Im Gegensatz zum vorangegangenen Abend wartete Astrid am Morgen ganz offensichtlich auf ihn, denn als er aus der Tür trat, eilte sie gleich auf ihn zu.

»Mattes, es ist wirklich total peinlich«, begann sie aufgebracht. Sie hatte die Sendung also doch gesehen. Was für ein blöder Zufall.

»Hör mal, Astrid«, begann er, aber sie unterbrach ihn sofort und schien wirklich sauer zu sein: »Man traut sich nicht mehr unter die Leute. Es ist nicht nur peinlich, es ist entwürdigend. Ich habe einen Ruf zu verlieren, und wenn meine Kunden das mitbekommen, hat das unter Umständen Auswirkungen auf meinen beruflichen Erfolg.«

Jetzt zickte sie rum, weil er öffentlich als Chef eines Hundemagazins in Erscheinung getreten war. Da gab es doch sicher Schlimmeres. Außerdem war es nicht irgendein Hundemagazin, es war ›doggies live‹.

Ärgerlich schoss er zurück: »Nun mach mal halblang! Du kannst dir deinen Bruder nicht so backen, wie er dir in deinen Kram passt. Warte doch erst mal ab, Hunde sind ein starkes Thema!«

Sie schnaubte: »Hör mir auf mit Hunden! Jeder Scheißhundebesitzer erzählt mir, wie intelligent sein Vieh ist, dabei sind die Köter alle so blöd, dass es nicht zu fassen ist. Weißt du, was deine Mina gemacht hat? Einen Mann im Dalmatiner-Kostüm für einen Hund gehalten! Ja, da guckst du blöd, aber es stimmt. Gestern in der Fußgängerzone. Ich dachte, ich sterbe.« Ihre Stimme überschlug sich fast vor Empörung. »Ich habe sie kaum von dem armen Mann wegbekommen, weil sie einfach nicht kapiert hat, dass es kein Hund ist. Ich kann nur hoffen, dass mich keiner meiner Kunden gesehen hat.« Sie verdrehte genervt die Augen, und Mattes amtete auf. Sie hatte anscheinend doch kein Fernsehen geguckt, sonst wären Mina und die Szene in der Fußgängerzone jetzt völlig vergessen.

Mit ernstem Gesichtsausdruck sagte er: »Dann war es ja ein Glück, dass der Mann nicht als Kaninchen verkleidet war, sonst hätte sie ihn gefressen.«

Astrid blitze ihn böse an: »Deine Witze kannst du dir sparen! Ich nehme deinen minderbemittelten Hund jedenfalls nicht mehr mit in die Stadt. Dass sich Hunde und ihre Besitzer ähneln, ist mit jetzt jedenfalls klar. Mina ist blöd, faul und gefräßig. Und wenn sie könnte, würde sie noch schlechte Witze reißen!« Astrid drehte sich um und stapfte ins Haus zurück, wo sie die Tür heftig hinter sich zuzog.

Kaum saß er in der Redaktion an seinem Schreibtisch, besuchte ihn seine private Assistentin Althoff und hatte einen großen Block in der Hand, auf dem Notizen in einer für ihn unleserlichen Kurzschrift standen. Sie informierte ihn über den aktuellen Stand der Dinge. »Ihren Besuch im Fernsehstudio können Sie als Erfolg werten. Über Nacht ist unser Fax-Gerät heiß gelaufen, und die E-Mails habe ich noch nicht alle sichten können. Die Redaktion von Saskia Hoffmann hat alles weitergeleitet, das bis gestern Abend noch bei ihnen im Studio eingetroffen ist. Es sind sehr viele Fragen an unsere …«, sie räusperte sich und sagte distanziert: »… Expertin Mina R. Außerdem gibt es eine Anfrage von der BILD nach Ihrer Antwort zum Thema ›Kampfhund ja oder nein‹, und von einer Dame aus dem Fernsehstudio, in dem Sie gestern waren, kam die Bitte um den Kontakt zu Piet Plättler, einem amerikanischen Fotografen. Kann es sein, dass damit unser Herr Plattler gemeint ist?«

Mattes grinste: »Ja, die junge Dame interessiert sich für Herrn Plattler. Leider nur in seiner Eigenschaft als Star-Fotograf. Der BILD antworte ich ein klares: ›Kommt drauf an‹, und die Fragen an Mina können Sie mir alle auf den Schreibtisch legen.«

»Herr Plattler und Frau Berger sind heute unterwegs, um weitere Handzettel zu verteilen«, informierte ihn Frau Althoff und verließ sein Büro.

»Prima«, freute sich Mattes. Er blätterte die Zettel mit den Fragen an Mina R. durch, um sich einen ersten Überblick zu beschaffen, las sich aber schnell fest. Neben völlig nebensächlichen Sachen und vielen witzigen Vorkommnissen gab es eine Reihe von wirklich schwierigen Situationen. Der Border Collie, der die Kinder im Garten nicht mehr spielen ließ und in einer Ecke zusammentrieb, oder der Schnauzer, der das Essen vom Tisch holte und die Halterin biss, wenn sie ihn daran hindern wollte. Die Antwort zu »Ich hätt’ da mal ’ne Frage …« konnte in vielen Fällen nicht kurz und schnell »Ich hätt da mal ’ne Antwort« sein, wenn sie seriös und nicht nur oberflächlich sein sollten. »Da wirst du viel Zeit brauchen, Mina«, stellte Mattes fest und begann die Zettel auf verschiedene Stapel zu sortieren. Sein Handy klingelte.

»Ja?«

»Guten Morgen, Herr Reuter. Ich bin Barbara, die Managerin von Melanie Berkle, und wir möchten uns gerne das nächste Titelbild auf Ihrem Magazin zusichern lassen.«

»Melanie Berkle?«, fragte Mattes verwundert und kramte in seinem Kopf, wo er diesen Namen schon gehört hatte.

»›Küsse in Afrika oder geh, wohin du willst‹«, sagte die weibliche Stimme am anderen Ende. Oh je, dachte Mattes, da hat aber einer eine ganz gewaltige Schraube locker.

»Tut mir leid«, sagte er und die Frau am anderen Ende, die merkte, dass bei ihm nichts ankam, sang vor: »Küsse in Afrikaaaaaa, unter den Sternen, shalala.«

In Mattes’ Hirn gab es erste Anzeichen des Erkennens. Das war irgendein schrottiger Schlager, den er mal vernommen hatte, als er nicht schnell genug das Radio umschalten konnte.

Die Stimme sagte: »Im letzten Jahr Platz 3 in den deutschen Charts. Und momentan ganz aktuell in allen Radiostationen …« Wieder sang sie los, diesmal im Mitklatschrhythmus: »Geh, wohin du willst, aber mit mir, mein Schatz. Denn für dich und mich …«

Mit gequältem Gesichtsausdruck unterbrach Mattes: »Sagen Sie mal, ist das völkerrechtlich in Ordnung, dass Sie mir so was am frühen Morgen ins Ohr singen?« Melanie Berkle war ein Schlagersternchen, jetzt erinnerte er sich.

Die Frau am anderen Ende lachte: »Tut mir leid, ich bin ja nicht Melanie, die kann das besser. Wir haben gestern Ihr Magazin in der Talkshow von Saskia Hoffmann gesehen und da ist ja die Saskia auf dem Titelbild. Saskia und Melanie sind beste Freundinnen, und Saskia hat uns Ihre Handynummer gegeben, denn wir möchten Melanie auf dem nächsten Titelbild haben.«

Oh, das erste Magazin noch nicht am Kiosk und schon die Anwärter für das nächste Titelbild am Telefon. Aber Melanie Berkle? Fürs nächste Heft hatte er sich dann doch eher die Prominentenklasse von Veronica Ferres vorgestellt. Realistisch bleiben, ermahnte er sich. Vielleicht sind wir in drei Wochen froh, wenn wir überhaupt jemanden haben, also ganz diplomatisch vorgehen!

Vorsichtig antwortete er: »Es sind schon mehrere Titel-Anwärter im Gespräch. Es käme darauf an, ob wir aus Melanie Berkle und ihrem Hund ein Titelthema machen können.«

»Melanie hat keinen Hund.«

Mattes lehnte sich überrascht zurück: »Was will sie dann auf einem Hundemagazin?«

»Sie will ja nicht über Hunde reden, sondern ihre CD verkaufen, da reicht es, wenn sie vorne auf dem Titel ist und drinnen was über sie steht. Wenn es hilft, kann sie sich ja einen Hund ausleihen«, erklärte die Frau geduldig.

Mattes lachte auf: »Ausgeliehene Hunde kommen nicht auf den Titel. Aber ich mach ihr einen Vorschlag: Sie kann ein Lied über Hunde singen, und wenn das auf allen Sendern läuft, dann können wir eventuell über einen kleinen Artikel reden. Aber nur, wenn es wirklich gut ist.«

»Das geht nicht«, reagierte die Frau unwillig. »Außerdem ist das dann zu spät. Kommen Sie! Wenn Saskia Hoffmann drauf kann, kann Melanie das auch.« Ihre Stimme verlor den netten Klang und wurde drohend: »Hinter uns steht ein Riesenpublikum, das Sie nicht unterschätzen sollten. Wir haben viele Beziehungen in der Branche, die bis zu den Werbekunden reichen. Das sollten Sie nicht leichtfertig ablehnen.«

Mattes verdrehte die Augen. So sollte sie ihm lieber nicht kommen. Wenn er es richtig verstand, und ein Irrtum war kaum möglich, drohte sie ihm gerade Unannehmlichkeiten an, falls er ihrer Melanie Berkle nicht die Titelstory geben würde. »Es tut mir Leid, aber wir bringen in einem Hundemagazin grundsätzlich nur Storys, die einen deutlichen Bezug zu Hunden haben. Da hilft Ihnen nicht, dass Millionen von Schlagerfreunden hinter Ihnen stehen. Es geht alleine um Hunde. Auf Wiederhören.« Er drückte den Empfang weg und ärgerte sich, dass Saskia Hoffmann seine Nummer weitergegeben hatte. Wäre besser, wenn sein Vorzimmerdrache erst mal alles abfangen und sieben würde.

Nachmittags wählte er die Nummer von Alex und rief: »Ein weltbewegendes Ereignis ist im Anmarsch.«

»Du hast den Job bei der ZEIT?«, feixte Alex.

»Quatsch! Wer will denn zur ZEIT? Die ersten frisch gedruckten Exemplare von ›doggies live‹ kommen heute an.«

»Ey, großartig!«

»Das kannst du laut sagen!«

Alex’ Stimme wurde ernster: »Das heißt, dass wir die Tennisstunde heute ausfallen lassen?«

»Nein!«, rief Mattes, »ich bin dabei. Ab jetzt wird hier alles ruhiger. Aber ich bring ein Magazin mit und wir feiern das!«

»Das hört sich doch mal gut an«, lachte Alex.

Ein wenig später kläffte Mucki nebenan los, und Mattes sprang vom Stuhl hoch und raste in den Flur, um dem Boten aus der Druckerei ein Paket aus der Hand zu reißen. Mit durchsichtiger Plastikfolie umwickelt und von einem breiten Klebestreifen gehalten, hatte er den ersten Stapel druckfrischer Magazine in den Händen. Saskia Hoffmann lächelte verschwommen durch mehrere Lagen Plastik, über ihr stand in breiten Lettern ›doggies live‹, und der Hund an ihrer Seite schien konzentriert durch die Verpackung nach draußen gucken zu wollen. Mattes hatte ein ähnliches Gefühl im ganzen Körper wie damals, als er Mina als Welpe abgeholt und auf den Arm genommen hatte. Ein Augenblick im Leben, an den er sich immer erinnern würde. Es war ein geburtsähnlicher Prozess. Wie bei der Geburt aller Säugetiere spielten bei ihm, dem Muttertier, die Hormone verrückt. Er gebar sein erstes Kind. Serotonin und Dopamin überrumpelten ihn. Er wartete jede Sekunde auf den Milcheinschuss, um sein Baby mit allen Brutpflegemaßnahmen überschütten zu können. Frau Althoff kam und reichte ihm wortlos eine Schere. Für eine Sekunde dachte er, dass er nun die Nabelschnur durchtrennen sollte, aber es handelte sich nur um das Klebeband. Dass die immer schon vorher wusste, nach was er wenige Augenblicke später verlangen würde, war fast unheimlich. Egal. Er legte das Paket sanft auf einen Tisch und löste vorsichtig die Verpackung. Der Geruch, der aus dem Paket aufstieg, war der nach frischer Druckerfarbe, und die Magazine sahen mit ihrem glatten, glänzenden Papier jugendlich und unberührt aus. Ohne das Plastik darüber waren die Farben viel kräftiger. Es sah alles so viel besser aus als beim Andruck. Vor der sonnenbeschienenen Saskia Hoffmann standen frische Croissants und eine Frühstücksplatte mit Käse und Obst auf dem Holztisch des Cafés. Der Hund blickte freundlich in die Kamera und neben ihm stand groß: »Abnehmen mit Hund!«

»Sieht aus, als ob sie beim Frühstücken abnimmt«, sagte Frau Althoff.

Mattes grinste: »Ich hätte auch meine joggende, verschwitzte Schwester auf den Titel setzen können, aber das wäre zu viel harte Realität, die keiner sehen will.« Er blätterte vorsichtig im Heft und nickte zufrieden: »Es ist wirklich schön geworden. Das wird am Montag niemand im Regal liegen lassen.«

Alex wartete vor der Tennishalle auf ihn und schlug vor: »Ich denke, wir sollten uns irgendwo hinsetzen und du zeigst mir das Magazin. Oder willst du heute wirklich Tennis spielen?«

»Nein, ich will dir den ganzen Abend nur mein ›doggies live‹ zeigen, und du sollst alles bestaunen und sagen, wie toll es ist«, bestätigte Mattes lachend. Alex klopfte ihm auf die Schulter: »Dann komm! Wir gehen zum Italiener und feiern den Chefredakteur.«

»Zu dem mit der scharfen Bedienung?«, fragte Mattes.

»Nee, die ist inzwischen weg. Du kommst zu spät, mein Junge«, bedauerte Alex. »Jetzt kann ich dir da nur noch das weltbeste Saltimbocca bieten.«

Mattes konnte sich nicht erinnern, in den letzten Jahren so rundum glücklich und zufrieden gewesen zu sein wie an diesem Abend. Wie sich das Magazin am Montag verkaufte, war eine andere Sache, wichtig war, dass er nach den vier härtesten Arbeitswochen seines Lebens ein fertiges Produkt vor sich liegen hatte. Er hatte es durchgezogen, trotz der Althoff, trotz der unscheinbaren Nadine und trotz des wortkargen, qualmenden Peter Plattlers. Oder eher mit? Ohne die drei hätte er überhaupt nichts machen können, und vielleicht war sogar Tina in irgendeiner Form – ihm fiel allerdings nicht ein, in welcher – wichtig gewesen. Ihm gegenüber saß Alex, sein vertrauter Kumpel aus Kindertagen, und blätterte lächelnd im Magazin. Ihm gefiel es anscheinend, und als er es zuklappte, nickte er anerkennend.

»Super gemacht. Und wie geht’s jetzt weiter?«

Mattes lehnte sich entspannt zurück. »Jetzt habe ich frei. Ganze zwei Tage. Und wie es dann weitergeht, hängt davon ab, wie das Magazin ankommt. Wenn es super läuft, geht es weiter und ich bin oben. Falls es nicht läuft, werde ich mein Gesicht umoperieren lassen und untertauchen müssen, denn Steinle-Berghausen wird hinter mir her sein, bis er gemeinsam mit Agentin Althoffowitsch meine Füße liebevoll in Betoneimer stellen und mich in einen See werfen kann.«

»Ach, Blödsinn«, sagte Alex. »Jeder Verlag weiß, dass er mit einer Neuentwicklung ein Risiko eingeht.«

Mattes beugte sich vor: »Bei mir ist nur der Unterschied, dass der Verlag von einer Neuentwicklung nichts weiß und ich die Auflage mal eben eigenverantwortlich von 5 000 auf 40 000 Exemplare erhöht habe.«

Alex sog erschreckt die Luft ein. Mattes raunte: »Wenn’s schiefgeht, sieht’s ganz übel aus.« Alex sah ihn nachdenklich an. Plötzlich grinste Mattes: »No risk, no fun«, und hob betont gut gelaunt sein Weinglas. Alex stieß lächelnd an, und als sich ihre Blicke trafen, wussten beide, dass sie sich Sorgen machten.

Es war Wochenende, und das Magazin, um das sich in den letzten, hektischen Wochen alles gedreht hatte, war fertig. Zum ersten Mal konnte Mattes einfach im Bett liegen bleiben und zwei Tagen ohne Termine und dringend noch fertigzustellender Artikel entgegen sehen. Er hatte am gestrigen Abend nicht wirklich viel getrunken, aber ihm fehlte Schlaf und er merkte, wie er nach der Anspannung der letzten Wochen einen Gang runterschaltete und sein Körper sich endlich entspannte. Es war gut, jetzt einfach mal liegen zu bleiben und das Leben auf ein Normaltempo zu regulieren. Normaltempo hieß für ihn: lange schlafend im Bett bleiben und dann ganz gemächlich in den Tag gleiten. Am Montag, vielleicht sogar erst in den Tagen danach, würde sich zeigen, ob er Chefredakteur blieb, ob seine Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz behielten und ob es jemals noch eine weitere Ausgabe von ›doggies live‹ geben würde. Bis dahin befand er sich in einem Schwebezustand, der ganz gut zu seiner körperlichen Verfassung passte. Ganz kurz kam ihm der Gedanke, ob er sich noch einmal zu einer letzten Dalmatiner-Aktion in die Fußgängerzone schleppen sollte, um Zettel zu verteilen, aber ehe er sich ernsthaft mit dem Gedanken anfreunden konnte, schloss er die Augen und drehte sich ein weiteres Mal im Bett um. Alles konnte … warten.

Als er gegen Mittag, immer noch etwas verschlafen, mit Mina aus der Tür trat, sah er Astrid im Vorgarten arbeiten. Wenn sie Büsche zurechtschnitt, dann richtig. Nachdem Godehard in einem Frühjahr wenig Entschlusskraft beim Schneiden gezeigt und nach stundenlangem Aufenthalt im Garten nur einige dünne Zweige und herausgewachsene Spitzen entfernt hatte, hatte Astrid diese Aufgabe wieder selbst übernommen. Kahle verstümmelte Buschreste hinter ihr zeigten, dass sie es ernst nahm und lieber zu viel als zu wenig auslichtete.

»In zehn Jahren ist es bestimmt wieder nachgewachsen und sieht wie Garten aus«, sagte Mattes gespielt tröstend, als er vorbeiging, und Astrid drohte ihm mit der Astschere.

Er trottete mit Mina über die Einfahrt, als er hinter sich plötzlich ihren Ausruf hörte: »Du warst im Fernsehen!« Vor Schreck zuckte er kurz zusammen und drehte sich dann schuldbewusst um. Astrid stand mit der Astschere bewaffnet auf der Wiese und lachte fröhlich. Wieso war sie so gut gelaunt? Irgendwie musste sie von seinem Auftritt erfahren haben, aber er hatte erwartet, dass sie dann ausflippen würde.

»Guck nicht so blöd!«, grinste sie. »Habe ich von Frau Stenger nebenan gehört. Angeblich hat sie dich im Fernsehen gesehen. Als Moderator vor der Kamera.« Astrid tippte sich lachend an die Stirn, und Mattes fiel etwas zu laut in ihr Gelächter ein.

»Ach, hat sie das?«, versuchte er sich lässig zu geben. Astrid begab sich kopfschüttelnd an einen Busch und drehte die Astschere hin und her, um einen der dickeren Äste abzuquetschen. Angestrengt stöhnte sie bei der Antwort und sprach zwischendurch mit dem Ast: »Ja … Nun geh schon ab … aaaaah … sie hat nur zu spät … eingeschaltet, und du warst angeblich bei den … Mistding! … letzten Sätzen. So!« Zufrieden hob sie den Ast auf und warf ihn auf die Wiese, wohin Mina sofort eilte. »Mina, lass ihn liegen!«, befahl sie völlig wirkungslos und fragte: »Meinst du, sie trinkt?«

»Ja«, bestätigte Mattes. »Mina trinkt eine ganze Menge. Aber wenn du die Stenger meinst – keine Ahnung. Na, wenn sie mich im Fernsehen sieht, muss sie wohl ziemlich viel picheln.«

»Das habe ich Godehard auch gesagt«, bestätigte Astrid zufrieden und rief: »Mina!! Leg den Ast dahin zurück, wo er lag! Miii-naaa!!« Sie wandte sich an Mattes: »Da siehst du mal wieder, dass dein Hund zu blöd ist oder einfach nicht richtig erzogen. Vermutlich beides. Ich könnte ihr jetzt lang und breit erklären, dass sie den Ast zurücklegen soll, aber sie würde mich weiterhin einfach nur ansehen und mit dem Schwanz wedeln.«

»Ihre beste Strategie«, bestätigte Mattes, pfiff nach Mina und machte sich auf den Weg in den Park.

Am Ende eines wunderbar vertrödelten Tages lag Mattes auf dem Sofa und hörte Minas friedlichem Schnarchen zu, während der Fernseher leise lief. Es war egal, was gesendet wurde, er wollte gar nicht zugucken, es ging ihm nur darum, dass er den Abend untätig auf dem Sofa verbringen konnte. So wie früher. Schon nach kurzer Zeit wurde er unruhig und holte sich ein paar Unterlagen. So nebenbei konnte er ja noch einige der Anfragen an die Mina-Rubrik durchlesen und vielleicht auch schon beantworten. Er begann Notizen an die Ränder der Seiten zu schreiben. Schließlich griff er nach der Fernbedienung und stellte den Fernseher so leise, dass nur noch kaum vernehmbare Geräusche zu hören waren. Er starrte an die Wand, spielte mit dem Stift in seinen Fingern und dachte nach. Wäre es nicht sinnvoll, bei einigen der Anfragen Kontakt mit den Haltern aufzunehmen und nicht alles nur über das Heft zu machen? In manchen Fällen benötigte er eine nähere Begutachtung und genauere Information über die Umstände, um den Grund der Probleme erkennen zu können. Eine zu kurz ausgefallene Antwort im Magazin könnte falsch verstanden werden und die Sache nur noch schlimmer machen. Das würde allerdings noch mehr Arbeit für ihn bedeuten, denn die Expertin Mina R. stand zwar dick als Ansprechperson im Heft, war zum Beantworten der Fragen aber nicht in der Lage. Sie schnarchte lieber auf dem Teppich neben dem Sofa, und ihre Pfoten zuckten im Schlaf.

Auch am nächsten Tag gab es keinen Termin, und als Mattes das schöne Sonntagswetter sah, ging er mit Mina zu einem ausgiebigen Spaziergang in den Park. Endlich hatten sie mal wieder stundenlang Zeit. Super, dachte er und merkte gleichzeitig, dass er es nicht so gut fand wie erwartet. Einen ganzen Tag lang gar nichts tun, das war er gar nicht mehr gewöhnt. Was hatte er früher an terminfreien Tagen gemacht? Auf jeden Fall nicht jeden Hund, der ihnen begegnete, so interessiert angesehen. Das war ja schon nicht mehr normal, wie sein Gehirn unablässig über das Verhalten von Hunden und Haltern nachdachte. Er beobachtete einen Rüden, der in Imponierhaltung auf Mina zukam. Plötzlich fiel ihm auf, dass dessen Halterin ihn mindestens ebenso intensiv beobachtete wie er ihren Hund. Was hat die?, ging es Mattes durch den Kopf, und er fühlte sich unwohl, weil die Frau ihn regelrecht fixierte. Die guckte nicht rüber, weil sie ihn nett fand, sondern weil etwas nicht stimmte. Hatte er noch den Schlafanzug an? Hatte ›Britt am Nachmittag‹ ihn ohne sein Wissen als Hundekostümfetischisten geoutet? Was war geschehen? Die spielenden Hunde waren für die Frau der passende Grund, näher an ihn ranzukommen.

»Hallo«, sagte sie und blickte ihn schon wieder auffällig aufmerksam an. Er war sicher, sie noch niemals gesehen zu haben.

Bedächtig sagte sie: »Ich kenne Sie«, und grinste dann verlegen.

»Sooooo?«, fragte Mattes und suchte nach irgendetwas, das ihm an dieser Frau bekannt vorkam. Es gab nichts. Er hatte sie definitiv niemals vorher gesehen.

»Sie waren in der Sendung von Saskia Hoffmann. Ich hab Sie gleich erkannt. Ist die Hundezeitung jetzt fertig?«, fragte sie und bekam vor Aufregung ein leicht gerötetes Gesicht.

Ach, die Talkshow. Sieh mal an, da war er also im Gedächtnis geblieben.

»Morgen erscheint das Magazin, und Sie können gerne sehr viele Exemplare kaufen und an alle Ihre Verwandten verschenken«, sagte er freundlich und ein wenig geschmeichelt.

Sie lachte und sagte: »Find ich ja toll, dass Sie einfach so mit Ihrem Hund hier spazieren gehen.«

»Was soll ich denn sonst machen?«, fragte er verwundert.

»Na, Leute wie Sie gehen doch sonst nicht wie normale Leute in den Park.«

Sie hielt ihn tatsächlich für einen Promi. Ihn, Mattes Reuter, der fast aus dem Nichts auf den Sessel des Chefredakteurs gekommen war, dessen erstes Heft morgen erst erscheinen würde, der aber im Fernsehen aufgetreten war. In seinen Augen hatte er mehr mit dem Hauptmann von Köpenick gemeinsam als mit einem erfolgreichen Promi. Ein Auftritt als Talkshowgast hatte gereicht, um ihn in die Riege der Prominenten zu erheben. Wenn er ehrlich war, war das kein schlechtes Gefühl. Er konnte sich gut vorstellen, wie es in der Zukunft ablaufen würde, wenn er mit Mina durch den Park ging. Die Leute würden verstohlen rübergucken, sich anstupsen und flüstern: »Da geht Mattes Reuter, der Mann, der das unglaublich erfolgreiche Hundemagazin macht!« – Ja, das hätte was. Die aufgeregte, rotgesichtige Frau neben ihm würde jedenfalls gleich sehr vielen anderen Leuten stolz erzählen, dass sie ihn getroffen hatte. Er konnte nur hoffen, dass die nicht alle blöd fragen würden: »Wen? Nie gehört.«