Viertes Kapitel

 

Und dies widerfuhr Theodor Berendtsen, als er noch jung war. Er war im Schatten eines Schutthaufens aufgewachsen, der von einem verwitterten Zeichen gekrönt wurde. Das war alles, was ihn an seinen Vater erinnerte. Und dies fing er damit an:

Ted Berendtsen öffnete die Luke und rief laut, um den Lärm zu übertönen, den die Motoren des Patrouillenboots machten: „Die Bucht, Jack.“

Holland nickte, tippte mit zwei suchenden Fingern die letzten Sätze seines Berichts zu Ende und stand auf. „Was gibt es Neues von Matt?“

„Eigentlich nichts. Ich habe gerade bei Ryder gefragt, der hat Funkwache.“

Holland kletterte an Deck und streckte seine verkrampften Muskeln. „Mann, das nächste Mal, wenn Matt eine Abordnung ausschickt, kann jemand anders mitfahren. Patrouillenboote stehen mir bis hier.“

Ted nickte säuerlich. „Philadelphia steht mir auch bis hier“, knurrte er in bewußter Nachahmung der Stimme Jacks. Zum hundertstenmal sah er das leichte Lächeln auf Jacks Lippen und schwor zum hundertstenmal, seine pubertäre Heldenverehrung einzustellen. Oder sie zumindest einzuschränken. „Brüderliche Liebe. Mein Gott!“

Er wurde rot. Jungenhafte Begeisterungsfähigkeit war auch nicht besser.

Holland brummte etwas in sich hinein und sah nach den frischen MG-Beschuß-Narben auf dem Holz des Decks. „Das da unten ist eine harte Nuß.“

Ted nickte in feierlicher Zustimmung, erwischte sich sofort mit dem Bewußtsein von Feierlichkeit, wurde wieder rot und zuckte schließlich innerlich die Achseln. Zum hundertstenmal verzweifelte er an dem Problem, sechzehn zu sein. Statt dessen beobachtete er, wie die Küste vorbeiglitt, konnte aber schon bald den Lockungen Manhattans nicht widerstehen. Die Stadt der Wolkenkratzer füllte den Horizont vor ihm aus. Ihre Fenster blitzten in der Sonne.

Er wußte, daß Holland seinen Blick bemerkt hatte, und verfluchte sich selbst, weil er es wußte. Und all dies nur, weil Holland ihm sein erstes richtiges Gewehr besorgt und ihn im Schießen unterwiesen hatte.

„Verdammt, ist die groß“, sagte er.

Jack nickte. „Groß ist das richtige Wort. Ich möchte nur wissen, was sich alles seit unserem Auslaufen angeschlossen hat.“

„Die West Side ganz sicher nicht.“

„Die Burschen werden sich nie rühren“, sagte Holland.

Ted nickte. Wieder viel zu feierlich.

 

Matt Garvin legte den Bericht hin und seufzte. Dann blickte er an Ted vorbei und sah Holland an. Er trug den scharfen Blick eines Mannes, der sich sicher ist, daß sein Partner ihn genau versteht. „Die Leute in Philadelphia sind auch nicht anders, oder?“

Jack lächelte dünn. Wie immer, wenn sich Jack und der alte Matt mit solchen kurzen Sätzen die Abschnitte aus der Vergangenheit repräsentierten, verständigten, verspürte Ted ein Gefühl des Neides. Er unterdrückte rücksichtslos einen eigenen Seufzer. Als er und Jack an Bord des Patrouillenboots gegangen waren, hatte er vage gehofft, daß ihm irgend etwas – eine wie auch immer geartete Feuerprobe oder eine nicht näher definierte überwältigende Erfahrung – das nicht greifbare gewisse Etwas verleihen würde, das er bei Holland als Zeichen von Männlichkeit erkannte. Als das Boot langsam die Küste von Jersey heruntertuckerte, hatte er gehofft, daß irgendein Gegner sie von der Küste aus angreifen oder sich aus dem Meer erheben würde und daß er, nach dem Ende eines erbitterten Kampfes, plötzlich ein hageres Gesicht haben, sich mit lässiger Eleganz bewegen und in Sätzen sprechen würde, die von selbst kurz und prägnant geworden waren. Nichts hatte sich verändert.

„Was meinst du?“ fragte ihn Matt.

Er war auf die Frage nicht vorbereitet. Er überlegte sich, daß er lächerlich aussehen mußte, wie sich sein zuvor abwesender Blick hastig wieder auf Matt Garvin konzentrierte.

„Zu Philadelphia?“ fragte er hastig. „Also, ich glaube, mit denen werden wir noch ganz schön Schwierigkeiten kriegen.“

Garvin nickte. „Du meinst also, daß wir mit den Leuten früher oder später zusammenrasseln, nicht?“

„Genau!“ Wieder erkannte er das Lächeln auf Jacks Lippen. „Das denke ich auch“, verbesserte er sich hastig. Verdammt, verdammt, verdammt!

„Hast du für deine Meinung einen besonderen Grund?“

Ted zuckte unsicher mit den Achseln. Er dachte wahrscheinlich weniger an seinen Vater als er sollte. Er konnte sich nur dunkel an den großen Mann erinnern, der so freundlich gewesen war. In den Augen eines Kindes war er zweifellos überlebensgroß gewesen. Wenn er Zeuge seines Todes gewesen wäre, hätte er das fehlende Stück besessen, mit dem er die Lücke hätte ausfüllen können. Er hätte einen Lebensinhalt gehabt, etwas, auf das er sich beziehen, das er pflegen und dem er sich widmen konnte. Aber er hatte nicht gesehen, wie sein Vater starb. Er konnte sich lediglich an den Schmerz seiner Mutter erinnern, der ihn noch immer ängstigte, wenn er zu intensiv daran dachte.

Er stand hoffnungslos vor Matt Garvin und hatte nur Argumente, mit denen er sich rechtfertigen konnte. „Ich weiß nicht genau, Matt“, stotterte er. „Aber die da unten haben Pennsylvania und New Jersey praktisch in der Hand – sie brauchen nur zuzugreifen. So in fünfundzwanzig, dreißig Jahren werden sie uns hier oben schon bedrängen. Wir haben nur Long Island, und das wird uns dann nicht mehr ernähren können. Wir sitzen hier auf der Insel fest. Die könnten uns leicht abschneiden.“ Er hörte auf zu sprechen, da er nicht wußte, ob er genug oder vielleicht schon zuviel gesagt hatte.

Garvin nickte wieder. „Hört sich vernünftig an. Von einer Organisation ist in dem Bericht allerdings nicht die Rede. Wie sieht es damit aus?“

Ted sah schnell zu Jack hinüber. Wenn Holland in seinem Bericht nichts davon erwähnt hatte, dann sicherlich nur aus dem Grund, weil er wie Ted der Meinung war, daß die wirkliche Sachlage auf der Hand lag. Ihm kam der Gedanke, daß Garvin seine Argumentationsfähigkeit überprüfte.

Jetzt fühlte er sich noch unsicherer.

„Also“, sagte er schließlich, „ich kann mir nicht vorstellen, daß sich die Leute in Philadelphia grundsätzlich von uns unterscheiden. Ich kann keinen Grund erkennen, warum sie sich nicht irgendwie organisiert haben sollten. Vielleicht läuft das aufgrund irgendwelcher lokalen Einflüsse ein bißchen anders als bei uns, aber grundsätzlich müßte es eigentlich genauso sein.“ Er machte eine unsichere Pause. „Ich drücke mich nicht klar aus, oder?“ fragte er.

„Bis jetzt ist das alles richtig, Ted. Sprich weiter“, sagte Garvin ohne ein Zeichen von Ungeduld.

Ein Teil seiner inneren Unbeholfenheit verschwand. Er sprach weiter. „Also, ich meine, wenn jemand nur mit einem Schiff in den Hafen käme so wie wir in Philly –, dann hätte er ziemliche Schwierigkeiten, von unserer Art von Organisation etwas zu bemerken. Höchstwahrscheinlich würde man nicht auf unsere Radiofrequenz stoßen. Bei einer Landung an der West Side würde dieser Jemand auf die kleinen Gangs in den Lagerhäusern treffen. Selbst wenn er zufällig in organisiertem Territorium wäre – ich weiß nicht so recht. Wenn hier jemand mit einem Schiff den Fluß hochkäme, dann würde ich ihm aller Wahrscheinlichkeit nach nicht trauen, ganz egal, was er mir zu erzählen versuchte. Es ist jedoch immer die gleiche Geschichte. Man ist nicht bereit, sich anderen anzuschließen, wenn dies nicht zu den eigenen Bedingungen geschehen kann. Wir haben zuviel an harter Arbeit und an Kämpfen investiert, bis die Organisation erst einmal lief. Es kommt gar nicht so sehr darauf an, daß dies für die anderen auch zutrifft. Jeder von uns hat recht, wenn man sich die Sache mal aus verschiedenen Perspektiven ansieht. Und für uns wäre es natürlich viel angenehmer, wenn wir es wären, die zum Schluß die Dinge in der Hand hätten, weil wir dann sicher sein könnten, und nur dann, daß all unsere Mühe nicht umsonst war.“

Er schwieg, weil er meinte, damit sei alles gesagt, aber dann kam ihm noch ein Gedanke.

„Wenn es einen Haufen Dinge geben würde, über die man verhandeln könnte, dann wäre es anders. Dann hätte man ja einen Spielraum, in dem man sich bewegen könnte. Wenn wir mit der Organisation weiter vorankommen, gelangen wir einmal an diesen Punkt, denke ich. Aber zur Zeit ist die Sache doch so oder so ziemlich klar. Uns geht es allen ungefähr gleich gut. Wenn es jemandem entscheidend besser ginge, dann hätten wir in der Zwischenzeit schon etwas davon gehört. Wenn wir also die Sache von unserem Standpunkt aus betrachten, dann ist es für unsere Organisation viel besser, wenn wir es sind, die entscheiden, wer sich uns anschließt. Wenn also jemand von außen hier herumschnüffelt, dann ist es das beste, wenn wir ihn entmutigen.“ Er unterbrach sich lange genug, um schief zu lächeln. „Und da unten in Philly haben sie uns auf jeden Fall entmutigt. Das einzige, war wir von Philadelphia gesehen haben, war der Hafen. Ich meine, da unten mag alles mögliche los sein, aber wir können es nicht sehen. Dazu müßte man tief in die Stadt eindringen, in die Wohnsiedlungen. Genauso wie bei uns – wenn jemand etwas über Manhattan wissen will, dann muß er bis zur Lower East Side kommen. Und ich glaube, das heißt, ich bin mir ziemlich sicher, daß kein Fremder eine solche Chance bekommt.“

„Aha.“ Garvin grinste Jack an, und Holland lächelte zurück. Ted stand ungeschickt da und sah von einem zum anderen.

„In Ordnung, Ted“, sagte Garvin und wandte sich ihm wieder zu. „Mir scheint, daß du deine Augen offengehalten, deinen Verstand benutzt hast.“

Mit leiser Überraschung gestand sich Ted ein, daß dies richtig war. Aber er hatte sich dazu nicht besonders angestrengt, und er hatte mit Sicherheit nichts getan, um sich besonders auszuzeichnen. Das kurze Gefecht im Hafen von Philadelphia hatte nicht die sehnsüchtig erwartete Gelegenheit geboten, seine Jugendlichkeit abzulegen. Alles in allem wußte er nicht, was er Matt jetzt antworten sollte, und er war zutiefst dankbar, daß eine Antwort nicht nötig zu sein schien.

„Ich denke, das wär’s, Ted. Eigentlich kannst du jetzt auch heimgehen. Margaret hat bestimmt jetzt das Abendessen fertig. Sag ihr bitte, ich komme gleich nach. Jack und du, ihr könnt es euch jetzt mal ein paar Tage gutgehen lassen. Aber ich habe schon bald wieder einen Auftrag für euch.“

„In Ordnung, Matt. Bis nachher.“

Das hatte sich schon wieder so gezwungen lässig angehört, dachte er. Er bemerkte, daß Jack gerade selbst etwas sagen wollte, wahrscheinlich genau dasselbe. Er hatte es mit dem gleichen, halbversteckten Lächeln zu Garvin abrupt unterdrückt. Verdammt, verdammt, verdammt!

 

„Das wär’s also“, sagte Holland vor Matts Hauptquartier. Er streckte sich genüßlich und lachte mit den Augen. Er klopfte Ted leicht auf die Schulter. „Bis morgen“, sagte er und ging in seinem katzenhaften Gang fort. Das Gewehr, das am Riemen an der Schulter hing, hielt er senkrecht, indem er mit der Handfläche sanft gegen den Kolben drückte.

Ted lächelte. Jack war einen Monat lang auf dem Schiff eingesperrt gewesen. Den Begriff „katzenhaft“ konnte man mit Leichtigkeit nicht nur auf seinen Gang, sondern auch auf manches andere anwenden. Ted lächelte wieder. Bedauernd.

Er schnallte seinen Gewehrriemen enger und ging entschlossen auf das Apartment der Garvins zu.

 

Seit dem Tod seines Vaters hatten Ted und seine Mutter mehr oder weniger bei den Garvins gewohnt. Die beiden Wohnungen lagen Wand an Wand, und bis zu der Zeit, als sich Ted das Recht verdient hatte, sein eigenes Gewehr zu tragen, hatten die beiden Familien unter Matts Schutz gestanden. Ted war mit Jim und Mary Garvin herangewachsen. Bob war fünf Jahre jünger als Ted und daher als Spielkamerad noch untauglicher als Mary. In der letzten Zeit hatte Mary allerdings an Bedeutung entscheidend gewonnen, obwohl sie erst dreizehn war. Sie wirkte auf ihn erheblich reifer als andere Mädchen ihres Alters, von denen er die meisten vollständig ignorierte.

Er beugte sich herab und zog die Schrauben, mit denen die Höheneinstellung am Korn vorgenommen wurde, mit sorgfältiger Konzentration an.

„Du meinst, sie hatten ein Maschinengewehr?“ fragte Mary atemlos.

„Ganz genau.“ Er zuckte lässig die Achseln und sah nach, ob der Spannhebel präzise funktionierte. „Ein paar Minuten lang ging es ganz schön haarig zu.“ Er nahm das Schloß heraus und sah sich das Patronenlager, das allerdings schon makellos sauber war, genau an.

„Und was hast du dann gemacht? Ich hätte wahnsinnige Angst gehabt.“

Er zuckte wieder die Achseln. „Ich hab’ mich herumgedreht und bin losgerannt. Es sah so aus, als seien es nur ein paar Leute, aber es roch nach mehr. Man konnte nicht wissen, wer da noch im Hinterhalt lag.“ Er schob den Verschluß wieder ein und ließ ihn ein paarmal hin und her gleiten, um das Öl gleichmäßig zu verteilen. „Ich habe ehrlich gesagt an die Mörser gedacht, die Matt unten am Fluß hat. Warum sollten die nicht auch so was haben? Egal, auf jeden Fall haben wir uns zurückgezogen. Ryder saß am Backbordgeschütz, das ist links, und er hat sie noch ein bißchen damit beharkt.

Hat sie erwischt, denke ich, weil wir immer noch in Reichweite waren und sie nichts mehr gemacht haben.“ Er fuhr mit einem öligen Lappen über die freiliegenden Metallteile des Gewehrs, legte den Sicherungshebel um und schob ein aufgefülltes Magazin ein. Als er aufsah, schaute Jim zu ihm herüber, warf einen Blick auf Mary und zwinkerte ihm zu. Ted wurde rot, und er warf seinem Freund einen strengen Blick zu.

„Na ja, ich glaube, ich lege mich jetzt hin“, sagte er. Seine Mutter war schon vor ein paar Minuten gegangen. Er streckte sich und gähnte. Er warf sich sein Gewehr über die Schulter. „Gute Nacht zusammen.“

Mrs. Garvin sah von ihrem Nähzeug hoch. „Gute Nacht, Ted.“ „Nacht, Ted“, sagte Jim kurz.

„Gute Nacht, Ted“, sagte Mary. Er hob seine Hand zu einem kurzen, lässigen Winken und ging durch die Verbindungstür. Seine Hand ruhte lässig am Kolben des Gewehrs.

„Ted?“

Er zuckte leicht zusammen, als er die Tür hinter sich schloß. „Ja, Mutter“, sagte er schnell, bevor die Angst in ihrer Stimme sich verstärken konnte.

Sie kam in das Zimmer und blieb beim Eingang stehen. „Natürlich bist du es“, sagte sie mit einem nervösen Lächeln. „Ich weiß überhaupt nicht, wer es sonst hätte sein können.“

„Also, vielleicht der Butzemann oder Heinzelmännchen oder ein Geist …“ Er ließ die scheinbare Ernsthaftigkeit seiner Stimme in ein Lächeln übergehen. Ihr Gesicht entspannte sich ein wenig.

„Soll ich dir noch Tee bringen oder sonst irgend etwas?“ fragte er, während er sein Gewehr in dem Ständer neben der Tür abstellte.

„Ja, bitte. Gehst du jetzt schlafen?“

„Ich glaube schon. Ich bin ziemlich müde“, sagte er auf dem Weg zur Küche.

„Ich habe dein Bett gemacht. Sonst habe ich dein Zimmer so gelassen, wie es war, als du weggingst.“

„Danke, Mutter“, sagte er und gestattete sich in der Küche, wo ihn niemand sehen konnte, ein zärtliches Lächeln.

Er brachte ihr die Tasse Tee hinaus, die sie mit dankbarem Lächeln entgegennahm. „Schön, dich wieder im Hause zu haben“, sagte sie. „Ich habe hier ganz allein herumgesessen.“

„Nebenan sind doch die Garvins“, erinnerte er sie.

Sie lächelte leicht. „Für dich sind da mehr als für mich. Die Kinder werden für meinen Geschmack manchmal etwas zu laut. Matt ist den ganzen Tag beschäftigt, und er geht praktisch sofort nach dem Essen schlafen. Und in der Gesellschaft von Margaret fühle ich mich auch nicht mehr so wohl wie früher.“ Ihr Lächeln verriet jetzt Besorgnis. „Sie wirkt in der letzten Zeit sehr deprimiert, Ted. Matt ist jetzt schon über vierzig, und er trägt immer noch das Gewehr wie die anderen Männer. Was wäre denn, wenn er sterben würde?“

„Ich meine, er muß das tun, Mutter. Es ist seine Verantwortung. Wenn er es nicht mehr schaffen würde, dann würde jemand anders bestimmen. Und er macht seine Sache gut. Ich habe noch keine Beschwerden über ihn gehört.“

„Ich weiß, Ted, und Margaret weiß es auch. Aber das hilft nichts, oder?“

„Wahrscheinlich nicht. Aber wie die Dinge stehen, können wir nichts daran ändern.“ Er beugte sich über sie und küßte sie auf die Wange. „Bleibst du noch auf?“

Sie nickte. „Ich glaube, ja. Gute Nacht, Ted.“

„Gute Nacht, Mutter.“

Er ging durch den Gang zu seinem Zimmer, zog sich aus, blies die Lampe aus und legte sich ins Bett. Er lag mit geschlossenen Augen wach in der Dunkelheit.

Für die Frauen war es ein hartes Leben. Er fragte sich, ob dies der Grund dafür war, daß Jack Holland nicht verheiratet war. Er war schon neunundzwanzig.

Verdammt. Noch dreizehn Jahre.

Matt war zwei- oder dreiundvierzig. Der alte Matt, der in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort noch gar nicht so alt wäre. Der alte Matt mußte einmal der junge, neunzehn Jahre alte Matt gewesen sein, der versucht hatte, in den ersten Monaten nach der Seuche zu überleben. Diese sagenhafte Seuche, von der niemand viel wußte, weil jeder nur wußte, was ihm passiert war oder was denen passiert war, die bei ihm waren. Von dem, was sonst in der ganzen Welt geschehen war, hatte kaum jemand eine Ahnung. In der ganzen Welt. Es mußte doch Tausende von Orten wie Manhattan geben, in denen Männer wie Matt und Jack wohnten und versuchten, die Umwelt zu organisieren, die Menschen wieder zusammenzubringen. Und höchstwahrscheinlich gab es Tausende von jungen Burschen wie Ted Berendtsen, die eigentlich mit dem sinnlosen Grübeln aufhören und schlafen sollten, und zwar … sofort.

 

„Mann, das schmeckt mir aber überhaupt nicht“, sagte Jim Garvin, als er ihre Rucksäcke packte und Ersatzmagazine in ihre Gurte steckte.

Ted, der gerade sein Korn einrußte, um irritierenden Glanz zu verhindern, zuckte die Achseln. „Wenn es dir schmecken würde, dann wärst du auch wirklich verrückt. Aber es muß gemacht werden, und zwar früher, als wir es angenommen hatten.“

„Hat Papa etwas darüber zu dir gesagt?“

Ted schüttelte den Kopf. „Nein. Was letztlich dafür verantwortlich war, das war der Bericht, den Jack und ich über die Philly-Expedition abgeliefert haben. Wir müssen die Gegend hier bereinigt haben, falls sie uns angreifen. Sie wissen, wo wir hergekommen sind.“ Er schnallte sich den Rucksack fester auf die Schultern und verschob das Koppel, bis das Colt-Halfter bequem saß. Normalerweise trug er keine Pistole, aber hier ging es um Nahkampf, sobald sie die Männer aus der Deckung gelockt hatten. Das Ding schien eine Tonne zu wiegen.

„Da hast du wohl recht“, gab Jim zu.

Ted runzelte leicht die Stirn. Jim hätte wenigstens an die offensichtliche Frage denken können, wenn er schon in einer Stimmung für Fragen war. Er hatte sie sich selbst schon gestellt und sie so beantwortet, daß der Versuch, die gesamte Lower West Side auf einmal zu nehmen, auf jeden Fall gemacht werden mußte. Es bestand zwar die Möglichkeit, daß jenes schrittweise Vorgehen, das bei der East Side Erfolg gehabt hatte, hier modifiziert werden konnte – und Zeit war eigentlich auch genug vorhanden –, aber das ganze Gelände war nun seit über zwanzig Jahren völlig undurchdringlich. Die Menschen, die darin wohnten, kannten jeden Winkel und Hinterhof. Jeder Versuch, es Stück für Stück zu nehmen, hätte zu einer Serie von endlosen Scharmützeln mit Heckenschützen geführt.

Auf der anderen Seite hatte er Jim natürlich ein Jahr und ein paar Monate an Alter und damit Erfahrung voraus.

Jack Holland kam zu ihnen herüber. „Fertig?“ Sein Sturmgepäck quoll über von Munition, Dynamit und Molotow-Cocktails. Sein Gewehr hielt er in der Hand. Ted nickte kurz. Es überraschte ihn ein wenig, als er Jim „Jawohl, Sir!“ sagen hörte. Er sah von Jim zu Jack und zwinkerte kaum merklich mit einem Auge. Jack grinste leicht.

„Gut, nehmt eure Positionen ein. Matt nimmt sich das Bankviertel vor. Er kommt in einem Bogen von der Battery hoch. Wir marschieren direkt quer durch die Stadt. Billy McGraw und noch eine andere Gruppe fallen kurz unterhalb der Zweiundvierzigsten Straße ein.“ Er machte eine kurze Pause für einige beruhigende, satirisch gemeinte Gesten. „Wir haben es wieder mal am besten erwischt.“

Jim lachte, während Ted wiederum lächelnd Jack zuzwinkerte. Der Junge war offensichtlich ein bißchen nervös.

Die drei gingen über die Straße zu dem Rest ihrer Gruppe. Die Männer standen aus alter, lebenswichtiger Gewohnheit unauffällig zwischen Autos und in Toreingängen und warteten. Ted sah zum Himmel hoch. Es wurde langsam dunkel, und sie würden bald ausrücken.

Jack fiel zurück und ging neben ihm her. „Sieh zu, daß Jim möglichst nahe bei dir bleibt, ja?“ sagte er mit leiser Stimme. „Ich kann mich selbst nicht viel um ihn kümmern.“

„Klar“, antwortete Ted. „Ich passe auf ihn auf.“

 

Zwei Nächte und drei Tage lang brach die Hölle los. Seit jenem kalten Morgen, als sie aus ihren Stellungen gekommen waren und sich den Weg in eine Verpackungsfabrik freigesprengt hatten, war das Peitschen von Gewehrschüssen und manchmal das Bellen schwerer Pistolen durch die mit Abfall gefüllten Straßen gehallt und hatte die breiten, tödlichen Straßen mit Echos erfüllt. Im ersten Überraschungsangriff hatten sie Lücken in Mauern gesprengt, Fenster eingeschlagen und sich den Weg von Zimmer zu Zimmer freigeschossen. Hier und da explodierte ein Molotow-Cocktail und sandte eine Säule schwarzen Rauches in den Himmel, die sich in dem leichten Wind und dem Nieselregen, der am zweiten Tag begonnen hatte und noch immer anhielt, wie ein lebendiges Wesen bewegte. Ein ständiger Strom von Kurieren versorgte sie mit Munition, und sie ernährten sich von den dürftigen Kleinigkeiten, die sie fanden. Plünderergruppen nahmen den Leichen, die sie zurückließen, Waffen und Munition ab.

Zwei Tage und drei Nächte. An der oberen Seite der Vierzehnten Straße hatten sie angefangen. Unterstützende Gruppen säuberten die untere Seite, um die Nachschubwege zu sichern.

Am Abend des dritten Tages hatten sie die Achtzehnte Straße erreicht.

 

Ted ließ seinen Kopf gegen eine Wand sinken und füllte ein Magazin mit Patronen. „Wie geht’s, Jim?“

Jim Garvin fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und schüttelte seinen Kopf in dem vergeblichen Versuch, auf diese Art etwas von seiner Müdigkeit loszuwerden. „Ich hab’ die Nase voll.“

Ted schob das volle Magazin in seinen Gurt und fing mit einem weiteren an. Er grinste leicht. „Ich auch“, stimmte er ihm zu. „Hast du Jack heute schon gesehen?“

„Nein. Meinst du, es könnte ihn erwischt haben?“

„Quatsch, den doch nicht. Der hat schon Häuserkampf gemacht, als wir noch nicht laufen konnten.“ Er machte seinen Rucksack auf und warf Jim eine Dose Fleisch hinüber. „Hau rein! Ich habe mir was aufgehoben. Den Dreck, den die hier gefressen haben, hält je kein Magen aus.“

Jim schüttelte sich und atmete laut durch die zusammengebissenen Zähne aus. „Das kannst du laut sagen. Dabei reiht sich hier doch ein Lagerhaus an das andere.“ Er machte die Dose auf und fing dankbar an zu essen.

„Der letzte Verein hier. Jeder hat nur auf dem gesessen, was er hatte, und wie es den anderen ging, das war ihm egal. Denk bloß mal an die Leute, die sich nur von Obst in Dosen ernährt haben!“

„Überhaupt keine Organisation“, stimmte Jim zu. „Was ist eigentlich mit den Leuten hier los, daß sie so spinnen?“

Ted zuckte die Achseln. „Eigentlich nichts weiter. Die hatten nur eine ganze Menge Festungen, die sich ihnen direkt aufdrängten. Diese Lagerhäuser sind stabil gebaut. Außerdem waren es eben Lagerhäuser. Bis zum Dach voll mit Nachschub. Das sah wahrscheinlich wie ein leichter Ausweg aus.“

„Was glaubt du, wie lange wir für den Mist hier noch brauchen?“

„Kommt drauf an. Wenn Matt in seinem Bezirk durchkommt, erhalten wir von ihm Unterstützung. Und wenn McGraw sich durchgebissen hat, dann haben wir sie in der Zange. Wäre mir natürlich am liebsten, wenn es so käme, aber ich weiß nicht recht.

Nach allem, was ich so gehört habe, ist dieses Greenwich Village eine Mausefalle, und McGraw hat es bestimmt genauso schwer wie wir. Ich wünsche, ich wüßte, wie es um die ganze Operation im Moment steht.“

„Wenn es Vati gutgeht, dann ist mir der Rest der Operation piepegal. Der Teil davon, der mir am wichtigsten ist, der sitzt genau hier.“

„Stimmt, aber das hängt doch alles zusammen“, erklärte Ted.

„Darüber soll sich jemand anders Gedanken machen“, sagte Jim.

Ted sah ihn nachdenklich an. „Stimmt. Vielleicht hast du recht.“ Zum erstenmal dachte er, daß es nicht so aussah, als würde Jim die Nachfolge seines Vaters antreten. Er konnte mit dem Gewehr gut umgehen, und wenn er einmal etwas angefangen hatte, dann brachte er es auch zu Ende. Aber eigene Gedanken machte er sich nicht.

Das berührte ihn irgendwie. Der Gedanke war ihm gegen seinen Willen gekommen, weil Jim sein Freund und wie sein Vater ein erstklassiger Kämpfer war. Aber inzwischen genügte es nicht mehr, nur ein erstklassiger Kämpfer zu sein. Das Gesamtbild wurde ständig durch neue Faktoren erweitert. Dieser gesamte Zug gegen die West Side war kein Raubzug oder ein Organisationsprozeß, obwohl das Resultat beides umfassen würde. Er war in erster Linie ein strategischer Zug, der für den Tag Vorsorgen sollte, an dem Philadelphia gegen die Küste losziehen würde. Matt hatte als Gewehrschütze angefangen und langsam, Stück für Stück, dazugelernt, und zwar in demselben Tempo, in dem eine Welt komplizierter wurde. Jim aber würde die Zeit nicht haben, durch Übung zu lernen, was er nicht instinktiv wußte. Er war zu jung, und Matt war zu alt – da blieb nicht mehr genug Zeit.

Aber was sollte das alles, dies hier war ja schließlich eine Republik, oder? Eine Republik lebte davon, daß sie je nach Bedarf verschiedene Arten von politischen Führern entwickelte.

Aber er mochte die Vorstellung trotzdem nicht. Er würde darüber nachdenken müssen, sie zu Ende denken, bevor er sie ganz akzeptieren konnte.

„Eigentlich könnten wir ein bißchen schlafen, Jim“, sagte er. „Sieht so aus, als seien die großen Sachen für heute abend zu Ende. Ich übernehme die erste Wache.“

„Gut.“ Jim drehte sich dankbar auf die Seite und legte seinen Kopf in die Arme. Ted überprüfte seinen 45er. Er hatte heute schon zwei Ladehemmungen gehabt. Er ging mit dem Riesending nur widerwillig um, zumal es einen Rückschlag hatte, der an einen Pferdetritt erinnerte. Es hatte viel mit dem Magnum-Gewehr von Matt gemeinsam, mit dem er ebenfalls nicht umgehen konnte. Der Lauf war zu schnell ausgebrannt, man benötigte besondere Munition, es war schwer zu pflegen und ansonsten ungefähr so raffiniert wie eine Keule. Traf man aber einen Menschen mit einer Kugel auch nur irgendwo an seinem Körper, dann warf der hydrostatische Schock ihn um oder tötete ihn sogar. Nach Teds Meinung war das nur selten ein Vorteil. Es hatte keinen Sinn, einen möglicherweise guten Mann umzubringen, wenn man ihn auch auf eine andere Art außer Gefecht setzen konnte.

Ted dachte, daß all diese Überlegungen zum Thema Nahkampf ihm bei seinem großen Problem nicht weiterhalfen. Er begann zu verstehen, warum Jack Holland noch nie wirklich eng mit Jim zusammengearbeitet hatte. Wenn man sich die Sache einmal im richtigen Licht besah, gab es plötzlich eine Menge Beweise.

Jack Holland. Er hoffte, daß es Jack Holland sein würde, der von Matt die Führung übernahm, wenn der unvermeidliche Zeitpunkt einmal kommen würde.

 

Eine Woche schon. Jack mußte schließlich das gradlinige Vorgehen aufgeben, mit dem parallel Block für Block erobert werden sollte, sondern war gezwungen gewesen, die rechte Flanke vorzuziehen, um von den oberen Blocks östlich der Ninth Avenue soviel wie möglich einzunehmen. Auf dieser Seite der Linie, die zur Grenze des Gebiets der Lagerhaus-Banden geworden war, waren die Männer der Republik auf die McGraw-Gruppe – jetzt von Ryder geführt – gestoßen, die genauso vorgegangen war. Trotzdem war der Vormarsch der Truppen von Garvin an der Neunzehnten und Einunddreißigsten Straße zum Stillstand gekommen, soweit es die Lagerhaus-Banden betraf, und in das Umfeld der Ninth Avenue gelangen nur noch kleinere Vorstöße. Die von Matt selbst geführte Gruppe zog sich langsam aus Greenwich Village zurück, obwohl einzelne Widerstandsnester in den fast idealen Verteidigungspositionen, die die verwinkelten Gassen und Kreuzungen boten, noch auszuräumen waren. Aber auch dort war der eigentliche Kern des Widerstands kaum berührt worden, denn fast alle Trockendocks, Lagerhäuser sowie Schiffe in den Docks konnten sich noch halten.

Irgendwie war Ted zu einer eigenen Gruppe von Männern, die sich ihm angeschlossen hatten, gekommen. Sie waren offensichtlich bereit, sich ihm und seinen Vorschlägen ohne Diskussion zu beugen, und er ließ es dabei bewenden, solange er keine groben Fehler machte. Im Weg waren sie ihm und Jim auf jeden Fall nicht. Sie waren inzwischen alle unrasiert und hatten zerrissene Kleider. Niemand von ihnen hatte viel geschlafen. Der Schlafmangel vernebelte wahrscheinlich ihre Urteilskraft, aber das wilde Aussehen wirkte sich zu seinen Gunsten aus, denn sein Bart, verstärkt durch den Dreck, war stark genug, die jungenhafte Rundheit seines Gesichts zu verbergen.

Die Munition allerdings wurde knapp.

 

Sein Kopf fiel nach vorne, und als er ihn wieder hochriß, schreckte er aus seinem Dösen auf. Jack grinste ihm zu. „Macht einen ganz schön müde, was?“

Ted knurrte. „Hast du da was gehört?“ fragte er und zeigte auf das Funkgerät.

„Ryder kommt hoch, Matt kommt runter. Wir bewegen uns westlich. Geschwindigkeit: zehn Zentimeter pro Stunde.“

„Haben die den Trick mit den Patrouillenbooten versucht?“

Holland schnaufte. „Hast du schon mal versucht, ein Lagerhaus mit einem Torpedo zu treffen? Die haben die meisten Lastkähne im Kanal abgeschossen, und das hilft uns auch nicht gerade.“

„Wir müssen mit den Burschen bald fertig werden, Jack.“

„Ich weiß. Wenn es so weitergeht, schießen wir bald mit Wunderkerzen auf sie. Hast du irgendeine Idee?“

„Nein.“ Er lehnte sich gegen einen Mülleimer und döste weiter.

 

Nach zehn Tagen brachte er seine Grübeleien zu einem Abschluß. Er erkannte, daß es keine „Idee“ war, ebensowenig wie Austerlitz oder die Bombardierung von Monte Cassino „Ideen“ gewesen waren. Es war eine kühl berechnete Entscheidung, die sich aus dem vorliegenden Problem ergab und die aus der dringenden Notwendigkeit resultierte, für dieses Problem eine Lösung zu finden. Wie viele seiner Entscheidungen, die er in der letzten Zeit getroffen hatte, gefiel ihm die Entscheidung nicht. Aber sie war das Produkt von logischen Überlegungen und beruhte auf nüchternen Gedanken und persönlichem Wissen. Er konnte ehrlich annehmen, daß er sie alle gewissenhaft und vollständig analysiert hatte. Nachdem er das einmal erkannt hatte, wußte er, daß er keine Wahl mehr hatte.

„Das Problem ist doch, nahe genug heranzukommen, um die Lagerhäuser zu sprengen, wenn ich das richtig sehe?“

„Genauso ist es. Sie haben Leute auf den Dächern darum herum postiert, denen sie Deckung geben, und die Leute in den Häusern halten uns zurück. Wenn wir ein Haus räumen, dann werfen sie von den anderen Häusern Dynamit herunter, sprengen das geräumte Haus und schaffen so eine Trümmerfläche, über die wir nicht hinwegkommen. Nachts kommen wir auch nicht hinein, weil das ihr Gelände ist und somit voller Fallen steckt. Weiter?“

„Wir warten, bis wir Ostwind haben, und stecken dann die Häuser an. Wenn wir danach einfallen, deckt uns der Qualm. Wir räumen den ersten Stock aus und warten, bis sie herauskommen. Wenn sie nicht herauskommen, räumen wir den zweiten Stock.“

Holland stieß einen leisen Pfiff aus. Er sah Ted nachdenklich an. „Ganz schön fies, was? Die Leute dort in dem Haus erwischt es auf jeden Fall. Entweder kommen sie raus, während wir auf der Straße auf sie warten, oder sie verbrennen.“

„Großer Gott!“ sagte Jim und starrte Ted an.

Berendtsen schwankte müde auf seinen Füßen. Ihm wurde auf einmal klar, daß er etwas getan hatte, was weder Jack Holland noch Matt Garvins Sohn fertiggebracht hätten. Er hatte eine Entscheidung getroffen, die ihm verhaßt war, die er aber ausführen würde, wenn er die Möglichkeit dazu hätte. Ganz gleich, ob sie von einem kosmischen Standpunkt aus richtig oder falsch war, er hielt sie für richtig. Oder vielmehr nicht für richtig, sondern für notwendig. Dieser Überzeugung konnte er vertrauen, weil er sich selbst vertraute.

„Gut“, sagte er mit ruhiger Stimme, „hängt euch an das Funkgerät und sprecht mit Matt. Für das Ganze hier haben wir einen alten Präzedenzfall“, fügte er trocken hinzu.

 

Die linke Hand unter einer dicken Bandage und den leeren Rucksack auf den Schultern, führte er seine verdreckten, müden Männer die ganze breite Vierzehnte Straße hinunter. Er und Jim und der Rest seiner Gruppe gingen in der Masse von Matt Garvins Truppen unter, aber im Geist trennte er seinen Trupp von den übrigen. Alle seine Männer schlurften wortlos auf der Straße. Sie waren zum Umfallen müde, aber er versuchte, ihren Gesichtsausdruck zu erkennen. In den Abteilungen, die gesprengt und Feuer gelegt hatten, waren viel mehr Männer gewesen, aber diese dort hatte er geführt.

Er versuchte zu entdecken, ob die Männer, die ihm gefolgt waren, es für richtig oder falsch hielten, was er getan hatte. Ihre Gesichter jedoch waren vor Erschöpfung ausdruckslos. Seinem eigenen Gesicht konnte er nicht das leiseste Zeichen von Besorgnis gestatten. Jetzt erkannte er, was der schwierigste Teil dessen war, ein Mann zu sein.

Als sie dann endlich Stuyvesant erreichten, traf er auf Matt Garvin. Die beiden – er mit seiner verwundeten Hand, Matt mit einer Schulter, die vom Rückschlag der Magnum fast ausgekugelt war – sahen sich an. Er hob einen Mundwinkel schief hoch, und Matt nickte und lächelte ganz leicht.

Jetzt weiß ich es, dachte Berendtsen.

Wortlos ging Ted Berendtsen die Treppe hinauf. Jim blieb zurück. Er fuhr sich mit der Hand über die Wangen, die unter ihrer momentanen Hagerkeit immer noch genauso weich waren. Er stolperte auf den Stufen.

Lieber Gott, ich bin erst sechzehn, dachte er. Er verzog über diesen letzten, unlogischen Protest sein Gesicht. Matt hatte noch ein paar Jahre.