Simon und Nils

Wen sie wohl diesmal eingeladen hat. Tamara hat einen eigenartigen Geschmack, was ihre Gäste angeht. Sie sagt immer: „Tante Maria, bunt müssen sie sein.“ Bunt. Letztes Mal war der schrille Dichter mit dem geflochtenen Ziegenbart und den komischen Gedichten da. Er erzählte stundenlang von seiner Lesung im Brackweder Gefängnis und von den menschenunwürdigen Umständen dort. Und? Wie sollte ich das verstehen? Sollen Mörder und Kinderschänder etwa Teppichboden und Designermöbel in ihrer Zelle haben? Das ist doch heute keine Strafe mehr, im Gefängnis zu sein. Das ist Existenzsicherung. Ein Dach überm Kopf und drei Mahlzeiten haben die Knastbrüder jedenfalls alle. Und einen Fernseher, eine Bibliothek im Haus und Psychologen, die um sich ihr Seelenheil kümmern. Mancher, der draußen lebt, hat das alles nicht.

Heute ist Fischtag, hat Tamara gesagt.

Jede Einladung muss unter einem Motto stehen, das ist ihr Tick. Hoffentlich freut sie sich über die Flasche Wein. „Fisch muss schwimmen“, hat meine Mutter immer gesagt.

Tamara ist richtig lieb. Sie lädt mich oft ein, wenn sie Gäste hat. „Tante Maria, du musst auch mal was anderes sehen, als immer nur deine Formulare im Krankenhaus“, sagt sie oft.

Dabei macht mir das gar nichts aus. Ich arbeite gern. Es ist wichtig, dass die Krankmeldungen und Urlaubs-scheine abgeheftet werden. Bei uns arbeiten sechshundert Leute, wo kämen wir hin, wenn keiner ordentlich verwalten würde wenn einer fehlt.

Es gibt Suppe. Erbsensuppe mit geräucherter Makrele und Minzeblättern. Das sieht komisch aus, schmeckt auch komisch, aber die anderen gucken hingerissen. „Köstlich und originell, meine Liebe“, hat der junge Mann im knallblauen Seidensakko eben gesagt. Mir ist die Suppe zu fischig. Da gehören Mett-Enden rein und Speck und keine Fische.

Zehn Leute hat sie eingeladen. Ob sie ihre Gäste immer in der Galerie kennenlernt?

Die beiden Männer da drüben sind wirklich leckere Kerlchen. Besonders der mit den schwarzen Locken. Muss ihm mal einer sagen, dass man den kleinen Finger beim Trinken nicht so abspreizt, das wirkt unanständig. Macht man nicht.

Der Blonde sieht auch gut aus, er hat schöne Zähne.

Die Hübschen tragen beide einen Ehering, aber beide sind ohne Frauen hier. Scheinen dicke Freunde zu sein, so, wie die reden und tuscheln. Hoppla! Die küssen sich auf den Mund! Vielleicht waren sie mal in Russland, da küssen sich die Männer auch auf den Mund.

„Komm, Tamara, ich helfe dir beim Abräumen.“

Die Küche ist die unpraktischste, die ich kenne. Das Geschirr wird in den offenen Regalen fettig, und hinter den Milchglastüren kann jeder sehen, was im Schrank steht. Wie oft habe ich Tamara gesagt, dass eine klassische Holzküche viel gemütlicher wäre als dieser Designerkram.

„Eiche brutal, Tante Maria? “ hat sie gesagt und über meinen Geschmack gelacht. „Tamara, wieso fragst du denn, wie mir Simon und Nils gefallen?

Frisch verheiratet? Aha. Und wo sind ihre Frauen? Sie sind miteinander verheiratet? Die beiden Männer... großer Gott, das habe ich denen aber nicht angesehen.“

Zwei Schwule. Miteinander verheiratete Schwule. Das gilt hier gar nicht, oder? Männer können sich doch nur in Holland heiraten, oder? Und in Holland sind immer alle bekifft, weiß doch jeder, sonst wären die gar nicht auf die Idee gekommen, dass Männer Männer heiraten können.

Möchte mal wissen, woher Tamara die kennt.

Wo lernt denn ein normaler Mensch Schwule kennen? Ich habe nichts gegen diese Leute, sie können ja nichts dafür. Wer von denen beiden die wohl Frau ist? Oder wechseln die sich ab? Wenn ich mir die im Bett vorstelle…

Und wie ist das bei denen im Haushalt?

Wahrscheinlich putzen sie gemeinsam. Schwule, jedenfalls die kultivierten unter ihnen, sollen sehr sauber sein. Diese machen einen gepflegten Eindruck. Sonst hätte Tamara sie auch gar nicht eingeladen.

Aber wenn man es weiß, merkt man es schon.

Allein das Sakko. Stahlblaue Wildseide. So was tragen richtige Männer nicht. Simon spricht ein wenig durch die Nase. Das machen die prominenten Schwulen im Fernsehen aber auch. Vielleicht ist das ein Erkennungszeichen? Irgendwie müssen die sich erkennen. Wenn ein Kerl einen Kerl gut findet, muss er irgendwie herausfinden, ob der andere auch homo ist. Das geht ja nicht, dass die Schwulen die normalen Männer einfach ansprechen.

Interessant, darüber mal nachzudenken: Nehmen wir an, zwei Schwule treffen sich. Wohin guckt ein Mann bei einem Mann zuerst? Busen ist ja keiner da. Auf die Hose? Vorne oder hinten? Was ist für die wichtiger? Und wie geht es dann weiter? Fordert einer den anderen zum tanzen auf?

Diese Menschen haben es nicht leicht.

Auch wenn sie alt werden, ist es schwer. Alte Männer mit hängenden Bäuchen, Glatzen und Krampfadern an den Waden haben schon bei uns Frauen kaum Chancen. Andererseits sind die Schwulen auch im Alter noch gepflegt und achten auf Figur. Wenn man sich zum Beispiel den Bürgermeister von Berlin anguckt, das ist ein attraktiver Mann. Das ist richtig schade drum, dass der schwul ist. Der könnte Frauen haben… Ich würde den nicht von der Bettkante schubsen. Wenn er normal wäre natürlich nur. Einer, der sich mal mit Männern und mal mit Frauen amüsiert, käme mir natürlich ganz und gar nicht in die Tüte. Tüte. Hihi. Ohne die liefe gar nix.

Gleich gehen wir bestimmt in den Wintergarten und trinken Espresso. Hoffentlich sprechen die Schwulen mich nicht an. Worüber soll man sich mit solchen Leuten unterhalten?

Wie der eine kichert. Wenn man sie genau beobachtet, merkt man es ganz deutlich. Ein bisschen tuntig sind sie irgendwie schon. Was machen die wohl beruflich? Ich meine, Lehrer oder Beamte können sie schlecht sein.

Ich möchte nicht wissen, was Herr Sauer aus dem Erdgeschoss machen würde, wenn sein Enkel einen schwulen Lehrer hätte.

Der im Seidensakko arbeitet bestimmt in einer Herrenboutique. Da passt so einer gut hin, da kann er seine weibliche Ader ausleben. Ach, du liebe Zeit, Tamara schleppt die beiden tatsächlich zu mir rüber. Huh, der gibt mir die Hand, der gibt mir die Hand. Wer weiß, was der heute schon mit seiner Hand gemacht hat.

„Angenehm, Maria Jesse. Aber nein, das Kleid ist uralt. Freut mich, dass es Ihnen gefällt. Naja, Joop macht eben schöne Sachen.“

War mir klar, dass die Joop auch kennen. Das Kleid hab ich second hand gekauft, aber das sieht man ja nicht.

„Mein Haar? Och, das lass ich in Lisas Frisierstübchen machen.“

Sag ich doch, dass die Schwulen einen sehr guten Geschmack haben. Der Dunkle hat ein sehr angenehmes Parfüm. Und sein Händedruck ist richtig männlich. Ich hatte mir eher vorgestellt, dass es sich anfühlt wie ein halbes Pfund Mett, wenn so einer einem die Hand gibt. „Ich? Ich bin im öffentlichen Dienst. In einer Klinik. Ja, da haben sie recht. Man muss immer auf die Garderobe achten. Das ist wie eine Visitenkarte, ja.“ Wirklich sehr nett, dieser Simon. Und so ein Charmeur. Was hat er gesagt? Er arbeitet an der Universität? „Ach so? Bioniker? Tatsächlich. Das ist ja interessant.“ Ich werde zuhause nachschlagen, was ein Bioniker macht. Und der andere ist Grafiker. Werbung, das passt. In so einem Job kann man sich ruhig ein bisschen schrill anziehen. Da merkt auch sicher keiner, dass er schwul ist. Werbefritzen sind ja alle ein bisschen gaga. Sehr sehr nette junge Männer. Wirklich. Nils holt mir was zu trinken. „Champagner für Lady Mary“, hat er gesagt. Süß. Er hat polierte Fingernägel. Sieht sehr edel aus und kostet ein Heidengeld, wenn man sich das machen lässt. Ich habe das beim Friseur schon mal gesehen, dass ein Mann zur Maniküre kam. Dann war der sicher auch schwul! Womöglich gibt’s die überall und man weiß es gar nicht?