Der Ritter mit den zwei Schwertern

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In der langen recht- und gesetzlosen Periode nach Uther Pendragons Tod und ehe sein Sohn Artus König wurde, hatten in England und Wales, in Cornwall und Schottland und auf den Äußeren Inseln viele Lords auf gesetzwidrige Weise Macht an sich gezogen, und einige von ihnen weigerten sich nun, davon zu lassen. So waren Artus’ erste Jahre als König der Aufgabe gewidmet, mit der Durchsetzung von Recht und Ordnung und mit Waffengewalt sein Königreich wiederherzustellen.

Einer seiner hartnäckigsten Feinde war Lord Royns von Wales, dessen erstarkende Machtstellung im Westen und im Norden das Reich permanent bedrohte.

Als Artus in London hofhielt, traf ein getreuer Ritter mit der Nachricht ein, daß Royns in seiner Anmaßung ein großes Heer aufgestellt habe, ins Land eingefallen sei und auf seinem Weg Saaten und Behausungen verbrenne und Artus’ Untertanen töte.

»Wenn das wahr ist, muß ich mein Volk schützen«, sagte Artus.

»Es ist nur zu wahr«, sagte der Ritter. »Mit eigenen Augen habe ich die Eindringlinge und ihr Zerstörungswerk gesehen.«

»Dann muß ich gegen diesen Royns kämpfen und ihn vernichten«, sagte der König. Und er ließ an alle treuen Lords und Ritter und waffentragenden Herren den Befehl ergehen, sich zu einer allgemeinen Beratung in Camelot einzufinden, bei der die Verteidigung des Königreichs besprochen werden solle.

Und als sich die Barone und Ritter versammelt hatten und in der großen Halle vor dem erhöhten Sitz des Königs saßen, trat ein Fräulein vor sie hin und sagte, sie sei von der großen Dame Lyle von Avalon entsandt worden.

»Welche Botschaft bringt Ihr?« fragte Artus.

Da schlug das Fräulein seinen reich mit Pelz besetzten Mantel zurück, und es war zu sehen, daß an ihrem Gürtel ein prachtvolles Schwert hing.

Der König sagte: »Es ziemt sich nicht für ein Fräulein, in Waffen zu gehen. Warum tragt Ihr ein Schwert?«

»Ich trage es, weil mir keine andere Wahl bleibt«, antwortete sie. »Und ich muß es tragen, bis es mir von einem Ritter abgenommen wird, der tapfer und edel, von gutem Ruf und ohne Makel ist. Nur ein solcher Ritter kann dieses Schwert aus seiner Scheide lösen. Ich war im Lager von Lord Royns, wo, wie man mir sagte, treffliche Ritter sein sollen, doch weder er noch irgendeiner seiner Gefolgsleute war imstande, die Klinge herauszuziehen.«

Artus sagte: »Hier sind wackere Männer versammelt, und ich selbst werde einen Versuch machen, nicht weil ich der Beste wäre, sondern weil meine Barone und Ritter bereitwillig meinem Beispiel folgen werden, wenn ich es als erster versuche.«

Dann packte Artus Scheide und Knauf und zog kraftvoll an dem Schwert, doch es wollte sich nicht rühren.

»Sir«, sagte das Fräulein, »Ihr braucht keine Kraft anzuwenden. Die Hände des Ritters, dem der Erfolg bestimmt ist, werden es mühelos herausziehen.«

Artus wandte sich seinen Männern zu und sagte: »Nun versucht ihr es alle, einer nach dem andern.«

Das Fräulein sagte: »Prüft euch, ehe ihr es versucht, ob euch keine Schande oder Arglist oder Verräterei befleckt. Allein ein Ritter ohne Fehl und Tadel vermag es herauszuziehen, und er muß mütterlicher- wie väterlicherseits von edler Abkunft sein.«

Dann versuchten die meisten der anwesenden Ritter das Schwert aus der Scheide zu ziehen, doch keinem gelang es. Da sagte das Fräulein traurig: »Ich hatte gedacht, hier würde ich Männer ohne Makel und die besten Ritter der Welt antreffen.«

Artus sagte ungehalten: »Dies sind ebenso treffliche Ritter wie nur irgendwelche auf der Welt, wenn nicht noch besser als alle anderen. Ich bin betrübt, daß es ihnen nicht beschieden ist, Euch helfen zu können.«

Ein Ritter namens Sir Balin aus Northumberland hatte sich abseits gehalten. Er hatte das Unglück gehabt, in einem fairen Zweikampf einen Vetter des Königs zu töten, und da der Streit falsch dargestellt worden war, hatte er ein halbes Jahr als Gefangener verbringen müssen. Erst kurz vorher hatten ein paar seiner Freunde die Angelegenheit klären und erwirken können, daß er freigelassen wurde. Er beobachtete nun angelegentlich die Versuche, aber weil er ein Gefangener gewesen und weil er arm und seine Kleidung abgetragen und schmutzig war, trat er nicht nach vorne, bis der letzte sein Glück versucht hatte und das Fräulein im Begriff war aufzubrechen. Erst dann rief ihr Sir Balin zu: »Mein Fräulein, ich bitte Euch um die Freundlichkeit, es auch mich probieren zu lassen. Ich weiß, meine Kleidung ist armselig, aber ich spüre in meinem Herzen, daß ich Erfolg haben könnte.«

Das Fräulein blickte seinen zerschlissenen Mantel an und konnte nicht glauben, daß er ein Mann von Ehre und edlem Blut war. Sie sagte: »Sir, warum wollt Ihr meinen Schmerz noch vermehren, nachdem alle diese edlen Ritter versagt haben?«

Sir Balin antwortete: »Holde Dame, den Wert eines Mannes macht nicht seine Kleidung aus. Mannhaftigkeit und Ehre verbergen sich in seinem Innern. Und manchmal besitzt einer Tugenden, die nicht jedermann bekannt sind.«

»Das ist wahr gesprochen«, sagte das Fräulein, »und ich danke Euch, daß Ihr mich daran erinnert habt. Hier, packt das Schwert und seht zu, ob Ihr es fertigbringt.«

Da trat Balin zu ihr und zog mühelos das Schwert heraus. Er betrachtete die glänzende Klinge, und sie gefiel ihm über die Maßen. Dann zollten der König und viele andere Sir Balin Beifall, doch einige der Ritter waren von Neid und Groll erfüllt.

Das Fräulein sagte: »Ihr müßt der beste und untadeligste Ritter sein, dem ich bislang begegnet bin, denn sonst hättet Ihr das nicht zuwege gebracht. Nun, edler und artiger Ritter, gebt mir bitte das Schwert wieder.«

»Nein«, sagte Balin. »Dieses Schwert gefällt mir, und ich werde es behalten, bis jemand imstande ist, es mir mit Gewalt wegzunehmen.«

»Nein, behaltet es nicht«, rief das Fräulein. »Es ist unklug, das Schwert zu behalten, denn wenn Ihr es tut, werdet Ihr damit Euren besten Freund, den Mann töten, der Euch auf der ganzen Welt am teuersten ist. Dieses Schwert wird Euer Untergang sein.«

Balin sagte: »Ich will alles auf mich nehmen, was Gott mir schickt, Fräulein, aber das Schwert werde ich Euch nicht zurückgeben.«

»Das wird Euch schon bald gereuen«, sagte das Fräulein. »Ich möchte das Schwert nicht für mich selbst. Wenn Ihr es behaltet, wird es Euch ins Unglück stürzen, und ich habe großes Mitleid mit Euch.«

Dann ließ Sir Balin sein Pferd und seine Rüstung holen und bat den König um die Erlaubnis, den Hof verlassen zu dürfen. Artus sagte: »Verlaßt uns jetzt nicht. Ich weiß, Ihr seid aufgebracht, weil Ihr zu Unrecht gefangengesetzt wurdet, aber man hat falsche Beweise gegen Euch angeführt. Hätte ich gewußt, was für ein aufrechter und wackerer Mann Ihr seid, hätte ich anders gehandelt. Wenn Ihr aber an meinem Hof und in unserem geselligen Kreis bleibt, werde ich Euch fördern und entschädigen.«

»Ich danke Euch, erhabener Gebieter«, sagte Balin. »Eure Freigebigkeit ist wohlbekannt. Ich hege keinen Groll gegen Euch, aber ich muß fort und bitte darum, daß Eure Gnade mich begleiten möge.«

»Ich bin über Euer Scheiden nicht erfreut«, sagte der König. »Ich bitte Euch, lieber Ritter, nicht zu lange von uns fernzubleiben. Wir werden uns auf Eure Rückkehr freuen, und ich will das Unrecht wiedergutmachen, das an Euch begangen wurde.«

»Gottes Lohn für Eure Huld«, erwiderte der Ritter und machte sich zum Aufbruch bereit. Und einige Neider unter der Hofgesellschaft munkelten, nicht ritterliche Tugend, sondern Zauberei sei die Ursache seines Glückes.

Während Balin sein Pferd rüstete, kam die Dame vom See an Artus’ Hof geritten, und sie war reich gewandet und saß auf einem trefflichen Pferd. Sie entbot dem König ihren Gruß und erinnerte ihn dann an sein Versprechen, als sie ihm das Schwert aus dem See geschenkt hatte.

»Ich erinnere mich daran«, sagte Artus, »aber ich habe den Namen des Schwerts vergessen, falls Ihr mir ihn überhaupt genannt habt.«

»Es heißt Excalibur«, sagte die Dame, »und das bedeutet Schneidestahl.«

»Habt Dank, meine Dame«, sagte der König. »Und nun – welches Geschenk wollt Ihr erbitten. Ich werde Euch alles geben, was in meiner Macht liegt.«

Da sprach die Dame mit flammenden Augen: »Ich will zwei Köpfe – den des Ritters, der das Schwert herausgezogen hat, und den des Fräuleins, das es hierhergebracht hat. Ich werde mich erst dann zufriedengeben, wenn ich beide Häupter habe. Dieser Ritter hat meinen Bruder getötet, und das Fräulein war am Tod meines Vaters schuld. Das also fordere ich.«

Der König war über dieses grausame Verlangen bestürzt. Er sagte: »Die Ehre verbietet mir, diese beiden zu töten, nur damit Ihr Eure Rache bekommt. Verlangt etwas anderes, ich werde es Euch geben.«

»Ich will nichts anderes«, sagte die Dame.

Mittlerweile war Balin zum Aufbruch bereit, und als er die Dame vom See sah, erkannte er in ihr diejenige, die drei Jahre vorher durch geheime Künste den Tod seiner Mutter herbeigeführt hatte. Und als er erfuhr, daß sie seinen Kopf fordere, ging er auf sie zu und rief: »Ihr seid ein bösartiges Geschöpf! Meinen Kopf wollt Ihr? Ich werde mir Euren holen.« Damit zog er sein Schwert und hieb ihr mit einem einzigen Streich den Kopf vom Leib.

»Was habt Ihr getan!« rief Artus. »Ihr habt Schande über mich und meinen Hof gebracht. Ich war dieser Dame zu Dank verpflichtet, und außerdem stand sie unter meinem Schutz. Ich kann Euch diese empörende Tat niemals vergeben.«

»Herr«, sagte Balin, »ich bin bekümmert über Euer Mißfallen, aber ich bereue meine Tat nicht. Sie war eine bösartige Hexe. Mit Zauberkünsten und Hexerei hat sie viele brave Ritter getötet, und mit Arglist und Tücke brachte sie es dahin, daß meine Mutter verbrannt wurde.«

Der König sagte: »Was für einen Grund Ihr auch haben mögt, Ihr hattet kein Recht, das zu tun, zumal in meiner Gegenwart. Es war eine gräßliche Tat und eine schwere Kränkung für mich. Verlaßt jetzt meinen Hof. Ihr seid hier nicht mehr erwünscht.«

Da packte Balin den Kopf der Dame vom See an den Haaren, hob ihn auf und trug ihn in sein Quartier, wo sein Knappe auf ihn wartete. Sie stiegen auf ihre Pferde und ritten aus der Stadt hinaus.

Und Balin sagte: »Ich möchte, daß du diesen Kopf zu meinen Freunden und Verwandten nach Northumberland bringst. Sag ihnen, daß der gefährlichste Feind tot ist. Berichte ihnen, daß ich aus der Haft befreit und wie ich zu diesem zweiten Schwert gekommen bin.«

»Ich bin traurig über Eure Tat«, sagte der Knappe. »Ihr verdient schweren Tadel, weil Ihr Euch die Freundschaft des Königs verscherzt habt. Niemand zweifelt an Eurem Mut, aber Ihr seid ein halsstarriger Ritter und wenn Ihr einmal einen Weg eingeschlagen habt, unfähig, davon abzugehen, selbst wenn er Euch ins Verderben führt. Das ist Euer Fehler und Euer Schicksal.«

Darauf sagte Balin: »Ich habe über eine Möglichkeit nachgedacht, die Huld des Königs zurückzugewinnen. Ich werde zum Lager seines Feindes Lord Royns reiten und ihn töten oder selbst den Tod finden. Sollte es so kommen, daß ich Sieger bleibe, wird König Artus wieder mein Freund sein.«

Der Knappe schüttelte über einen solch verzweifelten Plan zwar den Kopf, sagte aber: »Sir, wo soll ich Euch wiedertreffen?«

»An König Artus’ Hof«, antwortete Balin zuversichtlich und schickte seinen Knappen des Weges.

Dort, am Hof, gedachten der König und alle seine Getreuen voll Trauer und Scham Balins Tat und begruben die Dame vom See mit feierlichem Gepränge.

Am Hof befand sich zu dieser Zeit ein Ritter, der von großem Neid auf Balin verzehrt wurde, weil dieser es geschafft hatte, das Zauberschwert herauszuziehen. Es war Sir Launceor, Sohn des Königs von Irland, ein hochfahrender und ehrgeiziger Mann, der sich für einen der vortrefflichsten Ritter auf dem ganzen Erdenrund hielt. Er bat den König um die Erlaubnis, Balin verfolgen zu dürfen, um die Kränkung von Artus’ Würde zu rächen.

Der König sagte: »Geht – und tut, was Ihr vermögt. Ich bin voll Zorn auf Balin. Tilgt die Schmach, die meinem Hof angetan wurde.«

Als Sir Launceor sich in sein Quartier verfügt hatte, um sich für den Ritt bereit zu machen, erschien Merlin vor König Artus und erfuhr, wie das Schwert herausgezogen und die Dame vom See erschlagen worden war.

Da blickte Merlin auf das Fräulein mit dem Schwert, das am Hof geblieben war. Und er sagte: »Seht das Fräulein an, das hier steht. Sie ist ein tückisches und bösartiges Geschöpf, und sie kann es nicht leugnen. Sie hat einen Bruder, der ein tapferer Ritter und braver, ehrlicher Mann ist. Dieses Fräulein liebte einen anderen Ritter und wurde sein Schätzchen. Und ihr Bruder, der die Schande tilgen wollte, forderte ihren Liebhaber und tötete ihn in fairem Kampf. Da brachte das Fräulein in ihrem Grimm sein Schwert zu der Dame Lyle von Avalon und bat um Beistand, weil sie sich an ihrem eigenen Bruder rächen wollte.«

Merlin fuhr fort: »Die Dame Lyle nahm das Schwert, verzauberte es und belegte es mit einem Fluch. Nur der beste und tapferste Ritter sollte imstande sein, es aus der Scheide zu ziehen, und der, dem dies gelang, damit seinen Bruder töten.« Und wieder wandte sich Merlin anklagend gegen das Fräulein. »Das war Euer tückischer Grund hierherzukommen«, sagte er. »Leugnet es nicht. Ich weiß es so gut wie Ihr selbst. Wollte Gott, Ihr wärt nie gekommen, denn wohin Ihr auch den Fuß setzt, bringt Ihr Harm und Tod mit Euch.

Der Ritter, der dieses Schwert herauszog, ist der beste und tapferste Mann, und das Schwert, das er aus der Scheide zog, wird ihn ins Verderben stürzen. Denn alles, was er tut, wird sich ohne seine Schuld in Bitternis und Tod verwandeln. Der auf dem Schwert liegende Fluch ist ihm zum Schicksal geworden.« Merlin wandte sich zum König und sagte: »Herr, dieser treffliche Ritter hat nur noch eine kurze Lebensfrist, doch ehe er stirbt, wird er Euch einen Dienst erweisen, dessen Ihr lange gedenken werdet.« Und König Artus lauschte in traurigem Staunen.

Mittlerweile hatte sich Sir Launceor von Kopf bis Fuß gewappnet. Er hängte den Schild an die Schulter, nahm eine Lanze in die Rechte und trieb sein Pferd zu schärfstem Galopp an, der Richtung folgend, die Sir Balin eingeschlagen hatte. Nicht lange, und er holte seinen Feind auf der Spitze eines Berges ein. Und Sir Launceor brüllte: »Haltet an, wo Ihr seid, sonst zwinge ich Euch dazu! Euer Schild wird Euch jetzt nicht schützen.«

Balin antwortete leichthin: »Ihr wärt vielleicht besser zu Hause geblieben. Ein Mann, der einem Feind droht, muß oft feststellen, daß der Spieß umgedreht wird. Von welchem Hof kommt Ihr?«

»Von König Artus’ Hof«, antwortete der irische Ritter. »Und ich bin gekommen, um den Schimpf zu rächen, den Ihr heute dem König angetan habt.«

Sir Balin erwiderte: »Wenn ich mit Euch kämpfen muß, dann muß es eben sein. Aber glaubt mir, Sir, es liegt mir auf der Seele, daß ich den König beleidigt habe. Ich weiß, Ihr tut selbstverständlich Eure Pflicht, doch bevor wir kämpfen, sollt Ihr wissen, daß mir nichts anderes übrigblieb. Die Dame vom See hat mir tiefen Schmerz bereitet und außerdem mein Leben gefordert.«

Sir Launceor sagte: »Genug der Worte. Macht Euch bereit, denn nur einer von uns beiden wird diesen Platz lebend verlassen.«

Dann legten sie ihre Lanzen ein und stürmten gegeneinander. Launceors Lanze zersplitterte, Balins Waffe hingegen drang durch Schild und Harnisch und Brust des Gegners, und der irische Ritter stürzte krachend auf die Erde. Als Balin sein Pferd gewendet und das Schwert gezogen hatte, sah er seinen Feind tot im Gras liegen. Und dann hörte er galoppierende Hufe und sah ein Fräulein herbeireiten, so rasch sie nur konnte. Als sie sah, daß Sir Launceor tot war, brach sie in eine hemmungslose Klage aus.

»Balin!« schrie sie. »Zwei Leiber habt Ihr in einem Herzen und zwei Herzen in einem Leib erschlagen, und zwei Seelen habt Ihr erlöst.« Dann sprang sie vom Pferd, hob das Schwert ihres Liebsten auf und sank ohnmächtig auf die Erde. Und als sie wieder zu sich kam, brach sie neuerlich in Jammerschreie aus, und ihr Kummer tat Balin in der Seele weh. Er trat zu ihr und wollte ihr das Schwert wegnehmen, aber sie klammerte sich so verzweifelt daran, daß er es losließ, weil er befürchtete, er könnte sie verletzen. Dann stellte sie plötzlich das Schwert auf den Knauf, stürzte sich über die Spitze und starb, von der Klinge durchbohrt.

Balin stand tief betroffen und bekümmert da, weil er die Ursache ihres Todes gewesen war. Und er rief aus: »Wie groß muß die Liebe zwischen diesen beiden gewesen sein – und ich habe sie zugrunde gerichtet!« Er vermochte ihren Anblick nicht länger zu ertragen, stieg auf sein Pferd und ritt traurig davon, dem Wald entgegen.

Er sah in der Ferne einen Ritter, der näher kam, und als er das Wappenzeichen auf dem Schild sah, wußte er, daß es sein Bruder Balan war. Und als sie einander erreicht hatten, rissen beide sich den Helm vom Kopf, küßten einander und vergossen Freudentränen.

Balan sagte: »Mein Bruder, ich hatte nicht gehofft, Euch schon so bald zu sehen. In der Burg der vier Katapulte begegnete ich einem Mann, der mir sagte, Ihr seid aus dem Gefängnis entlassen und er habe Euch an König Artus’ Hof gesehen. So bin ich aus Northumberland fortgeritten, um nach Euch zu suchen.«

Dann berichtete Balin seinem Bruder von dem Fräulein mit dem Schwert und davon, daß er die Dame vom See getötet und den König erzürnt hatte. Und er sagte: »Dort hinten liegt ein toter Ritter, den man mir als Verfolger hinterhersandte, und neben ihm seine Liebste, die sich selbst den Tod gegeben hat, und mir ist das Herz vor Kummer schwer.«

»Das ist eine traurige Geschichte«, sagte Balan, »aber Ihr seid ein Ritter, und Ihr wißt, daß Ihr alles auf Euch nehmen müßt, was Gott Euch bestimmt.«

»Das weiß ich«, sagte Balin, »aber es schmerzt mich, daß König Artus ungehalten über mich ist. Er ist der beste und größte König, der auf Erden regiert, und ich werde entweder seine Liebe zurückgewinnen oder aus dem Leben scheiden.«

»Wie wollt Ihr das tun, mein Bruder?«

»Ich werde es Euch sagen«, antwortete Balin. »König Artus’ Feind, Lord Royns, belagert die Burg Terrabil in Cornwall. Dorthin werde ich reiten und an ihm beweisen, daß ich ein Mann von Ehre und Mut bin.«

»Hoffentlich fügt es sich so«, sagte Balan. »Ich werde Euch begleiten und an Eurer Seite mein Leben einsetzen, wie es einem Bruder geziemt.«

»Wie gut, daß Ihr gekommen seid, lieber Bruder«, sagte Balin. »Laßt uns zusammen weiterreiten.«

Während sie so sprachen, kam aus der Richtung von Camelot ein Zwerg dahergeritten, und als er die Leichen des Ritters und seines geliebten Fräuleins sah, raufte er sich das Haar und rief zu den Brüdern hin: »Wer hat diese Tat begangen?«

»Mit welchem Recht fragst du das?« sagte Balan.

»Weil ich es wissen möchte.«

Und Balin antwortete ihm: »Ich war es. Ich habe mich gegen den Ritter verteidigt und ihn in fairem Zweikampf getötet, und das Fräulein hat sich vor Kummer den Tod gegeben, worüber ich tief betroffen bin. Um ihretwillen werde ich zeit meines Lebens allen Frauen dienen.«

Der Zwerg sagte: »Ihr habt Euch selbst großen Schaden zugefügt. Dieser tote Ritter war der Sohn des Königs von Irland. Seine Sippe wird an Euch Rache üben und Euch durch die ganze Welt verfolgen, bis man Euch getötet hat.«

»Das macht mir nicht bange«, sagte Balin. »Dagegen beschwert mich, daß ich bei meinem König Artus in doppelter Ungnade stehen werde, weil ich seinen Ritter tötete.«

Dann kam König Mark von Cornwall herangeritten und sah die Leichname, und als er die Geschichte ihres Todes erfuhr, sagte er: »Sie müssen einander wahrhaft geliebt haben. Ich werde dafür sorgen, daß sie zu ihrem Gedenken eine Gruft bekommen.« Dann befahl er seinen Männern, ihre Zelte aufzuschlagen, und suchte die Gegend nach einer Grabstätte für die Liebenden ab. In einer Kirche in der Nähe ließ er eine große Steinplatte aus dem Boden vor dem Hochaltar heben, den Ritter und das Fräulein zusammen bestatten, und nachdem die Platte wieder eingelassen worden war, darauf die Worte meißeln: »Hier ruht Sir Launceor, Sohn des Königs von Irland, getötet im Zweikampf mit Sir Balin, und neben ihm seine geliebte Dame Colombe, die sich vor Schmerz mit dem Schwert ihres Geliebten entleibte.«

Merlin trat in die Kirche und sagte zu Balin: »Warum habt Ihr diese Dame nicht gerettet?«

»Ich schwöre, es war mir unmöglich«, sagte Balin. »Ich versuchte wohl, sie zu retten, doch sie war zu rasch.«

»Ihr tut mir leid«, sagte Merlin. »Zur Strafe für diesen Tod ist Euch bestimmt, den traurigsten Stoß zu führen, seit der Speer unserem Herrn Jesus Christus in die Seite drang, und Ihr werdet über drei Königreiche Elend und Verzweiflung bringen.«

Und Balin rief laut: »Das kann nicht wahr sein! Wenn ich es glaubte, würde ich mich selbst umbringen, um dich damit Lügen zu strafen.«

»Aber das werdet Ihr nicht tun«, sagte Merlin.

»Nenne mir mein Vergehen!« sagte Balin.

»Unglück«, antwortete Merlin. »Manche nennen es Schicksal.« Und plötzlich war er verschwunden.

Nachdem einige Zeit vergangen war, nahmen die Brüder von König Mark Abschied.

»Sagt mir zuvor noch, wie ihr heißt«, bat er sie.

Und Balan antwortete: »Ihr seht, daß er zwei Schwerter trägt. Nennt ihn den Ritter mit den zwei Schwertern.«

Dann schlugen die beiden Brüder die Richtung zu Royns’ Lager ein. Und auf einem ausgedehnten Moor, über das der Wind fegte, trafen sie auf einen Fremden, gehüllt in einen Mantel. Der Fremde fragte, wohin sie unterwegs seien.

»Warum sollten wir dir das sagen«, antworteten sie, und Balin sagte: »Sag uns, wie du heißt, Fremdling.«

»Warum sollte ich, wenn ihr euch ausschweigt«, versetzte der Mann.

»Es ist ein übles Zeichen, wenn ein Mann seinen Namen nicht nennen will«, sagte Balan.

»Denkt, was ihr wollt«, sagte der Fremde. »Was würdet ihr denken, wenn ich euch sagte, daß ihr unterwegs seid, um Lord Royns zu suchen, und daß euch dies ohne meine Hilfe nicht gelingen wird?«

»Ich würde denken, du bist Merlin, und wenn du es bist, würde ich dich um Hilfe bitten.«

»Ihr werdet Tapferkeit und Mut nötig haben«, sagte Merlin.

Sir Balin erwiderte: »An Mut soll es nicht fehlen. Wir werden tun, was in unseren Kräften steht.«

Sie kamen zum Rand eines Waldes, stiegen in einer Senke im Schatten laubreicher Bäume von den Pferden, nahmen ihnen die Sättel ab und ließen sie grasen. Und die Ritter legten sich unter das Dach der Äste und schliefen ein.

Kurz vor Mitternacht weckte Merlin sie leise. »Macht euch rasch bereit«, sagte er. »Eure Chance nähert sich. Royns hat, nur von einer Leibwache begleitet, heimlich sein Lager verlassen, um Lady de Vance einen nächtlichen Liebesbesuch abzustatten.«

Aus der Deckung der Bäume sahen sie Reiter herankommen.

»Welcher ist Royns?« fragte Balin.

»Der Große in der Mitte«, sagte Merlin. »Wartet noch, bis sie auf gleicher Höhe sind.«

Und als die Kavalkade in der sternklaren Nacht vorüberkam, brachen die beiden Brüder aus ihrem Versteck hervor, stießen Royns aus dem Sattel und griffen seine verblüfften Leute an. Sie hieben mit ihren Schwertern nach rechts und links. Einige gingen zu Boden, die übrigen wandten sich zur Flucht.

Dann kehrten die Brüder zu dem vom Pferd geworfenen Royns zurück, um ihn zu töten, doch er ergab sich und bat um Pardon. »Tapfere Ritter, erschlagt mich nicht«, sagte er. »Lebend bin ich für euch wertvoll, tot hingegen nicht.«

»Das ist wahr gesprochen«, sagten die beiden Brüder, hoben den verwundeten Royns vom Boden auf und halfen ihm in den Sattel. Und als sie sich nach Merlin umsahen, war er fort, dank seinen Zauberkünsten nach Camelot vorausgeflogen. Dort berichtete er Artus, daß sein ärgster Feind, Lord Royns, besiegt und gefangen sei.

»Von wem?« erkundigte sich der König.

»Von zwei Rittern, die Eure Freundschaft und Huld mehr begehren als sonst etwas auf der Welt. Sie werden morgen früh eintreffen, und dann werdet Ihr sehen, wer sie sind«, sagte Merlin und wollte sich nicht weiter äußern.

Frühmorgens am nächsten Tag brachten die beiden Brüder ihren verwundeten Gefangenen an das Burgtor von Camelot, gaben ihn den Wächtern in Gewahrsam und ritten dann wieder davon in den dämmernden Morgen.

Als König Artus davon Meldung erhielt, ging er zu seinem verwundeten Feind, und er sagte: »Sir, Ihr seid mir ein willkommener Anblick. Welches Abenteuer hat Euch hierhergeführt?«

»Ein schmerzliches Abenteuer, Herr.«

»Wer hat Euch zum Gefangenen gemacht?« fragte der König.

»Ein Mann, den sie den Ritter mit den zwei Schwertern heißen, und sein Bruder. Sie haben mich aus dem Sattel geworfen und meine Leibwache davongejagt.«

Merlin mischte sich ein. »Jetzt kann ich es Euch sagen, Herr. Es war jener Balin, der das fluchbeladene Schwert herauszog, zusammen mit seinem Bruder Balan. Zwei bessere Ritter werdet Ihr niemals finden. Ein Jammer, daß sich ihr Schicksal so bald erfüllen wird und sie nicht mehr lange zu leben haben.«

»Ich stehe in seiner Schuld«, sagte der König. »Und ich habe von Balin keine Gefälligkeit verdient.«

»Er wird noch viel mehr als dies für Euch tun, Herr«, sagte Merlin. »Aber ich bringe Euch Neuigkeiten. Ihr müßt dafür sorgen, daß Eure Ritter sich zum Kampf bereit machen. Morgen, noch vor der Mittagsstunde, wird Euch die Streitmacht von Royns’ Bruder Nero angreifen. Da Ihr jetzt viel zu tun habt, werde ich Euch verlassen.«

Darauf scharte König Artus rasch seine Ritter um sich und ritt mit ihnen zur Burg Terrabil. Nero erwartete ihn auf freiem Gelände mit einer zahlenmäßig überlegenen Streitmacht. Er befehligte die Vorhut und wartete nur noch auf König Lot, der mit seinem Heer kommen sollte. Doch er harrte vergebens, denn Merlin hatte sich zu König Lot begeben und hielt ihn mit Prophezeiungen und Erzählungen von Wunderdingen gefesselt und umstrickt, während Artus seinen Angriff auf Neros Ritter begann. Sir Kay schlug sich an diesem Tag so heldenhaft, daß seine Taten auf alle Zeit unvergessen geblieben sind. Auch Sir Hervis de Revel aus dem Stamm von Sir Thomas Malory zeichnete sich aus, und ebenso Sir Tobinus Streat de Montray. Sir Balin und sein Bruder stürzten sich mit solcher Vehemenz ins Gewühl, daß es von ihnen hieß, sie kämpften wie Engel aus dem Himmel beziehungsweise wie Teufel aus der Hölle, je nachdem, welche Partei man vertrat. Artus in der Vorhut sah die Waffentaten der Brüder und pries sie vor allen seinen Rittern. Und die Streitmacht des Königs obsiegte, trieb den Feind vom Schlachtfeld und zerstörte Neros Macht.

Ein Bote ritt zu König Lot und meldete, daß die Schlacht verloren und Nero getötet worden war, während Lot Merlins Erzählungen lauschte. König Lot sagte: »Merlin hat mich behext. Wäre ich dort gewesen, hätte Artus nicht den Sieg errungen. Dieser Zauberer hat mich genarrt und mich in seinen Bann gezogen wie ein Kind, das sich Märchen anhört.«

Merlin sagte: »Ich weiß, daß heute ein König sterben muß, und so leid es mir tut, ich wünschte, es wäret Ihr, nicht König Artus.« Damit erhob er sich in die Lüfte und entschwand.

Dann versammelte König Lot seine Unterführer. »Was soll ich tun?« fragte er. »Ist es besser, um Frieden zu bitten oder zu kämpfen? Wenn Nero verloren hat, ist unser halbes Heer dahin.«

Ein Ritter sagte: »König Artus’ Männer sind vom Kampf ermattet und ihre Pferde erschöpft, wir dagegen frisch und ausgeruht. Greifen wir ihn jetzt an, ist der Vorteil auf unserer Seite.«

»Wenn ihr alle zustimmt, werden wir kämpfen«, sagte König Lot. »Ich hoffe, ihr werdet euch ebensogut halten, wie ich es selbst versuche.«

Sodann galoppierte er dem Schlachtfeld entgegen und attackierte Artus’ Mannen, aber sie hielten ihm stand und wichen nicht zurück.

Aus Beschämung über sein Zuspätkommen kämpfte König Lot in der vordersten Reihe seiner Ritter. Er schlug sich wie ein rasender Teufel, denn er haßte Artus wie keinen anderen. Er war mit Artus, dessen Halbschwester er geheiratet hatte, früher befreundet gewesen. Doch als Artus die Gemahlin Lots – unwissend, daß sie seine Halbschwester war – verführte und schwängerte, wobei sie das Kind Mordred empfing, schlug König Lots Loyalität in Haß um, und er setzte alles daran, seinen einstigen Freund zugrunde zu richten.

Wie von Merlin vorausgesagt, war Sir Pellinore, der einst an der Quelle im Wald Artus besiegt hatte, zu einem getreuen Freund des Königs geworden, und er kämpfte nun in der ersten Reihe von Artus’ Rittern. Sir Pellinore trieb sein Pferd durch das Getümmel rings um König Lot und holte zu einem weitgeschwungenen Schwerthieb gegen ihn aus. Die Klinge glitt ab und tötete Lots Pferd, und als es in die Knie brach, schlug Pellinore mit großer Wucht auf Lots Helm, worauf dieser zu Boden sank.

König Lots Männer sahen ihn erschlagen auf dem Boden liegen und versuchten zu fliehen, aber viele wurden gefangengenommen und noch mehr auf der Flucht getötet.

Als die Leichen zusammengetragen wurden, fand man unter ihnen die von zwölf großen Herren, die im Dienste Neros und König Lots umgekommen waren. Sie wurden zur Bestattung in die Stephanskirche in Camelot gebracht, die Ritter geringeren Ranges hingegen nahebei unter einem gewaltigen Stein begraben.

König Artus ließ Lot in einer reichgeschmückten Gruft für sich allein beisetzen, die zwölf großen Herren jedoch zusammenlegen und über ihnen ein Siegesdenkmal errichten. Merlin nutzte seine Künste dazu, Figuren der zwölf Herren aus vergoldetem Kupfer und Messing in der Haltung besiegter Männer zu gestalten, und jede Figur hielt eine Kerze, die Tag und Nacht brannte. Über diesen Abbildern brachte er eine Statue von König Artus an, die ein gezogenes Schwert über die Häupter seiner Feinde hielt. Und Merlin prophezeite, daß die Kerzen bis zu Artus’ Tod brennen und im selben Augenblick wie er verlöschen würden. Und an diesem Tage prophezeite er auch andere Dinge, die im Schoß der Zukunft lagen.

Kurz danach befahl Artus, ermüdet vom Kämpfen und Regieren und außerdem des Lebens in dunklen Räumen hinter dicken Burgmauern überdrüssig, sein Prunkzelt auf einer grünen Wiese außerhalb der Mauern aufzuschlagen. Dort wollte er in der Stille und in der süß duftenden Luft ruhen, um wieder zu Kräften zu kommen. Er legte sich auf ein Feldbett, um zu schlafen, aber er hatte die Augen noch nicht geschlossen, als er ein näherkommendes Pferd hörte und einen Ritter heranreiten sah, der klagend und kummervoll mit sich selbst sprach.

Als er am Zelt vorbeikam, rief der König hinaus: »Kommt zu mir herein, wackerer Ritter, und sagt mir, warum Ihr so traurig seid.«

Der Ritter antwortete: »Was würde das schon nützen? Ihr könnt mir doch nicht helfen.« Und damit ritt er weiter, in Richtung auf die Burg Meliot.

Der König versuchte wieder einzuschlafen, doch seine Neugier hielt ihn wach, und indes er seinen Gedanken nachhing, kam Sir Balin herbeigeritten, und als er König Artus sah, stieg er aus dem Sattel und begrüßte seinen Gebieter.

»Ihr seid allzeit willkommen«, sagte der König, »besonders aber jetzt. Eben kam ein Ritter vorbei, der Jammerschreie ausstieß und nicht antworten wollte, als ich ihn nach dem Grund fragte. Wenn Ihr mir einen Dienst erweisen wollt, reitet diesem Ritter nach und führt ihn zu mir, ob er nun kommen will oder nicht, denn ich bin neugierig.«

»Ich werde ihn zu Euch führen, Herr«, sagte Sir Balin. »Und will er nicht, wird er noch trauriger werden, als er es schon ist.«

Damit stieg Balin aufs Pferd, galoppierte den Weg dahin, den der Ritter genommen hatte, und fand ihn nach einiger Zeit, mit einem Fräulein unter einem Baum sitzend. Sir Balin sprach: »Herr Ritter, Ihr müßt mit mir zu König Artus kommen und ihm die Ursache Eures Kummers erzählen.«

»Das werde ich nicht tun«, sagte der Ritter. »Ich geriete in große Gefahr, wenn ich es täte, und Ihr hättet nichts davon.«

»Bitte, kommt mit mir, Sir«, sagte Balin. »Wenn Ihr Euch weigert, muß ich gegen Euch kämpfen, und das möchte ich nicht.«

»Ich sage Euch, mein Leben ist bedroht. Wollt Ihr versprechen, mich zu beschützen?«

»Ich werde Euch beschützen oder selbst das Leben verlieren«, sagte Balin. Und darauf stieg der Ritter in den Sattel, und sie ritten davon, das Fräulein zurücklassend. Als sie zu König Artus’ Zelt kamen, hörten sie die Geräusche eines heransprengenden Kriegsrosses, sahen aber nichts, und plötzlich wurde der Ritter von einer unsichtbaren Macht aus dem Sattel geschleudert und lag, von einer Lanze durchbohrt, sterbend auf der Erde. Keuchend stieß er hervor: »Das war die Gefahr, die mir drohte – ein Ritter namens Garlon, der es versteht, sich unsichtbar zu machen. Ihr wolltet mich schützen und habt versagt. Nehmt mein Pferd. Es ist besser als Eures. Und reitet zurück zu dem Fräulein – es wird Euch zu meinem Feind führen, und vielleicht könnt Ihr mich rächen.«

Balin rief: »Das will ich bei meiner Ritterehre tun. Ich schwöre es bei Gott.«

Und damit starb der Ritter, Sir Harleus le Berbeus, und Balin zog den Lanzenstumpf aus dem Leichnam und ritt traurig davon, denn es bereitete ihm Kummer, daß er, seinem Versprechen entgegen, den Ritter nicht beschützt hatte, und er verstand nun, warum Artus über den Tod der unter seinem Schutz stehenden Dame vom See so erbittert gewesen war. Balin hatte das Gefühl, daß eine düstere Wolke des Unheils über ihm hing. Er fand das Fräulein im Wald, gab ihr den Schaft der Lanze, die ihren Liebsten getötet hatte, und sie trug ihn als Zeichen der Erinnerung immer bei sich. Sie führte Sir Balin auf die Suche, die er dem sterbenden Ritter versprochen hatte.

Im Wald stieß er auf einen gerade von der Jagd zurückkehrenden Ritter, der, als er Balins umdüsterte Miene sah, nach dem Grund seines Kummers fragte. Balin antwortete nur knapp, er wolle darüber nicht sprechen.

Der Ritter nahm die Unhöflichkeit übel auf und sagte: »Wenn ich gegen Männer gewappnet wäre statt gegen Wild, würdet Ihr mir schon antworten.«

Balin erwiderte matt: »Ich habe keinen Grund, es Euch nicht zu sagen.« Und er erzählte die sonderbare und tödliche Begebenheit, die er erlebt hatte. Der Ritter – er hieß Sir Peryne de Monte Belyarde – war davon so bewegt, daß er Balin darum bat, ihn auf seinem Rachezug begleiten zu dürfen. Er ging zu seinem Haus, das nicht weit entfernt war, wappnete sich und machte sich mit den beiden auf den Weg. Und als sie an einer kleinen, einsamen Einsiedelei im Wald vorüberritten, war wieder das Geräusch von heransprengenden Hufen zu hören, und Sir Peryne stürzte, von einer Lanze durchbohrt, vom Pferd.

»Eure Geschichte war wahr«, sagte er. »Der unsichtbare Feind hat mich getötet. Ihr seid dazu verdammt, Eure Freunde ins Verderben zu stürzen.« Dann erlag Sir Peryne seiner Wunde.

Balin sagte kummervoll: »Mein Feind ist ein Wesen, das ich nicht sehen kann. Wie kann ich das Unsichtbare zum Kampf stellen?«

Dann half ihm der Eremit, den Toten in die Kapelle zu tragen, und sie begruben ihn ehrenvoll und erfüllt von Mitgefühl.

Und danach ritten Balin und das Fräulein weiter, bis sie zu einer wehrhaften Burg kamen. Balin ritt über die Zugbrücke, und hinter ihm ratterte das Fallgatter herab, so daß er gefangen war, während das Fräulein sich noch draußen befand, wo viele Männer sie mit Messern angriffen. Da lief Balin, so rasch er nur konnte, zur Mauerbrüstung hinauf und sprang in den Burggraben tief unter ihm, und das Wasser bremste seinen Sturz ab und bewahrte ihn vor einer Verletzung. Er kletterte aus dem Graben und zog sein Schwert, doch die Angreifer wichen zurück und sagten zu ihm, daß sie nur einem in der Burg herrschenden Brauch folgten. Sie erklärten, die Burgherrin leide seit langem an einer schrecklichen zehrenden Krankheit, die nur mit dem Blut der jungfräulichen Tochter eines Königs in einer Silberschale geheilt werden könne, und deswegen sei es ihre Gepflogenheit, jedem Fräulein, das des Weges kam, Blut abzunehmen.

Balin sagte: »Ich bin überzeugt, sie wird euch etwas von ihrem Blut geben; ihr braucht sie nicht zu töten, um es zu bekommen.« Dann half er, ihr eine Ader zu öffnen, und sie fingen in einer Silberschale Blut auf, aber da es die Burgherrin nicht zu heilen vermochte, nahm man an, daß das Fräulein die eine oder die andere der Voraussetzungen oder auch beide nicht erfüllte. Doch wegen der Blutspende wurden sie freundlich aufgenommen und gut bewirtet, und sie ruhten die Nacht über in der Burg und setzten am nächsten Morgen ihren Ritt fort. Vier Tage ging es ohne einen Zwischenfall so weiter, und dann übernachteten sie im Hause eines Edelmannes. Und als sie beim Abendbrot saßen, hörten sie aus einem nahen Gemach ein Schmerzensstöhnen, und Balin erkundigte sich danach.

»Ich will es Euch sagen«, antwortete der Edelmann. »Unlängst ritt ich bei einer Tjost gegen den Bruder von König Pelham. Zweimal warf ich ihn vom Pferd, worauf er zornig wurde und mit einem Racheakt an jemandem drohte, der mir nahesteht. Dann machte er sich unsichtbar und verwundete meinen Sohn, den Ihr vor Schmerzen jammern hört. Erst wenn ich diesen bösen Ritter getötet und ihm sein Blut abgenommen habe, wird mein Sohn wieder genesen.«

»Ich kenne ihn gut, habe ihn aber nie gesehen«, sagte Balin. »Er hat zwei Ritter, die ich kannte, auf die gleiche Weise umgebracht, und lieber als alles Gold im Königreich wäre mir die Chance, ihm im Kampf gegenüberzutreten.«

»Ich will Euch sagen, wie Ihr ihm begegnen könnt«, sagte der Gastgeber. »Sein Bruder, König Pelham, hat ein großes Fest in zwanzig Tagen angekündet. Daran dürfen nur Ritter teilnehmen, die mit ihrer Ehefrau oder Geliebten kommen. Garlon, der Bruder des Königs, wird gewiß dort sein.«

»Dann werde ich auch dort sein«, sagte Balin.

Und am nächsten Morgen brachen die drei auf, und sie ritten fünfzehn Tage, bis sie in Pelhams Land kamen. Sie gelangten an dem Tag, an dem das Fest beginnen sollte, zu seiner Burg, brachten ihre Pferde in den Stall und gingen zur großen Halle, doch Balins Gastgeber verwehrte man den Zutritt, weil er weder Ehefrau noch Liebste mitgebracht hatte. Balin hingegen wurde willkommen geheißen und in ein Gemach geführt, wo er seine Waffen ablegte und badete. Diener brachten ihm ein Schmuckgewand, das er beim Festmahl tragen sollte. Doch dann ersuchten sie ihn, das Schwert bei seiner Rüstung zurückzulassen, was Balin ablehnte. Er sagte: »In meinem Land muß ein Ritter sein Schwert allzeit bei sich haben. Wenn ich es nicht mitnehmen kann, darf ich nicht zu dem Fest gehen.« Widerstrebend ließen sie ihn seine Waffe mitnehmen, und er ging in die große Halle, wo er sich unter die Ritter setzte, seine Dame neben ihm.

Dann fragte Balin: »Ist an diesem Hof ein Ritter namens Garlon, Bruder des Königs?«

»Dort ist er gerade«, sagte ein in der Nähe sitzender Mann. »Seht, der Dunkelhäutige, das ist er. Er ist ein sonderbarer Mensch und hat schon viele Ritter getötet, weil er das Geheimnis besitzt, sich unsichtbar zu machen.«

Balin starrte zu Garlon hin und überlegte, was er tun sollte. Und er sagte sich: »Wenn ich ihn jetzt töte, ist ein Entkommen unmöglich, aber wenn ich es nicht tue, werde ich ihn vielleicht nie wieder sehen, weil er nicht sichtbar sein wird.«

Garlon hatte bemerkt, daß Balin zu ihm herstarrte, und das verdroß ihn. Er erhob sich von seinem Platz, trat zu Balin, schlug ihm mit dem Handrücken ins Gesicht und sagte: »Es paßt mir nicht, daß Ihr mich anstarrt. Eßt Euer Fleisch auf dem Teller oder tut sonst etwas, weswegen Ihr gekommen seid.«

»Ich werde tun, weshalb ich gekommen bin«, versetzte Balin, zog sein Schwert und schlug Garlon das Haupt ab. Dann sagte er zu seiner Dame: »Gebt mir den Stumpf der Lanze, mit dem Euer Liebster getötet wurde.« Er nahm ihn, durchbohrte damit Garlons Leichnam und rief: »Damit habt Ihr einen wackeren Ritter getötet. Jetzt steckt es in Euch.« Und zu seinem Freund draußen vor der Halle rief er hinaus: »Hier ist genug Blut, um Euren Sohn zu heilen.«

Die versammelten Ritter hatten verblüfft dagesessen, nun aber sprangen sie auf, um sich auf Balin zu stürzen. König Pelham erhob sich von seinem Platz an der erhöhten Tafel und sagte: »Ihr habt meinen Bruder getötet. Ihr seid des Todes.«

Aber Balin rief ihm höhnisch zu: »Wohlan – tötet mich doch selbst, wenn Ihr tapfer genug seid.«

»So soll es sein«, sagte Pelham. »Tretet zurück, ihr Ritter. Ich werde ihn um meines Bruders willen selbst erschlagen.«

Pelham nahm eine gewaltige Streitaxt von der Wand, ging damit auf Balin los und führte einen Hieb, den Balin mit seinem Schwert parierte. Aber die schwere Axt zerschlug das Schwert in zwei Stücke, so daß Balin ohne Waffe war. Darauf rannte er aus der Halle, von Pelham verfolgt. Er lief von Gemach zu Gemach, nach einer Waffe Ausschau haltend, fand aber nirgends eine, und die ganze Zeit hörte er, daß König Pelham ihm auf den Fersen war.

Schließlich geriet Balin in ein Gemach, in dem er etwas Wundersames erblickte. Der Raum war mit goldenem Tuch, verziert mit mystischen, heiligen Symbolen, ausgekleidet, und das Bett darin mit herrlichen Vorhängen drapiert. Auf dem Bett lag unter einem aus Goldfäden gewirkten Überwurf der vollkommene Körper eines ehrwürdigen Greises, und auf einem goldenen Tisch neben dem Bett stand ein seltsam gearbeiteter Speer mit einem Griff aus Holz, einem schlanken eisernen Schaft und einer kleinen Spitze.

Balin hörte die Schritte des ihn verfolgenden Pelham, packte den Speer und stieß ihn seinem Feind in die Seite. Und im selben Augenblick war das Grollen eines Erdbebens zu vernehmen, die Mauern der Burg stürzten nach außen, das Dach fiel herab, und Balin und König Pelham taumelten, vom herabstürzenden Schutt mitgerissen, zu Boden, wo sie, eingeklemmt zwischen Steinen und zerborstenen Balken, bewußtlos liegenblieben. Die meisten der in der Burg versammelten Ritter wurden vom einstürzenden Dach erschlagen.

Nach einiger Zeit erschien Merlin, räumte die Steine über Balin beiseite und brachte ihn zu Bewußtsein. Und er holte ihm ein Pferd und sagte zu ihm, er solle auf schnellstem Wege das Land verlassen.

Balin aber sagte: »Wo ist mein Fräulein?«

»Sie liegt tot unter den Trümmern der Burg«, antwortete Merlin.

»Was hat diesen Einsturz verursacht?« fragte Balin.

»Ihr seid auf ein Geheimnis gestoßen«, sagte Merlin. »Nicht lange nach der Kreuzigung Christi kam Joseph, ein Kaufmann aus Arimathia, der in seinem eigenen Grab unseren Herrn beigesetzt hatte, auf einem Schiff in unser Land und brachte den heiligen Abendmahlskelch, gefüllt mit dem heiligen Blut, und auch jenen Speer mit, mit dem der Römer Longinus Jesus am Kreuz in die Seite gestochen hatte. Und Joseph brachte diese geheiligten Gegenstände auf die Insel Glass in Avalon und erbaute dort eine Kirche, die erste in diesem ganzen Land. Die Gestalt auf dem Bett in jenem Gemach, das war Josephs Leichnam, und der Speer war der Speer des Longinus, und damit habt Ihr Pelham verwundet, Josephs Nachkommen, und das war der schmerzliche Streich, von dem ich Euch vor langer Zeit sprach. Und weil Ihr dies getan habt, werden sich Krankheit, Hunger und Verzweiflung wie ein Pesthauch über das Land legen.«

Balin rief: »Das habe ich nicht verdient. Es ist ungerecht!«

»Unglück ist unverdient, das Schicksal ist nicht gerecht, und dennoch existiert beides«, antwortete Merlin und sagte Balin Lebewohl. »Denn«, so sprach er, »wir werden uns in dieser Welt nicht wiedersehen.«

Dann ritt Balin davon, durch das heimgesuchte Land, und sah allerorten Menschen, die tot waren oder im Sterben lagen, und die Lebenden riefen hinter ihm drein: »Balin, Ihr seid die Ursache solcher Verwüstung. Ihr werdet Eure Strafe dafür empfangen.« Und Balin trieb angstvoll sein Pferd an, um aus dem verheerten Land hinauszukommen. Er ritt acht Tage auf der Flucht vor dem Unheil und war froh, als er das wüste Gebiet hinter sich hatte und in einen schönen, stillen Wald gelangte. Seine Lebensgeister erwachten wieder, seine Seele warf ihre düsteren Gewänder ab. Über den Bäumen in einem lieblichen Tal sah er die Zinnen eines schlanken Turmes und lenkte sein Pferd in diese Richtung. Neben dem Turm war ein Roß an einem Baum angebunden, und auf der Erde saß ein schmucker, wohlgestalteter Ritter, der laut vor sich hin klagte.

Und weil Balin so vielen Menschen Tod und Leid gebracht hatte, wollte er Wiedergutmachung leisten. Er sagte zu dem Ritter: »Gott sei mit Euch. Warum seid Ihr betrübt? Sagt es mir, und ich werde mir alle Mühe geben, Euch zu helfen.«

Der Ritter sagte: »Es würde meinen Schmerz nur noch vergrößern, wenn ich Euch den Grund sagte.«

Dann ging Balin ein wenig beiseite, betrachtete das angebundene Pferd und seine Ausrüstung und hörte den Ritter sagen: »Ach, Dame meines Herzens, warum habt Ihr Euer Versprechen gebrochen, mich hier um die Mittagsstunde zu treffen? Ihr habt mir mein Schwert geschenkt, eine gefährliche Gabe, denn es mag sein, daß ich mich aus Liebe zu Euch damit töte.« Und der Ritter zog das glänzende Schwert aus der Scheide.

Da handelte Balin rasch und packte ihn am Handgelenk.

»Laßt mich los, sonst erschlage ich Euch«, rief der Ritter.

»Das führt doch zu nichts. Ich weiß jetzt über Eure Dame Bescheid und verspreche, sie zu Euch zu führen, wenn Ihr mir sagt, wo sie weilt.«

»Wer seid Ihr?« wollte der Ritter wissen.

»Sir Balin.«

»Ich weiß, Ihr seid ein berühmter Mann«, sagte der Ritter. »Ihr seid der Ritter mit den zwei Schwertern und geltet als einer der tapfersten der Ritter.«

»Und wie heißt Ihr?«

»Ich bin Sir Garnish vom Berge. Ich bin zwar eines armen Mannes Sohn, aber da ich im Krieg gut gekämpft habe, gewährte mir Herzog Harmel seine Protektion, machte mich zum Ritter und gab mir Grundbesitz. Seine Tochter ist das Fräulein, das ich liebe, und ich glaubte, sie liebte mich auch.«

»Wo hält sie sich auf?« fragte Balin.

»Nur sechs Meilen von hier.«

»Warum sitzt Ihr dann hier trauernd herum? Laßt uns hinreiten und den Grund ihres Ausbleibens feststellen.«

So ritten sie denn zusammen, bis sie zu einer wohlgebauten Burg kamen, mit hohen Mauern und einem Wassergraben. Und Balin sagte: »Wartet hier auf mich. Ich will in die Burg gehen und sehen, ob ich sie finde.«

Balin ging in die Burg, sah aber niemanden um die Wege. Er ging suchend durch die Säle und Zimmer und kam schließlich zum Gemach einer Dame, doch das Bett war leer. Er blickte zum Fenster hinaus auf einen lieblichen kleinen Garten innerhalb der Mauern, und im Gras unter einem Lorbeerbaum sah er die Dame und einen Ritter auf einem Tuch aus grüner Seide in enger Umarmung schlafend liegen, die Köpfe auf Gras und süß duftende Kräuter gebettet. Die Dame war hold, doch ihr Liebster ein häßlicher Mann, behaart, ungeschlacht und plump anzusehen.

Dann ging Balin rasch durch die Gemächer und Säle zurück. Am Burgtor berichtete er Sir Garnish, was er gesehen hatte, und führte ihn dann leise zu dem Garten. Und als der Ritter seine Dame in den Armen eines anderen erblickte, pochte sein Herz in wilder Leidenschaft, seine Adern platzten, und Blut strömte ihm aus Nase und Mund. In wilder Raserei zog er das Schwert und schlug den schlafenden Liebenden die Köpfe ab. Doch jäh schwand sein Grimm, und er fühlte sich elend und matt. Mit bitteren Vorwürfen wandte er sich gegen Balin. »Ihr habt mir noch mehr Kummer zu meinem Schmerz gebracht«, sagte er. »Wenn Ihr mich nicht hierhergeführt hättet, hätte ich es nicht erfahren.«

Balin antwortete zornig: »War es nicht besser, sie zu durchschauen und so von der Liebe zu ihr geheilt zu werden? Ich habe nur getan, was ich mir selbst von einem anderen wünschen würde.«

»Ihr habt mein Leid verdoppelt«, sagte Sir Garnish. »Ihr habt mich dazu gebracht zu töten, was mir in der Welt das Liebste war. Ich kann nicht weiterleben.« Und plötzlich stieß er sich sein blutiges Schwert ins Herz und stürzte neben den enthaupteten Liebenden tot zu Boden.

In der Burg war es still, aber Balin wußte, sollte er hier entdeckt werden, würde man ihn beschuldigen, alle drei ermordet zu haben. Er verließ rasch die Burg und ritt unter den Bäumen des Waldes davon. Die undurchdringliche Düsternis seines Schicksals lastete auf ihm, und er spürte, wie sich die Vorhänge seines Lebens um ihn zusammenzogen, so daß ihm war, als ritte er durch einen Nebel der Hoffnungslosigkeit.

Nach einiger Zeit kam er zu einem Steinkreuz am Wege, und darauf stand in goldenen Buchstaben KEIN RITTER SOLL ALLEIN AUF DIESEM WEG REITEN. Während Balin die Worte las, trat ein alter, weißhaariger Mann heran und sagte: »Sir Balin, hier ist die Grenze Eures Lebens. Kehrt um – vielleicht rettet Ihr Euch!« Damit verschwand der Greis.

Dann hörte Balin ein Jagdhorn das Signal blasen, das vom Tod eines Hirsches kündet, und er sagte düster: »Diese Todesfanfare ist für mich bestimmt. Ich bin die Beute, nur noch nicht tot.« Und plötzlich umdrängte ihn eine Menschenmenge, hundert anmutige Damen und viele Ritter in reicher, schimmernder Rüstung, und sie hießen ihn mit liebreichen Worten willkommen, sprachen zärtlich und schmeichelnd zu ihm und führten ihn auf eine Burg in der Nähe, wo sie ihm die Waffen abnahmen und ihm ein üppiges, weiches Gewand gaben. Dann geleiteten sie ihn in die große Halle, wo Musikanten spielten und getanzt wurde und eine unechte Fröhlichkeit herrschte.

Und als man es Balin behaglich gemacht hatte, trat die Burgherrin zu ihm und sagte: »Herr Ritter mit den zwei Schwertern, es ist Brauch, daß jeder des Weges kommende Fremde mit einem Ritter, der eine Insel in der Nähe bewacht, tjosten muß.«

Balin antwortete: »Es ist ein unschöner Brauch, einen Ritter dazu zu zwingen, ob er will oder nicht.«

»Es ist ja nur ein Ritter. Hat der große Balin Angst vor einem einzigen Ritter?«

»Ich glaube nicht, daß ich Angst habe, Madame«, sagte Balin. »Aber ein Mann, der von weither kommt, kann müde sein, und sein Pferd ist vielleicht erschöpft. Mein Körper ist matt, mein Herz aber frisch.« Und niedergeschlagen fügte er hinzu: »Wenn es sein muß, dann muß es sein, und ich wäre froh, wenn ich hier im Tod Ruhe und Frieden fände.«

Dann sagte ein Ritter, der in der Nähe stand: »Ich habe mir Eure Rüstung angesehen. Euer Schild ist klein, und die Riemen daran sind lose. Nehmt meinen. Er ist groß und gut gearbeitet.« Balin lehnte ab, doch der Ritter ließ nicht locker und sagte: »Ich bitte Euch, nehmt ihn um Eurer Sicherheit willen.«

Dann legte Balin müde seinen Harnisch an, und der Ritter brachte seinen neuen und schön bemalten Schild und drängte ihn Balin auf. Balin war zu erschöpft und verwirrt, um zu widersprechen, und er dachte daran, daß sein Knappe ihm vorgehalten hatte, er sei halsstarrig und das mache ihm das Leben schwer. Und so akzeptierte er den Schild, stieg in den Sattel und ritt langsam zu einem See mit einer kleinen Insel, der Burg so nahe, daß er von dort aus zu sehen war. Und auf den Mauern versammelten sich Damen und Ritter, um dem Zweikampf zuzusehen.

Am Ufer wartete ein Kahn, groß genug für Mann und Pferd. Balin stieg hinein und wurde zu der Insel gerudert. Dort empfing ihn ein Fräulein mit den Worten: »Sir Balin, warum habt Ihr den Schild mit Eurem Wappenzeichen zurückgelassen?«

»Ich weiß nicht, warum«, sagte Balin. »Ich bin vom Unglück zermalmt und kann nicht mehr klar denken. Es reut mich, daß ich überhaupt hierhergekommen bin, aber da ich nun schon einmal hier bin, mache ich halt in Gottes Namen weiter. Ich würde mich schämen, jetzt umzukehren. Nein, ich werde auf mich nehmen, was mir beschieden ist, Tod oder Leben.«

Dann prüfte er nach alter Ritterart seine Waffen und zurrte den Sattelgurt fest. Er stieg in den Sattel, empfahl sich Gott, schloß das Visier an seinem Helm und ritt auf eine kleine Behausung auf der Insel zu, und die Ritter und die Damen beobachteten ihn von der Burg aus.

Dann kam ein Ritter mit einer roten Rüstung und auf einem mit einer roten Decke geschmückten Pferd auf ihn zugeritten. Es war Sir Balan, und als er sah, daß sein Gegner zwei Schwerter trug, dachte er zuerst, es handle sich um seinen Bruder, doch das Wappenzeichen auf dem Schild sagte ihm, daß es nicht so sein könne.

In unheilschwangerem Schweigen legten die beiden Ritter ihre Lanzen ein und prallten zusammen. Beide Lanzen trafen ins Ziel, ohne zu zersplittern, beide Ritter wurden aus dem Sattel geschleudert und lagen betäubt auf der Erde, Balin hatte von dem Sturz böse Prellungen davongetragen, und sein ganzer Körper tat ihm vor Erschöpfung weh, Balan kam als erster wieder zu sich. Er erhob sich, lief auf Balin zu, und dieser raffte sich hoch, um Balan entgegenzutreten.

Balan führte den ersten Hieb, doch Balin hob seinen Schild, fing ihn ab, schlug unterhalb des Schildes zu und in den Helm des Gegners eine tiefe Kerbe, und noch einmal führte er einen Streich mit seinem Unglücksschwert, brachte Balan ins Wanken. Dann lösten sie sich voneinander, führten und parierten Schwerthiebe, bis ihnen vor Erschöpfung der Atem ausging.

Balin blickte zu den Türmen hinauf, sah die Damen in ihren bunten Gewändern, die zu ihnen herabschauten, und nahm den Kampf wieder auf. Dann gerieten beide in hitzigen Zorn, der ihnen neue Kraft gab, und sie hauten und stachen ingrimmig aufeinander ein, und die Klingen drangen durch die Harnische, und beide Ritter bluteten heftig aus ihren Wunden. Sie verschnauften einen Augenblick und nahmen dann den tödlichen Kampf wieder auf. Jeder versuchte, den andern möglichst rasch zu töten, ehe ihn selbst mit dem strömenden Blut die Kräfte verließen. Jeder schlug dem anderen entsetzliche Wunden, bis schließlich Balan davonwankte und auf die Erde sank, zu matt, um eine Hand zu heben.

Da sagte Balin, der sich auf sein Schwert stützte: »Wer seid Ihr? Ich bin noch nirgendwo einem Ritter begegnet, der mir standzuhalten vermochte.«

Und der andere, der auf der Erde lag, antwortete: »Ich heiße Balan, und ich bin ein Bruder des berühmten Ritters Sir Balin.«

Als Balin diese Worte hörte, erfaßte ein Taumel seinen Kopf, und er stürzte ohnmächtig zu Boden. Als er wieder zu sich kam, kroch er auf Händen und Füßen zu Balan hin, nahm ihm den Helm ab, und das Gesicht des Bruders war so zerhackt und mit Blut bedeckt, daß er es nicht erkannte. Balin legte den Kopf an die Brust des Bruders und weinte. »Ach, mein Bruder«, rief er, »mein teurer, teurer Bruder! Ich habe Euch getötet, und Ihr habt mich auf den Tod verwundet.«

Balan sagte schwach: »Ich sah die beiden Schwerter, aber das Wappen auf Eurem Schild war mir unbekannt.«

»Einer der Ritter aus der Burg dort hat mich überredet, seinen Schild zu nehmen, weil er wußte, daß Ihr meinen erkennen würdet. Wenn ich am Leben bleiben könnte, würde ich diese Burg samt ihren Bräuchen zerstören.«

»Ich wollte, das könnte geschehen«, sagte Balan. »Sie haben mich zu einem Zweikampf hier auf der Insel genötigt, und als ich ihren Verteidiger tötete, zwangen sie mich, fortan für sie zu kämpfen, und wollten mich nicht mehr fortlassen. Wenn Ihr am Leben bliebet, lieber Bruder, würden sie auch Euch hier festhalten und zu ihrer Belustigung kämpfen lassen, und übers Wasser könntet Ihr nicht entfliehen.«

Dann brachte ein Kahn die Burgherrin mit ihrem Gefolge auf die Insel, und die beiden Brüder baten sie inständig, sie zusammen zu begraben. »Wir kamen aus demselben Schoß«, sagten sie, »und wir wollen im selben Grab liegen.«

Und die Burgherrin versprach, daß es so geschehen solle.

»Jetzt laßt einen Priester holen«, sagte Balin. »Wir wollen das Sakrament und den heiligen Leib unseres Herrn Jesus Christus empfangen.« Dies geschah, und Balin sagte: »Laßt auf unser Grabmal schreiben, wie durch eine Unglücksfügung zwei Brüder einander erschlugen, so daß vorüberkommende Ritter für uns beten können.«

Dann starb Balan, aber Balins Lebenslicht flackerte noch bis Mitternacht, und in der Dunkelheit wurden die Brüder zusammen begraben.

Am Morgen danach erschien Merlin und errichtete durch seine Künste ein Grabmal über den Leichen der Brüder, und in goldenen Buchstaben schrieb er ihre Geschichte darauf.

Und dann prophezeite Merlin viele künftige Dinge: daß Lancelot kommen werde, und Galahad. Und er sagte traurige Begebenheiten voraus: daß Lancelot seinen besten Freund, Gawain, erschlagen werde.

Und nachdem Merlin viel Wunderliches prophezeit hatte, ging er zu König Artus und berichtete ihm die Geschichte der beiden Brüder, und der König war tief betrübt. »In der ganzen Welt«, sagte er, »bin ich niemals zwei solchen Rittern begegnet.«

So endigt die Geschichte von Balin und Balan,

zwei Brüdern, geboren in Northumbirlonde,

die zwei überaus treffliche Ritter waren,

wie es sie in jenen Tagen nur gab.

Explicit