Zwei

Lördag, 8. Januari – Onsdag, 12. Januari

Im alten Land der Lappen gab es einst eine einzigartige und mächtige Schar von Kriegerinnen. In der Pubertät befestigte jedes Mitglied dieses furchtlosen Stammes eine dritte Brust aus Narwalspeck an seinem Bauch. Auf diese Weise schuf es eine nützliche Ablagefläche für seine Harpune.
Die Ynglinga-Saga

 

Zurück in ihrer Wohnung, schwitzte Lizzy ihre Wut in der Sauna aus und verhalf sich selbst zu einer Tiefengewebemassage. Dann schlüpfte sie in eine Cargohose und setzte sich an ihren Computer, einen Tera-10-Großrechner mit 544 NovaScale-61 - 60-Servern. Er sah aus wie dreißig aneinandergereihte Viking-Kühlschränke und war in der Lage, ein Petabyte an Daten zu verarbeiten, mehr Einzelinformationen, als es in Norrland Mücken gibt, und besaß eine Speicherkapazität von 27 Terabytes. Kürzlich war er von der Nationalen Sicherheitsbehörde der USA verscherbelt worden, Salamander hatte den Computer auf eBay ersteigert und mehrere fest entschlossene Mitbieter im ländlichen Pakistan überboten.

Sie mochte Computer lieber als Menschen. Sie betatschten sie nicht oder spielten mit ihren winzigen Brustwarzen, als wären sie Zehnkronenstücke. Und es fühlte sich gut an, sich wieder an die Arbeit zu machen. Die letzten Jahre waren nicht einfach gewesen. Salamander hatte sich an den Missbrauch, die Versklavung und sexuelle Erniedrigung durch ihre Vormunde gewöhnt. Das änderte sich vor zwei Jahren, als ein Gericht sie für mehr oder weniger zurechnungsfähig erklärte. Doch anstatt aufzublühen, hatte Salamander mit ihrer neuen Freiheit zu kämpfen gehabt. Geld war nicht das Problem. Sie war finanziell unabhängig dank der Hunderte von Millionen US-Dollar, die sie von den Konten der abscheulichsten frauenfeindlichen Milliardäre der Welt gestohlen hatte, ohne dass es nachzuvollziehen wäre. Doch sich selbst zu beschäftigen war eine ganz andere Aufgabe. Sie eröffnete ein Vibratorgeschäft in Södermalm, begann sich aber nach einer Woche zu langweilen und sprengte den Laden mit einer Plastikbombe in die Luft. Dann versuchte sie es mit einem Tattoo-Studio, aber ihre Kunden beklagten sich über die eingeschränkte Auswahl: Ich bin ein Vergewaltiger/Perverser/Schwein/Kinderficker/Soziopath/Wichser/Monster.

Kürzlich hatte sie sich nun mit ihrer eigenen Firma selbständig gemacht, Manhater Security. Sie war ihr eigener Chef und ihre einzige Angestellte. Sie hatte sich sogar die Online-Werbekampagne ihrer Firma selbst ausgedacht: Leiden Sie an einem peinlichen Triebtäter-Problem? Kommen Sie zu Manhater Security. Wir bestrafen früh und oft. Sie hatte keine Kunden, aber das war in Ordnung. Sie recherchierte, was immer sie interessierte. Und die Rentiermorde interessierten sie zutiefst.

Ihre Finger tanzten in erstaunlichem Tempo über die Tastatur. Aber ihre pechschwarz bemalten Lippen verzogen sich grimmig. Sie hackte sich in jede noch so unbedeutende Suchmaschine – SurfWax, A9, Clicky, BetterBrain, Factbites, Gigablast, iWon, KartOO, Oggleus, Qango, Reftopia. Ohne Ergebnis. Keine echte Überraschung. Suchmaschinen waren die Info-Faschisten des globalen Kapitalismus und verfolgten das Ziel, Menschen zu Sexspielzeugen des Über-Patriarchats zu machen.

Mit fliegenden Fingern versuchte sie es mit einem tiefenanalytischen Ansatz. Innerhalb weniger Minuten hatte sie gefunden, wonach sie suchte: einen klärenden Artikel über «Rentier-Strangulierung» auf Wikipedia.

Lizzy las sich den Text leise vor, ihre Lippen formten lautlos die Worte. Lesen gehörte seit der zweiten Klasse nicht zu ihren Stärken, denn da hatte der Lehrer ihren Unterarm berührt, woraufhin sie ihn auf die Intensivstation geprügelt hatte.

Der Wiki-Artikel bestätigte ihre Befürchtungen. Dies war nicht der erste Fall eines strangulierten weiblichen Rentiers in Schweden. Zwanzig Jahre zuvor, zur Zeit des Falls der Berliner Mauer, wurde ein an einem Baum erhängtes Rentier auf der Insel Gräsö in Uppland aufgefunden. Die Leiche war von einem Doktoranden namens Goof Graber entdeckt worden, der am Königlichen Zentrum für Fortgeschrittene Rentier-und Elchwissenschaften in Eskilstuna über familiäre Bindungen unter Rentieren geforscht hatte.

Die schwedische Polizei arbeitete eng mit den Behavioristen von der Königlichen Akademie für einheimischen Nonkonformismus zusammen und veröffentlichte ein psychologisches Suchprofil derjenigen Schweden, die zu solch einer grausigen Tat in der Lage wären. Mehrere Verdächtige wurden verhaftet. Berühmt-berüchtigterweise schlug dann ein Mitglied der Royal Svensk Polis einen der Inhaftierten mit einem zusammenklappbaren Plastikknüppel – ein Akt polizeilicher Brutalität, der zum Zusammenbruch der Regierung und einer zehn Jahre andauernden Entwaffnung des schwedischen Militärs geführt hatte.

Gegen keinen der Verdächtigen konnten handfeste Beweise erbracht werden. Jahre später kam die Polizei auf den Fehler, den sie gemacht hatte: Sie hatte von Anfang an angenommen, der Mörder sei Schwede. Sie hatten nie ernsthaft erwogen, dass der Rentierwürger ein Ausländer sein könne, der einer ethnischen Minderheit angehörte. Goof Graber war zwar nach Uppsala gekommen, um an der berühmten Universität dort zu studieren, doch er war in Oslo geboren und aufgewachsen, und seine Eltern waren Angestellte der Norwegischen Kreuzfahrtgesellschaft. Beweise, die auf die Norweger hindeuteten, kamen zu spät ans Licht. Graber war bereits auf der Norwegian Dawn an die mexikanische Riviera geflüchtet.

Sein Motiv wurde nie abschließend geklärt. Die Behörden vermuteten, die Morde seien Teil eines koordinierten Angriffs auf die schwedische Tourismus-Industrie, um der damals ums Überleben kämpfenden Norwegischen Kreuzfahrtgesellschaft in die Hände zu spielen. Andere hielten Graber einfach für einen Psychopathen.

Aus einem anderen Wikipedia-Artikel erfuhr Lizzy, dass Graber sich während seiner Zeit in Eskilstuna mit Dr. Jerker Ekkrot angefreundet hatte, einem führenden Experten für den gefährdeten Baltischen Stör. Diesen Namen kannte sie gut. Ekkrot war einmal verhaftet worden, weil er gegen das Gesetz zur Gleichheit und Würde der Geschlechter von 1999 verstoßen hatte. Er hatte seine Freundin «unpraktisch» genannt.

Lizzy griff nach Skateboard und Sturmfeuergewehr. Es war Zeit, Dr. Ekkrot einen Besuch abzustatten.

 

Blomberg vernahm das vertraute Heulen des Kojoten aus Zwei glorreiche Halunken. Es war der Klingelton seines HTC-Evo-4G-Handys mit 8-Megapixel-Kamera, HD-Videofunktion und einem 1-GHz-Snapdragon-Prozessor.

«Hallo, ich würde gern mit Mikael Blomberg sprechen.»

«Am Apparat.»

«Herr Blomberg, ich heiße Nix Arssen und bin der Vater von Twig Arssen. Wie Sie vielleicht gehört haben, ist mein Sohn gestern tot aufgefunden worden.»

«Ja, das tut mir sehr leid.»

«Ich rufe Sie nicht an, damit Sie mir kondolieren. Um ehrlich zu sein, hatte sich meine Beziehung zu meinem Sohn seit seinem dritten Geburtstag rapide verschlechtert. Aber meines Wissens haben Sie und Twig zusammen studiert. Ich würde gern mit Ihnen sprechen. Persönlich.»

Eine Stunde später trafen sie sich in Mellqvists Kaffebar. Es war ein Lieblingstreff der Bikerszene von Fågelås. Twigs Vater war mittelgroß. Sein Gesicht war das eines unscheinbaren siebzigjährigen Rentners. Er hatte Augen, Haare etc. Ein Kellner nahm ihre Bestellung entgegen.

«Ich hätte gern einen Kaffee», sagte Blomberg.

«Groß, extragroß oder Trog?»

«Trog, bitte.»

«Machen Sie zwei Tröge draus», sagte Arssen. Dann wandte er sich an Blomberg. «Es ist nett, dass Sie gekommen sind.»

«Worüber wollten Sie denn sprechen?»

«Ich weiß, dass es für Sie beruflich nicht optimal gelaufen ist», sagte Nix Arssen. «Ich habe all Ihre Enthüllungsstorys über Steuerbetrug, Pädophilie und Heroinschmuggel in Kreisen der schwedischen Wirtschaftselite gelesen. Aber ich meine mich zu erinnern, dass Sie unter einem anderen Nachnamen publiziert haben.»

«Stimmt. Damals war ich Mikael Blomquvist. Aber kürzlich habe ich meine jüdischen Wurzeln entdeckt. Ich habe erfahren, dass meine Vorfahren in der Phase der Toleranzherrschaft der Königinwitwe Hedwig Eleonora von Schleswig-Holstein-Gottorp nach Schweden eingewandert sind. Also habe ich wieder meinen ursprünglichen Namen angenommen. Aber wir sind nicht hier, um über mich zu reden, nicht wahr?»

«Wohl nicht. Aber erlauben Sie mir die Anmerkung, dass es ein trauriger Kommentar zum Zustand unserer Welt ist, wenn der großartige Mikael Blomberg in BLINK! über das Wiedervereinigungskonzert von ABBA schreiben muss.»

«Deswegen habe ich gekündigt.»

«Jetzt lese ich Ihren Blog. Ich wusste gar nicht, dass Mats Wilander an der Nordischen Dumpfheit leidet.»

«Das ist eine viel zu wenig bekannte Krankheit. Millionen von Schweden sind davon betroffen.»

«Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass Sie mit diesem Blog den Unterhalt für ihren Volvo S60 mit Allradantrieb finanzieren können.»

Blomberg fragte sich, woher er von dem Allradantrieb wusste. Arssen musste Blomberg dabei beobachtet haben, wie er seinen Volvo vor dem Café parkte. Tatsache war, dass Blomberg bereits überlegt hatte, ob er seinen S60 gegen einen S40 ohne Turbo und Allradantrieb eintauschen sollte. Er würde die festen Sitze des S60 vermissen, aber er könnte 120 Kronen im Monat an Benzinkosten sparen.

«Mikael, lassen Sie mich offen sein. Ich würde Sie gern engagieren.»

«Wofür?»

«Wie Sie wissen, war mein Sohn als Krimiautor nicht besonders erfolgreich. Er hat davon geträumt, einen Bestseller in den USA zu landen, und so siedelte er alle seine Geschichten in weit entfernten Orten an – Paris, Rom, New York. Was er nicht ahnen konnte, war, dass die Amerikaner in ihrer unendlichen Dummheit lieber Krimis mögen, die im nördlichen Lappland spielen. Leider hat er nicht mal einen Agenten gefunden.»

Blomberg nickte. Er erinnerte sich, dass Twig immer ein grauenhafter Texter gewesen war. Analphabeten-Twig war auf der Journalistenschule sein Spitzname gewesen. Twig, dessen Texte niemand veröffentlichen kann.

«Am Ende seines Lebens arbeitete mein Sohn an einem Manuskript, von dem er sich den großen Durchbruch erhoffte. Gestern Abend, als ich sein Apartment inspizierte, konnte ich keine Spur davon finden.»

«Sie wollen also, dass ich das fehlende Manuskript aufspüre.»

«Ich würde Sie entsprechend honorieren.»

«Was genau heißt das?»

«Honorieren ist ein Verb. Es bedeutet ‹bezahlen› oder ‹für erbrachte Dienstleistungen entschädigen›.»

«Ich meinte, wie viel.»

«2500 Kronen pro Tag.»

Blomberg rechnete im Kopf nach. Das war zehnmal so viel, wie er mit seinem täglichen Blog verdiente.

«Und natürlich möchte ich, dass Sie den Mörder meines Sohnes finden.»

«Mörder? Ich denke, er ist an einem Herzinfarkt gestorben.»

Arssen schüttelte den Kopf. «Bitte kommen Sie mit.» Hauptkommissar Svenjamin Bubbles von der Royal Svensk Polis duckte sich unter dem Absperrband hindurch, das um das bescheidene, naturgasbeheizte 160-Quadratmeter-Haus gespannt war. In der Tür traf er Wachtmeister Stamer Flunk, der sich gerade Notizen machte.

«Wo ist Ekkrot?»

«Welcher Teil?»

«So schlimm?»

«Schlimmer.»

«Fangen wir mit dem Oberkörper an.»

«Schlafzimmer.»

«Kopf?»

«Esszimmertisch.»

«Genitalien?»

«Wir suchen noch.»

Bubbles kniff gegen den orkanartigen Sturm die Augen zusammen und schlug seinen Mantelkragen hoch. Es herrschten minus 45 Grad. Hätte meine Mütze mitnehmen sollen. «Na gut, schauen wir mal.»

Von innen machte das Haus einen überraschend geräumigen Eindruck, es sah eher nach 170 Quadratmetern aus oder sogar 180. Vielleicht hatte das mit den Wänden zu tun, die mit leuchtend rotem Blut bespritzt waren, ebenso wie das Bücherregal von UKEA. Ekkrots berühmtestes Buch war gut sichtbar darin ausgestellt. Damals war Der Lebenszyklus des Baltischen Störs unter besonderer Berücksichtigung der Bedingungen küstennaher Vermehrung ein Bestseller gewesen, und es blieb ein zeitgenössischer schwedischer Klassiker. Bubbles hatte ein paar der ersten Rezensionen darüber verfolgt und das Buch jahrelang auf seinem UKEA-Nachttisch liegen gehabt, ohne es je zu lesen.

Jetzt sollte ich mir wirklich mal die Zeit dafür nehmen, dachte der Hauptkommissar, während er den Torso des Autors in Augenschein nahm. Er war auf schockierende Weise verstümmelt worden. Es blieb nicht viel übrig, was darauf hindeutete, dass dies hier einmal ein menschliches Wesen gewesen war, auch wenn die Enthauptung erstaunlich sauber ausgeführt worden war.

«Selbstmord?», fragte Wachtmeister Flunk.

Bubbles nahm einen Schluck Pepto-Bismol-Magensaft, den er in einem silbernen Flachmann mit sich führte. Seit er vor fünfzehn Jahren zur Polizei gekommen war, hatte er einen steten Rückgang der Qualität der Rekruten festgestellt. Die Mannschaft war nicht mehr die Elitetruppe, die einmal den Neid des gesamten nördlichen Polarkreises erregt hatte. So ungern er es auch zugab, er fürchtete, dass die Immigration dabei eine Rolle spielte. Als einer von acht Juden in dieser protestantischen Nation war Bubbles stolz auf den Multikulturalismus der Polizei. Trotzdem kam er nicht umhin zu bemerken, dass Flunk der finnischen Minderheit in Schweden angehörte. Und er erinnerte sich lebhaft an die Worte seines Lehrers in Ethnischer Vielfalt an der Königlichen Polizeiakademie: Die Finnen sind ein heikles Volk. Sie haben einen Mangel an grundlegenden Fähigkeiten zur Analogie und Schlussfolgerung gezeigt. Ihre durchschnittliche Leistung beim Skandinavischen Begabungstest ist beinahe so schlecht wie die der Dänen, eines unseriösen Volkes mit Problemen beim logischen Denken, besonders während der Wintermonate. Die Isländer weisen im Gegensatz dazu Defizite auf, die durch generationenlanges Betreiben von Inzucht entstehen. Sie neigen genetisch zu Lüge und Diebstahl.

«Haben Sie einen Abschiedsbrief gefunden?» Bubbles’ Stimme triefte vor Sarkasmus.

«Nein», gab der Wachtmeister kleinlaut zu.

Als Bubbles den Tatort weiter untersuchte, setzte sein Herz für einen Moment aus, und seine Nackenhaare stellten sich auf. Neben dem Torso lag ein silberner Augenbrauenring in der Form einer Eidechse.

«Nicht irgendeine Eidechse», flüsterte er vor sich hin. «Ein Salamander