Fluch der Schönheit

Über Nalkaar und sein Gefolge war das Unvorstellbare hereingebrochen. Die Pläne des Todsängers waren von einem auf den anderen Augenblick gescheitert. Das war eine herbe Niederlage, von der er sich nicht ohne Weiteres wieder erholen konnte. Er wusste, was er verloren hatte. Seine Zukunft vereitelt durch einen Magier, den er schlicht unterschätzt hatte.

Fluchend und ziellos zog Nalkaar durch die Klanlande. Er versuchte, sich an den Tagen im Verborgenen zu bewegen, um nicht gesehen zu werden und sich von dem Schock halbwegs wieder zu erholen, was ihm nicht recht gelingen wollte. Nalkaar brauchte Seelennahrung.

Während des Angriffs hatte Nalkaar kein Mittel gegen den Fluch des Magiers gefunden. Die Stille war nicht zu durchdringen gewesen. Vernichtend geschlagen, hatte er schließlich den Rückzug antreten müssen.

Zuvor schon hatte er Madsick an die Schatten verloren. Ein schwerer Verlust, der Nalkaar in seinen Überlegungen zur Perfektion seiner Komposition und der Schönheit seines Gesangs weit zurückgeworfen hatte.

Auch der Kontakt zu Murhab war abgebrochen. Nalkaar hatte verzweifelt versucht, seinen Todsänger zu erreichen, aber nichts hatte gefruchtet. Während er mit dem Heer der Rachuren zur Eroberung der Ordenshäuser der Sonnenreiter und Orna weitergezogen war, hatte Nalkaar die Verbindung mit Murhab in den Schatten nicht aufrechterhalten können und sich ausschließlich auf die Fähigkeiten des ehemaligen Kapitäns verlassen.

Doch nach ihrem kläglichen Scheitern vor den Ordenshäusern musste er ihn erreichen. Er hatte Murhab gesucht, hatte seine Gedanken in das Reich der Schatten geschickt, aber er konnte ihn nicht finden. Vermutlich war auch Murhab gescheitert und in den Schatten verschollen. Nalkaar hoffte nur, dass der Seemann nicht in den Flammen der Pein schmoren musste.

Das Heer der Rachuren war in alle Winde verstreut. Sein Gefolge von den Bewahrern außer Gefecht gesetzt. Sie waren nicht stark genug, sich von selbst wieder zu erholen, und ihm fehlte die Kraft, sie wiederzubeleben.

Es ergab auch keinen Sinn mehr, das Heer noch einmal zu sammeln. Nalkaar fehlten die Mittel und das Gefolge, ein solches Vorhaben in die Tat umzusetzen. Er musste zähneknirschend einsehen, dass sich die Rachuren nicht mehr auf die Fortsetzung seines Eroberungsfeldzuges einstimmen ließen. Nalkaar war einmal zu oft gescheitert und hatte das Vertrauen seiner Krieger verloren.

Die Gerüchte über Rajurus Fall und die Nachrichten über den Umsturz in der Führung der Rachuren hatten längst die Runde unter Kriegern und Chimären gemacht. Der Todsänger hatte die Nachrichten am Ende nicht mehr aufhalten können. Diejenigen glücklichen Rachuren, die von der Wut der Bewahrer verschont geblieben waren – es konnten nur wenige sein – und den Ausfall überlebt hatten, waren bestimmt längst auf dem Weg nach Hause. Krawahta!

Nalkaar überlegte lange, ob er nicht auch umkehren und sein Glück in der Hauptstadt der Rachuren erneut versuchen sollte. Ein Neuanfang nach seinem Scheitern. Mit Zanmour hatte er sich gar nicht schlecht verstanden und vielleicht würde es ihm sogar gelingen, auch Raymour von seinen Qualitäten als Todsänger zu überzeugen.

Er hätte den neuen Herrschern Krawahtas durchaus von Nutzen sein können. Aber es passte Nalkaar nicht, sich erneut unterordnen zu müssen. Der Todsänger war schon zu weit gegangen. Er war sich fast sicher, sie würden ihn als ein Relikt aus der Herrschaft Rajurus ansehen und als Feind des Umsturzes und der neuen Machtverhältnisse. Tatsächlich war er das auch. Das war ihm selbst am meisten bewusst.

Nalkaar hätte keine Ruhe gegeben, bis er selbst und seine Getreuen die Herrschaft über Krawahta und die Rachuren übernommen hätten. Der erste Todsänger wusste, dass Raymour und Zanmour einen wie ihn nicht neben sich dulden durften. Eine Umkehr und die Reise nach Krawahta kamen daher für Nalkaar nicht mehr infrage. Er musste alleine weiterziehen.

Einen Trumpf und ein Ziel hatte er noch. Sein Gesang war ihm geblieben. Ob mit oder ohne Madsicks Begleitung und die Stimmen seiner Todsänger. Nalkaar war und blieb der erste Todsänger. Seine Stimme und seine Musik waren ausschlaggebend für die Macht des Totengesangs und den Erfolg der Seelenfresser. Die Schönheit und Bewegtheit des Gesangs der Todsänger lagen einzig in seiner Kehle verborgen. Nalkaar wollte Rache nehmen und um die Seele eines Lesvaraq singen, und wenn es das Letzte war, was er tat. Konnte er einem Lesvaraq die Seele entlocken, wäre dies der größte Triumph seines Lebens und würde alles andere in den Schatten stellen. Die Niederlage wäre vergessen.

Nalkaar machte sich auf den Weg, den Lesvaraq zu suchen. Er war sich sicher, er würde ihn eines Tages finden und für ihn singen.

*

Wollte Sapius nach Zehyr, in die Stadt der Nno-bei-Maya hineingelangen, musste er durch den Kratersee tauchen, bis er den unter Wasser gelegenen Eingang gefunden hatte. Sapius war kein sehr guter Schwimmer und hatte Schwierigkeiten, die Luft über längere Zeit anzuhalten. Er würde sich mit Magie helfen und in einen Fisch oder etwas anderes verwandeln müssen, um den Weg durch den See lebend zu schaffen.

Sapius wählte die Gestalt einer Panzerechse. Er wusste nicht, ob der Eingang nach Zehyr bewacht war und welche Gefahren in dem Kratersee lauerten. Panzerechsen waren ausgezeichnete Schwimmer, tödliche Jäger und konnten, regungslos am Grund eines Flusses oder Sees liegend, mehrere Horas die Luft anhhalten. In der Gestalt einer Panzerechse würde er sich sicher fühlen.

Schon bald würde er der sagenumwobenen Königin der Nno-bei-Maya begegnen und ihr das Geschenk überreichen, auf das sie so lange gewartet hatte. Sie war angeblich wunderschön. Verflucht schön. Sapius erwartete jedoch eine Gegenleistung. Ihr Aussehen würde ihm nicht genügen. Das nahm er sich fest vor.

Laut Tarratar war sie in der Lage, ihn im Kampf gegen den vierten Wächter zu unterstützen. Er hatte keine Vorstellung von dem, was ihn in Zehyr erwartete, geschweige denn, was ihm gegen den vierten Wächter helfen würde. Er wusste noch nicht einmal, was oder wer der vierte Wächter war. Tarratar hatte ihn Grenwin genannt. Sapius hatte zuvor noch nie von einem Wesen dieses Namens gelesen oder gehört.

Sapius kniete sich am Ufer des Sees nieder und prüfte die Temperatur des Wassers. Es fühlte sich angenehm warm an und er konnte bis auf den Grund sehen, wo er ein schimmerndes Licht entdeckte. Das Licht musste aus der Stadt kommen, vermutete er. Er wollte sich jedenfalls daran orientieren. Aber er sah auch noch etwas anderes. Wie er schon angenommen hatte, war der Eingang bewacht. Eine monströs große Schlange bewegte sich im Wasser, am Grund in der Nähe des Lichts.

Sapius wusste nicht, ob sie ihn bereits entdeckt hatte und als leichte Beute sah. Gleichgültig welche Gestalt er auch annehmen würde, ihm war bewusst, dass er gegen dieses Monster kämpfen musste. Aber in Gestalt der Panzerechse würde er die Schlange besiegen können, dachte Sapius.

Durch ein Geräusch aus dem Dschungel unterhalb des Kraterrands aufgeschreckt, kroch Sapius auf allen vieren zurück und spähte über den Rand. Die Blätter einiger Bäume und Büsche bewegten sich. Etwas oder jemand kam durch den Dschungel zum Kratersee. Zweige teilten sich und plötzlich traten zwei bekannte Gestalten aus dem Dschungel. Sapius atmete erleichtert durch, als er die beiden Männer erkannte. Es waren der Naiki-Jäger Baijosto und der Maiko-Naiki Belrod.

»Hey, ho!«, rief er den beiden zu, die überrascht zu ihm hochblickten. »Schön, Euch beide auf Kartak zu sehen.«

»Sapius!«, lachte Baijosto. »Ich hätte mir denken können, dass Ihr einer der Ersten seid, den wir an diesem Ort treffen würden. Der Weg durch den Dschungel war nicht leicht. Kein Vergleich zu unserem Wald. Es ging meist steil bergan und wir mussten aufpassen, nicht in irgendwelche Netze zu laufen. Hier gibt es unglaublich viele fette Spinnen und allerlei anderes giftiges Getier.«

»Das ist Kartak«, antwortete Sapius, »kommt zu mir herauf. Ich glaube, dass ich den Eingang in das Innere des Vulkans gefunden habe.«

Belrod und Baijosto kletterten zu Sapius auf den Kraterrand und umarmten den Magier zur Begrüßung freundschaftlich.

»Was haltet Ihr von alledem?«, fragte Baijosto den Magier.

»Was meint Ihr? Unsere erneute Zusammenkunft und die weitere Suche nach dem Buch? Die Täuschung der Wächter und insbesondere Tarratars? Die Prüfung in der Grube, die wir allesamt nicht bestanden haben?«

»Genau das meine ich.«

»Ehrlich gesagt war ich überrascht und verärgert. Ich fühlte mich von Tarratar verraten und verspürte nur wenig Lust, mich noch einmal auf die Suche zu begeben. Nicht dass ich Eure Gesellschaft nicht schätzen würde. Aber im ersten Augenblick, als ich davon erfuhr, war es einfach zu viel für mich.«

»Uns ging es ähnlich«, antwortete Baijosto, »nicht wahr, Belrod?«

»Ähnlich, ja«, meinte Belrod.

»Wir wollten unsere Siedlung und ich mein Rudel eigentlich nicht mehr verlassen«, erzählte Baijosto, »aber das Buch der Macht ist einfach zu wichtig. Es wäre ein Fehler, dem Ruf nicht zu folgen.«

»Das sehe ich genauso«, meinte Sapius, »dennoch zweifle ich inzwischen daran, ob es wirklich richtig ist, was wir tun. Tarratar sagt zwar, das Buch entscheide, wann der Zeitpunkt gekommen sei, den Besitzer zu wechseln. Die Wächter hätten keinen Einfluss darauf und müssten es herausgeben. Aber ich weiß nicht, ob ich seinen Worten noch vertrauen kann. Wie habt Ihr an diesen Ort gefunden?«

»Das war nicht schwierig«, meinte Baijosto, »Tomal hatte doch von seinen Erlebnissen auf Kartak erzählt. Wir wussten, dass wir zum Kratersee steigen mussten.«

»Ah … richtig. Tomal … ich hatte den Lesvaraq und seinen Besuch bei den Nno-bei-Maya ganz vergessen«, meinte Sapius, »na ja, vielleicht auch verdrängt.«

»Glaubt Ihr, Tomal wird uns Schwierigkeiten bereiten?«, wollte Baijosto wissen.

»Sobald wir das Buch gefunden haben, ja. Da bin ich mir sicher«, antwortete Sapius. »Lasst uns aufbrechen.«

Baijosto und Belrod stiegen mit Sapius zum Kratersee und betrachteten – wie zuvor Sapius – das klare Wasser des Sees und den Lichtschimmer auf seinem Grund.

»Dort unten lauert eine Schlange«, meinte Baijosto plötzlich, »eine ziemlich große Schlange, wenn Ihr mich fragt.«

»Ich habe sie auch schon bemerkt und mich gefragt, wie wir an ihr vorbeikommen«, antwortete Sapius.

»Schlange, groß?«, fragte Belrod.

»Ja, Belrod«, nickte der Naiki-Jäger, »riesig groß. Ich werde den Eindruck ohnehin nicht los, dass einige der Tiere auf Kartak größer und gefährlicher sind als auf Ell.«

»Nicht gefährlich … nur groß«, lachte Belrod, »Belrod Schlange kämpft und kaputt macht. Weg frei.«

Sapius und der Naiki-Jäger sahen den Riesen mit großen Augen an. Der Maiko-Naiki zögerte nicht, sondern stürzte sich kopfüber in die Fluten.

»Belrod, nein!«, rief Baijosto.

Es war zu spät. Belrod hörte nicht auf seinen Bruder und tauchte mit ausladenden Schwimmbewegungen in die Tiefe.

»Wir müssen ihm helfen!«, rief Baijosto aufgeregt.

»Worauf wartet Ihr dann noch?«, sagte Sapius. »Hinterher.«

Sapius hatte kaum ausgespochen, schon war Baijosto im Wasser und tauchte ab. Der Magier wirkte einen Verwandlungszauber. Aber der Spruch fiel ihm in der Hektik schwer und ging fehl. Nur Kopf, Brust und Vorderarme nahmen die Gestalt der Panzerechse an. Sein Hinterleib und die Beine blieben unverändert.

»Was soll’s«, dachte Sapius, »das muss genügen.«

Er sprang ins Wasser und schwamm den Naiki hinterher. Er kam nur langsam voran und sah, dass Belrod die Schlange bereits erreicht hatte. Bevor sie sich zu einem Angriff drehen konnte, hatte der Riese sie bereits mit einer Hand hinter dem Kopf gepackt und den massigen Leib der Schlange mit der anderen Hand um seinen Arm gewickelt. Sapius konnte nur staunen. Er hatte noch nicht einmal die Hälfte der Strecke in die Tiefe zurückgelegt, als Belrod den schlaffen Körper der Schlange nach oben hielt. Der Maiko-Naiki hatte ihr den Kopf dreimal um den Leib gedreht und sie damit in wenigen Sardas getötet. Belrod deutete mit der Hand auf seinen mächtigen Brustkorb, was wohl bedeuten sollte, dass ihm die Luft knapp wurde, ließ die Schlange zu Boden sinken und schwamm sofort weiter zum Lichtschimmer. Baijosto folgte seinem Bruder auf den Fersen.

Sapius kam langsam und ungeschickt hinterher. Immerhin hatte er keine Schwierigkeiten mit seiner Atmung. Als er wieder auftauchte, waren die Naiki bereits aus dem Wasser gestiegen. Sie lachten und hielten sich die Bäuche, als sie den Magier im Wasser strampeln sahen.

»Was … was … ha, ha … sollte das werden?«, prustete Baijosto.

»Hi, hi, hi … ho, ho, ho …« Belrod lachte Tränen.

»Eine Panzerechse«, antwortete Sapius, »die Verwandlung ist mir missglückt.«

»Ihr seht wirklich komisch aus«, witzelte Baijosto, »eine Panzerechse mit Euren Gesichtszügen, Euren Beinen und einem zahnlosen, schiefen Maul.«

»Ist ja schon gut«, brummte Sapius, »ich hatte keine Zeit. Aber es hat gereicht, heil nach Zehyr zu kommen. Belrod, Ihr habt mich schwer beeindruckt. Die Schlange hatte nicht einmal Gelegenheit, sich gegen Euren Griff zu wehren.«

»Schlange tot«, sagte Belrod nur.

»Ja, das ist sie wohl«, nickte Sapius, »ich dachte, Tomal hätte die Wächterin des Eingangs bei seinem Besuch getötet. Oder habe ich mich getäuscht?«

»Nein. Ich vermute, die Nno-bei-Maya haben eine neue Schlange als Wächterin gefunden.«

»Die Maya werden nicht erfreut sein, dass wir ihre Schlange getötet haben«, sagte Sapius.

Sapius stieg aus dem Wasser, nahm seine ursprüngliche Gestalt wieder an und gesellte sich zu den Naiki. Er erhaschte einen kurzen, atemberaubenden Blick über die Stadt der Maya. Die Naiki und der Magier hatten jedoch keine Zeit, den Anblick zu genießen. Nur kurz nach ihrer Ankunft in Zehyr sahen sie sich umringt von grimmig dreinblickenden Kriegern. Sie hatten ihre Speere bedrohlich auf die ungebetenen Besucher gerichtet.

»Mitkommen!«, sagte einer der Krieger in barschem Befehlston.

Sapius und die Naiki sahen sich an. Jeder wusste, was der andere dachte. Sie mussten sich ruhig verhalten.

»Wir sollten besser tun, was sie verlangen«, flüsterte Sapius, »die Krieger machen auf mich nicht den Eindruck, als wollten sie uns freundlich begrüßen.«

»Im Gegenteil«, antwortete Baijosto leise, »sie würden uns auf der Stelle töten, sollten wir ihnen nicht folgen.«

Die Krieger nahmen die Eindringlinge in die Mitte und eskortierten sie zu einer steinernen Treppe, die steil nach unten in das Zentrum der Stadt und zum Palast der Königin führte.

»Wir kamen nicht in feindlicher Absicht und sind keine Bedrohung für die Nno-bei-Maya«, versuchte Sapius ein Gespräch mit einem der Krieger anzufangen.

»Schweig!«, bekam er lediglich zur Antwort. »Du redest nur, wenn du gefragt wirst.«

Sapius gehorchte und schwieg. Es hatte keinen Zweck, mit den Kriegern zu sprechen. Sie mussten warten, bis sie befragt wurden. So stiegen sie umzingelt von schwer bewaffneten und gerüsteten Maya-Kriegern die vielen Stufen in die Stadt hinab.

Zehyr war beeindruckend. Nie zuvor hatte Sapius eine Stadt gesehen, die inmitten eines Vulkans erbaut worden war. Sie musste uralt sein. Aber die Gebäude waren immer noch gut erhalten, und obwohl es kein Sonnenlicht gab, war die Stadt überall hell beleuchtet. Das Licht der Kristalle spendete Wärme und ermöglichte es den Maya, Pflanzen, Gemüse und Obst anzubauen. Eine blühende, unterirdische Stadt, die ähnlich seiner einstigen Heimatstadt Gafassa vollständig aus dem Stein geschlagen worden war. Das Leben pulsierte auf den verschiedenen Ebenen, Terrassen und in den Gassen der Stadt. Die Nno-bei-Maya gingen emsig ihren Tätigkeiten nach.

Mit seinem steifen Bein fiel Sapius der Abstieg schwer. Er musste sich immer wieder auf den vor ihm gehenden Belrod stützen, um nicht zu stürzen. Belrod machte das nichts aus. Er schien den Magier und seine verzweifelten Versuche, sich abzufangen, kaum zu bemerken.

Nach unendlich vielen Stufen, so war es Sapius vorgekommen, erreichten sie endlich das Zentrum Zehyrs und den Palast der Königin.

Die Krieger wichen nicht von der Seite der Streiter, als sie durch die Tore des Palastes geführt wurden, vorbei an der regungslos ausharrenden königlichen Garde, die bis zum Thron ihrer Königin Spalier standen.

Saykara saß wie eine Lichtgestalt auf ihrem Thron. Ihr Anblick blendete den Magier. Er konnte ihr Gesicht im ersten Augenblick nur verschwommen sehen. Sie musste wunderschön sein. Als sie näherkamen, wirkte sie gelangweilt. Aber sie war hellwach und winkte den Magier und seine Begleiter sofort mit einer herrischen Geste zu sich.

Sapius und Baijosto wussten, was sich gehört, und verneigten sich tief zu Füßen der Königin. Nur Belrod blieb aufrecht stehen und gaffte die Königin staunend, mit offenem Mund an. Saykaras Stimme war hell und klar. Verlockend und verführerisch. Es war schwer, ihr zu widerstehen.

»Steht auf!«, befahl sie.

Sapius und Baijosto erhoben sich.

»Ihr habt es gewagt, in meine Stadt einzudringen und meine Schlange zu töten«, sagte Saykara, »das ist unverzeihlich. Wer seid Ihr und was habt Ihr als Entschuldigung vorzubringen? Ihr wurdet nicht eingeladen.«

»Ich bin Sapius, meine Königin«, ergriff der Magier das Wort, »der Anführer der Tartyk, meines Zeichens Yasek und freier Magier. Es ist mir eine große Ehre, in Eure wundervolle Stadt zu kommen, auch wenn ich es lieber unter anderen Umständen und mit Eurer Erlaubnis getan hätte. Ich muss Euch höflich und in aller Form um Verzeihung bitten. Aber wir wurden einer alten Prophezeiung folgend nach Kartak gerufen, um etwas zu suchen. Die Zeit ist knapp.«

»Halt!«, die Königin hob die Hand, um Sapius Einhalt zu gebieten. »Ihr hört Euch gerne selbst reden, Yasek. Aber Ihr seid hier in Zehyr und werdet meinen Anweisungen Folge leisten. Ihr redet nur wenn und so lange, wie ich es Euch erlaube.«

»Sehr wohl«, verneigte sich Sapius.

»Ihr habt noch keinen überzeugenden Grund vorgebracht, weshalb Ihr in meine Stadt eingedrungen seid und meine Schlange getötet habt. Eure Stellung alleine genügt nicht, so ihr sie denn überhaupt tatsächlich innehabt. Ihr seht nicht aus wie ein Yasek, obwohl Ihr Kleidung tragt, die eines Yasek durchaus würdig wäre. Und Eure Begleiter sehen eher nach Waldläufern aus. Naiki-Pack. Ihr könnt mir viel erzählen. Ich denke, Ihr seid nur gemeine Diebe, die sich nach Zehyr schleichen und uns bestehlen wollten. Können Eure Gefährten auch für sich selbst reden oder sprechen sie nur die Sprache der Tiere des Waldes?«

Sapius schluckte seinen Ärger hinunter und gab den Naiki ein Zeichen, sie sollten sich zurückhalten. Sie durften die Audienz mit der Königin nicht verderben.

»Ich habe mich auf den Besuch vorbereitet und kam nicht mit leeren Händen zu Euch«, sagte Sapius, »ich habe ein Geschenk für Euch, das Euch gewiss gefallen wird.«

»Ein Geschenk?«, zeigte sich Saykara überrascht. »Ich liebe Geschenke. Allerdings bin ich wenig entzückt, Geschenke von Dieben zu erhalten. Ob es mir gefällt, muss sich erst erweisen.«

»Verzeiht, meine Königin«, entgegnete Sapius, »wir sind keine Diebe.«

»Wenn ich sage, Ihr seid ein Dieb, dann seid Ihr einer«, sagte Saykara aufreizend gelassen, »habt Ihr das verstanden?«

»Natürlich.« Sapius rang sich ein freundliches Lächeln ab.

»Vorzüglich«, zwinkerte ihm die Königin zu, »dann lasst Euer Geschenk sehen.«

Saykara gab ihren Kriegern ein Zeichen, die sich sofort auf Sapius stürzten und ihn festhielten. Der Magier machte keine Anstalten, sich zu wehren.

»Wo hast du das Geschenk für unsere Königin?«, zischte ihm ein Krieger ins Ohr: »Gib es her!«

»Keine Sorge, ich gebe es Euch schon«, sagte Sapius, »aber ich will etwas dafür haben.«

»Sieh an«, lächelte die Königin kalt, »der Dieb will eine Gegenleistung für sein Geschenk. Ist Euch klar, dass es dann kein Geschenk mehr ist? Was stellt er sich vor? Gold, Kristalle … einen Kuss seiner Königin?«

»Nichts dergleichen, meine Königin«, antwortete Sapius unbeeindruckt, »ich sagte bereits, wir wurden nach Kartak gerufen, eine Aufgabe zu erledigen. Eine Prüfung. Bevor ich Euch das Geschenk überlasse, möchte ich mich Eurer Unterstützung und Eures Wohlwollens versichern.«

»Stellt Euch vor, ich habe tatsächlich von Eurer Ankunft gehört, Dieb«, sagte die Königin. »Dann seid Ihr also diejenigen, die mir von den Spinnen angekündigt wurden.«

»Von den Spinnen?« Sapius traute seinen Ohren kaum.

»Ja, von den geflügelten Spinnen. Botschafter Grenwins und Peevas, die einen unserer Eingänge in die Stadt bewachen, den wir den Weg der Spinne nennen«, sagte Saykara, »sie baten mich, unseren Schild außer Kraft zu setzen, damit Ihr unsere Insel unbeschadet erreichen könnt. Aber sie sprachen von sieben und nicht nur von drei Männern.«

»Die anderen sind bestimmt noch auf Reisen und werden bald eintreffen«, behauptete Sapius, »Ihr wisst, dass alle Sieben von den Altvorderen abstammen?«

»Das habe ich mir gedacht. Ich spüre die Magie des alten Blutes in Euch. Ein Tartyk und die beiden Naiki. Euer Geruch ist unverkennbar«, sagte Saykara. »Ihr werdet bereits von einem alten Freund erwartet. Ihr kennt ihn, sein Name ist Tarratar. Lasst den Yasek los!«

Die Wachen gehorchten sofort, gaben Sapius frei und traten einige Schritt zurück.

»Nun«, lächelte Saykara, »ich schlage vor, wir beginnen noch einmal von vorne, wenn Ihr einverstanden seid. Ihr seid eingeladen.«

Sapius nickte. Er hatte verstanden, was die Königin von ihm wollte. Er verneigte sich erneut tief zu ihren Füßen.

»Steht auf!«, befahl Saykara.

Sapius gehorchte und stand auf.

»Es ist mir eine große Ehre und Freude, den Yasek der Drachenreiter in Zehyr begrüßen zu dürfen. Er und seine Freunde sind mir herzlich willkommen«, sagte Saykara strahlend.

»Und mir ist es eine Ehre, in Eure wundervolle Stadt zu kommen und vor Euch knien zu dürfen, werte Königin. Im Namen meines Volkes der Tartyk und meiner Begleiter bedanke ich mich für die Einladung und möchte Euch ein Geschenk überreichen«, spielte Sapius das Spiel der Königin mit.

»Ich lade Euch ein, mit mir zu speisen. Sprechen wir also unter vier Augen in meinen Gemächern«, schlug die Königin vor, »dort dürft Ihr mir das Geschenk gerne überreichen und mich überraschen. Für Eure Begleiter wird gesorgt. Meine Dienerinnen werden sich ihrer gerne annehmen und ihnen Speisen und Getränke auftragen, so viel sie mögen. Sie sind gewiss müde von der Reise.«

»Ich bedanke mich für Eure Gastfreundschaft und nehme die Einladung an«, sagte Sapius und verneigte sich erneut.

Die Königin erhob sich von ihrem Thron und erteilte ihren Kriegern und der Dienerschaft Anweisungen. Sapius wurde von den umstehenden Kriegern mit eindeutigen Gesten aufgefordert und musste Saykara sofort in ihre Gemächer folgen.

»Wartet hier«, sagte Saykara und bot dem Magier einen bequemen Platz an, »ich bin bald zurück. Lasst Euch inzwischen von meinen Dienerinnen verwöhnen.«

Sie klatschte zweimal in die Hände. Sofort erschienen zwei schlank gewachsene, nur spärlich bekleidete und ausgesprochen hübsche Maya-Frauen.

»Das sind meine Dienerinnen Lyara und Zyola«, stellte Saykara die jungen Maya-Frauen vor und wandte sich sofort wieder an ihre Dienerinnen: »Versorgt meinen Gast mit Speis und Trank, solange ich mich umkleide. Lest ihm jeden Wunsch von den Augen und den Lippen ab. Ihm soll es an nichts mangeln. Helft ihm beim Auskleiden, lasst seine Kleidung waschen, trocknen und die Rüstung aufpolieren. Badet, wascht, massiert und pudert ihn. Anschließend kleidet ihn passend zu unserem Anlass.«

»Wollt Ihr denn nicht mit mir gemeinsam speisen und mein Geschenk entgegennehmen?«, fragte Sapius überrascht.

»Nur Geduld, Yasek. Eine Königin lässt gerne auf sich warten. Euch wird es bestimmt nicht langweilig werden. Das verspreche ich. Wenn ich zurückkomme, werdet Ihr noch hungrig sein oder aus Freundlichkeit zumindest so tun und mit mir gemeinsam speisen. Ihr habt doch bestimmt nicht vor, Euer Geschenk inzwischen an jemand anderen zu verschenken?«

»Natürlich nicht, meine Königin«, lachte Sapius.

Saykara zog sich in eines ihrer anderen, gleich nebenan liegenden Gemächer zurück. Ihr raffiniertes Spiel begann dem Magier Freude zu bereiten. Sie hatte ihren Ruf einer Verführerin wahrlich verdient. Saykara war überaus klug und stark. Nicht viele werden ihr gewachsen sein, dachte Sapius.

Die Königin hatte nicht übertrieben. Lyara und Zyola waren geschickt, unterhaltsam und freundlich. Er erfuhr einiges über Zehyr und die Nno-bei-Maya, genoss die Behandlung der Dienerinnen und ließ nur zu gerne alles über sich ergehen, was Saykara sich für ihn ausgedacht hatte. Sapius fühlte sich wohl und es gelang ihm, sich zu entspannen. Beinahe zu schnell war die Königin wieder zurück. Aber ihr Anblick entschädigte ihn für alles, was er von den Dienerinnen noch nicht bekommen hatte.

Saykara war atemberaubend. Sie trug ein Kleid, das alles von ihrer umwerfenden Weiblichkeit bedeckte und ihm doch alles zeigte. Sapius war irritiert. Wollte sie ihn verführen? Wie konnte er ihr widerstehen?

»Ihr könnt uns alleine lassen«, sagte die Königin zu ihren Dienerinnen, bevor sie sich an Sapius wandte. »Ich hoffe, Ihr habt keine Beschwerden über Lyara und Zyola. Haben sie Eure Wünsche erfüllt?«

»Bestens«, antwortete Sapius, »sie waren überaus gastfreundlich.«

»Das freut mich«, lächelte Saykara, »dann dürft Ihr jetzt meine Gastfreundschaft erleben, die die meiner Dienerinnen hoffentlich noch übertreffen wird.«

Die Königin führte den Magier in eines ihrer privaten Gemächer. Dort war der Tisch bereits reich mit Speisen und Getränken eingedeckt. Saykara bot ihm eine Liege an und bat den Magier, sich zu Tisch zu legen. Sapius machte es sich bequem.

»Vor nicht allzu langer Zeit hätte ich es mir niemals träumen lassen, dass ich einmal mit einem Yasek der Drachenreiter zu Tisch liegen und mit ihm speisen würde«, begann Saykara mit der Unterhaltung, »die Nno-bei-Maya und die Tartyk waren nicht immer gut aufeinander zu sprechen, wie Ihr wohl wisst. Wir waren zu verschieden in unseren Vorstellungen und Fähigkeiten und vermieden es für gewöhnlich, uns in die Quere zu kommen. Das war zu der Zeit, als die Altvorderen noch über Ell herrschten. Aber jetzt seid Ihr hier bei mir und müsst mir alles über die Drachen erzählen. Gibt es sie wirklich noch? Nach all den Sonnenwenden? Sind sie noch immer so mächtig und furchterregend wie einst? Berichtet mir von ihrer Magie, Yasek.«

»Ich erzähle Euch gerne von den Drachen«, antwortete Sapius freundlich, »dennoch würde ich es vorziehen, Euch zunächst von meinem Geschenk zu berichten und Euch im Gegenzug um diesen einen Gefallen zu bitten.«

»Ihr seid wirklich ungeduldig und … unhöflich«, entgegnete Saykara, »aber gut. Ich will es Euch nicht verübeln. Schließlich bin ich auch neugierig darauf, was Ihr mir mitgebracht habt.«

»Ich habe Euch das Herz und Gehirn eines Kriegers mitgebracht«, sagte Sapius frei heraus.

Saykara wurde blass und hatte die Augen vor Schreck weit aufgerissen. »Was … soll ich mit so einem furchtbaren Geschenk anfangen? Wollt Ihr mich beleidigen? Ihr kennt das Schicksal meines ersten Kriegers, nicht wahr? Ein solches Geschenk ist geschmacklos. Ich werde Euch einsperren lassen.«

»Ich glaube, Ihr habt mich nicht richtig verstanden. Ich habe Euch das steinerne Herz Eures ersten Kriegers und sein Gehirn als Geschenk mitgebracht. Die Artefakte, die so lange im Besitz der Orna waren und ihnen Macht über die Sonnenreiter verliehen. Sie gehören Euch.«

»Ihr … Ihr wollt mich bloß täuschen. Das ist nicht möglich. Wie kommt Ihr dazu? Zeigt mir die Gegenstände. Ich muss sie sehen!«

Sapius holte einen Lederbeutel unter seinem Gewand hervor. Er hatte sich strikt geweigert, ihn – oder den Teil des Buches – aus der Hand zu geben. Der Magier packte die Artefakte aus und zeigte sie der Königin. Saykara hielt die Hand vor den Mund und hatte Tränen in den Augen.

»Ist es wirklich wahr oder träume ich?«, fragte sie. »Wisst Ihr, welch wertvolles Geschenk und welche Freude Ihr mir damit macht? Wie seid Ihr an die Artefakte gekommen?«

»Es war nicht einfach. Viele mussten dafür sterben«, sagte Sapius, den Blick abgewandt, mit gesenktem Kopf. »Die Orden existieren nicht mehr.«

Die Trauer über das Geschehene überkam ihn. Elischa und ihre Ordensschwestern. Sie hatten ihr Leben lassen müssen, abgeschlachtet von ihren Ordensbrüdern.

»Sie hatten kein Recht, das Herz und Gehirn meines Kriegers zu besitzen«, sagte die Königin plötzlich mit einer Kälte in der Stimme, die Sapius erschaudern ließ. »Ulljan war der Frevler. Ein Mörder und Dieb. Er hat Gahaad getötet und mit meinem Volk in die Schatten verbannt. Nun kehrt endlich zu uns zurück, was uns so lange verwehrt wurde. Ich muss Gewissheit haben. Sofort! Begleitet mich zur Statue des ersten Kriegers. Passen die Artefakte in die Statue, sollt Ihr von mir bekommen, was Ihr verlangt habt, und mehr noch.«

Die Königin sprang auf und klatschte in die Hände. Sofort erschienen Lyara und Zyola.

»Bringt mir meinen Umhang. Schnell!«, verlangte Saykara.

Lyara eilte davon und war nur wenig später mit dem Umhang zurück, den sie der Königin sogleich um die Schultern legte. Die Königin rief keine Wachen.

»Folgt mir«, sagte sie zu Sapius.

Die Statue des ersten Kriegers war Sapius bereits aufgefallen, als er vor Saykara gekniet hatte. Aber er hatte sich nichts weiter dabei gedacht. Erst jetzt, bei näherem Hinsehen fiel ihm auf, dass der Statue das Herz und Gehirn fehlten.

»Ich bitte Euch«, sagte Saykara, »legt die Artefakte an ihren Platz.«

Sapius trat vor. Er brauchte einen Moment, das Herz und das Gehirn richtig zu drehen und zu wenden, um sie in die Statue einzufügen. Aber nach einigen Versuchen und mit etwas Druck passten sie exakt in die Lücken.

»Das ist unglaublich, Sapius«, klatschte Saykara begeistert in die Hände, »wir müssen das Ritual vorbereiten und Gahaad aus den Schatten zurückrufen. Wollt Ihr mir helfen und dabei sein, wenn ich das Portal ins Reich der Schatten öffne und Gahaad zum Leben erwecke?«

»Selbstverständlich, meine Königin«, antwortete Sapius.

»Gut«, nickte Saykara, »heute ist es leider schon zu spät dafür. Es wäre nicht gut, wenn wir das Ritual während der Nacht durchführen. Ich benötige die Kristalle, die das Licht der Sonnen Krysons speichern und Gahaad den Weg aus den Schatten weisen. Außerdem brauche ich eine meiner Priesterinnen für die Wiederbelebung seines Leibs. Wir gehen zurück in meine Gemächer und beenden unser Mahl. Es gibt noch viel zu besprechen.«

Auf ihrem Weg zurück in die Gemächer der Königin wurden sie von einem der Leibwächter Saykaras aufgehalten.

»Meine Königin«, begann der Wächter, »verzeiht die Störung. Weitere Eindringlinge sind nach Zehyr gekommen. Einer davon ist Tomal. Der Lesvaraq verlangt, Euch sofort zu sehen.«

»Dieser unverschämte Kerl!«, empörte sich die Königin. »Was denkt er sich? Na schön. Führt ihn in die Empfangskammer meiner Gemächer. Dort lasst ihn warten, bis ich Euch hereinrufe. Dann bringt ihn zu mir.«

»Sehr wohl, meine Königin«, sagte der Wächter, während er sich verbeugte.

Sapius begleitete die Königin zurück in ihre Gemächer. Sie setzten das gemeinsame Mahl fort.

»Ihr wollt den Lesvaraq wirklich warten lassen?«, fragte Sapius.

»Natürlich. Ich bin die Königin der Nno-bei-Maya. Dies ist meine Stadt und mein Palast. Er hat kein Recht, irgendetwas von mir zu fordern.«

»Er ist sehr mächtig und … ungeduldig. Ich kenne ihn gut«, gab Sapius zu bedenken. »Ich war sein Lehrer und Magier, meine Königin«.

»Wirklich?« Saykara zog erstaunt die Augenbrauen nach oben. »Aber jetzt seid Ihr es nicht mehr?«

»Nein. Die Bindung wurde gelöst, als Tomal die Dunkelheit verlor. Seitdem bin ich frei.«

»Er verlor die Nacht?« Saykara zeigte sich überrascht.

»O ja«, antwortete Sapius, »nicht freiwillig. Es geschah, weil das Gleichgewicht es so verlangte. Nun dient er dem Licht.«

»Interessant«, grübelte die Königin, »Ihr seid interessant, Sapius. Und Ihr tragt sehr viel Wissen und Geheimnisse mit Euch herum, die ich gerne ergründen würde.«

»Gewiss«, lächelte Sapius ihr zu, »aber dafür bräuchten wir mehr Zeit.«

»Wir sollten uns die Zeit nehmen«, schnurrte die Königin, während sie ihren Kopf schräg legte und sich mit ihrem Gesicht dem Magier näherte, »was haltet Ihr von einer … sagen wir … Verbindung zwischen den Tartyk und den Nno-bei-Maya. Eine solche Verbindung könnte unseren beiden Völkern von großem Nutzen sein. Stellt Euch nur vor, unsere Magie der Kristalle käme mit der Drachenmagie zusammen.«

»An welche Art von Verbindung denkt Ihr dabei?«, wollte Sapius wissen.

»Ihr seid der Yasek der Tartyk und ich die Königin der Maya«, hauchte Saykara, während sie ihre Lippen verführerisch öffnete, »welche Verbindung läge näher, als die von Mann und Frau?«

»Nun … ich … ich habe bereits eine Gemahlin gewählt«, schluckte Sapius.

»Pah … bestimmt eine Drachenfrau!«, der Ausruf der Königin war schneidend wie ein Peitschenhieb. »Wir sehen das nicht so eng bei den Nno-bei-Maya. Ich wähle mir so viele Männer, wie ich will und brauche. In meinem Volk dürfen die Männer mehrere Gemahlinnen haben und umgekehrt. Das kommt unserer Natur mehr entgegen und vermeidet Streitereien.«

»Ach wirklich?«, fragte Sapius ungläubig. »Die Tartyk sind in dieser Hinsicht strenger. Was ist mit der Treue und Eifersucht? Führt das nicht zu Konflikten?«

»Gewiss, aber die Nno-bei-Maya schätzen ihre Freiheit. Was sagt Ihr zu meinem Vorschlag?«, lächelte die Königin.

Sapius wollte sie nicht vor den Kopf stoßen. Wie würde sie reagieren, lehnte er ihr Angebot ab? Sie war überaus verlockend und er brauchte ihre Unterstützung. Vielleicht wäre eine Verbindung zwischen ihren beiden Völkern tatsächlich von Nutzen. Die Kristallmagie bot viele Möglichkeiten. Eigentlich brauchte er für so eine Entscheidung mehr Bedenkzeit. Aber er wusste, dass sie ihm diese nicht gewähren würde. Was blieb ihm also anderes übrig, als sich auf ihr Spiel einzulassen?

»Ich stimme einer solchen Verbindung zu«, sagte Sapius ernst.

»Das … das hätte ich nicht gedacht«, gab Saykara überrascht zu, »Ihr seid ein sehr weiser Mann, Sapius. Ich freue mich und ich glaube, ich habe mich soeben in Euch verliebt. Kommt!«

Saykara ergriff seine Hand, stand auf und zog ihn mit sich auf die Füße.

»Wohin führt Ihr mich?«, fragte Sapius. »Was habt Ihr vor?«

»Wir gehören zusammen und ich sagte Euch doch, dass Ihr mehr von mir verlangen könnt, als nur meine Unterstützung bei Eurer Suche einzufordern«, lächelte Saykara, »wir werden uns lieben. Ich begehre Euch und will Euch spüren. Den Drachen in Euch.«

»Oh … ich … also …«, stammelte Sapius, »was ist mit Tomal?«

»Der Lesvaraq kann warten«, sagte Saykara, »ich kann nicht mehr warten. Ich muss Euch haben. Jetzt!«

Saykara zog den verdutzten Magier hinter sich her in eines ihrer nächstgelegenen Gemächer, in welchem ein großes Bett hinter zahlreichen Schleiern verborgen stand. Sie stieß den Magier rücklings aufs Bett. Er versank in einer Flut von Kissen. Das Lager duftete nach ihr. Ein herrlicher und betörender Duft. Die Königin setzte sich auf ihn und schnürte ihm sofort das Gewand auf.

Ihre Finger waren überall, glitten über seinen Körper und gerieten dabei an Stellen, die er bislang nur wenigen zu berühren erlaubt hatte. Sapius hatte jeden Widerstand aufgegeben. Saykara war zu verführerisch und sie hatte das bestimmt schon viele Male getan.

Sie war eine Königin und nahm sich, was sie wollte. Er hatte keinen Zweifel mehr daran, dass es sie in diesem Augenblick nach ihm verlangte. Der Fluch ihrer Schönheit hatte ihn erfasst. Sapius schloss die Augen.

Sie küsste ihn erst auf den Mund, ihre Zunge geriet dabei in seinen Mund und spielte neckisch mit seiner Zunge. Schließlich wanderte sie langsam nach unten und begann ihn zu verwöhnen. Sapius stöhnte vor Lust. Er war sehr erregt und musste sich beherrschen.

»Denk an etwas anderes«, dachte Sapius, »du musst dich ablenken, damit es nicht zu schnell vorüber ist.«

Aber die Königin war geschickt und erfahren. Sie wusste genau, was sie zu tun hatte und was ihm gefiel. Er ließ sich gehen und ergoss sich in ihren Mund.

Saykara schluckte seinen Samen hinunter und lachte. Es war nicht das Lachen einer Frau, die ihren ungeschickten Liebhaber auslachte, sondern das Lachen einer Frau, die sich über ihren Erfolg und auf das, was noch folgen sollte, freute. Ein glückliches Lachen.

»Ich glaube, das war nötig«, lächelte sie verschlagen, »jetzt können wir richtig beginnen.«

Es dauerte nur einen kurzen Moment, bis sich Sapius’ Verlangen nach Saykara erholt hatte und er wieder bereit war, sie zu lieben. Er wollte mehr, wollte in sie eindringen und sie ganz für sich besitzen. Intensiv und ausgiebig.

Sapius war erschöpft, als sich die Königin irgendwann von ihrem Lager erhob und zweimal in die Hände klatschte. Wie üblich erschienen ihre beiden Dienerinnen sofort.

»Bringt mir etwas zu trinken«, verlangte sie, »ich habe Durst. Ihr könnt der Wache ausrichten, dass sie den Lesvaraq jetzt hereinführen kann.«

Sapius fuhr hoch und stand beinahe im Bett, als er ihren Befehl vernommen hatte.

»Ihr … ihr wollt Tomal hier und so empfangen?«, stammelte er irritiert.

»Warum nicht?«, sagte Saykara schnippisch. »Er soll sehen und riechen, dass wir uns geliebt haben. Was gibt es Schöneres auf Kryson?«

»Aber wir sind nackt!«, beschwerte sich Sapius.

»Na und«, lächelte Saykara, »ich brauche meinen Körper nicht zu verstecken und Eure Narben legen Zeugnis darüber ab, was Ihr schon durchmachen musstet. Aber wenn es Euch stört, verkriecht Euch in den Kissen und deckt Euch zu.«

Das ließ sich Sapius nicht zweimal sagen. Er war rot geworden. Am liebsten hätte er sich so schnell wie möglich verzogen und es vermieden, Tomal nackt im Bett der Königin zu begegnen. Es war beschämend. Aber Saykara schien weder ihre Nacktheit noch Sapius’ Anwesenheit etwas auszumachen. Außerdem war es zu spät, unbemerkt aus den Gemächern der Königin zu flüchten. Tomal stand bereits in der Tür. Er blieb wie angewurzelt stehen, als sein Blick auf Sapius, dann auf die nackte Königin und wieder auf die zerwühlten Kissen fiel. Tomal schnupperte in die Luft und rümpfte angewidert die Nase. Er schenkte Sapius einen vernichtenden Blick.

»Du!«, schrie der Lesvaraq und zeigte mit dem Finger auf Sapius: »Du schleichst dich in das Bett meiner Königin?«

Tomals Lippen bebten, seine Hände zitterten und die Farbe war ihm von den Wangen gewichen. Wut stand in seinen Augen. Der Lesvaraq war krank vor Eifersucht. Saykara stand nur da und lächtelte eiskalt.

»Und du!«, er schrie die Königin an: »Du betrügst mich mit diesem Elend? Er ist kein Mann. Hure!«

»Beruhige dich, Tomal«, sagte Saykara, »wir haben uns nur geliebt, Sapius und ich. Das ist nichts Schlimmes. Wir haben einen Bund geschlossen. Er ist jetzt mein Gemahl.«

»Du gehst einen Bund mit dieser … dieser abstoßenden Kreatur ein?« Tomal war außer sich. »Ihr widert mich an. Alle beide.«

»Du vergisst, dass er einst dein Lehrer war und der Yasek der Drachenreiter ist«, entgegnete Saykara, »außerdem brachte er mir das Herz und das Gehirn des Kriegers, was ich eigentlich dir aufgetragen hatte.«

Tomal stand da, als wäre er vom Blitz getroffen worden. Seine Augen waren leer und sein Mund klappte auf und zu. Er musste offensichtlich erst verarbeiten, was ihm Saykara an den Kopf geworfen hatte. Tomal erwachte aus der Starre. In den Augen des Lesvaraq blitzte es gefährlich.

»Sapius lügt«, sagte Tomal, »er hat mir die Artefakte gestohlen, die ich für dich errungen hatte. Er ist ein elender Dieb.«

»Stimmt das, Sapius?«, wollte die Königin wissen.

Sapius antwortete nicht, sondern schüttelte nur den Kopf und blickte dabei traurig zu Tomal. Was war nur aus dem Lesvaraq geworden? War er der Königin so sehr verfallen? Offenbar war eine weitere Veränderung mit Tomal vorgegangen, wie Sapius feststellte. Der Lesvaraq erschien ihm düster und verdorben. Die Aura seiner Macht war deutlich geschwunden, zusammengeschrumpft wie eine vertrocknete Rosine. Wo war das Licht in ihm geblieben? Sapius nahm eine andere Präsenz wahr. Konnte es sein, dass Tomal besessen war?

»Ihr dürft Euch jetzt anziehen und gehen«, sagte die Königin plötzlich zu Sapius, »lasst mich mit Tomal allein.«

»Was wird aus der Unterstützung, die Ihr mir versprochen hattet.«

»Hattet Ihr denn noch nicht genug? Ich schicke Euch gerne meine Dienerinnen, sollte es Euch nach mehr gelüsten«, sagte Saykara in einem verletzenden Tonfall.

»Das habe ich nicht gemeint«, antwortete Sapius ärgerlich.

»Raus!«, befahl die Königin und zeigte auf die Tür.

Sapius packte sein Gewand und schritt beleidigt, aber mit erhobenem Haupt zur Tür. Er verstand überhaupt nichts mehr. Hatte er irgendetwas falsch gemacht oder übersehen, was die Königin gekränkt hatte? An der Tür drehte er sich noch einmal um und sah, wie die Königin Tomal fest umarmte und ihm dabei etwas ins Ohr flüsterte. Tomal sah aufreizend zu ihm herüber und lachte. Ein ungezogenes, dreckiges Lachen, das Sapius einen Stich ins Herz versetzte. Was Saykara dem Lesvaraq auch immer ins Ohr geflüstert hatte, es hatte bestimmt mit Sapius zu tun und konnte nichts Gutes sein. Ihm wurde klar, dass er sich vom Fluch ihrer Schönheit hatte täuschen lassen. Saykara war eine Schlange. Giftig und gefährlich. Sie ging über Leichen, um ihre Ziele zu erreichen. Sapius musste achtgeben, wie er ihr gegenüber künftig auftrat.

Sapius suchte seine Gefährten Baijosto und Belrod. Sie waren bestimmt innerhalb der Palastmauern untergebracht und von den Dienerinnen Saykaras verwöhnt worden. Wenn Tomal angekommen war, konnten auch Malidor und Kallya nicht weit sein. Ein starkes und mächtiges Gespann, das ihm Kopfzerbrechen bereitete. Malidor zu sehen und zu sprechen, hatte allerdings noch Zeit, beschloss Sapius.

Als der Magier um eine Ecke bog, wäre er beinahe mit dem Narren zusammengestoßen, der jedoch im allerletzten Moment zur Seite sprang.

»Hoi, hoi, hoi … Sapius«, sagte der Narr, »Ihr seid auch schon hier? Ich muss zugeben, mit Eurem Erscheinen hatte ich noch nicht gerechnet. Aber warum so stürmisch und in Gedanken? Habt Ihr schlecht gespeist? Gefallen Euch Zehyr und der Palast nicht? Seid Ihr krank geworden?«

Sapius sah den Narren nur entgeistert und kopfschüttelnd an.

»Nichts dergleichen, Tarratar«, brummte Sapius missmutig. »Ich kann nicht gerade behaupten, dass ich mich über unsere Begegnung freue. Und an meiner schlechten Laune ist die Königin schuld.«

»Ha … Ihr seid ihren Reizen mit Haut und Haaren verfallen wie schon so viele vor Euch«, lachte der Narr, »sie hat Euch benutzt und wieder fallen lassen, als ein anderer ihren Schoß begehrte. Habe ich recht?«

»Ihr seid unfassbar, Tarratar«, schimpfte Sapius, »immer wieder aufs Neue ein Ärgernis, sobald ich Euch begegne und Ihr den Mund aufmacht.«

»Ach … Ihr seid immer noch beleidigt wegen der Prüfung in der Grube und meiner kleinen Hilfe für Jafdabh.«

»Ihr habt mein Vertrauen missbraucht«, erwiderte Sapius.

»Und doch folgt Ihr meinen Anweisungen. Ihr habt Thezael beseitigt, die Artefakte der Nno-bei-Maya aus den Ordenshäusern zurückgeholt und Elischa getötet. Ihr habt den magischen Brüdern die Stirn geboten, seid nach Kartak gegangen und helft nun Königin Saykara, den ersten Krieger aus den Schatten zu befreien. Ihr werdet Euch auch der letzten Prüfung stellen. Das weiß ich.«

»Mag sein«, brummte Sapius, »ich will nicht, dass das Buch in falsche Hände gerät. Es ist zu gefährlich. Ich weiß inzwischen, was selbst wenige Seiten bewirken können. Nicht auszumalen was geschieht, sollte jemand das ganze Buch missbrauchen.«

»Ihr habt es verstanden«, sagte Tarratar und schnalzte mit der Zunge. »Macht Euch keine Sorgen. Ihr werdet Euren Lohn für die Artefakte von der Königin bekommen. Sie mag falsch und eingebildet sein, aber ihre Versprechen hält sie für gewöhnlich ein.«

»Tomal ist bei ihr«, sagte Sapius, »ich habe ihn selten so zornig erlebt. Er ist erfüllt von Hass und rasend vor Eifersucht.«

»Ach … er ist verliebt, der arme Junge«, meinte Tarratar, »er ist Saykara schon lange verfallen. Er gibt es nur nicht zu. Es würde Euch auch nicht gefallen, wenn Ihr einen anderen mit Eurer Geliebten auf frischer Tat im Bett erwischen würdet.«

»Er ist nicht mehr der Tomal, den ich kannte und lehrte«, entgegnete Sapius verbittert, »er wird immer gefährlicher. Ich muss verhindern, dass er das Buch bekommt.«

»Das ist sicher eine gute Idee«, meinte Tarratar, »aber nicht einfach zu erreichen. Besteht er die Prüfungen und entscheidet sich das Buch für ihn, könnt Ihr nichts dagegen machen. Er gehört nun einmal zu den sieben Streitern. Ihr solltet aber darauf achten, dass er das Buch nicht an Saykara gibt. Sie ahnt inzwischen, was ihr hier sucht. Sie wird versuchen, den Stärksten unter euch Streitern für ihre Zwecke einzuspannen. Sie will das Buch unbedingt haben. Dafür ist ihr jedes Mittel recht. Es scheint so, als habe sie sich für Tomal entschieden. Der Schluss liegt nahe, denn wer unter den Streitern könnte ihm das Wasser reichen? Aber sie hat, glaube ich, ohnehin ein Auge auf ihn geworfen. Der Lesvaraq gefällt ihr, auch wenn sie es sich niemals eingestehen würde. In dieser Hinsicht sind sich Saykara und Tomal ähnlich. Es ist gut, wenn sie nicht alles über Euch und den Lesvaraq weiß, Sapius. Eure wahren Stärken konnte sie nicht sehen und sie erkennt die Schwächen Tomals nicht. Das könnte ihr größter Fehler im Spiel um die Macht sein.«

»Habt Ihr von den übrigen Streitern gehört? Ich kam mit Baijosto und Belrod.«

»Malidor ist bereits in Zehyr. Er kam mit Tomal«, antwortete Tarratar, »der Felsenprinz wurde ebenfalls bereits auf Kartak gesichtet. Die Nno-bei-Maya befinden sich in hellem Aufruhr ob seiner seltenen Erscheinung. Renlasol wird eintreffen, sobald es draußen vollständig dunkel geworden ist. Er versteckt sich in einer Höhle auf Kartak.«

»Woher wisst Ihr das alles?«

»Ich habe meine Beziehungen, und manche meiner Bekanntschaften besitzen die Fähigkeit zu sehen, was anderen verborgen bleibt«, schmunzelte der Narr, »der vierte Wächter hat viele Augen.«

»Wann beginnen wir mit den Prüfungen?«, fragte Sapius.

»Es wird nur noch eine einzige Prüfung für die Streiter geben«, antwortete Tarratar, »sie beginnt, sobald sich Renlasol in Zehyr zeigt.«

»Könnt und wollt Ihr mir verraten, was Ihr von uns erwartet?«, fragte Sapius.

»Gewiss doch«, sagte Tarratar, »es ist kein Geheimnis. Ihr werdet in Grenwins Netz steigen und das Buch herausholen.«

»Ist das alles?«, fragte Sapius verdutzt.

»Das ist alles«, meinte Tarratar.

»Und wo liegt der Haken bei der Sache?«

»Kein Haken. Eine klare Aufgabe und viele gefährliche Gegner im Netz. Ihr werdet nicht nur Grenwin und seine Kinder, sondern auch Peeva überwinden müssen.«

»Peeva? Wer ist Peeva?«

»Eine Riesenspinne.«

»Wenn es weiter nichts ist«, schluckte Sapius.

»Ich warne Euch, Ihr solltet weder Grenwin noch Peeva unterschätzen. Ihr werdet es niemals alleine schaffen und jede Hilfe brauchen«, riet Tarratar. »Wir sehen uns bei den Prüfungen wieder, Sapius. Bis dahin überlegt Euch, wie Ihr diese Aufgabe meistern wollt.«

Der Narr ließ Sapius stehen und hüpfte weiter. Sapius war erstaunt, wie frei und unbeschwert sich Tarratar im Palast bewegen durfte, als wäre er der heimliche König dieses Reiches.

Im Zentrum Zehyrs hatten sich viele Nno-bei-Maya versammelt. Aufgrund ihres erstaunten Raunens und ihrer Rufe vermutete Sapius, dass sie gerade eine Attraktion bestaunten. Er musste lachen, als er sah, was die Maya in Erregung versetzte. Es waren Vargnar und sein Felsenfreund Rodso, die sich angeregt mit Baijosto und Belrod unterhielten. Versteckt hinter dem Rücken eines groß gewachsenen Maya-Kriegers entdeckte Sapius auch Malidor. Bis auf Renlasol und Tomal waren also alle Streiter wieder zusammengekommen.

In Zehyr war es für einen Fremden rasch möglich, jegliches Zeitgefühl zu verlieren. Das Licht der Kristalle konnte – je nachdem wie sie eingestellt waren – darüber hinwegtäuschen, ob es gerade Tag oder Nacht auf Ell war. Sapius fragte einen der umstehenden Maya nach der Zeit.

»Es ist Nacht«, sagte der Maya freundlich, »die Sonnen sind auf Ell untergegangen und der Mond steht am Himmel. Ihr könnt es daran erkennen, dass einige der Kristalle ausgegangen sind und andere sich vom hellen Tageslicht in das Rot der Dämmerung verändert haben. Ihr müsst nur genau hinsehen.«

»Vielen Dank. Das ist sehr aufschlussreich.«

Hätte Sapius nur einen Augenblick länger gewartet, hätte sich die Frage von selbst gelöst. Auf der Treppe stand nun auch der siebte Streiter. Renlasol wurde soeben, begleitet von Maya-Kriegern, ins Zentrum Zehyrs zum Palast der Königin geführt. Der Fürst sah abgemagert und erschöpft aus. Wahrscheinlich hatte er eine anstrengende Reise hinter sich gebracht und lange nichts mehr gegessen. Sapius konnte sich vorstellen, dass es im Südosten Ells schwierig war, an frisches Blut heranzukommen.