Rucknawzor

Die Leuchttürme von Tut-El-Baya bildeten jeweils die südlichste und nördlichste Begrenzung des Hafens der Hauptstadt. Mit weiß getünchten Mauersteinen und blutroten Dächern sahen sie wie Zwillinge aus, die am äußersten Rand zweier weit in das Meer reichende, künstlich angelegter Landungszungen erbaut worden waren und zugleich die Grenze der Hafeneinfahrt bildeten. Jeder der Türme war einhundert Fuß hoch.

Im obersten Stockwerk brannten die Leuchtfeuer, die weder bei Tag noch bei Nacht ausgehen durften. Sie wiesen den Schiffen den Weg in den Hafen.

Ein Stockwerk unterhalb der Leuchtfeuer waren die Signalglocken angebracht. Mächtige, aus schwerem Metall gegossene Glocken, deren Klang die ganze Stadt erreichte und – wenn zum Sturm geschlagen – das Mauerwerk der Leuchttürme zum Erzittern brachten.

Sechs eigens für diesen Zweck ausgebildete Glockenschläger waren nötig, eine der schweren Glocken an den langen Seilen in Schwung zu bringen und zu läuten. Um die Leuchtfeuer kümmerten sich in jedem der Türme jeweils drei Leuchtwärter, die sich in ihren Schichten untereinander abwechselten. Von den oberen Stockwerken der Leuchttürme hatten die Leuchtwärter einen guten Überblick über das Ostmeer, den Hafen und den Küstenstreifen in der Nähe Tut-El-Bayas. Bei guter Sicht konnten sie sich dem Hafen nähernde Schiffe schon aus weiter Entfernung entdecken und die Stadt meist rechtzeitig vor aufziehenden Stürmen und Gefahren warnen. Zeigten sich Sturm- und Gewitterwolken am Horizont über dem Meer oder ein allzu hoher Wellengang, wurden die Glockenschläger gerufen, die Stadt zu warnen.

Ähnlich gingen die Leuchtwärter vor, sobald sich ein unbekanntes Schiff näherte, das nicht auf ihre Flaggensignale antwortete. An den Landungsbrücken in der Nähe der Leuchttürme lagen Kriegsschiffe der Klan, die durchgehend mit einer Notbesatzung bemannt waren. Bei Alarm wurden sie in kurzer Zeit mit Seeleuten und Soldaten aus den nahe am Hafen gelegenen Kasernen besetzt und waren jederzeit zum Auslaufen bereit.

Es waren schnelle, wendige und schwer bewaffnete Schiffe, die in ihrem Rumpf neben anderen Kanonen sogar mit einer mächtigen Bantlamor ausgerüstet waren. Sie waren in der Lage, feindliche Schiffe abzufangen und aufzubringen.

Für ein Schiff war es unmöglich, unbemerkt in den Hafen von Tut-El-Baya einzulaufen. Plünderer und Feinde erhielten erst gar keine Gelegenheit, Überraschungen vorzubereiten und den Hafen oder die Stadt von der Meerseite zu überfallen.

Die Glocken der Leuchttürme läuteten Sturm. Der Lärm war ohrenbetäubend. Sapius war erst vor wenigen Tagen in Eile aus Kartak mit seinem Drachen nach Tut-El-Baya zurückgekehrt und hatte sich eine Unterkunft in einem der zahlreichen Wirtshäuser am Hafen genommen. Haffak Gas Vadar hatte sich in der Nähe auf einem der flacheren Dächer niedergelassen und döste in der Sonne. Der Drache hatte in den letzten Wochen ganze Arbeit geleistet und das Volk der Tartyk nach Fee in Sicherheit gebracht. Danach war er sofort wieder zu Sapius zurückgekehrt und hatte den Magier, so schnell es ihm möglich war, in die Hauptstadt der Klan geflogen. Jetzt brauchte er eine Rast, sich von den Anstrengungen zu erholen.

Der Name des Wirtshauses Zum stinkenden Fisch hatte Sapius sofort zugesagt. Er nahm an, dass ein Wirtshaus mit einem solchen Namen nur wenige Gäste anzog. Das kam dem Magier durchaus gelegen. Er wollte kein Aufsehen erregen. Das Ende war nah. Er hatte das Buch der Macht an Tomal verloren. Eine Katastrophe, deren Ausmaß noch nicht abzusehen war. Sapius musste das Schlimmste verhindern.

Wirtsstube und Schlafkammern im Stinkenden Fisch waren im Gegensatz zu vielen anderen Hafenspelunken sauber und das Essen halbwegs genießbar. Sapius versuchte, gegen den Klang der Glocken anzubrüllen, als er mit dem Wirt sprach. Das war ein großgewachsener, grobschlächtiger Klan mit einem Glatzkopf und einem mächtig runden Bauch, der einer schwangeren Frau kurz vor der Niederkunft alle Ehre gemacht hätte. Die Wirtsstube war bis auf ihn und den Wirt leer. Der Name des Wirtshauses wirkte auf mögliche Gäste abschreckend.

»Was ist los?«, wollte Sapius vom Wirt wissen. »Warum läuten die Glocken Sturm?«

»Sie läuten nicht Sturm«, brüllte der Wirt zurück, »die Glocken warnen vor fremden Schiffen. Hört dem Klang der Glocken zu, dann könnt Ihr erfahren, was sie sagen. Es müssten den Glockenschlägen nach vier oder fünf Schiffe sein, die sich nicht zu erkennen geben und nicht auf die Signale der Leuchtwärter antworten.«

»Und was bedeutet das?«, fragte Sapius.

»Das weiß ich doch nicht«, meinte der Wirt, »die Schiffe könnten vorbeiziehen, in den Hafen einlaufen oder sich selbst versenken. Sie könnten auch angreifen. Für die Besatzung der Kriegsschiffe bedeutet das, dass sie jeden Augenblick auslaufen werden, um die Schiffe abzufangen, noch bevor sie überhaupt in Hafennähe kommen. Die Kriegsschiffe werden die fremden Schiffe mit Mann und Maus versenken, wenn sie ihre Absichten nicht bald kundgeben. Sie könnten eine Seuche oder Schlimmeres an Bord haben. Nichts davon wollen wir in Tut-El-Baya haben.«

»Wie beruhigend«, antwortete Sapius, »die Stadt ist wirklich sehr gut geschützt.«

»Noch besser wäre Tut-El-Baya geschützt, wenn Kapitän Murhab noch in den Diensten Jafdabhs stünde. Er war einfach unschlagbar. Einer der besten und härtesten Seeleute, die ich je kannte. Leider haben ihn die Rachuren erwischt. Er hätte niemals in die Luft wechseln dürfen. Seine Stärke waren das Meer und die Schiffsplanken. Hätten die Kojos gewollt, dass er fliegt, hätten sie ihm bestimmt Drachenflügel mitgegeben.«

Während Sapius mit dem Wirt sprach und die Glocken weiter Sturm läuteten, spülte dieser in aller Ruhe in einer großen Spülschüssel benutzte Krüge ab.

»Ich habe schon von Murhab gehört, obwohl ich ihn leider nie persönlich kennenlernen durfte.«

»Da habt Ihr einen wirklich guten Mann verpasst.«

»Wohl oder übel, man kann nicht jeden im Leben treffen«, merkte Sapius an, »dafür trifft man andere, die man lieber nicht treffen würde, wie die Rachurenhexe Rajuru.«

»Der möchte ich auch nicht über den Weg laufen. Sie soll aber sehr schön sein.«

»Ich traf sie«, lächelte Sapius, »jetzt ist sie tot.«

»Oh …«, staunte der Wirt und schüttelte den Kopf, »… unglaublich. Der Todsänger etwa auch?«

»Nein, leider nicht«, brummte Sapius, »Nalkaar treibt noch sein Unwesen. Ich war nah dran, ihn zu überwinden, aber er ist mir entwischt.«

»Aber gut singen kann er schon, nicht wahr?«, meinte der Wirt.

»Ohne Zweifel, ja«, nickte Sapius, »sofern Ihr das Singen um eine Seele und das Fressen derselben zu den schönen Gesängen zählen wollt.«

»Gab er nicht jüngst Aufführungen?«, fragte der Wirt. »Ich meine, mich dunkel an so einen Auftritt auf dem Marktplatz von Tut-El-Baya zu erinnern. Aber es ist eine Erinnerung, wie aus einem Traum. Normalerweise habe ich ein ganz gutes Gedächtnis.«

»Vergesst das schnell wieder«, schlug Sapius vor, »das waren tatsächlich nur Illusionen. Jemand hat sie Euch geschickt. Der Todsänger ist ein Seelenfresser. Singt er für Euch, sterbt Ihr oder werdet selbst zu einem Todsänger.«

Der Wirt wischte sich die nassen Hände an seiner Schürze ab, nahm zwei frische Krüge von der Wand und füllte sie aus einem Fass an der Wand.

»Kommt, wir trinken ein Bräu zusammen. Ihr seid mein einziger Gast. Ich lade Euch auf einen Krug ein«, sagte der Wirt.

»Da sage ich nicht Nein. Vielen Dank«, bedankte sich Sapius. »Macht Ihr Euch denn keine Sorgen wegen der Glocken? Euer Wirtshaus liegt sehr nahe am Hafen.«

»Ach was. Ich habe Euch doch erzählt, dass die Stadt vor Überfällen von der Meerseite sicher ist. Ein heftiger Sturm oder eine haushohe Flutwelle würden mir weit mehr Sorgen bereiten. Prost! Trinken wir auf die Sicherheit dieser Stadt, der Leuchttürme und des Hafens. Trinken wir auf das schönste Wirtshaus in Tut-El-Baya.«

»Einverstanden«, prostete Sapius dem Wirt augenzwinkernd zu, »trinken wir auf den freundlichsten und großzügigsten Wirt in der Stadt.«

»Meinetwegen«, meinte der Wirt lachend, »das ist nett von Euch. Es gibt nur wenige Gäste, die das zu schätzen wissen.«

»Habt Ihr Euch schon mal gefragt, warum das so ist?«, hakte Sapius nach.

»Gelegentlich schon«, meinte der Wirt betrübt, »aber ich verstehe es nicht. Mein Wirtshaus ist sauber und das Essen ist gut. Ich gebe mir Mühe und versuche, freundlich zu sein. Das sage ich auch den Bediensteten. Ich achte darauf, dass ich nur ordentliche Serviermädchen bedienen lasse. Sie sind anständig, höflich und nett.«

»Wie kamt Ihr auf den Namen stinkender Fisch?«, wollte Sapius dem Wirt auf die Sprünge helfen.

»Nicht weit von hier legen die Fischer mit ihren Booten an. Stellt Euch vor die Tür, atmet tief ein und Ihr wisst, wie ich auf den Namen kam.«

»Na ja. Wenn ich etwas essen und trinken wollte, würde mich der Name eher abhalten. Niemand mag stinkenden Fisch.«

»Meint Ihr? Aber Ihr seid doch mein Gast und kamt auch in mein Wirtshaus, trotz des Namens.« Der Wirt kratzte sich verwundert am Kopf.

»Ich nahm eben an, das Wirtshaus sei nicht gut besucht und ich könnte deshalb eine Unterkunft bekommen, bei der ich meist ungestört bliebe.«

»Hä?« Der Wirt machte ein wirklich dummes Gesicht, bis ihm endlich ein Licht aufging. »Ach so. Habt Ihr etwas zu verbergen? Seid Ihr ein feindlicher Spion? Muss ich Euch jetzt rauswerfen?«

»Nein. Ich kam nach Tut-El-Baya, um die Stadt vor einem Angriff zu bewahren. Ich schlage vor, wir trinken das Bräu. Es könnte unser Letztes sein. Anschließend sehen wir nach, was aus den Schiffen geworden ist. Ich traue keinen Glocken, weder an Flickenkappen noch in Leuchttürmen«, sagte Sapius.

»Geht Ihr nur zum Hafen. Ihr werdet sehen, dass die fremden Schiffe längst versenkt wurden oder geflohen sind. Ich bleibe hier und mache sauber. Wollt Ihr heute Fisch oder Waldschwein zum Abendessen?«

»Waldschwein würde mir gefallen«, antwortete Sapius.

Der Magier trank seinen Krug in einem Zug leer, bedankte sich noch einmal beim Wirt und eilte aus der Wirtsstube. Sollten das die Schiffe sein, auf deren Ankunft er wartete, konnten sich die Verteidiger auf eine Überraschung gefasst machen. Als er zum Hafen kam, hatten sich bereits viele Menschen dort versammelt und blickten gebannt aufs Meer hinaus.

Die Klan standen dicht gedrängt und reckten die Hälse in die Höhe. Sapius konnte durch die Menge nichts erkennen. Seine Versuche, sich weiter vorzudrängeln, um besser sehen zu können, scheiterten an den Ellbogen und unfreundlichen Reaktionen der Klan. Sapius rief seinen Drachen.

»Haffak? Bist du wach?«

Es dauerte eine Weile, bis Haffak Gas Vadar in Sapius’ Gedanken auftauchte.

»Was ist los?«, antwortete der Drache.

»Bist du wach?«

»Jetzt schon«, maulte der Drache ungehalten, »du hast mich aufgeweckt. Kann ich nicht einmal in Ruhe schlafen? Ich brauche Erholung, Sapius. Die vergangenen Wochen haben an meinen Kräften gezehrt.«

»Hast du die Glocken denn nicht gehört?«

»Nein, ich habe geschlafen.«

»Ich kann vom Hafen aus nichts sehen. Es sind einfach zu viele Klan hier. Sie sind neugierig und lassen mich nicht durch. Kannst du von den Dächern herab etwas auf dem Meer erkennen?«

»Warte … ich muss mich aufrichten«, meinte Haffak.

Sapius wartete ungeduldig auf eine Nachricht des Drachen, der sich Zeit dafür ließ, sich einen Überblick zu verschaffen.

»Ich sehe fünf Schiffe, die sich von Süden kommend dem Hafen nähern«, meldete sich der Drache schließlich zurück, »mächtige Schiffe. Sie stehen unter vollen Segeln, haben sämtliche Ruderbänke besetzt und die Ruder ausgefahren. Sie sind schnell und steuern auf eine Barriere aus Kriegsschiffen zu. Es sieht nicht danach aus, als ob sie abdrehen wollten. Im Gegenteil, behalten sie ihren Kurs und die Geschwindigkeit bei, werden sie die Kriegsschiffe bald rammen. Es handelt sich um die Sturmschiffe der Nno-bei-Maya, die wir auf Kartak gesehen haben.«

»Auf einem der Schiffe muss sich Tomal befinden«, meinte Sapius. »Kannst du ihn sehen?«

»Tatsächlich, der Lesvaraq. Das muss er sein. Das rote Schimmern seines Schwertes Solatar ist unverkennbar. Er befindet sich direkt hinter dem Steuermann auf dem ersten Schiff.«

»Was macht er gerade?«

»Ich glaube, er liest im Buch der Macht.«

»Bei den Kojos, genau das hatte ich befürchtet. Wir müssen ihn aufhalten. Er wird die Stadt vernichten, wenn sie sich nicht freiwillig ergibt oder es ihm gefällt.«

»Wie willst du das anstellen?«, fragte der Drache.

»Ich komme zu dir und du fliegst mich zu seinem Schiff. Ich muss ihn an Deck bekämpfen und ihm das Buch abnehmen, bevor er eine Katastrophe anrichtet.«

»Lauf zum Marktplatz, Sapius. Dort kann ich landen und dich abholen.«

»Bin schon unterwegs.«

Sapius rannte, so schnell er konnte, durch die Straßen Tut-El-Bayas. Der Marktplatz lag ein gutes Stück vom Hafen entfernt. Der Magier musste hinkend über Pflasterstein laufen, steil ansteigende Gassen und zahlreiche Stufen überwinden. Bald geriet er außer Atem. Seine Lunge und die Beine brannten wie Feuer. Schwer atmend stützte er sich auf seinen Stab. Nach einer kurzen Rast trieb er sich erneut an, den Weg zum Marktplatz zu schaffen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht und schweißüberströmt erreichte er schließlich sein Ziel. Der Drache wartete bereits auf ihn.

»Du hast dir Zeit gelassen«, tadelte ihn der Drache, »was ist los? Bist du das Laufen nicht mehr gewohnt? Trage ich dich zu viel in der Gegend herum?«

»Ich bin nicht zu Späßen aufgelegt, Haffak«, maulte Sapius mürrisch zurück, »hilf mir auf deinen Rücken und bring mich an Deck des Schiffes.«

»Ich hoffe, sie haben keine Bogenschützen an Bord«, sagte Haffak Gas Vadar, »Pfeile vertrage ich nicht so gut.«

»Keine Sorge«, meinte Sapius, »solange ich auf deinem Rücken sitze, wird dich kein Pfeil treffen. Ich wehre sie ab, sollten sie auf dich schießen.«

»Wie beruhigend«, schnaufte Haffak Gas Vadar.

Der Drache hielt dem erschöpften Sapius eine Pranke hin und half ihm beim Aufsteigen. Der Magier verschaffte sich einen sicheren Halt und gab dem Drachen ein Zeichen, dass er bereit zum Abflug war. Haffak Gas Vadar entfaltete seine Drachenflügel, nahm einige Schritte Anlauf über den Marktplatz und schraubte sich zwischen den Häusern in eng geflogenen Kreisen weit nach oben über die Dächer der Stadt. Aus der Höhe hatte Sapius einen guten Überblick.

In einiger Entfernung konnte er die fünf Sturmschiffe der Maya sehen. Obwohl sie unter schwerem Beschuss der Kriegsschiffe lagen, waren sie schon nahe an die Barriere herangekommen und machten immer noch volle Fahrt. Sämtliche Segel waren gesetzt und die Ruderer zogen im zum Angriff geschlagenen Rhythmus der Trommeln wild an den Riemen. Er konnte den dumpfen Trommelschlag bis in die Höhe hören. Sapius wunderte sich, dass die Sturmschiffe unbeschädigt waren. Die Kriegsschiffe feuerten aus allen Rohren. Zwischendurch erschütterte das Donnern und Feuer eines Bantlamor das Meer und rüttelte die Kriegsschiffe ordentlich durch. Aber selbst die mächtigste Kanone der Klan richtete keinen Schaden an. Die Klan trafen nicht, ihre Geschosse wurden durch eine unsichtbare Barriere abgelenkt oder verpufften wirkungslos kurz vor den Sturmschiffen der Maya. Der Magier nahm an, dass die Maya mithilfe ihrer Kristallmagie einen magischen Schild um ihre Schiffe aufgebaut hatten. Einen ähnlichen Schutz – nur viel stärker – verwendeten sie auf der Insel Kartak, ihre unterirdische Stadt zu sichern.

Sapius war in der Lage, die oberen Ruderbänke vom Rücken des Drachen aus gut zu erkennen. Insgesamt wiesen die Schiffe im Rumpf drei untereinanderliegende Ebenen mit Ruderbänken auf. Sapius nahm an, dass sie bis auf den letzten Platz besetzt waren, was er aus den zahlreichen Rudern der Schiffe schloss, die sich im gleichen Takt bewegten und die Sturmschiffe auf volle Fahrt brachten. Sapius hatte keinen Zweifel daran, dass sie die Barriere mit einem Schlag durchstoßen wollten. Die vorne am Bug unter der Wasseroberfläche angebrachten Rammböcke aus massivem Eisen pflügten wie mächtige Dorne durchs Wasser. Hatten die Kapitäne der Kriegsschiffe die Rammböcke etwa nicht gesehen?

Die Barriere aus quer liegenden Kriegsschiffen lud die Sturmschiffe der Maya geradezu ein, sie zu rammen. Sapius schüttelte ungläubig den Kopf, bis er plötzlich ein seltsames perlmuttfarbenes Schimmern bemerkte, das die Rammböcke umgab. Ganz vorne am Rumpf der Sturmschiffe, oberhalb der Dornen, war ein großer, leuchtender Kristall zu erkennen. Der Kristall pulsierte in gleichbleibendem Rhythmus.

Sapius wurde klar, was das zu bedeuten hatte. Es war Kristallmagie. Das war die Erklärung, weshalb die Salven der Kriegsschiffe nicht trafen. Der Kristall verhinderte zudem, dass die gegnerischen Schiffe den tödlichen Rammbock sehen konnten. Es handelte sich um eine Art magische Sichtbarriere, die nur ein geschultes, magisches Auge aus der Höhe durchdringen konnte. Sapius sah, was die Besatzung der Kriegsschiffe nicht sehen konnte.

»Siehst du, was ich sehe?«, fragte Sapius den Drachen.

»Die Schiffe der Klan werden untergehen«, meinte der Drache, »den Angriff überstehen sie nicht. Die Sturmschiffe werden sie rammen, auseinanderreißen und einfach durch sie hindurchfahren.«

»Das fürchte ich auch«, sagte Sapius, »und dann ist der Weg in den Hafen frei.«

»Wir kommen zu spät«, stellte der Drache fest.

»Ich weiß«, antwortete der Magier traurig, »du kannst abdrehen und mich wieder nach Tut-El-Baya bringen. Ich muss mir etwas anderes einfallen lassen. Hoffentlich gelingt es mir, Tomal am Hafen abzufangen, sobald er das Schiff verlässt.«

Der Drache flog einen engen Bogen und drehte ab. Kurz darauf vernahm Sapius ein fürchterliches Krachen und Schreie vom Meer. Er musste sich nicht einmal umdrehen und nachsehen. Der Magier wusste, was geschehen war.

»Kann ich dir helfen?«, wollte der Drache wissen, während er wieder auf den Marktplatz von Tut-El-Baya zusteuerte.

»Ich weiß nicht, Haffak«, antwortete Sapius, »Drachenmagie könnte nützlich sein. Aber du musst deine Kräfte schonen. Halte dich bereit. Womöglich müssen wir schnell fliehen, sollte ich Tomal nicht aufhalten können.«

Sapius rutschte vom Rücken des Drachen und rannte Richtung Hafen. Die ersten Klan kamen ihm schreiend entgegen, als er in eine schmale Seitengasse einbog. Dies war zwar eine Abkürzung zum Hafen. Aber Sapius lief gegen den Strom und musste den Klan ausweichen. Das Entsetzen stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Sie waren in Panik geraten, als sie mitansehen mussten, wie die Barriere ihrer Kriegsschiffe durchbrochen worden war.

»Bleibt vom Hafen weg! Flieht! Lauft um Euer Leben. Feindliche Schiffe!«, riefen sie Sapius zu. »Sie haben unsere Schiffe versenkt.«

»Sie kommen! Sie kommen in den Hafen. Rette sich, wer kann!«, schrie ein anderer Nno-bei-Klan, während er schwer atmend und mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen an Sapius vorbeirannte.

Der Magier bahnte sich seinen Weg durch die Fliehenden. Feuer und Rauch stiegen ihm in die Nase und vermischten sich mit dem Fischgestank. Sapius wurde geschubst und gestoßen. Einige Klan waren unglücklich gestürzt und von Nachströmenden überrannt und zertrampelt worden. Eine Panik wie diese kannte keine Rücksicht. Der Magier sprang über Stufen und Pflastersteine, als hätte er kein steifes Bein. Es gelang ihm mit einigen Blessuren gerade in jenem Moment zum Hafen zu kommen, als das erste Sturmschiff der Maya anlegte.

»Jetzt habe ich dich, Tomal«, dachte Sapius.

Auf dem Meer vor dem Hafen brannten Kriegsschiffe, Seeleute und Soldaten sprangen schreiend und brennend von Bord. Andere Kriegsschiffe versanken mitsamt ihrer Besatzung in den Fluten. Die Flotte der Nno-bei-Klan war verloren.

Von Bord der Sturmschiffe wurden Seile mit Haken an Land geworfen. Die Schiffe wurden mithilfe der Seile zum Kai gezogen. Das Anlegen ging rasend schnell. Die Besatzung war gut eingespielt und wusste genau, was sie zu tun hatte.

Mit Speeren, Kristallschwertern und Äxten bewaffnete, mit Schilden und verstärkten Plattenpanzern gerüstete Maya-Krieger sprangen an Land. Unter ihnen war auch der erste Krieger der Nno-bei-Maya.

Gahaad schwang das singende Blutschwert Solatar, das einst dem Bewahrer Madhrab gehört hatte. Gahaad führte die Maya-Krieger an. Sapius musste mit ansehen, wie die an Land verbliebenen Verteidiger niedergemetzelt wurden. Die meisten von ihnen fielen von der Hand des ersten Kriegers. Solatars metallischer Blutgesang übertönte den Kampfeslärm noch.

Flankiert von Kriegern betrat Tomal den Kai von Tut-El-Baya. Der Lesvaraq hielt das Buch der Macht in der Hand.

»Halt!«, schrie Sapius und hob den Stab des Farghlafat hoch über seinen Kopf.

Seine magisch verstärkte Stimme erzielte genau die Wirkung, die er sich erhofft hatte. Die Krieger blieben verdutzt stehen. Lediglich Tomal ließ sich nicht beirren und bahnte sich einen Weg nach vorne. Der Lesvaraq blieb neben Gahaad stehen und schenkte Sapius einen verächtlichen, angewiderten Blick.

»Was willst du?«, rief er dem Magier voller Hass zu. »Du bist aus Zehyr wie ein Feigling geflohen. Ich hätte dich gleich dort erledigen sollen. Aber meinetwegen können wir es auch hier im Hafen von Tut-El-Baya zu Ende bringen. Du wirst mich nicht mehr aufhalten, Sapius. Du bist nur ein kleines, lästiges Hindernis auf dem Weg in eine neue Welt. Meine Welt.«

»Gib mir das Buch der Macht«, verlangte Sapius, »es gehört nicht in deine Hände. Danach kannst du meinetwegen machen, wonach dir der Sinn steht.«

»Das würde dir so gefallen, nicht wahr?«, giftete der Lesvaraq. »Das hast du dir wunderbar ausgedacht. Auf Kartak hast du die anderen Streiter für dich gegen mich und Malidor kämpfen und sterben lassen. Du hast Belrod dem vierten Wächter geopfert, nur um aus der Höhle zu entkommen. Du wusstest genau, du würdest dort nicht bestehen können. Also hast du die erste Gelegenheit genutzt und bist geflohen, um mir hier mit der Verteidigung Tut-El-Bayas im Rücken gegenüberzutreten. Du dachtest, du würdest die Macht des Buches bekommen und ich ginge am Ende leer aus. Alles was ich erschaffen würde, könntest du mit dem Buch augenblicklich rückgängig machen. O nein, Sapius, dein Plan geht nicht auf. Wo ist die Flotte? Wo sind die Verteidiger? Was ist mit Jafdabhs Kriegsgeräten?«

»Du oder vielmehr Gahaad und die Sturmschiffe der Maya haben sie vernichtend geschlagen«, antwortete Sapius, »aber ich stehe noch, wie du siehst.«

»Nicht mehr lange!«, schrie Tomal. »Tötet ihn! Tötet Sapius!«

Gahaad hob das Schwert zum Zeichen des Angriffs. Der Magier machte sich bereit und schwang seinen Stab.

»Alachna drog ketmeer«, rief Sapius und deutete mit dem Stab auf die Angreifer.

Sein Ruf löste eine gewaltige Druckwelle aus, die von ihm auf Tomal und die Krieger zuraste.

»Achtung!«, wollte der Lesvaraq seine Gefährten noch warnen.

Aber der Warnruf kam zu spät. Die Druckwelle war zu schnell.

»Egmeer«, schrie Tomal im letzten Moment, während er sich schützend auf den Boden warf und blitzschnell einen Schild um sich aufbaute, der die Welle an ihm vorbeilenkte.

Die Maya-Krieger hatten weniger Glück. Die Druckwelle traf sie mit Wucht und schleuderte sie über den Kai ins Hafenbecken zurück. Einige wurden gegen das gelandete Sturmschiff geschmettert. Planken zersplitterten und Masten brachen. Die Welle ließ das Schiff der Maya kentern. Während es im Hafenbecken versank, gerieten die anderen Sturmschiffe in Seenot. Nur eines der Schiffe hielt dem Angriff unversehrt stand und brachte sich mit einem geschickten Ausweichmanöver rasch wieder in Stellung.

Der erste Krieger der Maya kletterte aus dem Hafenbecken. Er hatte Mühe, in der schweren Rüstung wieder an Land zu kommen, und triefte vor Nässe. Seine Gesichtsfarbe war leichenblass, als weilte er wieder unter den Schatten.

»Bei den Kojos!«, schrie er und stampfte auf den Lesvaraq zu. »Wer ist dieser Mann? Ich kenne ihn! Er war auf Kartak und in Zehyr bei unserer Königin. Ich überbrachte ihm Saykaras Geschenk. Ihr sagtet, er sei im Vergleich zu Euch schwach und harmlos. Ihr habt ihn einen Dieb genannt, der sich mit Euren Siegen schmückte. Warum habt Ihr uns nicht besser vor ihm gewarnt?«

»Ich habe euch vor ihm gewarnt«, meinte Tomal, »Ihr dürft ihm nicht trauen. Er täuscht uns alle.«

»Viel zu spät habt Ihr uns vor ihm gewarnt. Erst als die Druckwelle auf uns zurollte und nicht mehr aufzuhalten war! Bereits als wir auf Kartak in See stachen, wusstet Ihr, dass er aus Zehyr entkommen war und in Tut-El-Baya auf uns warten würde. Gebt es zu und lügt mich nicht an!«

»Ich war mir nicht sicher«, antwortete Tomal, »es war möglich. Aber er ist vor mir und Saykara geflohen. Es hätte auch sein können, dass wir ihn nie wieder gesehen hätten. Er ist ein Feigling.«

»Unsinn! Ihr wusstet, zu was er fähig ist«, empörte sich Gahaad.

»Ich gebe zu, er ist besser geworden.« Der Lesvaraq zuckte mit den Schultern.

»Nehmt das Buch der Macht und löscht den Magier aus! Vernichtet ihn!«, verlangte Gahaad.

»Das ist nicht so einfach, wie Ihr Euch das vorstellt. Ich muss und will gegen ihn antreten und eine Rechnung begleichen. Das Buch der Macht zu benutzen, um ihn zu beseitigen, wäre der falsche Weg. Er birgt Gefahren, die ich nicht vorhersehen kann. Das Buch könnte sich auf seine Seite stellen und die Geschichte zu seinen Gunsten schreiben. Sapius könnte widerstehen und dadurch noch mächtiger werden. Wir alle könnten Schaden erleiden, sollte ich das Buch gegen ihn einsetzen. Dieser Gefahr dürfen wir uns nicht aussetzen. Ich werde das Buch nur für etwas Größeres einsetzen.«

»Wer ist er? Ich will wissen, was er kann!«, verlangte Gahaad von Tomal.

Sprachlos und wie gebannt verfolgte Sapius die Auseinandersetzung zwischen Gahaad und Tomal. Der Magier sah seine Gelegenheit gekommen.

»Ihr könnt mich fragen, erster Krieger«, sagte Sapius, »ich werde Euch nicht verhehlen, welche Möglichkeiten ich noch besitze. Ich bin ein freier Magier der Dunkelheit. Tomal war einst mein Schüler.«

Gahaad sah den Lesvaraq neben sich an, als ob dieser von allen guten Geistern verlassen wäre. Sapius beobachtete die beiden genau, jederzeit bereit, einen weiteren Schlag zu führen.

»Stimmt das, Tomal?«, raunte der erste Krieger.

»Ja, er war mein Lehrer«, gab Tomal zu, »aber …«

»Verdammt!«, unterbrach Gahaad den Lesvaraq. »Ich habe soeben meinen ersten Angriffssturm verloren. Gute Krieger. Die Besten, die wir aufzubieten hatten. Seht sie Euch an! Erschlagen, ertrunken, verwundet und die Überlebenden demoralisiert. Drei Worte hat es dazu gebraucht. Nur drei Worte! Ihr führt uns gegen einen Magier in den Kampf, ohne uns vor ihm zu warnen? Meine Krieger schickt Ihr gegen Euren Meister? Ihr habt uns getäuscht. Führt Euren Kampf alleine.«

»Saykara wird das nicht gefallen, Gahaad«, erwiderte Tomal, »sie wollte, dass wir Tut-El-Baya für die Nno-bei-Maya erobern und die überlebenden Klan versklaven.«

»Wie könnt Ihr es wagen, unsere edle Königin im Angesicht der Niederlage zu erwähnen?«, zürnte Gahaad. »Ihr habt Saykara Versprechungen gegeben, die Ihr niemals vorhattet einzuhalten, und Ihr habt sie getäuscht, wie Ihr uns alle etwas vorgemacht habt.«

»Wir haben noch nicht verloren«, meinte Tomal, »es hat gerade erst angefangen. Sapius führte den ersten Schlag. Ich bitte Euch, Gahaad, seid doch nicht feige.«

»Feige!« Gahaad stieg die Zornesröte ins Gesicht und seine Stimme überschlug sich. »Ihr werft dem ersten Krieger der Maya Feigheit vor?«

Gahaad zückte Solatar und nahm eine Angriffsstellung ein. Sapius machte sich auf alles gefasst, aber er erkannte, dass die feindliche Haltung nicht ihm, sondern Tomal galt.

»Was soll das?«, wollte Tomal wissen. »Wollt Ihr die Seiten wechseln und gegen mich kämpfen? Aus dem Feigling wird auch noch ein Verräter?«

»Genug von Eurem Geschwätz«, donnerte Gahaad, »greift mich an oder verteidigt Euch. Ihr werdet mich kein weiteres Mal beleidigen und die Krieger der Nno-bei-Maya nicht noch einmal für Eure Zwecke benutzen.«

Das zweite Sturmschiff hatte inzwischen am Kai angelegt. Ein einzelner Mann ging von Bord und blieb einige Schritte hinter den Streitenden stehen. Sapius kannte diesen Mann. Er war kein Maya, so viel war trotz seiner Maya-Rüstung zu erkennen. Der Krieger trug keinen Helm. Das Gesicht hatte Sapius erst kürzlich gesehen.

»Murhab«, dachte Sapius. »Aber war er nicht einer von Nalkaars Todsängern? Hat ihn die Königin vom Fluch der Todsänger befreit? Was macht er hier auf einem Sturmschiff der Maya?«

»Gahaad«, mischte sich Murhab ein, »lasst ihn! Er ist es nicht wert, dass Ihr Euer Leben riskiert. Kommt zurück auf das Schiff, wir rücken ab und kehren nach Kartak zurück.«

»Nein«, rief Gahaad, »er hat uns betrogen und meine Ehre beleidigt. Dafür wird er sterben.«

»Überlasst ihn dem Magier«, schlug Murhab vor, »Ihr könnt nicht gegen einen Lesvaraq kämpfen und gewinnen. Ihr richtet nichts gegen seine Magie aus. Außerdem ist er im Besitz des Buches. Lasst uns umkehren. Hier gibt es nichts mehr für uns zu tun.«

»Unser Volk wurde schon einmal von einem Lesvaraq betrogen. Ulljan hat uns damals überrascht. Das wird kein zweites Mal geschehen«, erwiderte Gahaad, »ich bin der erste Krieger der Nno-bei-Maya und der Lesvaraq wird für alles bezahlen, was er und Ulljan uns angetan haben.«

»Nicht doch, Gahaad«, meinte Murhab, »ich habe Euch nicht aus den Schatten geholt, damit Ihr gleich wieder dorthin wandert. Kommt an Bord. Wir rudern nach Hause.«

Gahaad hörte nicht auf den Kapitän. Der erste Krieger hielt das Blutschwert erhoben. Aber er zögerte noch.

Aus den Straßen und Gassen, die zum Hafen führten, waren Schritte und Schreie zu hören, die schnell näher kamen. Im Laufschritt eilten die Verteidiger Tut-El-Bayas herbei und sammelten sich hinter Sapius. Sapius hatte damit gerechnet, dass sie kommen würden, nachdem die ganze Stadt von den Glocken der Leuchttürme alarmiert worden war und sich die katastrophale Niederlage der Flotte schnell herumgesprochen hatte.

Jafdabh begleitete seine Getreuen selbst zum Hafen. Er hatte edle Rüstung angelegt, die mit zahlreichen goldenen Runen verziert war, und trug einen schwarzen Helm mit einem unglaublich großen, weißen Federbusch darauf. Als Bewaffnung hatte er ein verbessertes Galwaas gewählt.

»Tja … ähm … was ist hier los?«, wollte Jafdabh wissen, der sich schwer schnaufend an Sapius’ Seite stellte.

»Die Flotte der Nno-bei-Klan wurde von den Sturmschiffen der Nno-bei-Maya versenkt und die Hafenverteidigung mit dem ersten Angriff der Maya getötet«, flüsterte Sapius, »im Augenblick scheint die Lage allerdings verworren. Die Eroberer sind sich nicht einig. Der Angriff geriet ins Stocken, nachdem ich etwas gezaubert habe. Wir könnten gleich einen Kampf zwischen dem ersten Krieger der Nno-bei-Maya und Tomal erleben.«

»Tja … und nun?«

»Wir warten ab, was geschieht«, schlug Sapius vor.

»Tja … also Eure Gelassenheit möchte ich haben«, meinte Jafdabh verdutzt und blickte sich verwundert um. »… aber … aber … das ist doch … das ist doch nicht möglich. Murhab! Mein Kapitän. Der beste Seemann, den ich je hatte. Ich dachte, er wäre beim Sturm auf Burg Fallwas gefallen. Mir wurde berichtet, er sei von Nalkaar zu einem Todsänger gewandelt worden. Wie ist es möglich, dass er jetzt in den Diensten der Nno-bei-Maya steht?«

»Vielleicht solltet Ihr ihn das bei Gelegenheit selbst fragen, sollten er und wir dies hier überleben. Jetzt ist gewiss nicht der geeignete Moment dafür«, antwortete Sapius.

Sapius fiel an Tomal auf, dass sich dieser geradezu aufreizend gelangweilt verhielt und sich nur mit Mühe ein Gähnen unterdrückte.

»Was ist nun, Gahaad?«, hörte er den Lesvaraq mit fester Stimme sagen. »Ihr müsst Euch schon entscheiden. Es wird langsam spannend, findet Ihr nicht? Die Verteidiger von Tut-El-Baya vermehren sich auf wundersame Weise. Wir verlieren Zeit. Jetzt ist es nicht mehr nur ein magischer Kampf. Wie wäre es, wenn Ihr Solatar gegen Jafdabhs Verteidiger schwingt, statt es mir über den Kopf zu halten?«

»Erspart Euch den Spott, Tomal«, entgegnete Gahaad, »ich bin erfahren und alt genug, meinen wahren Gegner zu erkennen. Bedauerlich nur, dass ich es nicht schon früher bemerkt habe. Ihr kämpft nicht für unsere Sache, sondern nur für die Eure. Die Fronten sind geklärt. Also zieht endlich Eure Waffe und kämpft gegen mich. Ich töte keinen unbewaffneten Mann.«

»Das, Gahaad, ist ein Fehler«, antwortete Tomal, während sich seine Augen zu Schlitzen verengten.

Der Lesvaraq öffnete das Buch der Macht, blätterte flink einige Seiten durch und sagte beiläufig:

»Rucknawzor!«

Sapius wurde bleich und schrie vor Entsetzen laut auf. Wie konnte Tomal dieses Wort in der Nähe des Buches gebrauchen? Tarratar hatte die Streiter eindringlich davor gewarnt. Ein Grollen kam von tief unter der Erde und ließ den Boden unter ihren Füßen erzittern. Gahaad, Jafdabh, Murhab und viele Krieger stürzten auf das Steinpflaster des Bodens. Gebäude wackelten, Steine und Dachziegel fielen herab. Der Hafen bebte.

»Bei den Kojos, Tomal«, schrie der Magier dem Lesvaraq zu, »bist du völlig von Sinnen? Das darfst du nicht. Du wirst uns alle vernichten!«

»Rucknawzor!«, rief der Lesvaraq, dieses Mal deutlich lauter. »Genau das hatte ich vor, Sapius. Die Zerstörung kommt vor der Schöpfung von etwas Neuem. War dir das nicht bewusst? Ich brauche das Buch, um die Zerstörung zu rufen. Tut-El-Baya und die Nno-bei-Klan müssen vernichtet werden. Rucknawzor!«

»Hör sofort damit auf!«, schrie Sapius verzweifelt.

Wieder ging ein Ruck durch die Stadt. Risse zogen sich durch Gebäude, Straßen und Hafenmauer. Einer der beiden Leuchttürme knickte ein und fiel donnernd und scheppernd ins Meer. Die Verteidiger und die Nno-bei-Maya waren starr vor Entsetzen. Schon der erste Erdstoß war stark gewesen. Aber das Beben nahm an Stärke noch zu.

»Flieht!«, rief Sapius. »Flieht, Ihr Narren.«

Niemand schien auf den Magier zu achten. Starr vor Angst waren sie mit sich selbst und den ständig stärker werdenden Erdstößen beschäftigt.

»Lauft um Euer Leben. Verlasst die Stadt!«, versuchte es Sapius verzweifelt weiter. »Der Lesvaraq ruft die Zerstörung. Die Naturgewalten werden alles vernichten.«

Murhab reagierte als Erster und war mit einem gewaltigen Sprung zurück an Deck des Sturmschiffes.

»Kappt die Leinen!«, schrie er der Besatzung seinen Befehl zu. »Gahaad! Komm sofort an Bord.«

Gahaad kroch in der schweren Rüstung und nass, wie er immer noch war, auf allen vieren zur Kaimauer. Das Sturmschiff hatte bereits abgelegt und war schon etwa sechs Fuß weit von der Kaimauer weggekommen.

»Rucknawzor!«, schrie der Lesvaraq aus voller Lunge.

Mit einem Satz sprang er Gahaad hinterher, landete auf dessen Rücken und drückte den ersten Krieger zu Boden. Tomal löste blitzschnell eine Klinge von seinem Gürtel, zog Gahaads Kopf zurück und durchtrennte ihm die Kehle.

»Nein!«, hörte Sapius Murhabs verzweifelte Stimme, der dem ersten Krieger gerade ein Seil hatte zuwerfen wollen.

In aller Ruhe drehte Tomal den ersten Krieger um, der röchelnd im Sterben lag. Er nahm ihm den Brustpanzer ab, schnitt ihm bei lebendigem Leib das Herz heraus und hielt es in die Höhe.

»Genau wie bei Ulljan, nicht wahr?«, lachte Tomal schrill. »Der erste Krieger der Maya ohne Herz und Verstand.«

Tomal warf das Herz ins Hafenbecken, griff sich eine am Boden liegende Axt und schlug Gahaad damit die Schädeldecke auf, um ihm auch noch das Gehirn zu nehmen.

»Bei den Kojos, Ihr seid wahnsinnig«, hörte Sapius den Kapitän des Sturmschiffs brüllen.

Der Magier achtete nicht weiter darauf, denn was er hinter dem Sturmschiff auf dem Meer zu sehen bekam, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Tomal hatte ein Seebeben vor Tut-El-Baya ausgelöst. In rasender Geschwindigkeit türmte sich eine Welle höher und höher und schoss auf die Hauptstadt der Klan zu.

»Rette sich, wer kann!«, schrie Sapius. »Eine Riesenwelle kommt auf uns zu.«

Die Welle hatte bereits die Höhe des noch stehenden Leuchtturms überschritten. Es konnte nur noch wenige Augenblicke dauern, bis sie über die Stadt hereinbrach und das Wasser das Hafenviertel und große Teile der Stadt unter sich begraben würde.

»Achmak asstar chalem so vai eldrago«, zauberte Sapius und verwandelte sich in einen geflügelten Drachen.

Der Magier breitete seine Flügel aus und gewann rasch an Höhe. Er wollte sich so schnell wie möglich in Sicherheit vor der Gewalt der Fluten bringen. Das Wasser durfte ihn nicht erreichen.

»Wartet!«, rief ihm Jafdabh verzweifelt nach. »Was wird aus uns?«

»Rettet Euer Leben!«, schrie ihm Sapius zu. »Sucht Euch einen hohen Platz! Den höchsten, den Ihr in der Zeit, die Euch noch bleibt, erreichen könnt.«

Sapius beobachtete, wie sich der Todeshändler umdrehte und vom Hafen Richtung Marktplatz wegrannte. In der Rüstung wirkte Jafdabh unbeholfen und schwerfällig. Er stolperte mehrmals und verlor beinahe das Gleichgewicht. Aber im letzten Moment fing er sich immer wieder ab und hechtete keuchend weiter.

»Hoffentlich hat er Glück und schafft es, bevor ihn die Welle erreicht«, dachte Sapius, obwohl er nicht daran glaubte, »einen solchen Tod hat Jafdabh nicht verdient. Aber welcher Tod ist letztlich der richtige?«

Sapius blickte zurück und sah den Lesvaraq lachen. Er krümmte sich vor Lachen, während die Verteidiger der Stadt panisch schreiend flohen.

»Du wirst tatsächlich immer besser und verstehst es, mich noch immer zu überraschen«, rief ihm der Lesvaraq lachend nach, »Rucknawzor, Rucknawzor!«

Der Lesvaraq nahm die Gestalt eines Dschan an und eilte Sapius mit den mächtigen Schwingen des Riesenvogels hinterher. Er holte rasch auf.

»Du entkommst mir nicht!«, krächzte der Lesvaraq, das Buch der Macht in den Krallenfüßen. »Rucknawzor, Rucknawzor!«

Sapius blickte nach vorne und oben. Sein Herz schlug schneller, als er seinen Drachen über ihnen kreisen sah. Haffak Gas Vadar hatte die Gefahr also erkannt und war rechtzeitig aufgestiegen. Das gab dem Magier neuen Mut.

»Dreh dich um und greif ihn an!«, hörte Sapius die Stimme des Drachen in seinem Kopf. »Ich halte dir den Rücken frei.«

»Rette lieber Jafdabh und so viele Einwohner, wie du kannst«, bat Sapius, »ich komme schon klar.«

»Wie du willst, Yasek!«

Haffak Gas Vadar stürzte sich im Sturzflug in die Tiefe. Offenbar hatte der Drache Jafdabh unter den Fliehenden erspäht.

Noch türmte sich die Welle vor der Küste höher und höher, noch waren die tosenden Wassermassen nicht über Tut-El-Baya hereingebrochen. Für Sapius fühlte sich die drohende Katastrophe wie ein Traum an, den er schon einmal durchlebt hatte. In der Ferne kämpfte der Kapitän des Sturmschiffs gegen die Welle an. Murhab war bekannt für sein seemännisches Geschick. Eine Welle wie diese mochte für Murhab auf einem Schiff eine besondere Herausforderung sein, aber noch lange nicht das Ende. Das Manöver, das Murhab mit dem Sturmschiff durchführte, überraschte den Magier aber doch. Murhab stellte das Sturmschiff quer zur Welle, ließ die Kräfte der Welle walten und das Schiff Stück für Stück nach oben tragen, bis es schließlich den Kamm erreicht hatte. Dort ließ er eine Viertelwende durchführen und das Schiff auf der anderen Seite wieder steil herabstürzen. Sie hatten die Welle tatsächlich überwunden.

Der Lesvaraq hatte den Magier fast erreicht und hackte mit dem Schnabel nach dessen Fuß. Sapius wirbelte herum und spuckte Feuer. Geschickt wich der Lesvaraq dem Feuerstoß aus und setzte sich seitlich neben Sapius.

»Gib auf!«, sagte Tomal. »Du hast verloren.«

»Noch nicht«, fauchte Sapius, »ich lebe noch.«

Nebeneinander stiegen sie immer höher. Der Dschan und ein Drachendämon am Himmel über der Hauptstadt der Klan. Tut-El-Baya wirkte plötzlich winzig klein auf den Magier, wie ein Spielzeug oder das Modell eines Erbauers. Die Welle verlor in dieser Höhe für Sapius ihre absolute Bedrohung, obwohl sie sich gerade in diesem Augenblick brach und mit Wucht und lautem Getöse über die Stadt hereinbrach. Sie begrub sofort die beiden Leuchttürme und die Hafenanlagen unter sich. Das Wirtshaus, in welchem Sapius genächtigt hatte, konnte er nicht mehr erkennen. Es musste überflutet oder von den Wassermassen mitgerissen worden sein.

Aber Sapius entdeckte noch etwas anderes, das sich vom Meeresgrund langsam, zischend, blubbernd und tiefschwarz erhob. Eine neue, unglaubliche Bedrohung, die ihn beinahe vergessen ließ, seine Flügel zu bewegen, um sich in der Höhe halten zu können. Sapius stockte der Atem beim Anblick des Giganten unter der Wasseroberfläche. Zwischendurch glaubte er einen rötlichen Schimmer durch die Fluten zu erkennen. Was war das? Eine Bestie? Glühende Augen?

»Was hast du nur angerichtet, Tomal?«, grollte Sapius.

»Ah!«, krächzte der Lesvaraq entzückt. »Endlich … nach dem Wasser kommt das Feuer. Der Vulkan erhebt sich aus dem Meer. Mächtiger und größer noch als der zornige Tartatuk. Der heiße Vulkan wird den Rest der Stadt und große Teile Ells unter sich und seinen Lavaströmen begraben. Genieße das Schauspiel, solange du noch kannst. Rucknawzor!«

»Du hast vollkommen den Verstand verloren«, schrie Sapius, »hör endlich auf, Kojos zu spielen.«

»Ich bin ein Lesvaraq und der Schöpfer der neuen, besseren Welt. Wer sich mir in den Weg stellt, wird hinweggefegt«, lachte Tomal, »ach … da fällt mir ein … wie hoch willst du eigentlich noch fliegen, Sapius? Die Luft wird schon knapp.«

»Wenn es sein muss bis zu den Sonnen Krysons, wo wir dann gemeinsam verglühen«, schnaubte Sapius, »so weit, bis du keinen Schaden mehr anrichtest.«

»Ein kluger Mann. Du willst mich von Tut-El-Baya und Ell weglocken. Aber dafür ist es schon zu spät. Die Macht des Buches wirkt. Die Zerstörung wurde durch das eine Wort in Gang gesetzt. Das Ende ist nicht mehr aufzuhalten. Eine Katastrophe folgt der anderen, bis nichts mehr bleibt außer Schutt und Asche. Rucknawzor!«

»Halt ein! Es ist genug, Tomal. So nimm doch Vernunft an!«

»Bis zum bitteren Ende, Sapius. Stirb oder sei Zeuge meiner grenzenlosen Macht. Wollen wir den Lauf der Sonnen ein wenig stören?«

»Nein! Bei den Kojos, was hast du bloß vor?«

»Was willst du von den Kojos, Sapius?«, fragte der Lesvaraq. »Sie helfen dir nicht. Huldige lieber dem Lesvaraq, denn ich bin die Wirklichkeit. Rucknawzor, Rucknawzor, Rucknawzor!«

Je weiter und höher sie flogen, desto panischer wurde Sapius. In seiner Brust raste sein Herz und schmerzte. Er bekam es plötzlich mit der Angst zu tun. Der Lesvaraq war zu weit gegangen. Unter ihnen donnerte und krachte der Vulkan, erhob sich ächzend und feuerspuckend aus den Fluten, riss Häuser und Klan mit sich in den Tod. Dort wo glühende Lava das Wasser berührte, zischte und dampfte es. Die sterbende Stadt wurde im Nu vom Nebeldampf überzogen. Wenigstens ein Gutes hatte der Dampf, Sapius musste nicht mehr mit ansehen, wie die Stadt im Kampf zwischen den Elementen unterging.

Sapius blickte wieder nach oben, doch was er sah, ließ ihn erschaudern. War das eine Täuschung? Seine Augen und der Verstand mussten sich irren. Vielleicht lag es an der Höhe und der dünnen Luft. Hatte er Wahnvorstellungen?

Eine der beiden Sonnen schien ihre Bahn zu verlassen. Das war unmöglich. Sapius dachte, sie würde langsam näher kommen und sich ausdehnen. Ihm wurde plötzlich furchtbar heiß, obwohl ihm in der Gestalt eines Drachendämons größere Hitze nur wenig ausmachen durfte. Er glaubte, die Sonnenstrahlen auf seinen Flügeln spüren zu können, als würden sie ihm Löcher durch die Lederhaut brennen.

Das Licht der Sonne blendete ihn. Er musste wieder und wieder hinsehen. Der Magier kniff die Augen zusammen. Er hatte sich nicht getäuscht. Die Sonne gewann mit jeder Sardas an Umfang hinzu.

»Was geschieht hier?«, keuchte er verzweifelt.

»Die Sonne stirbt. Sie wird explodieren. Ihre heißen Stürme werden über Ell fegen und alles Leben auf dem Kontinent verbrennen«, lachte der Lesvaraq, »die Vernichtung wird vollkommen sein.«

»Wir müssen es aufhalten!«, schrie Sapius. »Sofort!«

»Das geht nicht«, krächzte der Lesvaraq, »es gibt kein Zurück. Rucknawzor hat die Zerstörung entfesselt. Niemand kann das Ende aufhalten.«

Der Magier drehte erneut den Kopf, nahm all seinen Mut zusammen und spie erneut Drachenfeuer. Überrascht von dem plötzlichen Angriff, gelang es dem Lesvaraq nicht, rechtzeitig auszuweichen. Das Feuer erwischte ihn am Flügel. Die Federn verbrannten, legten Haut und Knochen darunter frei. Der Lesvaraq schrie vor Schmerzen auf, kam augenblicklich ins Trudeln und ließ dabei das Buch der Macht fallen.

»Das Buch! Das Buch! Es ist verloren … ich stürze ab … Hilfe!«, krächzte der Lesvaraq, »rette mich, Sapius.«

Der Magier dachte nicht daran, dem Lesvaraq zu Hilfe zu kommen. Der lange Schrei Tomals klang in seinen Ohren. Für einen Moment sah er dem Fallenden geistesabwesend nach. Sapius hatte nur noch Augen für das Buch. Vielleicht konnte er das Schlimmste verhindern, wenn er es in die Hände bekäme. Er legte die Drachenflügel an und stürzte waghalsig in die Tiefe. Das Buch war zum Greifen nah.

Doch gerade, als er es sicher glaubte, schoss ein fremdes Wesen an ihm vorbei und schnappte ihm das Buch vor der Nase weg. Fluchend und schimpfend sah er der Gestalt hinterher. Ein schwarzes, geflügeltes Geschöpf mit vier durchsichtigen, von Adern durchzogenen Flügeln auf dem Rücken und zwei Armen, wie er es noch nie zuvor gesehen hatte. Ein Arm war verbrannt und hing schlaff an der Seite herunter. Das spöttische Gelächter des Geschöpfs kam ihm nur allzu bekannt vor. Tomal!

»Hast du etwa gedacht, du hättest mich schon geschlagen?«, rief ihm Tomal zu. »Ich habe mich im Fallen gewandelt, mein Freund. Das musst du mir erst einmal nachmachen. Und erneut gehst du leer aus.«

»Gib mir das Buch, Tomal!«, rief Sapius und setzte dem Lesvaraq nach. »Das Spiel ist aus.«

»Erst wenn die Sonnenstürme entfacht wurden und die Sonne verglüht ist, Sapius. Erst dann ist unser Spiel zu Ende.«

Tomal war angeschlagen. Das konnte der Magier am unregelmäßig schwankenden Flug des Lesvaraq sehen. Und er wurde langsamer. Sapius hatte keine Mühe aufzuholen. Das Hervorrufen der Zerstörung hatte Tomal offenkundig sehr viel Kraft gekostet und die Verletzung, die ihm Sapius zugefügt hatte, war schwer. Tomal rang nach Luft. Drachenfeuer brannte länger und heißer als normales Feuer und war wie ein Gift, das nachwirkte und an den Brandstellen benachbarte Haut und Fleisch zerstörte.

Sapius setzte sich über ihn und spuckte noch einmal Feuer. Die Flügel des Lesvaraq brannten sofort lichterloh. Das Feuer verteilte sich über den Rücken Tomals. Der Lesvaraq zuckte, schrie, drehte sich und stach mit letzter Kraft mit dem Hinterleib nach seinem erbitterten Gegner und Todfeind in die Höhe. Zu spät erkannte Sapius den Stachel, der sich durch seinen Oberschenkel bohrte und ihm das Gift vieler Jayvas ins Bein pumpte. Tomal zog den Stachel heraus und fiel.

»Ruuuuuucknaaaaaawzooooooooooooooor«, ertönte der Schrei des Lesvaraqs, während er stürzte.

Die Lähmung setzte bei Sapius schnell ein. Vergessen war die sterbende Sonne, deren glühender Ball größer und größer wurde und sich tiefrot verfärbte. Sapius’ Muskeln und Glieder wurden steif. Er konnte sich nicht mehr länger in der Höhe halten. Die Schwingen wurden lahm und er stürzte ab, dem Lesvaraq nach.

Sapius schloss mit seinem Leben ab. Einen Sturz aus dieser Höhe würde er nicht überleben. Er konnte keinen rettenden Zauber mehr wirken. Die Lähmung hinderte ihn daran und er war bereits zu schwach. Vielleicht war es auch gut so und ersparte ihm das Schlimmste.

Das Ende war nah.