Kabale und Liebe

Theater ist eigentlich nicht mein Fall. Man muss sich lange konzentrieren und die ganze Zeit aufpassen, sonst kann man nachher nicht mitreden.

Aber dass Tamara ein Abo für uns gekauft hat, ist toll. Sie ist ein Schatz. Bis Juni besuchen wir nun jeden Monat eine Vorstellung. Heute gucken wir „Kabale und Liebe“.

„Man wird alt wie ne Kuh und lernt immer dazu“, hat meine Mutter immer gesagt. Recht hatte sie. Tamara hat mir nämlich eben erklärt, dass eine Kabale eine Intrige ist. Ich hatte das verwechselt. Die ganze Zeit hatte ich mich gefragt, wie die das mit den Menschenfressern auf der Bühne darstellen wollen. Auf gut deutsch heißt es also „Intrige und Liebe“.

Ich wusste gar nicht, dass die Bonner Schauspiele in Bad Godesberg aufgeführt werden. Tamara erzählte, dass die Einheimischen neuerdings „Todesberg“ sagen. Weil kaum noch einer da ist. Vielleicht machen die Bonner Theater in Godesberg, damit überhaupt noch jemand kommt? Heute ist es ganz schön voll. Ein paar Prominente sind wahrscheinlich doch noch hier. Manche benehmen jedenfalls sich so.

Die alte Schachtel mit dem schwarzen Schlabberrock und den viel zu hohen Stöckelschuhen sieht aus wie ne Promigattin. Die ist mindestens sechzig und trägt solche Schuhe. Also, Gicht kann sie nicht haben, soviel steht fest. Dass der Mann neben ihr ganz unscheinbar aussieht und auffallend kleiner ist als sie, das ist ganz typisch für Politiker. Ihre Frisur bewegt sich keinen Millimeter, auch nicht, wenn sie den Kopf so geziert nach hinten wirft. Klar: Haarspray. Abends, halb acht in Bad Godesberg, und die Frisur sitzt.

Wie sie ihre Louis-Vuitton-Tasche vor dem Bauch schaukelt, damit sie bloß jeder sehen kann, das ist nicht vornehm. Das tut man nicht.

Ich kann bis heute nicht erkennen, welche von diesen Taschen echt sind und welche nicht. Frau Schweiger aus der Personalabteilung hat eine echte, die hat sie sich im Urlaub in Istanbul gekauft, weil sie da wesentlich billiger sind. Ich glaube, die echten Louis-Vuitton-Taschen kann man sowieso nur in den Hauptstädten kaufen.

Ah, jetzt kommen bei der Promitante noch mehr Leute dazu. Bussi links, Bussi rechts, meine Güte, ist das albern. Wenn sie sich mal richtig auf die Wangen küssen würden, sähen sie ziemlich verschmiert aus, so, wie die angepinselt sind. Wer sich die Lippen in dem Alter noch so grell anmalt, sollte darauf achten, dass kein Lippenstift auf den Zähnen klebt. Wie sieht das denn aus!

Manche haben sich aufgedonnert. Abendkleid im Theater ist heutzutage unangemessen. Das macht man nicht. Die müssen sich nicht wundern, wenn dann alle hingucken. Aber das wollen solche Leute ja. Genau wie die Grazie da drüben, die mit dem Riesenausschnitt. Wenn die sich falsch bewegt, fallen ihr die Möpse raus. Mein Hosenanzug ist genau richtig. Nadelstreifen sind immer gut. Tamara hätte es ein bisschen dezenter machen können, die Federboa ist übertrieben. Satinhandschuhe und Dekolleté hätten gereicht. Aber gut, Galeristinnen müssen sich kreativ anziehen und auffallen, sonst glauben die Künstler am Ende nicht, dass sie was von Kunst verstehen.

Reihe zwölf, Platz acht und neun, von hier aus kann man gut sehen. Elegant ist das Theater nicht, eher düster.

Die hätten vor der Vorstellung wirklich gründlicher staubsaugen können, auf dem Teppichboden sieht man jeden Flusen. Es ist nicht in Ordnung, dass man über schlecht gesaugten Teppich gehen muss, wenn man so viel Geld für ein Schauspiel ausgegeben hat, das man nicht kennt.

Die haben hier nicht mal einen Vorhang. Jeder sieht sofort das ganze Bühnenbild, das ist überhaupt keine Überraschung mehr.

„Moderne Inszenierung“, hat Tamara gesagt.

Ich kenne solche Stücke aus der Kulturzeit im Fernsehen, da sind immer Nackte dabei. Oft sind die dann am ganzen Körper blau oder grün oder schwarz angemalt, sodass man nichts richtig erkennen kann, aber nackig sind sie trotzdem.

Ob die hier auch Nackte haben?

Wenn der Typ neben mir weiter so mit dem Fuß wippt, kann ich mich nicht konzentrieren. Die ganze Reihe vibriert, so wippt der. Ob er nervös ist? Der geht wohl nicht alle Tage ins Theater. Und jetzt wartet er auf die Nackten. Kein Wunder. Bei der Frau. Wenn das neben ihm seine Frau ist. Manche gehen ja auch mit der Geliebten ins Theater und tun zuhause so, als machten sie Überstunden. Heute fällt so was nicht mehr auf. Wenn Männer im Theater noch Smoking trügen, hätte mein lieber Nachbar es zuhause schwer gehabt, seine Ausrede unterzubringen.

Aber hält sich einer eine Geliebte, die so aussieht? Eine mit Falten, Brille, Bauch und Dauerwelle? Nun. Hübsch ist er auch nicht. Dem wachsen Haare aus den Ohren. Vielen Männern wachsen Haare aus der Nase. Manni, der hatte damals immer eine bestimmte Schere, mit der er sich die Nasenhaare schnitt. Ich hatte ein blaues Bändchen an die Schere gebunden, damit ich sie nicht versehentlich benutze, um meine Nagelhaut zu schneiden. Nasenhaare sind nämlich auch nicht immer ohne alles. Wie schneidet überhaupt man Ohr-Haare? Es geht los.

Ohne Vorwarnung und ohne Vorhang.

Ich weiß nicht, ob ich es gut finde, dass die Männer auf der Bühne schwarzes Leder tragen. Die sind bei Hofe, da ist ein Präsident, immerhin, und sein Sohn, ein hübscher Bursche, und ein Sekretär. So einer trägt keine Lederkluft wie ein Rocker, und schon gar nicht, wenn er „Wurm“ heißt. Hat Schiller sich die Namen ausgedacht oder sind sie Teil der neuen Inszenierung?

Blöd, dass sie so altmodisch reden. Aber, das muss ich den Schauspielern lassen, so wie die betonen, klingt es wie eine richtige Unterhaltung.

Alle Achtung, müssen viel Text auswendig lernen. Das könnte ich mir niemals alles merken.

Was tun sie eigentlich, wenn sie mal nicht wissen, wie es weitergeht? Gibt es noch diese Leute, die sich in einer Halbkugel verstecken und vorsagen, wenn einer hängt? Souffleusen? Heißt das noch Souffleuse? Darf man das noch sagen?

Friseuse und Masseuse darf man auch nicht mehr sagen, es heißt jetzt Friseurin und Masseurin. Heißt es also Souffleurin?

Jetzt sind fast zwei Stunden rum, die spielen wohl ohne Pause. Das hätte ich wissen müssen, dann wäre ich vorher aufs Klo gegangen.

Licht an? Ist doch Pause? Nach zwei Stunden? Spielen sie danach etwa noch mal zwei Stunden?

Typisch. Alle Frauen gehen gleichzeitig aufs Klo.

Die Schlange reicht bis an die Garderobe.

Da komm ich doch nicht mehr dran, bis es drinnen weitergeht. So ein Mist, ich kann nicht über vier Stunden irgendwo sitzen, ohne aufs Klo zu gehen. Oder bleib ich draußen? Den zweiten Teil kann ich doch auch im Programmheft nachlesen, oder nicht?