Druck rausnehmen, Widerstände aufbrechen
Extrem extravertierte Menschen neigen dazu, sehr schnell zu entscheiden und zu handeln, weil ihnen daran gelegen ist, voranzukommen und etwas zu bewegen. In der Zusammenarbeit mit eher Introvertierten, die alles langsamer und sorgfältiger angehen wollen, führt dies oft zu Schwierigkeiten.
Beispiel: Delegation versus Diskussion
Iris Neubauer ist Filialleiterin eines Drogeriemarktes. Der Laden liegt zentral in einem Stadtgebiet. Um genügend Kundschaft müssen sie und ihr kleines Team nicht bangen. In Iris Neubauers üblicher Montagmorgenbesprechung mit ihren Mitarbeiterinnen herrscht heute eine angespannte Stimmung – steht doch in dieser Woche besonders viel auf dem Programm: Eröffnung der erweiterten Parfümerieabteilung, Sonderaktionen und die neue Auszubildende beginnt heute in der Filiale.
Normalerweise nimmt sich Iris Neubauer immer Zeit für ihre Mitarbeiterinnen, etwa um am Montagmorgen zu erfahren, was sie am Wochenende erlebt haben, und auch, um ihr eigenes Bedürfnis nach Kontakt und Kommunikation zu stillen. Doch heute steht sie unter Strom. Im Eiltempo geht sie die Aufgaben für die kommenden Tage durch, verweist auf Arbeitsaufträge, die sie vergangene Woche zwischen Tür und Angel ansprach: „Ihr wisst, diese Woche wird es heftig. Karin, deine Hauptaufgabe ist es, gezielt Kundinnen anzusprechen, um sie auf den neuen Bereich aufmerksam zu machen. Außerdem musst du dort noch den Sonderposten deutlicher kennzeichnen – das hatten wir doch besprochen!? Ach ja, und die Azubine – du kümmerst dich doch um sie? Ich hab' einfach keine Zeit dazu.“ Karin Klein verzieht fast unmerklich das Gesicht und murmelt ein „Hmm“, doch ihre Chefin ist schon bei der nächsten Mitarbeiterin, ohne eine Antwort oder eine Frage von Karin Klein abzuwarten.
„Moni, es kommen diese Woche noch weitere neue Produkte. Der Lagerraum muss anders aufgeteilt werden. Ich finde sowieso, dass da endlich etwas passieren muss. Und die Produktkörbe vor dem Laden – da ist mir übers Wochenende noch was Besseres eingefallen.“ „Aber die hab' ich doch gerade erst aufgebaut?!“, entgegnet Monika Sauer entsetzt. „Dann musst du das halt wieder ändern!“, kommt knapp als Antwort.
Die Persönlichkeiten und ihre Motive
Aus Sicht der treibenden Chefin
Iris Neubauer ist einen stressigen Job gewöhnt und kann viel aushalten, schließlich sind ihr gute Ergebnisse und ihre Karriere wichtig. Als sie die Filiale vor einem Jahr übernommen hat, lag so manches im Argen. Inzwischen sind die Zahlen aber mehr als zufriedenstellend. Für Iris Neubauer sind Spaß und Teamwork durchaus wichtig, aber sie kann ihren Mitarbeiterinnen auch ordentlich Dampf machen.
Negatives deutlich anzusprechen, gehört in diesem Zusammenhang ebenfalls zur Tagesordnung. Wenn die anderen so gar nicht ihre Vorgehensweisen oder Entscheidungen verstehen wollen, wird sie manchmal auch hektisch und laut. Dann geht ihre Ungeduld mit ihr durch und ihr mangelndes Verständnis für andere, die nicht so ticken wie sie, wird deutlich. Dass Iris Neubauer dadurch ihre Mitarbeiterinnen ordentlich vor den Kopf stößt und deren Widerstand hervorruft, ist ihr bislang nicht bewusst. Solange die Kolleginnen schweigen, ist doch alles in Ordnung – meint sie. Wegen der fehlenden Ruhe und Empathie ist auch die Auszubildenden-Betreuung so gar nicht Iris Neubauers Ding. Sie braucht billige und fleißige Arbeitskräfte für ihren Laden. Aber für lange Erklärungen hat sie keine Zeit – die Dinge müssen ja vorangehen. Auf ihre Kreativität und ihre spontanen Einfälle ist Iris Neubauer sehr stolz, kann sie dadurch doch so manchen Kunden zusätzlich anlocken. Iris Neubauer kann als extravertierte Person bezeichnet werden, die sowohl sach- als auch menschenbezogen agieren kann. In stressigen Phasen liegt jedoch der Fokus klar auf der Zielerreichung, also der Sachebene.
Aus Sicht der menschorientierten Mitarbeiterin
Die eher introvertierte und beziehungsorientierte Karin Klein ist schon länger in der Filiale als ihre Chefin. Sie liebt die Arbeit mit Menschen, ist selbst ein Familienmensch. Sie braucht ein harmonisches Arbeitsumfeld und geht verständnisvoll auf die Bedürfnisse der Kunden ein. Auf die Betreuung der Auszubildenden freut sie sich schon sehr, aber ihr ist unklar, welche Aufgaben sie ihr konkret übertragen und wie sie gleichzeitig noch all ihre eigenen Aufgaben erfüllen soll.
„Die Chefin macht's sich wieder einfach“, denkt sie. Und die Abfuhr mit dem Sonderposten hat sie sehr verletzt. Sie hat das Gefühl, nie etwas richtig zu machen und vermisst es, mal gelobt zu werden. „Soll sie's doch selbst machen“, geht ihr durch den Kopf. „Das ist ja nun nicht das erste Mal, dass ihr was nicht gefällt. Wenn sie konkreter sagen würde, wie sie die Dinge haben möchte, würde es vielleicht auch nachher passen. Aber eigentlich wird man alleine gelassen und dann bekommt man einen Rüffel. Und nachfragen, ist ja auch nicht erwünscht.“ Karin Klein beschließt, sich erst einmal Zeit für die Azubine zu nehmen, der Sonderposten kann warten.
Aus Sicht der lösungsorientierten Mitarbeiterin
Die eher introvertierte und sachorientierte Monika Sauer arbeitet mehr im Hintergrund, kümmert sich ums korrekte Auspreisen, die Logistik, die Produktbestellungen. Sie hasst es, immer wieder schnelle Änderungen vornehmen zu müssen, die noch dazu keinen Sinn für sie ergeben. Iris Neubauer empfindet sie diesbezüglich als planlos und unzuverlässig. Monika Sauer braucht klare Strukturen und einen sicheren Rahmen. Ihrer Chefin vertraut sie nicht so richtig, da das, was gestern gesagt wurde, heute oft schon hinfällig ist – so wie jetzt. Monika Sauer beschließt also, sich ins Lager zurückzuziehen, um dort in Ruhe über eine neue Einteilung nachzudenken. Die Produktkörbe können ihrer Meinung nach warten, die stehen erst einmal gut. Die neue Idee ist in ihren Augen nicht besser als die alte.
Worin liegt das Konfliktpotenzial?
Mit Iris Neubauer und ihren Mitarbeiterinnen treffen Extraversion und Introversion aufeinander:
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Frau Neubauer ist extrem aktiv ist und initiiert ständig Veränderungen. Die Damen Klein und Sauer hingegen sind Neuem gegenüber eher vorsichtig und skeptisch. Sie fühlen sich ohne klare Informationen unsicher. Unter Zeitdruck und ständig wechselnden Rahmenbedingungen zu arbeiten, ist für die beiden zurückhaltenden Frauen eine echte Überforderung.
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Umgekehrt ist es für Iris Neubauer schwer zu akzeptieren, ihre eh schon knapp bemessene Zeit mit langen Erklärungen und Rücksichtnahmen vergeuden zu müssen. Außerdem scheut sie kein Risiko und empfindet ihre Mitarbeiterinnen manchmal als ideenlos und blockierend.
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Der unter Stress genervte Ton und die überlaute Stimme der Chefin sind für die Mitarbeiterinnen das i-Tüpfelchen, das ihren Rückzug endgültig in die Wege leitet.
So könnte es besser funktionieren
Da Iris Neubauer als extravertierter Mensch sowohl sach- als auch personenbezogene Persönlichkeitsanteile in sich trägt, gibt es Schnittmengen mit beiden Mitarbeiterinnen, die sie gezielt nutzen kann.
Zeit nehmen, informieren, unterstützen
Iris Neubauer sollte sich künftig, auch (oder gerade) wenn viel zu tun ist, mehr Zeit für die Arbeitsbesprechungen nehmen. Klare Ansagen sind in Ordnung, allerdings braucht es bisweilen genauere Informationen, wenn es um das Wie geht. Hier sollte Iris Neubauer also die Möglichkeit zum Nachfragen geben oder Unterstützung anbieten.
Übersicht: Die Gesichter von Widerstand |
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Aufgaben |
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Der Mitarbeiter |
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Frust / Wut wird |
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Kritisieren ohne abzuwerten
Seitenhiebe, indirekte Anschuldigungen oder abwertende körpersprachliche Signale werden von anderen wahrgenommen. Iris Neubauer meint manches nicht so, wie es bei anderen ankommt. Sie sollte an ihrer Wortwahl und ihrem Ton arbeiten. Gerade kritische Anmerkungen kommen oft als Schelte an und werden von sensiblen Menschen persönlich genommen, obwohl eigentlich nur das Arbeitsergebnis kritisiert wurde. Hier besteht die Gefahr, dass Mitarbeiter auf Distanz gehen und nur noch Dienst nach Vorschrift machen.
Beispiel (Fortsetzung): Wertschätzend kritisieren
Iris Neubauer könnte zu Karin Klein sagen: „Karin, den Sonderposten hast du ja schon aufgebaut. Prima! Mir ist aufgefallen, dass das Schild noch nicht auffällig genug platziert ist. Schau bitte mal, ob du eine bessere Lösung findest. Vielleicht kann dir auch die Azubine dabei helfen. Was meinst du? (Pause, Blickkontakt, Reaktion abwarten). Dann sieht sie gleich, wie umfangreich unsere Aufgaben sind. Binde sie doch bitte in den kommenden Tagen besonders ein – ich komme nicht dazu. Außerdem machst du das viel geduldiger als ich.“
Das Wie ist bei negativer Kritik entscheidend. Der kritische Aspekt soll durchaus konkret benannt werden, aber die Beziehungsebene sollte dabei nicht in Mitleidenschaft gezogen werden, was bei menschenorientierten Persönlichkeiten besonders wichtig ist. Karin Klein erhält außerdem Hinweise, wie sie die Azubine einbinden kann, und schließlich ein Lob für ihre Geduld im Umgang mit Menschen – eine Stärke, die sie nun wieder unter Beweis stellen darf.
Andere durch Fragen einbinden
Monika Sauer empfindet es als höchst frustrierend, wenn Entscheidungen oder gar ausgeführte Arbeiten wieder rückgängig gemacht werden (sollen). Ihre Chefin könnte ihr durchaus mehr Kompetenz zutrauen. Als lediglich ausführendes Organ fühlt sie sich minderwertig. Sie möchte ihr Wissen und ihre Erfahrungen in die Entscheidungsprozesse einfließen lassen.
Beispiel (Fortsetzung): Erfahrungswissen nutzen
„Moni, du weißt, dass wir diese Woche noch weitere Produkte bekommen. Dafür müssen wir unseren Lagerraum umgestalten. Vielleicht ist das der richtige Zeitpunkt, um generell zu überlegen, wie wir ihn besser nutzen können. Wie siehst du das? … Kannst du dir bis Mittwochmorgen bitte Gedanken darüber machen? Dann setzen wir uns zusammen. Wenn vernünftige Lösungen gefragt sind, bist du doch unsere Fachfrau. Schaffst du das bis dahin? … Und nun zu den Warenkörben: Du hast ja schon viele saisonale Werbeaktionen durchgeführt. Wie sind deine Erfahrungen? … Sprechen wir unsere Kunden so an? … Welche Vorschläge hast du? … Ich hab' da vielleicht noch eine gute Idee. Aber wir können ja ein paar Tage abwarten, wie sie ankommen, und dann gegebenenfalls eingreifen.“
Durch offene Fragen kann Iris Neubauer die Erfahrungen und Meinungen ihrer Mitarbeiterinnen einholen und ein von allen Seiten getragenes Ergebnis erzielen. Denn wer selbst Vorschläge einbringt, hat einen höhere Bereitschaft, Verantwortung für die Umsetzung zu übernehmen. Wird man ständig vor vollendete Tatsachen gestellt, regt sich oft Widerstand. Es gilt, keinen allzu großen Zeitdruck aufzubauen, denn Monika Sauer braucht Zeit, um perfekte Ergebnisse zu erarbeiten. Eventuell sollte Iris Neubauer entscheiden, was Priorität hat, damit ihre Kollegin nicht meint, alles gleichzeitig erledigen zu müssen – das würde sie enorm stressen.
Checkliste: Widerstand bei Introvertierten vermeiden |
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