Neun

Onsdag, 9. Februari – Fredag, 11. Februari

Wachtmeister Flunk klopfte an Hauptkommissar Bubbles’ Bürotür. «Chef, eben haben wir die Niemand-Akte von unseren Freunden bei der Gestapo bekommen.»

Bubbles räusperte sich. «So heißt die deutsche Geheimpolizei heutzutage nicht mehr, Flunk.»

Schweigend legte der Wachtmeister die Akte auf den Schreibtisch des Hauptkommissars und zog sich dann auf Zehenspitzen zurück.

«Flunk?»

«Ja, Chef?»

«Als Sie unsere deutschen Kollegen kontaktiert haben, haben Sie da diesen Begriff benutzt?»

«Chef, ich habe mich genau an die Form gehalten, die in Wie stelle ich Fragen, Anfragen und sonstige Ansuchen bei anderen europäischen Polizeikräften? abgedruckt ist.»

«Bringen Sie mir sofort dieses Buch her.»

Flunk kehrte mit dem vergilbten und stark eselsohrigen Band zurück. Bubbles blätterte durch ein paar Anfragemuster. «Lieber SS-Hauptsturmbannführer».

Er sah nach dem Copyright – 1941.

«Dieser Band ist sehr stark veraltet. Wo ist die neuere Ausgabe?»

Flunk zuckte mit den Schultern.

Bubbles fühlte, wie sein Blutdruck auf 172 zu 120 anstieg. Er nahm den Folder mit der Zeitschiene der politischen Auswirkungen aus der obersten Schreibtischschublade. In zwei Stunden würde der Anruf aus dem Büro des Premierministers kommen. Eine Stunde später der Artikel im Aftonbladet. Dreißig Minuten danach die offizielle Protestnote der deutschen Regierung sowie ein geharnischter Kommentar des deutschen Botschafters. Dann folgte die abendliche Pressekonferenz mit Bubbles’ demütiger Entschuldigung. Die Leitartikel der Morgenzeitungen würden seine Entlassung fordern. Um Punkt zehn Uhr vormittags käme dann der offizielle Versöhnungskuss und die Beilegung der Angelegenheit durch den deutschen Botschafter und den schwedischen Außenminister. Vierundzwanzig Stunden reinste Hölle.

Wahrscheinlich sterbe ich an einem Herzinfarkt, längst bevor ich ein Häuschen in Grönland habe.

Bei geschlossener Bürotür und mit einem vorsorglich aufgeschraubten Fläschchen Pepto-Bismol auf dem Schreibtisch sah sich Bubbles die Akte vom Bundesnachrichtendienst an. Sie bestätigte, dass Reinhard Niemand Ronnis eineiiger Zwilling war. Ebenso wie Ronni litt Reinhard an angeborener Schmerzunempfindlichkeit, und auch er hatte sich im griechisch-römischen Ringkampf versucht, allerdings ohne den Erfolg seines Bruders. In der Berufsschule hatte er eine Ausbildung als Koch angefangen, die er jedoch abbrechen musste, nachdem er sich mehrere Male selbst angezündet hatte, ohne es zu bemerken. Anschließend hatte er Schreinermeister werden wollen, doch nach einer kurzen Lehrzeit bei einer UKEA-Filiale in Hamburg wurde er entlassen, weil er anscheinend die Neigung hatte, sich versehentlich Knochen und Organe durchzusägen. Anschließend hatte er ein paar kleine Jobs für seinen Vater erledigt – er hatte ihm geholfen, ein Wochenendhaus an einem See instand zu setzen und die Leichen mehrerer russischer Prostituierter zu entsorgen – doch davon abgesehen war er unauffällig geblieben. Die Deutschen hatten keinerlei Informationen über seinen Aufenthaltsort in den vergangenen beiden Jahren.

Bubbles nahm einen Schluck von dem Säureblocker und ließ sich den Fall durch den Kopf gehen. Die Schlussfolgerung, die er ziehen musste, gefiel ihm überhaupt nicht. Bis zu diesem Moment war er von der Annahme ausgegangen, dass er es mit zwei unterschiedlichen Fällen zu tun hatte. Der eine drehte sich um Mord durch Enthauptung an zwei Autoren: der erste eine anerkannte Autorität auf dem Forschungsgebiet des Baltischen Störs; der zweite ein unveröffentlichter Autor schlechter Krimis. Dennoch verband die beiden eine weit zurückreichende Gefühllosigkeit gegenüber Frauen. Die Angreiferin, eine selbsternannte feministische Rächerin, befand sich in Haft. Fall anscheinend abgeschlossen.

Der zweite Fall betraf einen Rentier-Ripper. Auch wenn er beunruhigend war, so schien er doch unkompliziert. Serien-Rentiermörder brachten gerne Rentiere um, so einfach war das. Bubbles dachte an eine Vorlesung, die er einmal am Königlich Kriminaltechnischen Institut für psychologisches Profiling von Serien-Rentiermördern gehört hatte. Der Vortragende, einer der meistgeachteten Experten für rentierbezogene Gewalt in ganz Skandinavien, führte aus, dass sich die meisten dieser Mörder in drei Gruppen einordnen ließen: diejenigen, die in ihrer Kindheit eine schlimme Erfahrung mit einem Rentier gemacht hatten, diejenigen, die einen verfehlten Weihnachtsmann-Hass loswerden wollten, und diejenigen mit einer perversen sexuellen Fixierung auf Geweihe. Bubbles erinnerte sich lebhaft an die Schlussfolgerung des Redners: «Rentierschlitzen ist ein Verbrechen, das zwanghaft erfolgt und nicht logisch begründet ist. Wir haben es also mit Menschen zu tun, die nicht für ihren Vorteil oder ihren Gewinn morden, sondern weil sie nicht anders können. Ihr Lebenszweck ist es, Rentiere zu ermorden.»

Jetzt, wo er einen Verdächtigen hatte, begann Bubbles an dieser These zu zweifeln. Ronni Niemand war ein heimtückischer, methodisch vorgehender Auftragskiller gewesen und kein Serienmörder. Ganz im Gegenteil. Er hatte ohne Reue getötet, brutal und häufig, aber immer zweckorientiert. Wenn Reinhard seinem toten eineiigen Zwillingsbruder auch nur entfernt ähnelte, dann war er wahrscheinlich eher ein 2 Meter 13 großer Soziopath mit Gendefekt als ein Serien-Rentiermörder. Außerdem passte die Faktenlage nicht. Reinhard war Deutscher. In Deutschland gibt es keine Rentiere. Er passte einfach nicht in das Profil eines Rentier-Rippers.

Doch viel beunruhigender war die Verbindung zu Lizzy Salamander. Sowohl Salamander als auch Niemand waren Kinder Dmitri Kalashnikovs. Unter Anwendung der transitiven Abhängigkeitslehre folgte daraus, dass Niemand Salamanders Halbbruder war. Wenn er auch wusste, dass es unwahrscheinliche Zufälle gab, so sagte Bubbles’ Gefühl doch etwas anderes. Also musste sich der Hauptkommissar zum ersten Mal mit der unwillkommenen Tatsache auseinandersetzen, dass die beiden Mordserien, die er die ganze Zeit für unzusammenhängend gehalten hatte, in Wahrheit miteinander in Verbindung standen. Und wenn die Morde tatsächlich zusammenhingen, dann fehlte ihm ein sehr großes Puzzleteil. Eigentlich musste man sogar sagen, dass das Puzzle selbst fehlte. Bubbles hatte nicht mehr als ein paar wenige Puzzleteile. Und die würde er nun noch genauer untersuchen müssen. Angefangen mit dem Überwachungsvideo von Arssens Enthauptung.

 

«Ah, Herr Blomquvist, bitten kommen Sie herein.» Dagher Ukea streckte ihm zum Gruß seine längliche, makellos manikürte Aristokratenhand entgegen.

«Blomberg.»

«Ach ja, ich hatte Ihre jüngsten Entdeckungen zu Ihrer völkischen Zugehörigkeit vergessen.» Ukea lächelte frostig und ließ dabei seine ungewöhnlich weißen und rasiermesserscharfen Schneidezähne sehen. Sein Büro wirkte irgendwie größer als in Blombergs Erinnerung – eher wie knapp 40 Quadratmeter. Vielleicht hat er die Decke erhöhen lassen. An der Wand hingen gerahmte Fotos von UKEA-Klappstühlen.

«Es ist jedenfalls», fuhr Ukea fort, «eine Überraschung, Sie wiederzusehen.»

«Und weshalb?»

Ukea lachte. «Ich hätte schließlich denken können, dass Ihnen in der Zwischenzeit ein tödlicher Unfall zugestoßen ist.»

Eine merkwürdig aggressive Antwort.

Ukea starrte Blomberg aus seinem polareisblauen Auge eisig an. Das andere Auge war mit einer Augenklappe verdeckt, ebenfalls etwas Neues.

«Es sieht mehr danach aus, als hätten Sie einen Unfall gehabt», stellte Blomberg fest.

«Ein kleines Missgeschick bei einem Ausflug zum Eisfischen.»

«Wollten Sie den Baltischen Stör fangen?»

Ukeas gutes Auge verengte sich. «Wie Sie wissen, Herr Blomberg, ist der Baltische Stör vom Aussterben bedroht. Wir waren vielmehr hinter dem Judenfisch her.»

«Den man heutzutage Zackenbarsch nennt.»

«Zugegebenermaßen bin ich nicht auf der Höhe der aktuellsten politisch korrekten Fische-Nomenklatur.»

«Und Zackenbarsche kommen weder in der Ostsee noch in der Nordsee vor.»

«Ah, das erklärt vielleicht, warum wir nur so wenige gefangen haben.» Unvermittelt schnellte Ukea auf seinem «UKEA-Master of the Universe»-Lederdrehsessel vor. «Kommen Sie, Herr Blomberg, ich bin ein sehr beschäftigter Mann. Ich muss heute noch die gesamte Herbstkollektion unserer Modulsofas begutachten. Sie haben fünfzehn Minuten.»

Modulsofas, die ursprünglich von Adolf Hitler entworfen worden waren?

Blomberg behielt die Frage für sich. Es war sinnlos, eine Auseinandersetzung zu provozieren. Das würde nur dazu führen, dass Ukeas Kooperationsbereitschaft noch weiter abnahm. In genau diesem Augenblick öffnete sich die Tür des weitläufigen Büros, und herein trotteten zwei riesenhafte Mastiffs. Sie positionierten sich rechts und links von Ukeas Schreibtisch und knurrten Blomberg an.

«Ich hoffe, meine Hündchen stören Sie nicht, sie heißen Pupsö und Furzö.»

«Nicht im Geringsten. Und wo wir gerade von Modulsofas sprechen; ich suche eines für mein Wohnzimmer. Ich liebe meine alte UKEA-Couch zwar immer noch, aber sie ist inzwischen ein bisschen abgewetzt. Sie war aus der Bergman-Linie, das Siebente-Siegel-Sofa. Sie wissen schon, der Tod und der Ritter auf einem Schachbrettmuster, auf dem man den Schmutz kaum wahrnahm.»

Ukeas Miene hellte sich auf. «Ich erinnere mich sogar sehr gut daran. Nur unsere Strindberg-Kollektion war noch erfolgreicher als die Bergman-Linie. Bedauerlicherweise sind die jungen Leute heutzutage an Klassikern kaum noch interessiert. Jetzt müssen wir die Bu-und-Bä-Generation ansprechen.»

Bei der Erwähnung von Bu und Bä wurde Blomberg knallrot.

«Ich vermute aber, Herr Blomberg, dass Sie heute nicht gekommen sind, um über Modulsofas zu diskutieren.»

«Stimmt. Wie Sie wissen, stelle ich ein paar Nachforschungen für die Familie Arssen an.»

«Ich dachte, die Polizei hat diesen Fall gelöst.»

«Ehrlich gesagt bin ich mir da nicht so sicher.» Blomberg rutschte nach vorn auf die Stuhlkante. «Können Sie sich an eine Angestellte namens Chamelea Salamander erinnern?»

Er beobachtete Ukea genau, um festzustellen, wie er auf die Erwähnung Chameleas reagierte. Doch der Firmenboss verzog keine Miene.

«Ja, natürlich. Salamander hat als Grafikdesignerin in der UKEA-Filiale von Hultsfred in Småland gearbeitet, und zwar von 2004 bis 2007, wenn ich mich nicht irre. Sie hat einen sehr schönen Entwurf für unseren beliebten Finnbad-Duschvorhang gemacht.»

Blomberg versuchte nicht, seine Überraschung zu verbergen. «Doktor Ukea, UKEA muss weltweit mehr als 125 000 Angestellte haben. Ich finde es höchst bemerkenswert, dass Sie sich so gut an eine Grafikdesign-Anfängerin erinnern.»

Ukea lachte ohne erkennbare Boshaftigkeit. «Herr Blomberg. Sie haben von 125 000 Angestellten gesprochen. Tatsächlich lautet die exakte Zahl 127 312. Heute Vormittag mussten wir leider einen Mann aus der Vertriebsabteilung in Sri Lanka feuern, der eine Badezimmerlampe gestohlen hatte, aber glücklicherweise wurde dieser Verlust durch die Anstellung von fünf neuen Mitarbeitern für die Harmonie-im-Schlafzimmer-Linie mehr als ausgeglichen, die in Malaysia hergestellt wird. Es gehört zu meinen Aufgaben, so viel wie möglich über jeden einzelnen Angestellten zu wissen. Das war das Credo meines Vaters Sløber Ukea bei der Unternehmensgründung. Er glaubte fest an eine neue Form des Kapitalismus.»

Aus einer der oberen Schreibtischschubladen nahm Ukea einen Anstecker und reichte ihn Blomberg.

UKEA: Globaler Kapitalismus mit einem

«Darf ich das behalten?»

«Selbstverständlich. Hier, nehmen Sie noch ein paar mehr.»

«Erzählen Sie mir von Sløber.»

«Mein Vater war ein großer Mann, ein echter Visionär. Er glaubte an das, was er den dritten Weg nannte. Als er UKEA gegründet hat, war Schweden in zwei Gruppen gespalten. Auf der einen Seite standen leidenschaftliche Nationalkapitalisten, die aus Schweden eine globale Supermacht wie die USA machen wollten. Und auf der anderen waren die Kommunisten, die den schwedischen Staat am liebsten gleich ganz abgeschafft und Europa in ein einziges riesiges Arbeiter-Kollektiv verwandelt hätten. Mein Vater glaubte an die Möglichkeit, diese beiden widerstreitenden Positionen miteinander zu versöhnen. Sein Traum war es, den Ansatz der Sozialisten, mit dem sozialökonomische Unterschiede angeglichen werden sollten, mit der fremdenfeindlichen Vaterlandsliebe der Nationalisten zu verbinden.»

«Nennt man das nicht Nazismus?»

«Möglich», sagte Ukea. «Aber Sløber hat immer den Standpunkt vertreten, dass wir das Gute am Nationalsozialismus nicht automatisch zusammen mit dem Schlechten ablehnen sollten. Er sagte immer: ‹Warum sollte man die wundervollen Berliner Straßenlampen von Albert Speer zerstören, nur weil sie den Weg zum Völkermord beleuchtet haben?›»

Blomberg riskierte lieber keine Antwort.

«Also habe ich versucht, der Gründungsvision meines Vaters treu zu bleiben und sie zugleich den Gegebenheiten des einundzwanzigsten Jahrhunderts anzupassen. Ich glaube, Sløbers Traum, aus Schweden eine globale Supermacht zu machen, ist nicht mehr zu verwirklichen. Dazu ist die Konkurrenz Islands mit seinen geothermischen Energiequellen und Norwegens mit dem Nordseeöl zu groß. Aber wir sind immer noch von einer Form des Kapitalismus überzeugt, in der nicht bei jedem kleinen Umsatzrückgang der Personalbestand geschrumpft wird, sondern das Kollektiv die Probleme auffängt. Deshalb ermutigen wir auch hier bei UKEA unsere Angestellten, zusammen Ski zu fahren, zusammen Tennis zu spielen, zusammen bei UKEA einzukaufen und im Fünfhundert-Meter-Umkreis einer UKEA-Filiale zu wohnen.»

«Ermutigen Sie die Leute dazu, oder bestehen Sie darauf?»

«Wir glauben, das ist ein und dasselbe. Auch das ist einer der Grundsätze der UKEA-Philosophie. Und deshalb garantieren wir hier in Schweden auch all unseren Angestellten eine komplette Gesundheitsversorgung und Bildungsförderung.»

«Aber diese Versorgungsleistungen werden doch schon vollständig vom Staat finanziert.»

«Das stimmt.»

«Und in anderen Ländern?»

«Leider können wir solch exorbitante Kosten nicht schultern. Und natürlich haben wir es in unseren eher instabilen Kundenstaaten mit sehr heiklen politischen Situationen zu tun. Aber wir garantieren unseren Angestellten in jedem Land, in dem UKEA tätig ist, ohne Ansehen von Alter, Geschlecht oder Rasse die konkurrenzfähigsten Sklavenlöhne. Und zusätzlich erhalten unsere Angestellten an den Feiertagen kostenlose T-Shirts.»

Ukea zog ein T-Shirt vom letzten Weihnachtsfest aus seinem Schreibtisch.

UKEA: Globaler Kapitalismus mit einem

«Darf ich das auch behalten?»

«Ich fürchte, das ist mein letztes …»

Sieht nach einem Polyestergemisch aus.

«Und unsere Leistungsbereitschaft geht weiter als nur bis zu den Feiertags-T-Shirts. Wir pflegen außerdem die langjährige Sitte, all unseren Angestellten zu jedem zehnten Jahrestag ihrer Betriebszugehörigkeit ein attraktives Kissen mit Rentier-Motiv zu schenken. Unser Dienstjahrzehnt-Kissen ist ein begehrtes Stück, ein Zeichen des dauerhaften Engagements für das Firmenkollektiv. Möchten Sie einmal eines sehen?»

«Ja, bitte.»

Ukea nahm ein Kissen aus seinem Schreibtisch. Dieser Schreibtisch hat ja eine Menge Geheimfächer. Das viel zu dick ausgestopfte Kissen zeigte ein Rentier, das unter einem Baum graste. Blomberg musste zugeben, dass das Dienstjahrzehnt-Kissen im Vergleich zu dem T-Shirt ziemlich gut aussah. Es wäre ein hübsches Accessoire für seine Bömshüttå am Poppensee. Auf einmal hatte er vor Augen, wie sich das Kissen unter Erotikkas wohlgeformten Pobacken ausmachen würde. Fester, Stiggi, spieß mich mit deinem starken Wikingerpfahl auf! Blomberg blinzelte.

«All dies, Herr Blomberg, gehört zu unserem Firmenethos. Deshalb unterhalten wir auch ein hochmodernes Gesundheitszentrum auf unserem Gelände.»

«Das UKEA-Heim für Arbeitsplatzversehrte und geisteskranke Straftäter unter den Angestellten?»

«Ganz recht.»

«Ist das die Einrichtung, in die Twig Arssens Großvater eingewiesen wurde und in der er bis auf den heutigen Tag sitzt?»

«Ich denke schon. Und es betrübt mich, sagen zu müssen, dass auch Fröken Salamander unsere Klinik von innen kennengelernt hat. Das ist ein weiterer, weniger erfreulicher Grund, aus dem ich mich so außergewöhnlich gut an ihre Zeit bei UKEA erinnere.»

«Chamelea Salamander wurde auch dort eingewiesen?»

«Ich glaube, sie war etwa ein Jahr lang in unserer Psychiatrie.»

«Weshalb?»

«An dieser Stelle lässt mich mein Gedächtnis vollkommen im Stich.»

So viel zu außergewöhnlich guten Erinnerungen.

«Also ist Chamelea Salamander zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bei Ihnen angestellt?»

Ukea riss die Augen auf. «Angestellt? Herr Blomberg, schon die bloße Vorstellung ist vollkommen grotesk.» Er lachte auf, um seine Meinung zu unterstreichen. Die Mastiffs jaulten dazu im Chor. «Ehrlich gesagt, man kann sogar davon ausgehen, dass ich, falls Chamelea Salamander plötzlich in meinem Büro auftauchen würde, um mein Leben fürchten müsste.»

«Und warum?»

«Herr Blomberg, die Herbstkollektion der Modulsofas ruft mich. Ich war ganz offen zu Ihnen. Ich schlage Ihnen vor, weitere Nachforschungen in unserem Firmenarchiv anzustellen. Ich nehme an, Sie kennen sich in dieser Einrichtung bereits aus. Und bitte vergessen Sie Ihre Anstecker nicht.»

 

Hauptkommissar Bubbles sah sich zum zwanzigsten Mal das Überwachungsvideo mit Arssens Enthauptung an. Dann nahm er sein Reiseschachspiel und sein MENSA-Rätselbuch und machte sich auf den Weg zu Salamanders Zelle.

Er traf sie mit Wachtmeister Snorkkle an. Sie saßen im Schneidersitz auf dem Fußboden.

«Was ist hier los?»

«Die Nutte zeigt mir, wie man Apps auf mein iPhone lädt. Meine Frau hat mir ein iPhone zu Weihnachten geschenkt, das ist unsere Entsprechung zu Ihrem Chanukka-Fest.»

«Ich weiß, was Weihnachten ist, Wachtmeister.»

«Aber ich habe es eigentlich immer nur zum Telefonieren und für SMS benutzt. Jetzt ist es voll ausgerüstet. Testen Sie mal diese App.»

Snorkkle zeigte dem Hauptkommissar eine Anwendung, die das iPhone in ein GPS-Navigationssystem mit Routenführung verwandelte.

«So etwas kenne ich schon», sagte Bubbles.

«Na gut, dann probieren Sie IncrediBooth aus. Sehen Sie, man kann die Frontkamera benutzen, um Retro-Fotos wie von einem alten Passbildautomaten zu machen. Kommen Sie, wir machen ein Foto.»

Die drei drängten sich für ein Foto zusammen.

«Hey, Schwachkopf», sagte Salamander, «du hältst das iPhone falsch herum.»

«Oh, in Ordnung. So, alle sagen Omelett

Bubbles sah sich das Bild an. Snorkkle grinste breit, Bubbles hatte automatisch gelächelt, und Salamander schaute finster drein. Die Auflösung ist viel besser als bei meinem BlackBerry.

«Sollen wir noch eins machen?»

«Vielleicht später.»

«Die hier ist mein Favorit, Chef. Sie heißt I Love Katamari – total krankes Zeug. Hier, Sie sind der kleine Alien-Zwergprinz, und Sie rollen den Katamari-Ball, an dem alles kleben bleibt, durchs Universum, und versuchen, mit dem Ball so viel Zeug wie möglich einzufangen. Neigen Sie einfach das iPhone, ja, genau. Und weichen Sie dem Hund nicht aus. Sie können mit Ihrem Katamari einfach alles aufrollen. Sie sollten mal sehen, wie die Nutte das spielt. Ihr Punkterekord liegt bei ungefähr einer Milliarde.»

«Über einer Milliarde», stellte Salamander klar.

«Ich bin noch nicht mal bei einer Million», sagte Snorkkle. «Aber ich steigere mich.» Das bestätigte Salamander mit einem Nicken. «Und dann lassen wir es Flunk versuchen. Der Trottel kapiert bestimmt nicht mal, wie man den Mülleimer mitnimmt.»

Erstaunt wurde Bubbles Zeuge eines kurzen gemeinsamen Gelächters von Salamander und Snorkkle.

«Und was kosten diese Apps?»

Snorkkle starrte auf den Boden. «Also … die Gefangene hat herausgefunden, wie man sie downloaden kann, ohne zu bezahlen.»

Bubbles funkelte Snorkkle wütend an.

«Das sind nur Demoversionen, Chef. Ich schwöre, dass ich dafür bezahle, wenn ich mich entscheide, sie auf meinem iPhone zu behalten.»

«Na gut, Wachtmeister. Und jetzt würde ich gern, sofern Sie nichts dagegen haben, mit Fröken Salamander allein sprechen.»

«Natürlich, Chef.»

Snorkkle und die Gefangene verabschiedeten sich.

«Bis später, Nutte.»

«Bullenschwein.»

Bubbles ließ sich ungeschickt im Schneidersitz auf dem Boden nieder. «Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich mich zu Ihnen setze.»

«Sie sind der Polizist, also können Sie machen, was Sie wollen.»

«Es freut mich, dass Sie mit Wachtmeister Snorkkle jetzt besser zurechtkommen.»

«Das Bullenschwein ist in Ordnung. Er hat auch aufgehört, mir mit Analvergewaltigung zu drohen.»

«Ich bin sicher, das war nur ein Scherz.»

Salamander zuckte mit den Schultern.

«Ich habe das Schachspiel mitgebracht.»

Salamander machte große Augen. Sämtliche Spiele und Logikrätsel hatten in dem Moment aufgehört, in dem das Cowgirl-Video auf der offiziellen Webseite der Polizei und auf YouTube aufgetaucht war. Und sie waren auch nicht wieder aufgenommen worden, nachdem sie das Video von der Webseite gelöscht hatte.

«Möchten Sie eine Partie spielen?», fragte Bubbles.

«Okay.»

Wie immer spielte Salamander mit Schwarz. Die ersten Züge der Partie waren eintönig, doch sie nahm eine interessante Wendung, als sich Salamander für die Nimzo-Indische Verteidigung entschied.

Eigenartig. Warum hat sie kein Benkö-Gambit gemacht?

Zu Bubbles’ Unmut begann Salamander zwischen den Zügen Twinkies zu essen. Sie schien sie ungekaut am Stück hinunterzuschlingen.

«Das lenkt ziemlich ab.»

Salamander antwortete nicht. Sie hatte den Mund voll.

«Essen Sie noch etwas anderes außer Twinkies?»

«Pizza.»

Sie deutete auf einen Stapel Big-Bill’s-Pizzakartons in einer Ecke ihrer Zelle.

«Nicht gerade eine gesunde Ernährung.»

«Ich habe einen schnellen Stoffwechsel. Und trainiere sehr viel.» Sie schob den Ärmel ihres schwarzen T-Shirts über die Schulter und ließ bedrohlich ihren Bizeps spielen. Vor dem 50-Zoll-Bang-&-Olufsen-Flatscreen, den sie sich in die Zelle bestellt hatte, stand ein Precor-EFX-5.37-Crosstrainer.

«Trainieren hilft auch nur bis zu einem bestimmten Punkt. Wann haben Sie das letzte Mal Ihren Blutzuckerspiegel und Ihre Fettwerte bestimmen lassen?»

«Ist doch egal.»

«Nein, das ist nicht egal, Fröken Salamander. Sie werden bald dreißig. Sie dürfen Ihren Körper nicht weiter so missbrauchen, als wären sie immer noch ein Kind in einer Zwangsjacke.»

Salamander starrte finster vor sich hin; offensichtlich nervte sie die Tatsache, dass Bubbles über ihren bevorstehenden Geburtstag Bescheid wusste.

«Und wissen Sie noch etwas?», sagte Bubbles.

Salamander sagte nichts. Bubbles quittierte ihr Schweigen geduldig und mit verschränkten Armen. Schließlich sah sie auf. «Was denn, Bulle?»

«Ich habe in Ihrer Akte gelesen, dass eine Menge Leute glauben – sogar intelligente Leute –, dass Sie das Asperger-Syndrom haben. Aber ich glaube das nicht.»

«Nein?»

«Nein. Erstens wird Asperger im neuen DSM-Handbuch psychischer Störungen nicht mehr als eigenständige Störung aufgeführt. Es wird dem Autismus zugeschlagen, ist nicht anderweitig spezifiziert. Aber das ist nicht das Wichtigste. Die Leute halten Sie für autistisch, weil Sie Probleme damit haben, Beziehungen zu anderen Menschen zu knüpfen, und in der Lage sind, im Kopf vierstellige Zahlen zu multiplizieren. Aber das sind nur einzelne Aspekte des Autismus. Autisten haben Schwierigkeiten, menschliches Verhalten zu bewerten; sie verstehen die Seelenzustände von anderen nicht. Das trifft auf Sie überhaupt nicht zu. Im Gegenteil. Sie sind sogar bemerkenswert scharfsinnig und einfühlsam im Umgang mit anderen. Sie wissen ganz genau, was in den Köpfen der Leute um Sie herum vorgeht, und Sie können mit verblüffender Genauigkeit voraussagen, wie jemand reagieren wird. Und Ihr strategisches Denken ist überragend.»

«Ist das wahr?»

«Das ist es. Ihr Problem, Fröken Salamander, ist nicht angeboren, es ist entwicklungspsychologisch zu erklären. Sie sind wie ein Wolfskind, wie Kaspar Hauser oder der Wilde von Aveyron. Sie wurden in Ihrer frühen Kindheit traumatisiert, und als Folge davon wurden Sie zu einem extrem verschlossenen Menschen, der niemanden an sich heranlässt. Ihre Vorsicht war eine vollkommen vernünftige Reaktion auf die traumatischen Erlebnisse in Ihrer Kindheit. Jetzt aber wissen Sie nicht, wie Sie diese Abwehrstrategie beenden können. Sie kennen sich nur damit aus, Leute auf Abstand zu halten. Sogar Leute, die es gut mit Ihnen meinen.»

«Hören Sie mit der Psychologisiererei auf, Bulle.»

«Ich will Sie nicht analysieren, Fröken Salamander. Ich wollte nur sagen, dass ich glaube, Sie zu verstehen. Ich hatte auch nicht gerade die glücklichste Kindheit. Es stimmt, ich habe nie mit angesehen, wie meine Mutter bis zur Bewusstlosigkeit geprügelt wurde, meine Geschwister haben mich nie lebendig begraben, und ich habe nie jemanden aus meiner unmittelbaren Familie angezündet. Dafür wurde ich aber unter großen Druck gesetzt, Medizin zu studieren, obwohl ich keinerlei Interesse daran hatte, Arzt zu werden. Ich weiß also, dass diese Verletzungen aus der frühen Kindheit fürs ganze Leben Narben hinterlassen können.»

«Okay, Bulle, das reicht jetzt.»

«Man kann es sich nur allzu leicht vorstellen: ein kleines Mädchen, ein sensibles kleines, hochbegabtes Mädchen, das nichts weiter will, als von ihrer moder und ihrem fader geliebt zu werden, muss stattdessen schreckliche Szenen mit ansehen, grauenvolle Szenen, Szenen, die kein Kind jemals mit ansehen sollte. Und einfach um zu überleben, und nicht irgendwo, sondern auch noch in Schweden, muss es ausgefeilte Verteidigungsanlagen um sich herum aufbauen, Bollwerke des Selbstschutzes, damit es weiter funktionieren kann und auch, um die Welt draußen zu halten, denn niemand soll das Mädchen noch einmal so furchtbar verletzen können, wie es als Kind verletzt wurde.»

«Stopp!»

Bubbles ließ es dabei bewenden. Doch er hatte bemerkt, dass Salamander, während er sprach, mehrere zunehmend unsichere, sogar schwache Züge gemacht hatte, bei denen sie zuerst einen Bauern verloren und dann die überlegene Brettposition geopfert hatte. Sie hielt ihren Blick auf das Schachbrett geheftet, doch das half nichts, ebenso wenig wie ihr fünftes Twinkie. Durch einen haarsträubenden, vollkommen untypischen Schnitzer verlor sie den Läufer ihrer Königin, und drei Züge später gab sie auf.

«Glückwunsch, Bulle. Es ist Ihnen gelungen, meine Konzentration zu stören. Wie wollen Sie Ihren Sieg feiern?»

«Wenn Sie es so sehen, Fröken Salamander: Wären Sie so nett, Ihr T-Shirt auszuziehen und sich umzudrehen?»

 

«Das nennen Sie ein Modulsofa?», brüllte Dagher Ukea.

Die Mitglieder des Sofa-Designteams waren um einen Konferenztisch im unterirdischen Top-secret-Designstudio von UKEA versammelt. Jedes Teammitglied war auf Smartphones, Kameras und andere elektronische Geräte gefilzt worden, bevor ihm die Erlaubnis zum Betreten des Studios erteilt worden war.

«Tut mir leid, Boss.» Der Leiter des Sofa-Designteams wurde totenbleich. Die anderen sieben Mitglieder des Teams zitterten vor Angst auf ihren Stühlen.

«Es tut Ihnen leid?», schrie Ukea und versprühte dabei Speicheltröpfchen. «Das sieht aus, als wäre es von Danish Inspirations entworfen worden!»

Ein Teammitglied schluchzte leise in sich hinein.

«Kein Wunder, dass wir Marktanteile verlieren», wetterte Ukea. «Wer würde gerne auf diesem Sofa sitzen? Doch höchstens ein krankhaft fetter Amerikaner!»

«Das ist ja auch unsere Zielgruppe», wagte sich der Leiter des Sofateams vor.

«Nein! So geht das nicht bei UKEA. Wie lautete Sløbers Credo?»

«‹Ein Sofa, auf dem alle sitzen können›», kam die Antwort im Chor.

«Und was heißt alle

«‹Von einem zierlichen Chinesen bis zu einem abstoßenden Texaner›», riefen sie.

«Und warum haben Sie dann so eine Monstrosität entworfen?»

Niemand wagte es, Ukeas wütendem einäugigem Blick zu begegnen.

«Und was gibt es Neues von der Bettwäsche?», schnappte er.

Eine Designerin am anderen Ende des Tisches räusperte sich. «Wie Sie wissen, Chef, gehört die Bettwäsche zu unseren jüngeren Angeboten. Offensichtlich dauert es eine Weile, bis eine neue Produktlinie etabliert werden kann. Wir sind zwar recht zufrieden mit den Fortschritten, die wir bei den Kopfkissenbezügen und den Spannbetttüchern gemacht haben, aber …»

«Kommen Sie endlich zur Sache!»

«Bei den Bettbezügen und den Bettlaken sind wir noch im Hintertreffen.»

«Warum?!»

«Das können wir nicht genau sagen. Anscheinend haben wir Probleme damit, die Kunden von Marimekko wegzulocken.»

Die Erwähnung Marimekkos ließ schlagartig Stille im Raum einkehren. Alle Blicke richteten sich auf Ukea. Er rotierte geradezu auf seinem Drehstuhl; sein Auge rollte in der Höhle zurück, sodass nur noch das Weiße zu sehen war.

«Nennen Sie nie …», zischte er.

«Ja, Chef.»

«… NIEMALS MEHR …»

«Bitte, Chef, es tut mir wirklich leid.»

«… diesen Namen in meiner Gegenwart.»

«Ich garantiere Ihnen, es wird nicht mehr vorkommen.»

«Auf jeden Fall werden Sie es nicht mehr tun. Sie sind gefeuert

Die Designerin nahm die Kündigung unbewegt hin. Den Unternehmensvorschriften folgend, ließ sie ihre Aktentasche und alle Papiere auf dem Tisch liegen, zog sich bis auf Schlüpfer und BH aus und verließ schweigend den Konferenzraum. In Ukeas zwanzig Jahren als Vorstandsvorsitzender war noch niemals ein männlicher leitender Angestellter entlassen worden. Im Gegensatz zu den 788 weiblichen Führungskräften, die man rausgeworfen hatte. Und noch einige mehr waren einfach verschwunden und nie wieder aufgetaucht.

«Und was gibt es von den Arbeitsplatten?», fragte Ukea leise.

Sämtliche Berichte waren schlecht. Wandpaneele, Möbelgriffe, Gardinenstangen – nichts lief mehr. Und das lag nicht nur an der Weltwirtschaftskrise. Die Designs waren grauenhaft, die Materialien billig und die Ausführungen minderwertig. Natürlich stand das alles im Einklang mit Ukeas sorgfältig und langfristig ausgearbeitetem Masterplan. Einige Jahre zuvor nämlich hatte Ukea ein amerikanisches Beraterteam angeheuert, dessen Mitglieder sich seit kurzem wieder auf freiem Fuß befanden. Das Team hatte einen Geheimbericht erarbeitet, dessen Schlussfolgerung lautete:

 

UKEA steht für Qualität zu moderaten Preisen. Die Marktforschung legt nahe, dass wir aus unserem Ruf Profit schlagen können, indem wir Letztere erhöhen, während wir Erstere senken.

 

Also wurde die Abteilung für Qualitätskontrolle aufgelöst, Forschung und Entwicklung wurden dichtgemacht, die Designteams um 90 Prozent verkleinert und sämtliche Handwerksmeister auf ein abgelegenes Feld gebracht und erschossen. Nur dass jetzt, unerklärlicherweise, die Verkaufszahlen zu leiden begannen.

Erst eine Woche zuvor hatte der Leiter der Abteilung Unternehmensstrategie von UKEA mit Ukea über mögliche Reaktionen auf die rückläufigen Geschäftszahlen gesprochen. «Wir könnten, zumindest zeitweilig, den Masterplan umkehren.»

«Und was soll das genau bedeuten?», hatte Ukea gefragt.

«Preise reduzieren und die Qualitätskontrolle wieder einführen. Und ein paar Tischlermeister wieder einstellen.»

«Die liegen alle im Massengrab.»

«Wir könnten ja ein paar von Danish Inspirations kidnappen.»

«Unmöglich», giftete Ukea. «Wir müssen Sløbers Credo treu bleiben.»

«‹Sag einfach nein zu den Dänen!›», bellte der Leiter der Strategie-Abteilung.

Ukea erwähnte allerdings nicht, dass, selbst wenn die Umkehrung des Masterplans sinnvoll gewesen wäre, kein Geld dafür da war. Ukea war ein glühender Patriot, er war stolz darauf, Schwede zu sein. Er führte sogar bei der ultranationalistischen Vereinigung Sicherheit für Schwedens Ausländerhasser (SSH) den Vorsitz. SSH warb mit einfachen Botschaften: Es reicht mit der Einwanderung! Es reicht mit den fremden Einflüssen! Es reicht mit unmöglichen Sprachen, komischer Kleidung und exotischen Gewürzen! Finnen raus aus Stockholm! Norweger raus aus Uppsala!

Ukeas leidenschaftliche Liebe zu seinem Land erstreckte sich jedoch keineswegs auf die Steuergesetze. Mit den Jahren hatte er Milliarden von Kronen auf Dutzende überseeischer Konten auf den Kaimaninseln, in Costa Rica, Andorra, Vanuatu und Delaware geschleust. Die Konten liefen unter Decknamen auf ihn persönlich. Die Gelder hatte Ukea verwendet, um die Grundkosten seiner Lebenshaltung zu decken, einschließlich der Unterhaltung seiner fünfundzwanzig Yachten, vierzehn Luxusvillen, drei Privatjets und einer Flottille ausrangierter Kriegsschiffe. Um die Milliarden abzudecken, die er aus der Pensionskasse der Angestellten von UKEA herauszog, hatte Ukea die restlichen flüssigen Geldmittel in ein kompliziertes System narrensicherer, exotischer Wertpapieranlagen investiert, deren Renditesicherheit ihm von einem früheren Leiter der US-Notenbank garantiert worden war, der inzwischen die Ansprüche aus mehreren konkurrierenden lebenslänglichen Haftstrafen gleichzeitig bedienen musste. All diese Investitionen waren inzwischen nichts mehr wert.

Vermutlich hätte Ukea seine unschätzbare Kunstsammlung verkaufen oder seine Yachtflotte verkleinern können, aber er glaubte nun einmal nicht an private Notverkäufe, um eine Körperschaft öffentlichen Rechts zu retten. UKEA würde aus eigener Kraft aus diesem Loch klettern müssen, auch wenn es Ukea selbst gewesen war, der es gegraben hatte. Und deshalb war das Geld für einen Kurswechsel einfach nicht vorhanden.

Es sei denn natürlich, es käme vom schwedischen Staat. Das wäre wenigstens eine gerechte Lösung. Allerdings würden die Aussichten auf eine staatliche Rettung womöglich den Skandal nicht überleben, den es geben würde, falls jemals die Rolle Klein-Adolfs bei der Firmengründung aufs Tapet kam. Und jetzt musste sich Ukea auch noch um diese Chamelea Salamander und Mikael Blomberg kümmern. Wieder einmal fielen ihm die Worte seines Vaters Sløber ein: «Dagher, wenn es Probleme gibt, darf man aus einer Schneeflocke keine Lawine werden lassen. Sei proaktiv. Töte früh und oft.»

Ukea kehrte in sein Büro zurück und ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen. Seine Mastiffs spürten die Verstimmung ihres Herrchens. Sie winselten gottserbärmlich.

Mit einem Tastendruck auf sein Bürotelefon rief Ukea seine Sekretärin herein. «Anna, holen Sie mir meinen Auftragsmörder an den Apparat.»

 

Salamander zog ihr T-Shirt aus und wandte Bubbles den Rücken zu. Sie trug keinen BH.

«Wenn du mich in den Arsch ficken willst, Bulle, kannst du dann wenigstens ein Gleitmittel benutzen?»

«Fröken Salamander, also bitte. Nichts könnte mir fernerliegen.»

Salamander seufzte. Sie hätte erleichtert sein sollen, aber sie war es nicht. In all den Jahren schmerzvoller Erfahrung hatte sie gelernt, auf keinen Fall zuzulassen, dass der Täter seine Macht genießen konnte. Sie hatte gelernt, alles Unerträgliche komplett aus ihrem Bewusstsein auszusperren und stattdessen mit ihren Gedanken an einen weit entfernten Ort ihrer Phantasie zu reisen, wo Treiberameisen sich von den Geschlechtsorganen von Vergewaltigern, Sittenstrolchen und Kinderschändern ernährten.

Aber dieser Svenjamin Fucking Bubbles war eine Klasse für sich. Er war viel schlimmer als Mikael Fucking Blomberg. Blomberg war nur ein Arschloch, das sich für Mister Einfühlsam hielt. Bubbles dagegen war ein manipulatives Arschloch. Er versuchte ernsthaft, mit ihrem Verstand zu vögeln.

Es hatte mit den Schachspielen und gelegentlichen Matheaufgaben angefangen. Salamander wusste, dass das alles nur ein jämmerlich durchsichtiger Bullentrick war, um sie zum Reden zu bringen, aber es war seltsamerweise ziemlich wirksam gewesen. Sie hatte begonnen, sich auf ihre gemeinsamen Spiele zu freuen, und als er nach der Sache mit Jessie plötzlich nicht mehr gekommen war, hatte Salamander fast so etwas wie Bedauern gefühlt.

Tief im Innern hatte sie natürlich gewusst, dass er einer von diesen widerlichen Bullen war, die nur darauf warteten, muffige schwedische Küsse auf ihre schwarzgeschminkten Lippen zu drücken und geschmolzenes Wachs auf ihre muskulösen, jungenhaften Arschbacken tropfen zu lassen. Es war nur eine Frage der Zeit. Und bis dahin musste sie alles über SFB herausfinden. Sie hatte sich in seinen Computer gehackt, um darin massenweise ekelhafte und belastende Dokumente zu finden, riesige Mengen abstoßender Fotos und Filme, bei denen sie würgen musste. Miese Erpresserbriefe; Kontoauszüge, die eine lange Geschichte schäbiger Bestechungen und Schmiergeldzahlungen belegten; kranke E-Mails, aus denen hervorging, dass er kleine Mädchen verfolgt, Kollegen gefährdet und Prostituierte bedroht hatte; Videos, die unaussprechliche sexuelle Folter, eheliche Gewalt und Tierquälerei dokumentierten; Tausende von Fotos mit unter Drogen gesetzten und vergewaltigten Frauen und unglaublich detaillierte Pläne von seiner eigenen privaten Folterkammer im Keller, speziell eingerichtet für Quälorgien.

Blöderweise hatte sie gar nichts davon gefunden. Noch nie war ihr eine dermaßen langweilige Festplatte untergekommen. Sein Desktop hatte sie fast einschlafen lassen. Ein Ordner mit dem vielversprechenden Namen «Erhaltene Kronen» enthielt nur Dokumente von Bubbles’ Ehrenamt als Schatzmeister seiner Synagoge. Alle Spenden waren detailliert aufgelistet. Sein Girokonto war ausgeglichen. Die monatlichen Abzahlungen für das Haus waren bescheiden und wurden pünktlich geleistet. Sogar die Bücher aus der Bücherei gab er rechtzeitig zurück. Bei seinem Volvo S40 FWD war erst kürzlich das Öl gewechselt und der Reifendruck kontrolliert worden. Die Restaurantrechnungen bewiesen ein gewisses Interesse an exotischer Küche. Offenbar bestellte er gern vegetarische Gerichte und mochte holländisches Bier und belgische Schokolade. Er war Mitglied in einem Fitnessstudio, aber sie konnte keinen Hinweis darauf finden, dass er Anabolika nahm. Bei Amåzön.se hatte er neulich ein Buch mit dem Titel Historische Kriegsvorstöße bestellt, aber das stellte sich als Studie über König Gustav II. Adolfs kühnen Feldzug von 1625 während des Schwedisch-Polnischen Krieges heraus, infolge dessen Livland besetzt wurde. Er kaufte CDs von Edvard Grieg und Björk. Er trug Laufschuhe von Ecco. Das Einzige, was ein wenig aus dem Rahmen fiel, war die Fülle an Literatur über Grönland. Sogar ein Download mit einem Grönländisch-Kurs war dabei, Der Eskimo-Aleutische Dialekt in zwölf einfachen Lektionen. Aber sie konnte keine Spur von Geheimkonten bei Banken im Zentrum von Nuuk finden.

Bubbles hatte offenbar vorsichtshalber alle belastenden Dateien auf seinem Computer gelöscht. Der Bulle war schließlich schon ein gebranntes Kind, was ihre Weltklasse-Hackerfähigkeiten anging. Aber wo zum Teufel versteckte er seinen Dreck?

Salamander hatte fast triumphiert, als Bubbles ihr gesagt hatte, sie solle ihr T-Shirt ausziehen. Jetzt zeigt der Bulle endlich sein wahres Gesicht. Aber er spielte nur wieder seine Spielchen. Es war höchste Zeit, seinen Bluff aufzudecken. Salamander ließ ihre schwarzen Cargo-Pants auf den Boden fallen. Sie stieg aus ihrem schwarzen Höschen. Nackt bis auf die schwarzen Kniestrümpfe, wandte sie sich zu dem Kommissar um.

«Okay, Bulle. Na los. Fick mich. Aber mach schnell. Es gibt eine Sendung über Amy Winehouse um sieben, die ich nicht verpassen will.»

Bubbles hob Höschen und Cargo-Pants vom Boden auf und reichte sie ihr.

«Fröken Salamander, ich fürchte, Sie haben meine Absichten missverstanden.»

Salamander packte Bubbles beim Revers seines blaugelben Polizeijacketts und warf ihn auf ihr Bett. «Ich versteh dich nur allzu gut, Bulle. Jetzt mach schon. Fick mich.»

Wachtmeister Snorkkle hörte die verräterischen Geräusche eines heftigen Gerangels aus Salamanders Zelle. Mit gezogener Pistole stürzte er hinein. Die Gefangene saß rittlings auf dem Hauptkommissar und warf ihn wild hin und her.

«Soll ich ihr den Kopf wegpusten, Chef?», fragte Snorkkle.

«Nein, Wachtmeister», ächzte Bubbles. «Alles unter Kontrolle.»

«Ganz sicher, Chef? Oder soll ich das Geiselverhandlungsteam zusammenrufen?»

«Danke, Wachtmeister. Ich komme zurecht.»

Snorkkle hatte noch nie erlebt, dass eine nackte Gefangene seinen Chef derartig bearbeitete. Es erinnerte ihn an einen Dokumentarfilm über die schwedische Tierwelt, den er erst neulich auf TV4 Fakta gesehen hatte. Darin hatte es eine dramatische Szene mit Luchsen in der Paarung gegeben. Widerstrebend zog er sich zurück. Als er die Zellentür hinter sich schloss, sagte er, als sei es ihm eben eingefallen: «Hey, Nutte, du bist ja gar nicht so flach auf der Brust, wie ich dachte.»

Salamander lächelte.

 

Als Bubbles wieder zu Bewusstsein kam, lag Salamander auf der Seite, mit dem Rücken zu ihm, und rauchte.

«Im Gefängnis ist rauchen verboten», sagte Bubbles.

«Und was willst du dagegen tun, Bulle? Mich einlochen?» Salamander lachte über ihren eigenen Witz, drehte sich dann zu Bubbles um und knurrte.

Er zuckte instinktiv zusammen. Salamander lachte wieder.

«Also, Bulle, fickst du alle deine Gefangenen?»

«Sehr witzig, Fröken Salamander. Ich hab dich gebeten, das T-Shirt auszuziehen, damit ich mir die Tattoos auf deinem Rücken anschauen kann.»

«Das sagst du bestimmt all deinen Gefangenen, wenn du sie gefickt hast. Es muss doch Richtlinien geben, die so was verbieten, Bulle.»

«Bitte hör auf, mich so zu nennen.»

«Wenn du mit diesem Fröken-Scheiß aufhörst.»

«Abgemacht. Ich nenne dich Lizzy.»

«Und ich nenne dich … Bulle.»

Sie lehnte sich mit ihrem nackten Rücken an Bubbles und schaute sich den Rest des Dokumentarfilms über Amy Winehouse auf ihrem Bang-&-Olufsen-Flachbildschirm an.

Bubbles fuhr mit dem Nagel des Zeigefingers die Umrisse des kunstvollen Dinosaurier-Tattoos auf ihrem muskulösen Rücken nach.

«Ich wollte immer schon mal ins Peabody Museum in Yale», sagte er.

«Mein Vater hat mich mal dorthin mitgenommen, als ich noch klein war», sagte Salamander leise. Ihre Stimmungen wechseln schlagartig. «Das KGB hatte ihn nach New Haven geschickt, um einen Doppelagenten der CIA zu erwürgen. Ich musste zwei Stunden allein im Museum ausharren. Da habe ich mich in Zallingers Wandgemälde verliebt.»

«Natürlich wissen die Paläontologen heutzutage, dass Tyrannosaurus seinen Schwanz nicht hinter sich hergezogen hat. Er hat ihn als Gegengewicht benutzt, um aufrecht laufen zu können. Er war offenbar ziemlich schnell.»

«Und ein Warmblüter.»

«Genau.»

«Aber diese komischen kleinen Ärmchen geben den Forschern immer noch Rätsel auf.»

«Vielleicht hat er sie benutzt, um damit den Gegner zu zerfetzen. Im Nahkampf.»

Bubbles war selbst überrascht, als er Salamander zart auf den Nacken küsste, genau auf die Stelle, wo das blutige Bein eines Velociraptors aus dem Maul des Tyrannosaurus ragte. Und dann sagte er etwas, was ihnen beiden nur allzu bewusst war: «Kein Baltischer Stör.»

«Nein.»

«Warum hast du denn nichts gesagt?»

«Ich rede nicht mit Bullen.»

«Du wärst einfach da sitzen geblieben und hättest dich für zwei Morde verurteilen lassen, die du nie begangen hast?»

Sie zuckte die Achseln. «Es gibt Schlimmeres als den Knast. Ich habe meinen Computer und meinen Pizzaservice und meine Twinkies. Was gibt es Schöneres für ein Mädchen?»

«Und das Mädchen mit dem Stör-Tattoo. Hast du irgendeine Ahnung, wer dich da reinlegen will?»

«Vielleicht.»

«Und?»

«Und nichts. Du hast es immer noch nicht kapiert. Ich rede nicht mit Bullen. Nicht mal mit denen, die ich ficke.»

Bubbles seufzte. «Weißt du, Fröken … ich meine, Lizzy, die Sache ist die, dass ich Informationen habe, zu denen nicht mal du Zugang hast.»

«Gute Arbeit, Bulle.»

«Es hat aber nichts mit dem Arssen-Mord oder mit dem Mädchen mit dem Stör-Tattoo zu tun. Ich glaube, dass du kurz vor deiner Festnahme im Mordfall an einer schwangeren Renkuh recherchiert hast, deren Leiche in der Innenstadt gefunden wurde.»

Salamander wandte sich zu Bubbles um. «Stimmt. Hast du jemanden festgenommen?»

«Nein, aber es gibt einen Verdächtigen. Einen, der dich sehr interessieren dürfte.»

Salamander runzelte die Stirn. «Und wer könnte das sein?»

«Lizzy, wir müssen uns gegenseitig helfen.»

«Ich brauche keine Hilfe. Von niemandem.»

«Wie du willst.» Bubbles packte sein Schachspiel und das MENSA-Rätselbuch ein. An der Zellentür drehte er sich noch einmal um und sah Salamander an. Sie war immer noch nackt, lag zusammengerollt auf der Seite und sah fern. Vielleicht kann man das Tattoo korrigieren, sodass der Tyrannosaurus seinen Schwanz nicht mehr hinter sich herzieht. Sie tat ihm leid. Warum, wusste er nicht, aber es war so.

«Es ist der eineiige Zwilling deines Halbbruders. Der, den du an die Scheune getackert hast.»

Salamanders Augen weiteten sich. Dann sagte sie: «Ich rede nicht mit Bullen. Nie. Aber frag deinen Freund Blomberg nach dem Mädchen mit dem Stör-Tattoo. Vielleicht kann er dir was dazu sagen.»