ZEHN

Treia, 11.50 Uhr

Etwas fühlte sich anders an. Sie hatte jedes Raum- und Zeitgefühl verloren und wusste nicht, ob sie die Kälte tatsächlich spürte oder ob sie träumte.

Fremd, unbekannt.

Nur ein Gefühl, aber ein beklemmendes und intensives Gefühl zugleich. Ihr Brustkorb krampfte sich zusammen, sie fühlte jeden einzelnen Herzschlag.

Dumpf erinnerte sie sich daran, Alkohol getrunken zu haben. Viel Alkohol. Und nun lähmte sie Übelkeit. Ihr Schädel dröhnte, und ihr war, als hätte ihr Gehirn den Alkohol wie ein Schwamm aufgesogen und drohte nun, unter der Schädeldecke zu platzen. Sie glaubte zu spüren, wie das Herz ihr Blut durch die Adern ihres Körpers pumpte.

Träge, mühsam.

Sie erwachte, weil sie fror. Levke griff mit geschlossenen Augen nach der Bettdecke und zog sie sich bis zum Kinn. Trotzdem wehte ein frischer Wind durch den Raum, der ihre erhitzte Stirn kühlte. Wie war das möglich? – schlief sie doch niemals bei offenem Fenster.

Die Mücken machten ihr schwer zu schaffen, und so hatte sie es sich schon vor langer Zeit angewöhnt, sich bei einem Kontrollgang davon zu überzeugen, dass alle Fenster und Türen der Appartementwohnung in Husum geschlossen waren, bevor sie zu Bett ging. Es war ein Ritual, das sie jeden Abend durchführte. Erst dann konnte sie sich beruhigt hinlegen.

Doch der Luftzug war vorhanden, daran bestand kein Zweifel.

Entnervt blinzelte Levke und stellte fest, dass die Sonne ihre breiten Strahlen in den Raum warf. Auch das war komisch – sie liebte es, bei absoluter Dunkelheit zu schlafen und zog auch die Rollläden herunter, bevor sie zu Bett ging.

Etwas war anders, etwas fühlte sich anders an.

Unruhe ergriff sie, und Levke öffnete die Augen und kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit an. Ihr Schädel pochte, und sie massierte sich die Schläfen. Normalerweise war es nicht ihre Art, während der Woche zu trinken. Und dass sie getrunken hatte, stand fest. Dennoch, und das war der zweite Gedanke an diesem Morgen, der sie erschreckte, konnte sie sich nicht an den letzten Abend und die letzte Nacht erinnern.

Filmriss, hämmerte es durch ihren benebelten Kopf.

Sie versuchte, sich aufzurichten. Das Bett, in dem sie lag, war definitiv nicht ihr französisches Bett. Es handelte sich um ein altmodisches Bauernbett mit knarrendem Holzgestell. Die Bettwäsche hingegen duftete wundervoll frisch. Wo war sie?

Als die Bettdecke ein wenig herunterrutschte, stellte sie erschrocken fest, dass sie unbekleidet war.

Oh mein Gott, was ist bloß passiert?

Sie blickte sich in dem Schlafzimmer um. Der massive Eichenkleiderschrank, der altmodische Herrendiener neben dem Bett und die schweren Nachtkonsolen mit den Glasplatten an der Oberseite, die Lämpchen mit den kleinen vergilbten Schirmchen, all das war ihr fremd. Wo, um Himmels willen, befand sie sich?

Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemanden im Bekanntenkreis zu haben, dessen Einrichtung so altmodisch war, wie dies in diesem Schlafzimmer der Fall war. Das Mobiliar war mindestens ein halbes Jahrhundert alt, die Tapeten an den Wänden wiesen schreckliche Muster auf und waren ebenfalls längst vergilbt. Unter der Decke gab es einen unansehnlichen, braunen Fleck, der wahrscheinlich von einem stümperhaft behobenen Wasserschaden herrührte. Was war das nur für eine Bruchbude, in die man sie entführt hatte?

Eine Zeitreise in die Vergangenheit – so hatte ihre Großmutter gelebt.

Ihr Herz begann zu rasen, als sie sah, dass ihre Kleidungsstücke auf dem Dielenboden verstreut lagen. Levke überlegte fieberhaft, was geschehen war. War sie auf einer Party gewesen? Hatte sie sich mit einem Mann eingelassen?

Krampfhaft versuchte sie, sich an die Ereignisse der letzten Nacht zu erinnern … Vergeblich.

Hatte man ihr vielleicht sogar K.O.-Tropfen ins Glas geschüttet, sie willenlos gemacht und sie vergewaltigt? Panik ergriff sie, und ihr Atem ging stoßweise. Ja, sie hatte mit einem Mann geschlafen. Das spürte sie. Als die Finger ihrer rechten Hand in ihren Schoß glitten und die noch immer vorhandene feuchte Wärme fühlten, hatte sie die schreckliche Gewissheit, dass etwas mit ihrem Körper geschehen war, an das sie sich nicht erinnern konnte. Ekel kam in ihr auf. Es war, als hätte man ihr Gedächtnis gelöscht wie die Festplatte eines Computers.

Sämtliche Erinnerungen an die vergangene Nacht waren wie weggewischt.

Als sie den Kopf ein wenig zu hastig zur Seite wandte, erblickte sie einen altmodischen Blechwecker. Doch das typische dumpfe und metallene Ticken blieb aus – die Uhr stand.

Levke hätte gern auf das Display ihres Handys gesehen, um zu wissen, wie spät es war. Als sie zum Fenster blickte, stand die Sonne schon hoch am Himmel.

Mein Gott, dachte sie panisch, ich muss zur Schule. Ich muss zum Unterricht.

Sie stieß die Bettdecke fort, spürte Schwindel in sich aufsteigen und massierte ihre Schläfen. Sie schloss die Augen, sah grelle Punkte vor den geschlossenen Lidern aufblitzen und spürte den bohrenden Schmerz, der ihren Kopf malträtierte. Gleichzeitig stieg das Gefühl der Übelkeit erneut in ihr hoch. Levkes Magen rebellierte, und sie spürte, dass sie sich übergeben musste.

Eilig, etwas zu schnell, stand sie auf und suchte ihre Kleidung zusammen, schlüpfte hastig und auf einem Bein durch das Zimmer hüpfend in ihren Slip und legte den BH an. Irgendwo fand sie auch ihr Kleid, nur von den Schuhen fehlte jede Spur. Sie lehnte sich gegen den Kleiderschrank und versuchte, ihren Puls unter Kontrolle zu bekommen.

Oh mein Gott, hämmerte es in ihrem Hirn, was ist nur geschehen?

Sie wankte aus dem Schlafzimmer und fand sich in einem mit rotem Teppich ausgelegten Korridor wieder. Die Tür zum Bad stand offen. Rechtzeitig schaffte sie es zur Toilette, klappte den Deckel hoch und übergab sich in die matte Schüssel. Ihr gesamter Körper rebellierte gegen das, was geschehen war. Es trieb Levke an den Rand des Wahnsinns, sich an nichts erinnern zu können.

Es dauerte zehn Minuten, bis das lähmende Zittern ihres zierlichen Körpers nachließ. Mühselig rappelte sie sich auf spülte sich am Waschbecken den Mund aus. Doch der pelzige Geschmack auf ihrer Zunge blieb. Schwerfällig verließ sie das enge Bad. Ihre Kehle, der Hals und ihre Mundhöhle brannten höllisch. Sie stieg eine Holztreppe hinunter und hörte eine Stimme in einem der angrenzenden Räume. Wie eine Marionette marschierte sie mit unsicheren Bewegungen in die Küche des Hauses.

Der Mann, der auf der Eckbank hockte, war ihr bekannt.

Torben Schäfer, ein Kollege. Biologielehrer an der Hermann-Tast-Schule, der Schule, an der sie als Referendarin arbeitete. Doch er sah irgendwie anders aus. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, woran das lag: Er hatte sich den buschigen Vollbart abrasiert und wirkte nun um Jahre jünger. Als er aufblickte und sie sah, lächelte er.

„Guten Morgen, Levke. Na, da haben wir aber gut was weggeputzt letzte Nacht, was?“

Die Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf. War es Torben Schäfer, der weltfremde Biolehrer gewesen, der sie vergewaltigt hatte?

„Ich zeig dich an, du Schwein!“, krächzte sie. „Du hast mich entführt, mit K.O.-Tropfen willig gemacht und mich missbraucht! Ich werde dafür sorgen, dass du in den Knast wanderst, Torben!“

Torben schüttelte den Kopf. „Das klang gestern noch ein wenig anders, Levke, nichts für ungut.“

„Du spinnst doch! Wie spät ist es überhaupt?“

„Kurz vor eins.“

„Ach du Scheiße – ich muss zur Schule, der Unterricht … Nein, ich werde die Bullen rufen.“ Levke fand keine Zeit, einen klaren Gedanken zu fassen. Es waren zu viele Informationen, die auf ihr benebeltes Gehirn einprasselten. Es war unmöglich, alle Eindrücke zu kanalisieren. „Du wanderst in den Bau, Torben, du hast mich abgefüllt und mich gefickt.“

„Ich hatte nicht den Eindruck, dass du es nicht wolltest“, entgegnete er sichtlich kühl. Jetzt hielt er die rechte Hand hoch, und sie sah das Telefon. „Außerdem habe ich gerade ganz andere Sorgen.“

„Hast du vergessen, die Korksandalen frisch zu besohlen, oder was?“ Sie tippte sich rasend vor Wut vor die Stirn. „Du bist doch nicht ganz dicht, du verdammter Öko!“

„Hörst du mir nicht zu?“, gellte seine Stimme durch die Küche.

„Ich habe dir gesagt, dass ich andere Probleme habe. In der Schule habe ich übrigens schon angerufen und uns krankgemeldet.“

„Uns?“ Es wurde immer schlimmer. „Du hast … uns krankgemeldet? Sag mal, spinnst du? Dann weiß jeder, dass wir die Nacht zusammen verbracht haben.“ Nun musste sie grinsen. „Aber mir kann es recht sein. Wenn ich Anzeige wegen Vergewaltigung erstatte, dann hast du dir mit dem Anruf in der Schule ein Eigentor geschossen!“

„Red keinen Mist, Levke. Wir waren betrunken, und wir haben miteinander geschlafen. Freiwillig. Wenn du dich nicht mehr daran erinnern kannst, finde ich das sehr schade, aber das ist nicht das Problem.“

„Ist nicht das Problem? Was ist dann dein verschissenes Problem, Torben Schäfer?“

„Man hat mir den Wagen geklaut.“ Er blickte sie betroffen an.

„Man hat dir … Was?“

„Die Karre gestohlen. Stand hinter dem Haus. Und heute Morgen ist der Golf weg. Ich habe schon die Polizei angerufen; die Fahndung müsste raus sein.“

Levke sank kraftlos auf einen der wackligen Küchenstühle. Sie stützte den Kopf in ihre Hände und schüttelte ihn. Langsam, zäh wie Wachs, kroch die Erinnerung in ihr Gehirn zurück. Er hatte recht. Sie hatte ihn aus freien Stücken in seinem Haus in Treia besucht. Sie hatten getrunken und waren schließlich im Bett gelandet.

Es waren die Wut und die Angst nach dem Mord an Holger Heiners gewesen, die sie in die Arme von Torben Schäfer getrieben hatten. Er hatte schon lange ein Auge auf sie geworfen, aber sie war froh gewesen, dass sie die geheime Frau an Heiners Seite gewesen war. Bis zu seinem Tod. Er war tot, der Gedanke manifestierte sich wieder in ihrem Kopf.

Natürlich. Er hatte Levke nicht als die Frau an seiner Seite und als die Frau in seinem Leben akzeptiert. Ihre Liebe – war es Liebe gewesen? – war eine einzige große Lüge gewesen. Und nun lebte Holger Heiners nicht mehr.

Mein Gott, dachte sie, nahm dieser Albtraum denn niemals ein Ende?

Glücksburg, 11.55 Uhr

Das Innere des Hauses glich einem Schlachtfeld. Überall lagen Scherben herum; einige hatten sich in die Polster der Sitzgruppe gebohrt und ragten wie die spitzen Klingen von Messern heraus. Auf dem Boden hatte sich eine Blutlache gebildet, und Ulbricht sah betroffen zu, wie die Männer vom Bestattungsunternehmen den Leichnam von Gabriele Heiners in einen Zinksarg verfrachteten, den sie nun aus dem Haus trugen. Der Notarzt war vor wenigen Minuten wieder abgefahren; die Todesursache galt als erwiesen. Eine Salve, abgegeben aus dem kurzen Lauf einer Maschinenpistole, hatte ihre Organe förmlich zerfetzt und sie qualvoll verbluten lassen. Man würde ihren Leichnam trotzdem im rechtsmedizinischen Institut der Christian-Albrechts-Universität in Kiel obduzieren lassen.

Ulbricht stellte fest, dass die Wege in einem Mordfall hier im Norden der Republik ein wenig weiter waren als im Bergischen Land. Er hoffte, dass die Tötungsdelikte hier trotzdem so schnell aufgeklärt wurden, wie er das gewohnt war. Betroffen stand er am Rand des lichtdurchfluteten Raumes, in dem Gabriele Heiners vor seinen Augen ermordet worden war. In seiner Laufbahn hatte er schon viel erlebt, doch bei einem Mord anwesend zu sein, das schlug ihm auch nach all den Jahren noch auf den Magen.

„Was haben Sie sich bloß dabei gedacht?“

„Was?“ Als Ulbricht sich umwandte, blickte er in das besorgte Gesicht eines glatzköpfigen Mannes um die fünfzig, der seine Mitarbeiter in herrschsüchtigem Ton zur Eile antrieb.

Er hatte sich bei seinem Eintreffen knapp als Hauptkommissar Friedrichs, Leiter der Mordkommission der Bezirkskriminalinspektion Flensburg, vorgestellt. Ein seltsamer Typ, wie Ulbricht fand. Mit ihm schien nicht gut Kirschen essen zu sein. Der kahlköpfige Hüne stand mit hinter dem Rücken verschränkten Händen da und musterte Ulbricht mit tadelndem Blick. Um sie herum wieselten die Mitarbeiter der Spurensicherung in ihren weißen Einmalanzügen. Jemand fotografierte Beweisstücke und nahm eine Totale der Gesamtsituation auf. Man hatte Patronenhülsen mit einem Kaliber von 9 mm sichergestellt. Alles wies tatsächlich auf eine Uzi hin, wie sie von Armeekräften genutzt wurde.

„Sie sind als Privatperson hier und haben sich in einen Kriminalfall eingemischt“, stellte Friedrichs fest. „Das ist nicht gut und bringt sicherlich Ärger.“

„Hören Sie auf zu spinnen“, erwiderte Ulbricht wütend. „Sie sind Bulle wie ich und wissen genau, dass man in unserem Job niemals Urlaub hat.

„Mag sein. Aber ich mische mich auch im Urlaub nicht in Ermittlungen meiner Kollegen ein und verwische unter Umständen wichtige Spuren. Wenn es blöd läuft, müssen Sie mit einem Disziplinarverfahren rechnen.“

„Das Sie gegen mich anstrengen werden?“ Ulbricht schüttelte den Kopf. „So was habe ich heute schon mal gehört. Dass ich nicht lache. Ihr Nordlichter seid doch über jede Unterstützung froh, die euch zuteil wird.“

„Sie sollten sich Ihre Äußerungen genau überlegen. Was wollten Sie von Frau Heiners?“

„Ich wollte ihr ein paar Fragen stellen.“

„Wie man das so tut … in unserem Job.“ Spott lag in Friedrichs’ Stimme.

„Sie sind zehn Jahre jünger als ich, Friedrichs. Und Sie müssen erst mal da riechen, wo ich schon hingekackt habe, also blasen Sie hier mal nicht so einen Ballon auf. Denken Sie nicht, dass ich blöd bin, nur weil ich nicht zu einer Behörde in Schleswig-Holstein gehöre.“

„An Ihrer Stelle würde ich den Ball ganz flach halten“, zischte Friedrichs und gab Ulbricht ein Zeichen. „Und jetzt kommen Sie.“

„Ich soll kommen?“ Ulbricht glaubte, sich verhört zu haben. „Wohin denn?“

„Mit mir. In die Direktion nach Flensburg. Dort werden wir alles in Ruhe klären.“ Nun grinste Friedrichs überheblich. „So wie ich Sie einschätze, liegt das doch ganz in Ihrem Interesse, oder irre ich mich?“

Ulbricht hatte genug gehört. Was bildete sich dieser arrogante Fischkopf eigentlich ein? Er war es nicht gewohnt, dass man sich in seine Ermittlungen einmischte. Doch hier hing es um mehr. Hier ging es darum, seiner Tochter zu helfen.

„Sparen Sie sich Ihren Sarkasmus, Friedrichs. Haben Sie denn schon die Fahndung nach dem Fluchtfahrzeug der Täter eingeleitet?“

Friedrichs wirkte sekundenlang irritiert. In seinem Augenwinkel zuckte ein Nerv, die schmalen Lippen hatte er zu einem Strich zusammengepresst, und Ulbricht wusste, dass Friedrichs die Fahndung noch nicht ausgerufen hatte. Wie sollte man hier einen Mörder fangen, wenn die Kollegen derart stümperhaft arbeiteten?

„Es liegt wohl auf der Hand, dass jemand verhindern wollte, dass ich an gewisse Informationen komme, die ich mir vom Gespräch mit Gabriele Heiners erhofft habe“, beharrte Ulbricht.

„Und das hat sie teuer bezahlen müssen.“ Friedrichs winkte ab. „Was haben Sie gefragt?“

„Das werde ich Ihnen doch nicht auf die Nase binden“, entgegnete Ulbricht. Er hatte keine Lust, einen Kollegen, der ein Disziplinarverfahren in Betracht zog, mit Informationen zu versorgen. „Haben Sie jetzt die Fahndung rausgegeben oder immer noch nicht? Die Karre war so auffällig wie ein rosafarbener Elefant in der Innenstadt, da dürfte es doch wohl nicht allzu schwer sein, den oder die Täter festzunehmen, oder?“

„Sie müssen mir bestimmt nicht sagen, wie ich meinen Job zu machen habe“, giftete Friedrichs gefährlich leise. Dann setzte er ein kaltes Haifischlächeln auf. „Also, was halten Sie davon, wenn ich Sie zu einer Besichtigung der Polizei in Flensburg einlade? So als Kollegen, quasi?“

Ulbricht erwiderte das spöttische Lächeln. „Ach, gegen einen Kaffee hätte ich nichts einzuwenden, nach dem ganzen Theater hier.“ Dann ging er voran und verließ das Haus. Er war sicher, dass Friedrichs sich nicht lange bitten ließ, ihm zu folgen.

Treia, 12.30 Uhr

Wiebke hätte Torben Schäfer um ein Haar nicht wiedererkannt, als er ihnen die Tür seines schiefen Hauses öffnete und sie überrascht anblickte. Er schien über Nacht ein anderer Mensch geworden zu sein. Irgendwie wirkte er um Jahre jünger als am Vortag, und trotzdem wirkte er übernächtigt. Dann bemerkte Wiebke, was anders war: Er hatte den buschigen Bart abrasiert und sah nun deutlich jünger aus. Und attraktiver, das musste sie sich eingestehen. Den Strickpulli vom Vortag hatte er gegen ein modernes T-Shirt getauscht. Wer ihn nicht kannte, hätte ihn nicht für einen aktiven Umweltschützer gehalten. Äußerlich deutete nichts mehr darauf hin.

„Sie sind aber schnell.“

Petersen grinste. „So sind wir halt. Dürfen wir mal reinkommen?“

Schäfer zögerte, blickte sich um und stierte ins Haus, dann nickte er und gab den Eingang des alten Friesenhauses frei. „Von mir aus.“

Sie folgten ihm in einen düsteren Flur, in dem es muffig roch.

Wiebke rümpfte die Nase. „Haben Sie uns erwartet?“, fragte sie.

„Na klar. Mein Auto ist weg. Gestohlen. Letzte Nacht. Und ich habe doch vorhin erst angerufen.“

„Zufall“, erwiderte Petersen knapp. „Absoluter Zufall – wir waren gerade in der Nähe.“

Schäfer führte die Polizisten in eine altertümlich eingerichtete Küche. Wiebke betrachtete den alten Ofen, in dem ein Feuer prasselte und das Wasser in einem Kessel erhitzte. Es duftete fruchtig nach frischem Tee. Vor den kleinen Fenstern hingen liebevoll genähte Gardinen mit einer hellblauen Bordüre. Mit dem Weiß der Gardinen ergab sich das blau-weiße Friesenmuster. Schäfer hatte ein Stövchen auf den Küchentisch gestellt, dazu zwei Tassen, einen Pott mit Kluntjes und eine kleine Milchkanne. Jetzt nahm er auf einem der wackeligen Küchenstühle Platz und schenkte sich einen Tee ein.

„Schön“, bemerkte Wiebke, als sie auf der knarrenden Eckbank neben dem Fenster Platz nahm und sich umblickte.

„Alles auf alt gemacht.“

„Da ist nichts gemacht“, erwiderte Schäfer.

„Ist noch von meiner Mutter. Und ich mag es so, wie es ist.“

Torben Schäfer faltete die Hände auf dem Tisch, als wolle er beten.

„Was zu trinken?“, fragte er beiläufig und deutete auf das Stövchen.

„Tee? Kaffee? Oder lieber was Kaltes?“

Petersen schüttelte den Kopf. Er war stehen geblieben und wanderte durch die große Küche. Am Fenster hielt er an und blickte hinaus.

Wiebke ging nicht auf die Frage des Lehrers ein. „Sind Sie allein?“

„Warum wollen Sie das wissen?“, erwiderte Schäfer wütend. „Man hat mir mein Auto gestohlen, und Sie fragen, ob ich allein bin. Was soll das?“

„Bitte beantworten Sie meine Frage, Herr Schäfer. Wir sind hier, weil wir, wie sie wissen, in einem Tötungsdelikt ermitteln.“

„Und ich bin der Mörder?“ Schäfer lachte meckernd über seinen eigenen Witz.

„Reden Sie keinen Müll“, grollte Petersen, ohne sich vom Blick aus dem Fenster loszureißen.

„Wir stellen die Fragen, und Sie antworten, so einfach ist das.“

„Jawoll.“ Schäfer nahm im Sitzen Haltung an und salutierte spöttisch. „Dann mal los – fragen Sie.“

„Das haben wir bereits“, erinnerte Wiebke ihn. „Also – sind Sie allein?“

„Ja.“

„Wir suchen Levke Kühn, die junge Referendarin.“

„Von mir aus.“ Schäfer tat, als ginge ihn das alles nichts an. Er trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte herum.

Wiebke fürchtete, dass die Männer gleich aneinandergerieten. Sie sah ihrem Partner an, dass Torben Schäfers stoische Ruhe ihn auf die Palme brachte. Bevor die Situation eskalierte, appellierte sie an Schäfers Kooperationsbereitschaft.

„Warum lügen Sie uns an?“, fragte Wiebke. „Wenn Sie allein sind – warum stehen dann hier zwei Tassen auf dem Tisch?“

„Und warum parkt in der Einfahrt dieser blaue Mini Cooper?“, fügte Petersen hinzu. „Oder ist das Ihrer?“

„Nee, natürlich nicht.“

Bevor Wiebke etwas sagen konnte, flog die Küchentür schwungvoll auf. Levke Kühn betrat die Küche. Sie warf Schäfer einen verzweifelten Blick zu.

„Es hat keinen Sinn mehr, Torben. Du musst nicht lügen, um mich zu schützen.“

Nun riss Petersen sich doch vom Blick nach draußen los. Er betrachtete die blonde Frau mit einem Anflug von Verzückung und zwinkerte Wiebke zu.

„Hallo, Frau Kühn“, sagte Wiebke lächelnd. „Schön, dass wenigstens Sie vernünftig sind.“ Sie zeigte auf den Stuhl. „Setzen Sie sich doch einen Augenblick zu uns.“

Die junge Frau sank schweigend auf den klapprigen Küchenstuhl. Sie wich Torben Schäfers Blicken aus. Irgendwie fand Wiebke, dass auch sie übernächtigt wirkte. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen, und wäre da nicht der männlich-herbe Duft nach einem Duschbad gewesen, Wiebke hätte schwören können, dass sie die Nacht durchgemacht hatte. Wie nah sie mit ihrer Vermutung der Wirklichkeit kam, ahnte sie nicht – noch nicht.

„Und nun sagen Sie uns mal, warum Herr Schäfer Sie schützen sollte!“ Petersen beugte sich über den Küchentisch und hätte sich um ein Haar an dem heißen Stövchen verbrannt.

„Ich … Also, unser Verhältnis soll geheim bleiben.“ Levke Kühn strich die Tischdecke glatt. „Es wäre nicht auszudenken, wenn es sich im Kollegium herumspricht, dass …“

„Dass Sie die letzte Nacht gemeinsam verbracht haben?“, beendete Petersen den von ihr begonnenen Satz.

Levke Kühn nickte.

Nun räusperte sich Schäfer.

„Ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe uns beide im Sekretariat krankgemeldet. Wenn die Kollegen nicht ganz dumm sind, können sie eins und eins zusammenzählen.“

Wiebke registrierte, dass sich die Aussage mit dem deckte, was sie von der Schulsekretärin gehört hatten.

„Offen gestanden weiß ich nicht, was das alles soll“, murmelte Schäfer nun. „Mir wurde mein Auto in der letzten Nacht gestohlen, und Sie fragen mich über mein Verhältnis zu Levke aus.“

„Sie haben den Bart abrasiert“, wechselte Wiebke das Thema. „Steht Ihnen gut, aber was mich interessiert: Gibt es einen anderen Grund dafür?“

„Wie meinen Sie das denn nun schon wieder?“

„Wollten Sie sich ein neues Aussehen verschaffen? Weil Sie etwas zu verbergen haben?“

„Unsinn.“

„Es gibt eine Zeugin, die gesehen hat, wie Ihr Wagen gegen zwei Uhr in einem hohen Tempo vom Hof fuhr.“ Petersen wanderte durch die Wohnküche. „Waren Sie das?“

„Nein, ich… Also, wir… Wir waren im Bett.“ Torben Schäfer errötete.

„Und das werden Sie gegenseitig natürlich bestätigen“, nickte Petersen. Er schien zu spüren, dass das hier ausging wie das Hornberger Schießen – nämlich ohne Ergebnis. Dennoch startete er einen letzten Versuch, den engagierten Umweltschützer in die Enge zu treiben. „Der Bart ist ab, Sie verheimlichen der Welt Ihre Liebe, und nun ist der Wagen verschwunden – gestohlen. Etwas seltsam, finden Sie nicht? Vielleicht haben Sie ja Ihren eigenen Wagen entwendet? Für eine Straftat, beispielsweise, um ihn dann als gestohlen zu melden?“

Wiebke warf ihrem Partner einen warnenden Blick zu. Petersen hatte sich wieder einmal in Rage geredet. Und er lehnte sich ziemlich weit aus dem Fenster, aber das wusste er wahrscheinlich selbst am besten.

„Eigentlich interessiert uns aber Frau Kühn“, sagte sie. „Wir sind nicht wegen des gestohlenen Autos hergekommen.“ Wiebke fixierte die Referendarin mit ihrem Blick. „Wo waren Sie in der vorletzten Nacht? Auch hier, bei Herrn Schäfer?“

„Ja, war sie“, sagte Torben Schäfer hastig. „Warum fragen Sie das? Glauben Sie, dass sie hinter dem Mord an Heiners steckt?“ Er lachte auf. „Das glauben Sie doch wohl nicht ernsthaft, oder?“

Wiebkes Telefon klingelte.

Sie murmelte eine Entschuldigung, stand auf und verließ die Küche. Auf dem Korridor warf sie einen Blick auf das Display. Der Anrufer meldete sich mit unterdrückter Rufnummer.

„Ja bitte?“

„Wiebke, bist du das?“

„Papa!“

Norbert Ulbricht tobte am anderen Ende der Leitung. Gleichermaßen wirkte er zerknirscht. „Ich stecke in der Scheiße. Man hat mich auf die Polizeiwache in Flensburg geschleppt und behandelt mich wie einen Kriminellen. Dieser Hauptkommissar Friedrichs ist ein Aas, und ich könnte …“

„Papa, was machst du denn in Flensburg?“

„Erst war ich ja in Glücksburg.“

Wiebke ahnte Schlimmes. „Du hast dich in meinen Fall eingemischt und warst bei Heiners’ Frau?“

„Das auch. Sie ist übrigens tot, ermordet. Aber das erzähle ich dir später. Kannst du mich abholen? Mein Auto steht noch in Glücksburg, und …“

„Sag mal, Papa, spinnst du?“ Wiebke glaubte es nicht. Kaum, dass sie ihren Vater nach all den Jahren wiederhatte, machte er Blödsinn wie ein kleines Kind. „Was war da los?“

Ulbricht berichtete seiner Tochter stichwortartig, was sich in Glücksburg ereignet hatte.

„Also: Kommst du? Es ist wichtig.“

„Warum?“ Sie beschloss ihren alten Herrn schmoren zu lassen. Er hatte sich die Suppe selbst eingebrockt, dann musste er sie auch wieder selbst auslöffeln. „Ich stecke mitten in einem Fall, da kann ich nicht abhauen.“

„Wie ich schon sagte, es ist wichtig, und du solltest kommen.“

„Wieso denn das?“

„Weil ich Friedrichs gesagt habe, dass du im Fall Holger Heiners die Ermittlungen leitest und mich hierher geschickt hast. Nun behauptet er aber, dass die Ermittlungen von ihm geleitet werden. Er möchte dich dringend sprechen. Also – kommst du?“

Der Erste Kriminalhauptkommissar Friedrichs war Wiebke noch gut bekannt. Sie war ihm bereits ein paar Mal flüchtig begegnet, und trotzdem war ihr der Leiter der Flensburger Mordkommission noch in Erinnerung geblieben. Als sehr unangenehmer und selbstverherrlichender Abteilungsleiter einer Truppe, die täglich mit Gewalt und Tod konfrontiert wurde.

Und nun war ihr eigener Vater, selbst Erster Hauptkommissar, mit eben jenem Friedrichs aneinandergeraten. Das roch nach Ärger, und Wiebke spürte, wie sich ihre Brust zusammenzog.

„Wiebke – bist du noch da?“ Er klang nun fast flehend, doch sie antwortete nicht.

Es gab wenige Momente, in denen Wiebke sprachlos war.

„Ich habe nach dem Mord ein Auto gesehen, das sich schnell vom Tatort entfernt hat. Wahrscheinlich das Fahrzeug des Täters oder der Täter.“

„Du bringst mich um den Verstand, Papa.“

„Halt durch, Kind.“ Er klang eifrig. „Hör zu, der Wagen hatte ein ,SL‘ auf dem Nummernschild – damit bist du wieder im Rennen. Das war ein außergewöhnliches Auto. Ein Golf.“

„Was ist daran ungewöhnlich?“

„Es war einer dieser Möchtegern-Geländewagen“, erwiderte Norbert Ulbricht.

Nun wurde Wiebke hellhörig. „Meinst du einen Golf Country?“

„Ja, genau. So eine hochbeinige Karre, matschverschmiert.“

„Aber das komplette Kennzeichen hast du dir nicht gemerkt?“

„Es ging schnell, Kind. Verdammt schnell. Und die Karre war dreckig, als wäre sie gerade durch den Wald gefahren.“

„Ich komme“, sagte Wiebke und unterbrach die Verbindung. Das Gespräch noch im Kopf betrat sie wieder die Küche.

Petersen hatte gerade Torben Schäfer ins Kreuzverhör genommen, während Levke Kühn auf der Eckbank saß und Tee trank.

„Ich weiß nicht, was Sie mir vorwerfen.“

Torben Schäfer rang mit den Händen und tauschte Blicke mit Levke, die Wiebke nicht recht deuten konnte.

„Den Mord an Gabriele Heiners zum Beispiel“, mischte sich Wiebke ein und zog sich einen Küchenstuhl heran.

Levke Kühn zuckte zusammen. Ihre Augen wurden groß. „Was sagen Sie da? Gabi ist tot?“

„Ja.“ Wiebke nickte. „Sie wurde ermordet. Und es gibt einen Zeugen, der gesehen hat, wie ein grüner Golf Country mit Schleswiger Kennzeichen vom Tatort flüchtete. So viele gibt es von den Dingern nicht, Herr Schäfer.“

Torben Schäfer sank zusammen wie ein Häufchen Elend. Er stierte auf den Dielenboden und schüttelte stumm den Kopf.

„Das ist unmöglich“, stammelte er und barg das Gesicht in den Händen. „Wir waren hier, haben getrunken – zu viel getrunken, ja. Und wir haben die Nacht gemeinsam verbracht.“ Schäfers Kopf ruckte hoch. Er warf Levke Kühn einen Hilfe suchenden Blick zu. „Sag es ihnen, Levke.“

Alle Augen waren auf die junge Frau gerichtet, die nun nickte.

„Ja, das stimmt“, sagte sie leise.

„Haben Sie miteinander geschlafen?“, fragte Petersen.

„Was tut das zur Sache?“ Levke Kühns Stimme klang schneidend.

„Es deutet darauf hin, dass Sie tatsächlich ein Verhältnis miteinander haben, so wie Sie es behaupten“, erwiderte Wiebke. „Damit werden Sie einen Teufel tun, den jeweils anderen durch eine Aussage zu belasten.“

„Das haben wir Ihnen eben schon alles erzählt“, murmelte Schäfer kleinlaut. Er wurde sich offenbar bewusst, dass er gerade unter Mordverdacht stand.

Wiebke nickte Petersen zu. Ihr Kollege nahm die Handschellen vom Gürtel.

„Herr Schäfer, wir müssen Sie verhaften. Sie stehen unter dem dringenden Tatverdacht, an einem Mord beteiligt zu sein.“

Petersen stellte keine Fragen. Sie hatten die Befragung von Torben Schäfer und Levke Kühn sofort abgebrochen, nachdem Wiebkes Vater sie um Hilfe gebeten hatte. Nun rasten sie im Dienstwagen zurück nach Husum.

Zwischenzeitlich waren die Kollegen vom Streifendienst eingetroffen, die eine Anzeige wegen eines gemeldeten Fahrzeugdiebstahls aufnehmen wollten. Stattdessen wurden sie von Wiebke und Petersen damit beauftragt, Torben Schäfer in Untersuchungshaft zu nehmen.

Levke Kühns Proteste hatten nichts genutzt – machtlos hatte sie mit ansehen müssen, wie man Torben Schäfer Handschellen angelegt und ihn zum Streifenwagen gebracht hatte.

„Sie halten sich bitte zu unserer Verfügung“, hatte Wiebke ihr noch mit auf den Weg gegeben, bevor sie mit Petersen zum Dienstwagen gegangen war. Er war versucht gewesen, auch Levke Kühn festzunehmen, hatte es aber dann doch unterlassen.

„Es fehlt etwas. Eine Sache, bei der sie den Kopf nicht mehr aus der Schlinge ziehen können“, murmelte Wiebke nachdenklich. „Ist dir aufgefallen, dass sie Frau Heiners beim Vornamen genannt hat? Wir müssen Frau Kühn unbedingt zu ihrer Beziehung zu dem Ehepaar Heiners befragen.“

Petersen warf ihr einen flüchtigen Seitenblick zu und spürte, dass sie die Sache mit ihrem Vater beschäftigte.

„Was empfindest du für ihn?“, wechselte er das Thema.

„Für Papa?“ Wiebke lächelte matt. „Wut, Enttäuschung, aber auch Stolz, weil er wieder da ist und weil er es nicht ohne seine Familie ausgehalten hat. Er ist wieder da, und ich habe beschlossen, ihm zu verzeihen, dass er mir nie geschrieben hat. Meine Mutter war es, die seine Briefe und Karten weggeworfen hat. Im Grunde genommen kann er also nichts dafür. Ganz im Gegensatz zu dem, was er jetzt verbockt hat.“

„Soll ich mitkommen?“

„Nach Flensburg?“ Wiebke schüttelte den Kopf. „Nein, bleib du mal hier, und sieh zu, dass wir irgendwas herausfinden, was Levke Kühn oder Torben Schäfer für uns so interessant macht, dass wir sie in die Enge treiben können.“

„Das haben wir doch schon: Er hat sein Aussehen verändert, sie beide gemeinsam in der Schule krankgemeldet, obwohl die Affäre der beiden eigentlich geheim bleiben sollte. Merkst du was, Wiebke? Er wollte, dass sie auffliegen, damit sie sich gegenseitig ein Alibi geben können. Und die Sache mit dem als gestohlen gemeldeten Golf ist auch komisch.“

„Der Countdown läuft. Wir können Schäfer nicht ewig in der Zelle lassen. Jetzt müssen wir reinklotzen, um den Fall diesmal endgültig zu klären. Und Frau Kühn unterläuft vielleicht noch ein Fehler, weil sie sich durch Schäfers Verhaftung in Sicherheit wähnt.“

„Wir sollten sie beschatten lassen”, stimmte Petersen seiner Kollegin zu.

„Die zentrale Frage lautet doch: Wie kamen Heiners und sein Mörder in das Multimar?“ Wiebke beruhigte sich langsam. „Haben wir schon alle Mitarbeiter durchleuchtet?“

„Piet sagt ja. Aber was ist mit Beke Frahm?“ Petersen trommelte auf dem Lenkradkranz herum.

„Sie hat nichts damit zu tun, sonst wäre das alles ein wenig zu konstruiert. Warum sollte die Frau, die morgens als Erste die Ausstellung betritt, auch dafür gesorgt haben, dass ungebetene Besucher nach Kassenschluss ins Multimar kommen?“

„Weil sie rund um die Uhr reinkommt.“

„Das würde heißen, dass ihr Freund in irgendeiner Weise in die Geschichte involviert ist. Und Peer Hansen kann es sich nicht leisten, dass sein Name mit solchen Gerüchten in Verbindung gebracht wird. So was ist nicht gut fürs Geschäft, Jan.“ Wiebke schüttelte den Kopf.

„Wenn er ein Motiv hatte, würde ihn das sicher nicht abhalten.“

Wiebke überlegte. „Vielleicht hast du recht. Dein Freund Fiete hat uns doch was von einer Nacht- und Nebelaktion geflüstert. Da schert sich Hansen auch nicht um Gerüchte, die möglicherweise aufkommen könnten.“

„Ich werd noch mal mit Fiete schnacken“, versprach Petersen. Und er überlegte sich, wie er das am besten anstellen könnte. Sie hatten den Hof der Polizeidirektion an der Poggenburgstraße erreicht. Petersen lenkte den Kombi in eine der freien Boxen, nahm das Handy und die Unterlagen und stieg aus. „Und nu?“

„Werd ich mit meinem Auto nach Flensburg fahren und Papa aus den Fängen des schrecklichen Kommissars Friedrichs retten.“

„Halt mich auf dem Laufenden, Mädchen.“

„Versprochen.“ Sie zwinkerte ihm zu und stieg in den alten Passat ein, der mit dem ersten Dreh am Zündschlüssel ansprang, als wäre er ein Neuwagen.