Weinprobe

Eigentlich trinke ich lieber Pils. Pils ist ein westfälisches Grundnahrungsmittel. Schon als Kind, wenn unser Vatti mich sonntags zum Frühschoppen mitnahm, durfte ich „Schäumchen abtrinken“. Das kribbelte in der Nase und schmeckte bitter, aber mit den Jahren hab ich mich dran gewöhnt. Heute find ich Pils vom Fass lecker. Wenn ich mit Tamara unterwegs bin, nehme ich auch schon mal Kölsch. Die kennen ja im Rheinland kein richtiges Bier.

Heute ist Weinprobe mit Menü in der Weinhandlung Rock & Co in der Altstadt. Tamara muss da hin, weil ihre Galerie die Gemälde geliefert hat. Jetzt hat sie eine Einladung für zwei Personen und ich geh mit.

Ich hab von Wein keine Ahnung. Ich weiß nur, dass man Weißwein zu hellem Fleisch trinkt und Rotwein zu dunklem. Und dass Rosé immer richtig ist, wenn man nicht weiß, was richtig ist.

Das haben sie hier nett eingedeckt. Obwohl so ein langer Tisch, an dem man mit Fremden zusammen sitzt, für uns Westfalen nichts ist. Als ich mit Tamara in diesem Restaurant in der Südstadt war, kamen wir rein und an jedem Tisch saß einer. „Schade, alles voll“, hab ich gesagt und wollte natürlich gleich wieder gehen. Tamara hat laut gelacht. Typisch westfälisch wäre das. Wir haben uns dann zu einem wildfremden Mann an den Tisch gesetzt. Ich hätte das nie gefragt: „Ist hier noch frei?“ Wenn man das nur ein bisschen falsch betont, kann einer das ja auch ganz falsch auslegen, oder?

Die Tafel sieht schon edel aus. Dazu die schönen glänzenden Weingläser, die haben sie sicher mit der Hand gespült, in der Maschine werden die niemals so blank. Fünf, zehn fünfzehn, dreißig Personen und für jeden sind fünf Gläser eingedeckt, halleluja. Und alles mit der Hand poliert.

Oh. Fünf Gläser pro Person? „Tamara, muss ich heute Abend fünf Glas Wein trinken? Aha. Aber die machen die nicht jedes Mal voll, oder?“

Halb. Das kann ja heiter werden. Wahrscheinlich bin ich sowieso die Einzige, die keinen Wein verträgt und nichts davon versteht.

Die Frau gegenüber ist doch die typische Rotweintante. Weinrote Cordhosen, lila Rolli mit Pilling und rotkohlfarbene Haare.

Als ersten Gang gibt es Schnittchen mit Schmierkäse. Wie bitte? Das ist Bruschetta mit Mozzarellacreme? Achso.

Der Winzer fängt an: „…beginnen wir den Abend mit einem Riesling Sekt: ein pikant trockener Fruchtcocktail mit feinen Noten von Ananas und einem Quäntchen Maracuja…“ Ananas? Rieslingsekt mit Ananas? Gibt es für Wein kein Reinheitsgebot wie für Bier?

„… feinste Weißweinsorte der Welt… das enorme Spektrum reicht vom knackigen, leichten Stil, wie er an Mosel, Saar und Ruwer einzigartig ist, über die üppigen, trockenen Rieslinge etwa aus der Pfalz bis zu feinsten edelsüßen Gewächsen…“

Das hab ich nicht gewusst.

Jetzt weiß ich aber, warum die Gläser mit der Hand poliert sind und nicht in der Maschine waren: Weil der das Glas die ganze Zeit hochhält und hin und her dreht, damit jeder gucken kann, ob da Fingerabdrücke drauf sind. Muss ich meins auch hochhalten? Ja, machen die anderen auch. Kompliment, mein das Glas ist picobello. „..dieser ist eher blass, mit einem Stich ins goldgelb…“

Klar, wegen der Ananas. Goldgelb ist übertrieben. Sieht eher aus wie ne Urinprobe.

Der kann doch nicht die ganze Nase in das Glas stecken?!

„…rassige Säure, leichter Körper…“

Was soll das Gerede? Wir trinken hier Wein, der schmeckt so ähnlich wie Kellergeister und gut. Rassig. Leichter Körper. Ich fasse es nicht.

„Ja, vielen Dank, ich nehme gern noch Schlückchen.“ Die Rotkohlgefärbte tut so, als müsste sie den Wein durchbeißen, die kaut regelrecht drauf rum. Und jetzt trocken Brot und wieder Wein. Das bleibt auch sonst im Hals stecken, so ein Weißbrot ohne was drauf. Zweiter Gang. „Nein, ich will keine Kiesch, aber von dem Zwiebelkuchen nehme ich gerne.“

„... einen Grauburgunder vorstellen, einen spritzigen Wein mit feinrassiger Säure, leicht, frisch, durchweg trocken ausgebaut. Ein vollmundiger Tropfen mit seinen zarten nussigen Düften und reifen Apfelaromen…“

Nussduft. Apfelaroma. Im Wein. Und wieso heißt ein gelber Weißwein Grauburgunder?

Jetzt macht er wieder die Fingerabdruckprobe, hält das Glas hoch, dreht, steckt seinen Zinken rein. Der darf aber auch nicht ein bisschen Schnupfen haben, wenn er so eine Vorstellung gibt. Jetzt kauen alle drauf rum. Wie der da drüben die Augen verdreht. Dieser Wein ist leckerer als der Kellergeister von vorhin.

„… durch seine große Frucht kommen auch alle „halbtrockenen“ Weintrinker mit diesem Tropfen zurecht…“

Hätte ich auch nicht gedacht, dass der Geschmack was mit der Größe der Weintrauben zu tun hat. So ein bisschen merke ich das zweite Glas aber schon. Jetzt gibt’s Tomaten mit Käse am Stück, nicht als Schmierkäse. Und wieder Weißbrot. „Ja, gerne, schenken Sie gerne noch ein Schlückchen ein.“

„… Magie der frischen Rebe mit traubigem Bukett, ein blitzsauberer, fruchtiger Wein, der riecht und schmeckt, als ob man in eine frische, saftige Traube beißt…“

Das wäre jetzt mal logisch, wenn ein Wein nach Weintrauben schmeckt. Dieser schmeckt eher wie saure Rosinen. Nicht sauer? Trocken?

„Nee, Tamara, der ist richtig sauer, erzähl mir doch nichts.“

„… aber selten haben wir einen Wein erlebt, wo sich dieses in so glückvoller Vollendung mit einem harmonischen, runden Körper paart…“

Ach Mist, es ist doch überall dasselbe, ohne Sex verkauft keiner was. Wer hat sich jetzt mit wem gepaart? Und wer ist rund und dick? Cracker und Trauben. Und Sorte drei. So was von lecker!

„… feines Aroma von frischen Haselnüssen und Tropenfrüchten …“

Der erzählt einen Quatsch! Schokolade kann nach Nüssen schmecken, aber Wein doch nicht.

„… vortrefflicher Schmelz im Gaumen, ganz sauber und lebendig …“

Wenn ich Schmelz im Mund habe, ist das Zahnschmelz, der ist auch sauber und lebendig.

„...und klingt dann mit einem munteren, ganz feinen Finale aus…“

Das ist dann der finale Schluck. Sozusagen.

„… feiner, harmonischer Ausklang mit schönem Nachhall...“

Ich lach mich weg, ein Wein mit schönem Nachhall! Beim Bier heißt das, was danach kommt, Kater. Jetzt wird es international.

Italiener. Rot. Mandeln und Pistazien. Keine Chips?

„… dunkles Rubinrot…“ Ja. Ich sehe das wohl.

„… feine, grazile Frucht …“ Also kleine Trauben?

„… lebendige, mineralische Note, schöner, wohlkomponierter Fruchtkörper …“ Ich kann diese Geschlechtswerbung nicht mehr ertragen!

„… satte runde Kirschfrucht, weiche, feine Tannine, mit toller Lebendigkeit…“ Wer nicht lebendig ist, ist tot. Toter Wein. Tote Hose. Die haben hier gar keine Musik. Meine Zunge ist ganz dick.

„… Nase mit dunklen Beerenfrüchten…“

Der macht echt klasse Witze. Wein mit Nase. Ich nehme noch so’n Kleinen, ja. Einen Zwergwein. Zwerg Nase…

„... mit dieser rau samtigen Textur und dem nahezu bäuerlichen Charme…“

Text. Weintext. Nee, oder? Die Rotkohltussi grinstmich vielleicht blöde an. Die kennt den Text auch nicht, glaub ich. Noch’n Rotwein. Meine Augen gehen immer über kreuz.

„… Tiefdunkle Farbe, feine, dichte und komplexe Beerennoten, die dennoch federleicht über die Zunge tanzen…“

„Tanzen? Machen die doch noch Musik?

„… weiche, aber sehr präsente Tannine …“

Ist das also ein Waldwein, Tamara? Weil der was von Tannen gesagt hat. Hörste mir nich zu?

„… für einen aromatischen langen Abgang…“

EIN WAS?

„Hihi. Mach ich getz auch, ein Abgang, aber ein ganz kurzen. Kommssu mit, Tammara?“