Siebtes Kapitel

 

Dies geschah in New Jersey, eine Generation später. Robert Garvin und Merton Hollis waren beide in einem Duell umgekommen, das sie miteinander ausgefochten hatten. Robert Garvin hinterließ ein Vermächtnis. Dies ist daraus geworden:

 

Cottrell Slade Garvin war sechsundzwanzig Jahre alt. Er war seit drei Jahren ein Sexualverbrecher, als ihn seine Mutter in ihr Zimmer rief und ihm erklärte, warum sie ihm nicht das Mädchen vorstellen konnte, das er heimlich beobachtet hatte.

„Mein liebster Cottrell“, sagte sie und legte ihre fein geäderte Hand auf seinen sonnengebräunten Arm. „Du kennst meine Meinung über Barbara. Sie ist ein entzückendes Mädel. Unter normalen Umständen müßte jeder junge Mann in deiner Stellung und Klasse geehrt sein, sie kennenzulernen und nach gebührender Zeit eine Verbindung mit ihr einzugehen. Du mußt dir natürlich auf der anderen Seite ihre Familie ansehen …“ – hier erfolgte ein dezenter Atemzug durch die zerbrechliche Nase – „… ganz besonders den männlichen Teil, der für unsere Familie nicht akzeptabel ist.“ Jetzt war ihr Gesichtsausdruck wirklich bedauernd. „Ganz offen gesagt, die Vorstellung, die ihr Vater davon hat, wie ein Haushalt zu führen ist …“ Ihr Schniefen war deutlicher hörbar. „Seine Handlungen in Verbindung mit dieser Vorstellung sind so geartet, daß unsere Familie in endlose Integritätsaffären verwickelt würde, und du selbst wärest gezwungen, die Hauptlast dieser Auseinandersetzungen zu tragen. Zusätzlich dazu wärest du gezwungen, den bekanntermaßen unhaltbaren Besitz zu verteidigen, den Mr. Holland als Barbaras Mitgift zu bezeichnen pflegt.

Nein, Cottrell, ich fürchte, so sehr dir diese Verbindung auf den ersten Blick auch zusagen mag, so würdest du doch merken, daß die Verpflichtungen, die aus ihr erwachsen würden, die Vorteile mehr als aufwiegen.“ Sie berührte seine Hand so leicht, als sei ein Herbstblatt darauf gefallen. „Es tut mir leid, Cottrell.“ In jedem ihrer Augenwinkel glitzerte eine Träne. Es war offensichtlich, daß die Unterhaltung eine große Belastung für sie gewesen war, denn sie liebte ihren Sohn wirklich.

Cottrell seufzte. „Na schön, Mutter“, sagte er. Dieses Mal konnte er nicht mehr tun. „Wenn sich aber die Umstände ändern sollten, dann wirst du es dir noch einmal überlegen, nicht wahr?“ fragte er.

Seine Mutter lächelte und nickte, als sie sagte: „Natürlich, Cottrell.“ Dann aber verblaßte das Lächeln etwas. „Obwohl das doch ziemlich unwahrscheinlich sein dürfte, oder?“ Ihr Lächeln kehrte zurück, und ihre Stimme nahm einen beruhigenden Tonfall an, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. „Gibt es denn keine anderen jungen Damen? Aber wir werden sehen. Wir werden sehen.“

„Vielen Dank, Mutter.“ Soviel hatte er immerhin erreicht. Er erhob sich von seinem Stuhl und küßte sie auf die Wange. „Ich muß nachsehen, ob die Kühe alle im Stall sind.“ Sie tauschten ein letztes Lächeln aus, bevor er ging. Er eilte über den Hof zu der Scheune. Die Kühe waren natürlich alle versorgt, aber er blieb trotzdem ein paar Minuten in der Scheune. Dort trieb er seine von der Arbeit gehärtete Faust immer wieder in einen Hafersack. Auf seiner Stirn brach der Schweiß aus und lief über seine Schläfen an seinem Gesicht herab, der Atem kam stoßweise aus seinen Nasenflügeln, und er murmelte Flüche in sich hinein, die um so schrecklicher waren, weil er nicht vollständig wußte, gegen wen oder was sie gerichtet waren.

Mit einer leichten Übelkeit im Magen schloß er leise das Scheunentor hinter sich zu. Von der Farbe des Sonnenuntergangs und dem Gefühl des Winds konnte er ablesen, daß es eine schöne Nacht werden würde. Diese Erkenntnis erfüllte ihn zu gleichen Teilen mit Vorfreude und Schuldbewußtsein.

 

Die Luft hatte gerade die richtige Temperatur, und auch der Tau war gerade so gefallen, daß ein gleichmäßiger und perfekter Film von Feuchtigkeit alles bedeckte. Cottrell schloß die Hintertür leise und schlich geräuschlos in einem solchen Winkel über den feuchten Rasen, daß er die Lehmstraße genau an dem Punkt erreichte, wo sein Besitz aufhörte und der von Mr. Holland begann.

Als er durch die Dunkelheit lief, bewegte sich der Schotter geräuschlos unter seinen Mokassins, sein Patronengurt schlug sanft an seinen Körper, und dann und wann spürte er, wie geöltes Metall seine Wange berührte, als sein Karabiner, den er am Riemen um die Schulter trug, ihn mit seinem geschwungenen Magazin berührte. Es war ein beruhigendes Gefühl – sein Vater hatte es vor ihm gespürt und der Vater seines Vaters davor. Für sie alle war es das Zeichen des freien Mannes gewesen.

Als er so nahe an Mr. Hollands Haus gekommen war, wie er konnte, ohne die Hunde aufzuschrecken, ging er von der Straße herunter und glitt in den Graben, der neben ihr verlief. Er legte sich den Karabiner in seine gebeugten Arme und robbte lautlos und schnell, bis er so nahe an dem Haus war, wie der Graben es zuließ.

Er hob seinen Kopf hinter einem Büschel Unkraut empor, das er während eines Frühlingssturms dort eingepflanzt hatte. Von dieser Deckung aus konnte er die Vorderfront des Hauses genau überblicken. Der Wind mußte ganz genau richtig stehen, um all dies zu ermöglichen, ohne daß der Hund Witterung von ihm bekam. In solchen Nächten war das der Fall.

Das Wohnzimmerfenster – wahrscheinlich das einzige ebenerdige Wohnzimmerfenster in der Gegend, bemerkte er zu sich selbst – war erleuchtet, und sie war in dem Raum. Cottrell versuchte, das laute Geräusch seines Atmens zu beherrschen und biß sich auf die Unterlippe. Sorgfältig hielt er seine Hände vom Metall seines Karabiners fern, denn seine Handflächen waren naßgeschwitzt.

Er wartete, bis sie schließlich das Licht ausmachte und die Treppe hinab ins Schlafzimmer ging. Dann ließ er den Kopf herabsinken und legte ihn einen Augenblick auf seine verschränkten Arme. Seine Augen waren geschlossen, und sein Atem war außer Kontrolle, bis er sich leise herumdrehte, um in dem Straßengraben zurückzukriechen. Heute abend, so kurz nach dem, was ihm seine Mutter gesagt hatte, war er zwar schockiert, aber nicht wirklich überrascht, als er bemerkte, daß Tränen ihm die Sicht verschleierten.

Er erreichte die Stelle, an der es sicher war, den Graben zu verlassen, und richtete sich auf. Er setzte einen Fuß auf die Straße und sprang mit einer flüssigen Bewegung auf die Lehmdecke. Den dunklen Schatten zwischen den vereinzelten Büschen und Hecken, die am Straßenrand standen, bemerkte er nicht. Mr. Holland sagte leise: „’n Abend, mein Junge!“

 

Cottrell ließ seine Schulter sinken, bereit, den Karabiner, den er sich gerade wieder über die Schulter gehängt hatte, herunter und in seine Hand gleiten zu lassen. Er stand ohne Bewegung und schaute Mr. Holland an, der zu ihm herübergetreten war.

„Mr. Holland!“

Der Alte lachte. „Mich hast du wohl nicht erwartet, was?“

Cottrell stellte mit einiger Erleichterung fest, daß der Mann offensichtlich nicht voll berechtigten Zornes war. „Guten … äh … guten Abend, Sir“, murmelte er. Allem Anschein nach würde er nicht sofort umgebracht werden, aber man wußte nie, was im Kopf des Nachbarn vor sich ging.

„Da habe ich also doch recht gehabt mit meiner Vermutung über das Unkrautbüschel, das da so plötzlich gewachsen ist.“

Cottrell spürte, wie ihm das Blut in die Ohren schoß, aber er sagte: „Unkraut, Sir?“

„Ganz schön schlau. Aus dir könnte mal ein guter Kämpfer werden.“ Cottrell war für die Dunkelheit dankbar, denn der eine Grund für sein Erröten wurde durch einen anderen abgelöst. Der Mangel an Licht hinderte seine Stimme aber nicht, mehr zu verraten, als sie sollte. Die Andeutung von Mr. Holland war deutlich gewesen. „Meine Familie, Sir, zieht es vor, die Verwandten nicht anzuerkennen, die unter ihre angemessene soziale Stellung herabgesunken sind. Sie werden verstehen, daß Ihre Bemerkung unter anderen Umständen von mir zumindest als nicht schmeichelhaft empfunden würde.“

Mr. Holland lachte, ein Geräusch, das in sich die angesammelten Bremsklötze gegen Übereifer trug, die er sich während seines Lebens angeeignet hatte, das bereits zur Hälfte vorbei war, als Cottrell geboren wurde.

„Ich wollte dich nicht beleidigen, mein Junge. Es gab mal eine Zeit, da wäre ein Typ wie du wegen einer solchen Bemerkung eine Woche lang herumgelaufen wie der Hahn auf dem Mist.“

Cottrell spürte noch immer die Hitze in seinem Gesicht, und der Grund dafür übertönte das starke Gefühl, wie ungereimt diese mitternächtliche Diskussion doch war. Es war eine völlig unlogische Entwicklung von Umständen, in denen zwei beliebige andere Männer schon lange vorher das Problem in einer normalen zivilisierten Art und Weise geregelt hätten.

„Glücklicherweise, Sir“, sagte er mit einer Stimme, der er mit einiger Anstrengung wieder ihren normalen Tonfall verleihen konnte, „leben wir nicht mehr in einer solchen Zeit.“

„Du vielleicht nicht.“ Mr. Hollands Stimme war leicht verärgert.

„Das möchte ich doch sehr stark hoffen, Sir.“

Mr. Holland machte ein ungeduldiges Geräusch. „Junge, dein Onkel Jim war der beste Schütze, der jemals eine Patrouille angeführt hat, verdammt noch mal. Jede Familie, die Rosinen im Kopf hat und meint, sie sei besser als er …“ Den Rest des Satzes schnitt er mit einem rauhen, bitteren Fluch ab.

Cottrell zuckte vor dem Ausdruck zurück. „Aber Sir!“

„Entschuldige schon“, sagte Mr. Holland sarkastisch. „Ich habe ganz vergessen, daß du in feineren Zeiten lebst. So fein allerdings auch wieder nicht, daß ein Mann in Straßengräben herumkriecht, um heimlich ein Mädchen ansehen zu können. Ein Mädchen, das nur dasitzt und ein Buch liest!“ fügte er etwas ärgerlich hinzu.

Cottrell fühlte, wie das Adrenalin sein Blut zum Singen brachte und seine Muskeln verkrampfte. Mr. Holland würde offensichtlich jeden Augenblick eine Integritätsaffäre ausrufen. Während er sich die verschiedenen Argumente für und gegen das Recht überlegte, sich selbst dann zu verteidigen, wenn er bei einer Handlung erwischt worden war, die so offensichtlich unmoralisch war, ließ er reflexartig seinen Karabiner ein wenig von seiner Schulter herabgleiten, so daß er nur noch ganz knapp am Riemen hing, der jetzt, trotz sorgfältigstem Ölen, leise quietschte. Cottrell biß verärgert die Zähne zusammen.

„Ich habe kein Gewehr auf dich gerichtet, mein Junge“, sagte Mr. Holland leise. „Es gibt bessere Methoden, die Integrität zu schützen, als Leute zu erschießen.“

Cottrell hatte schon vor langer Zeit entschieden, daß sein Nachbar, wie alle Leute, die in den Wilden Sechzigern geboren und in den Dreckigen Jahren aufgewachsen waren, unkonventionell war – um es höflich auszudrücken. Aber der schiere Mangel an Vernunft, in einer Situation, in der möglicherweise die Integrität bedroht war, keine Waffen zu tragen – das war mehr als Unkonventionalität.

Aber dies führte alles zu nichts. In einem solchen Fall lag die größere Verantwortung, die Angelegenheit auf schickliche Art durchzuführen, offensichtlich bei ihm.

„Darf ich vielleicht die Situation klar umreißen, Sir“, sagte er, „damit keine Mißverständnisse aufkommen.“

„Es gibt kein Mißverständnis, mein Junge. Jedenfalls nicht über die Situation. Mensch, als ich in deinem Alter …“

„Nichtsdestoweniger“, unterbrach Cottrell, der entschlossen war, Mr. Holland keinen echten sozialen Patzer begehen zu lassen, „bleibt die Tatsache bestehen, daß ich Ihren Grund und Boden ohne Befugnis betreten habe – und das schon seit einigen Jahren – um …“

„Um Barbara heimlich anzustarren“, führte Mr. Holland seinen Satz für ihn zu Ende. „Tust du mir einen Gefallen, mein Junge?“ In Mr. Hollands Stimme schwang leicht ein amüsierter Ärger mit.

„Aber selbstverständlich, Sir.“

„Können die …“ Mr. Holland fing sich. „Ich meine, wie wäre es denn, wenn du dich mal ein bißchen weniger um die Umgangsformen sorgen würdest; mach dir mal ein paar weniger Sorgen darum, in jeder Situation unter allen Umständen das Richtige zu tun, und hör mir mal zu. Hier und jetzt. Setz dich mal her, damit wir uns über ein paar Sachen unterhalten können.“

„Es tut mir leid, Sir“, sagte er mit einer Stimme, die aus Nervosität härter und rauher klang, als er es beabsichtigt hatte, „aber das kommt gar nicht in Frage. Ich schlage Ihnen vor, daß Sie entweder Ihre Pflicht als Familienoberhaupt tun oder Ihre mangelnde Bereitschaft dazu eingestehen.“

„Warum?“

Die Frage war nicht so überraschend, wie sie es am Anfang dieser phantastischen Szene gewesen wäre. Sie diente jedoch dazu, einen Punkt deutlich zu machen. Cottrell war sich klar darüber, daß sie nicht als trotzige Beleidigung gemeint war. Sie war eine echte und ernstgemeinte Frage, und die Tatsache, daß Mr. Holland nicht in der Lage war, die Antwort zu verstehen, war der Beweis, daß der Rat seiner Mutter zu Recht gegeben worden war. Mr. Holland war kein Gentleman.

Ihm blieb ganz offensichtlich nur ein Weg offen, wenn er nicht alle Hoffnung auf Barbaras Hand aufgeben wollte. So unglaublich es auch scheinen mochte, bestand er darin, die Frage mit vollem Ernst zu beantworten und damit einen Versuch zu unternehmen, in die eingefahrenen und – offen gesagt – versteinerten Denkgewohnheiten von Mr. Holland etwas Verständnis hineinzuzwingen.

„Ich würde doch meinen, daß es kaum notwendig ist, Sie daran zu erinnern, daß die Integrität eines Individuums sein kostbarster moralischer Besitz ist. In diesem besonderen Fall habe ich die Integrität Ihrer Tochter verletzt, und damit, durch die Blutsverwandtschaft, auch die Ihrer Familie.“ Cottrell schüttelte im Dunkeln seinen Kopf. Er könnte es zwar erklären, aber seine Stimme zeigte den Grad seiner Empörung.

„Was ist das?“ Hollands eigene Stimme wurde ungeduldig.

„Wie bitte, Sir?“

„Integrität, verdammt noch mal! Eine Definition will ich hören.“

„Integrität, Sir! Also, jedermann …“

Holland schnitt ihm mit einem Fluch, der Enttäuschung ausdrückte, das Wort ab. „Ich hätte es besser wissen und nicht fragen sollen! Du kannst es nicht einmal in Worten ausdrücken, aber ihr bringt euch um dafür. In Ordnung, sprich nur weiter, aber erwarte nicht von mir, daß ich dir dabei helfe, wie du aus dir selber einen Vollidioten machst.“ Er seufzte. „Geh nach Hause, meine Junge. Vielleicht kannst du in zwanzig Jahren oder so soviel Mumm zusammenkratzen, daß du dich nähern und an die Haustür klopfen kannst wie ein Mann, wenn du Barbara sehen willst.“

Durch den Nebel seiner fast überwältigenden Wut erkannte Cottrell, daß er jetzt nichts mehr sagen konnte, was Holland verletzen könnte. „Ich bin sicher, daß Barbara mich nicht empfangen würde, wenn ich das tun würde“, brachte er schließlich mit ruhiger Stimme hervor, dankbar darüber, daß ihm dies gelungen war.

„Nein, wahrscheinlich nicht“, meinte Holland voll Bitterkeit.

„Dazu ist ihre Scheiß-Erziehung, die sie ihren gottverdammten Tanten verdankt, zu gut!“

Bevor Cottrell darauf reagieren konnte, spuckte Holland auf den Boden, dreht ihm wie ein Feigling den Rücken zu und ging mit großen Schritten die Straße hinunter.

Cottrell stand allein in der Nacht. Seine Hände hatten den Patronengurt ergriffen, und er mahlte die Patronen aneinander. Danach drehte er sich um und trottete nach Hause.

 

Er stellte seinen Karabiner auf dem Waffenständer der Familie in der Eingangshalle ab und ging leise in Mokassins im Erdgeschoß herum, um das Alarmsystem wieder einzurichten und anzuschalten. Manchmal blieb er stehen, seine Muskeln verspannten sich, und er biß die Zähne aufeinander, weil er wieder daran dachte, was geschehen war. Das Problem war so unglaublich kompliziert, daß es ihn überwältigte, weil es kein klares Bild bot, das er angehen und logisch analysieren konnte.

Der Fehler lag natürlich in erster Linie bei ihm selbst. Er hatte einen vorsätzlichen Bruch von Integrität begangen. Erst in seiner weiteren Verästelung verlor das Problem seine Klarheit.

Er hatte Barbara Holland nachspioniert, und das wiederholt. Ihr Vater hatte diese Tatsache herausgefunden. Heute abend hatte Holland ihm aufgelauert, statt eine direkte Herausforderung auszusprechen. Dann, nachdem er Cottrell darüber informiert hatte, daß er über seine Handlungen Bescheid wußte, hatte er sich nicht nur nicht wie ein Gentleman benommen, sondern ihn auch noch lächerlich gemacht, weil er ein anderes Verhalten erwartet hatte. Der Mann hatte damit Cottrell und seine Familie beleidigt und dazu seine eigene Tochter in den Schmutz gezogen. Von seinen Schwägerinnen hatte er in einer Art gesprochen, die eine Abreibung mit dem Patronengurt durch jedes männliche Familienmitglied verdient hätte, wenn sie herauskäme.

Trotz alledem blieb die Tatsache bestehen, daß Cottrell sich einen ernsthaften Verstoß zuschulden kommen lassen hatte, ganz gleich, ob Mr. Holland ein Gentleman oder Holland keiner war. Und nach der Ansicht von Cottrell und jedem anderen Menschen war diese Sache, die eine quälende geheime Schande war, würde sie erst öffentlich, katastrophal und ekelhaft, ein Schrecken.

Da nun Holland sich einmal geweigert hatte, das Problem in einer Weise zu bereinigen, wie es jeder andere ohne Zögern getan hätte, stand Cottrell nun da und mußte sich gefallen lassen, daß dieses Problem an seinem Gehirn nagte und ihn zu Zeiten in besinnungslose Wut versetzte, in die sich kürzere Ausbrüche ruhigerer, aber tödlicherer Gefühle von Schande und Reue mischten.

Schließlich, nachdem er das gesamte Erdgeschoß inspiziert hatte, ging Cottrell geräuschlos zum Wohnbereich hinunter. Er war sich über das Ausmaß seiner Schuld und daher auch der Schande vollständig im unklaren. Er wußte, daß er nicht schlafen würde, wie lange er auch im Bett liegen mochte – und er bemühte sich, den Teil seines Bewußtseins niederzukämpfen, der ihm das Bild Barbara Hollands heraufbeschwor.

Er kämpfte – aber er verlor. Das Bild, an das er sich erinnerte, war so lebendig wie die anderen, mit denen er es verglich. Er begann mit dem ersten, das fünf Jahre zurücklag, als er im Alter von einundzwanzig Jahren von einer Wachübung zurückkam und an ihrem Fenster vorbeiging. Obwohl er sie fast jeden Tag in der Post oder im Laden sah, wurden diese speziellen Bilder nicht durch die kühle und schickliche Distanz verdunkelt, mit der sie sich umgab, wenn sie nicht – er zuckte zusammen – allein war.

Wiederum erstand vor ihm das gesamte Problem von Barbaras Vater. Der Mann war während der wilden Unmoral und den lässigen Lebensumständen der Dreckigen Jahre aufgewachsen. Er konnte offensichtlich nichts Schlimmes an dem finden, was Cottrell getan hatte. Er war zwar vernünftig genug, niemandem etwas davon zu erzählen, dafür sei dem Himmel Dank, aber wenn er auf seine tölpelhafte Weise versuchen sollte, „euch beiden jungen Leute zusammenzubringen“ – oder wie auch immer er es nennen würde –, was würde er dann Barbara erzählen?

Es dämmerte, und Cottrell begrüßte das Ende der Nacht.

 

Als Familienoberhaupt seit dem Tod, den sein Vater vor zwei Jahren in einer Integritätsaffäre gefunden hatte – er war selbstverständlich der verletzte Teil gewesen –, war es die Pflicht Cottrells, jeden Tag jene Aktivitäten der Familie zu planen, die sich möglicherweise von der normalen Routine des Hofs unterscheiden könnten. Heute, da die Frühlingsarbeit getan und die Aufgaben, die der Sommer mit sich brachte, noch so leicht waren, daß sie nicht der Rede wert waren, wußte er nicht so recht, was er machen sollte, war aber froh, daß er sich mit einem Problem auseinandersetzen konnte, dessen Bewältigung er gelernt hatte.

Nachdem er aber eine Stunde lang versucht hatte, sich zu konzentrieren, sah er sich gezwungen, etwas zu wählen, das, rückschauend betrachtet, sein Vater in ähnlichen Situationen ebenfalls angewandt hatte. Wenn es sonst nichts zu tun gab, blieb immer noch die Übung.

Aus Rücksicht auf das Alter seiner Großmutter wartete er bis zwei Minuten vor acht, bis er den Alarm auslöste. Selbst der heftige Schlag, den die Läden hervorbrachten, als sie an ihren Platz in der Panzerung der Außenwand herabsausten, selbst das plötzliche Aufheulen des Generators, als die Radarantennen aus ihrem Halbschlaf zu heftig kreisendem Leben erwachten, selbst die kurzen Feuerstöße, die die Kinder im Haus zur Probe aus ihren MGs abgaben, selbst all dies reichte nicht aus, um das Feuer in seiner Seele zu löschen.

Die Übung dauerte bis zehn Uhr. Zu dieser Zeit war es offensichtlich, daß die Verteidigungsanlagen des Hauses alles das ausführten, wofür sie konstruiert waren, und daß die Mitglieder des Haushalts ihre Pflichten aufs beste kannten. Selbst das legendäre Geschick, das seine Großmutter mit dem Entfernungsmesser an den Tag legte, hatte noch nicht nachgelassen – obwohl es durchaus wahrscheinlich war, daß sie die Entfernung jedes möglichen Ziels in der Umgebung auswendig wußte. Das aber war, selbst wenn es stimmte, keine Verletzung ihrer Pflicht, sondern eine wertvolle Fertigkeit.

„Sehr gut“, ließ er sich über die Sprechanlage des Hauses vernehmen. „Alle Mitglieder des Haushalts können jetzt zu ihren normalen Pflichten zurückkehren, mit Ausnahme der Kinder, die sich bei mir für die Schulung melden.“

Der Gefechtsplatz seiner Mutter war am Radarschirm, der nur ein paar Meter von seinem Feuerleitstand entfernt war. Sie lächelte zustimmend, als sie wieder auf Automatik umschaltete. Sanft legte sie ihre Hand auf seinen Arm, als er aufstand.

„Ich bin sehr, sehr froh, Cottrell“, sagte sie mit einem Lächeln.

Er verstand zuerst nicht, was sie meinte, und sah sie leer an.

„Ich hatte befürchtet, du würdest deine Pflichten verletzten, wie das so viele unserer Nachbarn tun“, erklärte sie. „Aber ich hätte nicht an dir zweifeln sollen, nicht einmal so viel.“ Der Stolz auf ihn schwang stark in ihrer Stimme mit. „Dazu bist du zu stark. Ich hatte sogar Befürchtungen, daß deine Enttäuschung nach unserem kurzen Gespräch gestern dich ablenken könnte. Ich habe mich aber getäuscht, und du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue, dich so zu sehen.“

Er beugte sich herab und küßte sie rasch auf die Wange, um sie seine Augen nicht sehen zu lassen. Dann eilte er zu der Halle, wo sich die Kinder schon versammelt und ihre Waffen aus dem Ständer geholt hatten.

 

Am frühen Nachmittag hatten sich die jüngeren Kinder schon zurückziehen dürfen, und er war mit seinen beiden ältesten Brüdern allein auf dem Übungsgelände.

„Unten bleiben!“ rief Cottrell Alister zu. „Du wirst deine Abschlußprüfung nie bestehen, wenn du es nicht lernst, dich auf einer Hügelkuppe niedriger zu halten!“ Er riß seinen Karabiner an die Wange und zerschoß neben dem Hinterteil seines Bruders einen Zweig, um zu zeigen, was er meinte.

„Jetzt du“, fuhr er zu Geoffrey herum. „Wie habe ich die Windgeschwindigkeit geschätzt? Schnell!“

„Gras“, sagte Geoffrey lakonisch.

„Falsch! Du hast das Gelände seit zwei Wochen nicht gesehen. Du hast keine genaue Vorstellung, wieviel Wind dazu nötig ist, das Gras in seinem jetzigen Zustand zu bewegen.“

„Du hast mich gefragt, wie du es gemacht hast“, erinnerte ihn Geoffrey.

„Stimmt“, gab Cottrell kurz zurück. „Der Punkt geht an dich. Also, wie würdest du es machen?“

„Mit Gefühl. Paß mal auf.“ Das leichtere Gewehr von Geoffrey krachte mit einem Geräusch, das ähnlich klang wie jener brechende Zweig, der nun fünf Zentimeter unterhalb der Stelle sich spaltete, an der Cottrells schwereres Geschoß ihn gebrochen hatte.

„Du hast also ein Gefühl dafür, meinst du?“ Seltsamerweise war Cottrell froh darüber, ein Ventil für seinen Ärger zu finden. „Mach’s noch einmal.“

Geoffrey zuckte die Achseln und schoß zweimal. Der Ast zersplitterte, und von Alister kam ein lauter Protest. Cottrell fuhr herum und sah Geoffrey wütend an.

„Hab’s neben seine Hand gesetzt“, erklärte Geoffrey. „Wird wohl noch ein bißchen Dreck ins Gesicht gekriegt haben.“

Cottrell sah zu der Stelle hinüber, wo sich das Gras wild bewegte, weil Alister versuchte, sich unter seinem Schutz wegzurollen. Er nahm sich noch die Zeit, sich das Ungeschick seines Bruders zu notieren, bevor er sagte: „Du konntest seine Hand doch überhaupt nicht sehen – oder sonst irgend etwas außer der Spitze seines Hinterns, da wir gerade davon sprechen.“

Geoffreys Siebzehnjährigen-Gesicht zeigte eine geheime Belustigung. „Ich hab’ mir nur überlegt: Wenn ich Alice wäre, dann hätte ich meine Hände dort. Ist doch einfach.“

Cottrell merkte, wie die Bedrohung seiner Position als bester Kämpfer der Familie wie eine Gewitterwolke um ihn herum immer dicker wurde.

„Ausgezeichnet“, sagte er beißend. „Du hast einen Instinkt für den Kampf. Nehmen wir aber mal an, deine Patrone wäre fehlerhaft gewesen, und zwar so schlimm, daß dein Geschoß ein wenig nach rechts abgekommen wäre. Dann hättest du deinen Bruder umgebracht. Und dann?“

„Die Patronen hab’ ich selbst angefertigt. Meinst du, ich wäre so blöd, diesem Möchtegern-Waffenschmied mit zwei linken Händen im Laden zu vertrauen?“ Geoffrey war unangreifbar. Cottrells schlechte Laune begann, sich dem Einfluß seines Willens zu entziehen.

„Wenn du so gut bist, warum gehst du dann nicht zur Miliz?“

Geoffrey steckte die Beleidigung ein, ohne das Gesicht zu verziehen. „Ich glaube, ich bleibe hier“, sagte er ruhig. „Du wirst bald Hilfe brauchen – wenn der alte Holland dich mal bei einem deiner Mondscheinspaziergängen erwischt.“

Cottrell spürte, wie ihm plötzlich das Blut in den Kopf schoß. „Was hast du da gesagt?“ Er sagte es mit leiser und gefährlicher Stimme.

„Du hast es schon gehört.“ Geoffrey drehte sich herum und schickte eine Kugel auf jede Seite seines sich windenden Bruders Alister und dann noch eine unter und eine über ihn. Alisters Training brach vollständig zusammen. Er sprang aus dem Gras hoch und rannte mit erstickten Schreien in der Kehle weg. „Ein Kaninchen“, meinte Geoffrey verächtlich. „Das reinste Kaninchen. Also ich, ich hab’ Onkel Jims Blut in mir, aber unser Alice, der hat alles von der Mutter.“ Er schoß noch einmal, und von Alisters Schuh flog der Absatz weg. Als Alister zu Boden stolperte, klatschte Cottrells flache Hand in Geoffreys Gesicht.

Geoffrey ging zwei Schritte zur Seite und blieb mit vor Schock geweiteten Augen stehen. Sein Gewehr hing an seinem schlaffen Arm. Er würde noch ein paar Jahre zu wachsen haben, bevor er es instinktiv heben würde.

„Den Namen dieses Verwandten wirst du nie wieder erwähnen!“ sagte Cottrell mit erstickter Stimme. „Mir gegenüber nicht, und jemand anders gegenüber auch nicht. Mehr noch, du wirst es als Integritätsverletzung betrachten, wenn jemand in deiner Gegenwart von ihm spricht. Ist das klar? Und was deine Phantasien über mich und Mr. Holland betrifft – wenn du das noch einmal erwähnst, dann wirst du lernen, daß es auch so etwas wie Integritätsverletzung unter Brüdern gibt!“ Er wußte jedoch, daß alles, was er jetzt noch sagen konnte, einem laut herausgebrüllten Geständnis gleichkäme. Er fühlte, wie die Krankheit der Nacht wieder seinen Körper durchlief, seine Muskeln in Pudding verwandelte und das Blut in seinen Ohren rauschen ließ.

Geoffreys Augen verengten sich zu Schlitzen, und sein Mund formte ein verächtliches Grinsen.

„Für einen Typ, der Armeen und Soldaten haßt, führst du dich aber ganz erstaunlich wie ein Feldwebel auf“, sagte er bitter. Er drehte sich um und ging weg, blieb aber dann stehen und drehte sich um. „Außerdem hätte ich dich erwischt, bevor du nur eine Patrone aus der Tasche gezogen hättest“, meinte er noch.

 

Geoffrey weiß Bescheid, ging es ihm immer wieder im Kopf herum. Geoffrey weiß Bescheid, und Mr. Holland hat mich erwischt. Wie viele wissen es noch? Wie ein ekelerregender Refrain jagten die Gedanken durch seinen Kopf, als er mit schnellen, unbeholfenen Schritten die Straße hinunterging. Die Kontrolle, die er sonst über alle Muskeln in seinem geschmeidigen Körper hatte, war durch den zusätzlichen Schock zerstört worden, den er auf dem Übungsgelände erhalten hatte.

Er stellte sich Jeff vor, wie er ihm von seinem Fenster dabei zusah, als er durch den Straßengraben kroch, und wie ihn das zum Kichern brachte. Wie viele andere von seinen Nachbarn hatten ihn in den vergangenen drei Jahren beobachtet? Er konnte das trockene Lachen von Mr. Holland geradezu hören. Als er darüber nachdachte, schien es ihm unglaublich, daß nicht der Zufall allein dafür gesorgt hatte, daß die ganze Gegend über sein schamloses Benehmen unterrichtet war.

Aber er konnte nicht davor weglaufen. Was er nun machen mußte, war, in den Club zu gehen, um die Gesichter der Männer dort zu beobachten, wenn sie ihn ansahen. Wenn sie ihn begrüßten, müßte er auf einen kleinen Teufel der Verachtung schauen, der sich in ihren Augen zeigen würde.

Der Schaft seines Karabiners klatschte gegen sein Bein, als er die Treppen zum Club hinaufging.

 

Er konnte sich nicht sicher sein, ob er es herausgefunden hatte. Als er in seinen gerade nachgefüllten Rumbecher sah, war ihm das mit einiger Klarheit deutlich geworden. Er konnte nicht abstreiten, daß ihn vielleicht eine seltsame Art von perversem Wunschdenken in das Zwinkern von Winter eine tiefere Bedeutung hineinlegen ließ oder ihn veranlaßte, den Unterton von Heiterkeit, der in Olsens Stimme immer vorhanden war, anders zu interpretieren. Wenn Lundy Hollis ein wenig verächtlicher als sonst grinste, dann hieß das wahrscheinlich nichts anderes, als daß der Mann in sich eine neue Qualität entdeckt hatte, die ihn in seinen Augen besser als seine Mitmenschen erscheinen ließ. Aber vielleicht, vielleicht … und er konnte niemals sicher sein, es gab weder eine Bestätigung noch ein Abstreiten.

Seine Hand schloß sich um den Becher, und er verbrannte sich den Mund beim Trinken. Die Bilder, die er von Barbara noch im Kopf hatte, gewannen mit jedem Schluck größere Klarheit.

„Hallo, mein Junge.“

Ach, du großer Gott! dachte er. Er hatte vergessen, daß Holland ein Clubmitglied war. Aber er war natürlich Mitglied, obwohl Cottrell nicht verstehen konnte, wie der alte Mann es fertigbrachte, nicht ausgeschlossen zu werden. Er sah zu, wie Mr. Holland in den gegenüberliegenden Sitz glitt und fragte sich, wieviel Gelächter wohl die Erzählungen des Mannes von den Ereignissen der letzten Nacht begleitet hatte.

„Guten Tag, Sir“, brachte er hervor, weil er sich daran erinnerte, daß er die notwendigen Umgangsformen einhalten mußte.

„Macht dir doch wohl nichts aus, wenn ich mit dir an einem Tisch trinke, oder?“

Cottrell schüttelte den Kopf. „Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite, Sir.“

Nun kam das Lachen, auf das Cottrell gewartet hatte. „Sag mal, mein Junge, du vergißt wohl deine vornehmen Reden auch nicht, wenn du was getrunken hast?“ Wieder lachte Mr. Holland.

„Vielleicht bin ich gestern abend ein bißchen wütend auf dich gewesen“, sagte er weiter. „Tut mir leid. Jeder hat das Recht, so zu leben, wie er es für richtig hält.“

Cottrell starrte wortlos in seinen Becher. Er hatte angefangen, aus dem Rum etwas Klarheit zu gewinnen, aber sie war wieder weg, als genüge der bloße Hauch der Gegenwart von Mr. Holland, ihn wieder kopfüber in das geistige Chaos zu stürzen, das sein Denken die ganze Nacht und fast den gesamten Tag erstickt hatte. Er war sich inzwischen nicht mehr sicher, ob Mr. Holland die Geschichte für sich behalten hatte; er war sich nicht mehr sicher, ob Geoffrey vielleicht nur geraten hatte … Er war sich überhaupt nicht mehr sicher.

„Jetzt hör mal zu, mein Junge …“

Jetzt kam die Erkenntnis, daß Mr. Holland sich zum erstenmal, seit er ihn kannte, auf ebenso unsicherem Boden wie er selbst befand. Er sah auf und bemerkte das flackernde Licht der Unsicherheit im Blick des Mannes.

„Ja, Sir?“

„Mein Junge – ich weiß nicht. Gestern abend habe ich versucht, mit dir zu reden, aber da waren wir wohl beide etwas aufgebracht. Meinst du, du könntest mir vielleicht heute eher zuhören? Besonders, wenn ich mir Mühe gebe, meine Worte richtig zu wählen?“

„Selbstverständlich, Sir.“ Soviel war das mindeste, was man an Höflichkeit verlangen konnte.

„Also, sieh mal – ich war ein Freund von deinem Onkel Jim.“

Sofort regte sich Cottrell auf. „Sir, ich …“ Er sagte nichts mehr. In gewisser Beziehung war er Mr. Holland verpflichtet. Wenn er es jetzt nicht sagte, dann würde er es eben später sagen müssen. „Tut mir leid, Sir. Bitte sprechen Sie weiter.“

Mr. Holland nickte. „Sicher, wir haben zusammen mit Berendtsen die Feldzüge gemacht. Das schmeckt einigen Leuten hier gar nicht. Aber es ist wahr, und es gibt einen Haufen Leute, die sich daran erinnern, also kann auch eigentlich nichts falsch daran sein, wenn ich es sage.“

Irgend etwas verzog Cottrells Mund reflexartig bei der Erwähnung der VA, aber er blieb ruhig.

„Wie hätte denn Ted sonst eine Zentralverwaltung für einen Haufen Bauern auf befestigten Höfen und einzelgängerische Nomaden einrichten sollen? Sie einzeln beim Damespielen abziehen? Wir haben eine Regierung gebraucht – und zwar schnell, bevor die Patronen für die Gewehre verbraucht waren und wir zu Speeren und Pfeil und Bogen hätten zurückkehren müssen.“

„Man hätte es aber nicht so zu machen brauchen, wie man es gemacht hat“, sagte Cottrell bitter.

Mr. Holland seufzte. „Wie denn sonst, zum Teufel noch mal. Woher weißt du außerdem so genau, wie sie es gemacht haben? Warst du dabei?“

„Mein Vater und meine Mutter waren dabei. Meine Mutter kann sich noch genau erinnern“, kam es von Cottrell wie aus der Pistole geschossen zurück.

„Allerdings“, sagte Mr. Holland trocken. „Dein Vater war dabei. Und deine Mutter hatte schon immer ein gutes Gedächtnis.

Weiß sie auch noch, warum sich dein Vater überhaupt hier niederließ?“

Cottrell runzelte wegen der seltsamen Andeutung über seinen Vater einen Moment lang die Stirn. „Sie weiß es noch. Sie weiß auch noch, daß mein Onkel die Gruppe angeführt hat, die ihre Familie ausgelöscht hat.“

Holland lächelte rätselhaft. „Komisch, wie sich die Sachen in der Erinnerung der Leute verändern“, murmelte er in sich hinein, redete aber dann lauter weiter. „So wie ich es gehört habe, kam ihre Familie aus Pennsylvanien. Was hatten die denn hier zu tun, warum besetzten sie Land in Jersey?“ Er lehnte sich nach vorn. „Hör mal zu, mein Junge, das Land hat niemandem gehört. Sie hätten es ja auch behalten können, wenn sie nicht zuviel Angst gehabt hätten, um uns zu glauben, als wir ihnen sagten, das einzige, was wir von ihnen wollten, sei, daß sie sich der Republik anschlössen. Auf jeden Fall hat deine Mutter dies alles nicht davon abgehalten, Bob zu heiraten.“

Cottrell holte tief Luft. „Sir, mein Vater hat nie unter Berendtsen gekämpft. Seine Integrität hat es ihm nicht erlaubt, von anderen Leuten Befehle anzunehmen oder für sie ihre Schlächterarbeit zu erledigen.“

„Aha“, sagte Mr. Holland. „Dein Vater hat gelernt, verdammt gut mit dem Gewehr umzugehen. Das mußte er wohl auch“, fügte er mit leiserer Stimme dazu. „Und ich nehme an, das mußte er in seinem Kopf irgendwie zurechtbiegen.

Dein Vater hat das Hausverteidigungssystem hier aufgebaut“, sagte er mit deutlicherer Stimme. „Da hat er sich wohl überlegt, daß ein gepanzerter Bunker seinen Besitz genauso schützen könnte, wie sein Gewehr ihn persönlich beschützt hat.

Das war auch keine schlechte Idee. Berendtsen hat das Land hier zwar vereinigt, aber so ganz gesäubert hat er es nicht. Soviel Zeit haben sie ihm nicht gegeben.“

Holland hörte auf zu reden, leerte seinen Becher, setzte ihn ab und wischte sich über den Mund. „Aber meinst du nicht, mein Junge, daß diese Zeit so langsam vorbei ist? Meinst du nicht, es sei an der Zeit, daß wir aus unseren Igelhäusern herauskämen – und aus dieser Igel-Integritäts-Sache?“

Mr. Holland legte seine Hände flach auf den Tisch und sah Cottrell fest in die Augen. „Meinst du nicht, daß es an der Zeit sei, daß wir die Vereinigung zu ihrem Ende bringen und eine Gemeinschaft herstellen sollten, in der ein Junge am hellichten Tag zum Haus seines Nachbarn rübergehen, an seine Tür klopfen und guten Tag zu einem Mädchen sagen kann, wenn er das will?“

Beim Zuhören hatten sich Cottrells Gefühle so sehr verwirrt, daß er keine von ihnen mehr greifen und einordnen konnte. Aber jetzt erreichten ihn Hollands letzte Worte, und er dachte wieder dran, was gestern nacht passiert war. Der Gedanke daran war wieder aufgedeckt und sein Ekel vor sich selbst mit ihm.

„Es tut mir leid, Sir“, sagte er steif. „Ich fürchte jedoch, über dieses Thema gehen unsere Ansichten auseinander. Das Haus eines Mannes ist seine Verteidigung, und seine und die Integrität seiner Familie ist es, die dieses Haus und seine Verteidigung stark und unverletzlich erhalten. Vielleicht sind andere Teile der Republik nicht auf dieses Prinzip gegründet, wie ich in letzter Zeit gehört habe, aber das Gesetz, nach dem wir hier leben, wurde für die Erfüllung dieser unabdingbaren Bestandteile der Freiheit entwickelt. Wenn wir dies alles aufgeben, dann kehren wir zu den Dreckigen Jahren zurück.

Und ich fürchte“, schloß er mit der Erinnerung an die Empörung, die er in der vergangenen Nacht gefühlt hatte, „daß ich trotz Ihrer zweifelhaften Bemühungen entweder Ihre Tochter in Ehren heiraten werde oder überhaupt nicht.“

Holland schüttelte seinen Kopf und lächelte in sich hinein, und Cottrell wurde es klar, wie dumm sein letzter Satz geklungen hatte. Trotzdem – auch wenn er sich gegen seine Impulse nicht wehren konnte, so kannte er doch den Unterschied zwischen richtig und falsch.

Holland stand auf. „Na gut, mein Junge. Dann bleib du eben bei deinem System. Nur – besonders gut scheint es ja für dich nicht zu funktionieren, oder?“

Und wieder drehte sich Mr. Holland herum und ging weg. Er ließ Cottrell zurück, der nichts sagen oder tun konnte, keine Grundlage für irgendeine Art von Sicherheit hatte. Es war so, als hätte Cottrell mit einem unbestimmten Alptraum zu kämpfen; eine dunkle und entsetzliche Silhouette, die ihm keine Angriffsfläche bot, die aber Fangarme und andere Auswüchse nach ihm ausstreckte, bis er ganz und gar verstrickt darin war – nur um dann wieder zu verblassen und ihn mit seinen Armen ein Nichts umklammern zu lassen.

Es war schlimmer, als es irgendeine Wut oder eine Beleidigung hätten sein können.

Als er durch den Club ging, waren seine Schritte nicht mehr sicher. Der Rum, den er getrunken hatte, hatte sich in Verbindung mit seiner schlaflosen Nacht wie ein Gewicht unten in seinem Schädel festgesetzt. Er wollte gerade die Tür öffnen, als ihm Charles Kitteredge die Hand auf den Arm legte.

Cottrell drehte sich herum.

„Hallo, Cottrell“, sagte Kitteredge.

Cottrell nickte ihm zu. Charles war sein Nachbar auf der von Mr. Holland abgekehrten Seite. „Hallo.“

„Du siehst ein bißchen müde aus“, bemerkte Charles.

„Bin ich auch, Charles.“ Er grinste als Antwort auf das Lächeln seines Nachbarn zurück.

„Wundert mich nicht, wenn du morgens um acht eine Alarmübung machst.“

Cottrell zuckte die Achseln. „Du weißt ja, man muß die Verteidigungsanlagen in Schuß halten.“

Kitteredge lachte. „Warum, um Himmels willen? Oder hast du nur für den Vierten geprobt?“

Cottrell runzelte die Stirn. „Also – natürlich nicht. Ich hab’ schon oft genug gehört, wie du Alarmübungen durchgeführt hast.“

Sein Nachbar nickte. „Klar – immer, wenn eins von den Kindern Geburtstag hat. Aber das meinst du doch nicht ernst – daß du wirklich eine total echte Sache abgezogen hast?“

Cottrell hatte Schwierigkeiten, seine Konzentration aufrechtzuerhalten. Er kniff die Augen zusammen und schüttelte leicht den Kopf. „Was ist denn los damit?“

Kitteredge war in seiner Stimme und seinem Benehmen ernster geworden. „Also, jetzt hör mal zu, Cottrell, seit fünfzehn Jahren gibt es nichts mehr, wogegen man sich verteidigen könnte. Da wir gerade davon sprechen, ich denke daran, meine Artillerie auszubauen und an die Miliz zu verkaufen. Die bieten einen vernünftigen Preis.“

Cottrell sah ihn verständnislos an. „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“

Auch Kitteredge sah ihn an. „Doch.“

„Aber das kannst du doch nicht. Sie würden außer MG-Schußweite bleiben und euch mit Mörsern und Feldgeschützen in Stücke hauen. Sie würden eure MG-Türme außer Gefecht setzen, unter Feuerschutz näher kommen und euch Handgranaten in den Wohntrakt werfen.“

Kitteredge lachte laut. Er schlug sich auf die Schenkel, und seine Schultern zuckten. „Wer, zum Teufel, ist ‚sie’?“ japste er. „Berendtsen?“

Cottrell spürte, wie der erste Hauch von Ärger die dämpfende Decke durchdrang, die sich um seine Gedanken gelegt hatte.

Kitteredge lachte ein letztes Mal. „Hör doch auf, Cottrell. Ich wollte es ja gar nicht erwähnen, aber das ganze Geknalle, was ihr heute morgen bei euch veranstaltet habt, hat mir eine von meinen Kühen praktisch ruiniert. Sie ist mit dem Kopf gegen einen Zaun gerannt. Das ist auch nicht das erste Mal, daß so etwas passiert ist. Der einzige Grund, warum ich noch nichts gesagt habe, ist der, daß es eurem Vieh wahrscheinlich genauso dreckig geht.

Sieh doch mal, Cottrell, wir können es uns einfach nicht leisten, unser Vieh nervlich fertigzumachen und unser Land zu vergiften. Solange dies der einzige Weg war, den man überhaupt beschreiten konnte, war das ja in Ordnung, aber das Feindseligste, was ich seit Jahren hier gesehen habe, war ein Hühnerhabicht.“

Der Hauch von Ärger war inzwischen zu einem echten Gefühl geworden. Cottrell merkte, wie sich etwas in seinem Magen festsetzte und seine Fingerspitzen zum Kribbeln brachte.

„Du verlangst also von mir, daß ich keine Alarmübungen mehr durchführe, sehe ich das richtig?“

Kitteredge hörte den leisen Anflug von Zorn in Cottrells Stimme und runzelte die Stirn. „Nein, nicht ganz, Cottrell. Nicht, wenn du nicht willst. Aber ich wünschte mir, du würdest sie dir für Feierlichkeiten aufheben.“

„Die Waffen in meinem Haushalt sind keine Feuerwerkskörper.“ Der Satz kam wie ein Peitschenhieb aus seinem Mund.

„Stell dich nicht so an, Cottrell!“

Cottrell war nun schon seit beinahe vierundzwanzig Stunden mit Situationen konfrontiert worden, für die sein Erfahrungsschatz keine Lösungen bereithielt. Er war verwirrt, frustriert und wütend. Der Karabiner sprang von seiner Schulter herunter und lag mit einer Geschwindigkeit und flüssigen Bewegung in seiner Hand, die sein Vater so lange mit ihm geübt hatte, bis sie außerhalb der Reichweite von Müdigkeit oder Alkohol war. Als er das Gewehr in der Hand hielt, wurde ihm erst klar, wie wütend er wirklich war.

„Charles Kitteredge, hiermit klage ich dich der versuchten Verletzung der Integrität meines Haushalts an. Lade und gib Feuer.“

Auch die Formel war Cottrell so in Fleisch und Blut übergegangen wie seine ganze Lebensart. Chuck Kitteredge wußte das so gut wie er selbst. Er wurde blaß.

„Bist du verrückt geworden?“ sagte eine neue Stimme, die aus einer Richtung leicht hinter und neben Charles kam. Cottrells überraschter Blick jagte kurz hinüber, und er erkannte Michael, den jüngeren Bruder von Kitteredge.

„Willst du ihm beistehen?“ fuhr Cottrell ihn an.

„Mensch, Cottrell, hör doch mal …“, begann Charles. „Das meinst du doch nicht ernst?“

„Steh deinen Mann oder dreh mir den Rücken zu.“

Cottrell! Ich hab’ doch nur …“

„Darf ich das so verstehen, daß du versuchst, deine Worte zu erklären?“

Michael Kitteredge bewegte sich nach vorn. „Was ist denn eigentlich los mit dir, Garvin? Lebst du noch in den Dreckigen Jahren oder was?“

Der Knoten von Wut in Cottrells Magen zog sich noch dichter zusammen. „Das ist mehr als genug. Ich hab’ dich schon mal gefragt: Willst du ihm beistehen?“

„Nein, das will er nicht!“ sagte Charles Kitteredge heftig. „Und ich will auch nicht kämpfen, hörst du? Was geht in deinem Kopf eigentlich für blödes Zeug vor? Die Leute fordern sich inzwischen nicht mehr bei dem leisesten Furz zum Duell heraus!“

„Das muß jeder für sich selbst entscheiden“, antwortete Cottrell. „Drehst du mir also den Rücken zu?“

Ein häßlicher roter Fleck erschien auf den Backenknochen von Kitteredge. „Eine Dreck werde ich.“ Sein Mund verkrampfte sich zu einem dünnen, weißen Strich. „Also gut, Cottrell, wer geht zuerst durch die Tür dort, du oder ich?“

„Niemand geht irgendwo hin. Du kämpfst, oder du drehst dich herum, wo du bist.“

„Hier, im Club? Du bist tatsächlich verrückt!“

„Du hast dir den Platz ausgesucht, nicht ich. Lade und gib Feuer.“

„Wir zählen also bis fünf“, sagte Kitteredge und griff nach dem Gurt seines Karabiners.

Cottrell hängte sich den Karabiner wieder über die Schulter. „Eins“, sagte er.

„Zwei.“ Er und Kitteredge zählten jetzt gemeinsam. „Drei.“ Wieder im Chor.

„Vier.“

„Fü…“ Cottrell hatte sich nicht mehr die Mühe gemacht, die Zahl laut zu nennen. Der Karabiner fiel in seine gekrümmten und wartenden Hände. Er zuckte einmal. Kitteredge wurde mitten in seinem letzten Wort unterbrochen und sank auf den Boden des Clubs.

Cottrell sah auf ihn herab und dann zurück auf Michael, der noch immer dort stand, wo er Cottrell ins Gesicht gesehen hatte.

„Willst du ihm beistehen?“ Cottrell wiederholte die Formel noch einmal. Michael schüttelte sprachlos den Kopf.

„Dann dreh dich um.“

Michael nickte. „Ich dreh mich herum. Klar, ich bin ein Feigling.“ Seine Stimme klang seltsam. Cottrell hatte schon vorher gesehen, daß Männer sich umgedreht hatten, aber es hatte nie so ausgesehen, als täten sie es aus freiem Willen. Außer natürlich Holland, fiel ihm plötzlich ein.

Cottrell sah auf Michaels breiten Rücken und hängte sich den Karabiner wieder über die Schulter. Er blieb an seinem Platz stehen. „Gut, Michael. Nimm deinen Toten mit in deinen Haushalt.“ Michael wuchtete sich die Leiche seines Bruders auf die Schulter. Nach dem Ritual hätte er den Jungen nun öffentlich einen Feigling nennen müssen, aber er tat es nicht. Seine nächsten Worte verrieten seinen Grund dafür. „Er war ein guter Freund von mir, Michael. Es tut mir leid, daß er mich dazu gezwungen hat, dies zu tun.“

 

Als er an Mr. Hollands Haus vorbei nach Hause ging, drehte er seinen Kopf nicht um, um zu sehen, ob in einem der Fenster noch Licht brannte. Er hatte die Integrität seiner Familie unverletzt gehalten. Er hatte einen anderen Mann dazu gezwungen, sich umzudrehen. Er wußte jedoch selbst nicht, ob er hoffte, Barbara würde verstehen, daß er es in gewissem Sinn getan hatte, um für sie Buße zu tun.

 

Zwei Tage später kamen Geoffrey und Alister fünf Minuten zu spät zum Essen. Geoffrey hatte große Augen und ein betäubtes Gesicht vor Schock, und Alister glühte vor einer berstenden inneren Freude. Erst als sich Geoffrey umdrehte, sah Cottrell, daß dessen linker Ärmel mit Blut getränkt war.

„Geoffrey!“ Cottrells Mutter stieß ihren Stuhl zurück und rannte zu ihm. Sie riß einen Erste-Hilfe-Kasten aus seiner Wandhalterung und begann, den Ärmel aufzuschneiden.

„Was ist passiert?“ fragte Cottrell.

„Ich habe heute meinen Mann erwischt.“

Seine Stimme war so betäubt wie sein Gesicht. „Obwohl er eigentlich von Rechts wegen Al hier gehörte.“ Ein Grinsen brach durch die Betäubung, und ein Sturzbach von Worten sprudelte aus ihm hervor, als der Schock durch die Verwundung sich in Hysterie verwandelte.

„Dieser verrückte Michael Kitteredge ist am Rande des Übungsgeländes auf einen Baum geklettert. Er hatte ein T-4 mit Zielfernrohr und sechs Zusatzmagazine. Der hat wohl den totalen Krieg geplant. Das erste, was ich gemerkt habe, war ein Gefühl, als würde mir jemand eine Baseballkeule auf die Schulter hauen, und da war ich auch schon unten, und um mich herum pflügten die Kugeln den Boden auf. Ich hab’ versucht, mit meinem Gewehr etwas zu machen – war aber nichts drin. Kitteredge muß geschielt haben oder so was – nach dem ersten Schuß hätte er mit einer Haubitze kein Scheunentor getroffen … so ein Schwachsinn, Zielfernrohr und Dauerfeuer … irgend jemand hätte ihn besser trainieren sollen. Und ich … ich bin jedesmal fast ohnmächtig geworden, wenn ich geschossen habe, wegen dem Rückschlag. Ein derartiges Gewehrduell zwischen zwei Blinden hab’ ich mein Lebtag noch nicht gesehen!

Auf einmal kommt Al aus der Senke, in der er einen sich wälzenden Elefanten imitiert hatte. Reißt sich seinen alten Vorderlader an die Schulter, als sei er in einem Wettbewerb für Tontaubenschießen, und fängt an, auf den Baum von Kitteredge loszuballern, als seien da oben nichts als Tauben! Ich kann euch sagen, wie ich das gesehen habe … das hätte mich beinahe eher umgebracht als die besten Schüsse von Kitteredge.

Also, der Typ war vielleicht verrückt, aber ein ganzes Magazin Weichblei konnte er trotzdem nicht ignorieren. Er reißt sein bescheuertes T-4 herum und zielt auf Al, und da hab’ ich meine Chance gesehen. Ich habe in aller Ruhe zielen können, und dann hab’ ich einen Glückstreffer auf einem der Blätter landen können, hinter denen er sich versteckt hatte. Er ist immer noch da draußen.“

Cottrell biß sich auf die Unterlippe. Michael Kitteredge!

„Hat er aus dem Hinterhalt auf euch geschossen?“

„Also, mit der Fahne hat er nicht gerade gewinkt!“

„Aber das ist ja eine Schande!“ rief Cottrells Mutter. Sie wickelte den Rest der Mullbinde um den Druckverband auf Geoffreys Oberarm.

Cottrell sah Alister an, der neben Geoffrey stand. Sein Gesicht glänzte noch immer. „Ist es so passiert, Alister?“ fragte er.

„Klar ist es so passiert!“ meinte Geoffrey indigniert. „Meinst du vielleicht, das hier sei ein Mückenstich?“

„Ihr wißt doch, was das heißt?“ fragte er ernst.

Geoffrey begann mit der Achsel zu zucken, fuhr dann zusammen, und sagte: „Ein kleiner Spinner, der sich übernommen hat.“

Cottrell schüttelte den Kopf. „Die Kitteredges sind vielleicht lax in ihrem Training, aber das hat Michael selbst am besten gewußt. Wenn er allein dort draußen war, dann wußte der Rest seines Haushalts vielleicht nichts davon, aber wenn sie es herauskriegen, dann müssen sie die Aktion unterstützen.“

„Dann ist das also eine Kriegserklärung“, sagte Alister plötzlich. Er imitierte in seinem Tonfall bewußt Geoffrey. „Wozu haben wir eigentlich die ganze Zeit geübt?“

Geoffrey riß seine Augen weit auf, und das versteckte Lachen lag wieder auf seinem Gesicht, als er seinen jüngeren Bruder ansah.

„Nicht dafür, einen Krieg anzufangen – oder uns in einen verwickeln zu lassen“, sagte Cottrell. „Sie sind vielleicht schlampiger im Umgang mit den Waffen als wir, aber ihre Panzerung ist genauso dick.“

„Was möchtest du denn tun, Cottrell?“ fragte seine Mutter. In ihrem feinen Gesicht zeigte sich Angst, und sie hatte ihre Hände erhoben, als wolle sie ihre Frage unterstreichen.

„Wir müssen die ganze Sache stoppen, bevor eine Lawine daraus wird“, sagte Geoffrey. „Das hab’ ich vorhin nicht kapiert, aber Cottrell hat recht.“

Cottrell nickte. „Wir müssen alle zu einer Versammlung zusammenrufen. Was man mit den Kitteredges anfangen kann, das weiß ich nicht. Vielleicht können wir uns alle zusammen etwas überlegen.“ Er schlug sich leicht mit der Faust auf den Schenkel. „Ich weiß es nicht. Das ist bis jetzt noch nie passiert. Aber die Kitteredges sind ja nicht die VA. Mit dem Problem werden wir nicht fertig, wenn wir einfach die Rolläden herunterlassen und als unabhängige Einheiten kämpfen. Das würde damit enden, daß die ganze Gemeinde sich gegenseitig bekämpft. Wir müssen gemeinsam handeln. Wenn die Gemeinde sich zu einem Block gegen sie verbündet, können wir den Kitteredges vielleicht zuvorkommen.“

„Die Gemeinde vereinigen!“ sagte seine Mutter mit großen Augen. „Meinst du, du schaffst das?“

„Ich weiß nicht, Mutter“, seufzte Cottrell. „Ich kann es wirklich nicht sagen.“ Er drehte sich wieder Alister zu. „Wir gehen jetzt zum Club hoch. Das ist der einzige natürliche Treffpunkt, den wir haben. Ich denke, du holst am besten den Kampfwagen heraus. Die Kitteredges haben vielleicht noch mehr Heckenschützen in ihren Reihen.“

Er holte sich seinen Karabiner aus dem Gewehrständer und folgte Alister, der in eifriger Geschäftigkeit zur Garage geeilt war.

„Ich gehe mit dir“, sagte Geoffrey. „Für die Waffen im Turm braucht man nur einen Arm.“

Cottrell sah ihn unentschlossen an. Schließlich sagte er: „Na gut. Man weiß nie, was die Kitteredges auf der Straße so vorhaben.“ Er drehte sich um und sagte zu seiner Mutter: „Ich glaube, es wäre ratsam, den Haushalt auf die Gefechtsstationen zu berufen.“ Sie nickte, und er ging zur Garage hinunter.

Die Straße war frei. Sie leuchtete weiß im Sonnenlicht des frühen Nachmittags. Die Reifen des Panzerwagens holperten über die Spurrillen, die Lastwagen in die Straße eingegraben hatten, und ein Teil von Cottrell machte sich Gedanken, weil Geoffrey im Turm eingeschlossen war. Er sah durch die oberen Sehschlitze nach oben und konnte erkennen, wie das 35mm-Zwillingsgeschütz sich stetig gegen den Uhrzeigersinn drehte.

Wo hat es angefangen, und was hat es ausgelöst, dachte er mit dem größten Teil seines Bewußtseins. Die Kette der jüngsten Ereignisse bildete sich plötzlich klar ab. Von dem Augenblick an, als Mr. Holland ihn entdeckt hatte, in dieser Nacht vor vier Tagen, war Ereignis auf Ereignis so deutlich und unausweichlich gefolgt, als sei alles vorher geplant gewesen.

Wenn er nicht durch sein Treffen mit Mr. Holland aufgeregt gewesen wäre, dann hätte er am nächsten Morgen keine Alarmübung abgehalten. Wenn er Barbara nicht an ihrem Fenster gesehen hätte, dann hätte Geoffrey nichts gehabt, womit er ihn ärgern konnte, und die Angst vor Entdeckung hätte ihn nicht in den Club getrieben. Wenn er nicht getrunken hätte, dann hätte Mr. Hollands Erwähnung von Onkel James nicht so geschmerzt. Hätte keine Übung stattgefunden, dann hätte er sich auch nicht mit Charles Kitteredge gestritten. Und selbst wenn er die Übung hätte durchführen lassen, wäre seine Wut über die Äußerungen von Kitteredge nicht dermaßen groß gewesen, weil er normalerweise keinen Groll aus dem Gespräch mit Mr. Holland mitgebracht hätte.

Denn es war wahr, er war wütend gewesen. Wäre er das nicht gewesen, dann würden Charles und Michael jetzt nicht tot sein, und er und sein Bruder säßen jetzt nicht hier in dem Wagen, um eine Flut von Gewalt einzudämmen, die die gesamte Gemeinde zu überschwemmen drohte. Für seinen Ärger war aber nicht er verantwortlich gewesen. Eine Integritätsverletzung blieb eine Integritätsverletzung, ganz gleich, wie der verletzte Teil sich persönlich fühlte.

Wo aber hatte wirklich alles angefangen? Wenn seine Mutter ihn Barbara jemals vorgestellt hätte – wäre dann irgend etwas von alldem passiert?

Diese Möglichkeit verwarf er. Seine Mutter hatte in Übereinstimmung mit dem Gesetz gehandelt, das sein Vater und andere freie Männer entwickelt hatten, die sich in der Gegend niederließen. Und das Gesetz war ein gutes Gesetz. Es hatte das Farmland frei und friedlich gehalten. Kein Mann hatte das Joch eines anderen getragen – bis Charles Kitteredge das Gesetz gebrochen hatte.

Während er so in Gedanken versunken war, lenkte er den Wagen von der Straße herunter und hielt vor dem Club an.

 

Der Balkon des Clubs war schon gedrängt voll mit Männern. Als er aus der Luke kletterte, sah er, daß alle Familien der Gemeinde außer den Kitteredges vertreten waren. Olsen, Hollis, Winter, Jordan, Park, Jones, Cadell, Rome, Lynn, Williams, Bridges – sie waren alle da. Sogar Mr. Holland stand nahe der Mitte des Balkons. Sein faltiges Gesicht war ernster, als es Cottrell jemals zuvor gesehen hatte.

Er ging auf sie zu. Die Neuigkeit hatte sich sehr schnell verbreitet. Er erinnerte sich daran, daß viele Haushalte inzwischen Funkgeräte hatten. Er hatte bisher noch keinen Sinn darin gesehen. Wahrscheinlich würde er sich ebenfalls eines besorgen müssen. Wenn die Familien sich enger zusammenschlossen, war eine schnelle Nachrichtenverbindung eine nützliche Sache.

„Das ist weit genug, Garvin!“ Er blieb stehen und starrte zu den Männern auf dem Balkon hoch. Lundy Hollis hatte sein Gewehr angehoben.

Cottrell runzelte die Stirn. Zwei andere Gewehre in der Menge hoben sich in seine Richtung.

„Ich verstehe das nicht“, sagte er.

Hollis grinste verächtlich und schnaubte. Er sah an Cottrell vorbei den Wagen an. „Wenn jemand in deiner Karre irgend etwas probieren sollte, dann haben wir ein kleines Geschenk für ihn.“

Die Männer auf dem Balkon traten nach zwei Seiten auseinander. Zwei Männer kauerten in der Tür. Einer hielt mit ruhiger Hand einen Panzerabwehr-Raketenwerfer auf seiner Schulter, und der andere, der die Rakete schon eingeführt hatte, stand bereit, durch ein Tippen auf den Kopf das Signal zum Feuern zu geben.

„Ich frage noch einmal …“

„Sieht so aus, als hättest du die Gemeinde vereinigt, mein Junge“, sagte Mr. Holland. „Gegen dich.“

Cottrell spürte, wie das vertraute Gefühl der Wut sich in Wellen durch seinen Körper ausbreitete. „Gegen mich? Warum?“

Ein Chor von rauhem Gelächter war die erste Antwort.

„Wie war das mit Chuck Kitteredge?“ fragte Hollis.

Charles Kitteredge! Das war eine Integritätsaffäre!“

„So? Wessen – deine oder seine?“ fragte Hollis.

„Genau, und was ist mit Michael Kitteredge?“ brüllte jemand aus der Menge heraus. „War das vielleicht auch eine Integritätsaffäre?“

„Wie steht es denn mit deinen beiden Brüdern, die den Jungen aus einem Baum geschossen haben?“ wollte jemand anders wissen.

„Geoffrey sitzt hier im Wagen mit einem verwundeten Arm!“ brüllte Cottrell zurück.

„Aber Mike Kitteredge ist tot!“

Ein Stimmengewirr entstand. Das Geräusch erreichte Cottrells Ohren, und er kauerte sich nieder und ballte die Fäuste. Der Knoten von Wut in ihm brach in seiner Antwort heraus.

„Na gut“, brüllte er. „Na gut! Ich bin hierhergekommen, weil ich euch darum bitten wollte, mit mir zusammen die Kitteredges aufzuhalten. Wie ich sehe, waren sie zuerst hier. Na gut! Dann nehmen wir es eben allein mit ihnen auf, und ihr könnt alle zum Teufel gehen!“

Irgendwie kam Mr. Hollands ruhige Stimme durch den Sturm von Antworten, die von dem Balkon herabprasselten. „So einfach ist das nicht. Als ich sagte ‚gegen dich’, habe ich das auch so gemeint, verstehst du. Hier geht es nicht darum, daß sie dir nicht helfen wollen – es geht darum, daß sie in zwei Stunden damit beginnen, euer Haus mit Artilleriefeuer zu belegen, ob ihr darin seid oder nicht.“

„Nein!“ Das Wort brach aus ihm heraus, und sogar er selbst war zunächst unfähig zu sagen, was darin mitschwang. Es war weder ein Befehl noch der Ausdruck einer Tatsache oder von Erstaunen. Es war einfach ein Wort, und er wußte besser als jeder andere, wie wirkungslos es war.

„Also wäre es das beste, wenn du deine Familie dort herausholst, mein Junge.“ Die anderen Männer auf dem Balkon waren still geworden. Sie alle beobachteten Cottrell – abgesehen von den beiden Männern am Raketenwerfer, die alles außer dem Panzerwagen ignorierten.

Mr. Holland kam vom Balkon herunter und ging auf ihn zu. Er legte ihm die Hand auf die Schulter. „Laß uns zurückfahren, mein Junge. In meinem Haus ist noch eine Menge Platz für deine Familie.“

Cottrell sah noch einmal zu den Männern auf dem Balkon hoch. Sie waren völlig still und starrten ihn an, als sei er eine seltsame Menschenart, die sie noch nie zuvor gesehen hatten.

Er schüttelte sich. „In Ordnung.“

Mr. Holland kletterte durch die Luke, und Cottrell folgte ihm. Er knallte sie hinter sich zu und setzte sich auf den Fahrersitz. Er gab Gas, blockierte die linken Hinterräder und zog den Wagen herum. Dann gab er Vollgas, und der Panzerwagen fuhr mit röhrendem Motor, eine Staubwolke hinter sich zurücklassend, die Straße hinunter.

„Das meiste hab’ ich gehört, Cottrell“, ertönte Geoffreys gepreßte und bittere Stimme aus der Gegensprechanlage. „Sehen wir zu, daß wir so schnell wie möglich zum Haus zurückkommen. Wir können denen eine Tonne Splitterbomben auf den Balkon hindonnern, bevor sie überhaupt wissen, was gespielt wird.“

Cottrell schüttelte den Kopf, bis es ihm einfiel, daß Geoffrey ihn nicht sehen konnte. „Inzwischen sind die alle weg, Jeff. Die haben sich in ihre Häuser begeben und machen sich bereit.“

„Dann beschießen wir eben die Häuser“, sagte Alister, der in der Kuppel des Wagens hinter dem MG saß.

„Ihr hättet keine Chance, mein Junge“, sagte Mr. Holland.

„Er hat recht. Die haben uns in der Zwickmühle“, stimmte Cottrell zu.

Was war bloß mit dem Gesetz geschehen? Sein Vater hatte danach gelebt. Alle Menschen in der Gemeinde hatten danach gelebt. Er selbst hatte danach gelebt – er unterbrach sich. Er hatte versucht danach zu leben und war gescheitert.

Cottrell stand in dem Hof vor Mr. Hollands Haus. Er hatte anderthalb Stunden von der Zeit, die Hollis ihm gegeben hatte, dazu gebraucht, zu seinem Haus zurückzufahren, ein paar Habseligkeiten zu packen und diese und seine Familie zum Haus von Mr. Holland zu bringen. Ein seltsames, unbehagliches Wiedersehen zwischen Mr. Holland und seiner Großmutter hatte stattgefunden. Gerade eben hatte er seine Mutter geküßt und seine Hand gehoben, als sie sich zur Tür zurückwandte. „Mir passiert schon nichts, Mutter“, sagte er. „Da gibt es noch ein paar Sachen, um die ich mich kümmern muß.“

„Ist gut, mein Sohn. Bleib nicht zu lange.“

Er nickte, obwohl sie schon hineingegangen war.

Geoffrey und Alister waren schon vor ihr ins Haus gegangen, um sich um die Großmutter und die kleinen Kinder zu kümmern. Alister würde es schon schaffen. Er hoffte, daß Geoffrey nicht schon zu alt war, um sich der neuen Lage anzupassen.

Mr. Holland kam heraus.

„Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, daß Sie uns aufgenommen haben“, sagte Cottrell zu ihm.

Mr. Hollands Gesicht verdüsterte sich. „Das bin ich euch schuldig, mein Junge. Ich denke dauernd, daß dies nicht passiert wäre, wenn ich dich nicht so aufgeregt hätte.“

Cottrell schüttelte den Kopf. „Nein. Auf die eine oder andere Art wäre es sowieso passiert. Heute kann man das ziemlich leicht erkennen.“

„Kommst du rein, Cottrell? Ich möchte dich meiner Tochter vorstellen.“

Cottrell sah zur Sonne empor. Nein, ihm blieb nicht genug Zeit.

„Ich bin gleich zurück, Mr. Holland. Da gibt es noch ein paar Kleinigkeiten zu bereinigen.“

Holland sah über das niedrige Dach von Cottrells Haus, das kaum zu erkennen war. Von der anderen Seite her raste eine kleine Staubwolke darauf zu. Er nickte. „Ist klar, ich sehe, was du meinst. Na, da beeilst du dich am besten. Mehr als ungefähr zwanzig Minuten bleiben dir nicht.“

Cottrell nickte. „Bis später.“ Er ließ seinen Karabiner in seine Hand fallen und trabte über den Hof. Jetzt brauchte er sich ja um den Hund nicht mehr zu kümmern. Er kämpfte sich durch das Gebüsch, bis er sich gerade unter dem Kamm eines Hügels befand, von dem aus man das Haus überblicken konnte. Er legte sich in dem hohen Gras flach auf den Boden und robbte nach vorn, bis Kopf und Schultern über den Hügelkamm ragten, zugleich aber noch vom Gras verborgen wurden.

Er hatte recht gehabt. Dort waren drei Männer, die gerade aus einem leichten Kampfwagen kletterten.

So etwas waren unsere Großeltern, dachte er. Plünderer! Er legte den Sicherungshebel um. Und unsere Eltern hatten ein Gesetz. Seine Brüder hatten jetzt eine Gemeinschaft. Aber ich bin mein ganzes Leben einem einzigen Weg gefolgt, und ich glaube, ich habe Integrität.

Er schoß, und einer der Männer griff sich an den Bauch und fiel zu Boden.

Die beiden anderen fuhren auseinander. Ihre eigenen Gewehre hielten sie in der Hand. Cottrell lachte und warf mit ein paar Schüssen Dreck in ihr Gesicht. Als der Dreck in seine Augen flog, hob einer unwillkürlich seine Schulter. Cottrell schoß wieder, und die Schulter sank zu Boden. Vielen Dank für diesen Trick, Jeff.

Der andere Mann schoß zurück. Er verbrauchte ein halbes Magazin, um das Gras einen halben Meter rechts von Cottrell umzumähen. Cottrell glitt unter die Kuppe, rollte sich ein Stück weiter und kam drei Meter von seinem alten Standort wieder hoch.

Der verbliebene Mann bewegte sich unten am Haus. Cottrell setzte ihm eine Kugel drei Zentimeter über den Kopf.

Es blieben ihm noch ungefähr zehn Minuten. Na ja, wenn er den Mann festnagelte, dann würde die erste Salve die Angelegenheit ebenso gründlich erledigen wie der beste Schuß aus seinem Karabiner.

Der Mann bewegte sich wieder – ein wenig verzweifelt dieses Mal –, und Cottrell zupfte mit einem Schuß an seinem Ärmel.

Fünf Minuten noch, und der Mann bewegte sich wieder. Er rief etwas. Cottrell dreht seinen Kopf, um das Sausen des Windes auszublenden, konnte aber die einzelnen Worte nicht verstehen. Er zwang den Mann wieder herunter in die Deckung.

Als ihm noch eine Minute Leben blieb, versuchte der Mann einen Ausbruch. Er sprang plötzlich auf und rannte von dem Wagen weg, und daher verfehlte Cottrell ihn auch. Als der Mann zurückrannte, schoß er ihn in das Bein.

Verdammt! Jeff hätte das besser gemacht!

Der Mann kroch zurück zu dem Wagen.

Drüben bei den Kitteredges waren die ersten Mündungsblitze zu sehen, und der Kanonendonner rollte über die Hügel.

Cottrell schoß dem kriechenden Mann durch den Kopf.

Er hatte recht gehabt. Die Kitteredges schossen schlecht. Die erste Salve ging hundert Meter zu weit nieder – auf den Hügelkamm, auf dem er mit seinem Gewehr in der Hand stand.