und ihrer Beamten aus. Griechenland ist heute überall. Rücklagen gibt es auch in einer so reichen Stadt wie Hamburg nur wenige. Im Jahr 1999 wurde das Sondervermögen »Versorgungsrücklage der FHH« gegründet, das der Entlastung der Versorgungsaufwendungen dienen soll.[9] Nach Auskunft des Senats wurden bis Ende 2008 rund 164 Millionen Euro angespart. Bis Ende 2010 sollen voraussichtlich weitere fünfzig Millionen hinzukommen. Ab 2018 soll die bis dahin gesammelte Summe zur Entlastung der Versorgungszahlungen aus dem Betriebshaushalt beitragen. Aber in welcher Höhe dieser Spartopf zur Entlastung des Betriebshaushalts beitragen kann, ist noch völlig offen. Bislang sieht es eher nach einem kleinen Zuschuss aus.

Die Pensionslüge: Warum der Staat seine Zusagen für Beamte nicht einhalten kann und warum uns das alle angeht
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