Die ruhmvolle Geschichte von Sir Lancelot vom See

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(Und sie verdient ihren Ruhm. J. S.)

Nach einer langen Zeit der Wirren gelang es König Artus mit Glück und Waffengewalt, die Feinde inner- und außerhalb seines Reiches zu vernichten oder mit ihnen Frieden zu schließen und die Menschen an sein Recht auf die Herrschaft zu gewöhnen. Um dies zustande zu bringen, hatte der König an seinem Hof die besten Ritter und die kühnsten Kämpen aus der ganzen Welt versammelt.

Nachdem König Artus so durch Krieg Frieden geschaffen hatte, sah er sich dem Dilemma aller Soldaten in friedlichen Zeiten gegenüber. Er konnte in einer Welt, in der die Gewalt in unruhigem Schlaf lag, seine Ritter nicht nach Hause schicken. Und andererseits ist es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, Kraft und Eifer waffentragender Männer ohne Kampf zu erhalten, denn nichts rostet so rasch wie das ungenutzte Schwert eines untätigen Soldaten.

Da Artus dies wußte, tat er, was alle Heerführer zu allen Zeiten tun. Er veranstaltete Spiele, in denen der Krieg imitiert wurde, damit seine Ritter bei Kräften und in Übung blieben – Zweikämpfe, Turniere, Jagden und endlose Nachahmungen des Kriegshandwerks. Durch die gefahrvollen Spiele, bei denen man um des Ruhms willen das Leben aufs Spiel setzte, versuchte die Tafelrunde, Waffentüchtigkeit und Mut auf einem hohen Niveau zu halten. Manche Ritter gewannen bei diesen simulierten Kriegsspielen an Ehre und Ansehen, während andere auf dem Turnierplatz mit Lanze und Schwert Pech hatten und zu Boden gestreckt wurden. Und während die älteren, kampferprobten Ritter, vielleicht in der Erinnerung an reale Schlachten, ihre Waffen blank hielten, liebten die jüngeren sie nicht, denn ihr Rittertum kannte den Krieg nur als Spiel. So erfuhr Artus, wie alle Männer an der Spitze zu ihrem Staunen erfahren müssen, daß nicht der Krieg, sondern der Friede das Mannestum ruiniert, daß nicht die Gefahr, sondern ein friedvolles Leben die Mutter der Feigheit ist, und daß nicht Mangel, sondern Überfluß Unruhe und Unbehagen stiften. Schließlich mußte er feststellen, daß der langersehnte Friede, mit so bitteren Opfern erkauft, mehr Bitterkeit schuf als alle Qualen, unter denen er erreicht worden war. König Artus sah mit banger Sorge, wie die jungen Ritter, die die Reihen der Kämpen hätten auffüllen sollen, ihre Kraft in den Niederungen der Unzufriedenheit, der Ziellosigkeit und des Selbstmitleids vergeudeten und die alte Zeit verdammten, ohne selbst eine neue geschaffen zu haben.

In der kampfgestählten Gemeinschaft der Tafelrunde überragte Sir Lancelot alle anderen. Er hatte sein Können bewiesen und ständig an Ehre und Verehrung gewonnen, bis er als der beste Ritter auf der ganzen Welt galt. Keiner besiegte ihn in der Schlacht, beim Tjosten oder im Turnier, außer durch Zauberei oder Tücke. Dies war derselbe Lancelot, dem als Kind von Merlin prophezeit worden war, daß er einst die Ritterschaft des Erdenrunds überragen werde. In seinen Knaben- und frühen Mannesjahren hatte er sich bemüht, diese Prophezeiung wahr zu machen, und allem anderen entsagt, bis er so weit über den Rittergenossen von der Tafelrunde stand, wie diese über allen anderen Rittern standen. In allen Wettbewerben blieb er Sieger, in jedem Turnier errang er den Preis, bis schließlich die älteren Ritter sich nur noch widerstrebend mit ihm schlugen und die jüngeren verachtenswerte Gründe vorbrachten, damit sie überhaupt nicht gegen ihn kämpfen mußten.

König Artus liebte Sir Lancelot, und Königin Guinevere war ihm gewogen. Und Sir Lancelot seinerseits liebte den König wie die Königin und schwor, zeit seines Lebens sein Rittertum dem Dienst der Königin zu weihen.

So kam es dahin, daß der beste Ritter der Welt am Hof keinen Gegner mehr fand, und er spürte, daß sein Können als Kämpe zu rosten begann. Er wurde niedergeschlagen, da kein gegnerisches Schwert sein eigenes scharf hielt, kein gegnerischer Arm seinen eigenen stählte und belehrte. Und da sein auf ein einziges Ziel gerichteter Lebensweg ihn zu dem geführt hatte, was er geworden war – der beste Ritter der Welt –, vermochte Lancelot keinen Scheideweg zu finden, der ihn entweder zur Liebe oder zum Ehrgeiz führte. Er fand keine Hindernisse, die ihn in die Arme von Neid oder Tücke oder Habgier trieben, kein Kummer, keine Enttäuschung hätten ihn dazu gebracht, sich über das übliche Maß hinaus der Religion zuzuwenden. Sein von früh auf gestählter Körper wollte nichts wissen von Behaglichkeit und Lebensgenuß, ja, selbst das Verständnis fehlte ihm dafür. Er war ein Jagdhund ohne Wild, ein aufs Land verbannter Fisch, ein Bogen ohne Sehne. Und wie alle Männer, deren Kraft brachliegt, wurde auch Lancelot ruhelos, dann gereizt und schließlich zornig. Er stellte fest, daß in seinem Körper Schmerzen und in seinem Gemüt Düsternisse wohnten, die vordem nicht dagewesen waren.

Guinevere, die Lancelot sehr zugetan war und die Männer verstand, sah betrübt den Verfall eines perfekten Ritters. Sie beriet sich lange mit dem König, der ihr seine Besorgnisse über die jungen Ritter anvertraute.

»Wenn ich es nur begreifen könnte«, sagte Artus. »Sie essen gut, schlafen behaglich, frönen der Liebe, wann und mit wem sie es wünschen. Sie nähren bereits Begierden, die erst halb erwacht sind, und wollen nichts wissen von den Schmerzen, dem Hunger, der Erschöpfung, der Selbstzucht, die den Genuß erst zum Genuß machen – und dennoch sind sie nicht zufrieden. Sie klagen, die Zeit sei gegen sie.«

»So ist es auch«, sagte Guinevere.

»Wie meint Ihr das?«

»Ihr Leben besteht aus Müßiggang, mein Gebieter. Die Zeit fordert ihnen nichts ab. Der eifrigste Jagdhund, das schnellste Pferd, die beste der Frauen, der tapferste Ritter, sie alle können der erstickenden Wirkung des Müßiggangs nicht entgehen. Selbst Sir Lancelot murrt wie ein verwöhntes Kind über sein seßhaftes Leben.«

»Was soll ich nur tun?« sagte König Artus verzweifelt. »Ich sehe vor meinen Augen die edelste Ritterschaft der Welt im Niedergang, sich auflösen wie eine windgepeitschte Düne. In den schweren, dunklen Zeiten habe ich um Frieden gebetet, dafür gearbeitet und gekämpft. Jetzt habe ich ihn, und er macht mir nur Kummer. Denkt Euch, ich ertappe mich bei dem Wunsch nach Krieg, um meine Probleme zu lösen!«

»Da seid Ihr nicht der erste und nicht der letzte«, sagte Guinevere. »Aber bedenkt, Herr: wir haben zwar allgemein Frieden im Land, doch so wie ein gesunder Mann kleine Schmerzen hat, setzt sich der Friede aus kleinen Kriegen zusammen.«

»Erklärt mir das, Madame.«

»Es ist nichts Neues. Ein ehrloser Ritter lauert an einer Furt und verlangt Lösegeld oder das Leben. Ein Dieb in einer Rüstung verwüstet einen ganzen Bezirk. Ein Riese reißt die Mauern eines Schafstalls ein, und Drachen verbrennen feuerschnaubend Felder mit reifendem Korn – allerorten kleine Kriege und alle zu klein für ein Heer und zu groß für die Nachbarn, um ihnen ein Ende zu bereiten.«

»Denkt Ihr an die Ausfahrt?«

»Ich dachte gerade …«

»Aber die jungen Ritter lachen über die altmodische Sitte der Ausfahrt, und die alten haben noch richtige Kriege erlebt.«

»Es ist eine Sache, etwas Großes aus sich zu machen, aber eine andere, wenn man sich bemüht, kein Wicht zu sein. Ich glaube, jeder Mann möchte größer sein als er ist, und das kann er nur, wenn er Teil von etwas unvergleichlich Größerem als er selbst ist. Auch der beste Ritter auf der Welt muß erkennen, daß er schrumpft, wenn er nicht gefordert wird. Wir müssen nach einer Möglichkeit suchen, kleinen Dingen einen großen Krieg zu erklären. Wir müssen eine Bezeichnung, eine Idee, einen Maßstab für kleine Mißstände suchen, die sie zu einem großen Unrecht zusammenfassen. Dagegen könnten wir dann ein Heer von Kämpfern aufstellen.«

»Gerechtigkeit?« fragte Artus.

»Zu vage – zu bedeutungsschwach – zu kalt. Aber die ›Gerechtigkeit des Königs‹ – das wäre besser. Ja, das ist das richtige. Jeder Ritter als Wahrer und Hüter der ›Gerechtigkeit des Königs‹, dafür verantwortlich. Das könnte genügen – für einige Zeit. Dann wäre jeder Ritter ein Werkzeug im Dienst einer Sache, die größer ist als er selbst. Und wenn sich das erschöpft hat, können wir uns etwas anderes einfallen lassen. Merlin hat Prophezeiungen über alles mögliche gemacht, über die beiden Seiten von allem. Wenn wir ihn nur fragen könnten. Männer sind gern Kinder des Lichts, auch wenn sie im Dunkeln Dinge treiben. Ein Ritter, der seine Tage mit dem Versuch verbringt, ein Mädchen aus dem Volk zu entjungfern, wird jederzeit bedrängten Fräulein zu Hilfe eilen.«

»Ich frage mich, wie ich diesen Krieg ausrufen könnte«, sagte König Artus.

»Beginnt mit dem besten Ritter der Welt.«

»Lancelot?«

»Ja, und er soll den schlechtesten Ritter mitnehmen.«

»Diese Wahl ist schwieriger, meine Teure. Doch da fällt mir ein, sein Neffe Lyonel, der Nichtsnutz, der faulste, der unwürdigste der Ritter, er bietet sich als Kandidat an.«

»Herr«, sagte Guinevere, »wenn es mir gelingt, Lancelot zum ersten Hüter der ›Gerechtigkeit des Königs‹ zu machen, würdet Ihr dann versuchen, ihn zu bewegen, daß er den Hüter und Lehrer von Sir Lyonel macht?«

»Das ist eine gute Idee. Ja, ich will es versuchen. Ihr seid eine treffliche Ratgeberin, meine Teure.«

»Dann laßt Euch von mir noch ein wenig weiter beraten, Herr. Sir Lancelot unterscheidet sich von anderen Männern nur wenig. Wenn Ihr eine Möglichkeit findet, daß er selbst auf den Gedanken kommt, wird die Sache einfacher gehen. Laßt mich ihn auf den Gedanken an eine Ausfahrt vorbereiten, und dann übergebe ich ihn Euch.«

»Der Beste und der Schlechteste«, sagte König Artus und lächelte. »Das ist eine kraftvolle Verbindung. Ein solches Bündnis wäre unschlagbar.«

»Allein durch solche Bündnisse, Herr, können Kriege überhaupt geführt werden.«

Zu dieser Zeit liebte die Königin Lancelot wegen seiner Tapferkeit, seiner Courtoisie, seines Ruhmes und weil ihm jede Verschlagenheit fehlte. Damals wollte sie ihn noch nicht ändern, ihm nicht die unzähmbare Locke aus der Stirne streichen, ihn noch nicht mit Zweifeln, Verwirrung und Eifersucht plagen, um die Glut am Leben zu erhalten, mit der ihr Bild in seinem Herzen brannte. Sie liebte ihn noch nicht genug, um grausam zu ihm zu sein. Es war eine von Herzen kommende, sich selbst genügende Zuneigung, jene Art Liebe, die eine Frau freundlich, gütig und sehr klug handeln läßt – zu klug, um den Mann offen zu lenken.

Sie sprach zu dem umgetriebenen Ritter von ihrer eigenen Unrast, vertraute dem Ritter, dessen Gaben nicht genutzt wurden, ihre eigenen Empfindungen der Nutzlosigkeit an. »Wie glücklich die Männer dran sind«, sprach sie. »Ohne ein Wort davon zu sagen, ohne Erlaubnis könnt Ihr Euch, wenn Euch langweilig ist, davonmachen, hinaus in die weite, grüne Welt der Wunder, der Abenteuer in Wildnis und Wüstenei. Ihr könnt Unrecht aufspüren und für die Beseitigung von Mißständen sorgen, böses Tun bestrafen, Frevler, die den Königsfrieden mißachtet haben, zur Rechenschaft ziehen. Was weiß ich – vielleicht schickt Ihr Euch gerade jetzt an, diese Hochburg eines Lebens ohne Saft und Kraft, voll nutzloser und nicht genutzter Männer, zu verlassen und dorthin zu ziehen, wo Mut und ehrenhafte Ritterart ersehnt und belohnt werden.«

»Madame …«

»Sagt es mir nicht. Wenn Ihr insgeheim Pläne schmiedet, möchte ich sie lieber nicht erfahren. Es würde mich nur todunglücklich machen. Manchmal, Sir, wäre es mein höchster Wunsch, ein Mann zu sein. Aber ich muß hierbleiben. Meine einzigen Abenteuer finden sich auf den Bildern von der großen Ritterwelt, gestickt mit bunten Fäden. Mein Schwert, das ist meine kleine Nadel, kein sehr befriedigender Ersatz.«

»Aber Ihr müßt doch glücklich sein in dem Wissen, daß Männer Euer Bildnis in ihrem Herzen tragen, meine Königin, sich in ihren Gebeten Euch anvertrauen und stumm Euren Segen erflehen, als wäret Ihr eine Göttin.«

»Leider, mein Ritter, höre ich stumme Gebete nicht. Ich will ja nicht bestreiten, daß es sie gibt, doch da ich keine Göttin bin, höre ich sie nicht. Nur eine einzige Art von Verehrung liegt klar zutage.«

»Und welche ist das, Madame?«

»Ich kann Euch nur ein Beispiel geben. Ein tapferer Ritter, allein auf einer Ausfahrt, stieß auf ein Schlangennest von Tyrannei. Zwei bösartige Brüder fern im Norden machten den Menschen das Dasein unerträglich, vergällten ihnen das Leben und dehnten ihre Anmaßungen auf das ganze Land ringsum aus, bis ihnen mein fahrender Ritter entgegentrat und sie überwand. Dann, statt sie zu töten, sandte er sie zu mir, damit sie mich um Nachsicht und Vergebung anflehten. Durch sie erflehte er meinen Segen. Das war ein Gebet, das ich vernehmen konnte, ja, mehr noch: Ihre Erzählungen gewährten mir Zugang zu einer Welt, die ich nicht sehen werde.«

»Wer war dieser Ritter?« wollte Lancelot wissen.

»Nein, nein! Er hat mich inständig darum gebeten, seinen Namen geheimzuhalten, und seine Bitte bindet mich so fest wie ein Eid.«

»Ich werde mich nach ihm erkundigen, Madame. Es dürfte nicht schwer sein, ihn …«

Sie unterbrach ihn. »Sir Lancelot – seid Ihr mein Ritter?«

»Das bin ich, Madame – bei meiner Ehre.«

»Und mein Wunsch gilt Euch etwas?«

»Er ist mir Gesetz.«

»Dann werdet Ihr Euch nicht nach ihm erkundigen.«

»Ich werde es nicht tun, meine Königin. Aber hat Euch diese seine Tat wirklich solche Freude bereitet?«

»Mehr, als ich sagen kann. Es erschien mir, daß ich durch diesen Ritter in der Welt einen Wert gewann. Seinetwegen fühle ich mich ein wenig kostbar.«

Sie lächelte, als sie ihn weggehen sah, in Gedanken verloren. Das kräftige, nicht zu bändigende Haar sträubte sich ihm über der Stirn.

Der König sah Lancelot mit düsterer Miene auf dem Mauergang auf und ab gehen und stellte ihm eine Falle. Denn bei der Vorbereitung auf sein Amt als König hatte Artus gelernt, daß eine Bitte des Herrschers um Rat und Hilfe den Untertan an den Thron kettet.

So traf Lancelot seinen König an, wie er, die Ellenbogen auf die Brustwehr gestützt, melancholisch auf ein Geschwader junger Schwäne hinabblickte, das im Burggraben manövrierte. »Verzeihung, Sire, ich wußte nicht, daß Ihr hier seid.«

»Oh, Ihr seid es. Ich war ganz in Gedanken vertieft.«

»Ist es richtig, Sire, daß Ihr allein hier weilt, ohne einen Leibwächter?«

»Ich bin nicht allein«, sagte Artus. »Ich bin von verwirrenden Dingen umgeben. Sonderbar, daß gerade Ihr daherkommt. Ich war im Begriff, nach Euch zu suchen. Glaubt Ihr, daß ein Mann, der einen andern braucht, ihn stumm herbeirufen kann?«

»Vielleicht, Herr. Ich habe schon erlebt, daß ich an einen Freund dachte, und gleich darauf erschien er. Aber führt es ihn her, daß man an ihn denkt, oder ruft sein Kommen den Gedanken wach?«

»Das ist sehr interessant«, sagte Artus. »Wir wollen uns ein anderes Mal darüber unterhalten. Was mich zu Euch zog, das ist der Umstand, daß ich Eure Hilfe brauche.«

»Meine Hilfe, Sire, Ihr?«

»Darf ich Euch nicht um Hilfe angehen?«

»Jederzeit, Herr, doch kann ich mir nicht vorstellen, wie ich zum Brunnen Wasser tragen soll.«

»Wie hübsch gesagt.«

»Es ist aus einem Lied, Herr. Ich habe es von einem Spielmann gehört.«

»Sir«, sagte der König, »ich wende mich an Euch als einen Krieger, einen Soldaten und alten Kameraden. Ich weiß, Ihr habt – gewiß mit Sorge – beobachtet, was wir um uns herum zu sehen bekommen. Vor noch nicht allzu langer Zeit hatten wir eine in der Welt unübertroffene Streitmacht und haben dies der Welt auch bewiesen. Und jetzt – so bald schon – löst sie sich in Luft auf. Die älteren Ritter sind dabei, die Schärfe ihres Kampfgeistes zu verlieren, und die jüngeren wollen erst gar nicht gehärtet werden. Bald werden wir ohne einen Streich ein Heer verloren haben.«

»Vielleicht brauchen wir einen solchen Streich, Sire.«

»Ich weiß, ich weiß. Doch wo sollen wir einen Streich führen? Es gibt keinen Feind. Bis es soweit ist, daß einer auftritt, werden wir wehrlos sein. Ich mache mir nicht so viele Sorgen über die Älteren. Sie haben ihre Ruhe und ihren Niedergang verdient. Doch die jungen Männer – wenn sie sich ihre Sporen beim Tanzen verdienen, ihren einzigen Widersacher in einem widerspenstigen Frauenzimmer finden, sind wir verloren. Ich brauche Euren Beistand.«

»Sie müssen gezwungen werden, das Kriegshandwerk zu erlernen, Sire.«

»Aber wie? Am Turnier wollen sie nicht teilnehmen, und beim Tjosten verlangen sie das eingekrümmte Krönlein statt der geraden Lanzenspitze, damit sie ja nicht verletzt werden.«

»So haben wir uns den Ritterschlag nicht verdient, nicht wahr, Sire? Wenn ich mich recht erinnere, habt Ihr neben einer gewissen Quelle unerkannt bis zum letzten Atemzug gekämpft.«

»Fechten wir nicht alte Zweikämpfe noch einmal aus, so gerne ich möchte. Wenn es sich bei den gezierten Herrchen nur um die paar wohlgeborenen Faulpelze handelte, die es immer gibt, sähe die Sache anders aus, aber die Blüte ist am verdorbensten. Euer eigener Neffe trägt mehr Bänder als Narben, und die paar, die er hat, hat er sich beim Rosenpflücken zugezogen.«

»Sir Lyonel, Herr?«

»Ja, Sir Lyonel. Ich führe ihn nicht an, um Euch zu kränken. Er ist nur einer von den vielen, die im Dunkeln kichern und mit Bataillonen von Worten in den Kampf ziehen. Die gefährlichste Waffe an meinem Hof ist die Laute. Sie fordern einander mit mörderischen Schlemmermählern zum Wettstreit heraus.«

Lancelot sagte harsch: »Ich werde mir das Hündchen vornehmen und es im Burggraben ertränken.«

»Da müßtet Ihr Euch ein ganzes Rudel junger Hunde vornehmen. Sie würden den Graben ausfüllen. Wartet … Ihr habt es gesagt. Ich wußte doch, auf Euch ist Verlaß. Ja, vielleicht ist das die Lösung.«

Lancelot war nicht fähig, Theater zu spielen. »Was habe ich gesagt?« fragte er. »Ich kann mich nicht erinnern …«

»Ihr habt gesagt: ›Ich werde mir das Hündchen vornehmen …‹«

»… und es ertränken«, vollendete Lancelot.

»Nehmt den Anfang des Satzes – es Euch vornehmen. Ihr habt mich darauf gebracht. Nehmen wir an, wir würden zwei hinausschicken, einen kampferprobten Ritter und ein junges Hündchen – sie mit einem Auftrag fortschicken, irgendeiner schwierigen und gefahrvollen Mission. O ja – das wäre vielleicht der beste Weg, sie zu schulen und im Kampf zu stählen. Danke, mein Freund. Und den alten Rittern würde es vielleicht großen Spaß machen, sich in Erinnerung an die alten Zeiten den Harnisch einbeulen zu lassen.«

»Welcherart Aufträge meint Ihr, Sire?«

»Es gibt vieles, was geschehen muß. Überall im Königreich wimmelt es von kleineren Rechtsverletzungen, womit es ein Ende haben muß. Wir könnten die Männer … sagen wir … ›Hüter des königlichen Friedens‹ nennen. Sie könnten das königliche Mandat auf ihrem Schild tragen. Was meint Ihr dazu?«

»Ich muß es mir durch den Kopf gehen lassen, Sire. Aber eines fällt mir sofort ein. Man sollte damit langsam beginnen. Wenn Ihr hundert Paare von Bevollmächtigten des Königs losschicktet, läge der königliche Friede vor dem Sonnenuntergang mit dem königlichen Frieden hoffnungslos im Streit.«

»Euer Vorschlag ist vielleicht nicht schlecht«, sagte Artus. »Nun, wir wollen darüber nachdenken. Ich werde nicht vergessen, daß er von Euch gekommen ist.« Damit ging der König befriedigt davon, denn er hatte in Sir Lancelots Augen eine schlecht verborgene Flamme aufblitzen sehen.

Die Blüte der jungen Ritterschaft versammelte sich regelmäßig am Brunnen neben dem Bergfried. Dort, auf dem breiten Brunnenrand sitzend, konnten sie die Mädchen beim Wasserholen beobachten, ihre Brüste begutachten, wenn sie sich nach vorne beugten, um den Eimer heraufzuziehen, und manchmal wirbelte ein Windstoß die Röcke hoch, was anerkennendes Gelächter bei den zum Mannestum heranreifenden Jünglingen auslöste, die geheimnisvoll von ihren Erfolgen bei entgegenkommenden Edelfräulein sprachen und vorerst einmal versuchten, bei Wassereimer schleppenden Küchenmägden Entgegenkommen zu wecken. Wenn der Eimer unbenutzt hin und her schwang, verglichen die jungen Herrchen die Farben ihrer Kniehosen und maßen aneinander die Länge ihrer spitzen Zehen. Kam ein alter Ritter vorbei, flüsterten sie hinter vorgehaltener Hand und schauten mit gespielter Unschuld zum Himmel hinauf, bis der Ritter so weit weg war, daß man gefahrlos die Zunge herausstrecken oder die Augen zu einem künstlichen Schielen verdrehen konnte – Formen stummer Verspottung, die sie erfunden hatten.

Die hier am Abend Versammelten zählten die Köpfe und fragten: »Wo ist denn Lyonel? Er kommt doch meistens schon früher. Noch bevor bei der Vesper das men vom Amen gesprochen wird.«

»Ihr erinnert Euch – er hatte eine Verabredung mit einem süßen Traum. Hat er irgendwem ihren Namen gesagt?«

»Nein, aber er hat es ganz leicht gemacht, ihn zu erraten.«

»Wenn es die ist, die du vermutlich meinst, glaube ich es nicht. Die ist ja dreiundzwanzig und keinen Tag jünger.«

»Wißt ihr, ich glaube, er hatte eine Verabredung mit seinem Onkel. Ich habe sie zusammen gesehen, ihn und Sir Lance-wie-doch-gleich.«

Sie bogen und schüttelten sich vor Lachen und wiederholten den kleinen Witz: »Lance-wie-doch-gleich. Wißt Ihr, wir könnten bei dem Namen bleiben.«

»Laß ihn lieber nichts davon hören. Dir würden die Backen brennen – und nicht die im Gesicht.«

Sir Lyonel kam langsam herbei und setzte sich stumm auf den Brunnenrand, während die anderen seine verdrossene Miene beobachteten.

»Was ist denn los? Hat dir die Katze die Zunge gemaust?«

Das zündete. Sie brüllten vor Lachen, schlugen einander auf den Rücken, krümmten sich zusammen oder hielten sich den Bauch.

»Die Katze die Zunge gemaust? Großartig! Er ist besser als ein Troubadour und noch komischer als ein Zwerg. Ich werde unserm Dichter eine Sackpfeife und Schellen kaufen.«

Dann brach ihr Lachen jäh ab, wie so oft ohne Anlaß.

»Was ist los mit dir?« fragten sie Sir Lyonel.

»Ich kann es euch nicht sagen.«

»Geht’s um deinen Onkel, Sir Lance-wie-doch-gleich?« Doch aus dem Witz war die Luft heraus. »Wir haben dich mit ihm zusammen gesehen.«

»Wenn du einen Schweigeschwur geleistet hast …«

»Ich habe nichts beschworen.«

»Dann erzähl doch.«

»Er möchte, daß ich ihn auf eine Ausfahrt begleite.«

»Was für eine Art Ausfahrt?«

»Es gibt doch nur eine – Fräulein und Drachen und der ganze Blödsinn.«

»Und?«

»Und ich will nicht mit.«

»Das kann ich verstehen. Du könntest von einem Riesen eine Abreibung verpaßt bekommen.«

»Nein … warte … hör mir zu. Hör mir zu, Lyonel. Du bist verrückt, wenn du nicht mitgehst. Du könntest doch jahrelang davon zehren. Ich höre dich jetzt schon: ›Onkel, sag, ist das ein Drache?‹ Oder: ›Dann legte ich meine Eschenholzlanze drein, bohrte sie in Sir Junkpile [Abfallhaufen] und zerpristete ihm das Brustbein.‹ Du mußt mit, Lyonel. Wir fänden es unverzeihlich, wenn du es nicht tätest.«

»Es könnte ja ganz lustig werden. Nur, es ist ihm wirklich ganz ernst damit. Möglichst kein Bett, auch nicht für ihn selber. Er wird auf der Erde schlafen, weil ihm das lieber ist.«

»Nun, das gehört ja zum ritterlichen Prestige.«

»Nein … sieh mal, Lyonel, du könntest doch so tun, als wärst du mit dem Herzen dabei. Sir Lyonel als fahrender Ritter. Du könntest ihn altmodische Dinge fragen und ihn über Gott und die Welt ausquetschen. Das wäre lustiger als sonst noch was.«

»Schon … aber … ich.«

»Lyonel, sieh die Sache mal so an: Natürlich wollen wir es hinterher von dir erzählt bekommen. Aber überleg doch mal, was für ein Gaudium du selber dabei haben wirst.«

»Wir werden uns eine Unmenge unschuldiger Fragen ausdenken, die du ihm stellen kannst.«

»Wenn du nicht mit ihm losziehst, werde ich … wird keiner von uns mehr mit dir sprechen.«

»Ich habe mir lange durch den Kopf gehen lassen, was Ihr vorgeschlagen habt, Sir. Ich möchte hinausziehen in die Welt der Wunder und Abenteuer.«

»Das freut mich«, sagte Lancelot. »Ihr werdet es nicht bereuen. Es ist nicht gut, sich zu lange an Höfen und in Rittersälen aufzuhalten.«

»Wann brechen wir auf, Onkel?«

»Wir müssen behutsam vorgehen. Wenn wir unsere Absicht laut werden lassen, wird am Hof Betrübnis einziehen. Es ist sogar denkbar, daß das Königspaar uns die Ausfahrt verbietet. Darum wollen wir uns in aller Stille bereit machen und heimlich aufbrechen. Sollte unser Fortgehen Kummer oder Zorn zur Folge haben, wird sich beides geben, sobald die Kunde von unseren Abenteuern nach Camelot dringt.«

Lyonel unterdrückte ein Lachen, und später, am Brunnen, sagte er: »Und darauf habe ich gesagt: ›Das ist wohl überlegt, Sir. Es wird geheim bleiben wie ein Sobbet.‹«

»Was ist das, ein Sobbet?«

»Er hat nicht danach gefragt. Warum solltet ihr es erfahren? Und dann habe ich gesagt: ›Ja, wir werden davonziehen wie Rauch. Aber es wäre vergnüglich, ihre Gesichter zu sehen, wenn sie unser Verschwinden bemerken.‹«

Sie bereiteten sich derart geheimnistuerisch auf ihre Ausfahrt vor, mit undurchsichtigen Worten und an die Lippen geführten Fingern, mit geflüsterten Besprechungen in abgelegenen Winkeln, daß die Hunde in den Sälen und die Tauben auf den Türmen spürten, etwas Ungewöhnliches bahnte sich an. Sir Lancelot und sein Neffe entwarfen ihre Pläne an versteckten Orten, so daß einige der weniger intelligenten Ritter dem König von verräterischen Umtrieben berichteten. Sie sprachen: »Was haben die beiden im Schatten des Torturms, in strömendem Regen miteinander zu tuscheln, wenn sie loyal gesinnt sind?« Worauf die Königin erwiderte: »Ich wäre besorgter, wenn sie in der großen Halle Flüsterreden führten.«

In weiten Mänteln, unter den Falten der Kapuzen verborgen, berieten sie sich, während der Wind um ihre Beine peitschte. »Ihr müßt mich belehren, Sir«, sagte Lyonel. »Ich habe noch nie gekämpft, ja, noch nicht einmal einen Drachen gesehen.«

»Seid unbesorgt, mein Junge«, sagte Lancelot. »In Frankreich bin ich Drachen und Riesen begegnet. Ihr werdet welche sehen, wenn die Zeit dafür reif ist. Habt Ihr dafür gesorgt, daß die Pferde aus den Mauern hinausgebracht werden?«

»Ja, Sir.«

»Und habt Ihr den Knappen eingeschärft, nichts zu verraten?«

»Ja, Sir.«

»Wir müssen zur Beichte gehen und unsere Sünden bekennen«, sagte Lancelot. »Ein Ritter muß für den Tod ebenso gerüstet sein wie für einen Feind.«

»Das hätte ich vergessen«, sagte Lyonel.

Die Knappen verpflichteten ihre Fräulein zum Schweigen, die sich das gleiche von ihren Schwestern versprechen ließen, welche wiederum ihre Liebsten erst einweihten, nachdem diese Schweigen gelobt hatten, bis schließlich der König sagte: »Ich wollte, sie wären endlich fort, meine Teure. Sie bringen die ganze Stadt in Aufruhr.«

»Es ist bald soweit«, sagte Guinevere. »Sir Lancelot hat mich heute um meinen kleinen blauen Schleier gebeten. Er sagte, er wollte etwas haben, was zur Farbe seines Wappenzeichens paßt.«

Und als sich schließlich die beiden fahrenden Ritter in der Nacht aus der Stadt schlichen, wurden sie dabei von Hunderten von Augen beobachtet, und hinter den Mauerzinnen verbargen sich viele Zuschauer. Außerhalb der Mauern lösten sich die Knappen aus den Armen ihrer Fräulein.

Sie waren schon weit fort und vor jeder Entdeckung gefeit, als der Tag anbrach und die Welt der fahrenden Ritter entschleierte – einen tiefen, grünen Wald, aus dem Hintergrund des Morgens hervortretend wie eine Tapisserie. Es war ein Tag, der sich bereitete, der Ausfahrt von Rittern Farbe und Form zu geben. Ein großer Hirsch hob das Haupt mit dem stolzen Geweih, frei von Furcht in dem Wissen, daß die Ritter nicht zum Jagen ausgezogen waren, und sah ihnen zu, wie sie vorüberritten. Auf einer Lichtung, überschüttet von den Pfeilen des Sonnenlichts, schlug ein Pfau ein großes Rad, glitzernd wie ein Juwel. Die Kaninchen hatten keine Angst, hoben sich auf ihren Hinterläufen, streckten die Ohren hoch und drückten die Vorderpfoten dicht an die Brust. Und der Wald hallte wider vom Tirilieren der Vogelstimmen. Die Knappen plapperten von diesem und von jenem, bis Lancelot sich umwandte und sie mit einem Blick zum Schweigen brachte.

Sir Lyonel atmete schwer. »Es scheint mir ein richtiger Tag für eine Ausfahrt zu sein, Sir.«

»Der Tag ist ideal«, sagte Lancelot.

»Soll ich sprechen oder muß ich schweigen, Onkel?«

»Das kommt drauf an. Wenn sich in Euren Worten unsere Ausfahrt spiegelt, wie sie sich in diesem Tag spiegelt, wenn Eure Rede stolz ist wie der Hirsch, edel wie der Pfau, bescheiden und frei von Furcht wie die Kaninchen dort, dann sprecht.«

»Sind Fragen passend, Sir?«

»Wenn es passende Fragen sind.«

»Eine Ausfahrt ist für mich etwas Neues, Sir. Aber ich habe in der großen Halle hundert Berichte von zurückgekehrten Rittern gehört, die bei heiligen Dingen geschworen haben, die Wahrheit zu erzählen.«

»Wenn sie ihr Rittertum in Ehren halten, halten sie auch ihre Schwüre.«

»Nun, wie kann es geschehen, daß ein Ritter, der von seinen Knappen und manchmal auch von einem ganzen Gefolge begleitet wird, plötzlich allein ist?«

»Ich kann Euch nur sagen, daß es vorkommt. Was sonst noch begehrt Ihr zu wissen?«

»Ich liebe eine Dame, Sir.«

»Das ist gut so. Euer Rittertum verlangt, daß Ihr alle Damen ehrt und eine Dame liebt.«

»Sie wollte nicht, daß ich fortziehe, Sir. Sie fragte, wofür es gut sei, einander zu lieben, wenn man sich trennt.«

Sir Lancelot wandte sich rasch Lyonel zu, und seine grauen Augen waren kalt.

»Ich sage Euch, sie ist keine Dame. Ihr habt hoffentlich keine unbesonnenen Schwüre abgelegt. Ihr dürft nicht mehr an sie denken.«

»Aber sie ist eine Königstochter, Sir.«

»Schweigt! Und wäre sie die Tochter des Kaisers von Afrika oder die goldene Prinzessin des Tatarenreiches, es wäre einerlei, wenn sie die Eigenart ritterlicher Liebe nicht anerkennen würde, nicht verstünde, daß ritterliche Liebe etwas anderes ist, als wenn Hund und Hündin sich paaren.«

»Ja, Sir, ja, mein Onkel. Werdet nicht ärgerlich. Es waren Worte eines jungen Mannes. Ihr liebt eine Dame, Sir, eine Dame, die …«

»Das ist wohlbekannt und kein Geheimnis«, sagte Lancelot. »Ich liebe die Königin. Ich werde jeden meiner Tage ihrem Dienst weihen, und ich habe noch jeden satisfaktionsfähigen Ritter gefordert, der sich einfallen ließ zu behaupten, sie sei nicht die holdeste und tugendhafteste Dame auf der Welt. Möge meine Liebe ihr, wie ich geschworen habe, nur Ehre und Freude bringen.«

»Sir, ich wollte nicht unehrerbietig sein.«

»Dann seht zu, daß Ihr es nicht seid, sonst wird es Euch den Tod bringen, Neffe hin oder her.«

»Ja, mein Onkel. Ich bitte nur darum, unterwiesen zu werden. Ihr, Sir, seid unter den heute lebenden Rittern der größte und, so heißt es, vollkommen wie keiner aus vergangenen und künftigen Tagen. Laßt mich Gewinn aus Eurem Rittertum ziehen, Sir, denn ich bin noch jung und unwissend.«

»Hört, mein Neffe, vielleicht war ich allzu rasch, aber lernt daraus. Wenn es um die Dame geht, der man sich geweiht hat, kann man gar nicht empfindlich genug sein.«

»Ich danke Euch für Eure Aufmerksamkeit, mein Onkel. Ihr seid in aller Welt als vollkommener Ritter und vollkommener Diener der Frauen berühmt. Viele junge Ritter, wie ich einer bin, haben den Wunsch, Euch nachzueifern. Darf ein vollkommener Ritter, was einen vollkommenen Diener der Damen bedeutet, niemals seufzen und leiden, sich nie voll von brennendem Verlangen danach sehnen, den Gegenstand seiner Liebe zu berühren?«

Sir Lancelot drehte sich langsam im Sattel um und sah, daß die Knappen heimlich näher gekommen waren, um zu lauschen. Unter seinem scharfen Blick vergrößerten sie ihren Abstand, bis sie außer Hörweite und dann nicht mehr zu sehen waren. Und sichtbar wurden sie erst wieder, wenn sie gebraucht wurden.

Als die beiden Ritter allein waren, sagte Sir Lancelot: »In meinen Kindertagen hat der große Merlin mir Größe prophezeit. Doch Größe will verdient sein. Und ich habe mich allzeit dazu beizutragen bemüht, daß seine Prophezeiung in Erfüllung geht. Jetzt will ich Eure Frage beantworten. Um die Gunst meiner Dame seufzen – ja. Sich nach ihrer Huld sehnen – abermals ja. Leiden, wenn sie ungnädig ist – zum drittenmal ja. Doch vor Verlangen zu brennen, das ist nicht Ritterart. Tiere sabbern nach Weibchen, Leibeigene schnüffeln gierig und feixend nach Weibern. Nein. Ihr seht das verkehrt, ganz verkehrt. Könnte ich meine Herrin, die Gemahlin meines königlichen Lehnsherrn, lieben und begehren, ohne uns alle drei zu entehren? Ich hoffe, Ihr findet, daß damit Eure Frage beantwortet ist.«

»Ist es also besser, Sir, die Dame zu lieben, die man nicht erlangen kann?«

»Vermutlich besser«, antwortete Lancelot. »Und gewiß sicherer.«

»Ich möchte ja so viele Dinge fragen«, sagte Lyonel. »Wer hat ein solches Glück wie ich? Mit dem großen Lancelot auf einer Ausfahrt unterwegs! Wißt Ihr, Sir, wenn die jungen Ritter aus meinem Bekanntenkreis erfahren, daß ich mit Euch fortgezogen bin, werden sie sich wie die Weinfliegen am Spundloch versammeln. Sie werden mich fragen: ›Was hat er gesprochen?‹ ›Wie sah er aus?‹ ›Hast du ihn dies, hast du ihn das gefragt?‹ ›Was hat er geantwortet?‹«

Sir Lancelot lächelte seinen Neffen freundlich an. »Interessiert sie das?«

»Ja, und noch mehr. Ihr seid der perfekte Ritter heutiger und vergangener Zeiten wie auch der im Schoß der Zukunft verborgenen. Die Menschen werden von Euren mit dem Schwert geschriebenen Taten erfahren, aber sie werden auch fragen: ›Was war er für ein Mensch?‹ ›Was hat er gesprochen?‹ ›War er fröhlich oder traurig?‹ ›Was hat er über dieses gedacht, was über jenes?‹«

Sir Lancelot blickte zum Waldrand hin, der sich vor ihnen erstreckte, und sagte in einem unbehaglichen Ton: »Warum sollten sie auf so etwas neugierig sein? Genügen Taten nicht? Sagt, sind Taten nicht genug?«

»Das ist es nicht, Sir. Die jungen Männer werden nach Anzeichen von Größe in sich selbst suchen, und sie werden dies und jenes, was nicht so eindrucksvoll ist, Tücken und dunkle Wirrnisse in sich entdecken. Sie werden wissen wollen, ob Euch jemals Selbstzweifel angefochten haben.«

»Ich hatte keinen Grund für Zweifel. Merlin hat ja alles vorausgesagt. Warum sollte jemand nach einer Schwäche an mir suchen? Was hat er davon?«

»Ich kann nur für mich selbst sprechen, Herr Onkel. Ich habe viele traurige Mängel, die mir um die Knie herumhüpfen wie hungrige Hunde. Wenn ich behaupten könnte, daß mich etwas mit Euch verbindet, dann wäre diese Größe nicht unerreichbar. Vielleicht trifft es auf jeden Menschen zu, daß er bei den Starken nach Schwäche Ausschau hält, um Hoffnung zu schöpfen, zu seiner eigenen Schwachheit könnte Stärke treten.«

Lancelot sagte ärgerlich: »Darauf lasse ich mich nicht ein. Wenn sich schon zuweilen Ermattung und Kälte, Hunger und, ja, Furcht in mir eingenistet haben, denkt Ihr denn, ich werde auch noch dem Zweifel die Tore öffnen und so die ganze Burg verlieren? Nein, das Tor ist geschlossen und die Zugbrücke hochgezogen. Sollen Eure jungen Ritter doch in ihrer eigenen Finsternis umhertappen. Wenn ich schwach wäre, würden sie darin keine Stärke finden, sondern nur Ausreden für ihre Schwäche.«

»Aber wenn Ihr das Tor schließt, Sir, erkennt Ihr doch den Feind an.«

»Meine Waffen sind Schwert und Lanze, nicht Worte.«

»Es muß wohl so sein«, sagte Lyonel. »Ich werde den anderen sagen, daß Ihr weder Furcht empfindet, noch von Zweifeln geplagt werdet.«

»Das übersteigt Euer Wissen, junger Mann. Wahrheitsgemäß könnt Ihr nur sagen, Ihr habt keinen Hinweis darauf gefunden, falls es so ist.«

Eine Zeitlang ritten sie schweigend dahin, und dann sagte Sir Lyonel: »Ich muß eine Frage stellen, selbst wenn ich Euer Mißfallen riskiere, Sir.«

»Fragen haben mich immer eher gelangweilt als erzürnt. Also dann, was für eine Frage? Das soll aber dann die letzte sein.«

»Sir, es gibt auf der ganzen Welt keinen Ort, wo Euer Name unbekannt ist.«

»Man sagt mir, daß es so sei.«

»Und Ihr geltet als der vollkommenste Ritter der Welt.«

»Ich habe mich bemüht, es zu werden.«

»Ihr seid in Eurer Vollkommenheit allein.«

»Bis ein Besserer kommt. Jeder kann sie anfechten. Aber das sind Feststellungen oder Ansichten. Wie lautet die Frage?«

»Genügt sie Euch?«

»Was?«

»Ist Euch Eure Vollkommenheit genug?«

Ein Anfall schwarzen Grimms schüttelte Sir Lancelot, verzerrte seine Lippen, so daß sie die Zähne entblößten. Die rechte Hand schnellte wie eine Schlange nach dem Schwertgriff, und die silberne Klinge glitt halb aus der Scheide. Lyonel spürte schon den Hauch des Todesstreiches seine Wange streifen.

Dann sah er in ein und demselben Mann einen so wilden Kampf entbrennen, wie er ihn noch nie zwischen zwei Männern erlebt hatte. Er sah, wie Wunden geschlagen und empfangen wurden, wie es ein Herz beinahe zerriß. Und er sah auch den errungenen Sieg, das Abebben der Wut, sah Lancelots bitteren Triumph, die von Schweiß umflossenen, fiebernden, wie bei einem Habicht fast geschlossenen Augen, sah den rechten Arm an die Leine gelegt, indes die Klinge wieder in ihren Zwinger zurückglitt.

»Hier ist der Wald zu Ende«, sagte Sir Lancelot. »Ich habe sagen hören, der Wald hört auf, wo der Kalkboden anfängt. Wie golden das Sonnenlicht auf dem goldenen Gras liegt! Nicht weit von hier steht an einem Hang die Figur eines Riesen mit einer Keule, und ich weiß eine andere Stelle mit einem riesigen Schimmel. Und niemand weiß zu sagen, wer sie gemacht hat und wann.«

»Sir …«, begann Lyonel.

Und der größte Ritter der Welt wandte sich ihm lächelnd zu. »Sagt ihnen, daß ich schläfrig war«, sagte er. »Sagt ihnen, daß ich schläfriger als jemals in den vergangenen sieben Jahren war. Und sagt Euren jungen Freunden, daß ich nach einem schattigen Plätzchen Ausschau hielt, um Schutz vor der Sonne zu finden.«

»Zur Linken sehe ich einen Apfelbaum, Sir.«

»Ach, ja? Reiten wir hin, denn die Augen sind mir schwer.«

Da wußte Lyonel, wie hart der Kampf und wie erschöpfend der Sieg gewesen war, doch der Siegespreis – der Preis war Schlaf des Vergessens.

Sir Lancelot legte sich unter dem Apfelbaum ins Gras, mit dem Helm als Kopfkissen, und sank in die dunkelste aller Höhlen des Vergessens. Sir Lyonel setzte sich neben seinen Onkel. Er war sich bewußt, daß er eine Größe erschaut hatte, die den Verstand überstieg, und einen Mut, der Worten etwas Feiges gab, und einen Frieden, der mit höchster Qual erkauft werden mußte. Und Lyonel kam sich klein und niedrig wie eine Schmeißfliege vor, während Sir Lancelot wie aus Alabaster gemeißelt dalag und schlief.

Während Sir Lyonel für den schlafenden Ritter Wache hielt, dachte er an die endlosen Reden im Kreis der jungen Ritter, die den Tod feierten, ohne gelebt, die Zweikämpfe kritisierten, ohne jemals ein Schwert in der Hand gehalten zu haben, Verlierer, die nie eine Wette gewagt hatten. Er erinnerte sich, daß sie gesagt hatten, dieser Ritter, der hier schlief, sei zu dumm, um seine Lächerlichkeit zu erkennen, zu arglos, um das Leben um sich herum wahrzunehmen, inmitten von Verrottung überzeugt, daß Vollkommenheit zu erlangen sei; ein Schwärmer und gefühlsseliger Träumer in einer Welt, in der nüchterne Realität das Szepter führte, ein Anachronismus schon, ehe die Erde geboren wurde. Lyonel hörte in der Erinnerung blasierte Unfähigkeit, Schwäche und Armseligkeit höhnen, daß Stärke und Größe Illusion seien – die Sprache der Feigheit, mit der Rüstung der Weisheit aufgeputzt.

Sir Lyonel wußte, daß dieser schlafende Ritter ohne Säumen und Verzweiflung auch in eine ihm gewisse Niederlage sprengen und schließlich in ritterlicher Haltung seinen Tod hinnehmen würde, als wäre es ein Siegespreis. Plötzlich wurde Lyonel klar, warum Lancelot mit eingelegter Lanze durch die Zeiten galoppieren und damit Menschenherzen einsammeln werde wie Stechringe. Lyonel traf seine Entscheidung, und er wählte Lancelots Seite. Er vertrieb eine Schmeißfliege vom Gesicht des Schlafenden.

Der Himmel war klar, und die Sonne auf ihrer Mittagshöhe schob den Schatten des einsamen Apfelbaums zu einem kleinen Fleck zusammen. Durch die Hitze löste sich ein Apfel, und Lyonel fing ihn in der Luft über Lancelots Gesicht auf. Er biß ihn an. Der Apfel war grün und sauer und wurmstichig, so daß Lyonel ihn wegwarf und das bittere Fleisch auf die Erde spuckte. Die wellige Ebene dehnte sich nach Süden, wo sie an einen Hügel stieß, der mit grasbewachsenen Wällen und acht gewaltigen tiefen Gräben zur Verteidigung umgeben war, eine uralte, verfallene Festung der toten Götter oder eines vergessenen, götterähnlichen Volkes von Riesen. Die Hitze tauchte das ferne Bild in ein Flirren und die Festung und die Ebene in einen Traum. Die brummenden Flügel einer Hummel lenkten Lyonels Augen zurück auf den schlafenden Ritter, und er wedelte das honigschwere Biest weg. Lancelot schlief so tief, daß nicht zu sehen war, wie er atmete. Sein Gesicht zeigte die Anmut von Würde und Unschuld, und die Oberlippe war in einem zarten Lächeln aufwärts gebogen. Er erschien Sir Lyonel wie von einer gütigen Fee zu Marmor verzaubert oder in einer vollkommen dichten Hülle, aus der die Seele nach einem erfüllten Leben und einem friedlichen Tod entschwebt war. Der junge Ritter liebte diesen Onkel und wollte ihn vor dem eklen Schimmel des niedrigen Bösen, miserabel aus Enttäuschung, und schäbiger Seelen beschirmen, die ihre Armseligkeit und Nacktheit in Zynismus kleiden. Er spürte, wie von dieser gelassenen Größe gleichsam Wellen ausgingen, die ihn berührten, und es überkam ihn der Wunsch, mit diesem Mann durch mehr als nur durch Blutsbande verbunden zu sein – vielleicht durch eine mutvolle Tat, von Lyonel vollbracht und Sir Lancelot geweiht.

Das Gras und die Sommerblumen, golden und blau, sangen, von Bienen übersummt, und in der Ferne erschienen drei Gestalten, von der flirrenden Hitze verzerrt, und hinter ihnen eine vierte, substanzlos und in dauernder Veränderung. Doch nun spürte Lyonel den Schlag fliegender Hufe auf der Erde und wußte, daß dies keine Spukgestalten waren, wie sie mitunter über die Erde geistern. Als die flimmernde Fata Morgana feste Form gewann, sah Lyonel, daß es drei gewappnete Ritter waren, die mit der Verzweiflung der Furcht ihre Pferde antrieben, und hinter ihnen erschien ein riesenhafter gepanzerter Mann auf einem mit Schaum bedeckten Hengst. Er kam den fliehenden Rittern immer näher. Lyonel sah, wie er sie wie eine Wolke ereilte, den letzten der Ritter aus dem Sattel fegte, ohne Pause zustieß wie ein Falke, mit der Lanze abermals einen gezielten Stoß führte und noch einen, und wie die anderen beiden vom Pferd purzelten. Dann wendete der Verfolger blitzschnell, sprang ab, fesselte die Gestürzten mit den Zügeln ihrer eigenen Rosser, hob sie wie gebundene Schafe vom Boden auf und warf sie, mit dem Gesicht nach unten, quer über ihre Sättel.

Sir Lyonel sah rasch zu Sir Lancelot hin und wunderte sich, daß ihn der Lärm nicht aus seinem betäubten Schlaf geweckt hatte. Lancelots gelassener Mut hatte sich auf Lyonel übertragen, und er dachte, wie erfreut und stolz der Onkel sein würde, wenn er beim Erwachen seinen Neffen als Sieger über einen so imponierenden Ritter sähe. Leise schlich er sich weg, um diese Tat für seinen Onkel zu vollbringen. Er schwang sich rasch in den Sattel, ritt dem siegreichen Ritter entgegen und rief ihm zu, er solle sich zum Kampf stellen. Der gewaltige Mann sprang leichtfüßig auf sein Pferd, aber Sir Lyonel attackierte ihn mit solcher Wucht, daß sich das Pferd samt Ritter um sich selbst drehte, dieser jedoch nicht aus dem Sattel geworfen wurde. Als Lyonel zu seinem zweiten Gang ansetzte, blieb der große Mann ruhig auf seinem Roß sitzen und sah ihn an.

»Das war aber ein trefflicher Stoß«, sagte er. »Ich bin verblüfft, wenn ich Euch so sehe. Ihr seid ja kaum größer als ein Knabe, und trotzdem habt Ihr mich mehr aus dem Gleichgewicht gebracht als sonst einer, soweit ich mich erinnern kann. Laßt uns Frieden schließen, Sir. Ihr seid ein wackerer Mann und verdient es nicht, wie dieses Vieh da gefesselt zu werden.«

Lyonel blickte zu dem Apfelbaum hin, unter dem sein Onkel noch immer schlafend lag, und sagte hochgemut: »Ich will bereitwillig Frieden mit Euch schließen, sobald Ihr Euch ergeben, Eure Gefangenen losgebunden und um Gnade gebeten habt. Ihr verspreche Euch, Gnade zu gewähren.«

Der große Ritter blickte ihn staunend an. »Wenn Ihr mir nicht einen solchen Stoß versetzt hättet, würde ich Euch für verrückt halten«, sagte er. »Ihr seid ja nicht einmal halb so groß wie ich. Zuerst ein Lanzenstoß wie von einem gestandenen Mann und dann Worte eines ganzen Mannes. Kommt, laßt uns Freundschaft schließen. Es würde mein Gewissen beschweren, einem so wackeren kleinen Mann wie Euch weh zu tun.«

»Ergebt Euch«, sagte Lyonel. »Ergebt Euch oder kämpft!«

»Ich werde weder das eine noch das andere tun«, antwortete der Ritter.

Lyonel gab seinem Pferd die Sporen und sprengte mit eingelegter Lanze los.

Als der große Ritter die halbe Entfernung hinter sich hatte, ließ er die Lanze fallen, warf den Schild weg, duckte sich unter Lyonels Lanze, deren Spitze unsicher schwankte, und sein rechter Arm, stark wie eine Schiffstrosse, umfaßte die Taille des jungen Ritters und zog ihn aus dem Sattel. Lyonel wehrte sich vergebens gegen die Umklammerung, die seine Brust enger und enger umschloß und ihn preßte, bis ihm das Blut hinter den Augen pochte, so daß ihm die Adern zu platzen drohten. Alles drehte sich um ihn, und er verlor das Bewußtsein.

Als er mit dumpfen Schmerzen wieder zu sich kam, lag er mit dem Gesicht nach unten gefesselt auf seinem eigenen Pferd und schaukelte im Verein mit den anderen Gefangenen dahin. Nach einiger Zeit kamen sie zu einem düsteren Gebäude, umgeben von einem Wassergraben und einer Mauer, und an dem Tor aus Eichenholz sah Lyonel zahlreiche Schilde angenagelt. Er erkannte viele der Wappenbilder, von denen manche die Zugehörigkeit zur Tafelrunde anzeigten, und unter den Schilden befand sich auch das seines älteren Bruders, Sir Ector de Marys.

Lyonel wurde auf den Steinboden eines schwach beleuchteten Raumes geworfen, und der Ritter, dessen Gefangener er war, stellte sich neben ihn und sagte: »Die anderen sind ins Verlies gewandert, Euch aber habe ich wegen Eurer Tapferkeit und auch deswegen davor verschont, weil Ihr mich beinahe aus dem Sattel gestoßen hättet. Ergebt Euch jetzt, versprecht, mir loyal zu sein, und ich lasse Euch frei.«

Sir Lyonel wälzte sich unter Schmerzen herum und schaute nach oben. »Wer seid Ihr, und warum habt Ihr diese Ritter gefangengenommen, deren Schilde ich gesehen habe?«

»Ich heiße Sir Tarquin.«

»Der Name hat einen tyrannischen Klang, Sir.«

»Zu Recht, wie Ihr feststellen werdet. In mir tobt ein Haß, der für die meisten Männer zu groß ist, und dessen Last sogar mich herabzieht. Ich hasse einen Ritter, der meinen Bruder tötete. Um meinem Haß Genüge zu tun, habe ich hundert Ritter getötet und noch mehr gefangengenommen, alles in Vorbereitung auf die Begegnung mit meinem Feind. Euch aber bin ich gewogen, und ich werde mit Euch Frieden schließen, wenn Ihr Euch mir fügt.«

»Wer ist der, den Ihr haßt?«

»Sir Lancelot. Er hat meinen Bruder, Sir Carados, erschlagen.«

»War es ein fairer Kampf?«

»Was schert mich das? Er hat meinen Bruder getötet, und dafür werde ich ihn töten. Ergebt Ihr Euch und bittet um Gnade?«

»Nein«, sagte Sir Lyonel.

Da überkam Sir Tarquin düsterer Zorn, und er zog dem jungen Ritter Rüstung und Unterkleidung aus und peitschte den Nackten mit Dornenruten, bis das Blut strömte. »Ergebt Euch!« rief Sir Tarquin.

»Nein«, sagte Lyonel, und die Dornen rissen wieder an seinem Fleisch, bis er vom Blutverlust bleich und ohnmächtig wurde, und dann warf ihn Sir Tarquin, schäumend vor Grimm, die dunklen Stufen hinunter. Lyonel landete auf dem Boden des Verlieses zwischen den anderen Gefangenen. Sein Bruder, Sir Ector, befand sich hier, und auch viele andere kannten ihn. Als sie seine Wunden gestillt und ihn zu Bewußtsein gebracht hatten, berichtete er ihnen mit matter Stimme, wie er den schlafenden Lancelot verlassen hatte. Und die Gefangenen riefen: »Kein anderer kann Sir Tarquin besiegen. Ihr habt falsch gehandelt, als Ihr ihn nicht wecktet. Wenn Lancelot uns nicht findet, sind wir dem Untergang geweiht.« Und die Gefangenen stöhnten in der Finsternis ihres Kerkers und weinten in hilfloser Verzweiflung. Doch Lyonel gedachte des Schlafenden und seines ruhevollen Gesichtes und sprach leise zu sich: »Ich muß Geduld haben. Er wird kommen. Sir Lancelot wird kommen.«

Nun verlassen wir diese gefangenen Ritter

und sprechen von Sir Lancelot vom See, der schlafend

unter dem Apfelbaum liegt.

Die Nachmittagshitze war drückend, der blaue Himmel war mit milchigem Dunst überzogen. Die hohen, weißen Hauben von Gewitterwolken blickten über die Hügel im Nordosten und murmelten in der Ferne. Die unbewegte, heiße, feuchte Luft zog Fliegen, klebrig und träge, herbei. Ein Geschwader von Krähen tummelte sich dahinsausend und spielerisch Rollen schlagend in der Luft. Sie spornten einander krächzend zu immer neuen Flugkunststücken an. Und als sie das an den Apfelbaum gebundene Pferd sahen, kreisten sie tiefer und inspizierten den schlafenden Ritter, aber da eine Dohle es mit ihnen aufzunehmen versuchte, flogen sie angewidert weg. Die zurückgewiesene Dohle landete, beäugte neugierig das Pferd und den schlafenden Mann; dann schritt sie, mutig geworden, wie ein breitschultriger Kämpfer darauf zu. Das neben dem Ritter liegende große Schwert zog die Aufmerksamkeit des Vogels auf sich. Er versuchte, einen roten Edelstein aus dem Griff zu picken, doch eine wirbelnde Wolke aus schwarzen Flügeln und Schnäbeln rauschte herab und vertrieb den Dieb. Ein riesiger, uralter Rabe betrachtete das Bild, hüpfte mit halb ausgebreiteten Flügeln seitwärts und näherte sich dann, als er sich sicher fühlte, mit Sprüngen wie beim Tempelspiel und leise vor sich hinkrächzend, der schlafenden Gestalt. Sein purpurn-schwarzes Gefieder war vom Alter abgewetzt. Er hüpfte dicht hin, drehte den edlen Kopf zur Seite und inspizierte das Gesicht erst mit dem einen und dann mit dem anderen Auge. Die Federn unter seinem Hals sträubten sich und zitterten. »Hägh«, krächzte er leise. »Tod! Fluch! Hund! Ratte! Morgan, Morgan!« Der große Vogel hüpfte beiseite, und die kräftigen Schwingen rissen ihn in die Luft, und mit kraftvollen Flügelschlägen flog er auf eine Kavalkade in der Ferne zu, die in warmen Farben schillerte. Vier Königinnen ritten in einem pomphaften und unwirklichen Aufzug dahin, in Samtgewändern und mit Kronen geschmückt, während vier gewappnete Ritter mit ihren Lanzenspitzen einen grünseidenen Baldachin emporhielten, um die Damen vor der Sonne zu schützen. Voran ritt die Königin von den Äußeren Inseln, das Haar so golden wie die Krone, die Augen blau wie Schiefer, die Wangen vom pulsierenden warmen Blut gerötet, ihr meerblauer Mantel meergrau gefüttert, der Zelter scheckig wie eine schaumbespritzte Klippe. Als nächste kam die Königin von Nord-Galys, mit rotem Haar, grünen Augen, grün gewandet. Durch ihre Wangen schimmerte es purpurn, und ihr Pferd war rotbraun wie ihr Haar. Ihr folgte die Königin von Ostland – das Haar aschenfarben, doch von einem warmen Ton, wie Rosenasche, die Augen haselnußbraun, das Gewand von einem blassen Lavendelgrün. Ihr Pferd war weiß wie Milch.

Den Schluß bildete Morgan le Fay, die Königin des Landes Gore, König Artus’ Schwester. Schwarz das Haar, die Augen, das Gewand und ihr Pferd schwarz glänzend wie Satans Herz. Ihre Wangen waren weiß, vom lebendigen Weiß der weißen Rose, und ihr nachtdunkler Mantel wurde durch seinen Hermelinbesatz noch düsterer.

Vor und hinter den Königinnen unter ihrem Baldachin ritten gepanzerte Männer, starr aufgerichtet und mit geschlossenen Visieren. Die prunkvolle Kavalkade zog dahin, ohne daß ein Hufschlag oder ein Klirren der Rüstungen zu hören war. Sie bewegte sich auf die Gewitterwolken und einen mit Gräben und Wällen bewehrten Hügel namens Jungfrauenburg zu, gemieden von Menschen des hellen Tages als ein Ort der Gespenster und ein Versteck für Hexen, wo es sich zutragen mochte, daß sich nächtens auf dem Gipfel eine mit Türmen versehene Burg erhob, die wieder verschwand, wenn der Morgen kam. Nur diejenigen, die in der Schwarzen Kunst geschult und bewandert waren, versammelten sich dort.

Der große Rabe senkte sich herab und landete auf der schwarzen Schmuckdecke von Morgans Rappen, krächzte leise seiner Herrin etwas zu und legte den Kopf schief, als sie ihn ausfragte.

»Krächz!« sagte er. »Hund! Schwein! Tod! Hübsch – Hübsch – Dame!«

Da gellte Morgan ein Lachen. »Ein Leckerbissen, Schwestern!« rief sie. »Ein Honigpfläumchen!« Sie schleuderte den Raben in die Luft, und er flog ihnen als Führer voran zu der Stelle unter dem Apfelbaum, wo Lancelot schlief.

Der nachmittägliche Wind prägte den Gräsern und Blumen auf der Ebene, auf der die vier unirdischen Königinnen vorsichtig dem Apfelbaum entgegenritten, seine unsichtbare Form auf. Lancelots angebundenes Pferd schnaubte und stampfte mit den Hufen, denn Pferde haben ein besonders scharfes Gespür für Risse und Brüche im Normalen. Doch noch immer schlief der Ritter, obwohl sein Gesicht zuckte und die rechte Hand sich langsam öffnete und schloß.

»Das kann kein natürlicher Schlaf sein«, sagte Morgan leise. »Ich frage mich, ob irgend etwas Macht über ihn hat.« Sie stellte sich neben ihn und blickte auf ihn hinab. »Doch nein«, sagte sie dann. »Hier wirkt kein Zauber – nur Erschöpfung, die Müdigkeit von Monaten, von Jahren.« Sie hob die schwarzen Augen und sah, daß ihre lieblichen Schwesterköniginnen sich wie Wölfe angesichts eines blutenden Opfers die Lippen leckten.

»Ihr kennt ihn also?«

»Natürlich«, sagte die Königin von den Äußeren Inseln. »Es ist Lancelot.«

»Ich habe euch ja gesagt, daß uns etwas Leckeres erwartet. Aber Schwestern der Erde sollten einander nicht beißen. Ich weiß, daß wir um ihn kämpfen werden. Aber bitte nicht mit Zähnen und Klauen! Denn, meine Teuren, ich kenne euch gut genug, um zu wissen, daß ihr nicht gewillt seid zu teilen.«

Die Königin von Nord-Galys fragte mit honigsüßer Stimme: »Was schlagt Ihr vor?«

Nun durchlief ein Schauer Lancelots Körper, sein Kopf bewegte sich vor- und rückwärts, als fieberte er. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und stöhnte auf.

Morgan holte unter ihrem Mantel ein langhalsiges Fläschchen mit Lactucarium hervor, das vor Alter schillerte. Sie zog den Stöpsel heraus, beugte sich nach unten, ließ ein paar dicke, schwarze Tropfen auf Lancelots Lippen fallen, und als er sie ableckte, verzog sich sein Gesicht, weil sie so bitter waren. Morgan le Fay breitete eine gemurmelte Hülle von Zauberworten über ihn, und er holte tief erschauernd Luft und glitt in eine pechschwarze Nacht des Schlafs. Nun sprach Morgan nicht mehr leise, denn es bestand keine Gefahr, daß er erwachen könnte. »Ich habe einen Vorschlag«, sagte sie. »Nämlich daß wir diese Beute mit uns in die Jungfrauenburg nehmen und dann um ihre Gunst wetteifern, dies aber mit so fein gesponnener Schmeichelrede, daß, wenn die Siegerin den Preis ergreift, das Täubchen glauben wird, es habe sich selbst in die Krallen des Falken begeben. Abgemacht, Schwestern?«

Die anderen stimmten lachend zu, denn jede glaubte, bei dieser Art Turnier konkurrenzlos zu sein. Dann wurde Lancelot auf seinen Schild gelegt, und zwei Ritter trugen ihn. Der prachtvolle Zug bewegte sich wie Figuren auf einem Wandgemälde der gewaltigen prähistorischen Hügelfeste entgegen. Die Sonne war im Untergehen, als sie den engen Zugang zwischen zwei steilen Erdwällen erreichten, und die Sterne erwachten flimmernd zum Leben, indes sie auf schmalen Dammwegen die tiefen Gräben einen nach dem andern überquerten. Es war schon Nacht, als sie das umwallte Gipfelplateau erreichten, eine Weide, übersät mit den Trümmern von tausend Jahren des Bauens und Zerstörens. Dann, während der Zug der Königinnen die große Einhegung durchquerte, erbaute sich auf der südlichen Spitze eine Burg, stiegen Zug um Zug zinnengekrönte Mauern empor, und an den Ecken strebten Türme in die Höhe. Nachdem das Bauwerk vollendet war, leuchtete Licht aus den schmalen Fensterschlitzen, und zwischen den Zinnen schossen wie Pilze Wachtposten empor. Als der Zug die Stelle erreichte, an die ein Burggraben gehörte, war einer da, und in seinem Wasser spiegelten sich Sterne, und undeutlich war das Weiß langsam dahinziehender Schwäne zu sehen. Und am Eingang wuchs plötzlich eine Zugbrücke in die Höhe und fuhr krachend herab. Die Eisenstäbe der Fallgatter ratterten langsam hoch, die mit Messing beschlagenen Torflügel öffneten sich knarrend. Als der Prunkzug eingezogen war, ging die Zugbrücke hoch, die Fallgatter rasselten herab, das Tor schloß sich, und dann verlor die Burg ihre Substanz, wurde durchsichtig wie ein Wolkenschleier, und der Wind zerteilte die Fetzen, so daß nur ein mit Trümmern übersätes Plateau zurückblieb, auf dem unter den Sternen Schafe grasten.

Unter Schmerzen wand sich Lancelot aus seiner Betäubung, bewirkt von der Droge im Verein mit dem Zauberspruch. Trotz der Finsternis um ihn fuhren durch seinen Kopf Lichtblitze, und er fror, da ihm die Feuchtigkeit ins Mark kroch. Seine tastende Hand stellte fest, daß ihm die Rüstung abgenommen worden war und er nur die leichte Jacke und Hose anhatte, die er immer unter dem Panzer trug. Seine Finger tasteten suchend weiter und fanden einen Boden aus roh zubehauenen Steinen mit einem fettig-feuchten Belag, während seine Nase die Gerüche alten Duldens, alter Furcht und Hoffnungslosigkeit und schmutzigen Sterbens aufnahm, die säuerlichen Dünste, die in Kerkerwände eindringen.

Er setzte sich unter Schmerzen auf, umfaßte mit den Händen die Knie und versuchte die stickige Finsternis zu durchdringen. Er streckte eine Hand aus, zog sie aber gleich wieder zurück, weil er fürchtete, schon zu wissen, was seine Finger entdecken könnten. So saß er lange Zeit da, in sich selbst zurückgezogen, und bemühte sich, ein möglichst kleines Ziel für die Furcht abzugeben, die im Dunkeln um ihn lauerte. Dann hörte er, wie sich leise Schritte näherten. Er drückte fest die Augen zu, sprach stumm ein leidenschaftliches, kindliches Gebet um himmlischen Schutz, und als er die Augen wieder aufschlug, blendete ihn die Flamme einer Kerze. Erst einen Augenblick später nahm er das Fräulein wahr, das das Licht hielt und zu ihm sagte: »Gut aufgelegt, Herr Ritter?«

Er bedachte die Frage, betrachtete die Steinwände ohne Fenster und die schwere Eichentür mit einem vergitterten Fensterchen und einem Schloß, so groß wie ein Schild, und warf dann dem Mädchen wieder einen kurzen Blick zu. »Gut aufgelegt – und ob!« sagte er.

»Es war nur so eine Redensart, Sir. Mein Vater sagt, es gehöre sich, einen Ritter zu fragen, wie er aufgelegt ist.«

»Gehört es sich für einen Ritter zu fragen, wo er sich befindet, wie er hierherkam und warum bei den vier Evangelisten Euer Vater mich hier festhält?«

»Das tut nicht mein Vater, Sir. Er ist nicht hier. Ich bin selbst gewissermaßen eine Gefangene, müßt Ihr wissen. Ich saß in der Halle des Gutshauses meines Vaters und kämmte gerade Lammwolle, um Garn zu spinnen, und überlegte, wie ich meinem Vater beim Turnier am nächsten Dienstag helfen könnte, weil er nämlich am vergangenen Dienstag einen Sturz getan hat und nach einer Niederlage schwer zu haben ist. Das ist wohl bei jedem Ritter so …«

Lancelot unterbrach sie: »Schönes Fräulein, tut mir um Christi willen die Liebe und erzählt das Ende zuerst! Wer hält mich hier gefangen?«

»Ich habe Euer Abendbrot vergessen«, sagte das Mädchen. »Es steht draußen vor der Tür.«

»Wartet doch, Fräulein. Wer …?«

Sie war fort und mit ihr die Kerze, doch einen Augenblick später kam sie mit einer Holzschüssel zurück, die einen Haufen Knochen und aufgeweichtes Brot enthielt, anzusehen wie ein Fressen für Hunde. »Es ist nichts Besonderes«, sagte sie, »aber sie haben mir aufgetragen, es Euch zu bringen.«

»Wer?«

»Die Königinnen.«

»Was für Königinnen?«

Sie stellte die Schüssel auf den Steinboden neben ihn und dann die Kerze daneben, um die Finger zum Zählen frei zu haben. »Die Königin von Gore«, zählte sie ab, »die Königin von den Inseln, die Königin von Nord-Galys und … Moment … Gore, Inseln, Galys. Ach ja, die Königin von Ostland. Das macht vier, nicht?«

»Und was für vier!« sagte Lancelot. »Ich kenne sie alle – Zauberinnen, Hexen, Satanstöchter. Haben sie mich hierhergebracht?«

»Sie sind schön«, sagte das Fräulein. »Und ihre Kleider und ihr Schmuck … Ihr müßtet die Pracht sehen, um es zu glauben …«

»Hört mich an.«

»Ja, sie haben Euch hierhergebracht, Sir, und mich gleichfalls, denn ich saß gerade in der Halle meines Vaterhauses und kämmte Lammwolle …«

»Ich weiß, und mit einem Mal wart Ihr hier. Ich habe mich am hellen Tag unter einem Apfelbaum schlafen gelegt, und jetzt bin ich hier. Was wollen diese teuflischen Königinnen mit mir anfangen?«

»Ich weiß es nicht, Sir, ich war kaum hier, da sagten sie zu mir, ich solle Euch das Abendbrot bringen und danach die Tür wieder abschließen. Ich werde die Augen offenhalten, Sir. Vielleicht kann ich Euch morgen früh mehr berichten. Jetzt muß ich fort. Sie haben mir eingeschärft, nichts zu sagen und rasch wegzugehen, weil Ihr mich fressen könntet.«

»Könnt Ihr die Kerze hierlassen?«

»Leider nicht, Sir. Ohne sie würde ich meinen Weg hier heraus nicht finden.«

Als sie gegangen war und den Ritter wieder die Finsternis umschloß, griff er gierig in die Schüssel und nagte seine Abendmahlzeit von den Knochen, während er über die seltsamen und beängstigenden Geschöpfe nachdachte, die ihn zu ihrem Gefangenen gemacht hatten.

Er hatte zwei Gründe, sich zu fürchten. In dem langen und erbarmungslosen Kampf, den er gegen sich und gegen die Welt geführt hatte, um zum vollkommenen Ritter zu werden, hatten nur wenige Frauen seinen Weg gekreuzt, die seine Aufmerksamkeit fanden. So ängstigte er sich in seiner Unwissenheit vor unbekannten Dingen. Und zweitens war er ein schlichter, geradeaus denkender Mann; das Schwert, nicht der Geist war das Werkzeug seiner Größe. Die Absichten und Mittel der Adepten der Schwarzen Kunst, Zauberer, Dämonen und dunkle Geheimnisse, das alles war ihm wesensfremd und machte ihm Angst. Seine wenigen Mißerfolge und seine noch selteneren Niederlagen waren durch Zauberei herbeigeführt worden, und nun war er mittels derselben nachtschwarzen Kunst zum Gefangenen geworden. Sein Herz bebte in der Finsternis, und er spürte, wie die Kerkermauern ihn bedrängten. Das Herz pochte ihm, der Magen preßte sich gegen die Brust und benahm ihm fast den Atem. Doch dieses Gefühl war ihm nicht unbekannt, denn Lancelot war wie alle Großen, die sich in einer Kunst üben, ein sensibler und nervöser Mann. Ein Widersacher, der ihm auf dem Turnierplatz gegenübertrat und der kalten Perfektion begegnete, mit der Lancelot seine Waffen handhabte, mußte ihn für einen Mann ohne Nerven halten. Er konnte nicht ahnen, wie bitter elend Lancelot zumute war, bevor der Kampf begann. Und während er an der Schranke innerlich bebend auf die Trompetenklänge wartete, beobachtete sein rasches Auge gleichwohl alles, registrierte jede Bewegung, Geste und Eigenart des Gegners, ordnete sie ein und speicherte sie im Gedächtnis. Und obwohl Lancelot der Panik nahe war, versuchte sein anderes Bewußtsein auch jetzt seine Gegner auszuforschen, denn mochten sie auch Damen und Königinnen sein, Feinde waren sie nichtsdestoweniger, »und Feinde«, sagte er zu sich, »müssen Absichten und Mittel und Wege haben, um ihr Ziel zu erreichen.

Sie können mich nicht hassen«, dachte er, »denn ich habe ihnen nichts zuleide getan.« Also stand ihnen der Sinn wohl nicht nach Rache. Ihn zu berauben, die Möglichkeit schied aus, denn sie waren selbst steinreich, während er außer seiner Rüstung und seinem Ruhm nichts besaß. Was also konnte ihre Absicht sein? »Sie müssen etwas von mir wollen«, sann er, »etwas, von dem ich selbst vielleicht nichts weiß – einen Dienst, ein Geheimnis?« Das Grübeln überforderte ihn, und so gab er es auf, doch sein Kämpfersinn setzte aus alter Gewohnheit die Analyse fort. »Wenn ein Mann bei einem bestimmten Hieb zusammenzuckt oder einen Hieb nicht voll ausführt, hat das gewöhnlich seinen Grund – eine alte Wunde oder auch nur ein alter Kummer. Ein Mann, der das Waffenhandwerk ergreift, tut dies aus klar erkennbaren Gründen, aber was treibt einen Mann oder eine Frau dazu, die schändliche Kunst der Nekromantie zu studieren?«

Lancelot hatte sich wieder vergaloppiert, und er trieb seinen Geist zu einem zweiten Versuch an, als ihm ein Bild vor das innere Auge trat, aber ein lebendiges, plastisches Bild, von allen Seiten zu sehen, klar und glänzend wie Kathedralglas. Er sah einen jungen, entschlossenen Lancelot – nur daß er damals Galahad genannt wurde – auf den von Hufen aufgerissenen Turnierplatz purzeln, nachdem ihn die stumpfe Lanze eines Vierzehnjährigen getroffen hatte. Wieder sprengte Galahad los, und abermals flog er durch die Luft. Sein kurzes Kinn spannte sich an, die Lippen waren blau vor Entschlossenheit. Zum drittenmal warf ihn die stumpfe Lanze aus dem Sattel, und als er hart im Sand landete, fuhr ein Schmerz wie ein Schrei sein Rückgrat hinauf. Der Zwerg mit dem Winkel am Arm, breit wie ein Faß, trug den Knaben, aus dem die Schmerzen herausbrachen, zu seiner Mutter. »Der andere Knabe war zu groß für ihn, Madame«, sagte der Knappe. »Aber den Gleichaltrigen ist er weit überlegen. Galahad wird hier nicht zu halten sein.« Doch lange Zeit war es ganz leicht, ihn zu halten, denn er konnte sich nicht rühren. Man klemmte ihn zwischen zwei Sandsäcke und sorgte so dafür, daß er still liegenblieb. Und während er so unbeweglich dalag, während sein verstauchtes Rückgrat heilte, wuchs in der Phantasie des Knaben sein Gegner zu einem baumgroßen Kerl heran. Im Wachen und im Schlafen fegte ihn immer wieder die stumpfe Lanze vom Pferd, bis er für seinen verletzten Stolz ein linderndes Mittel fand. Unter seinem linken Arm war ein kleiner Knopf, von dessen Vorhandensein nur er selbst wußte. Drei Drehungen nach rechts mit den Fingern seiner linken Hand und eine halbe zurück, und er verwandelte sich mitten im Kampf in eine schwarze Wolke und überwältigte den Vierzehnjährigen. Doch der geheime Knopf vermochte noch etwas anderes zu bewirken. Zwei Drehungen nach rechts und zwei nach links, und Galahad konnte fliegen und schweben und zustoßen wie ein Raubvogel. Manchmal verließ er während einer Tjost sein Pferd, flog ihm voraus und schlug den jungen Riesen nieder. Und als letztes: ein einfacher Druck auf den Knopf machte ihn unsichtbar. Er konnte es zwischen seinen Sandsäcken nicht erwarten, bis er allein war und den Traum zurückholen konnte. Es war eigenartig, daß ihm das alles entfallen war, als seine Fähigkeiten sich herauszubilden begannen. Und plötzlich ging Sir Lancelot in der Finsternis seines Kerkers ein Licht über die Zauberei und die Nekromantie und diejenigen auf, die sie praktizierten. »So ist das also«, dachte er. »Die armen Tröpfe, die armen, unglücklichen Tröpfe!«

Die romantische Vorstellung, daß Menschen, die sich ängstigen, an Wunden oder unter Verfolgung leiden, schlaflose Nächte verbringen, ist unzutreffend. Häufiger kommt es vor, daß sie sich in den Schlaf zurückziehen, um einige Zeit unbeschwert zu sein. Ein Mann wie Lancelot, ein gestählter Kämpfer, erfahren und in Gefahren erprobt, schläft auf Vorrat, so wie er sich mit Proviant und einem Wasservorrat versieht, denn er weiß, daß Mangel an Schlaf seine Kraft schwächt und ihn geistig abstumpfen läßt. Und obwohl der Ritter schon einen Teil des Tages verschlafen hatte, entzog er sich der Kälte, der Finsternis, der Sorge um das unbekannte Morgen, glitt in einen traumlosen Schlummer und verharrte darin, bis in sein Verlies aus nacktem Stein sanftes Licht eindrang und immer stärker wurde. Dann erwachte er, schüttelte die kalten Glieder locker und umschlang wieder die Knie, um sich aufzuwärmen. Er konnte die Quelle des Lichts nicht erkennen. Es kam von überall her, nach Art der Morgendämmerung, ehe die Sonne aufsteigt. Er sah, daß die mit Mörtel zusammengefügten Steine seines Kerkers dunkle, schmierige Flecke aufwiesen. Und während sein Blick darauf ruhte, gestalteten sich Formen an den Wänden: Bäume mit gleichförmig gerundetem Geäst, an dem eine Fülle goldener Früchte hing, und Schlingpflanzen mit Blüten, offenkundig ebenso Phantasiegebilde wie die in illuminierten Büchern, ein schattenspendender Baum und darunter ein strahlend weißes Einhorn. Mit gesenktem Horn und Hals begrüßte es eine Jungfrau, aus bunten Fäden gestickt, die das Einhorn umarmte und damit ihre Jungfräulichkeit bewies. Dann erschien in einer Ecke des Verlieses das flimmernde Bild einer breiten, weichen Lagerstatt und nahm Gestalt an: ein Bett mit einem Überwurf aus Purpursamt, auf dem große Kissen lagen, anzusehen wie weich schimmernde Edelsteine. An der zum Himmel gewordenen Zellendecke bildete sich eine heraldische Sonne in schwankendem Strahlenglanz, die die Luft erwärmte.

Sir Lancelot war ein schlichter Ritter, der nicht gelernt hatte, seinen Augen im einen Augenblick zu trauen und im nächsten nicht mehr zu glauben. Er stand auf und sah und spürte an sich ein langes, üppiges, ockergelbes Gewand, das ihm bis an die Fußknöchel reichte. Er trat an das Bett, legte sich auf die nachgebenden, weichen Polster, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah gleich darauf, wie vier reich verzierte, goldene Throne am anderen Ende des Verlieses erst schemenhaft hochstiegen und dann Gestalt annahmen, während auf dem Steinboden ein reich gewirkter Teppich wie rasch wachsendes Gras erschien.

Ein Duft wie aus einem Riechgläschen mit Rosenblättern, Zimt, Lavendel und Weihrauch, Nardenöl und Nelken erfüllte den Raum, und die Tapisserien bewegten sich in einem linden Sommerwind, der aus dem Nirgendwoher kam.

»Was auch geschehen wird, es wird in Behaglichkeit geschehen«, sagte Lancelot zu sich.

Ein paar Augenblicke herrschte eine erwartungsvolle Stille, wie auf einer reich ausstaffierten Bühne, ehe das Stück beginnt, und dann stimmte ein Flöten-Ensemble, vom Baß bis zum Diskant, eine leise, sanfte Weise in einem Rhythmus an, gemahnend an das Schreiten von Prinzessinnen, die sich in einem gemessenen Zug zur Krönung eines Herrschers begeben. Von dem Verlies war nur die Tür geblieben – eine häßliche Erinnerung aus beschlagenem Eichenholz und rostigem Eisen.

Nun ging sie von selbst auf, und die vier holden Königinnen schwebten, dem Rhythmus folgend, herein und setzten nach jedem Schritt zierlich den Fuß auf. Sie nahmen auf den Thronen Platz, anzusehen wie Wachsblumen von vollkommener Schönheit. Ihre weißen, juwelengeschmückten Hände lagen still auf den Armlehnen der Throne, und ihre Münder umschwebte ein ruhevoll-heiteres Lächeln, während sie den auf dem Bett liegenden Ritter anblickten. Die Musik verklang, und es trat eine hörbare Stille ein, wie sie aus einer ans Ohr gehaltenen Muschel dringt.

Dann erhob sich Lancelot und entbot ihnen seinen Gruß. »Seid gegrüßt, meine Damen, und herzlich willkommen.«

Sie antworteten unisono, wie in einer Litanei: »Seid gegrüßt, Sir Lancelot vom See, Sohn König Bans von Benwick, erster und trefflichster Ritter der Christenheit. Willkommen und viel Vergnügen.«

»Soll ich eure Titel aufsagen, meine Königinnen?« fragte er. »Ich kenne sie gut. Ihr seid die Königin Morgan le Fay vom Lande Gore, Halbschwester des großen König Artus, Tochter des Herzogs von Cornwall und jener holden Igraine, die König Uther Pendragons Gemahlin wurde. Und Ihr seid die Königin von den Äußeren Inseln …«

Morgan sagte: »Nicht nötig, sie alle herzusagen, wenn Ihr sie kennt.«

Lancelot betrachtete einen Augenblick ihre vollendet geformten Stirnen, die glänzenden Augen, die glatten Pfirsichwangen.

»Meine Damen«, sagte er dann, »wenn die hier im Dunkeln verbrachte Zeit mir nicht den Sinn verwirrt hat, war es gestern, als ich mich auf einer sonnenbeschienenen Ebene unter einem Apfelbaum zum Schlaf ausstreckte, und neben mir saß mein Neffe Sir Lyonel. Ich erwachte in einer kalten, öden Zelle als ein Gefangener, meiner Waffen und Rüstung beraubt. Bin ich Euer Gefangener?«

»Ein Gefangener der Liebe«, sagte Morgan. Und als die anderen sich einmischen wollten, sagte sie kalt: »Schweigt, meine Schwestern! Laßt mich sprechen. Hinterher bekommt ihr dann eure Chance.« Sie wandte sich wieder Lancelot zu. »Herr Ritter«, fuhr sie fort, »setzt Euch. Ja, Ihr habt recht. Wir haben Euch gefangengenommen.«

»Wo ist Sir Lyonel?«

»Ihr wart allein. Niemand war bei Euch.«

Lancelot setzte sich auf den Rand des samtbezogenen Bettes. »Was könnt ihr mit mir vorhaben?« fragte er verwirrt.

Drei Königinnen lachten girrend, Morgan lächelte nur.

»Mit einem willigen Gefangenen ist leichter umzugehen«, sagte sie. »Daher will ich Euch die Sache erklären. Wir vier haben alles, was das Herz begehrt: Güter, Reichtum, Macht und unfaßlich hübsche Dinge. Zudem haben wir dank unserer Künste Zugang zu Mächten jenseits und unter der Erde, ja, mehr noch: wenn unser Begehren sich auf etwas richtet, was nicht existiert, haben wir die Macht, es zu erschaffen. Ihr versteht also gewiß, daß für uns neues Spielzeug sehr rar ist. Und als wir den edelsten Ritter der Welt im Schlaf antrafen, dachten wir, daß Ihr diese Rarität seid, ein Ding, das wir noch nicht besitzen. Deshalb haben wir Euch zu unserem Gefangenen gemacht. Aber es gibt etwas, was wir nicht tun, weil es nicht in unserer Natur liegt: wir teilen nicht. Und weil wir nicht teilen, müssen wir um Euch kämpfen. Aber wenn wir früher um etwas gekämpft haben, war zuweilen am Schluß der Siegespreis so zerfleddert und zerfetzt, daß keine von uns ihn mehr haben wollte. Ihr werdet mir zustimmen, selbst den besten Ritter zu erringen, würde sich nicht lohnen, wenn er nur noch eine blutende, verstümmelte Fleischmasse wäre. Habt noch Geduld, Schwestern, ich bin fast am Ende. Wir haben beschlossen, Herr Ritter, es soll Euch überlassen bleiben, eine von uns zu wählen, und jede hat geschworen, sich an Eure Entscheidung zu halten. Hoffentlich kommt es auch so, denn diese Königinnen haben sich nicht immer an ihre Schwüre gebunden gefühlt.«

Lancelot sagte: »Was geschieht, wenn ich keine von euch wähle?«

»Nun, dann werden Euch leider für immer Finsternis und kalter Stein umschließen. Selbst der beste der Ritter würde unter solchen Umständen nicht lange am Leben bleiben, sollte er aber doch zu lange leben, würden ihm wohl Essen und Wasser entzogen werden. Aber vergeßt diese grausigen Aussichten. Jede von uns vier wird ihren Fall vertreten. Ein solches Plädoyer wird für uns etwas Lustiges sein, eine neue Erfahrung. Ich werde als letzte sprechen. Wollt Ihr beginnen, meine liebe Fürstin von Nord-Galys?«

»Mit Freuden, Schwester.« Sie warf den Kopf nach hinten, daß ihr Haar züngelte wie eine rote Flamme. Sie senkte die Lider, so daß sie ihre smaragdgrünen Augen halb bedeckten. Dann bewegte sie sich wie eine schöne Katze auf Lancelot zu, und als sie nahe vor ihm stand, roch er den sinnverwirrenden Duft ihres Körpers, und es war der Geruch von Moschus. Seine Sinne bäumten sich leise schmerzend auf, und seine Zunge nahm den salzigen Geschmack der Brunst wahr. Die Stimme der Königin schnurrte, ein tiefes Schnurren, als versetzte es ihren ganzen Körper in Vibrationen.

»Ich denke Ihr wißt, was ich Euch versprechen kann, Empfindungen, von denen Ihr nur schwach etwas ahnt – eine sich steigernde, wachsende, anschwellende, fast berstende Ekstase, ohne Sättigung, endlos, bis Ihr Euch von der Liebe gekreuzigt fühlt, schreiend nach dem Kreuz verlangt und mithelft, Euch die Nägel ins Fleisch zu treiben. Jeder weiße Nerv windet sich und nimmt teil an der dämonischen Entfesselung, peitscht sich hoch zu taumelnder, rasender Passion. Ihr leckt Euch die Lippen. Ihr glaubt, alles zu wissen. Doch was Ihr wißt, ist nur ein Flüstern im Vergleich zu dem Pandämonium, das ich Euch verheiße.«

Er atmete keuchend und stoßweise, während sie zu ihrem Thron zurückging, sich setzte und ihn mit einem triumphierenden Katzenlächeln beobachtete. Und Morgan sagte: »Ihr seid eine Teufelin. Das war nicht fair. Antwortet Ihr nicht, hochedler Ritter, ehe Ihr die anderen gehört habt.«

»Ist es fair, ihm die Möglichkeit zu geben, seine Sinne zu beruhigen?« sagte die grünäugige Königin.

»Jetzt die Königin von den Äußeren Inseln«, sagte Morgan le Fay.

Die Meereskönigin mit dem goldenen Haar saß still auf ihrem Thron, doch ihre Augen tanzten, denn in ihr lachte es.

»Es war eine glanzvolle Darbietung, Sir«, sagte sie. »Ich erkenne es uneingeschränkt an. Der Raum ist noch ganz geschwängert davon. Ich möchte an meiner teuren Konkurrentin keine Kritik üben, aber mir scheint doch, daß man selbst ihrer Beschlagenheit in einer recht simplen Tätigkeit, in der Ziegen beschlagener sind als Menschen und Kaninchen allen anderen überlegen, nach einer Weile überdrüssig werden könnte. Es könnte geschehen, daß es Euch eines Morgens nach derbem Brot verlangt, um den Geschmack feiner Gewürze zu vertreiben. Und man könnte sich vorstellen, daß die hochgepeitschten Nerven vielleicht stumpf und schwer werden. Es ist ja schon vorgekommen, daß das Entzücken an dieser … Kunst sich im Handumdrehen in Ekel verwandelt.«

Die Königin mit dem rotgrauen Haar fletschte ihre scharfen Zähne. »Kommt zu Eurem eigenen Geschäft«, fauchte sie. »Laßt meines in Ruhe.«

»Sanft, Schwester – sachte. Erster der Ritter, ich denke, Ihr werdet mir zustimmen, daß jeder Zustand, jedes Tun, Klima, Vergnügen, jeder Schmerz und Kummer, jede Freude, Sieg oder Niederlage im Übermaß ermüdend wird. Meine Gabe für Euch soll die Veränderung sein. Der eine Tag wird von Lachen widerhallen wie das Gekräusel eines Teichs, der im Sonnenschein lächelt, während kleine Wellen vergnügt gegen moosbewachsene Steine plätschern; der nächste wird Sturm bringen und wilde, entfesselte, zerschmetternde Gewalt, den Geist aufwühlen – wundervoll! Ich verspreche Euch, daß jede Freude durch ein bißchen Schmerz noch verstärkt, daß Ruhe auf Unruhe folgen, Hitze mit Kälte abwechseln wird. Lüste des Fleisches und des Geistes werden zu kühlender, asketischer Heilung führen und nach der Erschlaffung neue Kraft schenken. Ich verspreche, daß nichts, was Ihr erlebt, in seiner Wirkung abstumpfen wird. Mit einem Wort, ich werde Euren Gefühlen, Sinnen, Gedanken mehr Weite schenken, bis zur äußersten Grenze, so daß Ihr niemals den allgegenwärtigen Gifthauch der Langeweile, unbefriedigter Neugier, unerforschter Möglichkeiten spüren werdet. Ich biete Euch ein lebensvolles Leben. An einem Tag werdet Ihr König und am nächsten ein von der Arbeit zermürbter Sklave sein, damit Euer Königtum Wert und Wertschätzung gewinnt. Wo andere Euch nur eine einzige Sache bieten, biete ich Euch alles, in Gegensätzen übereinandergeschichtet.« Ihre Augen waren jetzt schiefergrau, düster, und darin stand ein Glitzern, das einen Sturm ankündete. »Und schließlich biete ich Euch einen Tod, wie er Euch gebührt, einen edlen und glanzvollen Tod als letzte Krönung eines edlen Lebens voller Glanz.« Sie warf einen triumphierenden Seitenblick auf die konkurrierenden Königinnen.

Morgan sagte: »Sie hatte alle ihre Schätze ausgebreitet, nicht wahr? Sie hätte alle Hände voll zu tun, dieses Versprechen einzulösen.«

Sir Lancelot stützte die Ellenbogen auf die Knie und das Kinn in die Hände. Die Narben alter Wunden hoben sich weiß auf seinem Gesicht ab, und die Augen glänzten zwischen den halb geschlossenen Lidern. Die Königinnen auf dem Kriegspfad konnten seine Gedanken nicht lesen.

Die Königin von Ostland seufzte. Ihre Haut hatte die Farbe von Rosenasche. Sie war sanft und lieblich anzusehen in ihrem lavendelfarbenen Gewand, und in ihren haselnußbraunen Augen schienen Mitgefühl, Geborgenheit und Verstehen vereint mit Nachsicht zu leben.

»Armer, matter Ritter«, sprach sie leise. »Meine Freundinnen haben Euch gesehen, wie sie selbst sind, nichts als Begierde und Unrast – das sind ihre Spezialitäten. Ich weiß, daß alle Männer dieses doppelte Verlangen verspüren, die einen mehr, die anderen weniger. Ich habe gegenüber meinen Konkurrentinnen einen Vorteil, Sir Lancelot. Ich kenne nämlich Eure Mutter, mein kleiner Galahad!«

Morgan lachte, und die anderen beiden schrien: »Schamlos!«

Lancelots Kopf fuhr hoch, und in seinen Augen schimmerte es gefährlich. Doch die Königin von Ostland fuhr leise fort: »Königin Elaine von Benwick, jenseits des Meeres, Gemahlin des großen Königs Ban, Elaine, die teure Königin, und so schön, daß Gesandte aus aller Welt ihre Aufträge vergaßen, wenn sie sie erschauten. Doch sie vergaß nicht eines stupsnasigen Knirpses mit schmutzigem Gesicht und dem Namen Galahad. Nach einem anstrengenden Tag auf der glanzvollen und prunkreichen Bühne des Hofes war sie nicht zu müde, die Wendeltreppe in dem kleinen Turm hinaufzusteigen, um dem Kind, das vergessen hatte, sich die Hände zu waschen, einen kleinen Kuchen zu bringen. Niemals konnte eine fremde Gesandtschaft sie von einem weinenden Kind in Nöten fernhalten. Und Kriege und Gemetzel um die Mauern der Stadt minderten nichts an der Tragödie, wenn ein schmieriger kleiner Finger sich an einem neuen Messer schnitt und kleine Bluttränen weinte. Und wenn das Fieber kam, gab es für sie die Welt nicht mehr, und sie kehrte erst zurück, wenn eine gewisse kleine, sommersprossige Stirn kühl geworden war.«

Lancelot sprang auf und rief: »Hört auf damit! Oh, wie gemein! Oh, welche Niedertracht! Schaut, ich kreuze die Finger meiner Hände. Da habt Ihr ein Vaterunser über Euer Gesicht!«

Königin Morgan murmelte: »Bietet Ihr Euch ihm als Mutter an, meine Liebe?«

»Ich biete ihm den Frieden, den er anderswo nie gefunden hat, die Sicherheit und Wärme, nach der er noch heute sucht, Lob für seine Tugenden und ein sanftes, mitfühlendes Verzeihen seiner Mängel. Setzt Euch, edler Ritter. Ich wollte Euch nicht zu nahetreten. Ich weiß, daß Guinevere der Königin Elaine ähnlich sieht – doch das ist alles. Erwägt, was ich Euch anbiete.«

»Ich will nichts hören.«

»Bedenkt es!«

»Ich höre Euch nicht.«

»Aber Ihr werdet Euch daran erinnern. Erwägt es.«

»Meine Damen, mir reicht es jetzt«, sagte er. »Ich bin Euer Gefangener. Laßt Männer holen. Tut mit mir, was Ihr wollt, doch seid versichert, daß ich kämpfend untergehen werde. Ihr seid gescheitert.«

Königin Morgans Stimme durchschnitt die Luft wie ein Krummsäbel. »Ich bin nicht gescheitert«, sagte sie. »Meine schlauen, kleinen Hexenschwestern haben Euch bunte Fetzen von einem Gewand, abgesprungene Stücke von einer Heiligenfigur geboten. Ich biete Euch das Ganze, von dem alles andere nur Bruchstück ist – ich biete Euch Macht. Wenn Ihr Dirnen in phantastischen Gewändern begehrt, Macht wird Euch dazu verhelfen. Bewunderung? Eine ganze Welt verzehrt sich danach, mit schmatzenden Lippen der Macht den Hintern zu küssen. Eine Krone? Macht und ein kleines Messer werden sie Euch aufs Haupt setzen. Abwechslung? Im Besitz von Macht könnt Ihr Städte anprobieren wie Hüte oder sie zertrümmern, sobald Ihr ihrer überdrüssig seid. Macht zieht Loyalität an, obwohl sie keine braucht. Der Wille zur Macht läßt einen Säugling unverdrossen weitersaugen, wenn er schon lange gesättigt ist, leitet ein Kind an, dem Bruder das Spielzeug wegzunehmen, treibt Scharen machtanbetender Mädchen dazu, sich anzupreisen. Was treibt einen Ritter durch Qualen zu seinem Siegespreis oder zum Tod? Die Macht des Ruhms. Warum häuft jemand Besitztümer an, die er nicht nutzen kann? Warum unterwirft ein Eroberer Länder, die er niemals sehen wird? Was veranlaßt einen Einsiedler, im schwarzen Schmutz seiner Zelle zu vegetieren, wenn nicht die Verheißung von Macht oder wenigstens Einfluß dereinst im Himmel? Und weisen etwa die kleinen, verrückten Heiligen die Macht der Fürsprache von sich? Nennt mir ein Verbrechen, das sich in den Händen der Macht nicht zur Tugend wandelt. Ja, ist nicht die Tugend selbst eine Art Macht? Philanthropie, gute Werke, Nächstenliebe, verschaffen sie nicht Anwartschaften auf künftige Macht? Die Macht ist der einzige Besitz, der nicht uninteressant und langweilig wird, denn es gibt nie genug davon, und selbst ein alter Mann, in dem die Säfte aller anderen Begierden vertrocknet sind, wird, wenn er sich auf wankenden Knien dem Grab entgegenschleppt, noch immer mit flatternden Händen nach der Macht greifen.

Meine Schwestern haben Käse für die Mäuse kleiner Sehnsüchte ausgelegt. Sie haben an körperliche Regungen, an die Unrast, an die Erinnerung appelliert. Ich biete Euch kein Geschenk, sondern die Fähigkeit, das Recht, ja, die Pflicht, alles als Geschenk zu fordern, alles, was Euch nur einfällt, und es, wenn Ihr genug davon habt, zu zertrümmern wie einen Topf aus Ton und auf den Kehrichthaufen zu werfen. Ich biete Euch Macht über Männer und Frauen, über ihre Körper, über ihre Hoffnungen, ihre Ängste, ihre Treuebindungen und ihre Sünden. Dies ist die Macht, die den höchsten Genuß bereitet. Denn Ihr könnt die Menschen ein bißchen rennen lassen und sie mit lockerem Prankengriff abfangen, kurz bevor sie den Himmel erreichen. Und wenn Euch dieses Spiel schließlich leid und verächtlich wird, könnt Ihr sie zu zuckenden Klumpen zusammenschrumpfen lassen, als ob Ihr auf ein Regiment von Schnecken Salz streutet, und zusehen, wie sie zerfließen und in ihrem eigenen Schleim verenden.

Meine Schwestern wollten Eure Gefühle ansprechen. Ich spreche zu Eurem Gehirn. Meine Gabe – das ist eine Leiter, um darauf zu den Sternen emporzusteigen, die Eure Brüder und Euresgleichen sind, von dort herabzublicken und zu Eurem Gaudium den Ameisenhügel der Welt aufzuscheuchen.«

Morgan spielte kein talentiertes Gaukelspiel. Ihre Worte waren mit leidenschaftlicher Ehrlichkeit gewappnet, und sie klangen wie das Gehämmer einer Streitaxt gegen einen Bronzeschild.

Sir Lancelot starrte sie ungläubig an, denn ihr Gesicht war zu einem Katapult geworden, das glühendrote Wörter gegen seine Wälle schleuderte.

»Wovon sprecht Ihr? Was ist Macht?« fragte er.

»Was Macht ist? Macht ist Macht, nur das, unabhängig, sich selbst genügend, auf nichts angewiesen und unangreifbar, außer wiederum durch Macht. Machtgefühl läßt alle anderen Gaben und Attribute belanglos erscheinen. Das ist mein Geschenk für Euch.« Sie lehnte sich keuchend und schwitzend auf ihrem Thron zurück, und die anderen drei Königinnen waren unter der Glut von Morgans Hitze weich geworden wie Wachs. Dann richteten alle vier ihre Augen wieder auf Lancelot, helle, flache Augen, aus denen eine aktive und zugleich lässige Neugierde sprach. So hätten sie einen Hengst und seine Reaktion auf die schillernden Schalen von Kanthariden beobachten oder Ausschau nach dem ersten bläulich-weißen Schweißtropfen auf der Stirn einer Rivalin halten können.

Lancelot zeichnete mit einem Finger Figuren auf den Flaum seines ockergelben Gewandes, ein Quadrat und ein Dreieck. Dann wischte er sie glättend weg und zeichnete einen Kreis und ein Kreuz nebeneinander, umgab das Kreuz mit einem Kreis und füllte den Kreis mit einem Kreuz. Sein Gesicht spiegelte Verwirrung und Traurigkeit. Schließlich blickte er zu Morgan hoch. Leise sagte er: »Und deshalb habt Ihr zweimal Euren Bruder, den König, zu töten versucht.«

Sie spuckte nach ihm. »Ein halber Bruder und ein halber König. Ein königlicher Schwächling. Was versteht er denn schon von Macht? Ich sage Euch, in der Welt der Macht ist Schwäche eine Sünde – die einzige –, und sie wird mit dem Tod bestraft. Das ist natürlich ein sehr interessantes Thema. Aber wir sind nicht hierhergekommen, um über Sünden zu sprechen. Wohlan, hochedler Ritter – wir haben Euch unsere Angebote unterbreitet. Bleibt noch, daß Ihr Eure Wahl trefft.«

»Wahl?« sagte er ausdruckslos.

»Tut nicht so, als hättet Ihr vergessen. Ihr sollt zwischen uns wählen.«

Er schüttelte langsam den Kopf. »Ich kann nicht wählen«, sagte er. »Ich bin ein Gefangener.«

»Unsinn, wir haben Euch die Wahl freigestellt. Sind wir nicht schön?«

»Ich weiß nicht, Madame.«

»Das ist lächerlich. Natürlich wißt Ihr es. Es gibt keine schöneren Frauen auf der Welt und auch keine, die nur halb so schön sind. Dafür haben wir gesorgt.«

»Das ist es vermutlich, was ich meine. Ihr habt eure Gesichter und Körper gewählt, nicht wahr? Sie durch eure Künste erschaffen.«

»Und wenn schon. Wir sind vollkommen.«

»Ich weiß nicht, womit ihr angefangen habt. Ich weiß nicht, was ihr seid. Ich glaube, ihr könnt euer Äußeres verändern.«

»Natürlich können wir das. Aber was macht es schon? Ihr seid doch gewiß kein solcher Narr, Guinevere für ebenso schön zu halten, wie wir es sind.«

»Aber seht, meine Damen. Guinevere hat das Gesicht und den Körper von Guinevere. Es ist alles da, war von Anfang an so vorhanden. Guinevere ist Guinevere. Man kann sie lieben, weil man weiß, was man liebt.«

»Oder sie hassen«, sagte Morgan.

»Oder sie hassen, Madame. Aber eure Gesichter zeigen nicht euch. Sie sind nur von euch gemalte Bilder dessen, was ihr gerne wärt. Ein Gesicht, ein Körper wächst und leidet mit seinem Besitzer. Das Gesicht trägt Narben und Spuren von Schmerzen und Niederlagen, aber auch den Glanz von Mut und Liebe. Und zumindest für mich erwächst die Schönheit aus alledem.«

»Warum hören wir uns sein Geplapper an?« rief die Königin von Ostland zornig.

»Weil wir vielleicht etwas daraus lernen, Schwester. Wir haben, so scheint es, einen Fehler gemacht. Hier geht es um ein Experiment. Fahrt fort, Sir«, sagte Morgan, und ihre Augen hatten sich überzogen, waren ausdruckslos wie die einer Schlange.

Lancelot sagte: »Einmal stand ich nachts an einem offenen Fenster und blickte hinaus. Ich sah rote Augen, und in den Lichtkreis der Fackel trat eine große Wölfin, die den Kopf hob und mir in die Augen schaute. Sie öffnete das grinsende Maul, und die großen Fänge und die Zunge troffen von frischem Blut. ›Reicht mir eine Lanze!‹ rief ich, doch der kluge Mann neben mir am Fenster sagte: ›Die nützt nichts. Das ist Morgan le Fay, die den Mond anbetet.‹«

»Wer war das, dieser Lügner?«

»Nein, Madame, er war kein Lügner, doch ein sehr kluger Mann.«

»Erwähnt Ihr das, um mich zu beleidigen?«

»Nein … ich denke nicht. Ich erwähnte es, weil ich mich frage, wer von beiden Ihr seid – die schöne Frau oder die Wölfin oder von beiden etwas.«

»Ich will nichts mehr von ihm wissen«, sagte die Königin von den Äußeren Inseln. »Er ist ein Narr. Er denkt zuviel.«

Lancelot lächelte traurig. »Hexenmeister und Zauberinnen«, sagte er, »haben von jeher die Männer verwirrt und ihnen … ja, Angst eingejagt, schreckliche Angst.

Als ich heute morgen in der Kälte der Finsternis lag, ehe ich das Vergnügen eurer Gegenwart hatte, meine Damen, fiel mir ein, wie ich als Kind – ich hatte damals eine Rückenverletzung – für eine kleine Weile zu einem Zauberer wurde und plötzlich zu verstehen glaubte … doch die Zauberei verstehen beseitigt die Furcht nicht. Es steigert sie.«

»Sollen wir uns dieses Gerede anhören, Schwestern? Er spricht von Kindern. Das ist eine Zumutung. Ich werde seine Beine in Schlangen verwandeln«, kicherte die Königin von Nord-Galys. »Ja, das ist ein guter Einfall. Und die Schlangen würden in verschiedene Richtungen davonkriechen, und …«

»Hört ihm zu«, sagte Morgan. »Sprich weiter, Sohn eines Schweines. Sag uns, warum deine großartige Entdeckung dir Angst macht. Ich freue mich immer, solche Dinge zu hören. Sie regen die Phantasie an.«

Lancelot stand auf und setzte sich dann wieder. »Ich habe Hunger«, sagte er. »An den Knochen, die ihr mir geschickt habt, war nicht viel Fleisch.«

»Wie denn auch? Sie wurden ja zuerst den Hunden vorgeworfen. Trotzdem, vergeßt sie nicht. Sie waren vielleicht Eure letzte Mahlzeit. Sprecht weiter über die Furcht.«

»Vielleicht ist es zu einfach, Madame. Aber Ihr wißt ja, wie Kinder manchmal, wenn ihnen etwas, was sie tun möchten, verboten wird, schreien und toben und sich mitunter im Zorn selber weh tun. Dann verstummen sie und werden rachsüchtig. Doch sie sind nicht stark genug, um sich an dem zu rächen, den sie für ihren Unterdrücker halten. Ein solches Kind zertritt etwa eine Ameise und sagt dazu, auf seine Kinderfrau gemünzt: ›Das gilt dir.‹ Oder es versetzt einem Hund einen Tritt und nennt ihn beim Namen seines Bruders, oder es reißt einer Fliege die Flügel aus, weil es seinen Vater umbringen möchte. Und dann, von der Welt enttäuscht, baut es sich seine eigene, in der es König ist, und nicht nur über Männer und Frauen und Tiere, sondern auch über die Wolken, die Sterne und den Himmel herrscht. Es ist unsichtbar, es kann fliegen. Keine Macht kann es fest- oder fernhalten. In seinem Traum erbaut es sich nicht nur eine Welt, sondern erschafft sich auch selbst neu, so, wie es gerne wäre. Das ist wohl alles, was dazu zu sagen ist. In der Regel macht es dann seinen Frieden mit der Welt und ersinnt Kompromisse, so daß die beiden einander nicht viel Schaden zufügen. Ja, so ist das.«

»Was Ihr sagt, ist wahr, aber was kommt noch?«

»Nun, einige schließen nicht Frieden. Und von diesen werden manche als hoffnungslos schwachsinnig, Hirngespinsten nachjagend eingeschlossen. Doch es gibt andere, Schlauere, die mittels Schwarzer Künste lernen, den Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Das ist Zauberei und Nekromantie. Weil solche Kinder nicht genug Weisheit und Güte besitzen, funktioniert die mittels Magie erbaute Welt nicht, und viele nehmen Schaden oder kommen um, weil sie schlecht konstruiert ist. Und dann befällt das Kind Wut, zerstörerische Wut, rachsüchtiger Haß. Hier hat die Furcht ihren Anlaß, denn Hexenmeister und Hexen sind Kinder, in einer Welt lebend, die sie ohne den Sauerteig des Mitgefühls oder das Regelwerk der Organisation geschaffen haben. Und was könnte mehr Furcht erregen als ein Kind mit unumschränkter Macht? Eine Lanze und ein Schwert sind, weiß Gott, schreckliche Waffen. Und deswegen wird dem Ritter, der sie führt, als erstes beigebracht, Mitleid, Gerechtigkeit, Gnade zu üben und erst als letztes Mittel – Gewalt.

Ich habe Angst, meine Damen, weil ihr verkrüppelte, rachsüchtige Kinder mit Macht in den Händen seid. Und ich bin euer Gefangener.«

»In den Feuern der Hölle soll er braten!« schrie die Königin von Ostland, und ihr Gesicht war weiß und aufgedunsen.

Die rothaarige Hexe von Nord-Galys warf sich auf den Boden. Ihre zu Klauen gekrümmten Finger krallten sich in die Steine. Sie machte einen Katzenbuckel, schlug die Stirne gegen den Boden und kreischte dazu, bis Morgan die Arme hob, die Handflächen nach vorne. Sir Lancelot verschränkte unter seinem Gewand fest die Finger. Er hörte den Zauberspruch – die Finsternis umschloß ihn wie eine Faust, die Luft wurde kalt, und er lag nackt auf den Steinen.

Für das Zaubergebilde dieser Burg war das Verlies, in dem Sir Lancelot lag, bemerkenswert fest und auf Dauer gebaut, mit all den Unbehaglichkeiten und der unguten Feuchtigkeit eines alten Gemäuers. Der Ritter blieb nicht lange auf dem Steinboden ausgestreckt liegen, denn sein Rittertum war gleichfalls fest und auf Dauer gebaut und hatte die edelsten und tapfersten Grundstoffe des menschlichen Geistes zum Fundament. Er stand auf, tastete sich durch die modrige, stockdunkle Zelle zur Wand und daran entlang zu der eisenbeschlagenen Tür aus Eichenholz. Sie war natürlich verschlossen, aber durch das vergitterte Fensterchen roch er den kühlen Wind, der draußen durch den Korridor wehte.

Vielleicht stand ihm der Tod bevor, doch der ritterliche Ehrenkodex verlangte, daß er, wenn er sterben mußte, dem Tod entgegenging, als wäre er ein Teil des Lebens. Und sollte sich im Unvermeidlichen doch irgendein Ausweg zeigen, mußte er sogleich und mit aller Kraft die Gelegenheit nutzen, denn mochte das Gesetz des Rittertums auch Mängel aufweisen, eine gefügige Hinnahme von Unrecht und Gewalt gehörte nicht dazu. Ein Mann durfte den Tod wohlgemut und in heiterer Fassung hinnehmen, wenn er jeden ehrenvollen Weg ausgeschritten hatte, um ihm zu entgehen, aber keiner, der seine Sporen wert war, kroch demütig seinem Schicksal entgegen oder beugte willig den Hals unter das Schwert. Sir Lancelot wußte, daß es keinen Sinn hatte, die Zelle nach etwas abzutasten, was ihm als Waffe dienen könnte. Es gab keinen losen Stein, keinen lockeren Balken, keinen Nagel, der dafür zu gebrauchen wäre. Seine einzigen Werkzeuge waren seine Zähne und Fingernägel, als Keulen hatte er nur die Fäuste, als Stricke einzig die Muskeln seiner Arme und Beine. Es konnte sein, daß man ihn hier wie Merlin einsam und hilflos liegenließ, bis er an der Finsternis, der Kälte und dem Hunger zugrunde ging. Doch wenn er recht hatte, wenn die Frauen, die ihn gefangenhielten, gewalttätige und rachelüsterne Kinder waren, würden sie es sich nicht versagen können, den Leiden ihres Opfers zuzusehen und sich an seinem Kampf ums Überleben zu weiden. Er dachte wieder an Merlin, und dabei fiel ihm ein, wie dieser ihm als kleinem Jungen, der die Knie seiner Mutter umklammerte, die Zukunft vorausgesagt hatte. Was er von dieser Prophezeiung möglicherweise vergessen hätte, hatte Königin Elaine für ihn lebendig erhalten. Er werde der erste Ritter der Welt werden, hatte Merlin gesagt. Nun, heute war die Welt dieser Meinung. Dieser Teil der Prophezeiung war eingetroffen – um so mehr Anlaß hatte Lancelot, auch dem zweiten zu vertrauen: Nach einem langen und tatenreichen Leben werde er an Liebe oder Liebesgram sterben – jedenfalls an Liebe. Und hier, an diesem grausigen Ort, war sowenig Liebe wie Licht zu finden, und abgesehen von seiner ritterlichen Minne für Guinevere empfand Lancelot keine Liebe, die ihm das Herz brechen könnte. Also war seine Todesstunde noch nicht gekommen. Als Mitglied des Ritterstandes hatte er die Pflicht, auf sich zu nehmen, was Gott schicken mochte, aber andererseits erwartete selbst Gott von ihm, daß er die Gaben nutzte, die ihm verliehen worden waren.

Sein Sinnen nahm der Dunkelheit etwas von der Schwärze und milderte die Kälte. War dies nicht seine Todesstunde, mußte er jede Gelegenheit nutzen, die sich bieten mochte, ja, sich jetzt schon darauf einstellen. Wenn die finsteren, bösen Königinnen kamen, um sich an seinen Schmerzen zu weiden, würden sie mit Zauberkünsten als Waffen und Rüstung erscheinen. Und wie jedermann, wußte auch Lancelot, daß die Taktik der Nekromantie bestimmte, unveränderliche Handlungen verlangte. Die Hände mußten vorgeschriebene Bewegungen vollführen, die Stimme mußte rituelle Silben sprechen. Wurde einem Zauberer beides verwehrt, war er hilflos wie ein Schaf. Wenn Lancelots Feindinnen glaubten, seinen Tod bewerkstelligen zu können, stellten sie sich gegen Merlin, aber Merlin war mächtiger als sie, und das hieß, daß sie trotz all ihrer Macht die Zukunft nicht voraussehen und auch Lancelots Gedanken nicht lesen konnten. Wenn er sich also hinter die Tür stellte und dort lautlos wartete, würden sie nicht ahnen, daß er dort war. Und wenn er der ersten der vier die Arme festhielt, damit sie die Bewegungen nicht vollführen konnte, und ihr mit der freien Hand den Mund zuhielt, um Zaubersprüche zu ersticken und zugleich mit laut gerufenen Paternostern seinen Rücken gegen einen Angriff von hinten deckte, konnte es sein, daß er Sieger blieb. Zumindest würde sich der Versuch lohnen, und mehr als einen – beherzten – Versuch verlangten die ritterlichen Regeln nicht.

Seine Finger suchten die Ränder der Tür ab und stellten fest, daß sie nach innen aufging, wie es nicht anders sein konnte. Wäre es anders gewesen, hätten verzweifelte Gefangene sie vielleicht nach außen drücken können. Doch sie war gesichert, denn der steinerne Türrahmen und -sturz verhinderten es. Somit hatte Lancelot die Tür als Deckung, sobald sie aufging. Aber falls sie kamen – wann? Manchmal ließ man einen Menschen schmachten, bis Finsternis, Hunger und Verzweiflung ihn gebrochen hatten und er nur noch eine verzagte, lallende Masse Fleisch war. Doch diese Frauen waren launenhaft wie Kinder, und die Geduld gehörte nicht zu den Eigenschaften ihres rastlosen Naturells. Zudem waren sie arrogant und ergrimmt. Sie würden nicht warten, bis sich ihr Zorn gelegt hatte. Doch er konnte auf eine lange Erfahrung als Kämpe zurückblicken. Jedem Kampfgetümmel und Waffengeklirr gingen hundert Stunden des Wartens voraus, und ein guter Kämpe lernte zu warten.

Sir Lancelot lehnte sich gegen die Wand und rief sich einen anderen soldatischen Trick in die Erinnerung: im Stehen zu schlafen, aber nur leicht zu schlummern. Er wachte in Abständen auf und rieb sich die kalt gewordenen Hände, um sie geschmeidig zu machen.

Er wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, als ein Geräusch sein Wachtposten-Ohr aufhorchen ließ – leichtfüßige Schritte draußen im Korridor, noch weit weg. Sein Herz machte einen Sprung, denn was sich da näherte, war nur eine einzige Person, und sie kam leise, wie es schien, beinahe heimlich herbei. Nicht ein Wächter mit Eisenschuhen und klapperndem Schwert. Dann war durch das Gitterfensterchen ein schwaches Licht zu sehen, und Sir Lancelot trat zurück, um den Vorteil der aufgehenden Tür zu nutzen.

Die schwere Türe öffnete sich ganz langsam und so leise, wie ihr eingerosteter Mechanismus es zuließ. Die Scharniere quietschten, ein Lichtband und dann ein breiterer Streifen Licht fielen herein, und als eine Gestalt eintrat, sprang Lancelot darauf zu. Sein rechter Arm umklammerte die Arme. Die Kerze flog auf den Boden, und es wurde finster. Seine linke Hand preßte sich auf einen weichen Mund, und er rief laut: »Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name …« Dann verstummte er, denn der weiche, kleine Körper, den er festhielt, leistete keinen Widerstand. »Wer seid Ihr?« flüsterte Lancelot heiser, und hinter der Innenfläche seiner linken Hand drang ein Gurgeln hervor. Er lockerte den Druck etwas, bereit, gleich wieder fest zuzudrücken.

»Laßt mich los. Ich bin das Fräulein, das Euch das Abendbrot brachte.«

Seine Arme fielen herab, und die lange aufgestaute und plötzlich freigesetzte Spannung ließ ihn in einem Kälteschauer erbeben.

»Jetzt haben wir kein Licht«, sagte die schwache Stimme.

»Das ist jetzt nicht wichtig. Wo sind die Königinnen?«

»In der großen Küche. Ich habe sie durch die Tür erspäht. Sie haben auf dem Feuer einen Kessel, so groß, daß sie darin ein Schwein abbrühen könnten. Und sie werfen Dinge hinein, die ich lieber nicht beim Namen nenne – lebende darunter. Sie sehen aus wie uralte, weißhaarige Vetteln und kochen ein Gebräu zusammen, das stark genug ist, die Tore von Camelot aus den Angeln zu reißen.«

»Haben sie Euch hierhergeschickt?«

»O nein, Herr Ritter. Sie würden mich in den Kessel stecken, wenn sie wüßten, daß ich hier bin.«

»Wißt Ihr, wo meine Rüstung ist … mein Schwert?«

»Im Wachzimmer über dem Tor. Ich habe alles selbst hingebracht.«

»Und mein Pferd?«

»Ich habe es in den Stall geführt und ihm auch Futter gegeben.«

»Gut. Dann machen wir uns jetzt auf.«

»Einen Augenblick, Sir. Stimmt es, daß Ihr Sir Lancelot seid?«

»Das bin ich.«

»Zwölf Türen und zwölf Türschlösser trennen Euch von der Freiheit.«

»Und?«

»Ich kann sie aufschließen, Sir.«

»Dann tut es.«

»Oder auch nicht, Sir.«

»Fräulein, wir haben Eile. Wovon redet Ihr eigentlich?«

»Am nächsten Dienstag, Sir, kämpft mein Vater im Turnier gegen die, die ihn besiegt haben.«

»Und was ist damit?«

»Wenn Ihr mir in die Hand versprecht, ihm zum Sieg zu verhelfen, werde ich die Türen aufschließen.«

»Beim heiligen Herzen meines Erlösers«, rief Lancelot entnervt. »Die Pforten der Hölle reißen ihren Rachen auf, und Ihr wollt mit mir feilschen!«

»Er ist unerträglich, wenn er verliert, Sir. Gebt mir Euer Wort.«

»Ja, ja, natürlich. Gehen wir jetzt!«

»Wir können erst gehen, wenn Ihr wißt, was Ihr zu tun habt.«

»Dann sagt es mir, aber geschwind! Die vier Teufelinnen können jederzeit kommen.«

»Ach, ich glaube, nicht so bald, Sir. Sie sind ganz ins Kochen vertieft und schlürfen von dem dunklen Zaubertrunk, der aus Hind oder Cipango oder sonst irgendeinem fernen Land kommt. Ein frommer Eremit hat meinem Vater erzählt, der Trank sei aus dem bösen Blut des Schlafmohns gemacht …«

»Fräulein«, sagte er, »was schert es mich, aus welchem Blut er ist.«

»Schon, aber er macht bereits nach kurzer Zeit schläfrig. Ich denke, die Königinnen werden einschlafen.«

Er war bezwungen und seufzte: »Eine Eichel zu drängen, zur Eiche zu werden, nützt ebensoviel, wie einem Fräulein Beine machen zu wollen, wenn es sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Also gut, meine Liebe – richten wir uns nach Eurem Schneckentempo. Wie heißt Euer Vater?«

»Sir Bagdemagus, Herr Ritter, und er erlitt beim letzten Turnier üblen Schimpf.«

»Ich kenne Euren Vater gut«, sagte Lancelot. »Ein trefflicher und edler Ritter. Bei allem, was mir heilig ist, ich werde ihm zu Diensten sein und Euch gleichfalls.«

»Danke, Sir. Und jetzt müßt Ihr wissen, daß zehn Meilen westlich von hier weiße Nonnen ihr Kloster haben. Reitet dorthin und wartet. Ich werde meinen Vater zu Euch führen.«

»Ich verspreche es, so wahr ich ein Ritter bin«, sagte Lancelot. »Und jetzt laßt uns aufbrechen. Sagt mir, ist es Tag oder Nacht?«

»Es ist Nacht, Sir. Wir müssen uns den Korridor entlang- und die Treppe hinauftasten. Nehmt meine Hand, denn wenn wir einander in diesem Bienenhaus verlieren, ist es um uns geschehen.«

Zwölf Schlösser schloß sie auf, zwölf protestierende Türen öffneten sich, und im Wachzimmer über dem Tor half sie ihm, wie es einer Rittertochter anstand, die Rüstung anzulegen. Sie brachte ihm sein Pferd und redete dem Roß gut zu, während Lancelot es sattelte. Dann saß er auf und sagte: »Mein Fräulein, ich werde Euch, so Gott will, nicht enttäuschen.«

Er ritt zum Burgtor hinaus, über die Zugbrücke, von der die Hufschläge hallten, und wandte sich um, weil er zum Abschied winken wollte, doch die Burg war verschwunden – nichts war mehr zu sehen als der gestirnte Himmel. Das Ohr vernahm nur den Ostwind, unter dem sich das Gras auf dem vielumkämpften Hügel bog, und den durchdringenden Schrei einer langohrigen Eule, die auf der Wiese Maulwürfe jagte. Dann suchte Lancelot den Ausgang aus dem umwallten Plateau, und seine an die lichtlose Zelle gewöhnten Augen empfanden die Nacht unter den Sternen als strahlend hell. Er überquerte die Gräben und ritt hinab in die Ebene, und da er weder Straße noch Pfad fand, schlug er – wie er annahm – westliche Richtung ein.

Er ritt viele Stunden dahin, bis sich ihm der Kopf drehte, ermattet von der Sicherheit nach tödlicher Gefahr, und schließlich sah er unter einem Baum ein Zelt stehen und lenkte sein Pferd in die Richtung. Er rief höflich zu dem Zelt hin, um den Besitzer auf sich aufmerksam zu machen. Als keine Antwort kam, saß er ab, blickte hinein und sah ein bequemes, weiches Bett, doch keinen Menschen.

»Hier will ich schlafen«, beschloß er. »Niemand könnte mir eine kleine Rast verdenken.« Er band sein Pferd in der Nähe an, so daß es grasen konnte. Dann legte er die Rüstung ab, sein Schwert griffbereit, sich selbst auf das Bett und schlief beinahe augenblicklich ein. Eine Zeitlang führte ihn der Weg ins Dunkel und in die unbetretenen Höhlen des Schlafs, doch dann kam er ans Licht und durchstreifte die Wälder und Weiden seiner Erinnerungen und seiner Wünsche. Und dann war ihm, als läge eine liebliche Frau bei ihm, die ihn hitzig und lüstern umarmte und herzte, und der schlafende Ritter vergalt willig Kuß mit Kuß und Umarmung mit suchender Liebkosung, bis seine Vorfreude ihn aus der Tiefe des Schlafs an die Oberfläche schwemmte und er am Ohr eine bärtige Wange und um die Taille einen Arm mit harten Muskeln spürte. Da sprang er mit einem Schlachtruf aus dem Bett, griff nach seinem Schwert, und sein Bettgenosse setzte ihm nach. Die beiden umarmten einander wieder, doch diesmal im Kampf. Sie wälzten sich auf der Erde, umtanzten einander wie Katzen, traten, bissen und rollten kämpfend und kratzend aus dem Zelt hinaus, während sich von Osten her die Morgendämmerung übers Land ergoß. Dann packte Sir Lancelot wie eine Bulldogge den Gegner am Hals und drückte mit voller Kraft zu, um ihn zu erdrosseln, bis die Augen aus den Höhlen quollen und die dicke, heraushängende Zunge und die hilflos in die Luft gestreckten Hände anzeigten, daß der andere sich ergab.

Sir Lancelot wälzte sich von ihm weg und setzte sich keuchend auf. »Was für ein Unhold seid Ihr«, fragte er, »einen schlafenden Ritter schändlich zu liebkosen? Los, sprecht – was habt Ihr hier zu suchen?«

»Ich kann nicht«, sagte der andere, der sich mit beiden Händen den schmerzenden Hals massierte. Dann krächzte er: »Ich bin hier, weil das mein Zelt ist. Ich glaubte, meine Geliebte wartend anzutreffen. Was hattet Ihr in meinem Bett verloren?«

»Ich fand es leer vor, und habe mich daraufgelegt, um zu ruhen.«

»Und warum, da Ihr keine Dame erwartet, habt Ihr meine Umarmung erwidert?«

»Ich habe geträumt«, sagte Lancelot.

»Das kann ich verstehen«, sagte sein gewesener Gegner, »doch warum habt Ihr mich dann angegriffen, als Ihr aus dem Traum erwachtet?«

Lancelot sagte: »Es ist nicht üblich, daß der Sieger eines Kampfes dem Unterlegenen Rechenschaft ablegt. Trotzdem tut es mir leid, daß ich Euch Schmerzen zugefügt habe. Aber Ihr müßt wissen, daß ich erst jüngst das Opfer seltsamer und schrecklicher Verzauberungen wurde. Als ich erwachte und merkte, daß mich ein bärtiges Reptil küßte, glaubte ich, es handle sich um eine neue verderbliche Verzauberung, und griff an, um mich daraus zu befreien. Wie fühlt Ihr Euch jetzt?«

»Ich komme mir vor wie eine Weihnachtsgans, der man den Hals umgedreht hat.«

»Glaubt Ihr mir?«

»Das mit den Verzauberungen? Mir bleibt nichts anderes übrig. Ich darf nicht nein sagen, bis ich wieder imstande bin zu kämpfen.«

»Kommt«, sagte Lancelot. »Laßt mich einen Schal in kaltes Wasser tauchen und Euch um den Hals wickeln. Das hat meine Mutter immer getan, wenn ich einen steifen Hals hatte, und die Schmerzen sind davon weggegangen.«

Und als er im Zelt seinem gewesenen Gegner den kühlen Umschlag um den Hals wickelte, teilte sich der Türvorhang. Eine liebliche Dame trat herein, und als sie die beiden sah, schrie sie auf: »Was sehe ich da! Was habt Ihr Sir Bellias, meinem Gebieter, angetan?«

Lancelot blickte betreten drein, aber Sir Bellias sagte: »Diese Sache müßt wohl Ihr erklären. Ich kann es nich.«

Darauf berichtete Lancelot stotternd und mit vielen Pausen, was sich zugetragen hatte.

»Ich würde es schändlich nennen«, sagte die Dame, »wenn es nicht so komisch wäre.«

Bellias krächzte: »Macht ihm keine Vorwürfe, mein Liebes. Seht, er hat es mit einem kalten Umschlag gutzumachen versucht.«

Die Dame, die den Ritter angestarrt hatte, sagte nun: »Seid Ihr nicht Sir Lancelot?«

»Das bin ich, Madame.«

»Ich glaubte, Euch zu erkennen, Sir, denn ich habe Euch oft an König Artus’ Hof gesehen. Es ist uns eine Ehre, Sir.«

»Ich wünschte, wir wären uns unter anderen Umständen begegnet, Madame.«

Sie klopfte sich leicht und nachdenklich an die Zähne. »Nur eines macht mir Sorge, edler Ritter, und das ist Eure Ehre.«

»Wieso ist die im Spiel?«

»An sich nicht, aber wir müssen sehr aufpassen, daß diese Geschichte nicht ruchbar wird, denn sonst würde das Gelächter wie Glockenklang durch die Welt schallen, und Sir Lancelots ritterliche Taten würden vor Sir Lancelots Mißgeschick im Bett verblassen. Besonders der Königin darf davon nichts zu Ohren kommen.«

Lancelot wurde blaß. »Euch beiden kann ich vertrauen, und sonst weiß ja niemand etwas davon.«

»Ja, das ist wahr«, sagte sie und fuhr nach einer Pause fort: »Lassen wir das Thema auf sich beruhen und vergessen, was gewesen ist. Werdet Ihr beim nächsten hohen Fest am Hof sein, Sir?«

»So Gott will, ja, Madame.«

»Wir werden auch dort sein, Sir. Und denkt Euch, es ist schon lange Sir Bellias’ Wunsch, in die Tafelrunde aufgenommen zu werden. Meint Ihr, Ihr könntet beim König ein Wort für meinen Gebieter einlegen?«

Sir Lancelot sah sie an und gab sich mit Haltung geschlagen. »Ich kann zwar nichts versprechen, doch wenn er sich im Turnier als würdig erweist, werde ich bereitwillig zu seinen Gunsten sprechen.«

»Das ist ein gutes, ritterliches Versprechen«, sagte sie.

Und Lancelot sagte: »Jedesmal, wenn ich mich mit einer Dame unterhalte, stelle ich fest, daß ich in ihren Händen ein Versprechen zurücklasse. Sagt, wißt Ihr von einem Kloster hier in der Nähe?«

»Gewiß, Sir. Bis zu der Straße, die hinführt, ist es nur eine Meile in östlicher Richtung, der Sonne entgegen. Warum fragt Ihr?«

»Es handelt sich um ein weiteres Versprechen«, antwortete Lancelot düster. Er legte langsam seine Rüstung an, und als er Abschied nahm, sagte er noch zu der Dame: »Bitte, vergeßt Euer Versprechen nicht.«

»Mein Versprechen? Welches denn?«

»Wegen … wegen des …«

»Ach so! Natürlich«, sagte sie lachend. »Ich werde es nicht vergessen. Vielmehr: Ich werde mich nicht daran erinnern. Und Sir Bellias wird bei seiner Ehre als Ritter der Tafelrunde das gleiche geloben. Keiner von uns wird jemals diesen Eid brechen.«

Sir Lancelot fand die Straße ohne Mühe, eine ansehnliche Straße, gepflastert und in der Mitte höher als an den Rändern. Und zu beiden Seiten waren Gräben angelegt, um das Regenwasser abzuleiten. Die Straße führte gerade wie eine Lanze durch höher und tiefer gelegenes Land und ließ sich durch nichts seitwärts ablenken, und indes Lancelot dahinritt, wechselte die Landschaft ihr Gesicht. Die Felder waren wohlgepflegt und bestellt und mit gestutzten Hecken eingefriedet. Es war die Zeit der Heuernte. Reihen sensenschwingender Männer bewegten sich über die Wiesen, und hinter ihnen schritt ein Aufseher hin und her, sorgte dafür, daß die Reihe geordnet blieb, und trieb die Zurückbleibenden mit seinem langen, dünnen Stab an, der wie die Flügel einer Wildtaube pfiff. Bald darauf kam Lancelot an Kaninchengehegen, Taubenschlägen, Schafhürden und dann an kleinen Häusern auf Rädern vorüber, um die herum Hühner pickten und Kühe weideten. Weiter vorne sah er die im Sonnenschein leuchtenden, frisch gekalkten Mauern des Klosters und nahebei Teiche, in denen es von Karpfen und allerlei einfachen Fischen wimmelte, sowie einen mit Weidengeflecht umgebenen Schwanenteich. In der Nähe der Klostermauern standen Obstbäume in Reih und Glied und reihenweise Bienenkörbe aus zusammengebundenen Grasbüscheln, aus denen das Summen der Heerscharen der Arbeiterinnen drang. Ein kleiner, rasch fließender Fluß umspülte die Mauern, und auf einem Damm stand eine Mühle, deren majestätisches Rad sich gemächlich mit der Strömung drehte, und in der Türe waren volle Getreidesäcke aus Werg aufgestapelt. Überall Bienen, Kaninchen, Tauben, Fische, Bäume, strömendes Wasser und Menschen, die emsig Nahrungsmittel für die Klosterscheunen produzierten, deren gewaltige Tore von darüber angebrachten heiligen Symbolen beschützt wurden, wie Fallen für Diebe. Es war eine blühende, vor Geschäftigkeit summende Gutswirtschaft, und die Magazine barsten beinahe von der Fülle der Produkte.

Als der Ritter auf die Mauer zuritt, sah er ein großes Tor mit zwei Flügeln, in das eine Pforte eingelassen war, und in dieser wiederum ein Türchen, und all dies war geschlossen, doch von oben baumelte ein Strick mit einer Glocke herab. Er beugte sich aus dem Sattel und schlug mit der Lanze an die Glocke. Das Türchen flog auf, ein Stück Brot kam herausgesegelt, prallte gegen seinen Schild und fiel auf die Erde. Er blickte auf das graue, staubbedeckte Brot hinab, und weil er weder gegessen noch geruht hatte, wallte zornig sein Blut auf. Er drehte seine Lanze um und hieb mit dem Ende auf das Tor ein, bis das Eichenholz protestierend stöhnte.

Das Türchen öffnete sich wieder, dann die Pforte, und eine kleine Nonne mit dem Gesicht einer Truthenne kam heraus und rief: »Verzeihung. Ich wußte nicht, daß ein Ritter draußen ist. Ich dachte, es sei einer von diesen diebischen Pilgern, die unsere Hennen und Gehege derart heimsuchen, daß wir Fallen für Menschen aufstellen müssen. Gott schütze uns alle, auch die Diebe! Jetzt will ich Euch das Tor aufmachen, edler Ritter.« Sie machte sich an den Riegeln zu schaffen, schob die Torflügel auf, und Lancelot ritt hindurch, ohne sie zu streifen oder sie auch nur mit einem matten Fluch zu bedenken. Und nicht lange danach saß er in einem freundlichen Gemach mit der Äbtissin beisammen, einer überaus korpulenten Frau mit prallen Wangen mit winzigen Äderchen, einem Mund, der aussah wie eine geplatzte Erdbeere, und ruhigen, wachsamen Augen. Sie schickte einen Schwarm junger Nonnen weg, die davonstoben wie eben flügge gewordene Moorhühner.

»Euer Fräulein ist noch nicht da«, sagte sie. »Auch ihr Vater nicht. Aber sie werden willkommen sein, und Ihr könnt hier auf sie warten.«

Lancelots stumme Dienerin – die Beobachtung – meldete ihm, daß die Äbtissin trotz ihres Lächelns nicht gütig von Natur war.

»Ich bin diesem Fräulein und ihrem Vater einen Dienst schuldig«, sagte er. »Sie hat mich aus den Händen von vier bösen Zauberinnen befreit.«

»Sehr gut«, sagte die Äbtissin. »Natürlich wäre es richtiger gewesen, Ihr hättet Euch an die Kirche gewandt.«

»Dann wäre ich jetzt noch dort, Madame. Die Kirche war nicht zur Hand.«

»Trotzdem«, sagte sie, »es hätte sich so gehört. Die Kirche hat das Amt, diese Dinge, viele Dinge zu besorgen. Doch in jüngster Zeit haben wir erleben müssen, daß Dinge getan oder versucht wurden, die besser unseren geschulten Händen überlassen blieben. Es ist nicht meine Gewohnheit, um den Brei herumzureden, Sir. Ich spreche von den fahrenden Rittern, die derzeit im Auftrag des Königs, wie sie behaupten, überall das Land durchstreifen. Das wird zu nichts Gutem führen. Ich hoffe, Ihr werdet meine Worte weitertragen.« Sie liebkoste ihre riesigen Hände, an denen jeder einzelne Finger mit einem steingeschmückten Ring bewehrt war.

»Ich weiß davon«, sagte Lancelot. »Die Sache dient verschiedenen Zwecken. Es hält die jungen Ritter kriegstüchtig, bringt ihnen Sinn für Gerechtigkeit und Selbstbeherrschung bei, unterweist sie in der Amtswaltung der Regierung und unterbindet kleine Rebellionen, denn was sind Verbrechen anderes als kleine Akte des Aufruhrs? Und schließlich – vielleicht das Wichtigste, wird dadurch nicht nur die königliche Autorität in fernen Gegenden gewahrt, sondern der König erhält auch Kunde vom Zustand des Reiches.«

»Das mag ja sein, Sir«, sagte sie. »Aber es ist auch hinderlich für diejenigen, die diese Dinge so lange besorgt haben. Wir sind durchaus imstande, selber unsere Leute aufzuknüpfen. Doch wenn der Rechtswahrung halber die Einziehung des Zehnten und der anderen Abgaben und unsere Privilegien beeinträchtigt werden, stört das nicht nur das Gleichgewicht, sondern es stiftet auch Unruhe und leitet sogar zu offener Empörung an. Die königliche Regierung sollte keine Veränderungen fördern, die denjenigen, die sie betreffen, unerwünscht sind. Denkt an mein Wort: Es wird Schwierigkeiten geben. Ihr könnt dem König bestellen, daß ich das gesagt habe.«

»Wenn aber nun die Mißstände nicht abgestellt werden, Madame?«

»Hört zu«, sagte sie erregt. »Ich sage nicht, daß die Idee schlecht ist – sie ist nur unüberlegt. Die Ritter haben es mit Kräften zu tun, die sie nicht verstehen. Mit den besten Absichten der Welt ist oft der Weg zur Hölle gepflastert. Ich könnte Euch Beispiele nennen.«

»Aber ich muß noch einmal darauf hinweisen, Madame: Wenn die Mißbräuche nicht von den Organen abgestellt werden, in deren Händen …«

»Jetzt schweigt einmal, Herr Ritter«, sagte sie, und ihre kalten Augen wurden undurchdringlich für ihn. »Selbst der verantwortungsloseste der fahrenden Ritter würde wohl nicht bestreiten, daß die Welt von Gott, unserem himmlischen Vater, erschaffen wurde.«

»Gewiß nicht, Madame. Sie sind ja …«

»Und alle Dinge, die darin sind, Sir?«

»Natürlich.«

»Könnte es dann nicht sein, daß die Abschaffung von Dingen, die Gott erschaffen hat, sein Mißfallen fände? Ihr geht die Sache verkehrt an. Es ist durchaus möglich, daß die sogenannten irdischen Übelstände in die Welt gebracht wurden, um den Menschen zu erziehen und zu züchtigen.«

»Frau Äbtissin, Ihr dürft nicht denken, daß ich mir herausnehmen würde, mit Euch über Dinge der Religion zu streiten«, beteuerte er. »Das würde mir niemals einfallen.«

»Sieh an«, sagte sie, »endlich ein bißchen Demut.« Sie atmete schwer, und ihre Wangen, die ein flammendes Rot angenommen hatten, schienen sich aufzublähen und zusammenzusinken wie ein mißratenes Omelette.

»Ihr würdet keine Einwände erheben, Madame, wenn die fahrenden Ritter sich auf Drachen, Riesen und Hexenmeister beschränkten?«

Sie machte eine traurige Handbewegung. »Das Leben ist ohnehin schon schwer und häßlich genug«, sagte sie. »Warum müssen sie unerfreuliche, häßliche, böse Dinge ans Licht ziehen, um uns zu erschrecken und zu betrüben? Was ist denn verkehrt an den Turnieren und Tjosten der guten alten Zeit? Unsere Väter sind damit gutgefahren.«

Ein Schwarm eifriger Warner summte in Sir Lancelots Ohren, und er hörte auf sie und behielt seine Meinung für sich, da ihm klar war, daß er in diesem wohlgewappneten Gehirn nichts als Abwehr wecken könnte. »Ganz recht«, sagte er. »Jetzt wird es mir klar. Es tut mir leid, Madame.«

Zum erstenmal lächelte ihn ihr Erdbeermund an. »Nichts Schlimmes geschehen«, sagte sie. »Ihr habt keine von Gottes Töpfen zerbrochen, die sich nicht mit ein bißchen Reue wieder zusammenleimen ließen.«

Lancelot empfand nur ein unerquickliches, bitteres Gefühl des Schmerzes und bedauerte seine Unwissenheit. »Ich sollte mich ausruhen, Madame«, sagte er. »Am nächsten Dienstag muß ich kämpfen.«

Sie klatschte in die Hände. »Ich werde dort sein, um mir das Turnier anzuschauen«, sagte sie. »Eine so angenehme Gesellschaft und dieser vorbildliche Kampfgeist. Am vergangenen Dienstag wurden fünfzig Ritter getötet. Beim nächsten Mal dürfte es noch besser werden, wenn Euer weltberühmter Arm mitkämpft.«

Lancelot ging verwirrt und ermattet in das für ihn hergerichtete Zimmer, um der Ruhe zu pflegen. Er konnte nicht mit Grimm im Herzen gegen Männer kämpfen, denen er zugetan war, und er war zu vielen zugetan. Doch wenn die Trompete blies, war er imstande, jeden und alles zu töten. Aber er hatte kein Verlangen, darüber nachzudenken. Kurze Zeit hielt ihn ein Hämmern wach – man ersetzte ein paar morsch gewordene Balken am Galgen neben der Kapelle, denn das Kloster hatte nicht nur geistliche Rechte und Pflichten, sondern besaß auch die Grundgerichtsbarkeit. Doch schon bald schlummerte er ein und begann von seiner Königin, der kühlfingrigen Guinevere, zu träumen, und in seinem Traum schwor er noch einmal, daß er ihr zeit seines Lebens dienen werde. Und er träumte, wie sie sich über ihn beugte und sagte: »Ihr könnt die Welt nicht erneuern. Ihr könnt ja kaum etwas tun, um aus Euch einen neuen Menschen zu machen.« Dann sah er im Traum sich selbst und um ihn herum ein Gerüst. Und er nahm aus seinem Nacken und aus seinen Schultern Ziegelsteine und ersetzte sie durch andere, sauber gemörtelt, aber etwas neu wirkend. Selbst der Träumende wußte, daß das lustig war, und lachte im Schlaf.

Gefolgt von einer Wolke gepanzerter Ritter, die ein Schmetterlingsschwarm lieblicher Damen umgab, traf Sir Bagdemagus in dem Kloster ein. Und nachdem Sir Lancelot mit Umarmungen und Küssen begrüßt und der Baum der Komplimente all seiner Blätter beraubt und die rettende Tat des Fräuleins wieder und wieder geschildert worden war – während sie danebenstand, errötete und die Ehrung mit kleinen, wegwerfenden Gesten zurückwies –, traten ihr Vater und Sir Lancelot beiseite, und Bagdemagus sagte: »Ich finde keine Worte, um Euch dafür zu danken, daß Ihr mir am kommenden Dienstag helfen wollt.«

»Eure Tochter, Sir, hat mir berichtet, daß man Euch böse mitgespielt hat.«

»Sie haben mir eine Abreibung verpaßt«, sagte der Ritter ehrlich. »Es war mir offenbar unmöglich, mit einer Lanzenspitze das Ziel zu treffen. Und jetzt muß ich es mit diesen Recken noch einmal aufnehmen, und dabei schmerzen mich meine Knochen noch von den Prügeln, die sie mir verabreicht haben.«

»Ist es wahr, daß ein paar von König Artus’ Rittern das Turnier gegen Euch entschieden haben?«

»Nur zu wahr. Sie sind teuflische Kämpen. Mir bebt das Herz wie einem Knaben, wenn ich daran denke, daß ich wieder gegen sie antreten muß.«

»Um welche Ritter handelt es sich, Sir?«

»Nun, ihr Anführer ist der König von Nord-Galys.«

»Ich kenne seine Gemahlin«, sagte Lancelot.

»Sie wird nicht da sein. Sie hat sich auf eine Pilgerfahrt zu Unserer Lieben Frau von Walsingham begeben. Dann waren wohl die gewaltigsten Kämpen Sir Mador de la Porte, Sir Mordred und Sir Galatine.«

»Treffliche Männer«, sagte Lancelot. »Aber es gibt ein Problem – sie werden nicht gegen mich antreten.«

»Warum nicht?«

»Ich habe sie mehrmals besiegt, und sie weigerten sich, noch einmal gegen mich in die Schranken zu treten. Deshalb bin ich jetzt auf einer Ausfahrt. Ich konnte keine Gegner mehr finden.«

»Das ist schlechte Kunde«, sagte Sir Bagdemagus. »Aber wenn Ihr auf meiner Seite in die Schranken tretet, und sie weigern sich, den Kampf aufzunehmen, verlieren sie durch Nichtantreten. Ich hätte lieber einen solchen Sieg als gar keinen.«

»Oh, sie werden sich nicht weigern«, sagte Lancelot. »Das tun sie nie. Sie werden vorschützen, sie müßten in Geschäften fortreiten oder seien krank oder irgendein Schwur verbiete es ihnen. Ich kenne ihre Ausreden. Das tut mir leid, Sir. Ich würde mir gerne Mordred wieder einmal vornehmen. Habe ihn nie gemocht. Er ist ein Schleicher.«

»Stimmt es, daß er ein Sohn des Königs ist?«

»Das munkelt man. Ihr kennt ja das Gerede an einem Hof. Wenn der König so viele Söhne hätte, wie es angebliche Söhne behaupten, bliebe ihm keine Zeit zum Herrschen. Ihr kennt ja das alte Sprichwort: ›Wenn alle, die Prinzen sein wollen, zu Recht den Bastardfaden beanspruchen könnten, hätten die Hebammen mehr Arbeit, als sie haben.‹«

»Wie wär’s, wenn Ihr Euch ein neues Wappenbild zulegtet. Sir Lancelots Schild ist zu vielen Leuten bekannt.«

»Nein, dafür sind sie zu schlau. Sie würden einen ihnen unbekannten Ritter hinter der Schranke beobachten und mich daran erkennen, wie ich zu Pferde sitze. Sie sind keine Einfaltspinsel.« Er klopfte sich mit dem kleinen Messer, das er zum Schneiden von Fleisch immer bei sich trug, leicht an die Schläfe. »Gibt es irgendeine gedeckte Stelle in der Nähe des Turnierplatzes?«

»Ja, schon – ein Birkenwäldchen. Warum fragt Ihr?«

»Nun ja, ich dachte mir, es könnte sie verwirren, wenn nicht nur ein einziger unbekannter Ritter erschiene, sondern mehrere daherkämen. Und wenn wir uns – sagen wir, zu viert – versteckt hielten, bis die Trompeten geblasen haben, könnten die Gegner sich nicht mehr zurückziehen.«

»Das ist richtig«, sagte Sir Bagdemagus. »Wie viele Ritter möchtet Ihr haben?«

»Schickt mir vier von Euren Besten. Ich mache den fünften. Und sorgt für fünf weiße Rüstungen und fünf weiße Schilde – ohne Wappenzeichen. Vielleicht werden sie im ersten Augenblick glauben, wir seien neue Männer, die sich erst einen Wappenschild erringen wollen.«

»Ich werde dafür sorgen.«

»Und schickt sie mir bald. Ich muß meine Ritter unterweisen und mit ihnen üben, damit wir gut aufeinander eingespielt kämpfen können.«

Und so geschah es, und die Geschichte ist rasch erzählt.

Am Dienstag, nachdem sich auf den Tribünen die Damen versammelt hatten wie bunte Fliegen auf einem Johannisbeerkuchen, kamen Sir Mordred und seine Gefährten als Vorhut angeritten. Kraftvoll kämpfend stießen sie zur Rechten und zur Linken Ritter aus dem Sattel, als plötzlich aus dem Wäldchen fünf Ritter dahergesprengt kamen, die wie weiße Blitze zustießen, in geschlossener Formation umschwenkten und wieder angriffen und nochmals kehrtmachten. Dann nahm sich Lancelot freudig seine speziellen Feinde vor. Sir Mador tat den ersten Sturz und brach sich das Hüftgelenk. Dann kam Sir Mordred an die Reihe, der samt Sattel vom Pferd flog, und als er kopfüber auf dem Boden aufschlug, bohrte sich der Helm bis zu Mordreds Schulter in den Sand. Danach empfing Galatine einen so wuchtigen Schwerthieb auf den Kopf, daß ihm das Blut aus Ohren, Augen und Nase schoß. Sein Pferd galoppierte mit ihm über den Horizont davon, da er sich nicht die Augen freiwischen konnte, um zu sehen, wohin er sich wenden sollte. Unterdessen stieß Lancelot mit einer einzigen Lanze zwölf Ritter vom Pferd, nahm eine neue zur Hand und fertigte zwölf weitere ab, während seine weißen Kampfgenossen, von Triumphgefühlen fortgerissen, besser kämpften als jemals vorher. Es war nicht notwendig, die Trompete des Friedens erschallen zu lassen. Noch ehe sie geblasen werden konnte, hatten die Männer des Königs von Nord-Galys das Weite gesucht. Sir Bagdemagus hatte das Feld behauptet und den Preis errungen. Er schrie und lachte vor Freude, weil seine Ehre wiederhergestellt und sein Ruhm gemehrt war.

Er führte Sir Lancelot zu seiner eigenen Burg, redete ununterbrochen und schlug mit der Hand auf den gepanzerten Rücken des Ritters, der für ihn gekämpft hatte, so daß das Rasseln des Metalls seine Worte erstickte. In der Burg dann gab es Geschenke – Pferde, Jagdhunde, Gewänder, Edelsteine –, und Bagdemagus plünderte das Lexikon der Komplimente und hieß seine Tochter, das gleiche zu tun. Sie baten Sir Lanceidt inständig, ihr Gast zu sein, länger zu verweilen, zeit seines Lebens bei ihnen zu bleiben, und der lächelnde Lancelot war genötigt, stumm zu bleiben, bis Sir Bagdemagus heiser und erschöpft war. Erst dann konnte Lancelot rasch anbringen, daß er sich auf die Suche nach seinem Neffen Lyonel begeben müsse.

Darauf bot Bagdemagus an, ihm das abzunehmen, seine Tochter, seine Söhne, alle seine Gefolgsleute loszuschicken. Er befahl, auf Sir Lancelots Gesundheit Honigwein zu trinken, und zwar aus jenen Hörnern, die man nicht hinstellen konnte. Niemand in der Halle wagte abzulehnen bis auf Lancelot, der sagte, ihm werde übel davon.

Am folgenden Morgen dann ritt er aus der stillen Burg hinaus, in der Schlaf und Kopfschmerzen regierten, der Honigwein das Zepter schwang.

Lancelot hatte den Eindruck, daß er nicht sehr fern der Stelle mit dem Apfelbaum war, wo die Abenteuer ihren Anfang genommen hatten. Dorthin zog es ihn zurück, denn dort hatte er Lyonel verloren. Er fand die Römerstraße, folgte ihr, und unterwegs begegnete er einem Fräulein auf einem weißen Zelter, nach andalusischer Manier durch ein Netz mit herabbaumelnden roten Troddeln gegen die Fliegen geschützt.

»Gut aufgelegt, Sir?« fragte sie ihn in der gebräuchlichen Weise.

»Ich werde bald besser gelaunt sein, sobald ich meinen Neffen, Sir Lyonel, gefunden habe. Er hat sich verdrückt, während ich schlief, und ist seitdem verschwunden.«

»Wenn er Euer Neffe ist, müßt Ihr Sir Lancelot sein.«

»Das bin ich, Fräulein. Könnt Ihr mir sagen, ob in dieser Gegend irgendwo gekämpft wird?«

»Vielleicht kann ich Euch helfen, Sir«, antwortete sie und musterte ihn mit einem listigen Blick. »In der Nähe gibt es eine Burg, die gehört Sir Tarquin, dem verwegensten Ritter weit und breit. Er führt eine Privatfehde gegen König Artus’ Ritter, und es heißt, daß er mit seinen eigenen Händen etliche getötet und über sechzig zu seinen Gefangenen gemacht hat.«

»Er muß gut mit der Lanze umgehen können.«

»Das tut er. Und er hat die Schilde seiner Gefangenen an das Tor seiner Burg genagelt.«

»Ha!« rief Lancelot. »Ist darunter ein Schild mit einem Hahn als Wappenfigur?«

»Mir ist fast, als hätte ich einen gesehen, Sir, aber man findet dort viele Vögel, Schlangen und Ungeheuer abgebildet, wie man sie jenseits von Afrika weder gesehen noch von ihnen gehört hat. Ich glaube, ja, ein Hahn …«

»Mit ausgebreiteten Flügeln – krähend?«

»Doch, ich bin mir sicher, Sir.«

»Holdes Fräulein, tut mir den Gefallen und führt mich hin.«

Sie betrachtete ihn mit einem abschätzenden Blick und wählte mit Bedacht ihre Worte. »Wärt Ihr nicht der, der Ihr seid, würde ich es ablehnen, Euch hinzugeleiten, denn für einen andern würde es den Tod bedeuten«, sagte sie. »Und ich würde Euch auch nicht um einen Gefallen bitten, wüßte ich nicht, daß Ihr wohl am Leben bleiben werdet. Da Ihr Sir Lancelot seid, will ich aber beides wagen. Versprecht Ihr mir mit Eurem Ritterwort, mir einen Dienst zu leisten, wenn Ihr mit Sir Tarquin gekämpft habt?«

»Täte ich es nicht, würdet Ihr mich dann auch hinführen?«

»Ich muß mir einen wackeren Ritter suchen, der mir hilft, Sir.«

»Verstehe. Anscheinend gibt es auf der ganzen Welt kein Fräulein ohne ein Problem, das nur dadurch gelöst werden kann, daß ich mein Leben in Gefahr bringe.«

»Habt Ihr nicht gelobt, Fräulein und Edelfrauen zu dienen?«

»Das schon, doch manchmal wünschte ich, ich müßte mein Gelöbnis nicht so oft einlösen.«

»Wir sind wehrlose Geschöpfe«, sagte sie etwas pikiert. »Wir müssen uns auf die starken Arme der Männer verlassen.«

»Ich wollte, ich wäre auch so wehrlos«, sagte Lancelot. »Na schön, meine Liebe, ich verspreche es bei meiner Ehre. Und nun reitet voran.«

Binnen einer Stunde führte sie ihn zu einem Gutshaus an einem Bach, umgeben mit einer Mauer, in der ein Tor war. Und an dem verschlossenen Tor fand er Lyonels Schild angenagelt. Von einem Baum hing an einer Kette ein großes Messingbecken, das Besuchern dazu diente, sich bemerkbar zu machen. Sir Lancelot schlug mit seiner Lanze an das Becken, um Lärm zu machen, doch das Tor blieb geschlossen, und im Haus rührte sich nichts. Er ließ sein Pferd an dem Bach saufen, kam zurück und schlug ein zweites Mal an das Messingbecken, ritt vor dem Tor hin und her und wurde immer aufgebrachter.

»Vielleicht ist er nicht da«, sagte das Fräulein. »Manchmal legt er sich an der Großen Straße auf die Lauer.«

»Ihr scheint ihn ja gut zu kennen.«

»Ja, Sir. Alle kennen ihn. Er tut Damen nichts zuleide, nur Artus’ Rittern.«

Lancelot sagte ärgerlich: »Warum bittet Ihr dann nicht ihn, zu erledigen, was Ihr wünscht?«

»Er leistet Damen auch keine Dienste«, sagte sie.

»Vielleicht ist er klüger als ich«, versetzte Lancelot wütend, ging zu dem Becken und hieb mit solcher Wucht darauf, daß der Boden herausflog.

»Es hat keinen Sinn, wütend zu werden, Sir«, sagte das Fräulein. »Er wird zurückkehren, und er hat noch nie einen Kampf abgelehnt. Ich glaube, ich sehe ihn dort kommen.«

Sir Tarquin kam rasch herangeritten und trieb vor sich ein Kriegsroß her, auf dem ein verwundeter Ritter gefesselt lag. An dem Schild, der am Sattelbogen hing, erkannte Lancelot das Wappenbild von Sir Gaheris, Gawains Bruder. Tarquin kam herbei, als er den bewaffneten Mann vor seinem Haus und das beschädigte Becken sah, das im Wind schaukelte.

»Edler Ritter«, sagte Lancelot. »Legt diesen Verwundeten auf die Erde, damit er eine Weile ruhen kann. Ich habe gehört, Ihr habt eine kleine Abneigung gegen die Ritter der Tafelrunde.«

»Wenn Ihr dieser verwünschten Ritterschaft angehört, seid Ihr an den Richtigen gekommen«, rief Sir Tarquin.

»Es freut einen immer, herzlich aufgenommen zu werden«, sagte Lancelot, nahm seine Position ein, und die beiden Männer stießen mit genau gleicher Kraft und Präzision zusammen, so daß beide Pferde zu Boden gezwungen wurden.

Dann kämpften sie zu Fuß mit den Schwertern weiter – zwei ebenbürtige Recken. Sie schlugen einander Wunden, bis sie außer Atem gerieten und in stillschweigendem Einvernehmen eine Pause einlegten, in der sie sich auf ihre Schwerter gestützt ausruhten. Und als Sir Tarquin wieder sprechen konnte, sagte er: »Ihr seid der beste, der stärkste und ausdauerndste Ritter, dem ich bisher gegenübergestanden bin, und Ihr habt meine Bewunderung. Es wäre mir lieber, Ihr wärt nicht Feind, sondern Freund. Es gibt auf der ganzen Welt nur einen einzigen Mann, dem ich nicht vergeben kann.«

»Es ist immer angenehm, einen Freund zu gewinnen. Wer ist dieser Ritter, den Ihr haßt?«

»Sir Lancelot. Er hat meinen Bruder am Turm der Schmerzen getötet, und aus Haß kämpfe ich jetzt gegen alle Ritter von der Tafelrunde, denen ich begegne, nehme sie gefangen und werfe sie in mein Verlies. Lancelot aber, wenn ich ihn einmal vor mir habe, werde ich töten oder selbst das Leben verlieren.«

»Ich finde es traurig und töricht, daß Ihr gegen Waffenbrüder von ihm kämpft. Warum sucht Ihr ihn nicht selbst auf? Ich denke nicht, daß er Euch eine Genugtuung verweigern würde.«

Tarquin erwiderte: »Früher oder später wird er daherkommen, und ich möchte ihn lieber auf heimischem Boden stellen und seinen Schild über all die anderen Schilde an meinem Tor hängen. Aber lassen wir das jetzt, schließen wir Frieden und setzen uns brüderlich zusammen an die Tafel.«

Lancelot sagte: »Das ist ein verlockendes Angebot für einen müden Mann. Aber, Sir, wenn Eure Kenntnisse von Wappen so groß wären wie Euer Haß, hättet Ihr mich an meinem Schild erkannt.«

Da blieb Sir Tarquin die Luft weg. »Ihr seid Lancelot?«

»Es ist im Taufregister der Kirche in Benwick verzeichnet, mein gewesener Bruder: Lancelot vom See, Sohn von König Ban und Königin Elaine. Ich kann in meiner Abstammung noch weiter zurückgehen, wenn Ihr Wert darauf legt.«

Tarquin sagte mit dumpfer Stimme: »Ihr seid willkommen.« Er hob sein Schwert und stürzte auf den Widersacher los. Nun gab es keine Kampfpause mehr, denn dieser Mann hatte sich den Tod seines Gegners geschworen. Ohne auch nur einmal innezuhalten, griff er an und bedrängte Lancelot mit Hieben, während er nach einer Blöße Ausschau hielt.

Sir Lancelot erkannte das Gefährliche an solch ingrimmigem Haß, die übermenschliche Kraft, die Unempfindlichkeit für Wunden, doch er kannte auch die Nachteile eines Verzichts auf jegliche Taktik. Er gab sich absichtlich Blößen, um gewaltige Streiche zu provozieren, und wehrte sie erst im letzten Augenblick ab. Er kämpfte defensiv, ohne sich viel zu bewegen, und versuchte, seinen keuchenden, vom Haß gepeitschten Feind zu erschöpfen. Er hörte Tarquins Atem in ein Pfeifen übergehen, sah, daß ihm die Füße schwer wurden, und stellte während einer kurzen Pause fest, daß Tarquin leicht betäubt schwankte. Doch Tarquins Größe als Recke imponierte ihm, und er dachte: »Wenn er mich nicht so sehr haßte, hätte er eine größere Chance, mich zu erschlagen.«

Er ließ den Schild sinken, provozierte einen Hieb, machte dann einen Schritt zur Seite und warf seinem Gegner den Schild unter die über den Boden schleifenden Füße. Tarquin stürzte mit dem Gesicht auf die Erde, worauf Lancelot ihm aufs Handgelenk trat. Er riß den Nackenschutz von Tarquins Helm hoch und trieb ihm das Schwert ins Rückgrat. Tarquin erbebte und starb auf der Stelle an dem Gnadenstoß.

Das Fräulein stürzte mit kleinen Jubelschreien auf Lancelot zu, der sie mit gemessener Miene betrachtete, während ihm die Frage durch den Kopf ging, warum die Zuschauer noch viel martialischer waren als die kämpfenden Männer.

»Jetzt könnt Ihr Euer Versprechen einlösen«, rief das Fräulein. »Ihr kommt doch mit mir, oder?«

»Ich habe kein Pferd«, sagte Lancelot. »Dort liegt es mit gebrochenem Genick.«

»Nehmt doch das Pferd des verwundeten Ritters, Sir.«

Sir Lancelot schritt zu Gaheris hin, durchschnitt seine Fesseln und begrüßte ihn. »Wollt Ihr mir Euer Pferd leihen?« fragte er.

»Natürlich«, sagte Gaheris. »Ihr habt mir ja das Leben gerettet.«

»Könnt Ihr gehen?«

»Ich glaube schon, Sir.«

»Dann geht in dieses Gutshaus. Ihr werdet dort viele Gefangene vorfinden, Freunde von mir wie von Euch. Befreit sie aus ihrem Kerker und grüßt sie von mir. Sagt ihnen, sie sollen sich alles nehmen, was sie brauchen und begehren. Ich werde zu Pfingsten am Hof des Königs mit ihnen zusammentreffen. Und tragt ihnen auf, Königin Guinevere die ehrerbietigen Grüße ihres Dieners zu überbringen. Sie sollen ihr sagen, ihr zu Ehren seien sie befreit worden.«

»Warum müßt Ihr weiter?« fragte Gaheris.

»Das Fräulein dort – ich habe ihr etwas versprochen. Die Fräulein, stelle ich fest, lassen sich im Feilschen von niemandem übertreffen. Nun lebt wohl. Und bestellt Sir Lyonel, daß wir beide eines Tages wieder auf Abenteuer ausziehen werden.« Damit stieg Sir Lancelot in den Sattel und folgte dem Fräulein.

Das Fräulein sagte: »Das war ein sehr nettes Beispiel ritterlicher Kunst. Ihr werdet mit Recht der beste Ritter auf der Welt genannt.«

»Und bald werde ich auch der matteste sein«, erwiderte er. »Vielleicht kommt es davon, daß ich so oft ein Versprechen gebe, ohne zu fragen, worum es sich handelt. Ob Ihr es bemerkt habt oder nicht, Sir Tarquin war ein starker Ritter, und wenn er auch besiegt wurde, hat er mir doch zu schaffen gemacht. Sagt jetzt, was Ihr von mir wünscht. Vielleicht sollte ich zuerst ein bißchen ruhen und mich um meine Beulen und Wunden kümmern.«

»Sir«, sagte sie, »Tarquin hat seine Tage damit verbracht, gegen Ritter zu kämpfen und sie zu töten. Aber unweit von hier ist einer, der Fräulein und Edelfrauen belästigt. Er legt sich auf die Lauer und fällt über schutzlose Damen her.«

»Und was tut er mit ihnen?« wollte Lancelot wissen.

»Er raubt sie aus.« Das Fräulein errötete. »Die jungen und schönen macht er mit Gewalt zu Opfern seiner üblen Begierde.«

»Ist er ein Ritter?«

»Ja, Sir.«

»Dann sollte er sich solche Dinge nicht herausnehmen. Er ist durch seinen Eid verpflichtet, Damen zu beschützen. Hat er auch Euch gepeinigt? Ihr seid ja sehr hübsch.«

»Danke, Sir. Nein, ich bin ihm bisher entkommen, aber ich muß diesen Weg benutzen, und wenn Ihr ihm beibringen wollt, seinem Schwur zu gehorchen … oder ihn tötet … werdet Ihr vielen Damen eine Freude bereiten. Er liegt nicht weit von hier auf der Lauer, in einem Wald am Wegesrand versteckt.«

Lancelot ging mit sich zu Rate und sagte dann: »Ihr reitet voraus. Ich muß sehen, was geschieht.«

»Mißtraut Ihr mir, Sir?«

»Nein. Aber ich habe schon erlebt, daß Damen in einem abgenötigten Kuß eine Schändung entdeckten und viele andere vielleicht unbewußt eine Einladung aussprachen und dann Zeter und Mordio schrien, wenn sie angenommen wurde.«

»Ein solcher Gedanke ist Euer nicht würdig, Sir.«

»Da mögt Ihr recht haben. Ich scheine wirklich unwürdige Gedanken auszuschwitzen, wenn ich erschöpft bin und mir die Knochen weh tun. Aber mein Plan hat noch einen anderen Grund. Sollte der hereingelegte Ritter sehen, daß ein gepanzerter Mann bei Euch ist, wird er es sich vielleicht überlegen, Euch anzufallen.«

»Dann könntet Ihr den Wald durchstreifen, ihn heraustreiben und ihm den Kopf abschlagen.«

»Wie blutrünstig, meine Teure. Aber seht, dann würde ich einen Mann hinrichten, von dessen Verbrechen ich nur vom Hörensagen weiß, und ich fürchte, das würde ich ohne Begeisterung tun. Aber wenn er unter Gewaltanwendung zudringlich zu Euch werden sollte, dann würden Zorn und Empörung der Gerechtigkeit den Rücken stärken.«

»Nun, wenn Ihr es so ausdrückt …«

»Dann sieht die Sache doch anders aus, nicht?« sagte Lancelot. »Reitet jetzt voran. Ich werde Euch im Auge behalten, aber ohne daß er mich sieht oder ahnt, daß er in eine Falle gelockt wird.«

»Das Wort ›Falle‹ gefällt mir nicht«, sagte das Fräulein. Aber sie spornte ihren Zelter an, und während sie dahinritt, holte sie bunte Bänder aus der Satteltasche, flocht sie sich ins Haar und nahm einen seidenen Umhang heraus, der sie mit schimmerndem Grün bedeckte und in reichen Falten über den Leib des Pferdes fiel. Und als sie sich dem Wald am Rande des Weges näherte, sang sie mit hoher, durchdringender Stimme eine lockende Weise.

»Gut geködert«, murmelte Lancelot vor sich hin. Er sah das Fräulein auf die ausladenden Äste der Bäume zureiten, indes sie fröhlich trällerte, und dann kam ein gewappneter Mann aus dem Wald gesprengt, zog sie mit einem präzisen Griff aus ihrem Sattel auf seinen eigenen herüber, und ihr Gesang verwandelte sich in einen schrillen Schrei, der zum Himmel stieg.

Sir Lancelot donnerte heran und schrie: »Bleibt stehen, schurkischer Ritter!«

Der Unhold blickte von seiner Beute hoch, sah den gepanzerten Adler auf sich herabstoßen und ließ das Fräulein auf den Boden nieder, wo es mit dem Umhang kämpfte, in dem es sich verfangen hatte. Er zog das Schwert, legte den Schild vor, worauf Lancelot die Lanze wegwarf und gleichfalls das Schwert zog. Eine einzige Parade, ein einziger Gegenhieb, und der unglückliche Verehrer weiblicher Schönheit kippte vom Pferd, sein Kopf bis zum Nacken und Hals gespalten.

Das Fräulein kam herbei, streifte sich den Staub und kleine Zweige von ihrem Umhang und blickte auf den Erschlagenen hinab. »Jetzt hast du deinen verdienten Lohn!« sagte sie.

Mit einem einzigen konvulsivischen Zucken hauchte er sein Leben aus, und das Fräulein sagte: »Wie Tarquin darauf aus war, brave Ritter zu verderben, so verbrachte dieser Schuft seine Tage damit, Damen, Fräulein und Edelfrauen zu quälen. Er hieß Sir Perys de Foreste Savage.«

»Ihr kanntet ihn also«, bemerkte Lancelot.

»Ich kannte seinen Namen«, sagte sie.

»Habe ich mein Versprechen eingelöst?« fragte er. »Kann ich jetzt meiner Wege gehen?«

»Ja, und nehmt meinen tiefempfundenen Dank mit«, sagte sie. »Und auch den Dank von Damen allerorten, die Euren Namen preisen. Denn Ihr seid bei allen von edler Geburt als der stattlichste und höflichste Ritter berühmt. Überall, wo Damen miteinander sprechen, sind sie sich darüber einig, und einig sind sie sich auch darin, daß Ihr einen einzigen bedauerlichen, geheimnisvollen Mangel habt – einen einzigen kleinen Defekt, der die Damen bekümmert.«

»Und das wäre?« fragte er.

»Noch nie war zu vernehmen, daß Ihr eine Frau liebt, Herr Ritter«, sagte sie. »Und die Damen betrachten das als einen großen Jammer.«

»Meine Liebe gehört der Königin.«

»Ja, so wird gemunkelt, und auch, daß Ihr sie liebt, als wäre sie aus Eis gemeißelt. Und viele sagen, sie hätte einen Zauber auf Euch gelegt, damit Ihr keine andere liebt, kein Fräulein zum Frohlocken bringt, keiner Dame mit Eurer Liebe das Herz erwärmt – des kalten Zaubers wegen. Und deshalb werfen die Damen der Königin vor, gefangenzuhalten, was sie selbst nicht nutzt.«

Er lächelte sie aus seinen grauen Augen gütig an. »Frauen haben die Angewohnheit, an allem anderen Frauen die Schuld zu geben«, sagte er. »Ich kann der Welt nicht vorschreiben, was sie über mich zu sagen hat. Gemunkel entsteht aus sich selbst. Aber so viel kann ich Euch sagen, und wenn Ihr wollt, könnt Ihr es weitersagen: Ich bin ein Mann der Lanze und des Schwerts. Ihr könnt Euch sicher nicht vorstellen, daß eine Lanze für etwas anderes als für den Kampf gemacht ist. Denkt so auch von mir. Ihr dachtet an ein Eheweib für mich, vielleicht an Kinder. Ich bin zumeist unterwegs, wenn ich meinem Kriegshandwerk nachgehe. Damit wäre mein Weib zwar verheiratet, doch ohne Ehemann, meine Kinder hätten keinen Vater, und unsere einzige Freude wäre der Kummer über unsere Trennung. Nein, das wäre nichts für mich. Ein Ehemann, der Krieger ist, ist gezwungenermaßen immer an zwei Orten zugleich. Im Bett befindet er sich im Krieg, im Krieg im Bett, und derart gespalten, ist er auf beiden Gebieten nur ein halber Mann. Ich bin nicht tapfer genug, um mich selbst in zwei Stücke zu schneiden.«

»Aber es gibt doch auch andere Liebe …«, sagte sie weich. »Am Hof habt Ihr doch gewiß gesehen …«

»Ja, das habe ich, und es hat mich nicht verlockt. Intrigen und Ränke und Eifersucht, immer der eine oder der andere Teil gekränkt. Ein Monat Verdruß für einen Augenblick Freude, und immer Eifersucht und nagender Zweifel, wie Aussatz. Ich bin ein gläubiger Mensch – wenigstens insofern, als ich um die Sünde weiß und mich an die Zehn Gebote halte. Und selbst wenn Gott Ehebruch, Unzucht und Wollust nicht verdammte, würde mein kämpfender Arm all das, weil schwächend, als Sünde empfinden. Und sollte dies noch nicht genug sein, bedenkt folgendes: Ist Euch schon einmal ein heimlicher Liebhaber begegnet, der glücklich war? Sollte ich mir aus freien Stücken eine heimliche Liebe zulegen, nur um mitzuhelfen, Menschen unglücklich zu machen? Das wäre töricht und grausam zugleich.«

Das Fräulein sagte: »Die meisten kraftvollen, vitalen Männer kommen nicht dagegen an. Die Liebe greift nach ihnen, und ihr Widerstreben löst sich auf wie Rauch.«

»Dann wird ihre Stärke zu Schwäche«, sagte Lancelot. »Just ihr Mannestum macht sie wehrlos. Soll ich das wählen, wenn ich eine Wahl habe?«

»Ich glaube, Ihr liebt keine Damen … irgend etwas hindert Euch …«

»Ich wußte, daß das kommt. Ich habe meine Worte in den Wind gesprochen. Als nächstes werdet Ihr flöten … daß ich kein Mann sei … weil ich die größte Schwäche und Verblendung des Mannes bislang besiegt habe.«

»Die Zauberkraft der Königin muß sehr stark sein. Jedermann sagt das, und nun sehe ich selbst, daß es so ist …« Und aus ihren Augen wich die Verheißung, und ihr Mund wurde bitter, wie die herabgezogenen Schmollippen eines kleinen Mädchens, dem man sein Naschwerk weggenommen hat.

»Adieu«, sagte er. »Und wenn ich fort bin, stellt Euch die Frage: Wenn er keine Damen liebt, warum weiht er dann sein Leben dem Frauendienst?«

»Zauberei.«

»Lebt wohl«, sagte er, begann wegzureiten, fing ihren Zelter ein und band ihn an einem Baume fest. Doch einen Augenblick später löste er die Zügel wieder und führte das Pferd zu ihr hin.

Sie sah ihn nicht an und sagte nur: »Vielen Dank.«

»Gibt es sonst noch einen Dienst, den ich Euch erweisen kann?«

Sie schlug die Augen nieder. »Nein, ich weiß keinen, Sir.«

»Dann … nun denn … dann lebt wohl!« Er wendete sein Pferd, spornte es zum Traben an, und das Fräulein sah ihn hinwegreiten und trug Kummer um ihn.

Nun ritt Lancelot allein durch Wälder, feucht und schwarz, wo entwichene Sklaven der Erde sich in hohlen Bäumen und flachen Höhlen verbargen, doch sie schwanden bei seinem Näherkommen wie Schatten dahin und gaben keine Antwort auf seine Rufe. Dann durchquerte er ein sumpfiges Gebiet, wo das Schilf so hoch stand, wie sein Pferd war. Gefährlich dehnten sich Wasserflächen mit Treibsand, wo große Kolonien von Wildenten und wilden Schwänen friedlich lebten und sich, als er herankam, donnernd in die Luft schwangen. Weiter draußen im Wasser sah er runde Schilfhütten mit kegelförmigen Dächern, jede von ihnen auf einer eigenen kleinen Insel, jede mit ihrem eigenen Einbaum. Als Lancelot grüßend hinüberrief, überschütteten ihn kleine, dunkelhaarige, mit Schleudern bewaffnete Männer mit einem Hagel von Kugeln aus gebranntem Ton, die mit solcher Wucht seinen Schild und das Pferd trafen, daß der Schild Dellen empfing und das Roß zu lahmen begann. Es war ein wildes, abweisendes Land, wo den Menschen die Furcht vor Menschen Grausamkeit beibrachte. Die Luftspiegelungen, das trügerische Irrlicht, die tanzenden Feenlichter über dem Moor ängstigten sie weniger als Fremde ihrer eigenen Art, denn in diesem verarmten Landstrich waren der einzige Besitz, den die Bewohner kannten, andere Menschen. Der kalte argwöhnische Zorn traf den Ritter wie ein schneidender eisiger Wind, so daß er sich landeinwärts wandte, höher gelegenem Gelände zu. In einer halb verfallenen Burg tötete er zwei Riesen, befreite ihre Gefangenen und schickte sie zu Königin Guinevere. Dann hielt er viele Tage nach Abenteuern Ausschau, doch die Nachricht, daß er sich nähere, eilte ihm voraus, so daß feige und arglistige Ritter, die sonst an Furten und in Engpässen auf der Lauer lagen, sich Hals über Kopf davonmachten und verbargen, bis Lancelot vorüber war. Da keiner es wagte, sich ihm zum Kampf zu stellen, machte ihn gerade sein Ruhm einsam, und er wurde gemieden. Er schlief in Wohnstätten, verlassen von ihren Besitzern, und nährte sich kümmerlich von Beeren und Schalen, die er unterwegs fand.

Jetzt wenden wir uns wieder dem jungen Syr Gaherys zu, der in den Gutshof des von Lancelot erschlagenen Syr Tarquin ritt. Und dort fand er einen Bauern als Pförtner vor, der viele Schlüssel aufbewahrte. Da warf Sir Gaherys den Pförtner auf den Boden und nahm ihm die Schlüssel ab; und eilends öffnete er die Kerkertüre und ließ alle Gefangenen heraus, und ein jeder löste einem andern die Fesseln.

Gaheris entdeckte hier viele Freunde und Ritter von der Tafelrunde. Er berichtete ihnen, daß Sir Lancelot Tarquin getötet, sie errettet und beauftragt habe, an König Artus’ Hof auf ihn zu warten. Sie fanden in den Ställen ihre Pferde vor, während in der Rüstkammer ein jeder seine eigene Rüstung heraussuchte, und danach schmausten sie in Tarquins Küche gebratenes Wild. Sir Lyonel aber und Sir Ector de Marys und Sir Kay, der Seneschall, beschlossen, Sir Lancelot nachzureiten und sich seiner Ausfahrt anzuschließen. Nachdem sie gegessen und anschließend geruht hatten, brachen sie auf, und unterwegs erkundigten sie sich nach Lancelot.

Nun kehren wir zu Sir Lancelot zurück, der schließlich zu einem ansehnlichen Besitztum kam, wo ihn eine alte Edelfrau willkommen hieß. Sie bewirtete ihn mit gebratenem Fleisch, Blutwurst und einer fetten, stark gewürzten Schweinefleischpastete. Die hochbetagte Schloßherrin erinnerte sich noch an König Uthers Hof in jenen Tagen, als sie jung und schön gewesen war. Sie brachte Lancelot Wein und bat ihn zu erzählen, wie es an Artus’ Hof zugehe, welche Damen bewundert würden, was sie für Kleider trügen, wie die Königin aussehe und was sie spreche. Die alte Dame hätte den Ritter bis zum Morgengrauen ausgefragt, aber er bat sie, sich zur Ruhe begeben zu dürfen. Schließlich ließ sie ihn ein angenehmes Gemach über dem Burgtor aufsuchen. Er legte seine Rüstung auf eine Eichentruhe und sank in ein tiefes, weiches Bett aus sauberen weißen, wolligen Schafsfellen, das erste Bett, in dem er seit geraumer Zeit schlief. Er war gerade in einen traumlosen Schlaf geglitten, als an das Tor unterhalb seines Gemachs laut und dringlich gepocht wurde. Lancelot sprang aus dem Bett, blickte zum Fenster hinaus und sah einen Ritter, der von drei anderen bedrängt wurde. Der Ritter wehrte sich, schlug zugleich ans Tor und rief um Hilfe. Sir Lancelot wappnete sich, sprang durchs Fenster hinab und begann auf die drei attackierenden Ritter einzuhauen. Er streckte einen nach dem anderen zu Boden und hätte sie getötet, wenn sie ihn nicht um Gnade gebeten hätten.

»Ihr habt Euch mit Schande befleckt«, sagte Lancelot. »Es ist nicht Ritterart, zu dritt gegen einen einzelnen zu kämpfen. Deshalb werdet ihr euch nicht mir ergeben, sondern diesem Ritter und in seinem Namen König Artus’ Hof aufsuchen und euch der Königin unterwerfen.«

Der Ritter, der allein war, rief: »Ihr seid Lancelot!«, klappte das Visier hoch, und dahinter erschien Sir Kays Gesicht. Dann umarmten und küßten die beiden einander in inniger Freude.

Darauf sagte einer der besiegten Ritter: »Sir, wir wollen uns nicht Sir Kay ergeben, den wir ja bereits besiegt hatten. Es ist eine Ehre, sich Lancelot zu ergeben, aber zu behaupten, Sir Kay habe uns überwältigt, würde Gelächter hervorrufen.«

Lancelot zog wieder das Schwert aus der Scheide. »Ihr habt die Wahl«, sagte er. »Ergebt euch oder macht euch zum Sterben bereit.«

»Nun, wenn die Sache so steht, Sir …«

»Am nächsten Pfingstfest«, sagte Lancelot, »werdet ihr euch Guinevere unterwerfen und sagen, daß Sir Kay euch als seine Gefangenen geschickt hat.«

Dann schlug Lancelot mit dem Griff seines Schwertes ans Tor, bis es geöffnet wurde. Und die alte Dame war erstaunt, ihn zu sehen. »Ich dachte, Ihr seid zu Bett gegangen. Wie kommt Ihr hierher?«

»Ich ging schlafen, aber dann sprang ich aus dem Fenster, um diesem alten Freund von mir beizustehen. Und ich nehme ihn mit, damit er bei mir ruhen kann.«

In dem Gemach über dem Tor dankte Sir Kay seinem Freund dafür, daß er ihm das Leben gerettet hatte. »Seit ich mich aufgemacht habe, Euch zu suchen, Sir, mußte ich einen Kampf nach dem andern bestehen.«

»Das ist eigenartig«, sagte Lancelot. »Schon seit vielen Tagen habe ich keinen gefunden, der sich mir zum Kampf stellte.«

»Nun, es könnte sein, daß Männer, die alles dafür tun würden, mit mir zu kämpfen, alles dafür gäben, um einer Begegnung mit Lancelot zu entgehen. Das Wappenzeichen an Eurem Schild dürfte so manchen veranlassen, sich die Sache lieber zweimal zu überlegen.«

»Daran hatte ich nicht gedacht«, sagte Lancelot.

Sir Kay sagte: »Alter Freund, ich würde mit Euch gern über ein bestimmtes Thema sprechen, wenn Ihr mir versprecht, nicht ärgerlich zu werden.«

»Wie könnte ich auf Euch ärgerlich werden?« sagte Lancelot. »Sprecht nur!«

»Es handelt sich um eine Sache, die mich sehr bedrückt, Sir. Seit Ihr den König verlassen habt, sind besiegte Ritter im Gänsemarsch dahergekommen, um sich der Gnade der Königin zu unterwerfen. Jetzt werden auch noch alle Gefangenen aus Tarquins Verliesen am königlichen Hof eintreffen.«

»So ist es mein Brauch«, sagte Lancelot. »Es macht der Königin Freude, wenn edle Ritter sich ihrer Huld ergeben. Was gibt es dagegen zu sagen?«

»Edel mögen sie ja sein, Sir, aber sie sind auch ausgehungert. Sie treffen in ganzen Schwärmen, wie Heuschrecken, ein und leeren die Speisekammern des Königs. Ein besiegter Ritter ist womöglich noch hungriger als ein siegreicher.«

»Es bereitet dem König Freude, gastfreundlich zu sein, Sir.«

»Das weiß ich. Er liebt es, mit beiden Händen, in Fülle zu geben – aber ich bin der Seneschall. Und ich muß diese Fülle herbeischaffen und aufzeichnen, was alles verzehrt wird.«

»Der König ist eben kein Knicker.«

»Das weiß ich wohl. Er denkt nie darüber nach, bis das letzte Bröselchen aus dem Vorratsschrank geholt ist. Dann sagt er zu mir: ›Kay, ich weiß nicht, wohin all diese Sachen verschwinden. Erst vergangene Woche haben wir zehn Rinder geschlachtet und sechs Fuhren Heringe eingesalzen. Seid Ihr Euch sicher, daß Ihr alles kontrolliert? Könnte es sein, daß die Küchenjungen mausen?‹ Darauf sage ich ihm, wie viele edle Ritter an seiner Tafel speisen, und er gibt nur zur Antwort: ›Ja, ja …‹ und hört gar nicht zu, sondern fährt fort: ›Ich muß mir eines Tages Eure Buchhaltung ansehen.‹ Wenn Ihr also Eure Ausfahrt noch viel länger ausdehnt, Sir, werden unsere edlen Gefangenen uns noch arm fressen. Sobald sie sich der Königin ergeben haben, machen sie es sich gemütlich und bleiben wochenlang am Hof.«

Lancelot lachte. »Armer Kay«, sagte er. »Die Sorge sitzt Euch im Nacken. Soll ich die Ritter fragen, ob sie gut mit Proviant versehen sind, ehe ich mit ihnen kämpfe?«

»Lacht nicht über mich«, sagte Kay. »Alle lachen über mich. Ich sage Euch, das ist eine ernste Sache. Ein einziger von Euren Gefangenen ist imstande, auf einen Sitz ein halbes Schaf zu vertilgen … und das Bier … das Bier fließt in Strömen. Sagt aber bitte dem König nichts davon, daß ich zu Euch darüber gesprochen habe. Es würde ihn zornig machen. Er achtet nicht auf das Geld oder die Vorräte, bis er nichts mehr hat, und dann wird mir die Schuld daran gegeben. Kay muß knauserig sein, damit der König spendabel sein kann.«

»Daran hatte ich nicht gedacht«, sagte Lancelot. »Aber ich weiß auch nicht, was ich tun könnte.«

»Und dabei sind es nicht nur die Ritter«, sagte Kay in schmerzlichem Ton. »Jeder von ihnen hat Knappen und Zwerge und Fräulein bei sich. Für Euch mögen sie entzückend sein, voll Geist und Anmut, für mich aber sind sie gierige Ungeheuer.«

»Nun ja, jetzt geht schlafen«, sagte Lancelot. »Ich verspreche Euch, nur noch gegen wohlgenährte Junggesellen zu kämpfen.«

»Jetzt macht Ihr Euch wieder über mich lustig«, sagte Kay. »Ihr habt keine Ahnung, wie ich mich nach der Decke strecken muß. Ihr glaubt, der Braten wachse auf den Bäumen. An den Seneschall denkt keiner. Ich kann Euch sagen, vor dem Pfingstfest oder der Pentekoste, wenn viele Leute zusammenströmen, tue ich kein Auge zu. Nie hat man einen Dank, aber wenn irgend etwas nicht glattgeht … O ja, dann erinnert man sich meiner. Manchmal wäre ich am liebsten ein Küchenjunge.«

»Ihr seid aber keiner, mein Freund. Ihr seid mein teurer, gütiger, aufmerksamer Sir Kay, der wunderbarste Seneschall, der je auf Erden gelebt hat. Die frohen, satten Bäuche am Hof verewigen Euren Namen. Ohne mich käme die Welt ganz gut zurecht, doch ohne Euch, Sir Kay, könnte kein einziger Tag vergehen.«

»Ihr sagt das nur, um mich zu begütigen, Sir«, sagte der Seneschall. »Aber Ihr wißt, es steckt ein Körnchen Wahrheit in dem, was Ihr sagt.«

Nun saß Lancelot stumm da, und in seinen Augen stand ein Staunen.

»Warum macht Ihr so ein trauriges Gesicht, Sir?« fragte sein Freund.

»Nicht traurig – oder vielleicht doch. Ich habe eine Frage, aber Ihr werdet sie möglicherweise als kränkend empfinden.«

Kay sagte: »Ich kenne meinen Freund so gut, daß ich mir gewiß bin, er würde mich nicht kränken. Was wollt Ihr also wissen?«

»Ihr seid der Milchbruder des Königs.«

Kay lächelte. »Das bin ich. Wir haben an derselben Brust gesogen, wurden zusammen gewickelt, haben gemeinsam gespielt, getobt, gejagt, den Umgang mit den Waffen erlernt. Ich hielt ihn für meinen Bruder, bis ich erfuhr, daß er König Uthers Sohn war.«

»Ja, ich weiß. Und in den ersten schweren Jahren habt Ihr an seiner Seite wie ein wahrer Löwe gekämpft. Euer Name hat in den Herzen von Artus’ Feinden Angst und Schrecken ausgelöst. Als die fünf Könige des Nordens Artus bekriegten, habt Ihr mit Euren eigenen Händen zwei von ihnen getötet, und der König selbst sagte, Euer Name werde für alle Zeiten unvergessen bleiben.«

Kays Augen leuchteten. »Das ist wahr«, sagte er leise.

»Was ist geschehen, Kay? Was ist mit Euch geschehen? Warum werdet Ihr verspottet? Was hat Euer Herz verzagen lassen und Euch kleinmütig gemacht? Könnt Ihr mir das sagen – wißt Ihr es?«

Kays Augen glänzten noch, nun aber nicht mehr vor Stolz, sondern weil Tränen darin standen. »Ich glaube, ich weiß es«, sagte er, »aber ich frage mich, ob Ihr es verstehen könntet.«

»Sprecht, mein Freund.«

»Granit, so hart, daß ein Hammer daran zerbricht, kann von Sandkörnchen, die sich bewegen, abgeschliffen werden. Und ein Herz, das unter großen Schicksalsschlägen nicht zerbricht, kann zerfressen werden von nagenden Zahlen, dem Kriechgang der Tage, der abstumpfenden Tücke des Kleinen, des wichtigen Nichtigen. Ich stand im Kampf meinen Mann, aber ich wurde von den Zahlenkolonnen auf einem Blatt besiegt. Stellt Euch vierzehnmal eine XIII vor – ein kleiner Drache mit einem Stachelschwanz. Oder einhundertachtmal eine CVIII – ein kleiner Sturmbock. Wenn ich nur nie Seneschall geworden wäre! Für Euch ist ein Fest etwas Festliches – für mich ist es ein Buch voller bissiger Ameisen. Soundso viele Schafe, soundso viel Brot, soundso viele Schläuche voll Wein, und ist vielleicht das Salz vergessen worden? Wo ist das Horn des Einhorns, um den Wein des Königs zu prüfen? Zwei Schwäne sind verschwunden. Wer hat sie gestohlen? Für Euch bedeutet der Krieg Kampf. Für mich besteht er aus soundso vielen Eschenholzstangen für Lanzen, soundso vielen Stahlbändern. Für mich heißt er: Zelte, Messer, Lederriemen zählen, zählen und zählen, Brote zählen. Es heißt, die Heiden hätten eine Zahl erfunden, die nichts – von nichts etwas – ist, geschrieben wie ein O, ein Loch, ein Abgrund. Ich könnte dieses Nichts ans Herz drücken. Seht, Sir, habt Ihr jemals einen Mann der Zahlen gekannt, der nicht klein und kleinlich und ängstlich wurde – alles Große an ihm von kleinen Zahlen weggefressen, wie wenn marschierende Ameisen an einem Drachen nagen und nur abgefressene Knochen zurücklassen. Männer können groß und fehlbar sein – aber Zahlen sind unfehlbar. Ich nehme an, es ist ihre schreckliche, armselige Genauigkeit, die zerstörend wirkt – die spottet, nagt, mit winzigen Zähnen knabbert, bis an einem Mann vom Manne nichts mehr übrig ist, nur noch ein Brei aus fein zerhackten Ängsten, gewürzt mit Ekel. Die tödliche Wunde eines Zahlenmenschen ist ein Bauchschmerz ohne Ehre.«

»Dann verbrennt doch Eure Bücher, Mann! Zerreißt Eure Listen und laßt sie vom höchsten Turm vom Wind forttragen. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, daß ein Mann zugrunde gerichtet wird.«

»Aber dann gäbe es keine Feste und keine Lanzen, keinen Proviant, die das Kämpfen erst möglich machen.«

»Warum werdet Ihr dann verspottet?«

»Weil ich ängstlich bin. Wir nennen es Vorsicht, Gescheitheit, Weisheit, Nüchternheit, guten, besonnenen Geschäftssinn, aber es ist nichts anderes als Angst, in ein unüberwindliches System gebracht. Es fing mit kleinen Dingen an, und heute habe ich vor allem Angst. Für einen ordentlichen Geschäftsmann ist jedes Risiko eine Versündigung an der heiligen Logik der Zahlen. Es gibt keine Hoffnung für mich – überhaupt keine mehr. Ich bin Sir Kay, der Seneschall, und mein alter Ruhm ist verschlungen.«

»Mein armer Freund. Ich kann es nicht verstehen«, sagte Lancelot.

»Ich habe es ja gewußt. Wie denn auch? Der Totenuhr-Käfer nagt ja nicht an Euren Eingeweiden. Jetzt laßt mich schlafen. Das ist meine Null, mein Nichts.«

Sir Lancelot saß am Fenster, blickte lächelnd zu seinem Freund hin, und als dessen Schnarchen das Tor unten zum Klappern brachte, erhob sich Lancelot, legte leise seinen Harnisch ab und den seines Freundes an. Er nahm Sir Kays Schild, stieg hinab in den Burghof, holte Sir Kays Pferd und sattelte es. Dann öffnete er leise das Tor, ritt hindurch und hinaus in die Nacht.

Als der Seneschall am Morgen erwachte und seine Rüstung vermißte, war er im ersten Augenblick bestürzt, doch dann lachte er. »Heute«, dachte er, »wird einigen Rittern das Lachen vergehen. Sie werden angerannt kommen wie die Mäuse, um gegen den vermeintlichen Sir Kay zu kämpfen. Ich aber mit Sir Lancelots Rüstung werde unbehelligt durchs Land reiten können, und die angstschlotternden Männer werden mich mit Respekt behandeln!«

Sir Lancelot kam in ein schönes Land voller Wiesen, übersät mit gelben Blumen und durchzogen von freundlichen Bächen, in denen braune Forellen nach Fliegen schnappten, während andere ruhig ihre Bahn zogen und nach ihresgleichen als Beute Ausschau hielten.

An einem klaren Teich waren Mädchen zu sehen, die Wäschestücke wuschen und sie dann auf der Wiese ausbreiteten, um sie von der Sonne bleichen zu lassen. Sie beobachteten den vorüberreitenden Ritter, winkten ihm mit den sauberen, nassen Kleidungsstücken in den Händen zu, und eine von ihnen, zwölf Jahre alt, getraute sich, ihm einen Pokal zu bringen, gefüllt mit Wein aus Korinthen. Sie streichelte die Schulter des Pferdes, während Sir Lancelot trank.

»Es heißt, Ihr seid Sir Kay«, plapperte sie.

»So ist es, kleines Fräulein.«

»Es heißt, Sir Lancelot sei hier in der Gegend.«

»Das mag sein.«

»Oh! Kennt Ihr ihn, Sir?«

»Ja.«

»Ist es wahr, Sir, daß er groß wie eine Fichte ist und daß aus seinen Augen Feuer sprüht?«

»Nein, das ist nicht wahr. Er ist nur ein Mann und in manchen Dingen ein sehr durchschnittlicher Mann.«

»Ist er Euer Freund?«

»Ja, so könnte man es nennen.«

»Dann, finde ich, habt Ihr kein Recht zu sagen, was Ihr gesagt habt.«

»Was habe ich denn gesagt?«

»Ihr habt gesagt, er sei nicht so groß wie eine Fichte und aus seinen Augen sprühe kein Feuer. Ihr habt gesagt, er sei ein durchschnittlicher Mann.«

»In manchen Dingen.«

»Wärt Ihr sein Freund, würdet Ihr ihn nicht herabsetzen, wenn er nicht da ist und sich nicht verteidigen kann. Aber Ihr seid ja nur Sir Kay. Vielleicht wißt Ihr es nicht besser. Gebt mir den Pokal wieder!«

»Danke, kleines Fräulein.«

»Wenn ich ihn sehe, werde ich zu ihm hinaufrufen, was Ihr gesagt habt. Und er wird Euch seine Lanze in den Hals rammen. Alle Welt weiß, daß er so groß wie eine Fichte ist.«

»Sind das Zelte, was ich dort drüben sehe, kleines Fräulein?«

»Ja, Zelte. Und wenn Ihr klug seid, macht Ihr einen Bogen darum herum. Dort sind ein paar Ritter, die Euch vom Pferd kippen würden. Schleicht Euch lieber davon, bevor sie Euch sehen.«

»Ihr findet, das wäre klug gehandelt? Sind sie denn so wackere Ritter?«

»Nun ja, sie sind keine Lancelots, aber sie brächten es vielleicht schon fertig, Sir Kay wie Wäsche aufs Gras zu breiten.«

»Wie heißen sie?«

»Sir Gawter, Sir Gilmere und Sir Raynold. Sie sind hier wohlbekannt.«

»Vielleicht lassen sie mich passieren, wenn ich sie nicht reize.«

»Aber darum geht es nicht, Sir. Sie warten dort auf Gelegenheiten, mit einem vorbeireitenden Ritter einen Gang zu tun.«

»Und wenn Sir Lancelot vorbeikäme?«

»Dann hätten sie vielleicht anderswo Geschäfte zu besorgen.«

»Nun ja, ich werde es wohl darauf ankommen lassen müssen. Sollten sie mich besiegen, würdet Ihr mir dann beistehen, kleines Fräulein?«

»Ich muß allen wahren Rittern zu Diensten sein, ebenso wie sie mir gegenüber dazu verpflichtet sind, Sir. Und Ihr habt höflich und aufrichtig zu mir gesprochen. Ich hatte gehört, Sir Kay sei eitel, aufgeblasen und ein Prahlhans. Ihr aber seid ein bescheidener Ritter, und diese Geschichten sind Lügen. Wenn Ihr gestürzt seid, werde ich Euch helfen, die Rüstung abzulegen und Eure Schmerzen lindern, wie es die Pflicht eines richtigen Fräuleins ist.«

»Vergelt’s Gott«, sagte er. »Ihr seid eine artige junge Dame.«

»Mag es Euch im Kampf noch so schlimm ergehen, wenn ich schlecht über Euch sprechen höre, werde ich es richtigstellen, denn Ihr macht den Eindruck eines Edelmannes von höflich gesetzter Rede.« Die kleine Dame sah ihm nach, als er davonritt.

Lancelot schaute zurück, um ihr zu winken, und sah etwas Merkwürdiges. Die kleinen Finger beider Hände waren in die Winkel des Mundes geklemmt und zogen ihn zu einem breiten, weißen Band auseinander, die Mittelfinger drückten die Nase hoch, während die Zeigefinger die Winkel der Augen herabzogen, die den Nasenrücken anschielten. Und aus dem breitgezogenen Mund schaute die Zunge heraus und bewegte sich auf und ab. Seine Hand, zum Winken halb erhoben, verharrte so.

Das Mädchen ließ die Arme sinken und ging unbesorgt zurück zu ihrer Wäsche am Teich.

Sir Lancelot ritt weiter und dachte bei sich: »An jungen Mädchen muß etwas sein, was ich nicht verstehe.«

So war es auch. Am Teich angekommen, drehte sie ihm den Rücken zu, denn sie mochte diesen Ritter und wollte nicht mitansehen, wie ihm etwas geschah.

Unterdessen ritt Sir Lancelot in Richtung auf die drei Seidenzelte, die neben einer Holzbrücke über einem kleinen, tiefen Bach aufgeschlagen waren. An den Eingängen hingen an drei Lanzen drei weiße Schilde, und drei Ritter rekelten sich schläfrig im Gras, bis die Geräusche des näherkommenden Pferdes sie aufscheuchten.

»Oh, Gott meint es gut mit uns«, sagte Sir Gawter. »Seht doch, wer da herbeikommt – der große Sir Kay. Der edle, tapfere Sir Kay. Brüder, ich zittere und das Herz sinkt mir, aber ich muß mich ihm zum Kampf stellen, wenn auch schlotternd vor Angst.«

»Nein, wartet«, sagten die anderen. »Ihr könnt Euch nicht immer die Rosinen aus dem Kuchen holen.«

Sir Raynold rief: »Ich kann nicht zulassen, daß Ihr es mit diesem Drachen aufnehmt. Ich armer Tropf, der ich bin, werde gegen ihn kämpfen, wenn mir auch der Tod gewiß ist.«

»Wartet einen Augenblick«, sagte Sir Gilmere. »Ich kann nicht erlauben, daß ihr beide euer kostbares Leben aufs Spiel setzt. Ich selbst werde gegen ihn antreten.«

»Er wird fort sein, bis wir uns einig sind, welcher von uns sich opfern muß«, sagte Sir Gawter. »Hier sind drei Strohhalme. Wer den kürzesten zieht, hat gewonnen.«

Während Lancelot ohne ein Wort vorüberritt, steckten sie die Köpfe zusammen und zogen Strohhalme. Er überquerte den Bach und ritt weiter, doch schon einen Augenblick später galoppierte Sir Gawter – der Gewinner – hinter ihm drein und rief: »Bleibt stehen, falscher Ritter!«

Sir Lancelot zügelte sein Pferd und wartete auf ihn. Sir Gawter gab seinem Pferd links den Sporn und zwang es so, sich zur Seite zu drehen. Er sagte: »Wenn mir nicht der Schild des stolzen Sir Kay bekannt wäre, würde ich ihn daran erkennen, daß er nach Küchenfett stinkt. Wie konntet Ihr Euch erdreisten, heimlich über unsere Brücke zu reiten?«

»Gehört die Brücke Euch, junger Herr?«

»Soll das heißen, daß ich ein Lügner bin, Sir? Dafür werdet Ihr bezahlen.«

»Ich fragte ja nur. Ich habe Euch die Brücke nicht weggenommen – ich bin nur darübergeritten.«

»Oho, jetzt kommt Ihr mir mit Drohungen! Ich habe von Eurer Wichtigtuerei gehört, Sir. Die werde ich Euch austreiben!«

»Ich drohe Euch nicht.«

»Warum seid Ihr grußlos vorbeigeritten? Seid Ihr Euch zu gut, einfache Ritter zu grüßen?«

»Ich wollte einem Streit aus dem Weg gehen.«

»Ihr seid also eine Memme?«

»Nein. Aber ich hatte keinen Grund zum Streit mit Euch. Laßt mich bitte weiterreiten, junger Herr.«

»Dann werde ich Euch einen Grund liefern. Ihr seid ein Lügner, ein Betrüger, ein Schwachkopf, ein Feigling und eine Schande für den Ritterstand. Habt Ihr jetzt einen Grund zum Streit?«

Sir Lancelot antwortete: »Mit einem ungezogenen Hündchen streitet man sich nicht, man gibt ihm die Rute.«

»Damit habt Ihr Euch um Kopf und Kragen geredet, Ihr fettbesudelter Küchenritter.«

Sir Lancelot seufzte. »Ich habe mir redliche Mühe gegeben, Euch mit Anstand davonkommen zu lassen. Ich bin zwar ein Mann der Mäßigung, aber meine Langmut hat Grenzen.«

»Hoffentlich habt Ihr sie endlich erreicht«, rief Sir Gawter. »Verteidigt Euch, wenn Ihr Manns genug seid!« Er winkte seinen Gefährten, die auf der Brücke standen und herblickten, fröhlich zu, nahm seine Position ein und stürmte los. Seine Lanze zerbrach an Lancelots Schild, und er selbst wurde aus dem Sattel gehoben, eine Weile an der Lanzenspitze in der Luft gehalten und dann mit dem Kopf voran in einen Graben voll Schlamm geworfen. Dann ritt Sir Lancelot wortlos weiter.

Sir Raynold und Sir Gilmere als Zuschauer auf der Brücke wollten ihren Augen nicht trauen. »Was ist in Sir Kay gefahren?« fragten sie einander. »Es sieht ihm gar nicht ähnlich, so zu kämpfen.«

»Vielleicht hat irgendein unbekannter Ritter Sir Kay getötet und seinen Harnisch angelegt«, sagte Gilmere. »Jedenfalls, jetzt sind wir dran. Wir haben ihn zum Kampf herausgefordert, und jetzt gibt es kein Zurück mehr.«

Dann griffen die beiden Sir Lancelot an und wurden beide aus dem Sattel geworfen, und alle drei wurden zu dem Schwur gezwungen, an den königlichen Hof zu gehen und sich als von Sir Kay Besiegte der Königin zu unterwerfen.

Dann setzte Sir Lancelot – wie es in den französischen Büchern und auch bei Malory, sowie bei Caxton und Southey, Sommer und Coneybear, Tennyson, Vinaver und vielen anderen heißt – seine Ausfahrt fort. Er stieß einen Ritter nach dem andern aus dem Sattel, und auf der Straße zu Artus’ Hof drängten sich die besiegten Männer, die in Sir Kays Namen bedingt Gnade erhalten hatten und zu Guinevere gesandt worden waren. Sir Lancelot ritt heiter gestimmt dahin, vergnügt über sein Spiel, aber auch von der Hoffnung bewegt, daß dieser neugewonnene Ruhm Sir Kay aus seiner Hoffnungslosigkeit heraushelfen möge. Und unterwegs stieß Lancelot auf edle Ritter von der Tafelrunde, die Gefangene von Sir Tarquin gewesen waren – Sir Sagramor le Desyrus, Sir Ector de Marys, Sir Ewain und Sir Gawain. Er tat gegen jeden von ihnen einen Gang und warf sie alle vom Pferd, und als er weiterritt, sprach Sir Gawain, der mit Prellungen und übel mitgenommen auf der Erde saß, zu den anderen:

»Wir sind Narren«, sagte er. »Ich muß den Verstand verloren haben. Schaut, wie dieser Ritter zu Pferde sitzt. Erinnert euch, daß er tief übers Pferd gebeugt und ganz locker ritt. Denkt an die Lanzenspitze, die keinen Augenblick unsicher schwankte, und vor allem daran, wie er den Gestürzten mit der Hand seinen Gruß entbot. Also – wer ist’s? Narren sind wir!«

Und die anderen drei riefen: »Lancelot und kein anderer.«

»Natürlich«, sagte Gawain. »Hätten wir Augen im Kopf gehabt, wären uns unsere Beulen erspart geblieben. Wenn wir jetzt einen Ritter mit Lancelots Waffenbild begegnen, können wir ihn getrost attackieren, und mir jedenfalls wird es eine Freude sein, Sir Kay auf die Knie zu zwingen.«

Sir Ewain sagte: »Zunächst aber müssen wir unser Wort einlösen und uns in diesem mitgenommenen Zustand in Sir Kays Namen der Königin unterwerfen.«

Während Lancelot weiter durchs Land ritt, mußte er eine Veränderung an den Menschen feststellen, denen er begegnete. Es kam nicht mehr vor, daß Ritter auf ihn zustürmten, um gegen ihn zu kämpfen. Manche behandelten ihn mit höflicher Friedfertigkeit oder triefend vor Respekt, andere fanden dringliche Gründe, das Weite zu suchen. Lancelot fand am Wegesrand aufgeschlagene Zelte verlassen vor, Brücken waren unbewacht, die Straßen nicht mehr von übermütigen fahrenden Rittern unsicher gemacht. Unkriegerische Männer grüßten ihn beim Namen. Dazu erschienen Fräulein, Damen und Edelfrauen von Gott weiß woher, um seinen Beistand in seltsamen, unbegreiflichen Angelegenheiten zu erflehen – verwundete Ehemänner, unrechtmäßig weggenommene Ländereien. Bekümmerte und ausgeraubte Jungfrauen schossen am Wegesrand wie Pilze aus dem Boden und suchten wortlos, errötend und mit gesenkten Augen sein Mitgefühl zu gewinnen. Lancelot staunte, daß man ihn erkannte, obwohl sein Visier geschlossen war und an seiner Schulter Sir Kays Schild hing. Er wußte nicht – und es hatte dieses Wissens auch nie bedurft –, daß Worte wie auf Schwalbenschwingen weit-, weithin fliegen können.

Vielleicht hörte ein Knappe Gawains Worte, teilte sie einem vorüberkommenden Mönch mit, der sie, zusammen mit der Absolution, an ein beichtendes Mädchen weitergab, welches sie seinem Vater sagte, was wiederum ein zu einer Hochzeit eilender Spielmann mithörte. Strolche, entlaufene Leibeigene, geächtete Bogenschützen, die durch die grünen Wälder schlichen, fürstliche Äbte mit ihrem Gefolge wohlberittener Mönche hörten die Kunde und gaben sie weiter und weiter. Sogar die Vögel und die Schmetterlinge und die gelben Wespen trugen sie singend und flatternd weiter, bis selbst die Stimmen der funkelnden Bäche davon berichteten, daß Sir Lancelot mit Sir Kays Schild Abenteuer suchte. Zwerge und Landleute und Köhler grüßten ihn bei seinem Namen. Wandernde Kesselflicker, die mit Kram beladene Maultiere führten, Wollsammler mit ihren Wergsäcken, stolze Kaufleute mit purpurfarbenem Tuch aus dem goldenen Tuscien sprachen, vorbeiziehend, Lancelots Namen aus. Wundersam und geheimnisvoll ist es, wie Worten Flügel wachsen, wie sie durchs Land fliegen, und niemand ahnt, wie endlos weit ein Flüstern dringen kann.

Die Art der Abenteuer veränderte sich. Lancelot kämpfte nun nicht mehr fröhlich und offen. Nur von düsteren Geheimnissen umgebene Dinge wurde er nun gewahr – unbegreifliche Dinge für ihn.

Eine Dame neben einem verwundeten Ritter verlangte das Blut seines Feindes, um damit das Leben ihres Liebsten zu retten. Seltsame Tücken wurden ihm offenbar.

Er hörte ein Glöckchen läuten, blickte nach oben und sah in der Höhe einen Falken fliegen. Als der Vogel sich auf einer hohen Ulme niederließ, verfingen sich die an seinen Füßen hängenden Schnüre im Geäst. Dann kam eine Dame von der Straße her gelaufen und rief Lancelot zu: »Bitte, hochedler Lancelot, fangt mir meinen Falken ein.«

»Ich bin nicht gut im Klettern, Madame«, antwortete er. »Sucht Euch einen kleinen Jungen dafür.«

»Ich kann nicht«, rief sie außer sich. »Mein Gemahl ist ein gewalttätiger und rachsüchtiger Mann, und er liebt diesen Falken. Wenn er erfährt, daß er mir entflogen ist, wird er mich erschlagen.« Und sie brach in jammernde Laute und kleine Angstschreie aus, bis Sir Lancelot vom Pferd stieg, um sie zu beruhigen.

»Nun gut«, sagte er mißmutig. »Helft mir, die Rüstung abzulegen. Ich kann darin nicht auf den Baum steigen.« Er band sein Pferd an der Ulme fest, legte seine Waffen daneben auf die Erde und arbeitete sich, nur mit seiner leichten Kniehose und einem Hemd bekleidet, schwerfällig den Baum hinauf. Er fing hoch oben im Geäst den Falken, befestigte die Schnüre an einem abgestorbenen Ast und warf den sich sträubenden Vogel zu der Dame hinab.

Dann kam aus einem Versteck im Gebüsch ein bewaffneter Ritter heraus, der ein bloßes Schwert in der Hand hielt, und rief: »So, Sir Lancelot, jetzt habe ich Euch, wie ich Euch haben wollte – schutz- und waffenlos. Eure Stunde hat geschlagen, und das ist mein Werk.«

Lancelot sagte vorwurfsvoll zu der Dame: »Warum habt Ihr mich so hintergangen?«

»Sie hat nur getan, was ich ihr befohlen hatte«, sagte der Ritter. »Jetzt werdet Ihr herabsteigen, um zu sterben, oder muß ich Feuer an den Baum legen, um Euch durch Rauch zu ersticken wie ein Tier?«

»Was für eine schimpfliche Tat«, sagte Lancelot. »Ein Gewappneter gegen einen waffenlosen Mann.«

»Ich werde mich von meinem Schimpf erholen, ehe Euch ein neuer Kopf wächst, mein Freund. Also – kommt Ihr herunter, oder muß ich Feuer legen?«

Lancelot versuchte mit ihm zu handeln. »Ich sehe, daß Ihr ein leidenschaftlicher Mann seid«, sagte er. »Ich werde hinunterkommen. Legt meinen Harnisch beiseite, aber hängt mein Schwert an den Baum. Dann werde ich nackt, wie ich bin, gegen Euch kämpfen. Und wenn Ihr mich erschlagen habt, könnt Ihr erzählen, daß es in einem richtigen Kampf geschah.«

Der Ritter lachte. »Glaubt Ihr, ich bin auf den Kopf gefallen? Denkt Ihr, ich wüßte nicht, wozu Ihr mit einem Schwert imstande seid?« Und damit trug er Schwert wie Harnisch von dem Baum weg.

Lancelot blickte verzweifelt um sich. Er sah einen kurzen, dicken, abgestorbenen Ast, brach ihn ab, stieg langsam hinab, und als er die unteren Äste erreichte, bemerkte er, daß sein Feind vergessen hatte, sein Pferd ein Stück weit wegzuführen. Plötzlich sprang Lancelot mit einem Satz über das Pferd und landete dahinter auf dem Boden.

Der Ritter hieb nach ihm, doch Lancelot benutzte das Pferd als Schild und verteidigte sich mit seinem Ast aus Ulmenholz. Er parierte die Klinge, die tief in den Ast drang, entriß seinem Feind das Schwert, schlug ihn mit dem Ast zu Boden und prügelte das Leben aus ihm heraus.

»Wehe!« rief die Dame. »Warum habt Ihr meinen Gemahl erschlagen?«

Lancelot, der im Begriff war, seine Rüstung anzulegen, hielt inne. »Ich glaube nicht, daß ich Euch darauf eine Antwort geben werde, Madame. Wenn ich nicht ein Ritter wäre, würdet Ihr meinen Knüppel zu spüren bekommen, und nicht auf dem Kopf.« Damit stieg er in den Sattel, ritt davon und dankte Gott für seine Errettung.

Während er so dahinritt, dachte er staunend und betrübt über den Mann nach, den er getötet hatte. »Warum«, fragte sich Lancelot, »hat er mich, der ihm doch nichts getan hat, so sehr gehaßt?« Lancelot war frei von den Leidenschaften des Neides, die einen Wicht von einem Mann dazu bringen zu zerstören, was andere bewundern. Auch hatte er selbst in seinem Leben bislang noch nie jenen Selbsthaß empfunden, den der Betreffende an einer Welt ausläßt, der er die Schuld an seiner eigenen Unzulänglichkeit gibt.

Wie die meisten großen Kämpen war auch Lancelot hochherzig und gütig von Natur. Wenn es notwendig wurde, einen Mann zu töten, tat er es rasch, ohne Zorn und ohne Furcht. Und da Grausamkeit, sofern sie nicht krankhaft ist, nur aus Angst erwächst, war er nicht grausam. Nur ein einziges konnte ihn zu blinder Grausamkeit treiben: Tücke. Er begriff Tücke nicht, da sie seinem eigenen Wesen fremd war. Und so wurde Lancelot ängstlich, wenn er dieser für ihn geheimnisvollen Regung begegnete, und einzig dann konnte er grausam sein. Und da Ausfahrten und ihre Schilderungen nur Illustrationen der Tugenden wie der Laster von Rittern sind, geschah es, daß er auf seinem Weg plötzlich die Angstschreie einer Frau hörte und, als er dem Schreien folgte, eine Dame sah, die vor einem Ritter mit dem gezückten Schwert in der Hand floh. Sir Lancelot trieb sein Pferd auf den Verfolger zu, der ihm entgegenrief: »Was gibt Euch das Recht, Euch zwischen Mann und Weib zu stellen? Ich werde sie umbringen, wie es mir zusteht.«

»Nein, das werdet Ihr nicht«, versetzte Lancelot. »Ihr werdet mit mir kämpfen.«

»Ich kenne Euch, Lancelot«, sagte der Mann. »Diese Frau, mein Eheweib, hat mich betrogen. Sie ist untreu. Es ist mein legitimes Recht, sie zu töten.«

»So ist es nicht«, sagte die Dame. »Er ist ein eifersüchtiger Mann. Er ist eifersüchtig beim Essen und im Schlaf und wittert in allem ein Vergehen. Ich habe einen jungen Vetter, so jung, daß er mein Sohn sein könnte, aber mein Gemahl ist auf dieses Kind eifersüchtig. Er bildet sich schmutzige Dinge ein. Rettet mich, Sir Lancelot, denn mein Gemahl kennt kein Erbarmen.«

»Ich werde Euch beschützen«, sagte Lancelot.

Darauf sagte der Ehemann: »Ich achte Euch, Sir, und will alles tun, was Ihr sagt.«

Sein Weib rief: »Oh, seid auf der Hut, Sir. Ich kenne ihn. Er ist heimtückisch.«

»Ihr steht unter meinem Schutz. Er kann Euch nichts zuleide tun. Jetzt wollen wir uns aufmachen.«

Nachdem sie eine Weile geritten waren, rief der Ehemann: »Schaut hinter Euch! Da kommen gewappnete Männer!«

Lancelot drehte sich rasch um, und in diesem Augenblick fiel der Mann sein Eheweib an, hieb ihr den Kopf ab, beugte sich über sie und spuckte unter Verwünschungen auf ihren enthaupteten Leib.

Da eine solche Untat für Lancelot fremd und beängstigend war, packte ihn der Grimm, obgleich er sonst ein kühler, gelassener Mann war. Er zog sein Schwert, die Augen glänzten rachelüstern wie die einer Schlange, sein Gesicht war schwarz vor rasendem Zorn.

Der Ehemann warf sich auf die Erde, umklammerte Lancelots Knie, bettelte und flehte um Gnade, während der Ritter ihn wegzustoßen versuchte, um ihm einen Schwerthieb zu versetzen. Doch der Mann preßte den Kopf gegen Lancelots Beine und wimmerte wie ein großer Säugling.

»Steht auf und kämpft!« donnerte Lancelot.

»Ich kämpfe nicht – ich bitte um Gnade bei Eurem Rittertum.«

»Hört mir zu. Ich werde den Harnisch ablegen und im Hemd gegen Euch kämpfen.«

»Nein … Gnade.«

»Ich werde mir einen Arm festbinden.«

»Auch das nicht … Ich bitte um Gnade. Ihr habt geschworen, Gnade zu üben.«

Dann machte sich Lancelot, dem vor Ekel und seinem eigenen Grimm übel war, von dem Mann frei und lehnte sich zitternd und erhitzt an einen Baum. Der Kopf der Dame, beschmutzt und blutbesudelt, grinste ihn von der Straße her an, auf die er gefallen war.

»Sagt mir, welche Strafe ich auf mich nehmen muß. Ich werde alles tun, was Ihr mir auferlegt«, rief der Ehemann der Toten. »Nur laßt mir das Leben.«

Nun wurde Lancelots Grausamkeit eisig. »Ich will es Euch sagen«, antwortete er. »Ihr werdet Euch die Leiche auf den Rücken laden und den Kopf in die Hand nehmen und beides Tag und Nacht nicht loslassen. Sobald Ihr an den Hof kommt, tretet damit vor Königin Guinevere. Wie sehr der Anblick sie auch anwidern mag, berichtet ihr, was Ihr getan habt. Sie wird Euch Eure Strafe verkünden.«

»Das verspreche ich bei meiner Ehre.«

»Bei Eurer Ehre, meiner Treu! Ihr seid in einer Stunde der Schande geboren worden. Ihr werdet gehorchen, denn wenn Ihr es nicht tut, werde ich Euch aufspüren und in Stücke zerreißen. Jetzt hebt die Leiche auf. Nein, legt sie nicht aufs Pferd. Nehmt sie auf den Rücken.«

Er blickte dem Davonreitenden nach, der mit der schwankenden Leiche, die ihn von hinten umarmte, schwerfällig im Sattel saß. Lancelot atmete mit offenem Mund, um sich nicht zu übergeben, denn sein Zorn und seine Grausamkeit hatten ihm Übelkeit erregt. Er setzte sich unter einem Baum auf die Erde und blieb dort sitzen, indes der Abend kam – zu schwach, um sich zu bewegen, zu krank, um sich einen besseren Ruheplatz zu suchen.

Mit dem Einbruch der Nacht kamen in großer Zahl Vögel herab auf den Pfad, liefen umher, drehten auf der Suche nach Käfern abgefallene Blätter um, zankten und plapperten miteinander. Auf den Ritter, der auf der Erde saß, achteten sie nicht. Nur einer, ein hohes Tier in der Vogelschar, mit einem Hahnenkamm und von gebieterischem Auftreten, marschierte zu einem von Lancelots Füßen hin, pickte heftig an dem Eisenschuh und blickte kühn zu dem Ritter auf, als wollte er ihn fordem. Und Lancelot lächelte in der Erinnerung daran, daß er das gleiche und vielleicht aus den gleichen Gründen getan hatte.

Als hätte die unbeantwortet gebliebene Herausforderung des Vogelhäuptlings die Luft vom Mißtrauen gereinigt, tauchten die kleinen und die stillen Geschöpfe aus dem Wald auf, doch ihre Kleinheit bedeutete nicht, daß sie fromm und gutartig waren – nur vorsichtig. Jedes einzelne von ihnen stand mit anderen auf dem Kriegsfuß und hatte endlose Auseinandersetzungen mit seinesgleichen – um Besitzrechte, Schatzfunde, Verletzungen des schuldigen Respekts vor Größe, Alter und Kraft. Sie alle, Mäuse und Maulwürfe, Frettchen, Wiesel und kleine Schlangen, beeilten sich nun, da die Nacht kam, irgendwo Unterschlupf zu finden. Schon innerhalb einer einzigen Art war die Regierung ein schwieriges Amt. Bei vielen Arten war sie unmöglich, wie es von jeher gewesen, denn das Kleingetier war nicht friedlich oder gütig oder solidarisch. Es war ebenso streit- und selbstsüchtig, ebenso besitzgierig und aufgeblasen, genauso tückisch und gespreizt und unberechenbar wie die Menschen, weshalb es nur schwer zu verstehen ist, wie sie überhaupt zum Fressen und zum Brüten kommen, geschweige denn, Nester zu bauen und Höhlen zu graben, Pelz und Gefieder zu putzen, Schnäbel und Klauen zu schärfen, Vorräte einzulagern und zu bewachen und dabei noch Zeit zu haben, miteinander zu streiten, einander anzufauchen und zu verwünschen. Und nur hin und wieder nehmen sie sich die Zeit zum Lieben und zum Sterben.

Mit der hereinbrechenden Dunkelheit kroch die eine Art davon, und andere Arten tauchten auf, in Wechselschichten wirkende Arbeiter am Bau der Welt. Nun erschienen die Nachtspäher auf dem Plan, stille Jäger und verschlagene Fänger und Nager und ihre Beute umschleichende Mörder, je nach ihrer Art leise vor sich hinlachend oder Schreie ausstoßend. Zwischen den Bäumen huschten die Fledermäuse im Pendelflug dahin, und ihre dünnen, hohen, brüchigen Stimmen gingen durch Mark und Bein. Sie brachten nächtliche Kühle mit und machten die Dunkelheit am Himmel fest, damit die Sterne erstrahlen konnten. So viele Lebewesen existierten, die alle mit Freunden und Feinden vereint waren, daß Lancelot sich allein fühlte, einsam im Herzen, auch umdüstert und durchkältet, und in ihm schienen keine Sterne. Es war ein neuartiges, sonderbares Gefühl für ihn, denn er war nie mehr einsam gewesen, seit beim Tod von Königin Elaine die Erde zerriß und er sie ohne Liebe wieder hatte zusammenfügen müssen. Plötzlich überlief seinen ganzen Körper ein Frösteln, jedermann als Zeichen dafür bekannt, daß eine Hexe umgeht, der Zauberwellen voraneilen. Sir Lancelot verschränkte die Finger beider Hände und befeuchtete sich die Lippen für ein Vaterunser, sollte es notwendig werden, eines zu sprechen. Und er wußte die Hexe nahe, denn die nächtlichen Wesen verschwanden oder erstarrten in regloser Unsichtbarkeit, und dann hörte er menschliche Schritte näher kommen und eine warme Stimme, die sang:

Wach nicht auf, mein Liebster,

Es ist nicht Tag.

Die Nacht wird nie zu Ende gehn,

Nie wird sie enden, Niemals, nie zu Ende sein.

Das Singen hörte auf. Im trüben Abendlicht erschien ein Fräulein. »Mein Gebieter«, sagte sie, »ich habe Euren Ruf vernommen.«

»Ich habe nicht gerufen, Fräulein.«

»Ich hörte Einsamkeit.«

»Ich habe nicht gerufen«, sagte er.

Sie ließ sich neben ihm nieder.

»Ich spürte Bezauberung wie ein geistiges Erschauern«, sagte er. »Seid Ihr eine Zauberin?«

»Ich bin, was Lancelot von mir wünscht.«

»Wie, Ihr kennt meinen Namen?«

»Besser als sonst einen von allen anderen Namen. Besser als den Namen von Guinevere, der Königin.«

Er fuhr zusammen wie ein von Fliegen geplagtes Pferd. Seine Arme fühlten sich kalt am Körper an.

»Was für eine Macht hat sie über Euch?« fragte sie.

»Die Macht einer Königin, der mein Rittertum geweiht ist.«

»Und Euer Herz? Ist es auch jemandem geweiht?«

»Mein Herz ist nur eine kleine Pumpe, Fräulein«, sagte er verdrossen. »Mein Herz bleibt immer an seinem Platz und verrichtet seine Arbeit. Ich habe von Herzen gehört, die ihren Platz verließen und klagend davonwanderten wie umherschweifende Geister, habe von Herzen gehört, gebrochen von Scham oder Sehnsucht, von verspielten Herzen, von schmachtenden und einsamen. Vielleicht gibt es solche Herzen ja wirklich. Mein eigenes ist eine langsam und gleichmäßig arbeitende Pumpe. Im Kampf wird es rascher, um mir zu geben, was ich brauche. Es spricht nie, es drückt sich nie vor der Arbeit. Der Arbeit allein ist mein Herz geweiht.«

»Vielleicht hört Ihr ihm nicht zu«, sagte das Fräulein. »Ich hörte es aus der Ferne sprechen, daß Eure Ausfahrt am Ende und der Weg zurück zu Guinevere frei ist.«

»Dann muß ich es zurechtweisen. Ich möchte nicht einmal, daß meine kleine Zehe hinter meinem Rücken spricht, geschweige denn mein Herz. Fräulein, was führt Ihr im Schilde, daß Ihr mit meinem Herzen plaudert, wie Gesinde an einem Brunnen klatscht? Wenn Ihr eine Zauberin seid, dann wird Eure Kunst Euch sagen, daß meine Finger verschränkt sind.«

»Habt Ihr mich schon einmal gesehen?«

Er beugte sich zu ihr hin und sah sie in der dunkler werdenden Nacht genau an. »Nein – oder ich kann mich nicht an Euch erinnern.«

»Findet Ihr mich schön?«

»Ja. Ihr seid schön, sehr schön, doch das kann von Zauberei bewirkt sein. Sagt mir, was ist Euer Begehren?« Seine Stimme klang ungeduldig.

Sie beugte sich dicht zu ihm hin – so dicht, daß er in ihren großen, dunklen Augen das Spiegelbild des gestirnten Nachthimmels sehen konnte. Dann trieb ihr die Anstrengung Tränen heraus, die zitternd die Augen netzten. Die Sterne verloren ihre Schärfe, und Lancelot sah, wie sich in dem verdoppelten Himmel, in den er blickte, die Formen kleiner Monster bewegten. Er sah einen seitwärts kriechenden Krebs mit ausgestreckten Zangen, einen Skorpion mit peitschendem Schwanz, einen Löwen und einen Bock und Fische, die von Sternbild zu Sternbild schwammen. Er merkte, daß er schläfrig wurde.

»Was seht Ihr?« fragte sie leise.

»Jene Zeichen, die Zauberer benutzen, um die Zukunft vorauszusagen.«

»Gut. Nun seht Euch Eure Zukunft an.«

Ihre Augen wurden zu einem Teich, angefüllt mit dunklem, strudelndem Wasser, und dann bildete sich darunter ein Gesicht, schwebte der Oberfläche entgegen und wurde klar – ein reines Gesicht wie gemeißelt, mit tief eingekerbtem Kinn, kühlen, musternden Augen und einem kräftigen Mund mit vollen Lippen, die an den Mundwinkeln belustigt zuckten. Nun senkte sich ein Lid ganz kurz, der Mund öffnete sich, und die Lippen bewegten sich, als flüsterten sie – und dann wurde das Gesicht starr, zu einem gemalten Gesicht, zur Darstellung eines Gesichts. Die kühlen Augen waren gemeißelte Augen, die Brauen winzige, ziselierte Einschnitte.

»Ihr seht ein Gesicht«, sagte die hauchende Stimme.

»Ich sehe ein Gesicht.«

»Erkennt Ihr es?«

»Ja.«

»Ist es klar?«

»Sehr klar.«

Sie keuchte vor Anstrengung. »Blickt genau hin, Sir. Hier seht Ihr Eure Bestimmung, Euer ganzes künftiges Leben – Eure Liebe, Eure einzige Liebe.«

»Das kann nicht sein.«

»Doch! Und ich sage den Gebilden aus Luft und Feuer und Wasser, den trefflichen Gehilfen, Dank. Jetzt könnt Ihr Euch von dem Bild lösen. Es ist für alle Zeit fixiert, unveränderlich. Ihr seid mein geworden – Ehemann, Liebster, Sklave. Löst Euch aus dem Zauber, mein Lieber, mein Teurer.«

»Ich glaube nicht, daß ich unter einem Zauber stand, mein Fräulein.«

»So kommt es einem vor, wenn es vorüber ist. Vielleicht werdet Ihr Euch nicht erinnern, was Ihr gesehen habt, aber ich weiß, Ihr habt mein Gesicht gesehen und seid mein.«

Nun betrachtete Lancelot sie mit einem scharfen Blick und war tief beunruhigt, denn er sah ein armes, geistig verwirrtes Mädchen, das mit einem Strohhalm die Welt zu bewegen versuchte. Er fragte sich, ob es nicht human wäre, ihr zuzustimmen, und sie dann zu einem Priester zu führen, damit die Dämonen des Wahnsinns ausgetrieben würden. Und dann fiel ihm jener Zwerg mit dem breiten Rücken ein, der ihm den Umgang mit den Waffen und andere Dinge beigebracht hatte.

»Eine Lüge ist etwas Gutes, etwas Wertvolles«, hatte er gesagt, »eine wunderbare Kostbarkeit, die man in Reserve hält. Benutzt dieses Kleinod niemals, ehe Ihr alle Wahrheiten erschöpft habt. Die Wahrheit ist ein gewöhnliches Ding, allzeit zur Hand, Lügen hingegen muß man selbst erschaffen, und man hat keine Gewißheit, ob sie überhaupt nützlich sind, bevor man sich ihrer bedient hat – und dann ist es zu spät.«

Mit sanfter Stimme sprach er zu dem Mädchen: »Fräulein, ich könnte dem beipflichten, was Ihr gesagt habt, doch ein Augenblick Friede ist gar nichts wert. Dereinst werdet Ihr vielleicht lernen, große Verzauberungen zu wirken, doch jetzt … nun ja … ein bißchen schwarzes Gezauber ist ein gefährlich Ding.«

Sie sprang auf. »Ihr lügt!« rief sie. »Ihr habt mein Gesicht gesehen. Ihr seid gefangen.«

»Nein, Fräulein, ich habe nicht Euer Gesicht gesehen. Ich sah Guinevere, die Königin. Und das ist Narretei, denn es ist unmöglich, daß ich die Königin jemals unehrenhaft lieben, meinem Freund und Lehnsherrn, dem König, Unehre und Schande bereiten und mein Rittertum beflecken könnte.«

»Ihr habt mein Gesicht gesehen!« rief das Fräulein. »Mein Zauber war der stärkste, den es gibt.«

»Euer Zauber war schwach und unsicher wie ein neugeborenes Fohlen«, sagte Lancelot. »Es ist wahr, Ihr habt gelernt, Bilder in Eure Augen zu zaubern, aber alberne Bilder, törichte Dinge. Sie werden nur bewirken, daß man Euch auslacht. Ihr habt mich sehen lassen, wie Königin Guinevere wegen Verrats am König auf dem Scheiterhaufen steht, umgeben von aufgeschichteten Reisigbündeln. Was soll solche Verrücktheit? Und als wäre das nicht schon Unsinn genug, sah ich mich selbst in voller Rüstung auf einem Karren fahren, der von Ochsen durch einen Sumpf gezogen wird. Das könnte komisch sein, wenn es nicht beleidigend wäre. Ich finde, es ist besser, Ihr geht nach Hause und lernt, mit Faden an einem zerrissenen Hemd Zauber zu wirken. Vielleicht könnt Ihr eines Tages irgendeinen jungen Ritter von gutem Ruf auf eine Ausfahrt begleiten.«

Sie war merkwürdig stumm, und nach einer Weile sagte Sir Lancelot zu ihr: »Es tut mir leid, wenn ich Eure Gefühle verletzt habe, mein Fräulein. Und jetzt muß ich fort. Ich habe verabredet, zum Pfingstfest an König Artus’ Hof zu sein, und die Zeit ist nahe. Kann ich noch irgend etwas für Euch tun, ehe ich aufbreche? Irgendeine kleine Gefälligkeit?«

Sie trat nahe zu ihm hin, sprach im Flüsterton, und das Weiße in ihren Augen glänzte im Sternenlicht, was ihr ein Aussehen gab, als wäre sie blind. »Ja, das könnt Ihr, mein Ritter«, sagte sie. »Nur einen einzigen kleinen Dienst könnt Ihr mir erweisen.«

»Sprecht. Ich bin dazu bereit.«

»Hier in der Nähe ist eine Kapelle, Gefährliche Kapelle geheißen, und darin liegt in ein Leichentuch gehüllt ein toter Ritter und neben ihm ein Schwert. Es wird von Riesen und furchterregenden Ungeheuern bewacht. Bringt mir dieses Schwert, wenn Ihr es vermögt.«

»Wie finde ich die Kapelle in der Finsternis?«

»Sie ist nicht weit von hier. Folgt dem Pfad, bis Ihr ein Licht seht. Ich werde hier auf Euch warten.«

Er stolperte in der Dunkelheit davon und gedachte des Fräuleins voller Mitgefühl. Er fand das Licht, eine brennende Kerze in einer Hütte, die klein war, aber über der Tür ein primitives Kreuz hatte. In der Hütte lag eine mit einem weißen Tuch bedeckte Gestalt, und an die weiß gekalkten Wände waren von kindlicher Hand groteske Gesichter gemalt. Neben der verhüllten Gestalt lag ein Schwert aus Holz. Sir Lancelot beugte sich hinab, um es an sich zu nehmen, hob das Tuch ein bißchen und sah, daß der Leichnam eine mit Lumpen ausgestopfte, als Mann angezogene Puppe war. Und sein Herz war schwer, als er zu dem Fräulein zurückging.

Sie war auf eine Lichtung getreten, und ihr Gesicht zeigte im Schein der Sterne einen wilden und kindlichen Ausdruck. »Habt Ihr das Schwert mitgebracht?« rief sie.

»Ja, mein Fräulein.«

»Gebt es mir.«

»Es schickt sich nicht, daß ein Fräulein ein Schwert trägt.«

»Ha, Ihr seid mir entkommen! Hättet Ihr mir das Schwert gegeben, hättet Ihr Königin Guinevere nie mehr gesehen.«

Lancelot ließ den Stecken mit der darauf gebundenen »Parierstange« auf die Erde fallen.

»Gebt mir ein Zeichen zur Erinnerung, Herr Ritter«, sagte sie.

»Was für ein Zeichen möchtet Ihr?«

»Einen Kuß – ich werde ihn immer in ehrendem Andenken halten.« Sie näherte sich ihm wie eine Schlafwandlerin, das Gesicht nach oben gewandt, den Mund geöffnet, und er hörte, wie ihr das Herz pochte.

Dann veranlaßte ihn irgendeine Regung, irgendein Instinkt tief in seinem Kämpferherzen, sie am Handgelenk zu packen und ihr das lange, schmale Messer aus den Fingern zu schütteln.

Sie barg das Gesicht in den Händen und begann zu weinen.

»Warum wolltet Ihr mich töten? Ich hatte Euch nichts zuleide getan.«

»Ich bin verloren«, sagte sie. »Ihr wäret mein gewesen und keine andere hätte Euch bekommen.

Und jetzt, Sir Lancelot, will ich Euch sagen, ich liebe Euch seit sieben Jahren, doch keine andere soll Eure Liebe haben als Königin Gwenyver, und da ich mich Eures lebendigen Leibes nicht erfreuen durfte, wäre mir in dieser Welt nichts eine größere Freude gewesen, als Euren toten Leib zu haben. Dann hätte ich ihn einbalsamiert und ihn gehegt, um ihn zeit meines Lebens zu besitzen, und jeden Tag hätte ich Euch mit den Armen umschlungen und Euch Königin Gwenyver zum Trotz nach Herzenslust geküßt.«

Pfingsten hielt König Artus in Winchester hof, jener altehrwürdigen königlichen Stadt, in der Gunst des Herrn wie Seiner Geistlichkeit und auch Sitz und Begräbnisstätte vieler Könige. Auf den Landstraßen drängten sich freudig gestimmte Menschen, Ritter, die zurückkehrten, um am Hof ihre Taten zu vermelden, Bischöfe, Geistliche, Mönche, an ihr Ehrenwort gefesselte Besiegte, die Gefangenen der Ehre. Und auf dem Itchen, dem Zugang vom Solent und vom Meer her brachten die kleinen Schiffe saftiges Getier, Neunaugen, Aale und Austern, Schollen und Lachsforellen. Lastkähne, beladen mit Tran- und Weinfässern, wurden von der Flut hereingetragen. Brüllende Ochsen wanderten auf ihren eigenen vier Hufen den Bratspießen entgegen, während Gänse und Schwäne, Schafe und Schweine in Verschlägen aus Weidengeflecht ihr Schicksal erwarteten. Jeder Hausbesitzer, der einen Streifen buntes Tuch, ein Band, irgendeinen lustigen Fetzen besaß, hängte diese Dinge als ein Fähnchen hinaus, das flatternd seinen kleinen Beitrag zum Fest leistete, und wem derlei fehlte, der befestigte Fichten- oder Lorbeerzweige über der Tür.

In der großen Halle der Burg auf dem Hügel saß der König auf seinem erhöhten Platz, und als nächste unter ihm die auserlesene Schar der Tafelrunde, edel und würdevoll anzusehen, als wären die Ritter gleichfalls Könige. An den langen Holztischen saßen dicht an dicht die Menschen, wie Zehen in einem engen Schuh.

Dann, während von den glänzenden Fleischstücken das Fett herablief und von den Tischen tropfte, rühmten nach alter Sitte die besiegten Ritter die Taten ihrer Überwinder, während diese sich selbst schmälernd den Kopf senkten und die Komplimente für ihre Größe mit kleinen, bescheidenen Handbewegungen abwehrten. Und da bei einer öffentlichen Beichte Sünden über Gebühr vergrößert, kleine Verfehlungen größer oder überhaupt erst geboren werden, konnte es geschehen, daß jene Ritter, die erst unlängst um Gnade gebeten hatten, die Taten der Tapferen und Großmütigen über alle vernünftige Dankbarkeit für die Schonung ihres Lebens hinaus erhöhten. Auch erhofften sie dadurch selbst ein Weniges an Ansehen zu gewinnen.

Mit rühmenden Worten sprachen viele von Lancelot, der mit gesenktem Kopf auf seinem mit goldenen Lettern beschrifteten Stuhl an der Runden Tafel saß. Manche erzählten, er habe genickt und sei vielleicht eingeschlummert, denn die Schilderung seiner Ruhmestaten war lang, und die monotone Aufzählung seiner Siege nahm viele Stunden in Anspruch. Lancelots makelloser Ruhm war so groß geworden, daß Männer es sich zur Ehre anrechneten, von ihm aus dem Sattel geworfen zu werden. Und da er so oft gesiegt hatte, ist es möglich, daß Ritter, die er nie zu Gesicht bekommen hatte, behaupteten, sie seien von ihm überwunden worden. Es bot ihnen die Chance, einen Augenblick lang die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und während Lancelot vor sich hin döste und am liebsten woanders gewesen wäre, hörte er Lobpreisungen, in denen er sich nicht wiedererkannte, und so manche Heldentat, die vor Zeiten anderen Männern zugeschrieben worden war, holte man hervor, polierte sie auf und legte sie auf den Stapel seiner Glanzleistungen. Es gibt einen Ehrenplatz des Ansehens, der dem Neid unerreichbar ist und dessen Inhaber aufhört, ein Mensch zu sein. Er wird zum Gefäß aller Wunschträume der Welt. Dieser Platz ist in der Regel Verstorbenen vorbehalten, von denen weder Vergeltung noch Lohn zu erwarten ist, doch zu dieser Zeit hatte ihn Sir Lancelot unangefochten inne. Und undeutlich vernahm er, wie seine Kraft – zu seinem Vorteil – mit der von Elefanten verglichen wurde, seine Wildheit mit der von Löwen, seine Schlauheit mit der von Füchsen, seine Beweglichkeit mit der Flinkheit des Wildes, seine Schönheit mit der der Sterne, sein gerechtes Denken mit der Gerechtigkeit Solons, seine strenge Redlichkeit mit der des hl. Michael, seine Demut mit der neugeborener Lämmer; seine Sonderstellung als Krieger hätte den Erzengel Gabriel veranlassen können, das Haupt lauschend zu heben. Manchmal hörten die Gäste zu kauen auf, um besser zu hören, und ein Mann, der geräuschvoll seinen Honigwein verschüttete, zog mißbilligende Blicke auf sich.

Artus auf seiner Estrade saß ganz still da und spielte nicht mit seinem Brot herum, und neben ihm saß die liebliche Guinevere regungslos, wie eine bemalte Statue ihrer selbst. Nur ihre Augen, die nach innen zu blicken schienen, gestanden ihre schweifenden Gedanken ein. Und Lancelot betrachtete seine Hände wie die aufgeschlagenen Seiten eines Buches – keine großen Hände, sondern zart an den Stellen, wo keine Schwielen und Narben von alten Wunden waren. Sie waren zartgliedrig, weich und ganz weiß die Haut, geschützt vom geschmeidigen Lederfutter seiner Panzerhandschuhe.

In der großen Halle war es jedoch nicht überall ruhig, nicht alle lauschten regungslos. Überall war Bewegung: Leute kamen und gingen, manche trugen lange Bretter mit Bratenstücken und Körbe voll runder Brote, flach wie Teller, herbei. Andere waren rastlos, konnten nicht stillsitzen, während jedermann, beschwert von halb gekautem Fleisch und den Bächen und Fluten von Honigwein und Bier, wiederholt genötigt war, den Raum zu verlassen.

Lancelot beendete das Studium seiner Hände, schaute blinzelnd durch die lange Halle und beobachtete das Treiben mit fast geschlossenen Lidern, so daß er keine Gesichter erkennen konnte. Aber er erkannte alle an Haltung und Gang. Die Ritter in ihren langen, üppigen Gewändern, die den Boden streiften, gingen leichtfüßig dahin oder hatten das Gefühl, mit den Füßen kaum den Boden zu berühren, weil ihre Körper von den beschwerlichen eisernen Gehäusen befreit waren. Ihre Füße waren lang und schmal, da sie sie, als Reiter, nie breit und flach getreten hatten. Die Damen in ihren reichen Röcken bewegten sich leicht und fließend wie Wasser, doch dies war angelernt und Absicht, war ihnen als kleinen Mädchen mit Hilfe von Peitschenschlägen auf die bloßen Fußknöchel beigebracht worden. Ihre Schultern wurden von nägelbesetzten Miedern nach hinten gedrückt, die Köpfe von Kragen aus Weidengeflecht oder, für die Vergeßlichen, durch Stützen aus bemaltem Draht hochgehalten; denn die stolze Kopfhaltung auf einem Schwanenhals zu erlernen, sich die fließenden Bewegungen von Wasser anzueignen, ist nicht einfach für ein Mädchen auf dem Weg zur Edelfrau. Und die Ritter wie die Damen stimmten gleichermaßen ihre Bewegungen darauf ab, wie sie gekleidet waren; der Fall eines langen Kleides bestimmte die Art und den Rhythmus, in dem man sich bewegte. Es lohnte nicht, sich einen Leibeigenen oder einen Sklaven näher anzusehen – die Schultern breit und vom Lastenschleppen herabgedrückt, die Beine kurz, dick und krumm, die Füße breit und platt, der ganze Körperbau langsam dem Druck erliegend. In der großen Halle schleppten sich die Leute, die aufwarteten, mit der Schwerfälligkeit von Ochsen dahin, und wenn sie ihre Bürden los waren, wieselten sie verkrümmt und unruhig davon.

Eine Pause in den Lobgesängen auf seine Tugenden und Meriten ließ Lancelot aufmerksam werden. Ein Ritter hatte seine Erzählungen beendet, und nun erhob sich zwischen den Bänken Sir Kay. Lancelot hörte Kays Stimme schon, ehe dieser zu sprechen begann und Taten aufzählte wie Blätter und Säcke und Fässer. Bevor sein Freund die Mitte der Halle erreicht hatte, rappelte Sir Lancelot sich hoch und trat an die Estrade. »Mein Herr König«, sagte er, »vergebt, wenn ich um die Erlaubnis bitte, mich entfernen zu dürfen. Eine alte Wunde ist aufgebrochen.«

Artus lächelte zu ihm hinab. »Ich habe die gleiche alte Wunde«, sagte er. »Wir wollen zusammen gehen. Vielleicht kommt Ihr ins Turmzimmer, sobald wir unsere Wunden versorgt haben.« Und er machte den Trompetern ein Zeichen, das Fest zu beenden, und bedeutete seinen Leibwächtern, die Halle zu räumen.

Die Steintreppe, die zum Zimmer des Königs hinaufführte, war umgeben von den dicken Mauern des runden Bergfrieds. In kurzen Abständen zeigten lange, nach oben verjüngte Schießscharten in tiefen Mauernischen einen Ausschnitt der Stadt unterhalb des Turms.

Die Treppe wurde nicht von Bewaffneten bewacht. Sie standen unten und hatten Lancelot eingelassen. Das Zimmer des Königs war rund und bildete gewissermaßen eine Scheibe des Turms. Es hatte keine Lichtöffnungen außer den Schießscharten, und man betrat es durch eine niedrige, in eine Wölbung eingelassene Tür. Der Raum war karg möbliert und mit Binsenmatten ausgelegt. Ein breites Bett und zu seinen Füßen eine geschnitzte Eichentruhe, vor dem Kamin eine Ruhebank und mehrere Hocker machten die ganze Einrichtung aus. Doch der rohe Stein des Turms war verputzt und mit feierlichen Figuren von Männern und Engeln bemalt, die Hand in Hand wandelten. Die einzigen Lichtquellen bildeten zwei Kerzen und das qualmende Feuer.

Als Lancelot eintrat, erhob sich die Königin von der Bank vor dem Kamin und sagte: »Ich werde mich zurückziehen, meine Herren.«

»Nein, bleibt doch«, sagte Artus.

»Ja, bleibt«, sagte Lancelot.

Der König lag behaglich ausgestreckt auf dem Bett. Aus seinem langen, safrangelben Gewand ragten die bloßen Füße. Die Zehen, nach unten gebogen, liebkosten einander.

Die Königin war im Schein des Feuers lieblich anzusehen, ganz schlank in ihrem fließenden, grünen, golddurchwirkten Seidengewand. In ihren Mundwinkeln stand ein schwaches Lächeln, wie immer, wenn sie insgeheim belustigt war. Ihre kühnen, goldenen Augen hatten den gleichen Farbton wie das Haar, und merkwürdigerweise waren die Wimpern und die schmalen Brauen dunkel – zustande gebracht mit Hilfe von Schwärzepulver aus einem kleinen emaillierten Topf, von einem weitgereisten Ritter aus einem fernen Land mitgebracht.

»Und wie steht Ihr das alles durch?« fragte Artus.

»Nicht gut, Herr, es ist anstrengender als die Ausfahrt selbst.«

»Habt Ihr die Taten, die man Euch zuschrieb, wirklich alle verrichtet?«

Lancelot lachte in sich hinein. »Um die Wahrheit zu sagen, ich weiß es nicht. Es hört sich anders an, wenn sie davon erzählen. Und die meisten fühlen sich bemüßigt, ein bißchen auszuschmücken. Wenn ich nach meiner Erinnerung anderthalb Meter weit gesprungen bin, machen sie sechzehn daraus, und an verschiedene dieser Riesen kann ich mich, offen gesagt, überhaupt nicht erinnern.«

Die Königin machte ihm Platz auf der Kaminbank, und er setzte sich, mit dem Rücken zum Feuer.

Guinevere sagte: »Dieses Fräulein … wie war gleich wieder der Name? … sprach von schönen Königinnen, die Zauberinnen gewesen seien, aber sie war so aufgeregt, daß ihre Worte übereinanderpurzelten. Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, was eigentlich geschehen ist.«

Lancelot blickte nervös zur Seite. »Ihr wißt ja, wie leicht erregbar junge Mädchen sind«, sagte er. »Ein bißchen hinterwäldlerisches Gezauber auf einer Wiese.«

»Aber sie sprach doch von Königinnen.«

»Madame, ich glaube, sie sieht in jeder Frau eine Königin. Es ist wie mit den Riesen – es schmückt die Geschichte aus.«

»Dann waren es also keine Königinnen?«

»Seht, wenn man sich auf das Gebiet der Zauberei begibt, stellt man fest, daß jede Frau eine Königin ist oder sich dafür hält. Wenn das kleine Fräulein das nächste Mal berichtet, wird es selbst eine sein. Ich finde ja, Sire, diese Geschichte nimmt überhand. Es ist ein ungutes Zeichen, zeugt von einer gewissen Unzufriedenheit, wenn Leute sich der Wahrsagerei und allen möglichen ähnlichen Dingen ergeben. Vielleicht sollte ein Gesetz dagegen erlassen werden.«

»Es gibt eines«, sagte Artus. »Aber es befindet sich nicht in weltlichen Händen. Die Kirche hat das Amt, es anzuwenden.«

»Ja, aber sogar manche der Nonnenklöster betreiben Zauberei.«

»Nun, ich werde mit dem Erzbischof ein Wörtchen sprechen.«

Die Königin sagte: »Wie ich höre, habt Ihr dutzendweise Fräulein errettet.« Sie legte ihre Finger auf seinen Arm. Durch seinen Körper ging ein Lodern, und sein Mund öffnete sich vor Verblüffung über einen dumpfen Schmerz, der nach oben gegen seine Rippen drückte und ihm den Atem benahm.

Einen Augenblick später sagte sie: »Wie viele Fräulein habt Ihr gerettet?«

Lancelots Mund war trocken. »Natürlich ein paar, Madame. Das geschieht ja jedesmal.«

»Und alle haben sich Euch hingegeben?«

»Nein, das taten sie nicht, Madame. Davor beschirmt Ihr mich.«

»Ich?«

»Ja, Ihr. Da ich mit Erlaubnis meines Gebieters geschworen habe, Euch zeit meines Lebens zu dienen und Euch meine ritterliche Minne zu weihen, bin ich durch Euren Namen gegen Fräulein gefeit.«

»Und ist es Euer Wunsch, gegen sie gefeit zu sein?«

»Ja, Madame. Ich bin ein Mann des Schwertes. Ich habe weder Zeit noch Neigung für irgendeine andere Art von Liebe. Ich hoffe, Ihr hört das mit Wohlgefallen, Madame. Ich habe Euch viele Gefangene zugesandt, damit sie Euch um Gnade bitten.«

»Ich habe noch nie so viele auf einmal erlebt«, sagte Artus. »Ihr müßt manche Grafschaft leergefegt haben.«

Guinevere berührte Lancelot wieder am Arm und bemerkte mit einem Seitenblick ihrer goldenen Augen das Zucken, das ihn durchfuhr. »Weil wir gerade bei diesem Thema sind, möchte ich eine Dame erwähnen, die Ihr nicht gerettet habt. Sie war in keiner guten Verfassung, als ich sie sah, ein Leichnam ohne Kopf, und der Mann, der sie brachte, hatte zur Hälfte den Verstand verloren.«

»Ich schäme mich dessen«, sagte Lancelot. »Sie stand unter meinem Schutze, aber ich konnte sie nicht schützen. Wohl aus Beschämung darüber habe ich den Mann gezwungen, sie hierherzubringen. Es tut mir leid. Ihr habt ihn hoffentlich von der Bürde befreit.«

»Keineswegs«, sagte sie. »Ich wollte ihn fort haben, ehe das Fest von dem Gestank verpestet wird. Ich habe ihn samt seiner Last zum Papst geschickt. Der Zustand seiner Freundin wird sich unterwegs nicht verbessern. Und wenn seine Zuneigung für Damen weiter abnimmt, wird er sich vielleicht in einen heiligen Mann verwandeln, einen Eremiten oder so etwas Ähnliches, falls er nicht überhaupt ein Irrer ist.«

Der König stützte sich auf einen Ellenbogen. »Wir müssen uns irgendein System ausdenken«, sagte er. »Die Regeln für die fahrenden Ritter sind zu locker gefaßt, und die Ausfahrten kommen einander in die Quere. Außerdem frage ich mich, wie lange wir die Wahrung des Rechts in den Händen von Männern lassen können, die selbst in sich nicht gefestigt sind. Ich meine nicht Euch, mein Freund. Doch es mag eine Zeit kommen, in der es an der Krone ist, dem Land Ordnung und System zu geben.«

Die Königin erhob sich. »Meine Herren, erlaubt ihr, daß ich euch jetzt verlasse? Ich weiß, ihr möchtet über bedeutende Dinge sprechen, die für die Ohren einer Dame fremd und vielleicht ermüdend sind.«

Der König sagte: »Gewiß, meine Liebe. Begebt Euch zur Ruhe.«

»Nein, Sire, nicht zur Ruhe. Wenn ich nicht die Vorlagen für die Stickereien mache, haben meine Damen morgen nichts zu tun.«

»Aber in diesen Tagen wird doch gefeiert, meine Teure.«

»Ich gebe ihnen gern jeden Tag etwas zu tun, Herr. Sie sind faule Geschöpfe und manche von ihnen ganz wirr im Kopf, so daß sie von einem Tag auf den nächsten vergessen, wie man einen Faden in die Nadel einfädelt. Entschuldigt mich also, meine Herren.«

Sie rauschte mit stolzen, gebieterischen Schritten hinaus, und die kleine Brise, die sie in der unbewegten Luft erzeugte, trug einen seltsamen Duft zu Lancelot, der ihm erregende Schauer durch den Körper trieb. Es war ein Duft, den er nicht kannte, nicht kennen konnte, denn es war Guineveres Geruch, destilliert von ihrer eigenen Haut. Und als sie durch die Tür schritt und die Treppe hinabzugehen begann, sah er sich aufspringen und ihr folgen, obwohl er sich nicht von der Stelle regte. Und als sie sich entfernt hatte, war der Raum öde, hatte seinen Glanz verloren, und Sir Lancelot war todmüde, vor Mattigkeit den Tränen nahe.

»Was für eine Königin sie ist«, sagte Artus leise. »Und was für eine Frau! Merlin war bei mir, als ich sie wählte. Er wollte mich mit einer seiner üblichen schwarzen Prophezeiungen davon abbringen – eines der wenigen Male, bei denen ich mit ihm uneins war. Ja, meine Wahl hat bewiesen, daß er sich irren konnte. Sie hat der Welt vorgeführt, wie eine Königin sein soll. Alle anderen Frauen verlieren ihren Glanz, wenn sie anwesend ist.«

Lancelot sagte: »Ja, Sire«, und aus einem ihm unbekannten Grund – außer vielleicht, weil das Fest so maßlos langweilig gewesen war – fühlte er sich verloren und spürte, wie sich ein kaltes Messer der Einsamkeit gegen sein Herz preßte.

Der König lachte stillvergnügt. »Es ist nur vorgeschoben, wenn Damen sagen, ihre Herren hätten bedeutende Dinge zu besprechen – während wir sie nur langweilen, würden sie die Wahrheit sagen. Und diese Wahrheit bleibt hoffentlich unausgesprochen. Aber Ihr seht recht mitgenommen aus, mein Freund. Habt Ihr Fieber? Habt Ihr das gemeint, als Ihr von einer alten Wunde spracht, die aufgebrochen sei?«

»Nein, Sire. Die Wunde war das, was Ihr vermutetet. Es ist wahr, ich kann kämpfen, durchs Land reiten, von Beeren leben, wieder kämpfen, ohne Schlaf auskommen und trotzdem frisch und bei Kräften bleiben, doch das Stillsitzen am Pfingstfest hat mich todmüde gemacht.«

Artus sagte: »Ich sehe es Euch an. Wir wollen ein andermal über den Zustand des Reiches sprechen. Geht jetzt zu Bett. Habt Ihr wieder Eure alte Unterkunft?«

»Nein, eine bessere. Sir Kay hat fünf Ritter aus den schönen Prachtzimmern über dem Nordtor ausquartiert. Er tat es zum Andenken an ein Abenteuer, das wir uns, Gott steh uns bei, morgen werden anhören müssen. Ich empfehle mich, Herr.«

Damit kniete Lancelot nieder, nahm die geliebte Hand des Königs in seine eigenen beiden Hände und küßte sie. »Gute Nacht, mein Lehnsherr, mein königlicher Freund«, sagte er. Dann stolperte er blind vor Müdigkeit aus dem Raum und tastete sich die Stufen der Wendeltreppe hinab, vorüber an den Schießscharten.

Als er den nächsten Treppenabsatz erreichte, trat Guinevere stumm aus einer Tür. Er konnte sie im schwachen Licht von der Schießscharte her erkennen. Sie nahm ihn am Arm, führte ihn in ihr dunkles Gemach und schloß die Eichenholztüre.

»Etwas Seltsames ist geschehen«, sagte sie leise. »Als ich Euch verließ, hatte ich das Gefühl, Ihr folgtet mir. Ich war mir dessen so gewiß, daß ich mich nicht einmal umsah, um mich zu vergewissern. Ihr wart hinter mir. Und als ich zu meiner Tür kam, sagte ich Euch gute Nacht, so überzeugt war ich von Eurer Gegenwart.«

Er sah ihre Silhouette in der Dunkelheit und roch den Duft, der ihr eigener war. »Madame«, sagte er, »als Ihr aus dem Zimmer gingt, sah ich mich Euch nachgehen, als sähe ich dem wie ein anderer Mensch zu.«

Ihre Leiber umschlangen einander, als wäre eine Falle zugeschnappt. Mund fand zu Mund in verzehrendem Kuß. Beider Herzschlag pochte in wilder Verzweiflung an die Rippenmauer, um sich mit dem andern zu vereinen, bis ihr angehaltener Atem hervorbrach, und Lancelot, von Schwindel erfaßt, fand die Tür und taumelte die Treppe hinab. Und er weinte bitterlich.

So hatte zu jener Zeit Sir Lancelot

den größten Namen von allen Rittern der Welt

und ward von hoch und niedrig am meisten geehrt.

EXPLICIT DIE RUHMVOLLE GESCHICHTE VON

SIR LANCELOT DU LAC