Auch ohne Weckerklingeln war Mattes am nächsten Morgen wieder unerwartet früh wach und sofort mit den Planungen für das neue Magazin beschäftigt. »Es ist nicht gesund, so wenig Schlaf zu haben und vor 10 Uhr aufzustehen«, brummte er halblaut, aber zu seiner eigenen Verwunderung fühlte er sich topfit. Wieso Zeit im Bett verbringen, wenn es so viel zu tun gab? Vor allem, weil seine Eltern am Nachmittag kamen und es dann nicht mehr möglich war, konzentriert zu arbeiten. Außer, er nutzte vorher die Möglichkeit zur Flucht. Aber dann hätte er für die nächsten Tage Astrid am Hals, die keine Gelegenheit ungenutzt lassen würde, sich bei ihm über sein unsoziales Verhalten zu beschweren. Wie unsozial es von ihr war, hinter dem Fenster zu hängen, ihn vor dem Betreten seiner rettenden Wohnung abzufangen und mit Vorwürfen zu bedrängen, würde sie dabei wieder mal nicht einsehen, obwohl er es ihr schon mehrfach erklärt hatte. »Quatsch, halt den Mund!«, war ihr Argument, gegen das er noch nie angekommen war. Er beschloss, erst mal zu arbeiten, dann rechtzeitig mit Mina in den Park zu verschwinden und erst eine halbe Stunde nach Beginn des Kaffeetrinkens wieder zurückzukommen. Das waren dreißig gesparte Minuten. Astrid schien etwas von seinen Plänen zu ahnen, denn kaum erschien er mit Mina vor der Tür, kam seine Nichte Meike mit schleppenden Schritten und mit einem Ausdruck vollkommener Genervtheit, zu dem sie mit ihren sechzehn Jahren auf dem Höhepunkt ihres Könnens war, auf ihn zu. »Mama sagt, ich soll dich an 16 Uhr erinnern. Oma und Opa sind da und du sollst nicht zu spät kommen«, leierte sie herunter und fügte, vom Unrecht der Welt getroffen, hinzu: »Und sie macht mich dafür verantwortlich und sagt, ich krieg den Ärger, wenn du das nicht machst.« Empört blickte Mattes zum Küchenfenster, hinter dem er seine Schwester vermutete. Was für eine Psychoterroristin!

»Sag deiner Mutter, sie kann mich mal!«, raunzte er sauer.

Meike reagierte überraschend schnell, formte die Hände zu einem Trichter und schrie mit großer Genugtuung in Richtung Haus: »Mama, Mattes sagt, du kannst ihn mal!«

Im ersten Stock öffnete sich das Badezimmerfenster, was Mattes verwirrte, denn er hatte nicht gedacht, dass das ebenfalls ein strategischer Beobachtungsposten seiner Stasi-Schwester sein könnte, und Astrids roter Kopf erschien in der Öffnung. Sie brüllte: »Nimm deinen Hund vom Rasen! Wenn ich den da noch einmal sehe, fahr ich ihn nach Spanien und bind ihn eigenhändig an der Autobahn an!«

Mattes rief nach oben: »Reg dich ab!«, und pfiff Mina vom Rasen. Er hörte, wie Astrid im Haus rief: »Godehard. Der Köter hat schon wieder ein Loch gebuddelt.«

Grinsend und mit sich und der Welt kurzzeitig zufrieden, nickte Meike Mattes verschwörerisch zu und schlenderte ins Haus zurück.

An der Tür wich sie ihrem Vater aus, der, von Astrid getrieben, in den Garten kam, um für Ordnung zu sorgen. Schmal und fast hager, in schwarzer Stoffhose und perfekt gebügeltem Hemd, gab er auf den ersten Blick eine korrekte Erscheinung ab, die aber durch die fehlende Körperspannung beeinträchtigt wurde. Obwohl er eine übermäßig gerade Haltung hatte, blieb ein Eindruck der Schlaffheit, der sich bei seinem Händedruck nur bestätigte, den man im Übrigen nicht wirklich als Druck bezeichnen konnte, weil er beim Gegenüber das Gefühl auslöste, einen toten, kalten Fisch in die Hand gelegt zu bekommen. Mattes dachte beim Anblick seines Schwagers immer an eine Marionette, die an Fäden aufgehängt war und nur durch diese Haltung bekam. Und dass oben an Godehards Spielkreuz Astrid stand und die Fäden nach ihrer Vorstellung bewegte, war ihm auch klar.

Dass Godehard am heutigen Tag keine Krawatte zum Hemd trug, war ein sicheres Zeichen für Wochenende. Ohne Krawatte lief er nur an den Wochenenden herum, wenn er ausdrücken wollte, dass er jetzt Freizeit hatte und ein Privatmensch war. Noch weniger Korrektheit war nur im Urlaub gestattet. Mattes hatte ihn mal auf Urlaubsfotos nicht erkannt, auf denen Godehard in kurzer Hose, kariertem Hemd und beinahe lässiger Haltung zu sehen war. Erstaunt hatte er Astrid gefragt, wer der Mann vor dem Boot sei, der sein Gesicht so starr in Richtung der Kamera hielt. Astrid hatte es für einen Scherz gehalten und gelacht, und dieses Gelächter hatte Mattes erst auf die Möglichkeit gebracht, dass es Godehard sein könnte. Entschuldigend hatte er es auf die Sonnenbrille geschoben, die auf den Bildern Godehards Gesicht verdeckte, und er hatte fasziniert auf die dünnen, kalkweißen Beine seines Schwagers gestarrt, die er nie zuvor gesehen hatte. Nur an der winzig kleinen Kniescheibe konnte man überhaupt erkennen, dass es echte Beine waren und sie nicht von Käpt’n Ahab oder aus einer Ikea-Selbstbaulinie stammte. Tagelang hatte er sich danach gefragt, ob er richtig gesehen hatte, dass Godehard auf den Bildern keine grauen Socken trug, sondern dass seine nackten Füße tatsächlich einfach so in den Schuhen steckten. Godehard ohne Socken – unvorstellbar! Immerhin hatten sogar die karierten Urlaubshemden perfekte Bügelfalten an den vorgeschriebenen Stellen und sahen aus, als ob ihnen nur durch ein Versehen die Krawatte fehlte.

Für die wie mit dem Lineal gezogenen Bügelfalten auf den ansonsten makellos glatten Oberhemden kam einmal in der Woche eine eigens dafür engagierte Bügelfrau ins Haus, nachdem Astrid zu Beginn ihrer Ehe monatelang fluchend an ihrem eigenen Perfektionismus-Anspruch gescheitert war und im Affekt zwei hochwertige Bügeleisen an der Wand zertrümmert hatte. Die Schlappe, dass sie zu ungeduldig war, um Hemden tadellos in Form zu bringen, ließ sie in anderen Themenbereichen, die um den Erfolg im Leben gingen, den man hatte, wenn man tatkräftig anpackte, noch aktiver werden.

In braunen Lederhausschuhen, die für Mattes das Sinnbild höchster Piefigkeit waren, näherte sich Godehard dem kaputten Rasenstück, stierte hilflos auf die freigelegte Erde und zog die Augenbrauen hoch. Er drehte sich zu Mattes und fragte: »Kann man so einem Hund nicht beibringen, dass er das nicht machen soll?«

»Doch, vermutlich schon«, sagte Mattes, »aber ich habe mit ihr ja lange geübt, damit sie den Rasen kaputt buddelt.«

Godehard sah ihn misstrauisch an und schien am Wahrheitsgehalt der Aussage zu zweifeln. Doch Godehards Sinn für Ironie entsprach dem Sinn eines Pitbulls für zeitgenössische Kunst.

»Wenn sie es einmal komplett über die ganze Fläche geschafft hat, wird es für sie langweilig und sie hört damit auf«, behauptete Mattes einfach.

»Das wird Astrid aber nicht mitmachen«, zögerte Godehard und blickte über den gepflegten Rasen.

Robin kam über den Rasen gerannt und rief: »Mama kommt gleich raus. Sie ist schon unterwegs. Geh jetzt, Mattes! Ich mach das mit Papa«, und stieß ihn ungeduldig in die Seite, damit er mit Mina endlich verschwand.

Eine halbe Stunde nach Beginn des Kaffeetrinkens erschienen Mattes und Mina am gedeckten Tisch. Robin hatte die Tür geöffnet und wortlos einen anerkennenden Daumen gehoben. Wer sich traute, gegen die Vorgaben seiner Mutter anzugehen, hatte seinen höchsten Respekt. Mattes wäre aus Versehen fast pünktlich gewesen, hatte sich mit Blick auf die Uhr dann aber doch für eine weitere Runde entschieden, um Astrid nicht das Gefühl zu geben, ihre Ansagen könnten ihn beeinflussen.

»Ich dachte schon, du hast uns vergessen«, klagte seine Mutter beleidigt und ließ sich von ihm umarmen.

»Da sind wir endlich mal wieder in deiner Nähe, und du lässt dich nicht blicken.«

»Jetzt bin ich doch da«, beruhigte Mattes, doch seine Mutter jammerte weiter: »Noch etwas später und wir wären wieder weg gewesen. Es ist immer dasselbe mit dir.«

»Welch gewohnt herzliche Begrüßung«, stieß Mattes genervt aus. Er setzte sich auf den freien Stuhl und klopfte seinem alten Herrn auf die Schulter. Sie beide verband vor allem das gemeinsame Genervtsein von den beiden weiblichen Mitgliedern der Familie. Wobei sich Mattes als Einziger von beiden den Luxus gönnte, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen.

Astrid wies auf die Kaffeekanne: »Bedien dich!« Dabei guckte sie ihre Tochter vorwurfsvoll an: »Meike, du willst wirklich keinen Kuchen?«

»Neeee«, maulte sie. »Kuchen macht fett. Kann ich jetzt endlich gehen? Die warten schon alle auf mich.«

»Du bleibst hier, bis das Kaffeetrinken beendet ist! Jetzt ist Familienzeit«, verlangte Astrid, woraufhin Meike schmollend in ihrem Stuhl versank und betont gelangweilt mit einer ihrer Haarsträhnen spielte.

Mattes goss sich Kaffee ein und blieb thematischer Mittelpunkt des Redeschwalls seiner Mutter: »Astrid sagt, dass du immer noch nichts Ordentliches machst. Kannst du dir denn keine Stelle suchen? Du musst doch mal auf eigenen Beinen stehen.«

»Ich komm ganz gut zurecht«, wehrte Mattes ab. Es verletzte ihn, dass seine Mutter ihn erst dann respektieren würde, wenn er in einer erfolgreichen Position war. Wobei für sie eine erfolgreiche Position die war, in der man entweder so viel Geld verdiente, dass man es mit passendem Haus und Auto vorzeigen konnte, oder wenn man prominent war und in der Yellow Press oder, noch besser, im Fernsehen zu sehen war.

»Ich bin erst glücklich, wenn du im Fernsehen bist«, pflegte sie während seiner Studienzeit zu sagen. »Du spielst doch so gerne Fußball und reden kannst du auch. Du solltest das ›Aktuelle Sportstudio‹ moderieren.« Zu seinem 30. Geburtstag hatte Mattes mit dem Gedanken gespielt, den Bundestag zu stürmen, sich die Hose herunterzuziehen und seinen mit der Aufschrift »Mutti, ich bin im TV!«-bemalten Hintern in sämtliche Kameras zu halten. Alex hielt ihn damals aber davon ab. »Alle aus deiner Klasse sind was geworden, nur bei dir schämt man sich, wenn die Leute fragen, was du machst«, beanstandete sie vorwurfsvoll.

»Ich bin Journalist und schreibe, da muss man sich nicht schämen«, reagierte Mattes gereizt.

»Na, was schreibst du denn?«, lachte seine Mutter bitter auf. »Ich habe nichts, was ich mal zeigen kann. Damals, beim ›Roten Teppich‹, da haben die Leute gestaunt, wenn ich ihnen gesagt habe, dass du da mitmachst und wen du alles kennst, aber heute? Man kann das ganze Zeitungsfach durchsehen, aber es ist nichts von dir dabei. Schreib doch wenigstens ein Buch! Du hast das Schreiben doch gelernt.«

Mattes Vater mischte sich besänftigend ein: »Nun lass ihn doch! Er macht das schon. Der Junge ist erwachsen.«

Astrid schnaubte lachend durch die Nase, als hätte sie einen guten Witz gehört. Mattes balancierte mit dem Tortenheber ein Stück Kuchen über den Tisch bis auf seinen Teller und sagte geheimnisvoll: »Ich entwickle da gerade etwas. Das wird ganz groß.«

»Er wird Fahrer beim Pizzaservice«, erklärte Astrid spöttisch, woraufhin ihre Mutter klirrend die Tasse abstellte, sie mit entsetzten Augen ansah und »Nein!« hauchte, als hätte ihr gerade jemand vom Tod eines nahen Freundes berichtet. Mattes sah seine Schwester vernichtend an und erklärte gereizt: »Quatsch! Ich mach was über Hunde.«

Seine Mutter guckte ihn vorwurfsvoll an: »Du kennst dich mit Hunden doch gar nicht aus! Schreib doch über Filmstars und Könige. Das interessiert die Leute.«

»Wieso kenn ich mich mit Hunden nicht aus?«, fragte Mattes empört. »Es gab schon immer Hunde in meinem Leben.« Das stimmte zwar nur bedingt, denn er hatte vor Mina nie einen eigenen gehabt, aber fast immer jemanden gut gekannt, der einen Hund hatte. So gesehen war er allerdings auch von Pferden und Papageien in seinem Leben begleitet worden.

Seine Mutter lachte gespielt künstlich auf: »Du hattest doch immer nur Angst vor Hunden. Du bist ja nicht mal zu Thea gegangen, weil die ihren Arcus im Haus hatte.«

»Arco«, verbesserte Mattes. »Und ich war oft bei Tante Thea. Und auch bei Gerlinde und Herbert mit ihrem Hund. Und Benno aus meiner Klasse hatte auch …«

»Und trotzdem kennst du dich mit Hunden nicht aus«, unterbrach ihn seine Mutter resolut. »Meike, nimm ein Stück Kuchen!«, forderte sie ihre unruhig auf dem Stuhl wippende Enkelin auf und redete übergangslos weiter: »Wir haben zum Glück nie einen Hund gehabt. Wenn ich schon gesehen habe, was für einen Ärger die anderen mit ihren Viechern hatten. Denk mal an die Tante Lisbeth. Die musste jeden Tag für das Tier kochen, weil es kein Dosenfutter fressen wollte.«

Mattes warf ein: »Tante Lisbeth hatte eine Katze, keinen Hund.«

»Ist doch dasselbe«, behauptete seine Mutter und schüttelte unwillig den Kopf. »Immer Dreck in der Bude. Such du dir mal lieber andere Themen zum Schreiben!«

Sie wandte sich anerkennend an Astrid: »Die Käsesahne ist lecker. Selber gemacht?«

»Natürlich«, sagte Astrid zufrieden, die seit den frühen Morgenstunden in der Küche gestanden hatte, weil es für sie gar nicht in Frage kam, Kuchen nicht selber zu backen, egal, wie viel Aufwand und Zeit es kostete. »Geht ganz schnell.«

»Vielleicht geben sie dir beim Sportstudio ja eine Chance? Spielst du noch Fußball?«, fuhr Mattes Mutter fort, als hätte es keine Zwischenfrage zur Käsesahne gegeben.

Mattes reagierte gereizt: »Mach dir einfach keine Gedanken um mein Leben. Ich bin an was dran, und das wird ganz groß.«

Sie lachte ein wenig zu schrill auf: »Ob ich das noch erlebe, dass du was Ordentliches machst? Ich sag schon immer zur Maria, weißte, die von der Wursttheke im EDEKA, dass es bei dir schlecht aussieht. Die hat auch so’n Sohn, der nichts macht. Wenn Astrid sich nicht um dich kümmern würde, wärst du schon unter der Brücke.«

Robin hatte in aller Ruhe sein drittes Kuchenstück verschlungen und sah die Zeit gekommen, sich einzumischen. »Oma, lass doch den Mattes mal in Ruhe! Der ist ein Schriftsteller! Der kann tolle Geschichten schreiben.«

Ich will hier raus!, dachte Mattes und versuchte es mit Telepathie. Alex, ruf an! Ruf mich sofort an! Lass mein Handy klingeln! Aber Alex kriegte natürlich wieder mal nichts mit. Als Medium ist der auch nicht zu gebrauchen, dachte Mattes fast sauer.

Meike stöhnte laut auf und fragte genervt: »Darf ich jetzt gehen?«, was Godehard veranlasste, ihr einen strengen Blick zuzuwerfen und knapp »Nein!« zu antworten.

Astrid blickte auf ihre Uhr und sagte: »Um neun Uhr bist du zuhause!«, woraufhin Meike sofort aufsprang, erleichtert »Na, endlich!« murmelte und blitzschnell das Zimmer verließ.

Godehard räusperte sich gekränkt. »Sie hat lange genug gewartet, und wenn sie sowieso keinen Kuchen isst, kann sie auch gehen«, erklärte Astrid ihren plötzlichen Meinungsumschwung.

»Aber ich dachte …«, begann Godehard, stockte, als er den Blick sah, der ihn aus Astrids Augen traf, und verstummte. Mattes’ Handy klingelte. Alex! Er hatte seine flehentlichen Gedanken tatsächlich gespürt. Mattes war überrascht, dass an der Telepathie mehr dran sein musste, als er bisher geglaubt hatte, und nahm das Gespräch an. Es war Saskia Hoffmann.

»Störe ich?«

»Nein, überhaupt nicht«, sagte er eine Spur zu freudig, weil er wusste, dass er jetzt einen Grund für das vorzeitige Verlassen der Kaffeetafel erfinden konnte. Er gestikulierte seiner gespannt auf ihn starrenden Familie, dass er ein wichtiges Gespräch habe, und zog sich in den Flur zurück. An der absoluten Stille im Nebenraum erkannte er, dass dort alle aufmerksam am Tisch saßen und mithörten. Egal.

»Können wir den Interviewtermin schon in dieser Woche machen?«, fragte Saskia Hoffmann.

Mattes wollte spontan antworten, hielt sich aber im letzten Moment zurück. In diese Falle war er schon bei der Althoff getappt, als er die neue Stelle sofort antreten konnte. Ein erfolgreicher Chefredakteur hatte niemals sofort Zeit, hatte er gelernt.

»Moment mal«, zögerte er. »Meine Sekretärin im Büro hat den Überblick über meine Termine, aber ich seh’ mal in meinem Kalender nach.«

Er blätterte hörbar raschelnd in einem zerlesenen Comicheft, das neben ihm im Regal lag und vermutlich Robin gehörte.

»Nein … alles zu … Treffen mit der Deutschen Bank … Donnerstag Mittagessen mit dem Chef vom ›Spiegel‹ …«, murmelte er halblaut, aber gut verständlich. Den beschäftigten Chefredakteur zu spielen, machte richtig Spaß. Übermütig legte er noch was drauf: »Nächste Woche dann Hamburg, Berlin …« Als hätte er plötzlich eine Idee, rief er laut: »Doch! Ich sehe gerade, morgen geht es. Ich cancel einfach den Termin mit dem Frankfurter Presse-Vorstand, dann habe ich Zeit für Sie. Wie wäre es um 12 Uhr? In dem kleinen Café am Markt?«

Sie schien beeindruckt, und er hoffte, dass sie, wenn es einen Frankfurter Presse-Vorstand wirklich gab, keinen Kontakt zu ihm hatte.

»Dann bis morgen um 12 Uhr, ich freu mich«, flötete sie ins Telefon und legte auf.

Mattes atmete tief durch. Wow! Das hatte er souverän hinbekommen. Saskia Hoffmann war von ihm mindestens ebenso beeindruckt wie er von sich.

»Du fährst weg?«, fragte Astrid völlig perplex, als er die Wohnzimmertür öffnete.

»Mattes!«, rief seine Mutter mit kaum unterdrücktem Stolz und hatte Tränen in den Augen. »Nun erzähl doch schon!«

»Ja, es ist geschäftlich, aber ich kann jetzt nicht viel dazu sagen, ich muss sofort gehen, es ist dringend, tut mir leid«, sagte Mattes hastig, rief Mina und verließ fast fluchtartig die Wohnung. Scheiße. Wie kam er da wieder raus? Zuerst einmal, indem er verschwand und erst wiederkam, wenn seine Eltern weg waren. Bis dahin hatte er auch hoffentlich eine Ausrede für Astrid gefunden. Im Übrigen war er sicher, dass bis spätestens übermorgen das gesamte Stadtviertel, in dem er seine Kindheit verbracht hatte, von seiner Mutter darüber informiert war, dass der Mattes endlich einen ganz großartigen Job hatte und darum durch die gesamte Republik jettete. So wie er seine Mutter einschätzte, gab sie dazu unverblümte Hinweise, dass es eine Art ›Aktuelles Sportstudio‹ sei und mit Prominenten zu tun habe, und ganz sicher schloss sie mit der Bemerkung, dass sie immer an ihn geglaubt und gewusst habe, dass aus ihm noch etwas werden würde.

Der Wochenstart in der Redaktion war turbulent. Noch vor dem ersten Kaffee platzte er ins Zimmer seiner persönlichen Assistentin Gisela Althoff und knallte Mucki, der innen sofort kläffend losstürzte, versehentlich die schwere Tür vor den Kopf. Laut aufjaulend sprang Mucki in sein Körbchen zurück, und Frau Althoff lief besorgt zu ihm hin.

»Mein Prinzchen, zeig mal den Kopf, ach, Prinz Mucki, es wird alles wieder gut«, tröstete sie mit weicher Stimme und schien ehrlich besorgt.

Prinz Mucki? Mattes glaubte nicht richtig zu hören. Aber tatsächlich, sie wiederholte es. Hatte man ihr über Nacht beide Hirnhälften durch aufgeweichte Brötchenhälften ersetzt?

Er versuchte sie zu beruhigen: »Der hat nur die Tür leicht vor den Kopf bekommen. So ein Hundeschädel hält das schon aus.«

Frau Althoff richtete sich auf und sagte vorwurfsvoll: »Das ist noch nie passiert. Jeder klopft hier an und wartet, bis Mucki wieder ruhig ist. Woher soll das arme Tier denn wissen, dass Sie einfach die Tür aufstoßen?«

»Das arme Tier soll nicht Bodyguard spielen, dann kriegt es auch keine Kopfschmerzen. Zum Glück ist ihm ja kein Zacken aus der Prinzenkrone gefallen«, sagte Mattes leichtfertig und bekam einen giftigen Blick zugeworfen. Oh je, die Althoff und ihr Mucki. Prinz Mucki! Mattes unterdrückte mühsam ein breites Grinsen. Er war Chefredakteur einer Redaktion mit adeligem Anhang. In betont geschäftsmäßigem Ton sagte er: »Heute Mittag habe ich einen Termin mit Saskia Hoffmann und ihrem Hund. Wir machen einen großen Artikel daraus und sie kommt auf den Titel.«

»Das ging aber schnell«, kommentierte Frau Althoff mit leichtem Erstaunen. Mattes hob eine Augenbraue und sagte genüsslich: »Das ist Chefsache. Um wichtige Sachen kümmere ich mich selber und dann fluppt das.«

»Ah ja«, sagte sie mit einem Unterton, der wenig beeindruckt schien, und schickte ein amüsiertes »Chefsache« hinterher. Wieso behandelte sie ihn eigentlich immer so, als ob sie alles besser wüsste? Blöde Ziege.

Im Flur kopierte Tina schon wieder. Oder noch immer? Vielleicht hatte sie den Kopierer in der Nacht gar nicht verlassen, sondern stundenlang durchkopiert. Aber warum? Was gab es in so einer kleinen Redaktion so viel zu kopieren? Er ging auf Tina zu und fragte harmlos: »Was ist das da?«

Sie blickte ihn stolz an: »Das sind voll wichtige Unterlagen und ich mach die doppelt und ordne.«

Sein Blick fiel auf die Rückenbeschriftung eines Ordners und er stutzte. Vier Jahre alte Rechnungen? Wozu sollten die kopiert werden? Irgendetwas stimmte da nicht. Da hatte doch wieder die Agentin Althoff ihre Finger im Spiel. Das waren niemals alte Rechnungen! Das war sicher eine vertuschte Steuerhinterziehung, oder es waren gefälschte Mitarbeiterpapiere, mit denen sie krumme Dinge vorhatte. Das sah ihr ähnlich. In so was war sie vermutlich ganz groß. Er blätterte unauffällig in dem Ordner und nickte anerkennend, denn die Dinger sahen auf den ersten Blick wirklich aus, als wären es nur alte Rechnungen. Aber er war nicht blöd, und er würde rausfinden, was die Althoff da abzog. Es wäre nicht übel, etwas gegen sie in der Hand zu haben, falls sie sich als seine Gegnerin erweisen würde.

Mittags ließ er Mina im Büro und erschien knapp vor dem mit Saskia Hoffmann abgesprochenen Termin in seinem Lieblingscafé. Er liebte es vor allem wegen des Namens ›Café Chaos‹. Charmant lächelnd wandte er sich an die junge Bedienung hinter der Theke.

»Gleich wird ein prominenter Fernsehstar kommen, mit dem ich ein Interview mache. Ein Fotograf wird auch da sein. Kannst du dafür sorgen, dass wir nicht gestört werden?«

»Ist das mit dem Chef abgesprochen?«, fragte die junge Frau und schien beeindruckt.

»Natürlich«, bestätigte Mattes und grinste sie überzeugend an.

»Oh, das finde ich ja aufregend. Wer kommt denn und für welche Zeitung wird das gemacht?«, fragte sie.

Er beugte sich zu ihr herüber und raunte: »Es läuft alles noch unter strengster Geheimhaltung.«

Gut gerettet. Und es war wohl ganz sinnvoll, wenn er gar nichts von Hunden erwähnte. Er zwinkerte ihr zu und versuchte die günstige Lage zu nutzen: »Habt ihr gleich Kaffee für uns? Und vielleicht so ein bisschen vom Frühstückskram?«

Sie strahlte ihn an: »Aber natürlich! Ich mache was fertig.«

Mattes suchte einen Tisch am Fenster aus und hoffte, dass Peter Plattler rechtzeitig da war. Den hatte er gestern Abend noch auf dem Handy erreicht, weil er nicht sicher war, ob er morgens pünktlich in der Redaktion antreten oder wieder einen seiner »wichtigen« Termine hatte, aber ihm war nicht klar, wie viel er vom Gespräch verstanden hatte, denn im Hintergrund war ein Höllenlärm gewesen. Heavy-Metal-Musik in höchster Lautstärke, die Mattes gezwungen hatte, das Handy ein Stück weit vom Ohr wegzuhalten, um sich keinen Tinnitus einzufangen. Vermutlich gaben die Suizeeds gerade ein Live-Konzert und zerstörten mit der Lautstärke, die aus den Boxen kam, Unmengen von Hörnerven. Peter hatte irgendwas zurückgebrüllt, und Mattes hatte nach drei weiteren Nachfragen, die jedes Mal eine andere, aber genauso unverständliche Antwort ergaben, beschlossen, das für eine Zusage zu halten. Er sah aus dem Fenster und sah Saskia Hoffmann mit ihrem Hund auf das Café zukommen. Sie war stark geschminkt und sah ihrem Fernsehbild damit viel ähnlicher als im Naturzustand. Mattes atmete einmal tief durch. Er musste sie unbedingt für die Titelstory haben. Die Bedienung guckte beim Öffnen der Türe gespannt auf die eintretende Dame und war sichtlich enttäuscht, dass nicht der erwartete Hollywoodstar eintrat, sondern nur eine Fernseh-Moderatorin. Naja, besser als nichts.

Wenn Mattes etwas konnte, dann war es, Fragen zu stellen, die ungewöhnlich waren und die später einen interessanten Artikel versprachen. Beobachten und die Zusammenhänge ergründen hatte er schon als Kind im familieneigenen Kuriositätenkabinett geübt, für das er keinen Eintritt zahlen musste, da er ja mit den Kuriositäten verwandt war. Damals stellte er allerdings noch keine Fragen, sondern blieb Zuschauer. Es gab ja auch viel zu sehen. Schon, dass die mit Tieren äußerst kommunikationsfreudige Tante Thea jahrelang jedes Gespräch mit ihrem Mann Günther vermied, war faszinierend. Onkel Günther zog es vor, auf dem Sofa zu sitzen und den Dialogen im Fernsehen zu lauschen. Am Ende des Fernsehprogramms, das damals noch einen Dienstschluss hatte, starrte er immer noch eine Weile konzentriert auf das Testbild, stand dann schwerfällig auf, um den Fernsehapparat ab- und das große Radio einzuschalten. Selbst beim Radiohören blieb sein Blick weiterhin auf den dann ausgeschalteten Fernseher gerichtet. Tante Thea musste Onkel Günther nicht mal zum Essen rufen, denn er erkannte am Klappern der Teller in der Küche, wann es so weit war, verließ ächzend seinen Sofaplatz, um am Resopaltisch in der Küche stumm das Essen in sich hineinzuschaufeln, holte sich auf dem Rückweg eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und haute sich wieder auf das Sofa. Alles ohne ein einziges Wort zu verlieren. Und trotzdem hatten weder Tante Thea noch Onkel Günther unglücklich ausgesehen. Mattes dachte, dass sie sich wohl alles Wichtige in den ersten Jahren gesagt hatten und sich jetzt nicht wiederholen wollten. Wenn er es genau bedachte, war er ihnen darin in Grundzügen sogar ähnlich, denn auch er hasste Wiederholungen.

Saskia Hoffmann antwortete ausführlich und stellte sich selbst als erfolgreiche Powerfrau dar. So wie ich mich als erfolgreichen Magazinmacher darstelle, dachte Mattes schmunzelnd. Dabei sah er unauffällig auf die Uhr. Hoffentlich kommt Peter Plattler gleich, und hoffentlich sieht er menschlich aus. Die Café-Tür öffnete sich, und völlig übernächtigt, mit qualmender Kippe im Gesicht, trat der Grafiker ein und schlurfte zu Mattes und seiner Interviewpartnerin.

»Hier besteht Rauchverbot!«, rief die Bedienung ihm zu, was Peter Plattler mit einem Grunzen beantwortete, ohne die Zigarette zu entfernen. Saskia Hoffmann unterbrach ihren Satz und sah erschrocken aus. Scheiße, dachte Mattes, der ist ja geschäftsschädigend. Die läuft mir gleich weg.

Leise sagte er: »Das ist unser Fotograf. Er sieht ein wenig übernächtigt aus, denn er kommt gerade aus New York, wo wir eine Fotosession fürs Magazin hatten.« Er nickte Peter zu und fragte laut: »Na, guten Flug gehabt?« Mit Erleichterung vernahm er, dass die Antwort wieder nur ein Grunzen war, das alles bedeuten konnte. Wenigstens da konnte man sich auf ihn verlassen. Peter würde NIE die Kippe aus dem Mund nehmen, um sich auch nur ansatzweise deutlicher verständlich zu machen. Während Peter seinen Fotoapparat aus einer Tasche kramte und das Licht prüfte, wandte sich Mattes der Moderatorin zu und erklärte halblaut: »Er ist DER In-Fotograf. Ständig gebucht und weltweit unterwegs.« Was erzählte er da? Jeder konnte sehen, dass Peter Plattler ein kleiner, mieser, kettenrauchender Niemand war. Es hatte weder für die große Fotografen-, noch für die Grafikerkarriere gereicht, geschweige denn für ein Leben als Musiker. Saskia Hoffmann schien es nicht zu sehen. Vielleicht lag ihr auch das nachlässige Erscheinungsbild Peter Plattlers so fern, dass sie es für eine Art von bewusster Selbstinszenierung hielt.

»Das habe ich sofort gemerkt, dass das ein besonderer Typ ist«, sagte sie leise und war geschmeichelt, dass ein so berühmter Fotograf für sie da war.

Und sie war auch gerne bereit, für eine Fotoserie mit Hund immer neue Positionen einzunehmen, in die Kamera zu lächeln oder ernst aus dem Fenster zu gucken.

»Jou«, sagte Peter Plattler schließlich. »Da ist was dabei.«

Mattes sah grübelnd auf die Moderatorin und tat so, als käme ihm der Gedanke zum ersten Mal: »Wir hatten ja vor, Veronica Ferres auf den Titel der ersten Ausgabe zu nehmen, aber ich finde gerade, dass Sie noch besser zu uns passen würden.«

Saskia Hoffmann guckte ihn mit unverhohlener Freude an. »Gerne. Aber ist das mit Veronica nicht schon abgesprochen?«

Mattes stutzte. Sie nannte sie Veronica? Er war ein Trottel. Natürlich kannten sich die beiden Frauen, liefen sich vermutlich ständig bei irgendwelchen Feiern und Preisverleihungen über den Weg.

»Ach, die ruf ich gleich an«, winkte Mattes lässig ab. »Die soll sich mal nicht anstellen. Wenn sie unbedingt will, kann sie ja auf eine der späteren Ausgaben.«

Hinter sich hörte er Peter Plattler kurz auflachen. Der Idiot. Sollte einfach mal ruhig bleiben, wenn es ihn nichts anging. Mattes sah ihn scharf an: »Fragen?«

»Nö, Chef«, grinste der, während er seine Kamera einpackte, setzte dann aber hinterher: »Ach, hätt’ ich fast vergessen: Angelina Jolie wartet auch auf deinen Rückruf. Und Sandra Bullock.«

Saskia Hoffmann sah ihn fragend und zum ersten Mal auch skeptisch an. Mattes nickte ihr beruhigend zu und raunte: »Der spinnt manchmal ein wenig, aber er ist top im Job und nur schwer für Termine zu bekommen.« Hoffentlich machte er wenigstens einigermaßen erträgliche Fotos, dachte er. Bisher wurde er fürs Magazin nicht sehr gefordert, und wenn seine jetzt Bilder Schrott sind, können wir sie für den Titel vergessen.

Mattes spürte, dass er in Saskia Hoffmanns Ansehen plötzlich sehr gestiegen war. Dass er Kontakte zu Stars wie Veronica Ferres hatte und sie einfach vom Titelbild kicken konnte und dass er mit einem In-Fotografen zusammenarbeitete, zeigte, wie weit oben er in der Szene war. Als sie sich von ihm verabschiedete, sagte sie mit echter Herzlichkeit: »Wie schön, dass man manchmal ganz zufällig so tolle Leute trifft. Ohne unsere Hunde wären wir einfach aneinander vorbeigelaufen. Sie hätten nicht gewusst, dass ich moderiere, und ich nicht, dass Sie ein Magazin machen. Und jetzt arbeiten wir zusammen.«

»Das war wirklich ein ganz unglaublicher Zufall«, beeilte sich Mattes zu sagen.

Als Mattes bezahlen wollte, winkte die Bedienung ab: »Das geht aufs Haus!« Er lächelte ihr vertraulich zu und sagte: »Grüß den Chef von mir. Schön, dass es hier so kurzfristig geklappt hat. Ich meld mich bei ihm, damit wir mal wieder zusammen golfen gehen können.«

Sie nickte: »Ja, mache ich«, und setzte nachdenklich hinterher: »Ich wusste noch gar nicht, dass er golfen geht. Kann er das denn mit seinem Bein?«

Mattes lächelte souverän: »Natürlich. Er ist Vize-Clubmeister geworden, aber immer so bescheiden, dass er nicht gerne darüber spricht. Verrate ihm nicht, dass ich es gesagt habe, ja?«

»Ich hab nichts gehört«, versprach die Bedienung und zwinkerte ihm vertraulich zu.

Als er zurück in die Redaktion kam, stand der Kopierer still. Hatte die Althoff etwas bemerkt und die Aktion verlagert? Tina war nicht zu sehen. Vermutlich war sie sicherheitshalber weggeschickt worden. Vielleicht war sie auch gar nicht so blöd, wie sie aussah. Schon im gleichen Moment, in dem er darüber nachdachte, ließ er diese Theorie fallen. So blöd konnte sich niemand verstellen. Tina war höchstens das unwissende, missbrauchte Werkzeug der Althoff. Bei der raffinierten, alten Dame liefen die Fäden zusammen.

Kaum saß er an seinem Schreibtisch, kam Frau Althoff und sagte geschäftig: »In drei Tagen ist Abgabe und es sind noch keine Artikel fertig. Die personelle Umstrukturierung hat viel Zeit gekostet, aber wir müssen trotzdem rechtzeitig abliefern. Soweit ich weiß, haben Frau Berger und Herr Plattler noch einige unveröffentlichte Sachen im Schrank liegen, die sie jetzt schnell aufarbeiten können. Organisieren Sie das oder soll ich mich darum kümmern?«

Mattes stoppte sie: »Es wird gar nichts aus dem Schrank geholt. Die nächste Abgabe ist in drei Wochen. Wir machen jetzt ein Monatsmagazin.«

»Wäre es nicht besser, vorläufig im Wochenrhythmus zu bleiben, bis ein neues Heft entwickelt wurde?«, schlug sie mit sanfter Stimme vor.

Mattes sah sie an: »Haben Sie Angst, dass die Verlagsruhe gestört werden könnte? Dass man hier Sachen entdeckt, die nicht ganz sauber sind?«

»Nun ja, es wäre wohl geschickter, wenn wir nichts übereilen, sondern von langer Hand planen«, antwortete sie nüchtern.

»Nein«, widersprach Mattes. »Entweder die Ideen kommen jetzt oder wir haben sie nie. Rufen Sie die Druckerei an und sagen Sie, dass das nächste Heft erst in vier Wochen erscheint und etwa doppelt so dick werden wird.«

Entschieden schüttelte Frau Althoff den Kopf: »Dazu haben wir keine Befugnis. Ich werde das jedenfalls nicht machen.«

»Kein Problem«, grinste Mattes. »Dann geben Sie mir die Telefonnummer und ich rufe selber in der Druckerei an.«

Frau Althoff sah ihn entsetzt an: »Sie können das nicht über den Verlag hinweg entscheiden!«

Mattes winkte fordernd mit der Hand. »Telefonnummer!«

»Niemals!«, sagte Frau Althoff und verschränkte die Arme.

»Dann muss ich leider direkt in Hamburg beim Verlag anrufen und fragen, wer unser Ansprechpartner bei der Druckerei ist. Wäre das besser?«

Einige Sekunden lang starrten sie sich an. Blick aushalten!, dachte Mattes, aber es fiel ihm seltsamerweise gar nicht schwer. Frau Althoff gab auf.

»Einen Moment«, sagte sie, atmete tief durch und ging in ihr Büro.

Sie kehrte mit einer Telefonnummer auf einem Zettel zurück. »Herr Becker«, teilte sie ihm den Namen des zuständigen Ansprechpartners mit und beobachtete mit sorgenvoller Miene, wie Mattes nach dem Hörer griff und die Druckerei anrief. »Reuter hier, Chefredaktion von ›Hassos Herrchen – Finas Frauchen‹. – Ja, es hat einen Wechsel gegeben. – Danke. – Ab sofort wird das Produkt als Monatsmagazin herausgegeben. Abgabe heute in drei Wochen, Veröffentlichung heute in vier. – Wie, Sie wissen noch nichts davon? Das ist ja ein Ding! Da hat aber mal wieder jemand im Verlag geschludert. – Natürlich ist das abgesprochen, es ist ausdrücklicher Wunsch der Verlagsleitung.«

Er sah wie die Althoff erschrocken eine Hand vor den Mund nahm. Das spornte ihn an.

»Am besten wenden Sie sich an mich, denn ich bin der neue Chefredakteur und der Bevollmächtigte für die Änderungen. – Ja, Frau Althoff ist noch in der Redaktion.«

Er grinste und bestätigte dann in den Hörer: »Ja, natürlich. Sie können sich jederzeit auch an Frau Althoff wenden. Sie ist über alles informiert und freut sich sehr, dass jetzt mal frischer Wind reinkommt. Danke. Auf Wiederhören.«

Er legte mit triumphierendem Blick auf.

Frau Althoff prophezeite mit ernster Miene: »Das geht nicht gut.«

Mit einer Handbewegung wischte er ihre Bedenken zur Seite. »Ach was. Wenn wir gut sind, reißen wir den ganzen Verlag mit.«

»Wenn uns das mal nicht in den Abgrund reißt«, sagte sie düster und verließ das Zimmer. Er blickte ihr hinterher. Was sollte schiefgehen? Es hatte heute alles schon wunderbar angefangen.