Erwartungen klar formulieren, sich Respekt verschaffen

Sehr selbstbewusste Persönlichkeiten überschreiten gerne mal Grenzen und bereiten anderen damit Schwierigkeiten. Ihnen gegenüber gilt es, Klartext zu reden, um auf Augenhöhe zu kommen.

Beispiel: Langjährige Erfahrung versus schneller Aufstieg

Friedbert Hausmann ist Techniker in einem Unternehmen, das technische Produkte für die Industrie herstellt. Vor einem Monat hat er seine 25-jährige Betriebszugehörigkeit gefeiert. Das Unternehmen ist seine zweite Heimat geworden, in der Hausmann sich auskennt und wohl fühlt. Aufgrund seines hervorragenden Fachwissens, seiner langjährigen Erfahrung und Loyalität hat man ihn vor vier Monaten im Zuge einer Umstrukturierung zum Gruppenleiter einer sechsköpfigen Mannschaft gemacht. Fünf Mitarbeiter sind seine ehemaligen Kollegen, ein Mitarbeiter kam vor ca. einem Jahr neu ins Unternehmen und wurde ihm im Rahmen der Umstrukturierung zugeteilt.

Friedbert Hausmann hat seit seiner Ernennung zum Vorgesetzten nichts Wesentliches verändert. Er arbeitet weiterhin in erster Linie an seinen Fachaufgaben und erledigt die Formalitäten, die zu seiner Führungsrolle gehören. Mit seinen alten Kollegen kommt Hausmann nach wie vor bestens aus. Nur der Neue, Martin Reitberger, der um einige Jahre jüngere und studierte Kollege, bereitet Hausmann Magenschmerzen. Er ist ein Einzelkämpfer, sehr engagiert, aber auch immer wieder auf Konfrontation aus. Seine Alleingänge und seine herausfordernde, manchmal überhebliche Haltung ihm gegenüber kann Hausmann nicht länger dulden. Auch die Kollegen beschweren sich schon über Reitbergers mangelnde Teamfähigkeit. Es ist an der Zeit, mit dem Neuen zu reden.

Die Persönlichkeiten und ihre Motive

Aus Sicht des loyalen Experten

Friedbert Hausmann hält es ohne Probleme lange an einem Ort aus, an dem die Rahmenbedingungen und die zwischenmenschliche Atmosphäre stimmen. Seine Aufgaben erledigt er immer gewissenhaft, seine Vorgesetzten waren bislang stets zufrieden. Für die Kollegen ist er ein ruhender Pol, zu dem sie immer mit ihren Fragen und ihrem Kummer kommen können. Sein Verhaltensstil ist introvertiert und sowohl von Sach- als auch von Menschenorientierung geprägt.

Als man Hausmann die Führungsposition antrug, konnte er kaum ablehnen, hätte sich selbst aber aufgrund seiner Zurückhaltung nie auf die Stelle beworben. Er fühlt sich in dieser Vorgesetztenrolle nicht sonderlich wohl. Er ist niemand, der anderen sagt, wo es langgeht oder der der Geschäftsführung die großen Strategien vorschlägt. Friedbert Hausmann ist eher der Routinier und Umsetzer, der in Ruhe seine Arbeit erledigen möchte. Dass er als Führungskraft anders agieren müsste, weiß er, doch er kann sich nur schwer von seinen Gewohnheiten lösen. Bezüglich mancher Vorgehensweisen, wie z. B. einem Mitarbeitergespräch, ist er unsicher. Er hat so etwas noch nicht gemacht und bräuchte einen Leitfaden oder zumindest einige Informationen über die Struktur eines solchen Gesprächs.

Martin Reitberger stellt ihn vor eine besondere Herausforderung, da dieser alles sofort entschieden haben will und ihn spüren lässt, dass er überzeugt davon ist, selbst die bessere Führungskraft zu sein. Friedbert Hausmann muss, obwohl er sich bei dem Gedanken absolut unwohl fühlt, das Gespräch mit Reitberger suchen, um ihm Grenzen zu setzen und ein angenehmeres Arbeitsklima im Team herzustellen.

Aus Sicht des ehrgeizigen Neulings

Der extravertierte und sachbezogene Martin Reitberger arbeitet hart und hatte sich, als die Umstrukturierung bekannt wurde, Hoffnungen auf den Teamleiterposten gemacht. Schließlich verfügt er über einige Jahre Berufserfahrung und hat das Zeug zur Führungskraft. Als seine Bewerbung abgelehnt wurde, war er sehr wütend. Friedbert Hausmann ist für ihn zwar ein guter Fachmann, aber sicher keine Führungskraft. Manche seiner Vorgehensweisen hält er für umständlich, Entscheidungen dauern ihm zu lange und Hausmanns kritische Haltung bremst aus seiner Sicht Neuerungen. Diesen Chef noch lange vor der Nase zu haben, ist für Martin Reitberger eine ziemlich unerträgliche Vorstellung.

Worin liegt das Konfliktpotenzial?

Mit dem loyalen Fachmann und dem ehrgeizigen Karrieretyp treffen in vielen Aspekten Gegensätze aufeinander:

  • Hausmann agiert vorsichtig und nur dann, wenn er sich sicher ist, das Richtige zu tun; Reitberger braucht schnelle Entscheidungen und nimmt Risiken in Kauf.

  • Eine herausragende Position mit vielen Freiheitsgraden und vernünftiger Entlohnung sind für Reitberger selbstverständlich. Hausmann legt dagegen Wert auf ein gutes Arbeitsklima, Vertrauen und langfristige Sicherheit. Er muss nicht der große Steuermann sein, sondern möchte einfach nur ordentliche Ergebnisse abliefern.

  • Der junge Kollege aber will Vollgas geben und auf dem Siegerpodest stehen – und am besten auf die anderen herabschauen. Hausmann empfindet das als wenig wertschätzend. Für ihn tragen alle zum Gelingen bei, das Team ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Umso schwieriger ist es für ihn, dass Reitberger sich so ablehnend bzgl. einer harmonischen Zusammenarbeit zeigt.

Wichtig

Aus Sicht des extravertierten Machers haben Introvertierte weder die Power noch das Standing, Dinge voranzutreiben und durchzusetzen. Entscheidungsprozesse dauern zu lange, wichtige Neuerungen werden nicht eingeführt. Persönlichen Erfolg zu haben, ist dem sachorientierten Karrieretyp wichtiger als eine gute Stimmung im Team.

So könnte es besser funktionieren

Sich bewusst machen, was wie erreicht werden soll

Friedbert Hausmann besorgt sich Informationen über ein professionelles Mitarbeitergespräch von der Personalabteilung. Er möchte auf das Gespräch mit Martin Reitberger gut vorbereitet sein und keine Fehler machen. Vorher überlegt er sich genau, was er erreichen will, welche Inhalte er ansprechen muss und welche Beispiele oder Argumente er zur Untermauerung seiner Aussagen nennen kann. Er erarbeitet eine logische Struktur und legt Rahmenbedingungen fest. Da Martin Reitberger ein überwiegend rational agierender Mensch ist, tut Friedbert Hausmann gut daran, auf der Sachebene zu argumentieren, logische Begründungen für Entscheidungen zu liefern und Klartext zu reden.

Hausmann bittet Reitberger zum Gespräch, indem er sagt: „Herr Reitberger, wie Sie wissen, stehen in den nächsten zwei Wochen die Mitarbeitergespräche an. Ich schlage den kommenden Montag, 15:00 Uhr, für unser Gespräch vor. Ich lasse den Besprechungsraum für uns reservieren. Planen Sie bitte zwei Stunden Zeit ein, damit wir unsere bisherige und künftige Zusammenarbeit intensiv besprechen können.“

Die innere Haltung überprüfen

Hausmann überdenkt seine innere Haltung. Er weiß, dass er nicht die geborene Führungskraft ist. Dennoch hat er die Dinge in seiner neuen Rolle im Griff. Schließlich wird er von anderen als kompetenter und vertrauenswürdiger Chef geschätzt. Seinem jungen Mitarbeiter gegenüber darf er also selbstbewusst auftreten. Hausmann macht sich vor dem Gespräch seine Stärken bewusst und nimmt sich vor, seine Ziele zu erreichen.

Möglichkeiten und Grenzen klar formulieren

Im Gespräch achtet Hausmann darauf,

  • kurze, prägnante Aussagen zu treffen (ohne Umschweife, Weichmacher oder Konjunktive),

  • deutlich anzusprechen, was ihn an Reitbergers Verhalten gestört hat,

  • klare Erwartungen zu formulieren,

  • seinem Mitarbeiter für die Zukunft Grenzen zu setzen,

  • konkrete Vereinbarungen zu treffen.

Da Hausmann sich bewusst ist, dass er i. d. R. eine zurückhaltende Körpersprache zeigt, bemüht er sich ergänzend um

  • direkten Blickkontakt, v. a. beim Äußern von Kritik und Erwartungen,

  • eine aufrechte, zugewandte Körperhaltung, eher vorne am Tisch,

  • den Inhalt unterstützende Gestik sowie

  • eine feste, klare Stimme.

Verantwortung übertragen, Ergebnisse kontrollieren, Akzeptanz erlangen

Schließlich geht es noch darum, dem ehrgeizigen jungen Kollegen eine Rolle zu übertragen, in der er gefordert ist und seine Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen kann. Hausmann überträgt ihm also eine Projektleiterrolle, in der er Verantwortung – auch für Projektmitarbeiter – übernehmen kann und gleichzeitig über Entscheidungsfreiheit verfügt. In dieser Aufgabe kann er sich erst einmal profilieren. Es ist wichtig, einem ehrgeizigen, zielstrebigen Menschen ohne disziplinarische Verantwortung andere Schlüsselpositionen und Verantwortungsbereiche zu übertragen, in denen er einen wichtigen Beitrag für das Unternehmen leisten kann. So dürfte der Konkurrenzkampf etwas eingedämmt sein. Nichtsdestotrotz sollte Hausmann über den Fortschritt und die Ergebnisse des Projekts seines Mitarbeiters informiert sein, um ggf. eingreifen zu können. Hausmann darf während des Gesprächs (und auch sonst) keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass er der Chef ist. Es muss erreichen, dass sein Mitarbeiter ihn als Vorgesetzten akzeptiert.

Checkliste: Auf Augenhöhe mit selbstbewussten, sachorientierten Persönlichkeiten
  • Machen Sie sich Ihre Stärken bewusst, dann strahlen Sie mehr Selbstsicherheit aus.
  • Wichtig sind eine aufrechte Haltung, ein fester Händedruck, direkter Blickkontakt und eine forsche Stimme.
  • Seien Sie überzeugt von dem, was Sie sagen.
  • Lassen Sie Ihre Ernsthaftigkeit erkennen (in Mimik, Stimme, Worten).
  • Bleiben Sie auf der Sachebene.
  • Formulieren Sie kurze, prägnante Aussagen.
  • Vermeiden Sie Konjunktive oder Füllwörter wie z. B. „vielleicht“, „eventuell“, „irgendwie könnte man“.
  • Nennen Sie nachvollziehbare Argumente.
  • Stellen Sie einen Nutzen dar.
  • Treffen Sie möglichst schnell Entscheidungen.
  • Sagen Sie deutlich, was für Sie geht und was nicht geht.
  • Treffen Sie klare Vereinbarungen.