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Alles stimmte, alles passte zusammen – jedenfalls im Augenblick. Es gab Strom, keine Flugzeuge stürzten vom Himmel, und keine Einbrüche waren verübt worden. Julia lebte und war in Sicherheit. Das Leben ging seinen gewohnten Gang, und alle Welt freute sich auf das Sommerwochenende.

Niemand ahnte, was kommen würde, niemand wusste von der schrecklichen Wendung, die das Schicksal in einer Stunde und fünfzig Minuten nehmen sollte – niemand außer Nick. Er hatte gesehen, was Byram Hills bevorstand und wusste, was sich bis zum Einbruch der Nacht ereignen würde.

Doch das Schicksal lag in seiner Hand. Er konnte die Zukunft beeinflussen; durch sein Handeln vermochte er den Lauf der Zeit zu ändern.


 
Julia stand im The Right Thing und blickte auf die Bilderrahmen. Sie wusste nicht, wie groß ein Ultraschallbild war und hatte deshalb keine Ahnung, welche Rahmengröße sie brauchte. Schließlich nahm sie drei verschiedene Größen, um sicherzugehen. In der Bücherecke nahm sie sich ihr Lieblingsbuch, Dr. Seuss’ Fox in Sox, aus einem Regal und legte auf dem Weg zur Kasse noch eine Rolle Teddybärpapier in den Einkaufskorb.

Sie bezahlte, stieg in ihren Wagen und fuhr in Richtung Flughafen. Obwohl das Einchecken und die Sicherheitskontrollen am Westchester Airport nie lange dauerten, wollte sie sich ausnahmsweise viel Zeit lassen, statt in letzter Sekunde zum Flugsteig hetzen zu müssen.

Als sie auf die 684 kam, klingelte ihr Handy. Julia las die Anrufernummer ab und aktivierte die Freisprechanlage. »Hallo, Jo.«

»Es tut mir leid«, sagte Jo Whalen, Julias Sekretärin. »Mr. Isles und Mr. Lerner sind bei Gericht, und natürlich muss es bei der Collier-Fusion ausgerechnet jetzt eine Krise geben. Auf einmal heißt es, die Fusion wird nicht stattfinden, wenn die Trusts der Collier-Kinder keine angemessenen Klauseln für den Fall einer Scheidung der Kinder einschließen.«

Julia lachte. »Die Kinder sind fünf und sieben.«

»Vielleicht können die Eltern in die Zukunft sehen«, sagte Jo. »Jedenfalls, Mr. Lerner möchte, dass Sie in seiner Abwesenheit das Konferenzgespräch abwickeln.«

»Ist das Ihr Ernst? Wann?«

»Jetzt. Mr. Lerner sagte, dass die zwölf Millionen Dollar, die wir in Rechnung stellen können, es durchaus wert sein dürften, einen Flug später zu nehmen.«

»Okay, ich komme zurück«, sagte Julia niedergeschlagen. Ihr war, als hätte man Weihnachten abgeschafft.

»Nicht nötig«, sagte Jo. »Ich habe die Konferenzschaltung vorbereitet und kann Sie durchstellen. Dann können Sie alle Probleme dieses Sperma-im-Glück-Trusts in null Komma nichts ausräumen und erwischen Ihre Maschine noch.«

Julia lächelte. Jo war ein Ausbund an Tüchtigkeit. »Ich fahre an den Straßenrand, damit ich das Signal nicht verliere. Stellen Sie die Leute durch.«

»In Ordnung. Und guten Flug.«

»Danke, Jo. Sie sind die Beste.«

»Hallo, alle miteinander«, sagte Jo, »hier habe ich Julia Quinn für Sie.«

 Julia hielt am Straßenrand. Jo war großartig. Sie hatte sie wieder mal gerettet. Jetzt würde sie die Maschine wohl doch noch erreichen.

»Wie ich gehört habe, gibt es Bedenken wegen der Trusts«, sagte Julia, als die Schaltung stand, und lehnte sich in den Sitz. »Nun, dann wollen wir mal sehen, was wir tun können, um die Zukunft der Kinder zu schützen.«


 
Bob Shannon kam aus der Bäckerei. Seine Flasche Gatorade war schon halb leer. Er aß den Bagel, so schnell er konnte, denn er wollte damit fertig sein, ehe er sich in den Mustang setzte. Shannon hasste es, wenn sich in jeder Ritze die Krümel und Mohnkörner wiederfanden, mit denen Bagel gern noch Wochen, nachdem man sie gegessen hatte, auf sich aufmerksam machten.

Mit dem letzten Bissen erreichte er den Wagen. Er klopfte seine Kleidung ab und schwang sich auf den Fahrersitz, als das Vibrieren seines Handys eine neue SMS anzeigte.

Shannon blickte aufs Mobiltelefon, erkannte die Nummer aber nicht. Eine weitere SMS kam, dann noch eine und noch eine. Shannon rief die Nachrichten auf und stellte fest, dass es sich um fünf Bilddateien handelte. Er klickte auf die erste, doch ein Anruf von der gleichen Nummer unterbrach ihn.

»Detective Shannon«, meldete er sich.

»Haben Sie sich die Bilder schon angeschaut?«, fragte der Anrufer.

»Wer ist denn da?«

»Ich warte am Westchester Airport, am Terminal für Privatmaschinen. Ich fahre einen blauen Audi. Und noch eins, Detective: Vertrauen Sie niemandem, besonders nicht Ihrem Partner.«

Der Anrufer legte auf.

Shannon musterte sein Handy, als spielte ihm jemand einen Streich. Ein weiteres Mal blickte er auf die Nummer, doch er kannte sie nicht.

Achselzuckend rief er das erste Bild auf.

Es war ein Foto eines grünen Ford Taurus. Dance’ Schrottkarre, um genau zu sein. Dem V8-Polizeiwagenmotor mit 350 PS zum Trotz sah der Wagen aus, als hätte jemand ihn am Straßenrand stehen lassen. Doch Shannon hatte erfahren müssen, dass Dance viel Zeit in der Bronx verbrachte und sich in Nebenjobs außerhalb der Legalität betätigte. Deshalb fuhr er einen Wagen, der niemandem groß auffiel.

Shannon blätterte zum nächsten Bild weiter. Die Datei zeigte das Heck von Dance’ Wagen mit offenem Kofferraumdeckel. Shannon lachte leise. Offenbar wollte man ihn veralbern. Die Bilder erinnerten an die Fotos, wie sie von Gebrauchtwagen gemacht wurden, die zum Verkauf standen und mitsamt Fotos in Zeitschriften angepriesen wurden, doch er konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand Dance’ Mühle kaufen würde.

Doch als Shannon zum dritten Bild kam, erkannte er, dass es kein Spiel war. Das Foto zeigte Dance’ Wagen ganz aus der Nähe, wieder den Kofferraum. Shannon konnte kaum glauben, was er da sah. Der Kofferraum schien mit einem Schatz gefüllt zu sein: goldene Schwerter, juwelenbesetzte Dolche, mehrere verzierte Revolver, und dazwischen eine schwarze Samttasche, weit geöffnet und mit Brillanten gefüllt, die im Sonnenlicht funkelten.

Shannon runzelte die Stirn. Wenn das ein Scherz sein sollte, war jemand übers Ziel hinausgeschossen. Das war nicht mehr witzig. Doch als Shannon auf das nächste Bild ging, wusste er, dass alles noch weit über das hinausging, was er für möglich gehalten hatte.

Die rechte Hintertür des Wagens stand offen. Der Insasse war angeschnallt und saß in einer Blutlache. Das Blut schien seinen gesamten Oberkörper zu bedecken. Shannon sah genauer hin, konnte das Gesicht des Mannes aber nicht erkennen. Trotzdem wusste er, dass er auf eine Leiche blickte – er sah den Tatort eines Mordes.

Schließlich ging er auf das letzte Foto. Es war ein Bild, bei dem ihm schwindlig wurde – ein grässlicher Anblick, bei dem ihm fast das Herz stehen blieb. Das Foto war aus größerer Nähe aufgenommen worden, durch das linke hintere Seitenfenster. Das Gesicht war klar und deutlich zu sehen. Es war blass, fast bläulich vom Ausbluten. Das Kinn hing schlaff herunter. Die Augen waren starr und leblos und ohne das leiseste Zeichen einer Seele.

Shannon hob den Blick. Ihn überkam ein Verfolgungsgefühl, wie er es noch nie erlebt hatte. Schaudernd senkte er den Blick wieder auf das Handy und hoffte, dass er sich alles nur eingebildet hatte …

Doch es gab keinen Zweifel.

Bob Shannon blickte in sein eigenes totes Gesicht.


 
Nick saß am Terminal für Privatflugzeuge in seinem Wagen und wartete auf Shannon. Er konnte es sich nicht leisten, Zeit mit Erklärungen zu verschwenden; deshalb hatte er sich den idealen Weg einfallen lassen, das Interesse des Detectives zu gewinnen.

Vor der letzten Zeitversetzung war er zum Taurus gerannt, hatte die Tür auf Shannons Seite geöffnet, hatte hineingegriffen und das Handy genommen, das der Detective an der Hüfte trug. Er hatte Shannons Nummer abgelesen, sie in sein Mobiltelefon eingetragen und Shannons Handy wieder in den Wagen geworfen. Rasch hatte er Dance’ Wagen umkreist und die fünf Fotos geschossen, die er soeben gesendet hatte, und damit eine Spannung geschaffen, der Shannon sich niemals entziehen konnte.

Neben Nick auf dem Sitz lag der Colt Peacemaker, den er aus dem Gebüsch geborgen hatte; die leeren Patronenhülsen waren herausgenommen und durch frische Munition ersetzt. Auf die gleiche Waffe hatte er vor fast zwölf Stunden in dem Verhörraum gestarrt; mit diesem Revolver hatte Dance Julia erschossen und die Waffe anschließend in den Kofferraum von Nicks Wagen gelegt, um ihm den Mord anzuhängen. Für Nick symbolisierte der Revolver Tod und Habgier. Doch die Gravuren auf dem Lauf und dem Rahmen der Waffe hatten nun geradezu prophetische Züge bekommen und spiegelten Nicks Streben nach Gerechtigkeit wider:

Denn die Pforte ist weit, und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt … Dass ihr versammelt werdet als Gefangene in der Grube … Und ihr machtet des Zorns noch mehr … Dann wird kommen eine Finsternis über Ägypten … Und kämpft mit denen auf dem Wege Allahs, die mit euch kämpfen …

Das Motorengebrüll einer Maschine der American Air schüttelte Nicks Wagen durch wie anhaltendes Donnergrollen, als das startende Flugzeug in den klaren blauen Himmel stieg. In rhythmischem Gleichtakt, ohne jeden Zwischenfall, starteten und landeten Propellerflugzeuge und Verkehrsmaschinen. Der morgendliche Flugverkehr auf dem Westchester Airport nahm seinen gewohnten Gang.

Nick blickte durch die Windschutzscheibe auf das weite Vorfeld an der zentralen Abfertigung des Hauptterminals, wo sechs mittelgroße Passagiermaschinen Reisende aufnahmen, um sie in alle Teile des Landes zu bringen. Am äußersten Flugsteig stand ein weißer A 300 mit einem auffälligen, kreisrunden Firmenzeichen in Rot und Blau. Der Jet der North East Air stand ruhig da, während er aufgetankt und für den Flug vorbereitet wurde: Essens- und Getränkewagen wurden aufgefüllt, die Passagierkabinen wurden gereinigt und frische Kissen und Decken an Bord gebracht, ehe in einer Stunde die Passagiere zustiegen. Der Jet erhielt die Flugnummer 502 und würde nach einstündiger Reise am Logan International Airport in Boston landen. In diese Maschine würde Julia steigen – und mit ihr viele nichts ahnende Passagiere, die nach nur zwei Meilen Flug in den Tod stürzen würden.

Nick war so sehr auf seinen Versuch fixiert gewesen, den Einbruch zu vereiteln, um Julia zu retten, dass er die 212 Passagiere völlig außer Acht gelassen hatte. Doch so unglaublich es erschien – nun hatte Julia sich zu ihnen gesellt.

Zehn Stunden hatte Nick benötigt, um Julia vor ihrem bevorstehenden Tod zu bewahren und eine Welt zu schaffen, in der ihr Mörder nicht mehr existierte. Doch trotz seiner Bemühungen hatte er sie dem Tod ausgeliefert. Wegen seiner Irrtümer hatte Julia im Katastrophenflugzeug gesessen und einen schrecklichen Tod erlitten – einen Tod, vor dem Nick sich sein Leben lang gefürchtet hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, welche Gedanken Julia und den anderen Passagieren durch den Kopf geschossen waren, als die beiden Maschinen in der Luft zusammenstießen …

Nick wusste, das jeder Augenblick, jedes Ticken der Uhr hierher geführt hatten. Dazu, dass er den Flugzeugabsturz verhindern und nicht nur Julia, sondern auch 212 andere Menschen retten musste, die sinnlos gestorben waren.

Während Nick zu Anfang geglaubt hatte, er müsse einfach nur den Dominostein des Einbruchs am Umstürzen hindern, und Julia würde weiterleben, so wusste er nun, dass jede einzelne Entscheidung, die er traf, weit schlimmere Folgen haben konnte.

Er durfte sich nicht darauf verlassen, dass es genügte, wenn er den Schlüssel zu Dreyfus’ Cessna an sich brachte oder wenn er Julia eine Nachricht hinterließ, nicht in die Maschine zu steigen. Er konnte nicht einmal die Fluggesellschaft oder das Nationale Amt für Transportsicherheit anrufen und erklären, er habe eine Vorahnung. Nick hatte eine anonyme Bombenwarnung in Betracht gezogen, die Idee aber verworfen, weil er viel, viel mehr tun musste, um den Flugzeugabsturz zu verhindern und Julias Leben mit Sicherheit zu retten. Er musste den Einbruch von vornherein unterbinden.

Nick war sich bewusst, dass jede seiner Aktionen Folgen hatte, wobei es keine Rolle spielte, wie edel seine Beweggründe sein mochten. Er hatte es in Marcus’ Tod gesehen, in McManus’ Tod, in Shannons Ermordung und darin, dass Julia letztendlich doch in der Unglücksmaschine saß. Jeder Augenblick, der verändert wurde, schlug Wellen durch die Zeit und hatte unzählige Auswirkungen verschiedenster Art.

Wenn Nick etwas Falsches tat oder die falsche Entscheidung traf, wirkte es sich in die Zukunft hinein aus, und statt den Flugzeugabsturz zu verhindern, verschlimmerte Nicks Fehler die Tragödie des Absturzes von Flug 502 am Ende noch, indem er möglicherweise zur Folge hatte, dass die Maschine nicht auf das freie Stadiongelände stürzte, sondern mitten ins Stadtgebiet von Byram Hills oder ins Ferienlager der Kinder.

Wer konnte sagen, dass sich das Schicksal überhaupt umkehren ließ? War es Julia bestimmt, heute zu sterben, ganz gleich, auf welche Weise – ob nun durch eine Kugel, einen Flugzeugabsturz oder sonst wie? Waren die Passagiere an Bord von Flug 502 dazu verurteilt, unausweichlich bei einem Flugzeugunglück den Tod zu finden, egal welche Anstrengungen Nick unternahm, um die Cessna 400 am Start zu hindern?

Entschlossen schüttelte er die pessimistischen Gedanken ab und fand zur Hoffnung zurück, mit der man Furcht vertreiben, Zweifel beseitigen und selbst in der ausweglosesten Situation Zuversicht finden konnte. Hier war er nun, war auf unerklärliche Weise durch den Tag zurückmarschiert, zu dieser letzten Stunde, die sich für ihn wiederholte, zu seiner letzten Chance, Julia das Leben zu retten …

Und mit Hoffnung im Herzen konzentrierte sich Nick und überlegte, was das Besondere war, das für alle die Zukunft ändern würde: für Julia, Marcus, Shannon, Dreyfus, McManus und ihn selbst. Nick wusste nicht, was es war, doch er wusste, dass er es finden würde, ehe die Stunde verstrichen war.

Er zog sein Handy hervor und versuchte, Julia zu erreichen. Zum zweiten Mal wurde er an die Mailbox weitergeleitet.

»Julia«, sagte er, »ich bin’s. Tu mir einen Riesengefallen. Nimm nicht das Flugzeug nach Boston! Mir ist egal, wohin du willst und ob du gefeuert wirst, aber steig nicht in die Maschine. Ich habe ein schreckliches Gefühl … ich kann es nicht erklären. Tu bitte, was ich sage. Ruf mich an, sobald du diese Nachricht gehört hast.«

Nick trennte die Verbindung und schaute zu der Cessna 400 hinüber. Die weiße Maschine stand in einer langen Reihe aus kleinen Jets und Propellerflugzeugen. Ihre schlanken Linien und das nach hinten geschrägte Kanzeldach erweckte den Eindruck eines von Menschenhand geschaffenen Raubvogels.

Gleich hinter dem kleinen Flugzeug stand der blaue Chevy Impala mit offenem Kofferraum. Paul Dreyfus nahm seinen Aktenkoffer und eine kleine Reisetasche heraus und stellte sie auf den Boden. Er trug eine graue Hose und ein Hemd mit blauer Krawatte. Sein Sportsakko hing in der offenen Tür des Wagens. Das graue Haar hatte er zurückgekämmt, als wollte er zum Sonntagsgottesdienst.

Nick beobachtete ihn, wie er mehrere Minuten um sein Flugzeug herumging und dabei in sein Handy sprach. Dann kam ein dunkelgrüner, glänzend polierter BMW die einspurige Zufahrt entlang. Der Wagen überquerte den fast leeren Parkplatz und hielt am anderen Ende direkt vor Dreyfus.

Ein Mann in einem gestärkten blauen Hemd und gebügelter Hose stieg aus dem Wagen und begrüßte Dreyfus herzlich, indem er ihm mit beiden Händen die Hand schüttelte. Der Mann wirkte gebildet und würdevoll. Er sah aus wie Ende fünfzig, doch seine kräftigen Schultern und die schmalen Hüften bezeugten, dass er topfit war, und sein volles dunkles Haar zeigte nur an den Schläfen einen Hauch von Grau.

Die beiden Männer begannen ein lebhaftes Gespräch, begleitet von Gesten und Kopfnicken, bis der Neuankömmling schließlich den Kofferraum öffnete. Dreyfus kauerte sich nieder und klappte die schwarze Reisetasche aus. Mit einiger Anstrengung hob er etwas heraus, trug es zum BMW, legte es in den Kofferraum und schloss den Deckel.

Nick wurde es kalt ums Herz. Er hatte schon auf den ersten Blick den Mahagonikasten erkannt. Der quadratische Kasten mit seinen sechzig Zentimetern Kantenlänge und das dunkle Holz waren unverkennbar. Die drei silbernen Schlüssellöcher glitzerten in der Vormittagssonne.

Der Mann in dem blauen Hemd drehte sich um. Die Sonne beschien sein Profil – und die letzten zwölf Stunden in Nicks Leben wurden auf den Kopf gestellt. Ihm wurde schwindelig, als er begriff, wen er da sah.

Den Europäer – den Mann, der im Verhörraum aufgetaucht war, ihm die Uhr gegeben und ihn auf die Reise geschickt hatte, damit er seine Frau retten konnte. Und hier nahm er den Mahagonikasten entgegen, den Sam Dreyfus in einer Stunde stehlen sollte, den Kasten, der den Anstoß für so viel Gewalt, so viele Morde und Julias zweimaligen qualvollen Tod geben würde – der Kasten, dessen Diebstahl und Besitz letzten Endes den Absturz von Flug 502 verursachen würde.

Nick war zutiefst verwirrt über das offensichtliche Einvernehmen zwischen Paul Dreyfus und dem Europäer. Nie hätte er eine Verbindung vermutet, nie angenommen, dass man ihn wegen etwas anderem als Julias Rettung auf die Reise geschickt haben könnte. Den Kasten hatte er für einen gewöhnlichen gestohlenen Gegenstand gehalten – die Trophäe, auf die Sam Dreyfus es abgesehen hatte. Über den Inhalt des Kastens und dessen Wert hatte er nie nachgedacht; er hatte ihn als Geheimnis eines alten Mannes abgetan, das nur ihm selbst kostbar war.

Jetzt aber …

Der Kasten war unlösbar mit Julias Tod verbunden, mit dem Absturz von Flug 502 – ein Holzkasten, auf dessen Inhalt es viele Konkurrenten abgesehen hatten.

Nie hätte Nick erwartet, den Mahagonikasten jetzt schon zu Gesicht zu bekommen, vielmehr hatte er ihn im Safe in Hennicots Keller vermutet. Seiner Ansicht nach konnte das, was er nun beobachtete, nur eines bedeuten: dass die eigentlichen Diebe am anderen Ende des Parkplatzes vor ihm standen.

Nick sprang aus dem Wagen und rannte über den schwarzen Asphalt auf die beiden Männer zu. Der Europäer entdeckte ihn aus dem Augenwinkel, stieg sofort in seinen Wagen und setzte zurück. Nick überwand die fünfzig Meter Distanz, sprintete an Dreyfus vorbei und rannte parallel zum fahrenden Wagen weiter, der nun auf die Ausfahrt zuhielt. Mit den Fäusten hämmerte Nick gegen das Seitenfenster. Der Mann sah Nick kurz an; dann trat er aufs Gaspedal und ließ ihn in einer Staubwolke hinter sich. Nick rannte langsamer, blieb schließlich stehen und blickte dem fliehenden BMW hilflos hinterher.

Dann aber griff das Schicksal zu seinen Gunsten ein: Am Tor bog der schwarze Mustang auf die einspurige Zufahrtsstraße zum Parkplatz ein. In seinem schwarzen Kühlergrill blitzten stakkatoartig rote und blaue Lichter, begleitet von Sirenengeheul. Der PS-starke Wagen brach zur Seite aus, kam schlitternd zum Stehen und versperrte dem BMW die Ausfahrt.

Shannon sprang aus dem Wagen, hob die Hand und zog die Waffe.

»Steigen Sie aus!«, rief er.

Der Europäer gehorchte.

 »Haben Sie mir diese Fotos geschickt?«, brüllte Shannon.

Der Europäer blickte ihn verwirrt an.

»Das war ich!«, rief Nick, rannte zu Shannon und blieb neben ihm stehen.

Paul Dreyfus schloss zu ihnen auf und tauschte wütende Blicke mit dem Europäer.

»Was für einen üblen Streich wollen Sie mir spielen?«, fragte Shannon mit zusammengebissenen Zähnen.

»Ich versichere Ihnen, Detective«, sagte Nick, »das ist kein Scherz.«

»Wo haben Sie diese verdammten Fotos her?«

»Hören Sie mich an«, sagte Nick mit Nachdruck. »Im Kofferraum dieses Wagens liegt ein Kasten aus Mahagoni, der Shamus Hennicot gestohlen wurde, dem Besitzer von Washington House in Byram Hills.«

Shannon starrte Nick kurz an; dann wandte er sich dem Mann neben dem BMW zu. »Würden Sie bitte den Kofferraum öffnen?«

Wortlos drückte der Mann den Knopf an seinem Funkschlüssel, und die Kofferraumhaube hob sich. Shannon ging um den Wagen herum und blickte in den sauberen Kofferraum, der leer war bis auf einen dunklen, quadratischen Holzkasten von sechzig Zentimetern Kantenlänge.

»Okay, der Mann hat diesen Kasten im Kofferraum«, sagte Shannon. »Und was zum Teufel soll das sein?«

»Mein Name ist Paul Dreyfus«, sagte Paul und ging auf Shannon zu, wobei er ihm die geöffnete Brieftasche mit seinem Führerschein entgegenhielt, um sich auszuweisen. »Ich arbeite für Shamus Hennicot. Meine Firma ist für die Sicherheitssysteme in Mr. Hennicots Häusern zuständig, darunter auch Washington House.«

Shannon nahm Dreyfus’ Führerschein, betrachtete ihn und verglich das Foto mit Pauls Gesicht. Dann wandte er sich an den anderen Mann. »Und wer sind Sie?«

»Zachariah Nash. Ich bin Mr. Hennicots Privatsekretär und beaufsichtige seinen Besitz.«

»Und Sie?«, wandte Shannon sich schließlich an Nick. Je verworrener die Situation sich darstellte, desto ärgerlicher wurde der Detective.

Nick war sprachlos, als sich herausstellte, dass der Europäer, der sich Nash nannte und der ihm die Taschenuhr gegeben hatte, für Hennicot arbeitete.

Shannon wies auf Nick. »Kennt jemand von Ihnen diesen Mann?«, fragte er.

»Nein«, sagte Dreyfus.

Nash schüttelte den Kopf.

»Ich heiße Nicholas Quinn.« Nick erlangte die Fassung wieder und wandte sich Dreyfus zu. »In einer Stunde stiehlt Ihr Bruder die Waffen und Brillanten aus Shamus Hennicots Villa – und auch diesen Kasten.«

Dreyfus, Nash und Shannon tauschten Blicke, als wären sie im Traum eines Wahnsinnigen gefangen.

»Nicht diesen Kasten«, sagte Dreyfus leise und trat einen Schritt auf Nick zu.

»Natürlich! Das ist der Kasten, den Ihr Bruder aus Hennicots Safe stiehlt«, entgegnete Nick. »Ich bin ganz sicher.«

Dreyfus schüttelte den Kopf. »Der Kasten im Safe von Washington House ist ein Duplikat. Ein leerer Prototyp.«

»Was?« In Nicks Augen loderte Zorn auf.

»Mein Bruder wird diesen Kasten oder seinen Inhalt nicht in die Hände bekommen, das kann ich Ihnen versichern.«

»Warum sagen Sie ihm nicht einfach, dass Sie ihn bereits gestohlen haben?«, fragte Nick gepresst. Jetzt, eine Stunde vor dem Einbruch, ergab nichts, was er zu sagen hatte, einen Sinn.

 »Wie bitte?«, fragte Dreyfus. »Ich habe den Kasten nicht gestohlen.«

»Der Kasten im Safe war also eine Attrappe?«, fragte Nick, obwohl er die Antwort bereits kannte.

»Wer sind Sie?« Dreyfus’ Gesicht zeigte Verwirrung.

Nick war am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Er hatte einen fast narrensicheren Plan geschmiedet, doch jetzt, wo sich herausstellte, dass Dreyfus und Nash zusammenarbeiteten und der Kasten im Safe eine Nachahmung gewesen war …

Nick hielt Dreyfus’ bohrendem Blick stand, ohne zu wissen, wie weit er gehen konnte, wie weit er die Frage vorantreiben konnte, ehe er den letzten Rest Glaubwürdigkeit verlor.

»Mehr als zweihundert Menschen werden heute Vormittag sterben!«, stieß Nick hervor. »Meine Frau ist unter den Toten. Sie stirbt in diesem Flugzeug wegen Ihres Bruders, Dreyfus, weil Ihr Bruder hinter dem Inhalt dieses Kastens her ist, was immer das sein mag.«

»Was reden Sie denn da?«, fragte Paul Dreyfus.

»Es tut mir leid«, sagte Shannon zu Dreyfus. Er blickte Nick an, als hätte er einen Verrückten vor sich, und ergriff Nicks Arm. »Würden Sie mich bitte begleiten, Mr. Quinn?«

»Ich bin nicht verrückt!«, rief Nick, riss sich von Shannon los und ging auf Dreyfus zu. »Hat schon mal jemand Hennicots Waffensammlung gesehen? Sie sind für die Sicherheit von Washington House verantwortlich! Sie haben das System entworfen, das dort alles schützt! Wurde jemals öffentlich gemacht, woraus seine Waffensammlung besteht?«

Dreyfus starrte ihn an. »Nein.«

»Ist die Alarmanlage, die Sie entworfen haben, jemals überwunden worden?«

»Nein«, antwortete Dreyfus.

»Also weiß niemand, dass Sultan Murads Sonderanfertigung eines Colt Peacemaker, bedeckt mit religiösen Sprüchen, in einem Schaukasten in Hennicots Kellerfestung liegt?«

Dreyfus starrte Nick an. Was er dachte, ließ sich unmöglich sagen.

»Sie waren doch eben noch dort, Paul«, sprach Nick ihn an, als wären sie alte Bekannte. »War die Vitrine unversehrt?«

Dreyfus nickte. »Worauf wollen Sie hinaus?«

»Die vierzehn verbleibenden Silberkugeln, Sonderanfertigungen, jede einzelne personalisiert, trugen einen arabischen Spruch …«

»Möge das Paradies dir verschlossen bleiben«, sagte Dreyfus langsam.

Nick griff in die Tasche, zog die Hand mit geballter Faust wieder hervor, hielt sie Dreyfus vors Gesicht und öffnete sie, sodass eine Handvoll Silberkugeln zum Vorschein kamen.

»Was soll das alles?«, fragte Shannon verwirrt.

»Sehen Sie mir in die Augen, Paul«, bat Nick inständig, ohne auf Shannon zu achten. »Ich bin nicht wahnsinnig. Ich vertraue Ihnen, und ich verstehe, wie sehr Sie sich von Ihrem Bruder verraten fühlen. Aber jemand muss ihn jetzt aufhalten, vor dem Einbruch. Er betrügt seine Komplizen, kommt hierher, stiehlt Ihr Flugzeug und verursacht das hier.«

Nick zog Marcus’ Brief aus der Tasche, holte die Seite des Wall Street Journal aus dem Kuvert und hielt sie Dreyfus vors Gesicht.

Dreyfus nahm den Ausdruck und verlor sich in dem schrecklichen Anblick des verbrannten Feldes und dem deutlich sichtbaren Heckteil des brennenden Flugzeugwracks. Er ließ den Blick über die anderen Nachrichten schweifen, schaute kurz auf die Börsennotierungen und starrte schließlich auf Datum und Uhrzeit des Ausdrucks: 28. Juli, 16.58 Uhr. Er nahm den Blick nicht von den Ziffern, als könnten sie sich auf geheimnisvolle Weise noch ändern.

 »Haben Sie es gesehen?«, fragte Nick.

»Die Uhrzeit?«, erwiderte Paul bedächtig, als versuchte er, das Unbegreifliche zu verstehen.

»Nein«, entgegnete Nick und zeigte über das Vorfeld auf die Maschine der North East Air, die am Flugsteig stand und für den Start vorbereitet wurde. »Das Heck. Die N-Nummer.«

Dreyfus blickte zu dem A 300 hinüber, auf das große, rotblaue Firmenemblem am weißen Seitenleitwerk. Sein Blick glitt zu der Registriernummer, die der eindeutigen Identifikation einer Maschine diente und auf sämtlichen Flugzeugen zu sehen sein musste. Sie lautete N95301.

Dreyfus benötigte einen Augenblick; dann blickte er wieder auf den Zeitungsausdruck, auf das Bild des geschwärzten Wracks, an dessen weißem Heck deutlich das Emblem und die N-Nummer zu erkennen waren: N95301.

»Ihr Bruder stiehlt den Kasten, den er für echt hält, aus Hennicots Safe. Er fährt hierher, um Sie zu sprechen, stiehlt Ihr Flugzeug und verursacht diese Katastrophe«, sagte Nick und zeigte auf das Bild der Absturzstelle. »Dabei findet auch er den Tod.«

»Was ist das?«, fragte Shannon und zeigte auf den Ausdruck.

Doch Dreyfus antwortete nicht. Sein Blick huschte zwischen dem Foto und dem Flugzeug vor dem Hauptterminal hin und her. Schließlich schaute er Nick an und gab ihm wortlos das Blatt Papier zurück.

Nick steckte es sich in die Tasche. Er wusste, er hatte einen Verbündeten gewonnen.

»Ihr Bruder ist vor Kurzem mit der Maschine aus Philadelphia angekommen«, sagte Nick. »Man holt ihn gerade ab.«

Nick wandte sich an Shannon. »Ihr Partner Ethan Dance hat vor, gemeinsam mit Sam Dreyfus, Brinehart, Randall und einem weiteren Detective namens Arilio in Washington House einzubrechen. Er ermordet meine Frau …« Nick hielt inne und holte tief Luft, ehe er Shannon seine Zukunft enthüllte. »Und er wird auch Sie ermorden.«

»Das reicht jetzt!« Shannon packte Nick und riss ihn herum. Mit einer blitzschnellen Bewegung legte er ihm Handschellen an; dann drehte er ihn zurück und starrte ihm in die Augen. »Sie reden wie ein Irrer.«

»Ich bin nicht verrückt!«, rief Nick.

»Ach ja? Woher haben Sie die Fotos, die Sie mir aufs Handy geschickt haben?«

»Die Fotos haben einen Datumsstempel. Eine Stunde und fünfzehn Minuten von jetzt an. Dance schießt Sie zweimal in den Bauch und setzt Sie auf den Rücksitz des Wagens, wo Sie sterben werden.«

»Detective …?«, versuchte Dreyfus sich einzumischen.

»Woher wollen Sie das wissen?«, brüllte Shannon Nick an, ohne auf Dreyfus zu achten.

»Ich habe es erfahren. Auf die gleiche Weise, wie ich erfahren habe, dass Dance ein dreckiger Mistkerl ist oder dass Sie in Ihrer Tasche einen Christopherus-Anhänger haben«, sagte Nick. »Sie und Dance haben beide die St. Christopher’s High School in Brooklyn besucht. Sie sind Vettern, und Dance hat Ihnen Ihren Job verschafft.«

»Woher, zum Teufel …« Shannon starrte Nick an.

»Haben Sie sich den Zeitstempel der Fotos angeschaut?«

Shannon dachte einen Augenblick nach, dann griff er in die Tasche, holte sein Handy heraus, klappte es auf und rief das erste Foto auf.

Schließlich blickte er Nick an. »Wie ist das möglich?«

Nick wandte sich mit bittenden Augen an Paul. »Sie wissen, was Ihr Bruder vorhat. Deshalb haben Sie den Kasten ausgetauscht. Sie haben gesehen, was passiert. Sie haben das Flugzeugheck gesehen! Sagen Sie es ihm, verdammt noch mal!«

 Dreyfus blickte Nick an, Bestürzung in den Augen. Dann schaute er zu Nash, der zustimmend nickte, worauf Dreyfus sich Shannon zuwandte. »Mein Bruder trifft in diesem Augenblick mit einer Maschine aus Philadelphia ein …«

»Und Ihr Partner«, unterbrach Nick ihn, »holt ihn ab.«

In Shannons Augen spiegelte sich Verwirrung. Schließlich griff er widerstrebend in seinen Wagen und schaltete das Walkie-Talkie ein.

»Lena?«, sagte er.

»Auch dir einen schönen Morgen, Shannon«, hörten sie Lenas verrauschte Stimme.

»Hast du Dance heute Morgen gesehen?«

»Er ist kurz nach dir aufgebrochen.«

»Weißt du, wohin er wollte?«

»Hast du deinen Partner wieder mal verloren, Shannon? Warum rufst du ihn nicht einfach an?«

»Das will ich nicht«, sagte Shannon drängend. »Kannst du seinen Wagen erfassen?«

Lena schwieg einen Moment; dann fragte sie: »Sag mal, willst du mich veräppeln?«

»Nein. Es ist mein Ernst.«

»Er ist mit dir am Flughafen. Da bist du doch, oder?«

»Wo am Flughafen ist er?«

»Meine Güte, Shannon, ihr seid vielleicht eine halbe Meile auseinander! Er ist am Hauptterminal. Soll ich zu euch rauskommen und euch miteinander bekannt machen?«


 
Dance saß in seinem Taurus vor dem Hauptterminal des Westchester Airport. Er war auf alles vorbereitet. Als er am Morgen aufgewacht war, hatte er gewusst, dass er an diesem Tag endlich Ghestov Rukaj loswerden würde. Doch er würde sich nicht nur freikaufen – er würde mehr als fünfzehn Millionen Dollar besitzen, sobald er Brinehart und Arilio beseitigt hatte. Randall sollte weiterleben; Dance betrachtete ihn als dicken alten Onkel, der zwar genau wusste, was Dance tat, aber nie ein Wort darüber verlor. Randall gehörte zu den wenigen Menschen, denen Dance tatsächlich vertraute. Die anderen waren für ihn nur Mittel zum Zweck.

Und dann würde er verschwinden und Amsterdam zu seiner neuen Heimat machen. Weit weg von hier würde er leben, glücklich und zufrieden, ohne sich jemals wieder Gedanken um Geld oder blutrünstige Unterweltbosse machen zu müssen.

Die Zeit drängte. Rukaj und seine Leute waren unerbittlich, riefen ihn an, besuchten ihn und ließen ihn nicht vergessen, dass sein aufgeschobener Tod um Mitternacht erfolgen würde, falls er das Geld nicht bereithielt.

Dance hatte den Plan unzählige Male mit Sam Dreyfus durchgesprochen. Sie hatten alle erdenklichen Zwischenfälle und Fehler berücksichtigt, waren immer wieder alles durchgegangen, hatten alles zigmal besprochen. Sam hatte sogar ein Computermodell erstellt. Jede Sekunde war durchgeplant. Der ganze Coup würde keine Viertelstunde in Anspruch nehmen.

Sie waren gut vorbereitet und gut geschützt, und nichts könnte sie aufhalten.


 
Sam Dreyfus trat aus dem Hauptterminal des Westchester Airport in die warme Morgensonne. Ihm war nicht ganz wohl in seiner Haut, denn er wusste, dass er einen Weg einschlug, von dem es kein Zurück gab. Doch er konzentrierte sich ganz auf den dunklen Holzkasten, auf den Gewinn, den er schon bald einstreichen würde. Auf direktem Weg ging er zu dem grünen Taurus, der in der Ankunftsparkzone stand. Der leichte Wind spielte mit seinem braunen, sauber gescheitelten Haar.

»Läuft alles nach Plan?«, fragte Sam lächelnd, als er einstieg und die Tür zuschlug.

 »Meine drei Leute treffen uns hier um genau zehn nach elf«, sagte Dance.

»Sie haben meinen Kram?«

Dance nickte.

»Ich muss mich überzeugen, dass alles in Ordnung ist«, sagte Sam.

Wortlos fuhr Dance aus der Kurzparkzone und bog auf das Areal ein, das für Mitarbeiter des Amts für Transportsicherheit und für die Polizei reserviert war. Die beiden Männer stiegen aus dem Wagen. Dance ging zum Heck, öffnete den Kofferraum und schaute hinein.

Sam öffnete die erste Sporttasche. Er zog ein kleines, kastenförmiges Gerät hervor, schaltete es ein und blickte prüfend auf die Leuchtdioden, die ihm verrieten, dass die Weitwinkel-Breitbandlaser funktionierten und Batteriestrom für wenigstens fünfzehn Minuten hatten. Sam hatte die zwölf Exemplare selbst gebaut – nach einem Plan, den er in Pauls Akten gefunden hatte. Er wusste nicht, wer die Geräte entworfen hatte, aber er wusste, dass Paul nach einem Verfahren suchte, sie unschädlich zu machen, das er bei künftigen Aufträgen verwenden konnte.

Sam prüfte auch die elf verbliebenen Kästchen und ging zu den drei schwarzen Laserzielfernrohren über, die an 12,5-Zentimeter-Dreibeinen befestigt waren. Sie ähnelten dem Laservisier an einer Waffe, das einen Strahl von solch hoher Intensität abgibt, dass man ihn auch in hellem Sonnenlicht sehen kann. Er würde sie auf die Außenkameras richten.

Außerdem prüfte er die beiden kleinen, streichholzschachtelgroßen Magnetinterferenzsender, die er auf der Handfläche hin und her rollen ließ, während er sie an den winzigen Knöpfen ein- und ausschaltete.

Zuletzt sah er sich den Glasschneider an, das einfachste, aber zuverlässigste Werkzeug in der Tasche. Keine Elektronik, kein Strombedarf, keine Laser oder ausgeklügelte Schaltkreise, nur ein kleiner Glaserdiamant an einer Metallstange mit Saugnapf.

Sams Handy klingelte. Er nahm das Gespräch entgegen.

»Sam«, hörte er seinen Bruder Paul. »Sag kein Wort.«

»Ja«, erwiderte Sam mit einem falschen Lächeln, schloss den Kofferraum und stieg in den Wagen.

»Ich bin am Terminal für Privatflugzeuge«, sagte Paul. »Ich habe Hennicots Safe bereits geöffnet. Der Kasten ist hier.«

Sam schwieg. Ihm wurde heiß.

»Der Mann, bei dem du bist, Detective Ethan Dance … Wenn alles vorbei ist, wird er dich erschießen.« Pauls Stimme klang eisig. »Überleg dir gut, was du tust. Überleg dir, was du vorhast. Ich weiß, es geht dir nicht um die antiken Waffen oder die Brillanten. Alles, was du willst, ist in dem Kasten. Du hast dir die falschen Partner ausgesucht. Ich halte den Kasten gerade in meinen Händen. Wenn du ihn willst, dann komm zu mir.«

Wortlos klappte Sam das Handy zu. Dance stieg wieder in den Wagen, fuhr los und fädelte sich in den Verkehr ein.

»Wir müssen zum Privatflugzeugterminal«, sagte Sam.

»Wieso?«, fragte Dance.

»Weil wir ein Problem haben.«

»Scheiße«, fluchte Dance und zog die Pistole. »Dabei haben wir nicht mal angefangen.«

»Wozu brauchen Sie die?«, fragte Sam mit einem Blick auf Dance’ Pistole.

»Für das Problem.«


 
Um sieben Uhr morgens hatte Paul Dreyfus, unmittelbar nachdem er Sams Plan entdeckt hatte, Shamus Hennicot angerufen und dem alten Mann offenbart, was sich ereignen würde, obwohl er seinen Bruder damit belastete.

Hennicot hatte geantwortet, er solle sich keine Gedanken machen; nur der Kasten sei wichtig. Hennicot gebe ihm freie Hand zu tun, was immer nötig sei, um den Kasten in Sicherheit zu bringen, ehe er Sam oder jemand anderem in die Hände fiele. Die Waffen und die Brillanten, so Hennicot, könnten die Einbrecher ruhig nehmen; sie bedeuteten ihm nichts und seien überdies versichert.

Paul Dreyfus kannte Shamus Hennicot seit fünf Jahren und hatte die Sicherungsanlagen für dessen Häuser und Villen in den verschiedensten Teilen der Welt entwickelt: für Washington House in Byram Hills, für das Landhaus seiner Frau an der Küste von Maine, für sein Château in Nizza, für den selten benutzten Bungalow auf seiner Privatinsel in den Malediven und für sein Sommerhaus am Meer in Massachusetts. Paul und Shamus waren mehr als Freunde geworden, mehr als Vertraute, hatten sich über Herzensangelegenheiten ausgetauscht, über den Verlust geliebter Menschen, über geschäftlichen Erfolg und Misserfolg. Shamus erteilte kluge Ratschläge, aber nur, wenn Paul ihn darum bat.

Paul hatte ihm von seinem Bruder Sam erzählt und dem ständigen Ärger, für den Sam sorgte, doch stets war es Shamus gewesen, der Paul daran erinnerte, dass die Familie das Allerwichtigste sei – eine Bindung, die man weder trennen noch zerbrechen könne. Die Familie sei es, die unser wahres Ich präge, die unsere Wünsche und Bedürfnisse bestimme – aber auch die Fehler, die wir begehen. Shamus erinnerte Paul daran, dass er Sams einzige Verbindung zu seiner Jugend sei, der einzige Mensch, der Sam gekannt habe, ehe er mit den harten Tatsachen des Lebens konfrontiert worden sei, und mit Rauschgift, Trunksucht und Rebellion.

Es war zwei Jahre her, dass Shamus ihn gebeten hatte, den Kasten zu konstruieren. Er brauche etwas, um Familiengeheimnisse wegzuschließen, hatte er gesagt. Eine für Außenstehende unzugängliche Aufbewahrungsmöglichkeit, die zugleich mobil sein müsse.

 Paul hatte nie gefragt, was in dem Kasten aufbewahrt und vor der Welt verborgen werden sollte, doch Shamus hatte darauf bestanden, ihn in das Geheimnis einzuweihen. Er war sogar noch einen Schritt weiter gegangen und hatte Paul gebeten, einem Triumvirat beizutreten, dem Zachariah Nash und er selbst mit angehören würden. Sie sollten jene drei Menschen sein, die den Inhalt des Mahagonikastens kannten und nur gemeinsam Zugriff darauf hatten.

Ein Jahr verbrachte Paul mit der Konstruktion des Kastens und baute Prototypen, die er unter härtesten Bedingungen testete, bis er schließlich das Endprodukt schuf: Es hatte eine zweieinhalb Zentimeter dicke Wandung aus Titan, umhüllt von feuerfestem Nomex und drei Schichten Kevlar. Die Idee stammte von den NASA-Raumanzügen; der Kasten sollte sämtliche Temperatur- und Druckextreme aushalten können und nahezu unzerstörbar sein. Das Schloss war ein Produkt der zweiten Generation mit seinem Achteck-Schlüsselsystem und besaß drei Öffnungen für drei achteckige Schlüssel, die mit einem bestimmten, auf die Flächen eingravierten Buchstaben nach oben eingesetzt werden mussten, wodurch sich mehr als dreitausend Kombinationen ergaben. In Mahagoni gekleidet, sah der Kasten nach außen hin wie ein Ziergegenstand aus, während er sich in Wahrheit mit den Safes im Weißen Haus messen konnte, was Härte und Widerstandskraft anging.

Paul hatte das Gespräch mit Shamus beendet, war, so schnell er konnte, zum Flugplatz gefahren und in weniger als einer Stunde nach Westchester geflogen. Sein kleines Privatflugzeug konnte Luftkorridore benutzen, die für den kommerziellen Flugverkehr zu niedrig lagen.

Und mit vollem Zugangsrecht – und ohne sich um Videokameras Gedanken machen zu müssen – war Paul in den wartenden Leihwagen gesprungen und zum Washington House gefahren. Dort hatte er den Kasten aus Hennicots Safe genommen und durch den leeren letzten Prototyp ersetzt, den er während der Entwicklungsphase gebaut hatte.


 
Über den einspurigen Verbindungsweg lenkte Dance seinen grünen Taurus auf den großen Parkplatz vor dem Privatflugzeugterminal, an den ein Meer aus kleinen Propellermaschinen und Jets grenzte, die in einer Reihe abgestellt waren, um ihren Besitzern Zugang zu ermöglichen, sobald sie eintrafen. Die Maschinen standen gegenüber der Seitenpiste, die zu den Startbahnen des Flughafens führte.

Dance parkte zwischen einem BMW und einem blauen Chevy Impala, die direkt neben einem schlanken weißen Flugzeug standen. Auf der Motorhaube des BMW stand ein Kasten aus dunklem Holz, als wäre er als Trophäe ausgestellt.

Ein fülliger Mann mit ordentlich frisiertem grauem Haar stand neben dem BMW, eine Hand auf dem Kasten. Er hatte kräftige Schultern und einen zwingenden Blick. Ein zweiter Mann – ein Countryclub-Typ, der größer war und kultivierter wirkte – saß hinter dem Lenkrad des BMW. Die Fahrertür war geöffnet; die Füße des Mannes ruhten auf dem Asphalt.

»Warten Sie hier«, sagte Sam, stieg aus und knallte die Tür hinter sich zu.

Die beiden Brüder waren in vieler Hinsicht völlig unterschiedlich. Sam war schmächtig und hager, sein Bruder kräftig und massig; Paul strahlte die Selbstsicherheit eines Erfolgsmenschen aus, während Sam sich nervös und schreckhaft zeigte.

Sam wusste, dass sein sorgfältig ausgeklügelter Plan vereitelt war, weil das Ziel seiner Wünsche offen auf der Motorhaube des BMW lag.

»Was hast du getan?«, stieß er hervor.

»Das ist nicht dein Ernst, oder?«, fuhr Paul ihn an. »Du stöberst in meinen Akten und Dateien und hast vor, einen Mann zu bestehlen, der nicht nur mein bester Kunde ist, sondern auch einer meiner engsten Freunde! Und dann hast du den Nerv, mich zu fragen, was ich getan habe?«

»Du kannst mich mal!« Sam kniff die blutunterlaufenen Augen zusammen.

»Tolle Antwort.«

»Behandle mich nicht wie ein Kind«, versetzte Sam.

»Das habe ich nie getan«, erwiderte Paul. »Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass es an deinem Lotterleben liegen könnte, wenn man dich nicht für voll nimmt?«

»Erzähl du mir nichts über das Leben!«

»Ach Gott, ja, dein Leben ist so furchtbar hart.« Pauls Körpersprache war so deutlich wie seine Worte.

»Leck mich am Arsch!«, explodierte Sam.

»Weißt du was, Sam? Du bist faul, dumm und rücksichtslos. Ahnst du überhaupt, wie einfach es war, dir auf die Schliche zu kommen? Hierherzufliegen und den Kasten aus dem Safe zu nehmen, ehe du auch nur in seine Nähe kommst?« Paul fuhr mit der Hand über das glatte Holz des Deckels.

Sams Atem ging vor Aufregung schneller.

»Sag mir einfach, was du willst«, schlug Paul vor, während er den Kasten tätschelte. »Ist es das Geld? Ist es Anerkennung? Oder ist es wirklich dieser Kasten?«

Dance stieg aus dem Auto und trat auf Sam zu. »Würden Sie mir langsam mal sagen, was hier los ist?«

»Warten Sie im Wagen«, erwiderte Sam.

»Wer ist das?« Dance wies mit dem Finger auf Paul und warf einen Blick auf den Kasten. »Und was ist das da?«

»Nichts«, sagte Sam.

»Na klar – nichts«, höhnte Dance.

»Das geht nur mich und meinen Bruder etwas an.«

 »Ihren Bruder?«, fragte Dance überrascht. »Was ist hier los, verdammt?«

Keiner der Dreyfus-Brüder antwortete; beide schwiegen in gegenseitiger Verärgerung.

Dance blickte den Mann an, der im BMW saß. »Wer sind Sie?«, wollte er wissen.

Plötzlich schoss der schwarze Mustang über die Zufahrt auf den Parkplatz und hielt mit kreischenden Reifen vor Dance.

»Hallo, Ethan«, sagte Shannon gelassen und stieg aus.

Dance wandte sich seinem Partner zu. Sein Blick suchte nach weiteren Personen, als erwartete er jemanden.

»Alles in Ordnung?«, fragte Shannon und folgte Dance’ Blick.

Nick stieg an der Beifahrerseite aus Shannons Wagen und kam um das Fahrzeug herum.

»Hier gibt es ein kleines Problem, aber ich werde schon damit fertig«, antwortete Dance beiläufig. »Was führt dich her?«

»Ich habe hier ein paar Leute, die äußerst seltsame Anschuldigungen erheben.«

»Ein paar Leute?« Dance schaute Nick an.

Nick erwiderte seinen Blick mit zornig funkelnden Augen.

»Ich mag falsche oder unbegründete Anschuldigungen nicht besonders«, sagte Dance. »Übernimmst du dich nicht ein bisschen, deinen Vorgesetzten zu vernehmen?«

»Sag mir einfach, was du hier tust«, erwiderte Shannon und fuhr sich mit der Hand durch das schwarze Haar, »dann kann ich mich wieder um wirklich wichtige Dinge kümmern.«

»Es ist etwas Persönliches, Shannon. Also verschwinde, ehe du ein Problem mit mir bekommst.« Zorn schlich sich in Dance’ Stimme.

»Ja, es ist ganz schön persönlich«, spöttelte Nick.

Dance wandte sich ihm zu. »Wer zum Teufel sind Sie?«

 Nick starrte schweigend den Mann an, der sein Leben ruiniert hatte.

»Er sagte, du würdest seine Frau ermorden«, warf Shannon ein. »Weißt du vielleicht, wovon er redet?«

»Hör zu, Shannon«, sagte Dance, als redete er mit einem Kind. »Die interne Ermittlung hat bereits eine Akte mit deinem Namen drauf. Ein Anruf von mir, und du landest in einem Knast, wo die Knackis ehemalige Cops auf den Tod hassen.«

»Glaubst du wirklich, damit machst du mir Angst, Junge?«, fragte Shannon und trat vor. »Ich weiß, dass ich sauber bin. Und ich weiß, du bist es nicht. Ich habe die Schnauze voll von deinem Mist.«

Dance lachte höhnisch auf. »Wir plaudern später. Jetzt müssen mein Freund und ich zu einer Verabredung.«

Dance wandte sich Sam zu und bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, ihm zurück zum Wagen zu folgen.

Sam starrte ihn nur an. Der Augenblick dehnte sich. Er schaute wieder auf den Kasten, neben dem sein Bruder stand.

»Dance«, sagte Sam leise. »Wir gehen nicht.«

»Was?« Dance fuhr herum, als hätte ihm jemand ein Messer in den Rücken gestoßen.

»Ich blase die ganze Sache ab«, sagte Sam.

Dance baute sich vor Sam auf. Sein Atem ging schwer, sein Blick huschte umher; er schaute Paul an, dann wieder Sam, dann den Kasten auf dem Wagen.

Und dann zog er ohne Vorwarnung die Waffe, während er mit dem linken Arm blitzartig Paul packte und in den Schwitzkasten nahm. Er drückte ihm die 9-Millimeter-Pistole an den Kopf.

Shannon zog wie ein geölter Blitz seine eigene Glock und richtete sie auf Dance. »Was soll das, Ethan?«

Dance ignorierte Shannon, drückte Paul die Pistolenmündung aufs Ohr und brüllte: »Was ist in dem Kasten, Sam?«

 Sam blickte Paul an. Angst und Panik lähmten ihn.

Paul hingegen blieb die Ruhe selbst. Er war im Krieg gewesen, hatte unter Beschuss gestanden und wusste, dass man nur mit kühlem Kopf überlebte.

»Ich bin heute Morgen nicht mit der Absicht aufgestanden, am Abend mit leeren Händen dazustehen!«, brüllte Dance. »Was ist in dem Kasten? Spuck’s schon aus!«

»Nicht was Sie denken«, sagte Sam.

»Aber genug, um mich deswegen übers Ohr zu hauen. Ist es mehr als fünfundzwanzig Millionen wert? Ist es genug, um das Leben Ihres Bruders dagegen einzutauschen?«

»Runter mit der Waffe, Ethan«, sagte Shannon.

»Sie sollten den Kasten öffnen, sonst ist Ihr Bruder ein toter Mann.« Mit dem Daumen spannte Dance den Hammer seiner Waffe.

»Dance!«, brüllte Shannon. »Verdammt, die Waffe runter!«

»Kannst du mit Blut an den Händen leben, Shannon?« Dance zerrte Paul vor sich hin, sodass er einen Schild zwischen ihm und seinem Partner bildete. »Bist du sicher, dass du mich umbringen kannst? Und wenn du danebenschießt – kannst du mit dem Schuldgefühl leben, einen Kollateralschaden verursacht zu haben?«

Nick rührte sich nicht, beobachtete schweigend das sich anbahnende Chaos.

Shannon starrte Dreyfus in die Augen und sah einen Mann, der keine Panik kannte, der mit klarem Verstand nach Lösungen suchte, nach einer Fluchtmöglichkeit.

Ein Chrysler Sebring jagte über die Zufahrt und hielt. Aus dem Wagen sprang Johnny Arilio. Er hatte die Waffe gezogen und richtete sie auf Shannon. Randall stieg an der Fahrerseite aus, zog langsam die Pistole und zielte damit von der anderen Seite auf Shannon.

 »Zahlt sich aus, Freunde zu haben«, sagte Dance.

Shannon packte seine Glock fester. Er wusste, dass er für den Mann in Dance’ Armbeuge das Todesurteil unterschrieb, wenn er aufgab.

»Ich mach dir einen Vorschlag«, fuhr Dance fort. »Leg die Knarre auf den Boden und schieb sie weg. Tust du’s nicht, werde ich jeden hier abknallen, angefangen mit dem Mann in meinem Arm.«

»Du würdest nicht …«

Dance feuerte in den Asphaltboden. Alle fuhren zusammen.

Nick starrte Paul Dreyfus an, auf den Dance sofort wieder die Waffe gerichtet hatte. Sam war in Panik. Seine dürren Arme bebten, und sein Blick zuckte hin und her auf der verzweifelten Suche nach einer Lösung.

»Die nächste Kugel landet in Fleisch, Shannon«, sagte Dance. »Verlass dich drauf.«

Shannon starrte Dance an. Er wusste, dass sein Partner nicht bluffte, und gab nach. Er legte die Pistole auf den Boden und versetzte ihr mit dem Fuß einen Stoß, dass sie drei Meter davonschlitterte.

»Randall«, sagte Dance. »Hol die Handfesseln aus meinem Kofferraum und verschnür die Bande.«

Arilio winkte Nick und Zachariah Nash, sich neben den Mustang zu stellen. Randall holte die Plastikfesseln, die an Kabelbinder erinnerten und offiziell von der Polizei benutzt wurden, aus Dance’ Kofferraum, band den beiden rasch die Handgelenke vor den Bauch und befahl ihnen, sich an den Mustang gelehnt auf den Boden zu setzen.

Arilio wandte sich Shannon zu und richtete die Pistole auf dessen Brust.

»Ihr macht den größten Fehler eures Lebens.« Shannons Augen loderten vor Wut, als ihm die Handfesseln angelegt wurden.

»Mach keinen Quatsch, Shannon, und setz dich auf deinen Arsch«, brüllte Arilio und drückte den Detective neben Nick auf den Boden.

»Sehen Sie, was Sie getan haben, Sam?«, fragte Dance mit einem Blick auf die drei Gefangenen. Dann schaute er kurz auf den Mann, den er im Schwitzkasten hielt, und blickte wieder Sam Dreyfus an. »Sie machen mir keinen Rückzieher.« In Dance’ Stimme schwang plötzlich Furcht mit. »Ich habe Verpflichtungen. Ich muss Versprechen halten.« Er überlegte kurz. »Gehört das Flugzeug Ihrem Bruder?« Er warf einen raschen Blick auf die weiße Cessna links neben ihm. »Wissen Sie, wie man fliegt?«

Sam nickte widerstrebend.

Dance richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Paul und drückte ihm die Pistole seitlich gegen den Kopf.

»Wir haben also die Wahl, ob jeder lebt oder stirbt. Und es hängt alles von den Brüdern Dreyfus ab. Euer Schicksal liegt in ihren Händen.«

Unvermittelt sprang ein gelber Labrador Retriever aus dem Wald und kam herbeigerannt. Das Tier blieb abrupt stehen, warf den Kopf nach rechts und links und beäugte die Männer.

Dance beachtete den Hund gar nicht. »Wir haben die Wahl zwischen Box Nummer eins«, er wies mit dem Kopf auf den Mahagonikasten, der noch immer auf dem BMW stand, »bei der ihr alle überlebt, während Sammyboy uns mit unserer Beute ausfliegt. Oder wir setzen den Einbruch in Washington House fort, was zur Folge hätte, dass wir euch leider alle töten müssen, ehe wir aufbrechen, um den guten alten Shamus Hennicot um ein paar Antiquitäten und Brillanten zu erleichtern.«

Der Hund fing plötzlich zu bellen an, als spürte er eine Gefahr. In das unablässige laute Gebell mischte sich ein bedrohliches Knurren.

Aller Augen waren auf den Hund gerichtet, als Dance unversehens und ohne Warnung auf ihn schoss.

Mit einem schrillen Jaulen zuckte der Hund zusammen und rannte davon, kam aber nur fünf Meter weit, dann wurde er langsamer und sah die Männer verwirrt und bittend an, ehe er tot zusammenbrach.

»Sie herzloser Bastard«, sagte Nash.

Dance lachte. »Ich wollte bloß nicht, dass der Köter unseren Abflug verzögert«, erwiderte er mehr im Scherz; dann wandte er sich Sam zu. »Also, wenn hier nicht jeder so enden will wie der Kläffer, sollte einer von euch jetzt den Kasten öffnen.«

Sam und Paul schwiegen.

»Aufmachen!« Dance drückte Pauls Hals in seiner Armbeuge fester.

»Das geht nicht«, keuchte Paul. »Dazu braucht man drei unterschiedliche Schlüssel …« Paul zeigte auf die drei Schlüssellöcher. »Ich habe nur einen davon.«

»Wo sind die beiden anderen?«

»Bei Shamus Hennicot«, antwortete Paul.

»Und wo ist Hennicot?«

»Sie haben keine Chance, ihm die Schlüssel abzunehmen. Er lässt uns eher sterben, als Sie an den Kasten heranzulassen.«

»Tja, dann hat er Ihnen die Entscheidung abgenommen. Ich kann damit leben. Ich werde euch jetzt alle umlegen und mir die Brillanten aus seiner Villa holen, dann hat dieser ganze Mist ein Ende.«

Dance drückte die Pistolenmündung gegen Pauls Schläfe und spannte den Hammer.

»Lassen Sie ihn, Sie Dreckskerl«, rief Sam und ging auf Dance zu.

 »Was soll der Mist?«, fuhr Dance ihn an. »Sie haben gesagt, Sie wollen aus dem Schatten Ihre Bruders treten, und jetzt wollen Sie ihn beschützen?«

»Ich war derjenige, der den Kasten haben wollte. Mein Bruder hat nichts damit zu tun.«

»Und wie wollen Sie das Ding aufmachen, wenn drei Schlüssel dazu nötig sind?«

Sam konnte Dance nicht in die Augen blicken.

»Junge, Junge, Sie sind wohl der Familientrottel, was? Sie wissen gar nicht, wie Sie den Kasten öffnen können?«

»Ich hätte es schon herausgefunden.«

»Dann finden Sie es jetzt heraus!«, brüllte Dance. An seinem Hals traten vor Zorn die Adern dick hervor.

Sam wandte sich um und blickte auf den Kasten.

»Was ist da drin?«, fragte Dance. »Ich hoffe für euch alle, dass es Millionen wert ist, sonst knalle ich euch ab!«

Ohne Warnung fuhr Sam herum. Sein Arm schoss durch die Luft, und seine Faust traf Dance seitlich am Kopf. Doch der Hieb brachte den Detective kaum ins Wanken. Er reagierte sofort und richtete die Pistole auf Sam, der ängstlich zurückwich.

Dance feuerte.

Die Kugel traf Sam ins Knie, und er stürzte zu Boden.

»Das war dumm«, sagte Dance. »Sie haben Glück, dass ich Sie brauche, sonst hätte die Kugel Sie an einer wichtigeren Stelle getroffen.«

Sam wälzte sich stöhnend am Boden und hielt sich das blutige Knie.

Dance verstärkte seinen Griff um Paul Dreyfus’ Hals und zerrte ihn nach vorn. Dann zielte er mit der Waffe auf den Mahagonikasten und feuerte.

Der schwere Kasten schlitterte über das Wagendach. Eine Ecke war abgesplittert.

 »Sparen Sie sich die Mühe«, keuchte Paul. »Ich habe ihn entworfen. Er hat einen kugel- und feuerfesten Kern aus Titan.«

Dance drückte die Mündung wieder auf Pauls Ohr. »Sie haben ihn entworfen? Dann öffnen Sie ihn, oder Sie sind ein toter Mann.«

»Das kann ich nicht …«

»Dann kratzen Sie als Erster ab.«

»Dance!«, rief Nick und starrte den verbrecherischen Detective hasserfüllt an. Er hatte Dance’ Zukunft gesehen und wusste, wozu der Mann fähig war: Er hatte Julia, Marcus, Dreyfus, McManus und wahrscheinlich noch andere Menschen kaltblütig ermordet. Und er würde weiterhin töten, wenn es ihm nutzte.

»Was wollen Sie?«, fragte Dance.

»Sie wollen Geld, Dance? Wenn Sie Dreyfus töten, bekommen Sie den Kasten auch nicht auf. Aber ich habe etwas Besseres. Es ist mehr wert, als Sie sich vorstellen können.«

Dance starrte ihn an.

Dreyfus’ Worte von der »Wahrnehmung des Wertes« gingen Nick durch den Kopf.

»Lassen Sie ihn los«, verlangte er. »Dann beweise ich es Ihnen. Sie haben mein Wort.«

Er hielt die gefesselten Hände vor sich, ging zu Dance und sah ihm in die Augen.

»Lassen Sie Dreyfus gehen. Nehmen Sie mich an seiner Stelle. Dann gebe ich Ihnen etwas, das Sie reicher macht, als Sie sich vorstellen können.«

»Du kannst mir viel erzählen!«, stieß Dance hervor.

»Wenn es Ihnen nicht genügt, können Sie mich an seiner Stelle töten.«

Dance starrte Nick wortlos an.

»In Ihrem Spind im Revier liegt in einem Schuh ein Christopherus-Anhänger, den Sie beim Schulabschluss bekommen haben. Ihre Mutter hat einen Spruch eingravieren lassen: Wunder gibt es wirklich.«

»Woher wissen Sie das?«

»Glauben Sie an Wunder, Dance?«, erwiderte Nick. »Machen Sie mich los.« Er hielt die gefesselten Hände hoch. »Dann zeige ich Ihnen ein Wunder, das Sie zu einem reichen Mann macht.«


 
Julia sah auf die Uhr. Es war fünf vor elf. Sie beschleunigte ihren Lexus, denn wieder einmal war sie zu spät dran, trotz ihrer guten Vorsätze. Sie war froh, dass Westchester Airport ein Regionalflughafen war, bei dem sie darauf hoffen durfte, rasch einzuchecken und die Sicherheitskontrollen schnell zu durchlaufen, sodass sie noch ihre Maschine bekam, die um 11.16 Uhr starten sollte.

Das Konferenzgespräch hatte länger gedauert als erwartetet. Die anderen Anwälte hatten sich bemüßigt gefühlt, über Nichtigkeiten zu streiten, um ihren Mandanten eine weitere Stunde in Rechnung stellen zu können. Julia hasste Juristen dieser Kategorie; mit ihrem Verhalten riefen sie Abneigung, ja Hass auf den Berufsstand hervor.

Julia aktivierte die Freisprecheinrichtung ihres Handys und wählte die Mailbox an. Sie sah, dass Nick zweimal versucht hatte, sie zu erreichen. Julia war sicher, dass er sich für den Streit am Morgen entschuldigen wollte. Oder rief er wegen des Abendessens mit den Mullers an und wollte einen letzten Versuch machen, aus der Sache herauszukommen?

»Julia«, hörte sie Nicks Stimme, »ich bin’s. Tu mir einen Riesengefallen. Nimm nicht das Flugzeug nach Boston! Mir ist egal, wohin du willst und ob du gefeuert wirst, aber steig nicht in die Maschine. Ich habe ein schreckliches Gefühl … ich kann es nicht erklären. Tu bitte, was ich sage. Ruf mich an, sobald du diese Nachricht gehört hast.«

Julia spielte die Nachricht ein zweites Mal ab. Nicks Stimme klang so drängend, so beschwörend. Doch wegen des Streits entschuldigt hatte er sich nicht. Nicht dass es wichtig gewesen wäre, nur …

Julia begriff nicht, wie er herausgefunden hatte, dass sie nach Boston flog. Niemand wusste es außer Dr. Colverhome und Jo, und die beiden hätten es Nick auf keinen Fall verraten.

Nicht zum ersten Mal versuchte Nick, ihr einen Flug auszureden. Im Februar hatte sie eine Geschäftsreise abgesagt, weil Nick einen Schneesturm befürchtet hatte. Natürlich war nichts dergleichen geschehen, und alle Flüge waren pünktlich eingetroffen. Nick schlug nicht etwa absichtlich blinden Alarm – es war bloß seine Art, ihr zu sagen, dass er ohne sie nicht leben könne. Und auch wenn Nick wütend auf sie war, änderte das niemals etwas an seiner Liebe.

Er hatte eine harte Woche hinter sich, sogar einen harten Monat; Julia konnte den Stress und die Anspannung in seiner Stimme hören. Er brauchte etwas Positives, Aufmunterndes. Und wie ließ sich das besser zuwege bringen als durch ein romantisches Abendessen zu zweit, bei dem sie ihm sagte, dass sie bald zu dritt sein würden?

Es war Julia egal, ob sie einen Sprint durch das Terminal machen musste – sie würde ihr Flugzeug erreichen. Jetzt war sie noch entschlossener als zuvor.


 
»Kommen Sie mit zu meinem Wagen.« Nick deutete auf seinen Audi, der fünfzig Meter entfernt am anderen Ende des Parkplatzes neben der Ausfahrt stand. »Ich kann Ihnen etwas von weit größerem Wert anbieten. Außerdem die Möglichkeit, von hier zu verschwinden, ohne dass jemand weiß, wohin Sie gegangen sind.«

Dance nahm ein Messer aus der Tasche und zerschnitt die Fessel um Nicks Handgelenke. »Nehmen Sie den Kasten.«

 Nick hob den überraschend schweren Holzkasten vom Dach des BMW.

Dance schob die Waffe in Nicks Rücken; dann packte er Nicks Arm und zerrte ihn zu dem blauen Audi. Paul ließ er bei seinem Bruder zurück, der sich um Sams blutendes Knie kümmerte. Shannon und Nash blieben unter den wachsamen Augen von Randall und Arilio gefesselt am Boden sitzen.

Als sie den Audi erreichten, stellte Nick den Kasten auf die Motorhaube und hob die Hände, als wollte er sich ergeben.

»Schauen Sie zuerst auf den Beifahrersitz«, sagte Nick und zeigte in den Wagen.

Dance öffnete die Tür und entdeckte den vergoldeten, edelsteinbesetzten Colt Peacemaker auf dem Sitz. Er nahm ihn heraus und betrachtete ihn staunend.

»Ich bin sicher, Sie wissen, was das ist und woher es kommt«, sagte Nick.

»Haben Sie auch den Rest?«, fragte Dance verdutzt. »Die Brillanten?«

Nick deutete auf sein Jackett. »In meiner Innentasche sind zwei Briefe.«

»Schön langsam.« Dance bedeutete Nick, sie vorsichtig herauszuziehen; dann setzte er die Mündung der Pistole auf Nicks Stirn. Er legte den Peacemaker auf das Dach des Audis, als Nick ihm den ersten Umschlag reichte, und blickte auf das blaue Wappen. Dann öffnete er ihn rasch und las die beiden Briefseiten.

Nick zog vorsichtig die Taschenuhr hervor und hielt sie ihm hin.

»Eine Uhr«, sagte Dance, während seine Blicke zwischen dem goldenen Zeitmesser und dem Brief hin und her huschten. »Wollen Sie mich verarschen? Halten Sie mich für einen Idioten?«

Dance überflog Nashs Brief noch einmal. »Was ist das für ein Schwachsinn?« Er drückte die Waffe fester gegen Nicks Kopf.

 »Lesen Sie den anderen«, sagte Nick gelassen und reichte ihm Marcus’ Brief, während er sich Nashs Schreiben wieder in die Tasche schob.

Dance begann zu lesen.

»Schauen Sie sich das letzte Blatt an«, sagte Nick. »Den Ausdruck vom heutigen Wall Street Journal

Dance las es durch und runzelte verwirrt die Stirn.

»Sehen Sie sich Zeit und Datum an«, sagte Nick. »Es ist in acht Stunden.«

»Jedes Kind, das mit Photoshop umgehen kann, kann so was vortäuschen.«

Nick griff wieder in die Innentasche, nahm sein Handy heraus und klappte es auf.

»Was tun Sie …«

»Nur die Ruhe«, sagte Nick, während er das Foto von Dance’ Auto aufrief. Dann reichte er es dem Detective.

Dance blätterte durch die Fotos seines Wagen und hielt bei dem Bild des Kofferraums inne. Er starrte auf die goldenen Waffen, die Messer, die Schwerter und den Beutel mit den Brillanten. Schließlich fiel sein Blick auf den Colt Peacemaker, der auf Nicks Wagendach lag.

»Was ist das für ein Trick? Die Sachen sind nicht in meinem Auto. Ich hab erst vor ein paar Minuten reingeschaut.«

»Das ist kein Trick«, entgegnete Nick. »Sie schauen in die Zukunft.«

»Wie bitte?«

»Lassen Sie mir noch einen Augenblick. Überlegen Sie mal, was Sie tun könnten, wenn in den Briefen, die Sie gelesen haben, die Wahrheit steht.«

Dance blickte ihn nachdenklich an.

»Wenn Sie die Vergangenheit manipulieren, können Sie die Ergebnisse von Lotterien oder Pferderennen im Voraus erfahren«, appellierte Nick an Dance’ Habgier. »Sie könnten mit der Uhr ein unermessliches Vermögen verdienen.«

»Und Sie würden das alles aufgeben, um dem Kerl da das Leben zu retten?«

Nick nickte.

Dance grinste. »Nein«, sagte er und schüttelte den Kopf, als die Teile des Puzzles sich zusammenfügten. »Genau das hat Shannon gemeint, als er davon gesprochen hat, dass ich Ihre Frau umbringe. Darum geht es in den Briefen. Ich tue es in der Zukunft, und Sie sind zurückgekommen, um mich davon abzuhalten.«

Dance starrte auf die Taschenuhr.

»Ach du Scheiße«, sagte er, als er begriff.

Während er sich in Gedanken verlor, blickte Nick auf die Zufahrt, die zur Straße führte.

»Ich weiß, wer Ihre Frau ist«, sagte Dance. »Hennicots Anwältin, stimmt’s?«

Nick antwortete nicht.

Dance grinste Nick grausam an, während sein Daumen über das goldene Gehäuse der Uhr strich. »Wenn ich die Uhr nehme … wer sagt, dass ich Ihre Alte nicht trotzdem umbringe?«

Nick zitterte vor Wut. Als Dance wieder auf die Taschenuhr in seiner Hand blickte, handelte er. Er riss den Colt vom Dach des Audi und schlug ihn Dance gegen die Schläfe. Mit der linken Hand ergriff er zugleich die Glock, entwand sie dem Detective, ehe dieser reagieren konnte, und schleuderte die Waffe zur Seite. Noch einmal holte er mit dem Peacemaker aus und schmetterte Dance den Griff auf die Nase. Dann warf er den Revolver zur Seite und schlug mit bloßen Fäusten auf Dance ein, ließ seine ganze Wut an ihm aus. Trotz seiner Körperkraft und seiner Erfahrung auf der Straße war Dance der Attacke nicht gewachsen. Nick hatte seine Frau sterben sehen, hatte unzählige Male ihren Tod erlebt, und Schuld daran trug dieser Mann.

Schließlich ließ Nick von Dance ab, der sich stöhnend am Boden wand.

Er entdeckte die goldene Uhr, die im Sonnenlicht funkelte, hob sie auf und steckte sie in die Gesäßtasche. Dann nahm er den verzierten Revolver und holte eine silberne .45-Patrone aus der Tasche, die er in die Kammer lud. Schnarrend ließ er die stahlfarbene Trommel rotieren.

Er sah auf den Revolver, auf die kunstvollen Verzierungen, die Vergoldung, die in der Vormittagssonne funkelte und den Eindruck erweckte, die Waffe wäre von einer goldenen Aura umgeben. Nick dachte an die arabische Schrift auf der Patronenhülse: Möge das Paradies dir verschlossen bleiben. Er hoffte, der Fluch hätte bei Dance tatsächlich Wirkung, als er ihm die Revolvermündung an den Kopf setzte.

»Sie wollen mich umbringen, um einen Mord zu rächen, den ich noch gar nicht begangen habe?«, krächzte Dance.

Nick spannte den Hahn. Die Trommel drehte sich klickend ein Stück weiter.

Dance starrte ihm hilflos in die Augen.

Nick musterte den blutüberströmten Mann, der seine Frau erschossen und seinen besten Freund ermordet hatte, den Mörder von Paul Dreyfus und Corporal McManus – jenen Mann, der die Ereignisse in Gang gesetzt hatte, die zum Absturz von Flug 502 führten. Er begriff, dass er das Herz des Bösen vor sich hatte: einen gewissenlosen Mörder, der weder Moral noch Mitgefühl kannte.

Im nächsten Moment durchlief ihn eine bedrückende Erkenntnis, als hielten die drei Schwestern des Schicksals ihn zurück. Denn nichts von alledem, keine einzige Bluttat musste geschehen: Sie alle lagen in der Zukunft – einer Zukunft, die nicht mehr feststand, sondern dem Zufall überlassen war.

 Doch als Dance ihn hasserfüllt anstarrte, sah Nick die Kälte in den Augen des Mannes, und er wusste, dass Dance immer wieder Unglück über andere bringen würde.

»Sie schaffen es nicht. Sie können nicht abdrücken, stimmt’s?«, sagte Dance.

Nicks Entschlossenheit fiel von ihm ab.

»Wissen Sie, wenn ich Ihre Frau in der Zukunft töten würde …«, sagte Dance und zögerte, als wollte er um Verzeihung bitten; doch dieser Eindruck verschwand rasch, und ein freudloses Grinsen legte sich auf seine Lippen, »dann hat sie es wahrscheinlich verdient.«

Als diese Worte Nick in den Ohren brannten, fiel alle Vernunft von ihm ab.

Er krümmte den Finger um den Abzug des antiken Revolvers und drückte ab.


 
Shannon starrte Randall und Arilio an, die neben dem Chrysler Sebring standen und beobachteten, wie Paul Dreyfus seinem Bruder eine behelfsmäßige Aderpresse anlegte. Die beiden korrupten Detectives flüsterten miteinander.

Shannon saß neben Nash an seinen Mustang gelehnt. Insgeheim hatte er die Plastikhandfessel gegen den Asphaltbelag gedrückt und rieb sie darauf hin und her. Als er einen Blick zum anderen Ende des Parkplatzes warf, sah er, wie der Kampf zwischen Nick und Dance entbrannte. Shannon spannte die Arme, verdrehte sie und streckte auf diese Weise die Handfessel. Er achtete nicht auf den Schmerz, als der Kunststoff ihm in die Haut schnitt, sondern zerrte mit aller Kraft. Schließlich riss die Fessel.

Randall und Arilio sahen ebenfalls, wie Nick auf Dance einzuprügeln begann, doch sie reagierten zu spät.

Shannon sprang auf. Mit der Faust traf er Randall genau auf die Nase, die zu einer blutroten Masse zerplatzte. Der alte Cop taumelte benommen zurück, doch Shannon drang weiter auf ihn ein und versetzte ihm zwei schwere Körpertreffer. Nahezu besinnungslos und stöhnend vor Schmerzen, sank der übergewichtige Detective zu Boden.

Shannon fuhr zu Arilio herum, der ein ganz anderer Gegner sein würde: jünger, schneller und aggressiver. Außerdem hielt er noch immer seine Waffe in Händen, die er nun auf Shannons Kopfrichtete.

»Gib auf, Shannon, oder ich leg dich um.«

Shannon sprang vor. Mit einem weiten Schwung seines linken Arms lenkte er Arilios Waffe nach oben und von sich weg; dann packte er den jüngeren Mann beim Handgelenk, verdrehte die Glock und verhinderte, dass der korrupte Cop sie noch benutzen konnte.

Arilio reagierte instinktiv, indem er versuchte, die Waffe wieder an sich zu bringen, doch genau darauf hatte Shannon gehofft: Arilio verdrehte sich das Handgelenk, als er nach Shannons Arm griff und versuchte, an seine Waffe zu gelangen. Shannon holte mit der rechten Faust aus und schmetterte sie auf Arilios Adamsapfel. Arilio riss die Hände hoch und presste sie sich auf die Gurgel. Shannon wand ihm die Dienstwaffe aus der Hand, während er Arilios Kopf und Körper weiterhin mit Schlägen eindeckte. Nach wenigen Sekunden lag er kampfunfähig am Boden, hielt sich immer noch den Hals und rang nach Atem.


 
Dance lebte noch. Der Hammer des Revolvers hatte auf eine leere Kammer geschlagen.

»Sie können mich nicht töten, was?«, verhöhnte er Nick, der vor ihm stand, den Colt Peacemaker in der Hand.

»Das war auch nie meine Absicht«, erwiderte Nick und blickte zur Zufahrt und auf den Wagen, der sich näherte.

 Der schwarze Mercedes hielt einen Meter von der Stelle entfernt, wo Dance lag.

»Es gibt Menschen, die sind für so etwas besser ausgerüstet«, fuhr Nick fort und blickte auf, als die Fondtür sich öffnete.

Dance drehte den Kopf und sah zwei große Männer aus der Fahrer- und Beifahrertür der schwarzen Stretchlimousine steigen. Beide hatten breite Schultern, trugen kurzärmelige Buttondown-Hemden und waren mit Pistolen bewaffnet, die in Schulterhalftern streckten.

Wortlos gingen die Männer an Nick vorbei und zerrten Dance mühelos hoch.

Dance’ Gesicht wurde weiß vor Angst.

»Was soll das?«, brüllte er. »Ich habe gesagt, ich zahle heute Abend!«

Aus dem Fond der Limousine stieg ein kleiner Mann. Das eine Auge kniff er in der hellen Sonne zusammen, während das andere – trüb und milchig weiß – weit offen blieb, weil es das grelle Licht gar nicht wahrnahm.

Dance riss sich von den beiden Leibwächtern los, straffte die Schultern und starrte Rukaj an. »Sie haben gesagt, ich hätte bis Mitternacht Zeit.«

»Ich habe vorhin einen Anruf bekommen.« Rukaj schaute Nick an, ehe er den Blick wieder auf Dance richtete. »Mir wurde gesagt, Sie hätten nicht die Absicht, mich zu bezahlen, sondern wollten heute Vormittag mit dem Flugzeug die Stadt verlassen.«

Nick wich mit kleinen Schritten zurück, entfernte sich von dem Albaner und seiner zweiköpfigen Abrissmannschaft. Er hatte Dance’ Handy kurz vor zwölf Uhr Rukajs Nummer entlockt. Es war der letzte Anruf gewesen, den der dann tote Cop erhalten hatte, und Nick hatte gesehen, welche Angst der Anrufer ihm eingejagt hatte. Kurz nach zehn Uhr hatte er Rukaj angerufen, weil er wusste, dass der Albaner persönlich vorbeischauen würde, wenn er erfuhr, dass er belogen und betrogen werden sollte.

Im Griff der beiden stämmigen Bodyguards starrte Dance Nick wütend an. »Du Dreckschwein! Das war alles Blödsinn, die Uhr und der Kasten! Alles nur eine Falle!«

Ohne Warnung fuhr Dance herum, riss dem Fahrer die Pistole aus dem Schulterhalfter, wandte sich in einer fließenden Bewegung Nick zu und feuerte.

Die Kugel traf Nick rechts in die Seite. Die Wucht des 9-Millimeter-Geschosses riss ihn von den Beinen.

Der Leibwächter packte Dance beim Arm, entwand ihm die Pistole und brach ihm mit einem lauten Knacken das Handgelenk. Dann nahmen die Männer ihn bei den Armen und rissen sie nach außen. Schreiend vor Schmerz sank Dance in die Knie.

Rukaj kam näher und kniete sich neben Nick. Er legte die Hand auf die Wunde und blickte auf das Blut, das Nicks Hemd durchtränkte. Schweigend blickte er Nick in die schmerzerfüllten Augen; dann atmete er aus und erhob sich. Er wandte sich um und ging zu Dance.

»Ich bin hergekommen, um Sie einzuschüchtern, Dance, nicht um Sie zu töten«, sagte Rukaj mit seinem breiten Akzent. »Wenn Sie hätten fliehen wollen, hätten Sie vierzehn Monate Zeit dazu gehabt und nicht bis zum letzten Augenblick gewartet. Aber jetzt … Sie haben gerade einen Mann angeschossen, und wahrscheinlich wird er an der Wunde sterben.« Rukaj schaute wieder zu Nick, der auf dem Asphalt lag. Unter ihm breitete sich eine Blutlache aus. Dabei fiel der Blick des Albaners auf den toten Hund, der ein paar Meter entfernt in seinem Blut lag. »Haben Sie den Hund auch getötet?«

Dance stand da wie eine Flickenpuppe. Die beiden Leibwächter hatten seine Arme nicht freigegeben.

 »Manchmal«, sagte Rukaj, »begreifen wir nicht, wie eine einfache Tat, ein einziger Fehler unsere Zukunft beeinflussen wird.«

Er nickte den Leibwächtern zu, und sie verdrehten Dance die Arme noch brutaler. Er wimmerte vor Schmerz.

»Sie sind für mich jetzt nutzlos«, fuhr Rukaj fort. »Mit einem Cop, der einen Mord begeht, kann man nichts anfangen. Man wird Sie jagen, und ich kann es mir nicht leisten, dass Ihre Spur zu mir führt.«

Rukaj zog sein Messer. Das Metall funkelte in der Sonne. »Ich tue nur selten jemandem einen Gefallen, und ganz sicher gewöhne ich es mir nicht an, aber ich glaube, Ihr langsamer Tod wird es einigen Leuten gestatten, in Frieden weiterzuleben.«

Dance sah nach hinten und entdeckte Shannon und Paul Dreyfus, die fünfzig Meter entfernt waren und in vollem Tempo auf sie zurannten.

Rukaj setzte die Klinge unter Dances Auge an und fuhr ihm damit über die Wange. »Die Rechnung ist fällig.«

Dances Augen füllten sich mit Entsetzen, als die Leibwächter ihn auf die Rückbank des Mercedes stießen. Rukaj blickte ein letztes Mal auf Nick; dann stieg er wortlos ein und schlug die Tür zu.

Die Limousine fuhr davon, verließ den Parkplatz, bog um die Ecke und ließ Nick zum Sterben zurück.


 
Julia jagte durch den Haupteingang auf das Flughafengelände und trat das Gaspedal des Lexus durch. Sie blickte auf die Uhr, die 10:58 zeigte. Julia war entschlossen, ihre Maschine zu bekommen; sie wollte sich von ihren Plänen für den Abend nicht abbringen lassen, Nick zu überraschen, nur weil sie ihr Flugzeug nicht erwischte.

Als sie am Privatflugzeugterminal vorüberfuhr, fragte sie sich beiläufig, was die zivilen Polizeiwagen mit den blitzenden Lichtern dort taten.

Von vorn jagten zwei Wagen des Amts für Transportsicherheit auf sie zu. Die Lichter auf ihren Dächern sandten rote, weiße und blaue Blitze in die Luft. In einiger Entfernung sah Julia einen näher kommenden Rettungswagen.

Was war hier los?

Doch ihre Neugierde versiegte rasch, als sie an Nick und das Kind unter ihrem Herzen dachte. Sie konnte es nicht erwarten, Nick am Abend mit der Neuigkeit zu überraschen.


 
Nick lag stöhnend auf dem Boden, in einer Lache aus seinem eigenen Blut. Paul Dreyfus kniete sich neben ihn, riss sich das Hemd herunter und drückte es auf die große Austrittswunde an Nicks Rücken, um die Blutung zu stillen.

»He, Mann«, sagte Dreyfus in dem Versuch, in der ernsten Situation einen halbwegs lockeren Tonfall anzuschlagen, »wie geht’s denn so?«

»Kann nicht klagen«, sagte Nick mit gezwungenem Humor, der jedoch bald verebbte. Er wusste nicht, wo die Kugel ihn getroffen hatte – aber wer behauptete, dass es nicht wehtue, angeschossen zu werden, hatte dieses Erlebnis noch nicht gehabt. Nick kam es vor, als wäre er von einer Rakete getroffen worden.

Der Blutverlust war beängstigend. Die Pfütze auf dem schwarzen Asphalt vergrößerte sich rasch. Nick wurde immer wieder schwarz vor Augen. Sein Gesicht wurde aschfahl.

Plötzlich erstarrte er. Seine Gliedmaßen wurden steif; sein Kiefer verkrampfte sich. Dann erschlaffte er.

»Verdammt, Herzstillstand! Der Blutverlust ist zu groß!«, rief Dreyfus und begann eine Herz-Lungen-Wiederbelebung. »Ich brauche sofort …«

Doch Shannon stand schon neben ihm und riss die Packung des automatischen Defibrillators auf, den er aus dem Kofferraum seines Wagens geholt hatte. Er schaltete das Gerät ein. Ein leises Summen zeigte an, dass es seine Ladung aufbaute.

Dreyfus riss Nicks Hemd auf und nahm das Kreuz von seinem Hals; dann durchwühlte er Nicks Taschen, nahm die silbernen Patronen heraus, die Schlüssel und das Handy, schließlich auch die goldene Uhr. Er kannte den Wert der Antiquität und steckte sie sich behutsam in die Tasche. Dann vergewisserte er sich, dass er alles Metall von Nicks Körper entfernt hatte.

Shannon reichte Dreyfus die Elektroden, der sie Nick auf die Brust klebte. Die erlöschenden Lebenszeichen wurden sofort vom Gerät registriert.

»Drei – zwei – eins – los«, sagte die elektronische Stimme an.

Nick bäumte sich im Schock auf, als der elektrische Impuls durch seinen Körper schoss. Doch sein Herz reagierte nicht. Der Defibrillator begann wieder zu jaulen und baute erneut Ladung auf.

»Drei – zwei – eins – los.«

Erneut bäumte Nick sich auf und sank zusammen.

Diesmal aber begann sein Herz wieder zu schlagen, und sein Atem setzte wieder ein, wenn auch noch sehr schwach.

»Wo bleibt der Krankenwagen?«, rief Dreyfus.

Nick öffnete halb die Augen und schaut zu Dreyfus hoch.

»Das Flugzeug …«, sagte er matt.

Dreyfus nahm seine Hand und ließ die Schlüssel seiner Cessna vor Nicks halb geschlossenen Augen baumeln. »Heute gibt es keinen Flugzeugabsturz. Halten Sie durch.«

Nick versuchte zu sprechen. »Meine …«

»Sie sollten lieber nicht reden«, versuchte Dreyfus ihn zu beruhigen.

»Meine Uhr …«, wisperte Nick.

 »Keine Sorge, ich habe sie in der Tasche. Ich passe auf Ihre Sachen auf, bis wir im Krankenhaus sind.«

»Wie spät ist es?« Nicks Stimme war kaum zu verstehen.

»Bitte?« Dreyfus brachte sein Ohr vor Nicks Mund.

»Wie … spät?« Nick hatte Mühe, die Worte auszusprechen.

»Zehn Uhr neunundfünfzig«, sagte Dreyfus, nachdem er auf die Armbanduhr geschaut hatte. »Keine Sorge, der Rettungswagen kommt gleich.«

Nick war es egal. Es würde keinen Flugzeugabsturz geben. Julia würde leben. Sie war außer Gefahr. Ihr drohte nicht mehr die Ermordung durch Dance, der auf dem Weg in den Tod auf dem Rücksitz von Rukajs Limousine saß.

Nicks Herz schlug langsamer.

Die Welt wurde bitterkalt. Es war ein Schauder, den er schon elfmal gespürt hatte, zu jeder Stunde, und wieder hatte er den seltsamen metallischen Geschmack im Mund, doch er wusste, dass er diesmal nicht durch die Zeit tanzte. Die Uhr war fort, außerhalb seiner Reichweite.

Doch es spielte keine Rolle. Er hatte Dance aus dem schicksalhaften Augenblick entfernt, und ohne diesen Mann gäbe es keinen Flugzeugabsturz in Byram Hills. Julia und die anderen würden leben. Nick schaute dem Preis des Schicksals ins Auge; er tauschte sein Leben ein, damit die anderen leben konnten, und bekam, wie er fand, einen mehr als reellen Gegenwert.

Er war zum Brennpunkt der Zeit geworden. Weil er angeschossen worden war, hatte Rukaj sich entschlossen, Dance zu töten, und hinderte ihn so daran, Julia und Marcus, Paul und Sam Dreyfus, Shannon und McManus jemals wieder zu bedrohen. Nicks Verhalten in den letzten fünf Minuten, das zu seinem Tod führte, würde im Leben zahlloser Menschen seinen Widerhall finden, und die meisten würden niemals von Nicholas Quinn hören. Menschen würden in Flugzeuge steigen, in den Urlaub fliegen oder zu geschäftlichen Besprechungen, ohne je zu begreifen, wie nahe der Tod ihnen gewesen war.

fliegen oder zu geschäftlichen Besprechungen, ohne je zu begreifen, wie nahe der Tod ihnen gewesen war.

Doch am wichtigsten war, dass Julia weiterlebte.

Nick wünschte nur, er könnte sie noch einmal sehen, noch einmal in die Arme nehmen und ihr noch einmal sagen, dass er sie liebte; sich entschuldigen dafür, dass er sich vom Wettlauf des Lebens so sehr in Anspruch hatte nehmen lassen, ohne je den Wert der Zeit schätzen zu lernen, ohne je im Augenblick zu leben und zu begreifen, was wirklich wichtig war.

Denn am Ende ließ er sie allein, ließ sie mit nichts zurück.

Aus den Augenwinkeln sah er sie herankriechen … eine Finsternis, die ihm trotz der strahlenden Sonne die Sicht nahm, die Geräusche ringsum dämpfte und ihn in eine dicke, schwere Decke hüllte, bis die Welt vollkommen schwarz wurde.

Nicholas Quinn starb.