Nachwort

 

In den letzten Jahren war, abgesehen von einem einzigen neuen Roman, Michaelmas, im Jahre 1977 von Algis Budrys so gut wie nichts mehr in der Science Fiction zu vermelden. Dabei galt und gilt Budrys, Sohn litauischer Einwanderer und 1931 noch in Europa geboren, als einer der wichtigsten Autoren der fünfziger und frühen sechziger Jahre, der mit vielen Kurzgeschichten sowie mit Romanen wie Who? (1958, Zwischen zwei Welten) und vor allem Rogue Moon (1960, Projekt Luna) Furore machte. Der vorliegende Roman, Some Will Not Die (Einige werden überleben) wurde 1961 erstmals in voller Länge veröffentlicht, basiert aber auf Kurzgeschichten, die auf die Jahre 1954 und 1957 zurückgehen und gilt deshalb als erster Roman des Autors.

Was wäre, wenn …? In der einen oder anderen Form offen, versteckt, als Haupt- oder Randthema, dem Autor bewußt oder unbewußt, steht diese Frage hinter jedem Stück SF-Literatur. Was wäre also, wenn eine Seuche die Bevölkerung eines großen Landes drastisch dezimierte und die Überlebenden vereinzelte, wenn Produktion und Distribution zusammenbrächen und von außen keine Hilfe zu erwarten wäre? Ja, was wäre dann?

Algis Budrys’ Antwort kennen Sie, wenn Sie diesen Roman gelesen haben: Die Menschen kämpfen bis aufs Blut um die verbliebenen Vorräte, jeder ist sich selbst der nächste, jeder Fremde ein Feind, zu trauen ist allenfalls den Mitgliedern der eigenen Familie. Das ist bei Budrys die erste Phase.

Die zweite Phase besteht in der Stammesbildung: Alle einsamen Wölfe oder Kleingruppen des riesigen Apartmenthauses mitten in New York werden mehr oder weniger durch Zwang zu einer Zweckgemeinschaft – will heißen: Plündererbande – zusammengeschweißt.

In der dritten Phase kommt es zu Bandenkriegen, als deren Folge die Zwangsvereinigung aller Banden/Stämme im Umkreis zu einem großen Stamm, einer neuen Stadtgemeinschaft, angesagt ist.

Vierte Phase: Nach der Säuberung auch der letzten von anderen Gruppen beherrschten Stadtteile wird ein Heer aufgestellt, um präventiv Krieg zu führen, eventuellen Überfällen anderer Stadtgemeinschaften zuvorzukommen, die Errungenschaften des eigenen way of life gegenüber anderen durchzusetzen. Am Ende steht eine Republik, schwach zwar, wieder ohne Polizisten und Soldaten, die den Willen der Zentrale durchsetzen könnten, aber doch Vorbild und ordnende Hand im Chaos.

Ein herausforderndes, ein zwiespältiges Konzept, auch nach der Einschätzung des Autors. Denn Budrys macht die Vereinigungsstrategie des Ted Berendtsen nicht nur zum zentralen Thema des Romans, sondern zeigt auch, daß es Gegnerschaft gibt. Hurra-Patriotismus, Militarismus oder gar Propagierung einer Militärdiktatur liegt dem Autor fern. Berendtsen glaubt einen Auftrag der Geschichte zu erfüllen und sieht das Ende seiner Vereinigungsarmee und den eigenen Tod nicht als Scheitern an. Sein Ziel war es, durch den einen großen Feldzug die vielen blutigeren Feldzüge zu vermeiden, die er als Folge eines totalen Rückfalls in die Barbarei voraussah. So glaubt er letztlich die Grundlage für eine Gesellschaft zu legen, in der nicht der Stärkere das Sagen hat. Sein Gegner hingegen, Bob Garvin, auch ein Idealist, haßt Berendtsens Eroberungspolitik, will kein Militär und keinen Zwang, denkt aber nicht weit genug. Sein Konzept des freien Bürgers, der sein Recht mit der Waffe in der Hand verteidigt, bringt nicht die Demokratie, sondern den Wilden Westen zurück, läßt jenen recht haben, der am besten schießen kann.

Der Roman bemüht sich um Realismus. So ist die Entwicklung bis zum Großstamm durchaus folgerichtig, einer inneren Logik, einem Sicherheitsbedürfnis verpflichtet. Denn die historische Situation ist neu, erstmals müssen sich erwachsene Menschen ohne den Rückhalt einer schon vorhandenen Gemeinschaft zu verbindlichen neuen Regeln des Zusammenlebens durchringen. Schon die Eroberung der restlichen Stadtbezirke, aber erst recht die Einnahme anderer Städte, ist jedoch nicht länger mit einem Sicherheitsbedürfnis, sondern nur noch mit den übergeordneten Idealen eines Berendtsen zu vertreten – was in dem Roman dankenswerterweise auch problematisiert wird.

Was Some Will Not Die von anderen Katastrophen- bzw. post doomsday-Romanen unterscheidet, ist das kleine Pflänzchen Utopie inmitten von Utopielosigkeit. Die beiden Charaktere, die hier in den Lauf der Geschichte einzugreifen versuchen, mit welchen fragwürdigen Mitteln auch immer, haben beide die Utopie vor Augen, angesichts der Katastrophe Demokratie und Selbstbestimmung des Menschen zurückzubringen, das Zeitalter der Barbarei abzukürzen. Das versöhnt ein wenig mit dem a priori utopielosen Thema, das Alternativen menschlichen Zusammenlebens, die nicht auf Gewalt und Gegengewalt beruhen, keine Chance gibt und damit hoffnungslos und bitter Zeitgeist widerspiegelt.

 

Hans Joachim Alpers