Musical

Nächste Woche gehe ich mit Tamara ins Musical. „We will rock you“ läuft nur noch bis September und Tamara hat Karten.

Ich bin nicht so für diese Art von Musik, das muss ich zugeben. Das ist keine richtige Musical-Musik, so wie beim „Phantom der Oper“. Da war ich mal drin! Das ist eine Geschichte…

Meine Freundin Susanne hatte mich eingeladen. Manni passte auf die Kinder auf. Recht war ihm das nicht, aber was sollte er machen. Die Karten waren ja bezahlt. Susanne und ich sind mittags weggefahren und kamen drei Stunden später in Hamburg an. Ich hatte mich toll in Schale geworfen: Schwarze Steghose und schwarze Stulpenstiefel ohne Absatz. Die Stiefel waren aus weichem Wildleder und hielten nur, weil ich sie in den Kniekehlen mit Ärmelhaltern befestigt hatte. Sah man ja nicht, wenn die Stulpen umgeklappt waren. Dazu trug ich einen roten Gehrock mit schwarzen Samtknöpfen. Unter dem Gehrock hatte ich nur einen Body an, statt Bluse. Und eine große Handtasche hatte dabei.

Wir tranken im Foyer ein Glas Sekt. „Wenn schon denn schon!“ hatte Susanne gesagt und ich fand, dass sie Recht hatte. Dazu habe ich ein Lachsbrötchen gegessen. Ich hatte nur gefrühstückt und war wirklich hungrig.

Brechend voll war‘s, ausverkauft. Das Theater hatten sie extra für das Musical gebaut. Damit viele Leute reinpassten, haben sie die Ränge ganz steil angelegt. Wie im Stadion, aber eben viel steiler. Wir saßen in der Mitte Mitte.

Als das Licht noch an war und ich die steilen Treppen runterguckte, hab ich noch gedacht, dass einem da schon schwindlig werden kann.

Und dann ging das los. Tolles Bühnenbild. Als dieser Kronleuchter plötzlich runterkam, meine Herrn, hab ich geschrien. Wunderbare Musik. Ich war total begeistert. Ruckzuck war Pause. Wir waren wieder im Foyer und tranken noch ein Glas Sekt. Und dann passierte es.

Ich musste aufs Klo.

Plötzlich, unerwartet und so dringend wie noch nie. Ich stelle also das Glas ab, renne den langen Weg zum Klo. Alle Türen zu, alles besetzt, ich rufe „Scheiße“ und rüttel an den Türen, da geht die letzte auf. Ich schubse die Frau an die Seite, knalle die Tür zu, schließe ab, hänge die Handtasche an den Türgriff, mache den Klodeckel auf, klappe den Gehrock hinten hoch, halte ihn mit einer Hand fest, geh in die Hocke.

Zu spät. Als ich in Hockstellung war, hat sich mein Körper vertan. Er war zu schnell.

Der Body. Ich hatte mir in den Body geschissen.

Schweiß brach mir aus.

Vor lauter Zittern kriegte ich die Samtknöpfe vom Gehrock kaum auf. Hinten hielt ich die Jacke fest, damit sie nicht in die Schusslinie kam. Unten hinten lief alles immer weiter, ich konnte nix machen, außer den Hintern mittig über die Schüssel platzieren, damit nix indie Hose kommt. Alles einhändig und hockend! Endlich hing die Jacke am Haken. Mein Darm gönnte mir eine Pause. Ich schwitzte kalten Schweiß und überlegte fieberhaft.

Ich musste zuerst die Stiefel ausziehen. Die Darmpause war nur kurz. Währenddessen fummelte ich die Ärmelhalter von den Stulpen und zog die elend langen Stiefel aus. Immer noch in Hockstellung. Dann die Hose. Dann endlich den Body.

Das, was da drin war, war inzwischen kalt und mir wurde schlecht, weil es auch roch. Ich hörte den Gong. Zweimal.

Ach du Scheiße. Und eben die hörte nicht auf.

Ich hab versucht, den Body auszuschütteln und überlegte kurz, ob ich ihn draussen am Waschbecken auswaschen könnte. Wie? Ich hätte splitternackt in den Waschraum gehen müssen!

Ich schmiss grade den Body in den Bindeneimer und versuchte, mir den Hintern mit Papier zu reinigen. Da hörte ich Susanne: „Maria? Maria, komm, es geht weiter! Was machst du denn so lange?“ Ich konnte nur wimmern: „Ich kann … noch … nicht .... ich muss … ich hab … ich komme … gleich…“

Ich war immer noch nicht leer und saß nackend in der stinkenden Kabine.

Wie sollte ich in Gottes Namen wieder in die Vorstellung gehen? Ohne Body? Nackt unterm Gehrock? Und ungewaschen in der Steghose? Das war ein Dilemma.

Susanne ging dann schon vor und ich hörte, dass ich alleine war. Ich warf den Gehrock über, rannte zum Waschbecken im Vorraum, machte einen Stapel Einweghandtücher nass und flitzte wieder in die Kabine.

Dann prüfte ich, ob ich es wagen konnte, mich anzuziehen. Ja. Es war vorüber, nicht mal mehr Luft war in meinem Körper.

Der Aufpasser an der Saaltür war sehr nett und ließ mich rein, obwohl der zweite Teil schon angefangen hatte. Er brachte mich sogar zu meinem Platz. Ich hatte das Gefühl, jeder könne riechen, dass ich wieder da war.

Für den Fall aller Fälle räumte ich ein Fach in meiner Handtasche frei. Falls oben was rauskam, würde ich die Tasche nehmen. Nicht auszudenken, wenn ich sie nicht träfe und die steilen Ränge runterkotze… Aber es war wirklich vorbei. Mir war noch kodderig, aber es kam nirgends mehr was raus. Auf der Rückfahrt hab ich Susanne dann erklärt, was da passiert war. Sie tippte auf das Lachsbrötchen.

Irgendwann musste ich über dieses Missgeschick herzlich lachen. Es ging mir wieder gut, als wäre nichts gewesen. Aber nur, bis ich zu Hause war.

Manni lag im Bett und beobachtete mich beim Ausziehen. Erst als er sagte: „Wieso kommst du denn ohne Unterwäsche nach Haue? Kannst du mir das bitte mal erklären?“, merkte ich, dass er noch wach war. Ich hab gestottert, warum weiß ich auch nicht.

„Ja, also, ich hab mir in die Hose gesch…, ja, nein, also das war so: Ich musste plötzlich … Mein Body, ja der ist…“

Ich habe bis zum Morgen versucht, ihm zu erklären, was passiert war. Ich habe wirklich die Wahrheit gesagt, aber er hat sie mir nie geglaubt.