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13

Am darauffolgenden Samstag strichen wir die Werkstatt. Wulfe hatte sein Wort gehalten und die überkreuzten Knochen entfernt. Er hätte zumindest die Tür neu streichen können, aber er hatte es geschafft, die Knochen zu entfernen und das darüberliegende Graffiti unberührt zu lassen. Ich ging davon aus, dass er es nur getan hatte, um mich zu nerven.

Gabriels Schwestern hatten für Rosa als neue Farbe gestimmt und waren sehr enttäuscht gewesen, als ich auf Weiß bestanden hatte. Also erklärte ich ihnen, dass sie die Tür rosa streichen konnten.

Es war eine Werkstatt. Was machte es schon aus?

»Es ist eine Werkstatt«, erklärte ich Adam, der die neonpinke Tür anstarrte. »Was macht es schon aus?«

Er lachte und schüttelte den Kopf. »Ich muss die Augen zusammenkneifen, selbst im Dunkeln, Mercy. Hey, ich weiß, was ich dir zum nächsten Geburtstag schenken kann. Einen Satz Maulschlüssel in Rosa oder Purpur. Vielleicht auch mit Leopardenmuster.«

»Du verwechselst mich mit meiner Mutter«, erklärte ich würdevoll. »Die Tür ist mit billiger Sprühfarbe gemacht – da keine seriöse Farbenfirma irgendetwas so Kitschiges in ihrem Sortiment hat. Warte ein paar Wochen und es wird sich in ein krankes Orangerosa verwandelt haben. Dann kann ich sie anheuern, sie braun oder grün anzustreichen.«

»Die Polizei hat Blackwoods Haus durchsucht«, erzählte mir Adam. »Sie haben kein Zeichen von Blackwood oder Amber gefunden. Offiziell gehen sie davon aus, dass Amber mit Blackwood durchgebrannt ist.« Er seufzte. »Ich weiß, dass das ein schlechtes Licht auf Amber wirft, was unfair ist, aber es war die beste Geschichte, die uns eingefallen ist, um ihren Ehemann sauber zu halten.«

»Die Leute, auf die es ankommt, wissen es«, erklärte ich ihm. Amber hatte keine nahe Verwandtschaft, die ihr etwas bedeutet hatte. In ein paar Monaten plante ich eventuell einen Trip nach Mesa, Arizona, wo Char lebte. Ich würde es ihr sagen, weil Char der einzige andere Mensch war, der Amber etwas bedeutet hatte. »Niemand wird wegen der Sache Ärger bekommen, oder?«

»Die Leute, auf die es ankommt, wissen es«, antwortete er mit einem leisen Lächeln. »Inoffiziell hat Blackwood einer Menge Leute eine Heidenangst eingejagt und sie sind froh, dass er verschwunden ist. Niemand wird weiter suchen.«

»Gut.« Ich berührte die strahlend weiße Wand neben der Tür. Sie sah besser aus. Ich hoffte, es würde keine Kunden verjagen. Die Leute sind seltsam. Meine Kunden schauen auf meine heruntergekommen wirkende Werkstatt und wissen, dass sie sich das Geld sparen, das ich nicht in unnötige Schönheitsreparaturen stecke.

Tims Cousine Courtney hatte die gesamte Farbe und die Arbeit bezahlt, im Gegenzug dafür, dass ich die Anzeige gegen sie zurückzog. Ich ging davon aus, dass sie schon genug Schmerzen ertragen hatte.

»Ich habe gehört, dass du dich mit Zee wegen der Werkstatt geeinigt hast.«

Ich nickte. »Ich muss ihn sofort auszahlen – er hat es gesagt, also muss es auch getan werden. Er wird mir das Geld leihen, das ich dafür brauche, und zwar zu denselben Konditionen wie vorher.«

Er grinste mich an und öffnete die rosafarbene Tür, damit ich vor ihm ins Büro gehen konnte. »Also zahlst du ihm dasselbe wie vorher?«

»Onkel Mike hatte die Idee, und Zee hat es glücklich gemacht.« Vielleicht war amüsiert das bessere Wort. Alle aus dem Feenvolk haben einen seltsamen Sinn für Humor.

Stefan saß auf meinem Stuhl neben der Kasse. Er hatte zwei Tage unbeweglich in Adams Keller verbracht, dann war er ohne ein Wort zu mir oder Adam verschwunden.

»Hey, Stefan«, meinte ich.

»Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass wir nicht länger verbunden sind«, erklärte er mir steif. »Blackwood hat die Verbindung gebrochen.«

»Wann?«, fragte ich. »Er hatte keine Zeit. Du hast meinen Ruf gehört – und Blackwood ist nicht allzu lange danach gestorben.«

»Ich nehme an, als er sich ein weiteres Mal von dir genährt hat. Denn als Adam mich anrief, um mir zu sagen, dass du verschwunden warst, konnte ich dich überhaupt nicht spüren.«

»Wie ist es dir dann gelungen, zu mir zu finden?«, fragte ich.

»Marsilia.«

Ich schaute ihm ins Gesicht, aber ich konnte nicht erkennen, wie viel es ihn gekostet hatte, sie um Hilfe zu bitten. Oder was sie im Gegenzug dafür verlangt hatte.

»Du hast mir nichts gesagt«, sagte Adam. »Ich wäre mit dir gekommen.

Der Vampir lächelte grimmig. »Dann hätte sie mir nichts gesagt.«

»Sie wusste, wo Blackwood seine Heimstatt hat?«, fragte Adam.

»Das hoffte ich.« Stefan nahm einen Stift und spielte damit herum. Ich musste ihn zuletzt benutzt haben, denn Stefans Finger hatten recht schnell einen dünnen Überzug von schwarzer Schmiere. »Aber nein. Was sie wusste, war, dass Mercy einen Brief mit einem Blut-und-Wachs-Siegel für mich hatte. Ihr Blut. Sie konnte den Brief verfolgen. Nachdem er in der Nähe von Spokane war, konnten wir uns ziemlich sicher sein, dass Mercy ihn dabeihatte.«

Da fiel es mir wieder ein. Ich zog den zerknitterten Umschlag aus meiner hinteren Hosentasche. Er war nicht mit meiner Hose in der Wäsche gelandet – aber nur, weil Samuel sich angewöhnt hatte, die Taschen zu kontrollieren, bevor er wusch. Er hatte etwas über Muttern und Schrauben gemurmelt, die in der Waschmaschine irritierend laut waren – ich glaubte, dass das gegen mich gerichtet war, aber vielleicht war ich ja auch nur paranoid.

Stefan nahm den Brief entgegen, als hätte ich ihm eine Flasche Nitroglyzerin überreicht. Er öffnete ihn und las. Als er fertig war, zerknüllte er ihn in der Faust und starrte den Tresen an.

»Sie sagt«, erklärte er uns mit leiser, kontrollierter Stimme, »dass meine Leute in Sicherheit sind. Sie und Wulfe haben sie genommen und mich davon überzeugt, dass sie gestorben wären – damit ich es glaubte. Es war nötig, dass ich an ihren Tod glaubte, und daran, dass Marsilia mich nicht länger in der Siedhe wollte. Sie hat sie an einem sicheren Ort untergebracht.« Er hielt kurz inne. »Sie will, dass ich nach Hause komme.«

»Was wirst du tun?«, fragte Adam.

Ich war mir ziemlich sicher, dass ich es wusste. Aber ich hoffte, dass er sie unendlich hart dafür arbeiten ließ. Sie mochte seine Leute ja nicht getötet haben, aber sie hatte ihnen wehgetan – Stefan hatte es gefühlt.

»Ich werde über die Sache nachdenken«, sagte er. Aber er glättete den Brief und las ihn noch einmal.

»Hey, Stefan«, sagte ich.

Er schaute auf.

»Du bist ziemlich fantastisch, weißt du das? Ich weiß all die Risiken, die du für mich eingegangen bist, zu schätzen.«

Er lächelte und faltete den Brief sorgfältig. »Na ja, du bist selbst ziemlich fantastisch. Wenn du jemals wieder ein Abendessen sein willst …« Er verschwand aus dem Büro, ohne sich zu verabschieden.

»Hol besser deine Tasche«, sagte Adam. »Wir wollen nicht zu spät kommen.«

Adam wollte mit mir nach Richland, wo die ansässige Theatergesellschaft die »Piraten von Penzance« aufführte. Gilbert und Sullivan, Piraten und keine Vampire, das hatte er mir versprochen.

Es war eine wunderbare Aufführung. Ich lachte, bis ich heiser war, und summte noch beim Rausgehen das letzte Stück. »Ja«, erklärte ich ihm. »Ich fand den Kerl, der den Piratenkönig gespielt hat, auch fantastisch.«

Er blieb abrupt stehen.

»Was?«, fragte ich und runzelte die Stirn bei dem breiten Grinsen, das plötzlich auf seinem Gesicht lag.

»Ich habe nicht gesagt, dass mir der Piratenkönig gefallen hat«, erklärte er mir.

»Oh.« Ich schloss die Augen – und da war er. Eine warme, scharfe Präsenz ganz am Rand meiner Wahrnehmung. Als ich meine Augen wieder öffnete, stand Adam direkt vor mir. »Cool«, meinte ich. »Du bist zurück.«

Er küsste mich ausgiebig. Als er fertig war, war ich mehr als bereit, nach Hause zu fahren. Schnell.

»Du bringst mich zum Lachen«, erklärte er mir ernst.

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Ich ging zum Schlafen zurück nach Hause. Samuel arbeitete bis in die frühen Morgenstunden und ich wollte da sein, wenn er nach Hause kam.

Ich zögerte, bevor ich ins Haus ging, weil etwas anders war. Ich holte tief Luft, konnte aber keine lauernden Vampire riechen. Aber direkt neben meinem Schlafzimmerfenster stand ein Eichenbaum.

Er war noch nicht da gewesen, als ich heute Morgen zu der Maleraktion das Haus verlassen hatte. Aber da stand er jetzt, mit einem Stamm, der fast fünf Zentimeter dick war, und Ästen, die ungefähr einen Meter höher waren als mein Trailer. Es gab kein Zeichen von frischer Erde, nur den Baum. Seine Blätter fingen an, sich für den Herbst einzufärben.

»Sei willkommen«, sagte ich. Als ich wieder Richtung Haus ging, stolperte ich über den Wanderstab. »Hey. Du bist zurück.«

Ich legte ihn aufs Bett, während ich duschte, und er war immer noch da, als ich zurückkam. Ich zog mir eines von Adams Flanellhemden an, weil die Nächte inzwischen ziemlich frisch waren und mein Mitbewohner die Heizung nicht hochdrehen wollte. Und weil es nach Adam roch.

Als es an der Tür klingelte, zog ich mir eine Hose über und ließ den Wanderstab, wo er war.

Marsilia stand auf der Veranda. Sie trug Hüftjeans und einen tief ausgeschnittenen schwarzen Pulli.

»Mein Brief wurde heute Abend geöffnet«, sagte sie.

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und bat sie nicht ins Haus. »Das stimmt. Ich habe ihn Stefan gegeben.«

Sie tappte ungeduldig mit dem Fuß. »Hat er ihn gelesen?«

»Sie haben seine Leute nicht wirklich umgebracht«, erklärte ich mit gelangweilter Stimme. »Sie haben sie nur verletzt und seine Verbindung zu ihnen zerrissen, damit er denken musste, sie wären gestorben.«

»Du missbilligst das?« Sie zog eine Augenbraue hoch. »Jeder andere Herr hätte sie umgebracht – es wäre einfacher gewesen. Wäre er ganz er selbst gewesen, hätte er gewusst, was wir getan haben.« Sie lächelte mich an. »Oh, ach so. Du hast dir Sorgen um seine Schafe gemacht. Besser ein bisschen Schmerz und noch am Leben sein, denkst du nicht auch?«

»Warum sind Sie hier?«, fragte ich.

Ihr Gesicht wurde ausdruckslos und ich dachte schon, sie würde nicht antworten. »Weil der Brief gelesen wurde und Stefan nicht gekommen ist.«

»Sie haben ihn gefoltert«, sagte ich wütend. »Sie haben ihn fast zu etwas gezwungen, was er niemals freiwillig getan hätte …«

»Ich wünsche mir, er hätte dich getötet«, erklärte sie mir ernst. »Doch das hätte ihn verletzt. Ich kenne Stefan. Ich kenne seine Selbstbeherrschung. Du warst niemals in Gefahr.«

»Er glaubt das nicht«, gab ich zurück. »Und jetzt werfen Sie ihm ein Almosen hin. ›Schau, Stefan, wir haben deine Leute nicht wirklich umgebracht. Wir haben dich gefoltert, dich verletzt, dich im Stich gelassen – aber alles für einen guten Zweck. Wir wollten, dass Andre stirbt, und haben zugelassen, dass du dich monatelang mit Schuldgefühlen quälst, weil es unserem Zweck diente‹. Und Sie wundern sich, warum er nicht zu Ihnen zurückkam.«

»Er versteht«, sagte sie.

»Das tue ich.« Stefans Hände landeten auf meinen Schultern und er zog mich ein paar Zentimeter von der Türschwelle zurück. »Ich verstehe das Warum und das Wie.«

Sie starrte ihn an … und für einen Moment konnte ich sehen, wie alt und müde sie war. »Für das Wohl der Siedhe«, erklärte sie ihm.

Er stützte sein Kinn auf meinen Kopf. »Ich weiß.« Dann legte er beide Arme auf Brusthöhe um mich und zog mich an sich. »Ich werde zurückkommen. Aber nicht jetzt sofort.« Er seufzte in mein Haar. »Morgen. Ich werde meine Leute morgen abholen.« Dann war er verschwunden.

Marsilia schaute mich an. »Er ist ein Soldat. Er weiß, was es bedeutet, sich für das große Ziel aufzuopfern. Das ist es, was Soldaten tun. Es ist nicht die Folter, die er mir nicht verzeihen kann. Auch nicht, dass ich ihn in Bezug auf seine Leute getäuscht habe. Er ist so wütend, weil ich dich in Gefahr gebracht habe.« Und dann sagte sie sehr ruhig: »Wenn ich dich töten könnte, würde ich es tun.«

Und sie verschwand, genau wie Stefan.

»Ebenso«, erklärte ich dem Platz, wo sie eben noch gestanden hatte.


Ende - Mercy Thompson 04 - Zeit der Jäger