Die Performance der Frau Bitterbös

Leider sind nur zehn Leute gekommen. Vielleicht ist die Künstlerin gar nicht berühmt? Egal, man muss auch unbekannten Dichtern zuhören. Seit zwei Wochen freue ich mich auf diesen Abend, es ist toll, wenn man Schriftsteller persönlich kennt. Man sieht ein Buch mit ganz anderen Augen, wenn man weiß, wer dahinter steckt. Camelia Bitterbös. Der Name ist schon mal ziemlich wunderlich. Tamara hat die Karten besorgt.

Wir sitzen im Saal der Volkshochschule auf ungepolsterten Stühlen. Das Neonlicht ist ungemütlich. Auf dem Nussbaumtisch stehen ein Glas und eine Flasche Wasser und ein Mikrofon.

Es riecht nach Putzmitteln, nach Bohnerwachs und Käsefüßen. Hier gibt es keinen Büchertisch.

Bei der Lesung von Durs Grünbein gab es einen Büchertisch. Meine Güte, haben die Leute Bücher gekauft. Ich hab auch eins genommen, obwohl ich nicht verstanden hatte, was er mit seinen seltsamen Gedichten gemeint hat. Er hatte alles komisch betont. Ich wär fast eingeschlafen. Die Gedichte haben mir zuhause auch nicht besser gefallen. Ich hab das Buch dann Frau Schweiger aus der Personalabteilung geschenkt. Wer weiß, wem die es weitergeschenkt hat.

Ob Camelia Bitterbös mir gefällt, weiß ich noch nicht. „Kröten im Haus der Ratten“ heißt ihr Buch, so steht es auf dem Plakat. Klingt nach Horror. Horror geht ja. Früher hab ich Steven King gelesen. Das waren spannende Bücher. Hoffentlich liest sie keine Gedichte.

Ich mag nur Gedichte, die sich reimen. Wilhelm Busch zum Beispiel, der konnte richtig gut reimen, Heinz Erhardt auch. Durs Grünbein reimt glaub ich nie. Warten wir ab, was Camelia Bitterbös zu erzählen hat.

Wenn ich so hieße, würde ich mich umtaufen lassen. Ich habe gelesen, dass das geht, wenn man einen so scheußlichen Namen hat. Meine Oma hat immer gesagt: „Sage mir, wie du heißt und ich sage dir, wer du bist.“ Naja. Camelia heißen sonst Damenbinden. Und Bitterbös muss ihr Künstlername sein. Warum nennt sie sich freiwillig Bitterbös? Künstler sind komisch. Dieser verrückte Maler mit den bunten Häuser-Bildern hatte sich auch so bekloppt umgetauft: Friedensreich Regentag Kunterbunt Hundertwasser. So kann man von Natur aus nicht heißen. „Regentag, nimmst du mal den Müll mit runter?“ Zum Hinknien. Es geht los. Die Frau von der Volkshochschule begrüßt uns. „Camelia Bitterbös ist eine Frau, die ihresgleichen sucht…“ Aha.

„Sie hat an ihrem ersten Buch ‚Ich will nur euer Geld‘ vier Jahre lang geschrieben.“ Alle Achtung. Hoffentlich hat sie’s bekommen. Unser Geld. Von irgendwas musste sie Brot und Butter kaufen, wenn sie vier Jahre lang geschrieben hat. Oder sie hat einen reichen Mann. Nur von Kunst kann keiner satt werden, das weiß ich nämlich von Tamara. „Der Wirtschaftskrimi ‚Ich will nur euer Geld‘ ist in Camelias eigenen Verlag erschienen.“ Oho, die Dame ist auch Verlegerin. Tamara hat mir von Autoren erzählt, die ihre eigenen Bücher selber drucken lassen, weil kein Verlag sie haben will. Ob die Bitterbös auch so eine ist? „Camelia Bitterbös ist eine Powerfrau, ein Multitalent. Sie schreibt neben ihren Romanen auch Gedichte...“ Großer Gott, Gedichte.

„…und wird heute einige Passagen aus ihrem Buch ‚Kröten im Haus der Ratten‘ und anschließend Verse aus ihrem Gedichtband, ‚…wenn Stuten beißen’ vortragen.“ Gedichte über bissige Pferde? Das hab ich ja noch nie gehört! „Meine Damen, mein Herr: Camelia Bitterbös!“

Wie sieht die denn aus?

Die ist ja fast zwei Meter groß. Sie hat Schlappen an! Und dieser Kaftan, liebe Zeit, so was gibt es doch seit den Siebzigern nirgends mehr. Lila Batik, rosa Stirnband und Birkenstocks. Und dann diese Riesenbrille mit den roten Gläsern – sieht aus wie ne Schweißerbrille. Weiße Stoppelhaare mit einer rosa Strähne. Die hat sie doch nicht alle. So geht man nicht zu einem Auftritt. Das ist eine Frechheit. Auch wenn nur zehn Leute da sind. Das konnte sie vorher schließlich nicht wissen. Ich hab mir ja auch was Gutes angezogen.

„Tamara, siehst du den schwarzen Nagellack? Sind die Nägel echt oder aufgeklebt? Igitt, wie Hexenkrallen. Ja, ich sag ja schon nichts mehr.“ Fußpilz hat sie auch.

„Siehst du die Fußnägel, Tamara? Wenn ich solchen Fußpilz hätte, ginge ich erstens zum Arzt und zweitens niemals ohne Strümpfe.“

Sie hat ne Stimme wie n Kerl. Vielleicht ist sie gar keine Frau. Oberweite hat sie jedenfalls nicht und wenn, dann irgendwo in den Falten dieses Gewandes. Gibt es ja, dass Männer wie Frauen rumlaufen, damit sie besser Karriere machen. Lilo Wanders zum Beispiel ist in Wirklichkeit ein Mann. Das weiß nicht jeder. Aha, Frau Bitterbös liest die Gedichte über die Pferde.

„Du warst mir Freundin in einst schweren Stunden.

Du hast mit mir so manches Mal gelacht.

Du wurdest Feindin. Hast es nicht verwunden

Dass man mich mag. Du hast Dich klein gemacht.“

Was hat denn das mit Stuten zu tun?

War das Pferd sauer, als Camelia Bitterbös berühmt wurde? Ist die überhaupt berühmt? Wenn die berühmt wäre, hätte sie Geld und wenn sie Geld hätte, liefe sie nicht so rum. Naja. Wenigstens reimt es sich.

„Ich bin dir Feindin, schlage dich zu Boden.

Will wissen, dass du meinetwegen weinst.

Ich habe dich und mich nicht angelogen.

Erträgst du, dass ich mehr bin, als du scheinst?“

Also mit Pferden hat das gar nichts zu tun. Klingt eher so, als hätt sie ne Freundin fertiggemacht. Ob man darüber Gedichte schreiben muss? Fiese Type, diese Bitterbös. Oma hatte doch Recht, was die Namen angeht. Sie sagte immer: „Sage mir deinen Namen und ich sage dir wer du bist.“

Wie alt mag sie sein? Über sechzig sicher. Man muss die Querfalten am Hals zählen, wie die Jahresringe an einem Baum.

„Mich liebt das Volk. Es liebt mich, wie ich bin.

Du musstest brüllen, weil dich niemand hörte.

Doch leider schaute niemand bei dir hin.

Das Ende kam, weil Neid dein Herz zerstörte.“

Meine Güte, wie schwülstig. Aber jetzt verstehe ich schon, wie sie das meint. Wenn Stuten beißen – so gesehen ist der Titel gar nicht so doof.

Mit Camelia Bitterbös wollte ich auch keinen Streit haben. Wenn die stutenbissig wird…

Jetzt bin ich sicher, dass Bitterbös ihr Künstlername ist. Sonst könnte sie nicht so fiese Gedichte schreiben, denn das muss ja zum Image passen und zum Namen, was einer schreibt.

„Du siehst die Brust nicht, die mein Herz verbirgt?“

Nee, ich sehe keine Brust. Nicht in dem Fummel. Wozu auch. Jeder hat ein Herz und eine Brust, egal, ob man eins davon sieht oder nicht. So ein Quatsch.

„Du willst mich nackend, vor dir kniend haben?“

Neeeiinn.

„Du spürst nicht, wie sich stark mein Leib verzehrt?“

Warum schreit sie denn jetzt so?

„Sieh her! Du sollst dich dran erlaben!“

Die reißt sich das Kleid vom Leib!

„Tamara, Tamara, lass uns sofort gehen.“ Ein schwarzes Lack-Korsett. Und Birkenstocks. Barfuss. „Tamara, bitte – ich will hier raus. Es ist mir egal, ob das eine Performance ist. Wenn die ihr Korsett auch noch auszieht, falle ich in Ohnmacht. Tamara – ich gehe!“