10. KAPITEL
Nur mit Mühe konnte Brent Carol davon abhalten, sofort Sturm zu klingeln und Kenneth Marsh als feigen Mörder zu beschimpfen. Es dauerte einige Minuten, bis sie sich wieder halbwegs beruhigt hatte.
„Am liebsten würde ich diesen Mistkerl sofort auffliegen lassen!“, drohte Carol, als sie gemeinsam zur U-Bahn-Station gingen.
„Ich verstehe dich gut. Aber wir müssen uns hundertprozentig sicher sein, dass er Tricia umgebracht hat, bevor wir die Polizei verständigen.“
„Was gibt es denn da noch für Unklarheiten? Dieser Ken lässt sich mit Tricia ein, macht ihr womöglich Versprechungen. Eines Tages wird ihm das Risiko zu groß. Er hat Angst, dass seine Frau alles herausfinden könnte. Deshalb räumt er Tricia aus dem Weg.“
„Das klingt logisch. Aber woher wissen wir, dass nicht in Wirklichkeit die Ehefrau die Mörderin ist? Sie findet heraus, dass ihr Ken eine junge Geliebte hat. Sie wird rasend eifersüchtig, spioniert deiner Freundin hinterher und tötet sie schließlich.“
Brent hatte recht, wie Carol nun erkannte. Dieser Ken war gewiss ein scheinheiliger Ehebrecher. Aber das hieß nicht, dass er Tricia auch umgebracht hatte. Doch man konnte es drehen und wenden, wie man wollte – die Affäre zwischen Tricia und Ken war ein perfektes Mordmotiv.
Carol musste sich eingestehen, dass sie tief enttäuscht von ihrer Freundin war. Sie hatte fest daran geglaubt, dass sie und Tricia sich immer alles gegenseitig erzählen würden. War es Tricia peinlich gewesen, mit einem älteren und verheirateten Mann liiert zu sein? Hatte sie deshalb ihre Affäre gegenüber Carol verschwiegen?
Während sie auf dem zugigen Bahnsteig auf die U-Bahn warteten, schmiedeten sie weiter Pläne.
„Wir müssen diesen Ken irgendwie festnageln. Es kann ja sein, dass seine Frau die Mörderin ist. Wir müssen uns die beiden getrennt voneinander vornehmen.“
„Hast du eine Idee?“, fragte Brent.
„Irgendwie schon. Ken wird doch bestimmt einen Job haben. Wenn er morgen früh zur Arbeit geht, folgen wir ihm dorthin. Dann sagen wir ihm auf den Kopf zu, dass wir ihn für den Mörder halten. Wenn er ein Alibi für die Tatzeit hat – umso besser. Dann kann er es nicht gewesen sein. Danach knöpfen wir uns seine Ehefrau vor.“
„Ken könnte die Nerven verlieren, wenn wir unsere Karten auf den Tisch legen“, gab Brent zu bedenken.
„Sicher, die Gefahr besteht. Aber deshalb rücken wir ihm ja auch zu zweit auf die Bude. Du bist doch dabei, oder?“
„Auf jeden Fall, Carol. Wir haben doch heute schon bewiesen, dass wir ein unschlagbares Team sind.“
Brent brachte Carol nach Hause, bevor er sich auf den langen Rückweg nach Brixton machte. Sie verabschiedete sich mit einem Kuss von ihm, der schon etwas länger und intensiver ausfiel als am Vorabend. Sie wollten sich schon am nächsten Morgen um acht Uhr in der Nähe von Kenneth Marshs Haus wiedertreffen. Der Plan war, dem Verdächtigen zu seinem Arbeitsplatz zu folgen. Allerdings wussten sie nicht, ob er ein Auto besaß oder die U-Bahn nehmen würde. Brent wollte deshalb auf jeden Fall mit seinem Honda Civic kommen. Falls Marsh nicht motorisiert war, konnten sie bei der Verfolgung den Kleinwagen einfach stehen lassen.
Carol beglückwünschte sich selbst dazu, dass sie Brent kennengelernt hatte. Doch es gab noch so viele Unstimmigkeiten beim Tod von Tricia, die ihr zu schaffen machten. Warum hatte ihre Freundin bei der Jack-the-Ripper-Tour Brent angebaggert, wo sie doch mit diesem Ken liiert war? Hatte sie dem älteren Mann vielleicht schon den Laufpass gegeben? War das der Grund für den Mord?
Carol bezweifelte, dass sie auch nur ein Auge zubekommen würde. Es war schon nach Mitternacht. Eve schien nicht daheim zu sein. Plötzlich wurde Carol bewusst, wie wenig ihr über das Privatleben ihrer Mitbewohnerin bekannt war. Eigentlich wusste sie von Eve nur, dass sie eine komplizierte Hausarbeit schreiben musste. Hatte Eve keinen Freund oder eine beste Freundin? Was für Musik hörte sie, auf welche Filme fuhr sie ab, ging sie gerne feiern? Eve war unscheinbar. Tricia hatte sich am Telefon gerne lang und breit über die ehemalige Mitbewohnerin Bella ausgelassen. Zu Eve jedoch war ihr offenbar kaum etwas eingefallen.
Carol zog ihre Partyklamotten aus und legte sich ins Bett. Wenn sie jetzt nicht einschlief, würde sie am nächsten Tag zu nichts zu gebrauchen sein. Dabei war es doch wichtig, einen klaren Kopf zu behalten. Die Chance, den Mörder ihrer Freundin zu stellen, war nun zum Greifen nahe.
Das schrille Geräusch von Polizei-Trillerpfeifen durchschnitt die nächtliche Stille. Schwere schnelle Stiefeltritte waren auf den schmutzigen Pflastersteinen von Whitechapel zu hören. Die Bobbys kamen von allen Seiten. Überall sah man die blauen Uniformröcke und die hohen Helme der Schutzmänner zwischen den Nebelschwaden auftauchen.
So wie jeden Abend stand Carol an ihrer Straßenecke. Doch ihr Herz krampfte sich nicht vor Furcht zusammen, wie es in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder geschehen war. Stattdessen wurde sie von einer wilden Freude erfüllt. Endlich ging es diesem feigen Frauenmörder an den Kragen! Diesmal würde er nicht entkommen. Das war völlig unmöglich.
Schüsse krachten. Carol wusste, dass die normalen Streifenpolizisten keine Schusswaffen bei sich trugen. Aber die zivilen Inspektoren von Scotland Yard gingen mit Revolvern auf Verbrecherjagd.
Wenn nur der Nebel nicht so dicht gewesen wäre! Man konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Bei diesem Wetter verirrte sich gewiss kein Gentleman nach Whitechapel, der auf der Suche nach weiblicher Gesellschaft für die Nacht war. Momentan waren außer Carol nur Polizisten auf der Straße. Und der Mörder, den sie alle jagten.
„Da ist er!“
Carol konnte nicht sagen, woher der Ruf kam. Bei dem dichten grauen Dunst war es unmöglich, Entfernungen und Richtungen genau zu bestimmen. Auf jeden Fall hatten die Verfolger den Mörder entdeckt. Sie kreisten ihn ein wie eine Rotte von Jagdhunden. Innerlich war sie hin- und hergerissen. Einerseits hätte sie sich gerne im Ginpalast versteckt, bis die Gefahr vorbei war. Andererseits wollte sie unbedingt mit eigenen Augen sehen, wie der Verbrecher verhaftet wurde. Wochen- und monatelang hatte er ganz Whitechapel in Angst und Schrecken versetzt, aber nun ging es ihm selbst an den Kragen. Und das freute Carol sehr.
Plötzlich tauchte eine dunkle Gestalt zwischen den Nebelschwaden auf. Carol erblickte einen dunklen Umhang sowie einen breitkrempigen Hut, der tief ins Gesicht gezogen war. Mund und Nase hatte der Kriminelle hinter einem schwarzen Schal verborgen. Das musste Jack the Ripper sein!
Carol wurde von Todesangst gepackt. Doch dann bemerkte sie, dass drei Polizisten dem Mörder dicht auf den Fersen waren. Sie konnte die hohen Helme der Beamten nun trotz der Nebelschwaden erkennen. Die Uniformierten waren nur noch eine Mannslänge hinter dem Verfolgten.
Der Killer wollte an Carol vorbeirennen. Das Morden war ihm vergangen, er wollte nur noch entkommen. Aber das musste verhindert werden. Plötzlich siegte bei Carol der Mut über die Furcht. Sie wollte mithelfen, den Täter zu schnappen. Daher stellte sie ihm ein Bein. Gleichzeitig griff sie nach dem Schal, riss ihm die Maskierung herunter.
Jack the Ripper schrie auf.
Damit hatte er nicht gerechnet. Er kam ins Straucheln und stürzte. Gleich darauf wurde er von den Polizisten überwältigt. Und Carol? Sie war bleich vor Schrecken, denn sie hatte das Gesicht des Killers erkannt.
Sobald sie die Augen aufgeschlagen hatte, ärgerte sich Carol über die Bilder, die aus ihrem Unterbewusstsein auftauchten. Es wurde wirklich Zeit, dass diese nächtlichen Albträume aufhörten. Aber war dieser Traum nicht vielleicht ein gutes Omen? In ihm hatte sie den Mörder entlarvt, und heute würde sie hoffentlich dasselbe im wirklichen Leben tun.
Carol war früh dran, denn sie hatte ihren Wecker gestellt. Immerhin wollte sie sich schon um acht Uhr mit Brent in Fulham treffen. Sie wussten ja nicht, wann dieser verflixte Ken zur Arbeit fuhr. Schnell duschte sie und zog sich an. Beim Frühstück war Eve nicht besonders gesprächig, aber Carol war ohnehin nicht nach einer Plauderei zumute. Sie machte sich schnell einen Tee und knabberte einen Käsetoast im Stehen, bevor sie zur U-Bahn eilte.
Um diese Uhrzeit fuhren Millionen Londoner zur Schule oder zur Arbeit, und die Waggons waren deshalb überfüllt. Die Luft war stickig, sodass Carol kaum atmen konnte. Aber irgendwie schaffte sie es, umzusteigen und pünktlich in Fulham einzutreffen. Sie fühlte sich schon fast wie eine richtige Londonerin.
Brent wartete bereits auf sie. Er hatte seinen Kleinwagen schräg gegenüber von Kens Haus geparkt. Brent war ausgestiegen und versteckte sich hinter einem Lieferwagen, sodass er vom Haus aus nicht gesehen werden konnte. Carol eilte zu ihm und gab ihm einen Kuss.
„Hallo, Carol. Gut geschlafen?“, erkundigte er sich.
„Es geht so. Ich habe mies geträumt. Und bei dir?“
„Ich bin vor fünf Minuten eingetroffen, habe unwahrscheinliches Glück mit dem Parkplatz gehabt. – Sieh mal, unser unauffälliger Killer frühstückt noch.“
Carol spähte vorsichtig am Heck des Lieferwagens vorbei. In der Küche des Hauses brannte Licht. Ein Mann und eine Frau saßen am Tisch, aßen und tranken. Selbst auf die Entfernung erkannte Carol Ken.
Am liebsten wäre sie sofort hinübergerannt und hätte diesem Heuchler die Maske vom Gesicht gerissen. Aber sie konnte sich an diesem Morgen besser beherrschen. Sie spürte, dass ihr Ziel zum Greifen nahe war.
Carol und Brent mussten nicht lange warten, bis Ken vom Tisch aufstand. Eine Viertelstunde später öffnete sich die Haustür. Kenneth Marsh trug einen Anzug, und er hatte eine Aktentasche bei sich. Mit einem Kuss verabschiedete er sich von seiner Frau, bevor er in Richtung U-Bahn-Station ging.
„So ein scheinheiliger Dreckskerl“, zischte Carol. „Los, hinterher!“
Sie verfolgten Ken, der offensichtlich nichts davon ahnte. Im U-Bahn-Gedränge hätten sie ihn beinahe verloren. Aber es gelang ihnen schließlich doch, auf seinen Fersen zu bleiben. An der Northumberland Avenue betrat er ein vornehmes restauriertes Bürogebäude aus dem 19. Jahrhundert. Carol warf einen Blick auf die polierten Messingschilder. In dem Haus befanden sich mehrere Firmen.
„Anwaltskanzlei Gregory, Evans, Bowers & Marsh“, las sie. „Dann wissen wir ja, wo wir unseren Heuchler finden.“
„Was hast du vor, Carol?“, fragte Brent.
„Vertrau mir“, antwortete sie.
Plötzlich war Carol ganz ruhig. Noch nie hatte sie ein Ziel so hartnäckig verfolgt wie die Entlarvung von Tricias wahrem Mörder. Jetzt musste sie die Nerven behalten, sonst war die ganze Mühe vergeblich gewesen.
Gemeinsam mit Brent betrat sie die Anwaltskanzlei. Es gab einen Empfangsbereich, wo eine Dame im eleganten Businesskostüm hinter einem Schreibtisch saß. Sie empfing das Paar mit einem professionellen Lächeln.
„Guten Morgen. Was kann ich für Sie tun?“, begrüßte sie die beiden.
„Wir möchten mit Mr. Marsh sprechen“, erwiderte Carol.
Die Empfangsdame blätterte in ihrem Kalender. „Ich verstehe. Aber einen Termin haben Sie nicht, wie ich sehe? Ich bin mir nicht sicher, ob Mr. Marsh Zeit für Sie hat.“
„Sagen Sie ihm, dass es um Tricia Lloyd geht“, antwortete Carol.
„Wie Sie wünschen.“ Die Angestellte rief den Anwalt an. Das Gespräch dauerte nur kurz. Sie lächelte erneut, als sie den Hörer auflegte.
„Ich begleite Sie zum Büro von Mr. Marsh.“
Wenig später öffnete sie für Carol und Brent eine der Bürotüren.
Ken Marsh erhob sich hinter seinem Schreibtisch. Er war etwas bleich, hatte aber ansonsten seine Gefühle gut im Griff. Nur ein leichtes Zucken der Augenlider verriet seine Anspannung. Carol musste zugeben, dass er attraktiv war, wenn man auf ältere Männer stand. Aus der Nähe schätzte sie ihn auf Anfang vierzig. Er war schlank, seine Figur wirkte straff. Das dunkle Haar war bereits leicht grau meliert.
Er nickte der Empfangsdame zu. „Danke, Miss Jones. Das wäre alles für den Moment.“
Als sich die Tür hinter der Angestellten geschlossen hatte, wandte Marsh sich an Brent. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich Ihnen helfen kann“, meinte er.
„Sprechen Sie mit Carol Garner, Sie war Tricia Lloyds beste Freundin. Ich begleite sie nur, weil ich ihr Freund bin“, antwortete Brent, während er auf Carol deutete.
In diesem Moment wusste Carol, dass Brent die Wahrheit sagte. Er war wirklich ihr neuer Freund. Sie hatte in den vergangenen Tagen so viel mit ihm erlebt – es gab keinen Menschen, in dessen Nähe sie sich so gut fühlte. Das war sehr schön für sie. Doch nun konzentrierte sie sich auf den Mann, der Tricia erstochen hatte.
„Sie wollen doch nicht leugnen, dass Sie Tricia gekannt haben, Mr. Marsh?“
Der Anwalt wich ihrem Blick aus und ließ sich in seinen Schreibtischsessel fallen. Plötzlich wirkte er um Jahre gealtert.
„Nein, das hat wohl keinen Sinn. Wie haben Sie mich gefunden?“
„Das ist jetzt unwichtig.“
Marsh lächelte, als ob er in eine saure Zitrone gebissen hätte. „Wissen Sie, Carol, Tricia hat öfter von Ihnen gesprochen. Sie hat sich sehr darauf gefreut, dass Sie endlich nach London kommen wollten. Tricia hat mir einiges über Sie erzählt. Es ist fast schon so, als würde ich Sie kennen.“
„Das ist seltsam, Mr. Marsh. Tricia hat mir gegenüber ein Geheimnis daraus gemacht, Sie zu kennen. Wie das wohl kommt? Ob es ihr peinlich war, sich mit einem verheirateten Mann eingelassen zu haben?“
„Warum sind Sie mir gegenüber so feindselig, Carol?“
„Das fragen Sie noch, Sie Heuchler? Erst verführen Sie meine Freundin – und dann bringen Sie Tricia auch noch um!“
Marshs Gesicht zeigte nacktes Entsetzen. „Wer – ich? Denken Sie ernsthaft, ich hätte Tricia auf dem Gewissen? Sie – ist tot?“
„Ja, sie ist tot. Glauben Sie, mit so etwas mache ich Witze? Wollen Sie mir erzählen, Sie hätten nichts davon gewusst? Das stand doch in allen Zeitungen.“
Der Anwalt wurde leichenblass. Man hätte ihm wirklich glauben können, dass er die Todesnachricht gerade erst bekommen hatte.
„In den Zeitungen? Aber – wann ist das geschehen?“
„Dienstagnacht. Das müssen Sie doch am besten wissen, schließlich ist Tricia durch Ihre Messerklinge gestorben.“
„Das ist ein schreckliches Missverständnis. Ich war am Dienstag und am Mittwoch gar nicht in London. In den Zeitungen lese ich übrigens meistens nur den Wirtschaftsteil. Und ich wusste wirklich nicht, dass Tricia tot ist. Ich habe versucht, sie auf ihrem Handy zu erreichen. Aber das war die ganze Zeit ausgeschaltet.“
„Soso“, sagte Carol ironisch. „Und besuchen konnten Sie Tricia wohl auch nicht, wie? Oder wollen Sie behaupten, Sie hätten ihre Adresse nicht gekannt?“
„Doch, natürlich. Aber ich … ich habe mich nicht getraut.“
„Nicht getraut? Wissen Sie, wie schwachsinnig das klingt?“
„Es ist aber so. Sie kennen ja noch nicht die ganze Geschichte, Carol.“
„Woher auch, wenn Sie uns eine Lüge nach der anderen auftischen.“
„Aber ich war wirklich nicht in London. Ich bin Spezialist für Wirtschaftsrecht und war am Dienstag und am Mittwoch bei einer Fachkonferenz in Birmingham. Sie können meine Frau fragen, die ich mitgenommen habe. Es war ein Versuch, uns zu versöhnen. Wir haben uns in den vergangenen Jahren sehr auseinandergelebt. Es klappt nicht mehr zwischen Janet und mir.“
„Ihr Selbstmitleid können Sie sich schenken, Mr. Marsh. Und die Aussage Ihrer Frau ist nichts wert, so viel verstehe ich auch von Mordprozessen. Sie wird Ihnen bestimmt gerne bestätigen, wo Sie Dienstagabend gegen halb neun waren.“
„Ja, das wird sie. Zu der Zeit war ich nämlich bei einem Festessen anlässlich dieser Konferenz in Birmingham. Und das können ungefähr 50 Anwaltskollegen aus ganz England bestätigen.“
Carol fühlte sich, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie ließ sich in einen der Besucherstühle fallen, die vor Marshs Schreibtisch standen. Es war wie verhext. Carol fühlte sich, als ob sie ein Brett vor dem Kopf hätte. Machte sie sich hier selbst zur Idiotin, während Inspektorin Victoria Shepley längst den wahren Täter hinter Schloss und Riegel gebracht hatte?
Brent berührte sie sanft am Arm. „Ist alles okay mit dir?“
„Gar nichts ist okay, Brent! Ich kapiere einfach nicht, was hier passiert. Tricias Affäre mit diesem scheinheiligen Typen da war ihr großes Geheimnis. Ich dachte, das wäre der Grund für ihre Ermordung!“
Nun ergriff Marsh wieder das Wort. Seine Stimme klang brüchig. „Ich verstehe, dass Sie böse auf mich sind, Carol. Aber ich habe Tricia nicht getötet, und ich bin nicht scheinheilig. Ich habe es nicht geschafft, mich von meiner Frau scheiden zu lassen. Ich fürchte, ich bin einfach ein Schwächling.“
„Das kann schon sein, Mr. Marsh.“
„Aber ich habe Tricia geliebt! Wegen ihr habe ich sogar meine frühere Geliebte verlassen. Aber Janet – meine Frau – ist da anders. Sie kämpft um unsere Ehe.“
„Sie hatten also vor Tricia schon eine andere Freundin? Und wer soll das sein?“, fragte Carol fassungslos.
„Eve Sutton, Tricias Mitbewohnerin.“