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Mit blutunterlaufenen, verweinten Augen saß Julia auf dem unbequemen Stahlrohrstuhl. Ein mondloser Nachthimmel hatte sich über die Welt gelegt.

Sie war pünktlich in Boston eingetroffen und hatte ein Taxi zu Dr. Colverhomes Praxis genommen. Der Blick auf das neue Leben auf dem Bildschirm verschaffte ihr ein bisher ungekanntes Gefühl: Ihr und Nicks gemeinsames Kind lebte und wuchs in ihr heran. In siebeneinhalb Monaten käme es auf die Welt und würde Eltern vorfinden, die es bedingungslos liebten.

Doch als Julia die Arztpraxis verließ, klingelte ihr Handy.

Marcus’ Stimme war seltsam ruhig.

Er sagte ihr, dass Shamus’ Flugzeug sie am Logan International Airport erwarte, um sie sofort nach Westchester zu bringen, wo er sie erwarte, um mit ihr zum Krankenhaus zu fahren.

Während des gesamten Fluges hatte Julia keinen klaren Gedanken fassen können. Wie konnte ein Leben in ihre Welt treten und ihr gleichzeitig ein anderes genommen werden?

Sie erhob sich von ihrem Stuhl und beugte sich über Nick. Ihn mit Kabeln und Schläuchen an Geräte angeschlossen zu sehen, das ständige Piepen des Herzmonitors im Ohr, gemahnte sie daran, wie nahe der Tod ständig war.

Sie fürchtete, dass Nick trotz der hoffnungsvollen Worte der Ärzte nie wieder die Augen aufschlug. Nick war von Dunkelheit umhüllt, verloren in einem Abgrund der Verzweiflung. Immer wieder sah er Julia tot am Boden liegen, sah Marcus, vor seinen Augen ermordet, sah die angeleinten Leichen am Grund des Kensico-Stausees. Er sah Flugzeuge vom Himmel stürzen, sah Feuerwolken und beißenden schwarzen Rauch in die Luft steigen. Er sah die Leichen der Opfer, Hunderte, und wanderte ziellos zwischen ihnen umher, während sie ihm aus ihren toten Mündern ins Ohr flüsterten.

Und dann war Julia da, füllte sein Blickfeld aus. Ihr Gesicht war unversehrt und wunderschön, und sie rief ihn, redete ihm zu, zog ihn in den Himmel …

Als er die Lider aufschlug, schaute sie auf ihn hinunter, die Augen voller Tränen.

»He«, wisperte er.

Sie umarmte ihn. All die Furcht, ihn beinahe verloren zu haben, löste sich.

Schließlich trat sie zurück, als Paul Dreyfus ins Zimmer kam. Er schaute Nick in die Augen und las die Geräte ab. »Ich wusste, dass Sie es schaffen.«

Nick lächelte schwach.

»Der Kerl hier hat Ihnen das Leben gerettet«, sagte Shannon und trat aus einer Zimmerecke hervor.

»Seit Vietnam habe ich niemanden von der Schwelle des Todes zurückgeholt«, sagte Dreyfus. »Allerdings hat der Defibrillator die meiste Arbeit getan.«

»Glauben Sie ihm bloß nicht«, erwiderte Shannon. »Wenn er nicht so lange an Ihnen herumgewerkelt hätte, wären Sie nicht mehr unter uns.«

»Ich weiß nicht mehr, wie lange ich gebraucht habe«, sagte Dreyfus, holte etwas aus der Tasche, nahm Nicks Hand und drückte es ihm hinein. »Man verliert das Zeitgefühl, wenn man versucht, jemanden zu retten.«

 Nick wusste sofort, was Dreyfus ihm gegeben hatte. Als er die Uhr wieder in der Hand hielt, war das vertraute Gefühl tröstlich und beruhigend.

»Hallo, Nick«, sagte Marcus, der an der Wand lehnte.

»Marcus …« Nick bekam das Wort kaum heraus. Er war froh, seinen besten Freund lebend und in einem Stück zu sehen. Als er den Blick schweifen lief und Julia und Marcus, Dreyfus und Shannon anschaute, kam er sich vor, als wäre er soeben aus dem Land Oz zurückgekehrt, erfüllt von einer unglaublichen Geschichte, die niemand begreifen würde.

Dann sah er ihn. Er stand auf dem Tisch neben seinem Bett.

Der dunkle Mahagonikasten.

»Respekt«, sagte Shannon und tätschelte Nicks Bein, »Sie waren heute sehr mutig.«

»Danke«, sagte Nick.

»Ich bin froh, dass Sie über den Berg sind.« Shannon ging zur Tür und öffnete sie. »Tja, ich muss los. Morgen bekomme ich einen neuen Partner, diese Flasche namens Brinehart. Wahrscheinlich muss ich dem Kerl erst ein bisschen Verstand einbläuen.« Er wurde ernst. »Ihr Freund Dreyfus hat mich zwar einigermaßen ins Bild gesetzt, Nick, aber Sie schulden mir trotzdem noch ein paar Erklärungen. Bis dahin aber halten Sie die Ohren steif und ruhen sich aus, okay?«

Shannon verließ das Zimmer.

»Danke, dass du gekommen bist«, sagte Nick zu Marcus.

»Na hör mal«, sagte Marcus mit einem verlegenenen Lächeln. »Für dich würde ich eine Kugel auffangen. Und das sage ich wirklich nicht zu jedem.«

»Ich weiß, dass du froh bist, mich zu sehen«, sagte Nick. »Aber da ist noch etwas anderes, nicht wahr? Hast du dich frisch verliebt?«

 »Du wirst es nicht glauben«, erwiderte Marcus. »Dieser junge Bursche, Jason Cereta …«

»Cereta?«, fragte Julia verblüfft. »Ein blonder junger Mann Mitte zwanzig?«

»Du kennst ihn?«

»Wir sind heute Morgen zusammen nach Boston geflogen.«

»Wirklich? Tja, die Welt ist klein«, erwiderte Marcus und fuhr fort: »Wie auch immer, vor ein paar Minuten hat er angerufen. Der Kerl ist verschlagen wie der Teufel, charmant wie die Hölle, eine Art jüngere Version von mir, allerdings mit Haar.« Marcus fuhr sich mit der Hand über den kahlen Kopf. »Nur nicht so gut aussehend. Jedenfalls, er ist heute auf eigene Faust nach Boston geflogen und hat meinen Traum wahr gemacht. Mir gehört jetzt Halifax Skis. Ich muss ein völlig neues Team einstellen, das sich um die Sache kümmert, aber das wird es wert sein.«

Nick setzte sich auf. »Marcus, du musst mir einen Gefallen tun. Ich kenne da jemanden. Er hat gerade seinen MBA gemacht und dient in der Nationalgarde.«

»Beim Militär? Das gefällt mir.«

»In seinem Leben hat es schon genug Tod gegeben. Du musst ihn einstellen.«

»Ohne Vorstellungsgespräch?«, fragte Marcus überrascht. »Wie heißt er?«

»McManus. Corporal McManus.«

»Da hat seine Mutter ihm aber einen tollen Soldatennamen gegeben. Hat Corporal noch einen anderen Vornamen?«

»Klugscheißer. Er heißt Neil.«

Marcus rieb sich den Nacken. »Ich bekomme Kopfschmerzen, wenn ich mit neuen Leuten ein Risiko eingehen soll, aber wenn du willst, ist er so gut wie eingestellt.«

Die Tür des Krankenzimmers schwang auf, und ein uralter Mann trat ein. Bei seinen langsamen, schlurfenden Schritten stützte er sich auf einen langen dunklen Mahagonistock, dessen Griff zu einem Elefantenkopf geschnitzt war. Sein Haar war weiß, seine blasse Haut runzlig, doch seine Augen blickten scharf und wach.

In zweireihigem Blazer und weißer Leinenhose mit scharfer Bügelfalte begleitete ihn Zachariah Nash, der Mann, der Nick die Taschenuhr gegeben und ihn auf die Reise geschickt hatte.

»Nick«, sagte Julia und wies auf den alten Mann, »das ist Shamus Hennicot.«

»Nicholas«, sagte Hennicot und neigte den Kopf. »Ich freue mich, Sie am Leben zu sehen. Ich möchte Ihnen meinen Privatsekretär vorstellen, Mr. Zachariah Nash.«

Nash neigte den Kopf, als sähe er Nick zum ersten Mal. Hennicot blickte kurz zu Paul Dreyfus hinüber und nickte ihm grüßend zu.

»Julia?« Nick atmete tief durch und leckte sich die Lippen. »Könntest du mir eine Cola holen?«

»Sicher«, sagte sie lächelnd. Mit fragend erhobenen Augenbrauen wandte sie sich Hennicot und Nash zu.

»Für uns nichts, meine Liebe«, sagte Hennicot.

»Ich kann es kaum fassen, dass Sie hierhergekommen sind«, sagte Julia. »Das bedeutet mir sehr viel.«

»Wie ich hörte, sind Sie heute mit meiner Frau geflogen«, erwiderte Hennicot mit einem warmen Lächeln. »Ich hoffe, der Flug war angenehm.«

Julia blickte ihn erstaunt an.

»Zierlich, grauhaarig, redet sehr viel …«, sagte Hennicot.

»Katherine? Das war Ihre Frau?«, fragte Julia überrascht.

»Sie hat sehr gut von Ihnen gesprochen.«

»Ich hätte nie gedacht …«, setzte Julia verwirrt an.

»Das macht Ihren Charme umso besonders.«

 »Ich habe ein bisschen Hunger«, sagte Marcus zu Julia, durchquerte das Zimmer und öffnete die Tür. »Ich komme mit dir.«

Als Hennicot mit Dreyfus, Nash und Nick allein war, zog er sich einen Stuhl heran und nahm neben Nicks Bett Platz.

»Sie haben eine erstaunliche Frau, Nicholas. Sie haben großes Glück.«

»Ich weiß.«

»Und sie hat sogar noch größeres Glück, jemanden wie Sie zu haben«, fuhr Hennicot fort. »Nur ein Mann, dessen Herz von wahrer Liebe erfüllt ist, würde nicht die Macht missbrauchen, die Sie in Händen halten.«

Nick öffnete die Faust und blickte auf die Taschenuhr, die Dreyfus ihm gegeben hatte.

»Julias Tod und der Tod meiner Frau … alles war meine Schuld«, sagte Hennicot bedauernd. »Leider hat die Zeit mich meiner Jugend beraubt. Wäre ich ein jüngerer Mann, hätte ich Ihnen diese unmögliche Reise niemals auferlegt. Aber ich bin zu gebrechlich, zu schwach, um Sprünge durch die Zeit durchzustehen, und mein Verstand ist nicht mehr klar genug, um zurückzugehen und die Welt auf den richtigen Weg zu bringen.«

»Moment mal …«, sagte Nick verwirrt. »Ist der Flugzeugabsturz geschehen?«

»Nein«, antwortete Hennicot.

»Der Einbruch?«

»Nein. Ethan Dance ist in der Limousine eines gewissen Rukaj verschwunden, und seitdem hat man nichts mehr von ihm gehört. Detective Shannon hat Horace Randall und John Arilio wegen mehrerer Straftaten festgenommen, nachdem sie ihn und Nash heute Morgen am Flughafen seiner Freiheit beraubten.«

»Was ist mit Sam?«, fragte Nick und blickte Paul Dreyfus an.

»Sam ist eine Weile fort«, erklärte Hennicot, »um gründlich nachzudenken. Paul wollte, dass er verhaftet wird, aber ich wollte nicht zulassen, dass sein Bruder ins Gefängnis geht. Mit den beiden Detectives befasst sich bereits die Abteilung für interne Ermittlungen. Was Sam angeht … ich war der Meinung, er hätte noch einen Versuch verdient, zu lernen, wie man mit dem Leben zurechtkommt.«

»Aber wenn nichts von alledem geschehen ist …« Nick zögerte. »Wie kommt es dann, dass Sie sich an alles erinnern?«

»Ich erinnere mich an nichts«, erwiderte Hennicot nüchtern.

»Wie können Sie dann davon wissen?«, fragte Nick.

Hennicot hob den Brief, den Nick im Verhörraum von Nash bekommen hatte, und zeigte auf den Abschnitt in der kleinen, fremdartigen Schrift, das Postskriptum, das Nick nie hatte entziffern können.


 
Φλιγητ 502 χρασηεδ ωιτη Κ ον βοαρδ, µαρψ ωασ

κιλλεδ βψ τηοσε ωηο ροββεδ µε ανδ στολε τηε φακε

µαηογανψ βοξ ιν αδδιτιον νοτε τηε ναση τηε οιυηε

ισιφυυ τοδελιϖερϖερδ τηε ωατχη, ∆ρεψφυσ ισ δεαδ,

νιχκ ισ βεινγ φραµεδ ανδ τηισ αλλ αοσιυφ σηφϕεϕ.

ακδϕφ σκφϕεοοιαηητ εηιοισφµ. ηαππενεδ βεχαυσε ι

νεϖερ δεστροψεδ τηε τιµε σδφκϕκεισιιφ ασδκλκσφ σφ

κσφ φιεϕϕαφ σκϕφ εκϕ φ σφκϕ εοιϕφ εκρϕ τηε τψουρ

φκϕδφ ε φκφϕ ειιϕφ σφιϕ φϕιφϕ εϕκαφϕ ϕκελκασδφ

δϕφκ φϕδ δϕδϕ δ ϕρ εϕ φ αδϕε φϕϕδ φ τϕεκϕφ σοιυωερ

ϕφϕσφ νε ϕδφϕ φ δπιεχε


 
»Es ist eine sehr alte Schrift. Ich habe diesen Text selbst geschrieben … an mich, so ähnlich, wie Sie es Ihren Freund Marcus tun ließen. Wir denken ähnlich, Sie und ich«, sagte Hennicot lächelnd. »Ich habe mir selbst Julias Tod erklärt, den Tod meiner Frau, den Flugzeugabsturz, den Einbruch und wie alles mit diesem Kasten zusammenhängt.« Hennicot legte die Hand auf den Mahagonikasten. »Insbesondere habe ich angemerkt, wieso ich Zachariah zu Ihnen geschickt habe und was meine Absichten waren, denn ich wusste, wie sehr Sie Ihre Frau lieben.«

Hennicot holte den Ausdruck des Wall Street Journal hervor, in der Mitte das Foto der Absturzstelle von Flug 502. »Und als ich das hier gesehen habe – das Wrack des Flugzeugs, in dem Ihre und meine Frau gesessen haben – und gehört habe, was Sie Paul über Julias Ermordung und alles andere erzählt haben, kannte ich auch die übrigen Einzelheiten.«

Nick wandte sich Nash zu. »Woran erinnern Sie sich?«

Nash lächelte. »An Ihre Tapferkeit auf dem Flughafen.«

Nick blickte Dreyfus an. »Und Sie?«

Dreyfus nahm Hennicot den Ausdruck des Wall Street Journal aus der Hand. »Als ich begriffen hatte, dass Sie diese Seite acht Stunden zu früh besaßen, wusste ich, was in Ihrem Besitz war. Und ich wusste, wenn Sie die Uhr hatten und in der Zeit rückwärtsreisten, konnten Sie die Uhr nur von Shamus bekommen haben.«

»Bei dem Gedanken an Macht«, sagte Hennicot, »werden die Herzen der Menschen hart, bei dem Gedanken an Reichtum zerfallen Werte und Moral, aber vor der Liebe wird beides zweitrangig.«

Hennicot nahm einen achteckigen Schlüssel heraus, den Paul Dreyfus exklusiv für ihn entworfen hatte. Dreyfus zückte einen gleich aussehenden Schlüssel, und Nash ebenfalls. Jeder schob seinen Schlüssel in ein Schloss auf einer der drei Seiten des Holzkastens und drehte ihn.

Hennicot hob den Deckel und enthüllte ein Samtfutter, das fast bis zum Rand des Fachs reichte. In der Mitte befand sich eine einzelne, ungefähr acht Zentimeter durchmessende Vertiefung, in die exakt die goldene Uhr passte.

Und alles war klar.

 »Mein Großvater hat sie gefunden«, sagte Hennicot. »Besser gesagt … ich glaube, er hat sie gestohlen, einem Mann aus Venedig, der sie wiederum der französischen Familie Martinot entwendet hatte. Mit dieser Uhr hat mein Großvater sein gesamtes Vermögen erworben, indem er in der Zeit zurück- und wieder vorgereist ist und die Wendungen des Schicksals beeinflusst hat. Sein Imperium gründete sich darauf. Ein Imperium, das mein Vater weiter anwachsen ließ. Beide waren habgierige Menschen, denen es nur um die Macht ging, ohne dass sie je begriffen hätten, welche Konsequenzen ihr Tun haben könnte.

Als die Uhr am Totenbett meines Vaters an mich überging, schwor ich mir, niemals den Gelüsten zum Opfer zu fallen, die meinen Vater verzehrt hatten. Ich setzte mir zum Ziel, die Uhr nur zum Besten der Welt einzusetzen. Doch schon bald erfuhr ich, dass auch gute Absichten katastrophale Folgen nach sich ziehen konnten. Deshalb habe ich die Uhr an einem sicheren Ort aufgehoben und darauf verzichtet, ihre Fähigkeiten weiterhin einzusetzen. Stattdessen nahm ich mir vor, die Milliarden gerecht zu verteilen, die meine Vorfahren angehäuft hatten, ohne an die Ergebnisse ihres Handels zu denken, an die Folgen, die ihre Reisen für die Welt hätten.

Wer weiß, wie unsere schicksalhaften Begegnungen sich aufeinander auswirken? Wenn in China ein Schmetterling mit den Flügeln schlägt – löst er damit in Europa einen Krieg aus? Die Was-wäre-wenns des Schicksals sind endlos: Wäre Kolumbus nicht von Königin Isabella finanziert worden, hätte Hitler den Krieg gewonnen, hätte Einstein nicht an Roosevelt geschrieben und ihn gedrängt, die Atombombe entwickeln zu lassen … Wie sollen wir wissen, was gewesen wäre? Wer sind wir, dass wir uns anmaßen, Gott zu spielen?«

»Aber wenn Sie gewusst haben, wie gefährlich die Uhr ist, warum haben Sie sie dann nicht zerstört?«, fragte Nick.

 »Wir alle sind fehlbar, Nicholas. Ganz gleich, wie edel wir uns rühmen, jeder von uns glaubt, dass er rechtschaffen denkt und handelt und von standhaftem Charakter ist. Ich glaubte, der Versuchung widerstehen zu können und die Möglichkeiten der Uhr nur in den allerschlimmsten Fällen zu nutzen.«

»Und der Tod Ihrer Frau war solch ein Fall«, sagte Nick verständnisvoll.

»Nein, Nicholas. Das war kein solcher Fall.«

Nick blickte ihn fragend an.

»Sie sind durch die Zeit gesprungen, um Julia zu retten«, sagte Hennicot. »Sie wären durch die Feuer der Hölle gegangen und wieder zurück, wenn Julia dadurch wieder gelebt hätte. Nun, auch ich kenne diese Liebe. Ich wusste, dass Sie bei Ihren Reisen nicht mit dem Tod Ihrer Frau haltmachen, sondern im Angesicht von so viel Leid und Sterben auch Katherine und jedem an Bord dieses verhängnisvollen Fluges das Leben retten würden.«

Hennicot hob den Brief, den Nash Nick gegeben hatte, und wies auf den Absatz, der in den fremdartigen Schriftzeichen verfasst war. »Als ich von Julias Tod hörte, schickte ich Nash mit der Uhr und diesem Brief zu Ihnen. Wenn meine Frau bei einem Flugzeugabsturz umkommt, ist das eine Sache, aber es ist etwas anderes, wenn Ihre Frau unschuldig ermordet wird, weil ich es versäumt habe, mich ein für alle Mal von diesem Ding zu befreien. Ich liebe Ihre Frau wie eine Tochter, Nicholas, und wenn ich sterbe, wenn meine Frau stirbt, fällt mein Erbe an Julia … aber das bleibt bitte unter uns.« Lächelnd tätschelte Hennicot Nick die Hand.

»Wenn Sie so freundlich wären«, sagte Hennicot und neigte den Mahagonikasten zu Nick.

Nick blickte auf die goldene Uhr, öffnete den Deckel und las ein letztes Mal die Inschrift: Fugit irreparabile tempus. Dann schloss er sie und legte sie in die kreisförmige Mulde im Samtfutter des Mahagonikastens.

 Dreyfus nahm den Kasten vom Tisch und schloss den Deckel, drehte jeden Schlüssel herum und nahm sie heraus, reichte einen Nash, einen Hennicot und steckte sich den letzten in die Tasche.

Hennicot ergriff seinen Elefantenkopfstock und erhob sich. »Nicholas, ich danke Ihnen, dass Sie sind, wer Sie sind.«

Der alte Mann schlurfte zur Tür. Dreyfus und Nash folgten ihm.

»Was tun Sie damit?«, fragte Nick.

»Keine Sorge. Paul und Zachariah machen einen kleinen Segeltörn in den westlichen Pazifik zum Marianengraben. Das Meer ist dort fast sieben Meilen tief.«

Dreyfus und Nash winkten Nick kurz zu; dann folgten sie Hennicot durch die Tür.


 
Mit einer Dose Cola und einer Packung Kekse kam Julia wieder ins Zimmer. »Heldenfrühstück«, sagte sie, riss die Coladose auf und reichte sie Nick. Dann öffnete sie die blaue Keksverpackung.

»Ich habe Marcus nach Hause geschickt. Er hat mir ein bisschen zu heftig mit den Krankenschwestern geflirtet. Du weißt ja, wie er ist, wenn er ein gutes Geschäft gemacht hat. Dann ist die ganze Welt schön für ihn.« Julia lachte. »Im Aufzug habe ich Shamus getroffen. Habe ich dir schon mal gesagt, was für ein großartiger Mensch er ist? Ich liebe ihn wie einen zweiten Vater.«

»Und dich betrachtet er als Tochter«, sagte Nick, aß einen Keks und spülte mit einem Schluck Cola nach.

»Wenn ich meinen Job an den Nagel hängen würde«, sagte Julia langsam, »kämen wir trotzdem zurecht, oder?«

»Wir müssten uns vielleicht ein bisschen einschränken, aber das würde mir nichts ausmachen.«

»Mir ist es auch egal, ob wir in einer Hütte wohnen, solange wir nur zusammen sind. Ich finde, es wird Zeit, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als Geld und Karriere.«

wir nur zusammen sind. Ich finde, es wird Zeit, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als Geld und Karriere.«

»Komisch, dass du das erwähnst«, erwiderte Nick. »Ich glaube nicht, dass uns Geldsorgen bevorstehen.«

»Wie kommst du darauf?«

»Ich habe einen kurzen Blick in die Zukunft geworfen.« Nick lächelte. »Kommen wir jetzt zum Thema Nachwuchs.« Er zog Julia in seine Arme.

»Gute Idee.« Julia setzte sich auf die Bettkante und legte Nick zwei kleine Geschenkpakete auf den Schoß. Die Teddybären lächelten zu ihm hoch.

»Geschenke?« Nick nahm das erste Päckchen auf. »Hmm, das fühlt sich an wie ein Buch.«

Julia konnte sich kaum zügeln. »Tust du mir einen Gefallen und machst das andere Päckchen zuerst auf?«

Nick kam sich vor wie ein kleiner Junge. »Was ist denn los? Fällt Weihnachten neuerdings in den Juli?«

»Viel besser«, sagte Julia, fasste Nick bei der Hand und drückte sie, wie ihre Mutter sie gedrückt hatte, als sie ein kleines Mädchen gewesen war.

Nick riss das Papier ab, nahm den Bilderrahmen aus dem Päckchen und …