Merlin

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Zu der Zeit, als Uther Pendragon König von England war, wurde über seinen Vasallen, den Herzog von Cornwall, berichtet, daß er kriegerische Akte gegen das Land verübt habe. Darauf bestellte Uther den Herzog an seinen Hof und befahl ihm, seine Ehefrau Igraine mitzubringen, die für ihre Klugheit und Schönheit berühmt war.

Als der Herzog vor dem König erschien, stifteten die großen Herren des Rates Frieden zwischen den beiden, worauf der König ihn in Gnaden aufnahm und ihm seine Freundschaft antrug. Dann erblickte Uther die Lady Igraine und sah, daß sie wirklich so schön war, wie er vernommen hatte. Er entbrannte in Liebe zu ihr, begehrte sie und drang in sie ein, mit ihm zu liegen, doch Igraine war ein treues Weib und wies den König ab.

Sie sprach mit ihrem Gatten, dem Herzog, unter vier Augen und sagte: »Ich glaube, man hat Euch nicht wegen eines Rechtsbruches kommen lassen. Der König hat den Plan gefaßt, Euch durch mich zu entehren. Deshalb, mein Gemahl, bitte ich Euch, daß wir uns dieser Gefahr heimlich entziehen und in der Nacht zu unserer eigenen Burg reiten, denn der König wird meine Weigerung nicht hinnehmen.«

Und sie brachen, Igraines Wunsch gemäß, in solcher Heimlichkeit auf, daß weder der König noch sein Rat etwas bemerkten.

Als Uther ihre Flucht entdeckte, wurde er sehr zornig. Er rief die großen Herren zusammen und berichtete ihnen vom Verrat des Herzogs. Der Rat der Edlen, des Königs sichtbaren Zorn fürchtend, riet ihm, Boten auszusenden und dem Herzog und Igraine zu befehlen, ungesäumt zurückzukehren, denn, so sagten sie, »wenn er sich weigern sollte, Eurer Ladung Folge zu leisten, ist es Eure Pflicht und Euer Recht, gegen ihn zu ziehen und ihn zu verderben«.

Und so geschah es. Die Boten galoppierten hinter dem Herzog her, brachten aber die barsche Antwort zurück, weder seine Gemahlin noch er selbst würden wieder an den Hof kommen.

Darauf schickte der ergrimmte Uther eine zweite Botschaft und riet darin dem Herzog, sich zur Verteidigung zu rüsten, denn binnen vierzig Tagen werde er, der König, ihn aus seiner mächtigsten Burg herausholen.

Dergestalt gewarnt, versah der Herzog seine beiden besten Festen mit Proviant und Waffen. Er schickte Igraine auf die Burg Tintagel auf den hohen Klippen über dem Meer, während er selbst die Verteidigung von Terrabil übernahm, einer Feste mit mächtigen Mauern, vielen Toren und geheimen Pforten.

König Uther sammelte ein Heer und zog gegen den Herzog. Er ließ es seine Zelte um die Burg Terrabil aufschlagen und begann mit der Belagerung. Durch die Sturmangriffe und die erbitterte Abwehr wurden viele treffliche Männer getötet, doch keine der beiden Seiten vermochte die Oberhand zu gewinnen, so daß Uther aus Zorn, Enttäuschung und vor Verlangen nach der holden Igraine schließlich krank wurde.

Darauf ging der edle Ritter Sir Ulfius in Uthers Zelt und erkundigte sich nach der Art der Krankheit, an der der König litt.

»Ich will es Euch sagen«, antwortete Uther. »Ich kranke an Zorn und an Liebe, und für beides gibt es keine Medizin.«

»Herr«, sagte Sir Ulfius. »Ich werde mich auf die Suche nach dem Zauberer Merlin begeben. Dieser kundige und listige Mann kann ein Mittel zusammenbrauen, das Eurem Herzen Freude schenken wird.« Und Sir Ulfius ritt davon, um nach Merlin zu suchen.

Merlin aber war ein weiser und listenreicher Mann, mit seltsamen prophetischen Kräften und mit dem Talent begabt, das Alltägliche und Offensichtliche trügerisch zu verwandeln, was man Magie nennt. Merlin kannte die gewundenen Wege des menschlichen Geistes und wußte auch, daß ein schlichtes, offenes Gemüt am empfänglichsten ist, wenn es verwirrt wird, und Merlin hatte ein großes Vergnügen daran, andere zu verwirren. So stieß der nach ihm suchende Ritter Sir Ulfius auf seinem Weg wie zufällig auf einen zerlumpten Bettler, der ihn fragte, wem seine Suche gelte.

Der Ritter, nicht gewohnt, von dieser Sorte Mensch ausgefragt zu werden, ließ sich nicht zu einer Antwort herab.

Da lachte der Mann im Lumpenkleid und sagte: »Ihr braucht mir keine Antwort zu geben. Ich weiß sie ohnehin. Ihr sucht nach Merlin. Bemüht Euch nicht weiter – ich bin Merlin.«

»Du …? Du bist doch ein Bettler«, sagte Sir Ulfius.

Merlin lachte leise über sein gelungenes Possenspiel. »Ja, und Merlin bin ich außerdem«, sagte er. »Wenn König Uther mir die Belohnung verspricht, die ich gerne hätte, werde ich ihm zu dem verhelfen, was sein Herz begehrt. Und die Gabe, die ich mir wünsche, wird ihm mehr zu Ehre und Gewinn gereichen als mir.«

Sir Ulfius sagte, von Staunen ergriffen: »Wenn du die Wahrheit sprichst und dein Verlangen billig ist, kann ich dir zusagen, daß es dir gewährt werden wird.«

»Reitet jetzt zurück zum König; ich werde Euch folgen, so rasch ich kann.«

Frohgestimmt machte Sir Ulfius kehrt und spornte sein Pferd zu einer raschen Gangart an, bis er endlich das Zelt erreichte, in dem Uther krank darniederlag. Er berichtete dem König, daß er Merlin gefunden hatte.

»Wo ist er?« wollte Uther wissen.

»Herr«, sagte Sir Ulfius, »er ist zu Fuß hierher unterwegs. Er wird kommen, so rasch er kann.« Und im selben Augenblick sah er Merlin im Zelteingang stehen, und Merlin lächelte, denn er hatte seinen Spaß daran, Staunen zu erregen.

Uther sah ihn, hieß ihn willkommen, und Merlin sagte ohne Umschweife: »Sir, ich kenne jeden Winkel Eures Herzens und Denkens. Und wenn Ihr mir bei Eurem gesalbten Königtum schwört, meinen Wunsch zu erfüllen, sollt Ihr bekommen, was – wie ich weiß – Euer Herz begehrt.«

Und so groß war Uthers Verlangen, daß er bei den vier Evangelisten schwor, sein Versprechen zu halten.

Darauf sagte Merlin: »Sir, hört meinen Wunsch: Wenn Ihr zum erstenmal bei Igraine liegt, wird sie von Euch ein Kind empfangen. Sobald dieses Kind geboren ist, muß es mir übergeben werden, und ich werde mit ihm tun, was ich will. Aber ich verspreche Euch, daß es Euch zur Ehre und dem Kind zum Vorteil gereichen wird. Seid Ihr einverstanden?«

»Was du wünschst, soll geschehen«, sagte der König.

»Dann erhebt Euch und macht Euch bereit«, sagte Merlin. »Noch heute nacht werdet Ihr in der Burg Tintagel am Meer Igraine beiwohnen.«

»Wie kann das geschehen?« fragte der König.

Worauf ihm Merlin zur Antwort gab: »Mit Hilfe meiner Künste werde ich sie glauben machen, Ihr wäret der Herzog, ihr Gemahl. Sir Ulfius und ich werden Euch begleiten, jedoch in der äußeren Erscheinung von zwei Rittern, die das Vertrauen des Herzogs besitzen. Ich muß Euch allerdings raten, wenn Ihr in die Burg kommt, möglichst wenig zu sprechen, damit man Euch nicht erkennt. Sagt nur, Ihr seiet erschöpft und krank, und begebt Euch rasch zu Bett. Und morgen früh achtet darauf, daß Ihr Euch nicht erhebt, bis ich Euch abholen komme. Nun macht Euch bereit, denn von hier bis Tintagel sind es zehn Meilen Weg.«

Sie rüsteten sich zum Aufbruch, stiegen auf ihre Pferde und ritten davon. Der Herzog aber sah von der Mauer der Burg Terrabil, wie König Uther von den Linien der Belagerer wegritt, und da er wußte, daß das Heer des Königs nun führerlos war, wartete er bis zum Einbruch der Nacht und unternahm dann einen machtvollen Ausfall aus den Toren der Burg, und in dem Kampfgetümmel wurde er getötet, volle drei Stunden, ehe der König in Tintagel eintraf.

Während Uther und Merlin und Sir Ulfius unter dem gestirnten Himmel durch die Nacht ritten, zogen die Nebelschwaden rastlos über die Moore wie Irrwische in wehenden Gewändern. Halb geformte Nebelmenschen flatterten mit ihnen dahin, und die reitenden Männer selbst veränderten ihre Gestalt wie Figuren aus Wolken. Als sie an das bewachte Burgtor von Tintagel auf seinem hohen, schroffen Felsen über der flüsternden See anlangten, salutierten die Wächter, die die vertrauten Umrisse des Herzogs und zweier seiner bewährten Männer, Sir Brastias und Sir Jordanus, zu erkennen glaubten. Und in den düsteren Korridoren der Burg hieß Lady Igraine ihren Gemahl willkommen und führte ihn, wie die Pflicht es gebot, zu ihrem Gemach. Dann wohnte der König Igraine bei, und in dieser Nacht empfing sie ein Kind.

Als der Tag anbrach, erschien Merlin, wie er versprochen hatte, und im schwachen Licht küßte Uther die Lady Igraine und machte sich eilends davon. Die schlaftrunkenen Wächter öffneten ihrem vermeintlichen Herrn und seinen Begleitern die Torflügel, und die drei ritten hinaus in den Morgendunst.

Und später, als Igraine die Nachricht empfing, daß ihr Gemahl tot war und schon tot gewesen war, als seine Gestalt ihr beiwohnte, erfüllten sie Bekümmernis und trauriges Staunen. Doch sie war nun allein auf der Welt und voll Furcht. Sie trauerte stumm um ihren Gebieter und sprach nicht von der Sache.

Nun, nach dem Tod des Herzogs, war der eigentliche Kriegsgrund entfallen, und die Barone drängten den König, mit Igraine Frieden zu schließen. Der König lächelte in sich hinein und tat, als ließe er sich überreden. Er bat Sir Ulfius, eine Begegnung zu vereinbaren, und schon bald darauf trafen die Lady und der König zusammen.

Dann sprach Sir Ulfius in Uthers und Igraines Gegenwart zu den Baronen. »Was kann daran auszusetzen sein?« sagte er. »Unser König ist ein Ritter von Saft und Kraft, und er ist unbeweibt. Lady Igraine, Ihr seid klug und schön …« Er legte eine Pause ein und fuhr dann fort: »… und Eure Hand ist frei. Es wäre uns allen eine große Freude, wenn der König geruhte, Igraine zu seiner Gemahlin zu machen.«

Da gaben die Barone mit Rufen ihre Zustimmung kund und drängten den König zu diesem Schritt. Und Uther als der Ritter von Saft und Kraft, der er war, ließ sich überzeugen, und sie wurden in aller Eile und unter allgemeinem Freudenjubel am nächsten Vormittag vermählt.

Igraine hatte vom Herzog drei Töchter, und auf Uthers Wunsch und Anregung griff das Heiratsfieber um sich. König Lot von Lothian und den Orkney-Inseln vermählte sich mit der ältesten Tochter, Margawse, und König Nentres von Garlot mit der zweiten Tochter, Elaine. Igraines dritte Tochter, Morgan le Fay, war zum Heiraten noch zu jung. Sie wurde in ein Kloster geschickt, um dort Unterricht zu erhalten, und wurde so vertraut mit Zauberei und Nekromantie, daß sie es in diesen geheimen Künsten zur Meisterschaft brachte.

Nach einem halben Jahr rundete sich Igraines gesegneter Leib. Und eines Nachts, als Uther bei ihr lag, stellte er ihre Aufrichtigkeit und Unschuld auf die Probe. Er sagte, sie solle vertrauensvoll, wie sie ihm es schuldig sei, den Vater ihres Kindes nennen, und die Königin zögerte, tief verwirrt, mit der Antwort.

Uther sagte: »Habt keine Sorge. Sagt mir nur die Wahrheit, und ich werde Euch darob nur noch mehr lieben, einerlei, wie sie lautet.«

»Sir«, sagte Igraine, »ich werde Euch sehr wohl die Wahrheit sagen, obwohl sie mir ein Rätsel ist. In der Nacht, in der mein Gemahl getötet wurde, und als er bereits tot war, wenn seine Ritter mir zutreffend berichteten, kam zu mir in meine Burg Tintagel ein Mann, in Sprache und Aussehen – und auch in anderen Dingen – ganz wie er. Und mit ihm kamen zwei seiner Ritter, die mir bekannt waren: Sir Brastias und Sir Jordanus. Und so ging ich mit ihm zu Bett, wie ich es meinem Herrn schuldig war. Und in dieser Nacht, ich schwöre bei Gott, wurde dieses Kind empfangen. Ich bin verwirrt, mein Gebieter, denn der Herzog kann es nicht gewesen sein. Und mehr als das weiß ich nicht.«

Dies freute König Uther, denn er sah, daß seine Gemahlin aufrichtig war. Er rief: »Was Ihr sagt, ist ganz wahr gesprochen. Denn ich selbst war der Mann, der in Gestalt Eures Gemahls zu Euch kam. Merlin hat es durch ein Zauberkunststück zuwege gebracht. Macht Euch keine bangen Gedanken mehr, denn ich bin der Vater Eures Kindes.«

Da wurde der Königin leichter ums Herz, denn das geheimnisvolle Geschehnis hatte sie sehr bedrückt.

Nicht lange danach suchte Merlin den König auf und sagte: »Sir, die Zeit naht heran. Wir müssen einen Plan für die Aufziehung Eures Kindes fassen, wenn es geboren ist.«

»Ich erinn’re mich meines Versprechens«, sagte Uther. »Was du rätst, das soll geschehen.«

Darauf sagte Merlin: »Ich schlage also einen Eurer Herren vor, der ein getreuer und ehrenwerter Mann ist. Er heißt Sir Ector und besitzt Ländereien und Burgen in vielen Gegenden von England und Wales. Schickt nach diesem Mann und laßt ihn kommen. Und wenn er Euren Beifall findet, befehlt ihm, daß er sein eigenes Kind zu einer Amme gibt, so daß sein Weib das Eure stillen kann. Und sobald Euer Kind geboren ist, muß es mir, wie Ihr versprochen habt, übergeben werden, ungetauft und ohne Namen. Und ich werde es heimlich fortbringen, zu Sir Ector.«

Und als Sir Ector zu Uther kam, versprach er, das Kind großzuziehen, und zum Dank dafür belohnte ihn der König mit großem Grundbesitz.

Und als Königin Igraines Stunde kam, gebot der König den Rittern und zwei Damen, das Kind in ein goldenes Tuch zu hüllen, es durch eine kleine Geheimpforte zu tragen und einem armen Mann zu übergeben, der dort warten werde.

So wurde das Kind Merlin ausgehändigt, der es zu Sir Ector brachte, und dessen Eheweib nährte es an der eigenen Brust. Dann holte Merlin einen frommen Mann, der es taufte, und es erhielt den Namen Arthur (Artus).

Schon zwei Jahre nach Artus’ Geburt wurde Uther Pendragon von einer verzehrenden Krankheit befallen. Als seine Feinde erkannten, daß er hilflos war, fielen sie in das Königreich ein, besiegten seine Ritter und töteten viele aus seinem Volk. Da sagte Merlin barsch zum König: »Ihr habt kein Recht, hier in Eurem Bett zu liegen, gleichgültig, wie Eure Krankheit beschaffen ist. Ihr müßt ins Feld ziehen, um Euch an die Spitze Eurer Männer zu stellen, und wenn man Euch in einer Pferdesänfte dorthin schaffen muß, denn Eure Feinde werden niemals geschlagen werden, wofern Ihr nicht selbst dort seid. Nur dann wird Euch der Sieg zufallen.«

König Uther pflichtete dem bei, und seine Ritter trugen ihn hinaus und hoben ihn auf eine Sänfte zwischen zwei Pferden, und auf diese Weise führte er sein Heer gegen die Feinde. Bei St. Albans begegneten sie einer großen Streitmacht von Invasoren aus dem Norden und nahmen den Kampf gegen sie auf. Und an diesem Tage vollbrachten Sir Ulfius und Sir Brastias ruhmvolle Waffentaten, und König Uthers Krieger faßten Mut, griffen mit Verve an, töteten viele von den Feinden und schlugen die übrigen in die Flucht. Als die Schlacht zu Ende war, kehrte der König nach London zurück, um seinen Sieg zu feiern. Doch seine Kraft war dahin, er sank in Bewußtlosigkeit, und drei Tage und drei Nächte war er gelähmt und konnte nicht sprechen. Seine Barone waren bestürzt und voller Furcht und fragten Merlin, was sie tun sollten.

Darauf sprach Merlin: »Nur Gott besitzt das Mittel. Doch wenn Ihr alle morgen in der Frühe vor den König tretet, werde ich mit Gottes Beistand versuchen, ihn zum Sprechen zu bringen.« Am folgenden Morgen dann versammelten sich die Barone, und Merlin trat auf das Bett zu, in dem der König lag, und rief mit lauter Stimme: »Sir, ist es Euer Wille, daß Euer Sohn Artus König wird, wenn Ihr gestorben seid?«

Da wandte sich der König um und rang nach Worten, und schließlich brachte er heraus, so daß alle seine Barone es hören konnten: »Ich gebe Artus Gottes und meinen Segen. Ich bitte ihn, für meine Seele zu beten.« Dann nahm Uther all seine Kraft zusammen und rief: »Wenn Artus nicht die Krone Englands für sich fordert, wie es Recht und Ehre gebieten, wird er meines Segens verlustig gehen.« Damit sank der König zurück, und bald danach verschied er.

König Uther wurde mit allem einem Herrscher gebührenden Prunk beigesetzt, und seine Gemahlin, die holde Igraine, und alle seine Barone trauerten um ihn. Kummer erfüllte seinen Hof, und lange Zeit gab es keinen König von England. Allenthalben erhoben Gefahren das Haupt, an den Grenzen durch Feinde von außen und innerhalb des Reiches durch ehrgeizige große Herren. Die Barone umgaben sich mit Bewaffneten, und viele von ihnen hätten sich gern selbst die Krone angeeignet. In diesen anarchischen Zeiten war kein Mensch sicher, die Gesetze waren in Vergessenheit geraten, und schließlich suchte Merlin den Erzbischof von Canterbury auf und riet ihm, alle Lords und alle Ritter des Königreiches unter Androhung des Kirchenbannes zu Weihnachten nach London zu berufen. Man glaubte, weil Christus am Tag vor Weihnachten auf die Welt gekommen war, könnte es sein, daß er in dieser heiligen Nacht auf irgendeine mirakulöse Weise anzeigen werde, wer Rechtens König des Reiches sein solle. Als die Botschaft des Erzbischofs an die Lords und Ritter erging, rührte der Ruf vielen ans Herz, und sie besserten ihren Wandel, um ihre Gebete Gott gefälliger zu machen.

In Londons größter Kirche – vielleicht St. Paul’s – versammelten sich die Lords und Ritter lange vor Tagesanbruch, um zu beten. Und als die Frühmette zu Ende war, befand sich im Kirchhof, an der Stelle, die dem Hochaltar am nächsten war, plötzlich ein großer Marmorblock, und auf dem Block war ein stählerner Amboß befestigt, in den ein Schwert bis zum Knauf getrieben war. In goldenen Buchstaben war darauf geschrieben:

Der, welcher dieses Schwert

aus diesem Stein und Amboß zieht,

ist durch Geburt

rechtmäßiger König von ganz England.

Die Menschen waren verblüfft und brachten die Nachricht von diesem Wunder zum Erzbischof, der sagte: »Geht zurück in die Kirche und betet zu Gott. Und niemand soll das Schwert berühren, bis das Hochamt gefeiert ist.« Dies wurde befolgt, doch nach dem Ende des Gottesdienstes gingen alle Lords zu dem Stein, um ihn sich anzusehen, und einige von ihnen versuchten, die Klinge herauszuziehen, doch keiner vermochte sie zu bewegen.

»Derjenige, der dieses Schwert herausziehen wird, ist nicht anwesend«, sagte der Erzbischof. »Doch Gott wird ihn uns ohne Zweifel enthüllen. Bis dies geschieht«, fuhr er fort, »schlage ich vor, sollen zehn Ritter, Männer von gutem Ruf, zur Bewachung dieses Schwertes bestellt werden.«

Und so wurde es eingerichtet und zudem bekanntgegeben, daß jeder Mann, der das Verlangen danach verspüre, versuchen dürfe, das Schwert herauszuziehen. Für den Neujahrstag wurde ein großes Turnier angesetzt, womit der Erzbischof die Absicht verfolgte, die Lords und Ritter zusammenzuhalten, denn er rechnete damit, daß Gott zu diesem Zeitpunkt zu erkennen geben werde, wer das Schwert erringen sollte.

Als am Neujahrstag der Gottesdienst zu Ende war, ritten die Barone und Ritter zu dem Feld, wo einige von ihnen tjosten wollten – zwei bewaffnete Männer auf Pferden, die im Zweikampf versuchten, einander in den Sand zu werfen. Andere schlossen sich dem Turnier an, einem Kampfspiel, bei dem ausgewählte Gruppen bewaffneter, berittener Männer sich in ein allgemeines Getümmel stürzten. Mit diesem Kampfspiel hielten sich die Barone und Ritter waffentüchtig und kampfgeübt. Auch gewannen sie Ehre und Ansehen, wenn sie sich tapfer schlugen und geschickt mit Pferd, Schild, Lanze und Schwert umgingen, denn die Barone und Ritter waren allesamt kampflustige Männer.

Nun geschah es, daß Sir Ector, der Ländereien in der Nähe von London besaß, zum Tjosten geritten kam, und begleitet wurde er von seinem Sohn Sir Kay, erst an Allerheiligen des Vorjahres zum Ritter geschlagen, und auch von dem jungen Artus, der in Sir Ectors Haus aufgezogen worden und Sir Kays Milchbruder war. Während sie zum Tjostplatz ritten, stellte Sir Kay fest, daß er im Quartier seines Vaters sein Schwert vergessen hatte, und bat den jungen Artus, zurückzureiten und es ihm zu holen.

»Das will ich gerne tun«, sagte Artus, wendete sein Pferd und galoppierte zurück, um die Waffe seines Milchbruders zu holen. Doch als er das Quartier erreichte, fand er es verschlossen und traf niemanden an, denn jedermann war weggegangen, um beim Tjosten zuzusehen.

Da wurde Artus ärgerlich und sagte zu sich: »Nun gut, dann reite ich eben zum Kirchhof und nehme das Schwert, das dort in dem Stein steckt. Mein Bruder Sir Kay soll heute nicht ohne Schwert sein.«

Als Artus den Kirchhof erreichte, saß er ab, band sein Pferd an einem Pfosten fest und ging zu dem Zelt, wo er keine der Wache haltenden Ritter vorfand, da sie ebenfalls zum Tjosten gegangen waren. Dann ergriff er das Schwert am Griff, zog es kraftvoll und dennoch mühelos aus dem Amboß, stieg wieder auf sein Pferd und ritt rasch dahin, bis er Sir Kay eingeholt hatte. Er reichte ihm das Schwert.

Als Sir Kay das Schwert sah, wußte er sofort, daß es das aus dem Amboß auf dem Steinblock war. Er ging rasch zu seinem Vater und hielt es ihm hin. »Sir, schaut! Ich habe das Schwert aus dem Amboß, und deshalb muß ich König von England werden.«

Sir Ector erkannte das Schwert, rief Artus und Sir Kay zu sich, und alle drei begaben sich rasch zur Kirche. Und dort verlangte er von Sir Kay zu wissen, wie er sich das Schwert verschafft habe.

»Mein Bruder Artus hat es mir gebracht«, antwortete Sir Kay.

Darauf wandte Sir Ector sich Artus zu. »Und wie seid Ihr zu diesem Schwert gekommen?«

Artus antwortete: »Als ich zurückritt, um das Schwert meines Bruders zu holen, traf ich niemanden an und konnte es deshalb, nicht an mich nehmen. Ich wollte nicht, daß mein Bruder ohne Schwert sei, und so bin ich zurückgekommen und habe für ihn das hier aus dem Amboß gezogen.«

»Waren keine Ritter dort, die das Schwert bewachten?« fragte Sir Ector.

»Nein, Herr Vater«, sagte Artus. »Es war niemand da.«

Sir Ector schwieg eine Zeitlang und sagte dann: »Mir wird jetzt klar, daß Ihr König unseres Landes werden müßt.«

»Warum das?« fragte Artus. »Aus welchem Grund sollte ich König werden?«

»Mein Gebieter«, sagte Sir Ector, »Gott hat bestimmt, daß nur derjenige, der dieses Schwert aus diesem Amboß ziehen kann, der rechtmäßige König unseres Landes sein soll. Jetzt laßt mich sehen, ob Ihr das Schwert so, wie es vorher darin stak, hineinstoßen und dann wieder herausziehen könnt.«

»Das ist nicht schwer«, sagte Artus und trieb die Klinge in den Amboß. Dann versuchte Sir Ector, sie herauszuziehen, was ihm jedoch mißlang. Er wies Sir Kay an, den Versuch zu machen. Sir Kay zog mit aller Kraft an dem Schwert, doch er konnte es nicht bewegen.

»Versucht Ihr es jetzt«, sagte Sir Ector zu Artus.

»Das werde ich«, sagte Artus und zog das Schwert mit Leichtigkeit heraus.

Darauf knieten sich Sir Ector und Sir Kay vor ihn auf die Erde.

Und Artus rief: »Was sehe ich! Mein eigener lieber Vater und mein Bruder, warum kniet ihr vor mir nieder?«

Sir Ector sagte: »Artus, mein Gebieter. Ich bin weder Euer Vater noch mit Euch verwandt. Ich glaube, Ihr seid von edlerem Blut als ich.« Dann erzählte er Artus, wie er ihn auf Uthers Weisung zu sich genommen und aufgezogen hatte. Und er sagte ihm auch, daß dies Merlins Werk gewesen sei.

Als Artus hörte, daß Sir Ector nicht sein Vater war, wurde er traurig, und seine Trauer wurde noch tiefer, als Sir Ector sagte: »Sir, werdet Ihr mir ein guter und huldvoller Herr sein, wenn Ihr König seid?«

»Warum sollte ich das nicht?« rief Artus. »Ich schulde Euch mehr als sonst jemandem auf der Welt, Euch und Eurer Frau, meiner guten Frau Mutter, die mich gestillt und wie ihren eigenen Sohn gehalten hat. Und wenn es, wie Ihr sagt, der Wille Gottes ist, daß ich König werden muß – verlangt von mir nur, was Ihr wollt. Ich werde Euch nichts abschlagen.«

»Herr«, sagte Sir Ector, »ich werde Euch nur um eines bitten, nämlich daß Ihr meinen Sohn Sir Kay, Euren Milchbruder, zum Seneschall und Verwalter Eurer Güter macht.«

»Das soll geschehen und mehr noch«, sagte Artus. »Bei meiner Ehre, kein anderer als Sir Kay soll dieses Amt innehaben, solange ich lebe.«

Dann gingen die drei zum Erzbischof und berichteten ihm, wie das Schwert aus dem Amboß gezogen worden war, und auf seine Weisung versammelten sich alle Barone noch einmal, um zu versuchen, das Schwert herauszuziehen, aber keinem außer Artus glückte es.

Darauf wurden viele der großen Herren von Neid ergriffen, und sie sagten, es sei eine Schmach und Schande, daß das Reich von einem Knaben regiert werden solle, der nicht von königlichem Geblüt war. Die Entscheidung wurde auf Lichtmeß vertagt, zu welchem Zeitpunkt die Barone wieder zusammenkommen wollten. Zehn Ritter wurden beauftragt, das Schwert und den Stein zu bewachen. Ein Zelt wurde darüber aufgeschlagen, und fünf Ritter hielten fortwährend Wache.

Zu Lichtmeß fanden sich noch mehr Lords ein, die das Schwert herauszuziehen versuchten, was jedoch keinem gelang. Artus hingegen hatte, wie schon vorher, keinerlei Mühe damit. Darauf verschoben die zornigen Barone die Entscheidung auf das hohe Osterfest, und wieder war nur Artus imstande, das Schwert herauszuziehen. Einige der großen Herren, die Artus als König ablehnten, verzögerten die Schlußprobe bis zum Pfingstfest. Solch großer Grimm erfüllte sie, daß Artus’ Leben in Gefahr war. Der Erzbischof von Canterbury rief auf Merlins Rat jene Ritter zusammen, die vor allen anderen Uthers Liebe und Vertrauen genossen hatten. Männer wie Sir Bawdewyn von der Bretagne, Sir Kaynes, Sir Ulfius und Sir Brastias. Sie und noch viele andere blieben Tag und Nacht in Artus’ Nähe, um ihn bis zum Pfingstfest zu beschützen.

Zu Pfingsten dann kam eine große Versammlung zusammen, und die verschiedensten Männer mühten sich vergeblich, das Schwert aus dem Amboß zu ziehen. Dann stieg Artus, verfolgt von den Blicken aller großen Herren wie auch des gemeinen Volkes, auf den Stein, zog mit Leichtigkeit das Schwert heraus und hielt es in die Höhe, so daß jedermann es sah. Die einfachen Leute waren überzeugt und riefen einstimmig: »Wir wollen ohne jeden weiteren Verzug Artus als unseren König. Wir sehen, es ist Gottes Wille, daß er König wird, und wir werden jeden umbringen, der sich ihm in den Weg stellt.«

Damit knieten reich wie arm nieder und baten Artus um Vergebung, weil man ihn so lange hingehalten hatte. Artus verzieh ihnen, nahm dann das Schwert in beide Hände und legte es auf den Hochaltar. Der Erzbischof nahm es, berührte damit Artus’ Schulter und schlug ihn so zum Ritter. Dann gelobte Artus allen Lords und Gemeinen mit einem Eid, daß er ihnen alle Tage seines Lebens ein gerechter und treuer König sein werde.

Er befahl den Lords, die ihre Güter und Würden von der Krone hatten, die Pflichten zu erfüllen, die sie ihm schuldeten. Und anschließend hörte er Beschwerden und Klagen über bitteres Unrecht und Verbrechen an, die seit dem Tod seines Vaters Uther Pendragon im Lande begangen worden waren – wie in der Zeit ohne König und ohne jegliches Recht Güter und Burgen gewaltsam weggenommen und Menschen ermordet und Ritter und Damen und vornehme Herren beraubt und ausgeplündert worden seien. Artus sorgte sodann dafür, daß die Güter und Besitztümer ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückgegeben wurden.

Als das geschehen war, richtete König Artus seine Herrschaft ein. Er betraute seine getreuen Ritter mit hohen Ämtern. Sir Kay wurde zum Seneschall von ganz England ernannt, Sir Bawdewyn von der Bretagne erhielt als Constable den Auftrag, Gesetz und Frieden zu bewahren, Sir Ulfius wurde zum Großkämmerer gemacht, und Sir Brastias zum Hüter der nördlichen Grenze, denn aus dem Norden kamen die meisten Feinde Englands. Binnen weniger Jahre überwand König Artus den Norden und eroberte Schottland und Wales. Einige Gebiete behaupteten sich zwar zunächst gegen ihn, doch schließlich unterwarf er sie alle.

Als das ganze Land befriedet und die Ordnung hergestellt war, und nachdem Artus sich als ein wahrer König erwiesen hatte, zog er mit seinen Rittern nach Wales, um sich in der altehrwürdigen Stadt Caerleon mit allem Zeremoniell krönen zu lassen, bestimmte den Pfingstsonntag zum Tag seiner Krönung und bereitete ein großes Fest für alle seine Untertanen vor.

Zahlreiche große Herren fanden sich mit ihren Gefolgsleuten in dieser Stadt ein. König Lot von Lothian und den Orkney-Inseln zog fünfhundert Rittern voran, der König von Schottland, ein noch sehr junger Mann, erschien mit sechshundert, und der König von Carados mit fünfhundert Rittern. Als letzter kam ein Fürst, der nur der König mit hundert Rittern genannt wurde, und seine Gefolgschaft war herrlich bewaffnet und ausgerüstet.

Artus war über die Versammlung befriedigt, denn er hoffte, sie seien alle gekommen, um ihn aus Anlaß seiner Krönung zu ehren. In seiner Freude sandte er Geschenke an die Könige und Ritter, die sich versammelt hatten. Doch seine Hoffnungen waren nichtig. Die Könige und Ritter wiesen die Geschenke zurück und beleidigten die Boten. Sie ließen Artus bestellen, daß sie von den Präsenten eines bartlosen Knaben von niedriger Geburt nichts wissen wollten. Sie erklärten den Boten des Königs, daß ihre Geschenke für Artus in Schwertstreichen und Krieg bestehen würden, denn es sei eine Schande, daß ein so edles Land von einem unedlen Kind regiert werden solle – und aus diesem Grund hätten sie sich eingefunden.

Als Artus die drohende Antwort erfuhr, erkannte er, daß seine Hoffnungen auf einen baldigen Frieden dahin waren. Er berief eine Versammlung seiner getreuen Ritter ein, besetzte auf ihren Rat einen starken Turm, ließ reichlich Waffen und Proviant hineinschaffen und bezog ihn mit fünfhundert seiner besten und tapfersten Ritter.

Dann begannen die aufrührerischen Lords den Turm zu belagern, vermochten ihn aber nicht einzunehmen, denn er wurde gut verteidigt.

Nach fünfzehntägiger Belagerung erschien Merlin in der Stadt Caerleon, und die Lords hießen ihn willkommen, weil sie Vertrauen zu ihm hatten. Sie begehrten von ihm zu wissen, warum der Knabe Artus zum König von England gemacht worden war.

Darauf sagte Merlin, der seine Freude an Überraschungen hatte: »Meine Lords, ich werde euch den Grund sagen. Artus ist der Sohn von König Uther Pendragon, geboren von Igraine, vormals Eheweib des Herzogs von Tintagel, und deshalb ist er der rechtmäßige König von England.«

Da riefen die Ritter: »Dann ist Artus ein Bastard, und ein Bastard kann nicht König sein.«

»Das ist nicht wahr«, sagte Merlin. »Artus wurde mehr als drei Stunden nach dem Tod des Herzogs empfangen, und dreizehn Tage danach vermählte sich Uther mit Igraine und machte sie zu seiner Königin, und deshalb ist Artus ehelich geboren und kein Bastard. Und ich sage euch jetzt, einerlei, welche und wie viele Männer sich ihm entgegenstellen mögen, Artus ist König, und er wird alle seine Feinde bezwingen und lange über England und Irland und Schottland und Wales wie auch über andere Königreiche herrschen, die aufzuzählen ich mir ersparen will.«

Einige der Könige waren erstaunt über Merlins Rede und glaubten, daß er die Wahrheit gesprochen habe. Doch König Lot und andere lachten ungläubig und schmähten Merlin als einen Hexer und Scharlatan. Äußerstenfalls seien sie zu der Zusage bereit, Artus anzuhören, sollte er herauskommen, um mit ihnen zu sprechen.

Darauf ging Merlin in den Turm und berichtete Artus, was er getan hatte. Und er sagte: »Fürchtet Euch nicht. Kommt mit hinaus und sprecht unerschrocken als ihr König und Oberhaupt zu ihnen. Schont sie nicht, denn es ist bestimmt, daß Ihr über sie alle herrschen werdet, ob sie es wollen oder nicht.«

Da faßte Artus Mut und verließ den Turm, doch um sich gegen Arglist zu sichern, trug er ein doppeltes Kettenhemd unter seinem Gewand. Der Erzbischof von Canterbury sowie Sir Bawdewyn von der Bretagne und Sir Kay und Sir Brastias, seine besten und tapfersten Ritter, begleiteten ihn.

Als Artus den rebellischen Lords entgegentrat, fielen auf beiden Seiten grobe, zornige Worte. Artus erklärte ihnen mit Entschiedenheit, er werde sie zwingen, sein Königtum hinzunehmen. Da wandten sich die Könige ergrimmt ab, um zu gehen, und Artus verspottete sie und bat sie höhnisch, auf ihr Wohl achtzuhaben, und sie entgegneten ihm bitter, auch er solle auf seine Gesundheit achten. Dann ging Artus wieder in den Turm, wappnete sich, was auch seine Ritter taten, und bereitete sich zur Verteidigung vor.

Nun trat Merlin zu den aufgebrachten Lords. Er sprach zu ihnen: »Ihr wäret besser beraten, Artus zu gehorchen, denn selbst wenn euer zehnmal so viele wären, wie ihr seid, würde er euch dennoch überwinden.«

König Lot antwortete Merlin. »Wir sind keine Männer«, erklärte er, »die sich von einem Schwindler und Traumdeuter Furcht einjagen lassen.«

Darauf verschwand Merlin und erschien drinnen im Turm an Artus’ Seite. Er riet dem König, rasch und mit Macht anzugreifen, solange die Rebellen nicht auf der Hut und untereinander uneins seien, und dies erwies sich als ein guter Ratschlag, denn die Lords wurden von zweihundert ihrer besten Mannen im Stich gelassen, die zu Artus übertraten, was ihm Mut und Zuversicht gab.

»Herr«, sagte Merlin, »schreitet jetzt zum Angriff, aber kämpft nicht mit dem Wunderschwert von dem Marmorstein, es sei denn, Ihr würdet hart bedrängt und gerietet in Gefahr. Nur dann dürft Ihr es ziehen.«

Dann fegte Artus inmitten seiner besten Ritter zum Tor des Turmes hinaus, überrumpelte die Feinde in ihren Zelten und stürzte sich, nach beiden Seiten Hiebe austeilend, auf sie. Artus führte die Schar an und kämpfte so furios und so gut, daß seine Ritter angesichts seiner Stärke und seiner Geschicklichkeit Mut und Selbstvertrauen gewannen und sich mit verdoppelter Kraft in den Kampf stürzten.

Einige von den Rebellen brachen nach hinten durch und griffen Artus’ Streitmacht in deren Rücken an, doch Artus wandte sich um, hieb nach vorne und hinten und blieb im dichtesten Kampfgetümmel, bis sein Pferd unter ihm getötet wurde. Als Artus auf der Erde stand, schlug König Lot ihn mit einem Streich nieder. Doch vier von Artus’ Rittern eilten zu seiner Rettung herbei und brachten ihm ein neues Pferd. Erst da zog der König das Wunderschwert, dessen funkelnde Klinge seine Feinde blendete, und er trieb sie zurück und tötete viele von ihnen.

Nun stürzte sich das gemeine Volk von Caerleon, bewaffnet mit Keulen und Stöcken, in den Kampf, riß feindliche Ritter aus den Sätteln und erschlug sie. Aber die meisten der Lords blieben beisammen, stellten ihre übriggebliebenen Ritter in Schlachtordnung auf und traten einen geordneten Rückzug an, den die Nachhut deckte. In diesem Stadium erschien Merlin vor Artus und riet ihm, die Feinde nicht zu verfolgen, denn seine Männer seien vom Kampf ermattet und an Zahl zu gering.

Nun erlaubte ihnen Artus, sich auszuruhen und zu erquicken. Und nach einiger Zeit, als wieder Ordnung eingekehrt war, zog er mit seinen Rittern zurück nach London und berief eine allgemeine Versammlung seiner treuen Barone ein. Merlin prophezeite, daß die aufrührerischen Lords den Krieg mit Einfällen und Raubzügen in das Königreich fortsetzen würden. Als der König seine Barone fragte, was er tun solle, erwiderten sie, sie könnten ihm nicht raten, sondern ihm nur ihre Kraft und ihre Loyalität anbieten.

Artus dankte ihnen für ihre mutvolle Unterstützung, sagte aber: »Ich bitte euch alle, die ihr mir zugetan seid, mit Merlin zu sprechen. Ihr wißt wohl, was er für mich getan hat. Er weiß viele seltsame und geheime Dinge. Wenn ihr mit ihm beisammen seid, fragt ihn um Rat, was wir tun sollen.«

Die Barone erklärten sich dazu bereit, und als Merlin zu ihnen kam, baten sie ihn um seinen Beistand.

»Ich gebe euch allen zu bedenken, daß eure Feinde zu stark für euch und daß sie so gute Kämpfer sind, wie man sie nur finden kann. Dazu kommt noch, daß sie mittlerweile ihr Bündnis durch vier weitere Lords und einen mächtigen Herzog gestärkt haben. Wenn der König nicht mehr Ritter findet, als es in seinem Königreich gibt, ist er verloren. Kämpft er gegen seine Feinde nur mit dem, was er hat, wird er besiegt und getötet werden.«

»Was sollen wir dann tun?« riefen die Barone. »Was schlägst du als besten Weg vor?«

»Mein Ratschlag lautet folgendermaßen«, sagte Merlin. »Jenseits des Kanals, in Frankreich, leben zwei Brüder, beide Könige und beide treffliche Recken. Der eine ist König Ban von Benwick und der andere König Bors von Gallien. Diese Könige liegen mit einem König namens Claudas im Krieg, der derart reich und mächtig ist, daß er so viele Ritter, wie er nur will, in seinen Dienst nehmen kann, was ihn den beiden brüderlichen Rittern überlegen macht. Ich schlage vor, unser König soll zwei vertrauenswürdige Ritter auswählen und sie zu den Königen Ban und Bors mit Briefen schicken, in denen er um Beistand gegen seine Feinde bittet und ihnen verspricht, daß er sie gegen König Claudas unterstützen werde. Nun, was meint ihr zu diesem Vorschlag?«

König Artus sagte, als er davon erfuhr: »Der Rat erscheint mir gut.« Er ließ zwei Briefe an die Könige Ban und Bors in den höflichsten Wendungen schreiben, berief Sir Ulfius und Sir Brastias zu sich und beauftragte sie, die Briefe zu überbringen. Sie ritten wohlgewappnet und auf guten Pferden davon, überquerten den Kanal und setzten ihre Reise nach der Stadt Benwick fort. Doch auf dem Weg dorthin gerieten sie an einer engen Stelle in einen Hinterhalt, gelegt von acht Rittern, die sie gefangennehmen wollten. Sir Ulfius und Sir Brastias baten die Ritter, sie passieren zu lassen, weil sie von König Artus von England zu den Königen Ban und Bors entsandte Boten seien.

»Es war verkehrt, das zu sagen«, antworteten die Ritter. »Wir sind König Claudas’ Männer.«

Dann legten zwei von ihnen ihre Lanzen ein und stürmten auf König Artus’ Ritter los, doch Sir Ulfius und Sir Brastias waren kampferprobte Männer. Sie beantworteten Angriff mit Gegenangriff, die Lanzen von Claudas’ Ritter zerbarsten beim Aufprall auf die geschickt parierenden Schilde, und die Männer wurden aus den Sätteln geschleudert. Ohne innezuhalten oder sich umzuwenden ritten Artus’ Ritter weiter. Aber die anderen sechs von Claudas’ Männern galoppierten vor ihnen her, bis die Straße sich wieder verengte, und dort legten zwei von ihnen ihre Lanzen ein und stürmten auf die Boten los. Doch die beiden ereilte das gleiche Schicksal wie vorher ihre Gefährten. Sie wurden aus dem Sattel geworfen und blieben hilflos auf der Erde liegen. Ein drittes und viertes Mal versuchten König Claudas’ Ritter, die Boten aufzuhalten, und jedesmal wurden sie besiegt, so daß alle acht Wunden und Prellungen davontrugen. Die Überbringer der Briefe ritten weiter, bis sie zu der Stadt Benwick kamen. Als die beiden Könige erfuhren, daß Sendboten gekommen waren, schickten sie ihnen Sir Lyonse, den Herrn von Payarne, und den wackeren Ritter Sir Phariance entgegen. Und als diese beiden hörten, daß die Boten von König Artus von England entsandt worden waren, hießen sie sie willkommen und brachten sie unverzüglich in die Stadt. Ban und Bors nahmen Sir Ulfius und Sir Brastias freundlich auf, weil sie von Artus kamen, der bei ihnen in hohem Ansehen stand. Dann küßten die Boten die Briefe, die sie bei sich trugen, und reichten sie den Königen, die mit Befriedigung den Inhalt vernahmen. Sie versicherten den Boten, daß sie auf König Artus’ Ersuchen eingehen würden. Und sie luden Ulfius und Brastias ein, nach ihrer langen Reise der Ruhe zu pflegen und mit ihnen zu tafeln. An der Tafel erzählten die beiden Boten von ihren Abenteuern mit den acht Rittern des Königs Claudas. Ban und Bors lachten über die Schilderung und sagten: »Ihr seht, unsere Freunde, unsere edlen Freunde haben euch gleichfalls willkommen geheißen. Wenn wir davon gewußt hätten, wären sie nicht so glimpflich davongekommen.« Dann erzeigten die beiden Könige den ritterlichen Sendboten jegliche Gastfreundschaft und machten ihnen so viele Geschenke, daß diese sie kaum zu tragen vermochten.

Sodann ließen sie Antwortbriefe an König Artus schreiben, in denen stand, sie würden ihm auf dem raschesten Weg und mit einer Streitmacht, so groß, wie sie sie nur aufzubieten vermöchten, zu Hilfe kommen. Die Boten ritten den Weg, den sie gekommen waren, unbehelligt zurück und fuhren über den Kanal nach England. König Artus war hocherfreut und fragte sie: »Wann, nehmt ihr an, können die beiden Könige kommen?«

»Sir«, antworteten die Ritter, »sie werden noch vor Allerheiligen hier sein.«

Darauf entsandte der König Boten in alle Gegenden seines Reiches, kündete für den Allerheiligentag ein großes Fest an und versprach Tjosten, Turniere und Belustigungen jeglicher Art.

Und die beiden Könige kamen, wie sie versprochen hatten, über den Kanal nach England und führten mit sich dreihundert ihrer besten Ritter, angetan mit den Gewändern des Friedens und versehen mit den Waffen und Harnischen des Krieges. Sie wurden von einem königlichen Geleit empfangen. Artus ritt ihnen entgegen und hieß sie zehn Meilen vor London willkommen, und große Freude erfüllte die Könige und das ganze Volk.

Am Allerheiligentag saßen die drei Könige zusammen an der erhöhten Tafel in der großen Halle, und Sir Kay, der Seneschall, und Sir Lucas, der Mundschenk, und Sir Gryfflet beaufsichtigten die Bedienung, denn diese drei Ritter waren über die ganze Dienerschaft des Königs gesetzt. Als das Mahl vorüber war und alles sich vom Fett der Speisen an den Fingern und Mänteln gesäubert hatte, zog die ganze Gesellschaft hinaus zum Turnierplatz, wo siebenhundert Ritter zu Pferde begierig darauf warteten, sich aneinander zu messen. Die drei Könige nahmen mit dem Erzbischof von Canterbury und Sir Ector, Kays Vater, ihre Plätze auf einer großen, mit schattenspendendem goldenem Tuch geschmückten Tribüne ein. Sie waren umgeben von schönen Damen und Edelfräulein, alle versammelt, um dem Turnier zuzusehen und zu entscheiden, wer am besten kämpfte.

Die drei Könige teilten die siebenhundert Ritter in zwei Parteien ein, die Ritter aus Gallien und Benwick auf der einen, Artus’ Ritter auf der anderen Seite. Die wackeren Kämpen legten die Schilde vor und ihre Lanzen ein, bereit zum Kampf. Sir Gryfflet machte den Anfang, und Sir Ladynas beschloß, ihn anzunehmen, und sie prallten mit solchem Ungestüm gegeneinander, daß ihre Schilde zerbrachen und die Pferde auf die Erde stürzten. Die beiden Ritter, der englische wie der französische, waren vom Sturz betäubt, so daß viele sie für tot hielten. Als Sir Lucas sah, daß Sir Gryfflet im Sand lag, trieb er sein Pferd zwischen die französischen Ritter, hieb mit seinem Schwert um sich und nahm es mit vielen zugleich auf. Angesichts dessen ritt Sir Kay, gefolgt von fünf Rittern, plötzlich los und schlug sechs gegnerische Ritter nieder. Keiner kämpfte an diesem Vormittag so glänzend wie Sir Kay, aber auch zwei französische Ritter, Sir Ladynas und Sir Grastian, erwarben sich einmütiges Lob. Als der wackere Sir Placidas sich Sir Kay vornahm und ihn, zusammen mit seinem Pferd, niederstreckte, ergriff Sir Gryfflet solcher Grimm, daß er Sir Placidas aus dem Sattel stieß. Dann wurden die fünf Ritter, als sie Sir Kay im Sand liegen sahen, ebenfalls vom Grimm gepackt, und jeder nahm sich einen französischen Ritter vor und warf den Gegner aus dem Sattel.

Nun erkannten König Artus und seine Bundesgenossen Ban und Bors, daß die Kampfeswut auf beiden Seiten stieg, und sie wußten, das Turnier drohte sich aus einem Kampfspiel in eine tödliche Schlacht zu verwandeln. Die drei Männer sprangen von der Tribüne, schwangen sich auf kleine Hackney-Pferde und ritten auf den Platz, um die außer Rand und Band geratenen Ritter zu zügeln. Sie befahlen ihnen, den Kampf einzustellen, den Turnierplatz zu räumen und sich in ihre Quartiere zu begeben. Nach einer Weile kühlte sich der Zorn der Männer ab, und sie gehorchten ihren Königen. Sie ritten zu ihren Unterkünften, legten die Rüstungen ab, gingen ruhig zur Vesper und verzehrten, davon milder gestimmt, ihr Abendbrot.

Nach dem Abendessen gingen die drei Könige in einen Garten und verliehen dort die Siegespreise an Sir Kay, Sir Lucas, den Mundschenk, und den jungen Gryfflet. Und als dies getan war, berieten sie sich und riefen Sir Ulfius und Sir Brastias und Merlin dazu. Sie sprachen über den bevorstehenden Krieg und über die Mittel, ihn zu führen, aber sie waren ermüdet und begaben sich bald zu Bett. Am nächsten Morgen, nach dem Besuch der Messe, nahmen sie ihre Beratung wieder auf, und es wurden viele Meinungen geäußert, was am besten zu tun sei. Schließlich aber einigte man sich auf einen Plan. Merlin sollte mit Sir Grastian und Sir Placidas nach Frankreich reiten – die beiden Ritter, um die Königreiche dort zu hüten, zu schützen und zu verwalten, Merlin, um ein Heer aufzustellen und es über den Kanal zu führen. Sie bekamen Bans und Bors’ königliche Ringe als Insignien ihrer Vollmacht mit auf den Weg.

Die drei Männer reisten nach Frankreich und kamen nach Benwick, wo die Bürger die von den Ringen symbolisierte Autorität anerkannten. Sie baten um Auskunft über Befinden und Erfolge ihrer Könige und vernahmen mit Wohlgefallen gute Nachrichten über sie.

Dann rief Merlin, vom König dazu ermächtigt, alle verfügbaren waffenfähigen Männer zusammen und erteilte ihnen Weisung, sich mit Waffen, Rüstung und Proviant für den Zug nach England zu versammeln. Fünfzehntausend bewaffnete Männer, zu Pferde und zu Fuß, folgten dem Aufruf. Sie strömten an der Küste mit ihren Waffen und dem mitgebrachten Mundvorrat zusammen. Merlin wählte aus ihren Reihen zehntausend Berittene aus und schickte die übrigen zurück, damit sie Grastian und Placidas bei der Verteidigung des Landes gegen ihren Feind König Claudas unterstützten.

Dann zog Merlin Schiffe zusammen und ließ die Pferde und die Bewaffneten an Bord gehen, und die Flotte überquerte den Kanal und landete in Dover. Auf geheimen Wegen, im Schutz von Wäldern und durch verborgene Täler führte er das Heer gen Norden und ließ es in einem abgelegenen, von Wald umgebenen Tal sein Lager aufschlagen. Er gebot den Männern, in diesem Versteck zu bleiben, ritt dann weiter zu Artus und den beiden Königen und berichtete ihnen, was er getan hatte, und daß zehntausend Berittene, bewaffnet und kampfbereit, versteckt im Wald von Bedgrayne kampierten. Die Könige waren voll des Staunens, daß Merlin in so kurzer Zeit so Großes zustande gebracht hatte, denn es erschien ihnen als ein Wunder, was es auch war.

Dann setzte König Artus sein zwanzigtausend Mann starkes Heer in Marsch, und um zu verhindern, daß feindliche Kundschafter seine Bewegungen ausforschten, schickte er Vortrupps aus. Diese sollten alle, die ihnen begegneten, anrufen und diejenigen gefangennehmen, die nicht Siegel und Zeichen des Königs vorweisen konnten. Seine Streitmacht zog Tag und Nacht ohne Rast dahin, bis sie dem Wald von Bedgrayne nahe war, wo die Könige in das versteckte Tal ritten und das wohlgewappnete Geheimheer vorfanden. Sie waren hocherfreut und erteilten Befehl, daß jedermann soviel Proviant und Kriegsgerät erhalten solle, wie er nur brauche.

Unterdessen hatten die Lords aus dem Norden, die noch ihre Wunden von der Niederlage in Caerleon leckten, ihren Rachezug vorbereitet. Die sechs ursprünglichen Anführer der Rebellen zogen noch fünf andere in ihr Bündnis, und allesamt rüsteten sie sich, um in den Kampf zu ziehen, und legten einen Eid ab, daß sie nicht ruhen wollten, bis König Artus zugrunde gerichtet war.

Hier nun die Anführer und die Stärke ihrer jeweiligen Streitmacht: der Herzog von Cambenet bot fünftausend Männer zu Pferde auf, König Brandegoris sagte gleichfalls fünftausend zu, König Clarivaus von Northumberland dreitausend. Der junge König mit den hundert Rittern stellte viertausend Berittene, König Urynes von Gore bot sechstausend auf, König Cradilment fünftausend, König Nentres fünftausend, König Carados fünftausend, und schließlich versprach König Anguyshaunce von Irland, fünftausend Berittene ins Feld zu führen. Dies also war die Heeresmacht des Nordens – fünfzigtausend wackere Kämpfer zu Pferde und zehntausend Mann wohlbewaffnetes Fußvolk. Die Feinde aus dem Norden sammelten sich rasch und zogen südwärts, während vor ihnen Kundschafter ausschwärmten. Unweit des Waldes von Bedgrayne gelangten sie vor eine Burg und begannen sie zu berennen. Dann, nachdem man ausreichend Männer für die Fortführung der Belagerung zurückgelassen hatte, zog das Gros des Heeres weiter und in die Richtung von König Artus’ Lager.

König Artus’ Vortrupps stellten die Kundschafter aus dem Norden, nahmen sie gefangen, und die Späher wurden gezwungen anzugeben, welche Richtung der Feind aus dem Norden eingeschlagen hatte. Dann wurden Männer ausgesandt, die das flache Land vor dem heranrückenden Heer verwüsten sollten, damit weder Mensch noch Tier Nahrung finden könne.

Zu dieser Zeit hatte der junge König mit den hundert Rittern einen wundersamen Traum, den er seinen Genossen erzählte. Er hatte geträumt, ein schrecklicher Sturmwind sei über das Land gefegt, habe Städte und Burgen verheert, und darauf sei eine Flutwelle gefolgt, die alles mit sich fortgerissen habe. Als die Lords von dem Traum erfuhren, sagten sie, er sei das Vorzeichen einer großen Entscheidungsschlacht.

Des jungen Königs Traum von dem Sturmwind und der verheerenden Flutwelle drückte sinnbildlich aus, was jedermann spürte: daß der Ausgang der Schlacht darüber entscheiden werde, ob Artus als König von England das ganze Reich in Frieden und Gerechtigkeit regieren oder ob der chaotische Hader ehrgeiziger Kleinkönige und damit die unselige Finsternis fortdauern würde, die sich mit Uther Pendragons Tod auf das Land gesenkt hatte.

Weil sie ihren Feinden zahlenmäßig unterlegen waren, überlegten König Artus und die mit ihm verbündeten Könige aus Frankreich, wie sie den Invasoren aus dem Norden entgegentreten könnten. Merlin beteiligte sich an ihren Gesprächen. Als die Späher die Route der herannahenden Feinde und die Stelle meldeten, wo sie das Lager für die Nacht aufschlagen würden, trat Merlin für einen nächtlichen Angriff ein, denn eine kleine und bewegliche Streitmacht sei gegenüber einem ruhenden, vom Anmarsch ermüdeten Heer im Vorteil.

Darauf zogen Artus, Ban und Bors mit ihren wackeren und erprobten Rittern in aller Stille los, und um Mitternacht griffen sie die schlafenden Feinde an. Doch die Wachtposten schlugen Alarm, und die Ritter aus dem Norden mühten sich verzweifelt, auf ihre Pferde zu kommen und sich zu verteidigen. Während Artus’ Männer durch die Lager tobten, die Zeltleinen kappten und alles daran setzten, den Feind zu überwältigen. Doch die elf Lords waren geübte und disziplinierte Kämpen. Sie stellten ihre Krieger rasch in Schlachtordnung auf, und das wütende Ringen dauerte in der Finsternis fort. In jener Nacht wurden zehntausend wackere Männer erschlagen, und als die Morgendämmerung heraufzog, durchbrachen die Lords aus dem Norden mit ihren Mannen König Artus’ Linien, und er gab ihnen den Weg frei, um seinen Männern eine Ruhepause zu gewähren und neue Pläne für die Schlacht zu ersinnen.

Merlin sagte: »Jetzt können wir ausführen, was ich mir zurechtgelegt habe. Zehntausend Männer, frisch und nicht ermüdet, halten sich im Wald versteckt. Laßt Ban und Bors das Kommando über sie übernehmen und sie zum Waldrand führen, aber so, daß sie dem Feind verborgen bleiben. König Artus soll seine Männer vor den Augen der Eindringlinge aus dem Norden in Schlachtordnung aufstellen. Wenn sie sehen, daß Ihr nur zwanzigtausend gegen ihre fünfzigtausend habt, werden sie jubeln, übermütig werden und in den Engpaß hineinziehen, wo Eure kleinere Streitmacht eine gleich große Chance haben wird.«

Die drei Könige stimmten dem Schlachtplan zu, und ein jeder begab sich auf seinen Posten.

Als die Heere im Frühlicht einander sahen, stellten die Männer aus dem Norden befriedigt fest, wie klein Artus’ Streitmacht war. Dann begannen Ulfius und Brastias mit dreitausend Kriegern den Angriff. Sie stießen in die Reihen der Feinde aus dem Norden, hieben nach rechts und links und fügten ihnen große Verluste zu. Als die elf Lords sahen, daß so wenige Männer es schafften, so tief in ihre Schlachtordnung einzudringen, erfüllte sie Scham, und sie begannen einen furiosen Gegenangriff.

Sir Ulfius’ Pferd wurde unter ihm getötet, aber er deckte sich mit seinem Schild und kämpfte zu Fuß weiter. Der Herzog Estance von Cambenet griff ihn an, um ihn zu töten, doch Sir Brastias, der seinen Freund in Gefahr sah, nahm sich Estance vor, und die beiden prallten mit solcher Wucht aufeinander, daß den Pferden die Knie bis zu den Knochen aufplatzten und die Männer herunterstürzten und betäubt liegenblieben. Dann trieb Sir Kay mit sechs Rittern einen Keil in das feindliche Heer, bis ihnen die elf Lords entgegentraten und Gryfflet und Sir Lucas, der Mundschenk, aus dem Sattel geworfen wurden. Nun entwickelte sich die Schlacht zu einem Getümmel herumwirbelnder, angreifender, mit den Schwertern dreinschlagender Ritter, und jeder Mann suchte sich einen Feind aus und nahm ihn sich wie im Zweikampf vor.

Sir Kay sah Gryfflet zu Fuß ungestüm weiterkämpfen. Er stieß König Nentres vom Pferd, führte es Gryfflet zu und half ihm hinauf. Mit derselben Lanze traf Sir Kay den König Lot und verwundete ihn. Als der junge König mit den hundert Rittern dies sah, sprengte er auf Sir Kay zu, warf ihn aus dem Sattel und führte sein Pferd zu König Lot.

So ging es weiter, denn jeder Ritter betrachtete es als Pflicht und Ehrensache, seinen Freunden beizustehen und sie zu verteidigen, und ein gepanzerter Ritter zu Fuß war wegen des Gewichts seiner Ausrüstung doppelt gefährdet. Die Schlacht wogte hin und her, und keine der beiden Seiten wich zurück. Gryfflet sah seine Freunde Sir Kay und Sir Lucas vom Pferd geworfen und vergalt Sir Kay seine Gefälligkeit. Er suchte sich den wackeren Ritter Sir Pynnel aus, stieß ihn mit seiner großen Lanze aus dem Sattel und führte das Pferd Sir Kay zu. Der Kampf dauerte fort, und viele Männer wurden aus dem Sattel gestoßen und verloren ihre Pferde an Gegner, die ebenfalls zu Boden geworfen worden waren. Ohnmächtiger Grimm erfüllte die elf Lords, weil ihr größeres Heer gegen Artus nicht vorankam und ihre Verluste an Toten und Verwundeten sehr hoch waren.

Nun warf sich König Artus mit leuchtenden, kampflustigen Augen ins Getümmel, und er sah Brastias und Ulfius auf dem Boden und in großer Gefahr, weil sie sich im Geschirr ihrer gestürzten Pferde verheddert hatten, die mit den Hufen wie wild auf sie einschlugen. Artus stürmte wie ein Löwe gegen Sir Cradilment an, trieb seine Lanze dem Ritter in die linke Seite, packte die Zügel, führte das Pferd zu Ulfius und sagte mit der grimmig-fröhlichen Artigkeit von Kämpen: »Mein alter Freund, mir scheint, Ihr könntet ein Pferd gebrauchen. Bitte nehmt das hier.«

Worauf Ulfius antwortete: »Wahrhaftig, ich kann eines gebrauchen. Habt Dank, Herr.« Dann griff König Artus wieder in den Kampf ein, mit Hieben und mit Finten. Er ließ sein Pferd nach rechts und links tanzen und kämpfte so glorreich, daß man es staunenden Auges sah.

Der König mit den hundert Rittern hatte gesehen, wie Sir Cradilment zu Boden geworfen wurde, und nahm sich Sir Ector, Artus’ Pflegevater, vor, stieß ihn aus dem Sattel und bemächtigte sich des Pferdes. Als Artus sah, daß Cradilment, den er erst jüngst besiegt hatte, auf Sir Ectors Pferd saß, ergrimmte er. Er griff Cradilment neuerlich an und traf ihn mit einem solch wuchtigen Schwerthieb, daß die Klinge durch Helm und Schild und tief in den Nacken des Pferdes fuhr, worauf Mann und Roß augenblicklich zu Boden stürzten. Unterdessen kam Sir Kay seinem Vater zu Hilfe, stieß einen Ritter vom Pferd und half Sir Ector hinauf.

Sir Lucas lag bewußtlos unter seinem Pferd, und Gryfflet mühte sich mannhaft, seinen Freund gegen vierzehn Ritter zu verteidigen. Dann griff Sir Brastias, nun wieder beritten, helfend ein. Er stieß sein Schwert dem ersten so vehement gegen das Visier, daß die Klinge dem Ritter zwischen die Zähne drang. Den zweiten traf er mit einem weit ausholenden Streich am Ellenbogen und hieb ihm glatt den Arm ab, der auf die Erde fiel. Einen dritten erwischte er an der Schulter, wo der Harnisch an die Halsberge stieß, und hieb sie ihm samt Arm ab. Die Erde war übersät mit verstümmelten Toten und sich vor Schmerz windenden Verwundeten, tote und um sich schlagende Pferde türmten sich zu Haufen, und der Boden war glitschig vom Blut. Von Hügel und Wald hallte der Schlachtenlärm wider – das Klirren von Schwertern gegen Schilde, der dumpfe Aufprall von Lanzenkämpfern, die mit gleicher Wucht zusammenstießen, Kampfrufe und Triumphschreie und gellende Flüche, das Wiehern sterbender Pferde und das jammervolle Stöhnen tödlich verwundeter Männer.

Aus ihrer versteckten Position im Wald beobachteten Ban und Bors den wogenden Kampf. Sie sorgten dafür, daß ihre Männer sich still verhielten und Ordnung bewahrten, obwohl viele der Ritter vor Begierde zitterten und zappelten, sich ins Getümmel zu stürzen, denn die Kampfeslust ist für einen Kämpen eine ansteckende Sache.

Unterdessen nahm das Gemetzel seinen Fortgang. König Artus sah, daß er seine Feinde nicht niederzwingen konnte. Rasend wie ein verwundeter Löwe wandte er sich vorwärts und rückwärts gegen jeden, der sich ihm zum Kampf stellte, so daß alle ringsum des Staunens voll waren. Mit Schwertstreichen nach rechts und links tötete er zwanzig Ritter, und König Lot verwundete er so schwer an der Schulter, daß dieser das Schlachtfeld verlassen mußte. Gryfflet und Sir Kay kämpften zu beiden Seiten ihres Königs und gewannen mit Schwerthieben gegen die Leiber ihrer Feinde Ruhm.

Nun ritten Ulfius und Brastias und Sir Ector gegen den Herzog Estance, Clarivaus, Carados und den König mit den hundert Rittern und trieben sie aus dem Kampfgetümmel hinaus. Hinter der Masse der Kämpfenden besprachen sie ihre Lage. König Lot war schwer verwundet, sein Herz bedrückt von den schrecklichen Verlusten, und es nahm ihm den Mut, daß kein Ende der Schlacht abzusehen war. Und so sprach er zu den anderen Lords: »Wenn wir von unserem Plan durchzustoßen nicht abgehen, werden wir in dem Engpaß allmählich aufgerieben werden. Ich schlage vor, daß fünf von uns zehntausend Männer aus der Schlacht führen, damit sie frische Kraft schöpfen können. Zugleich sollen die anderen Lords den Engpaß halten, den Feinden möglichst viel Schaden zufügen und sie ermüden. Dann, wenn sie abgekämpft sind, wollen wir sie mit den zehntausend Männern, frisch und ausgeruht, angreifen. Wenn wir sie schlagen wollen, ist das die einzige Chance, die ich sehen kann.«

Dieser Vorschlag fand Zustimmung, und die sechs Lords kehrten aufs Schlachtfeld zurück und kämpften mit verbissenem Einsatz, um den Feind zur Ader zu lassen und zu ermatten.

Nun gehörten zur Vorhut der in ihrem Versteck wartenden Streitmacht von Ban und Bors zwei Ritter, Sir Lyonse und Sir Phariance. Sie erspähten König Idres allein und anscheinend kampfesmüde. Und entgegen ihren Befehlen brachen die beiden französischen Ritter aus ihrer Deckung und sprengten auf ihn zu. König Anguyshaunce sah die Angreifer, rief den Herzog von Cambenet und eine Schar Ritter zu sich, und zusammen umzingelten sie die beiden, so daß sie sich nicht in den Wald zurückziehen konnten. Wiewohl sie sich tapfer verteidigten, wurden sie schließlich aus dem Sattel geworfen.

Als König Bors, der aus dem Wald zusah, das leichtsinnige Ungestüm seiner zwei Ritter bemerkte, erfaßte ihn Kummer wegen ihres Ungehorsams und ihrer bedrängten Lage. Er sammelte einen Trupp und stürmte wie ein Blitz aus dem Wald, so daß er einen schwarzen Streifen in die Luft zu brennen schien. König Lot sah ihn, erkannte ihn sogleich an dem Wappen auf seinem Schild und schrie auf: »Jetzt steh uns Jesus bei in Todesgefahr! Dort sehe ich einen der besten Ritter auf der ganzen Welt mit einer Schar ausgeruhter Ritter kommen.«

»Wer ist der Mann?« wollte der junge König mit den hundert Rittern wissen.

Lot sagte: »Es ist König Bors von Gallien. Wie mag er in unser Land gekommen sein, ohne daß wir es erfahren haben?«

»Vielleicht war das Merlins Werk«, sagte ein Ritter.

Aber Sir Carados sagte: »Ein großer Held mag er ja sein, aber ich werde Euren König Bors von Gallien zum Kampf herausfordern, und Ihr könnt mir ja Hilfe schicken, sollte ich welche nötig haben.«

Dann ritten Carados und seine Männer langsam dahin, bis sie nur noch eine Bogenschußweite von König Bors entfernt waren, und erst dann trieben sie ihre Pferde zu einem halsbrecherischen Galopp an. Bors sah sie heranstürmen und sagte zu seinem Patensohn, der sein Bannerträger war: »Jetzt werden wir sehen, wie diese Briten aus dem Norden mit ihren Waffen umgehen.« Und er gab seinen Männern das Zeichen zum Angriff.

König Bors nahm sich einen Ritter vor, durchbohrte ihn mit seiner Lanze, zog dann sein Schwert, hieb um sich wie ein Berserker, und die Ritter folgten seinem Beispiel. Sir Carados wurde zu Boden gestreckt, und es bedurfte des jungen Königs und einer großen Ritterschar, um ihn herauszuhauen.

Dann brachen König Ban und seine Gefolgschaft aus ihrer versteckten Position hervor; Bans Schild trug grüne und goldene Streifen. Als König Lot den Schild sah, sagte er: »Jetzt sind wir in doppelter Gefahr. Ich sehe dort den angesehensten und tapfersten Ritter von der Welt, König Ban von Benwick. Es gibt nicht noch einmal zwei solche Brüder wie die Könige Ban und Bors. Wir müssen den Rückzug antreten, sonst werden wir getötet.«

Ban und Bors stürmten mit ihren zehntausend ausgeruhten Männern so ungestüm heran, daß die Reserven des Nordens abermals in die Schlacht geworfen werden mußten, obwohl sie noch nicht ausgeruht waren. Und König Lot weinte vor Mitgefühl, als er sah, wie viele wackere Ritter tot vom Pferd sanken.

Nun kämpften König Artus und seine Bundesgenossen Ban und Bors Schulter an Schulter und teilten unentwegt tödliche Hiebe aus, und viele der Kämpen verließen ermattet, ohne Hoffnung und voller Furcht das Schlachtfeld und flohen, um ihre Haut zu retten.

Vom Heer aus dem Norden hielten König Lot und Morganoure und der König mit den hundert Rittern ihre Männer zusammen und kämpften tapfer und trefflich weiter. Der junge König sah, was für ein Blutbad König Ban anrichtete, und versuchte ihn auszuschalten. Er legte seine Lanze ein, ritt auf Ban los und traf ihn am Helm, so daß Ban benommen wankte. Doch er schüttelte den Kopf, die Kampfeswut erfaßte ihn, er gab seinem Pferd die Sporen und sprengte hinter seinem Gegner her, der, als er Ban kommen sah, den Schild hob, um den Angriff zu parieren. König Bans großes Schwert durchschlug den Schild und den Harnisch und das stählerne Sattelzeug und blieb im Rückgrat des Tieres stecken, so daß das Schwert, als das Pferd stürzte, König Ban aus der Hand gerissen wurde.

Der junge König trat von seinem gestürzten Pferd weg und stach mit seinem Schwert König Bans Pferd in den Bauch. Darauf sprang Ban herab, packte sein Schwert und schlug damit dem jungen König so machtvoll aufs Haupt, daß er zu Boden fiel und das erschöpfende Gemetzel an wackeren Rittern und Fußsoldaten wollte und wollte kein Ende nehmen.

König Artus erschien im Gedränge und traf zwischen toten Männern und Pferden König Ban zu Fuß an, der wie ein wunder Löwe kämpfte, so daß keiner, der in den Umkreis von Bans Schwert geriet, ohne Wunde blieb.

König Artus war furchterregend anzusehen. Sein Schild war mit Blut bedeckt, so daß sich sein Waffenzeichen nicht erkennen ließ, und von seinem verkrusteten Schwert troffen Blut und menschliches Gehirn. Artus sah in der Nähe einen Ritter, der auf einem guten Pferd saß, stürmte auf ihn zu und trieb ihm sein Schwert durch Helm, Gehirn und Zähne, führte das Pferd König Ban zu und sagte: »Teurer Bruder, hier ist ein Pferd für Euch. Es tut mir leid, daß Ihr verwundet seid.«

»Die Wunden sind bald versorgt«, sagte Ban. »Ich glaube bei Gott, daß meine Blessuren nicht so schwer sind wie manche, die ich anderen zugefügt habe.«

»Dessen bin ich gewiß«, sagte Artus. »Ich habe aus der Ferne Eure Waffentaten gesehen, konnte Euch aber in dem Augenblick nicht zu Hilfe kommen.«

Das Blutvergießen ging weiter, bis König Artus schließlich Einhalt gebot, und nur mit Mühe brachten die drei Könige ihre Männer dazu, sich vom Feind zu lösen und in den Wald und dann über einen kleinen Fluß zurückzuziehen, hinter dem die Krieger ins Gras fielen und einschliefen, denn sie hatten zwei Tage und eine Nacht nicht geruht.

Und auf dem blutgedüngten Schlachtfeld versammelten sich die elf Lords aus dem Norden mit ihren Mannen in Trauer und Trübsal. Sie hatten nicht verloren, aber sie hatten auch nicht gewonnen.

König Artus wunderte sich über den zähen Kampfgeist der nördlichen Ritter und war zornig, denn auch er hatte weder gewonnen noch verloren.

Doch die Könige aus Frankreich redeten ihm höflich zu und sagten: »Ihr dürft sie nicht tadeln. Sie haben nur getan, was die Pflicht guter Krieger ist.« Und König Ban sagte: »Bei meiner Treu, sie sind die tapfersten Ritter und haben sich hervorragend geschlagen. Wenn sie auf Eurer Seite stünden«, fuhr er fort, »könnte sich kein König in der Welt einer solchen Gefolgschaft rühmen.«

Artus antwortete: »Erwartet trotzdem nicht von mir, daß ich sie ins Herz schließe. Sie haben es auf meinen Untergang abgesehen.«

»Das wissen wir wohl, denn wir haben es gesehen«, sagten die Könige. »Sie sind Eure Todfeinde und haben es bewiesen. Dennoch ist es schade, daß sie, so treffliche Ritter, gegen Euch stehen.«

Mittlerweile versammelten sich die elf Lords auf dem blutgetränkten Schlachtfeld, und König Lot richtete das Wort an sie. »Meine Lords«, sagte er, »wir müssen irgendeine neue Form des Angriffs finden, sonst geht der Krieg so weiter wie bisher. Ihr seht um Euch Eure gefallenen Männer. Ich glaube, für unseren Mißerfolg läßt sich zum großen Teil unser Fußvolk verantwortlich machen. Es bewegt sich zu langsam, so daß unsere Berittenen auf die Leute warten oder bei dem Versuch, sie zu retten, ihr Leben drangeben müssen. Ich schlage vor, daß wir das Fußvolk während der Nacht fortschicken. Die Wälder werden ihm Deckung bieten, und der edle König Artus wird sich kaum mit Fußsoldaten abgeben. Und wir wollen die Pferde zusammenhalten und abmachen, daß jeder, der zu fliehen versucht, des Todes sein soll. Es ist besser, einen Feigling zu töten, als durch einen Feigling umzukommen. Was meint Ihr dazu?« schloß Lot. »Antwortet mir – jeder von Euch!«

»Ihr habt wohl gesprochen«, sagte Sir Nentres, und die anderen Lords pflichteten ihm bei. Dann schworen sie, im Leben und im Tod zusammenzuhalten. Nach diesem feierlichen Gelöbnis besserten sie die Geschirre ihrer Rösser aus, säuberten und reparierten ihre Ausrüstung. Und dann stiegen sie in den Sattel, stellten neue Lanzen aufrecht auf ihre Schenkel und saßen regungslos und starr wie Felsen auf ihren Pferden. Als Artus, Ban und Bors sie dort auf ihren Rössern sitzen sahen, konnten sie dieser Disziplin und solch ritterlichem Mut ihre Bewunderung nicht versagen.

Dann baten vierzig von König Artus’ besten Rittern um die Erlaubnis, gegen den Feind reiten und seine Aufstellung sprengen zu dürfen. Und diese vierzig Männer spornten ihre Pferde zu vollem Galopp an, die Lords senkten ihre Lanzen, stürmten ihnen entgegen, und das erbitterte, tödliche Ringen ging weiter. Artus, Ban und Bors griffen wieder ein und töteten rechts und links von sich Feinde. Das Schlachtfeld war mit verstümmelten Männern übersät, die Pferde glitten im Blut aus, und ihre Beine waren bis über die Fesseln davon gerötet. Doch allmählich wurden Artus’ Mannen von der unbeugsamen Disziplin der Männer aus dem Norden zum Zurückweichen gezwungen, bis sie wieder über den kleinen Fluß gingen, über den sie gekommen waren.

Nun kam Merlin auf einem großen Rappen herbeigeritten und rief König Artus zu: »Wollt Ihr denn nie ein Ende machen? Habt Ihr noch nicht genug getan? Von sechzigtausend Männern zu Beginn der Schlacht sind nur noch fünfzehntausend am Leben. Es ist an der Zeit, dem Blutbad Einhalt zu gebieten, sonst wird Gott Euch zürnen.« Und er fuhr fort: »Die aufrührerischen Lords haben geschworen, das Feld keinesfalls lebend zu räumen, und wenn Männer dazu entschlossen sind, können sie viele andere in den Tod mitnehmen. Ihr vermögt sie jetzt nicht zu bezwingen. Ihr könnt sie nur unter schweren Verlusten töten. Deshalb, Herr, zieht Euch so rasch wie möglich vom Schlachtfeld zurück und gönnt Euren Männern Erholung. Belohnt Eure Ritter mit Gold und Silber, denn sie haben es verdient. Kein Lohn ist zu reich für sie. Noch nie haben sich so wenige Ritter ehrenvoller und tapferer gegen einen überlegenen Feind gehalten. Eure Ritter haben sich heute den besten Kämpen der Welt als ebenbürtig erwiesen.«

Die Könige Ban und Bors riefen: »Merlin spricht die Wahrheit!«

Dann hieß Merlin sie gehen, wohin sie wollten. »Drei Jahre lang, kann ich Euch versprechen, wird dieser Feind Euch nicht behelligen«, sagte er zu König Artus. »Diese elf Lords haben mehr auf dem Hals, als sie ahnen. Über vierzigtausend Sarazenen sind an ihren Küsten gelandet und ziehen sengend, brennend und mordend umher. Sie belagern die Burg Wandesborow und verwüsten alles Land. Deshalb habt Ihr von diesen Rebellen lange Zeit nichts zu befürchten. Sie werden zu Hause alle Hände voll zu tun haben.« Und Merlin fuhr fort: »Sobald die Beute auf dem Schlachtfeld eingesammelt ist, übergebt sie König Ban und König Bors, damit sie ihre Ritter belohnen können, die für Euch gekämpft haben. Die Kunde von diesen Geschenken wird sich verbreiten, und wenn Ihr in Zukunft Bedarf an Männern habt, werden sie sich einstellen. Eure eigenen Ritter könnt ihr später belohnen.«

König Artus sagte: »Dein Rat ist gut, ich werde ihn befolgen.«

Dann wurde der Beuteschatz auf dem blutgetränkten Schlachtfeld eingesammelt – Rüstungen und Schwerter und Edelsteine aus dem Besitz der Gefallenen, Sättel, Pferdegeschirre und Zaumzeug von den Kriegsrössern. Diese wertvollen Trophäen wurden den Königen Ban und Bors übergeben, und diese wiederum verteilten sie an ihre Ritter.

Danach nahm Merlin von König Artus und den königlichen Brüdern von der anderen Seite des Meeres Abschied und machte sich auf den Weg zu Meister Blayse, dem Chronisten. Merlin erzählte ihm die Geschichte der großen Schlacht und ihres Ausgangs und berichtete die Namen und Waffentaten jedes Königs und jedes tapferen Ritters, der dabei gekämpft hatte, und Meister Blayse schrieb in seine Chronik Wort für Wort, wie Merlin es ihm sagte. Und auch in Artus’ künftigen Tagen brachte Merlin die Kunde von Schlachten und Abenteuern zu Meister Blayse, der sie in sein Buch schrieb, damit die Nachwelt davon lese und sie im Gedächtnis behalte.

Nachdem Merlin dies getan hatte, kehrte er zur Burg Bedgrayne im Wald von Sherwood zurück, wo sich König Artus aufhielt. Er traf dort am Morgen nach Lichtmeß ein, verkleidet, wie er es so gerne tat. Er war, als er vor König Artus trat, in ein schwarzes Schaffell gehüllt, trug ein rostbraunes Gewand, und seine Füße steckten in großen Stiefeln. In der einen Hand hielt er einen Bogen und einen mit Pfeilen gefüllten Köcher, in der anderen ein Paar Wildgänse. Er ging zum König und sagte dreist: »Sir, wollt Ihr mir nicht ein Geschenk machen?«

Artus fiel auf die Verkleidung herein. Er sagte ärgerlich: »Wie käme ich dazu, einem Mann deinesgleichen etwas zu schenken?«

Und Merlin sagte: »Ihr wäret gut beraten, mir etwas zu schenken, was sich nicht in Eurer Hand befindet, statt Reichtümer zu verlieren. An der Stätte, wo die Schlacht stattfand, ist ein Schatz in der Erde vergraben.«

»Woher willst du das wissen, du Flegel?«

»Merlin, mein Meister, hat es mir gesagt.«

Da erkannten Ulfius und Brastias, daß er wieder einmal einen Streich spielte. Lachend sagten sie: »Herr, er hält Euch zum Narren. Es ist Merlin selbst.«

Da war der König beschämt, weil er Merlin nicht erkannt hatte, und ebenso erging es Ban und Bors, und sie lachten alle, weil er sie gefoppt hatte. Merlin war über den gelungenen Schabernack glücklich wie ein Kind.

Nun, da die Schlacht Artus’ Königtum etwas mehr befestigt hatte, erschienen große Herren und Damen, um ihm zu huldigen, und unter ihnen war auch das holde Edelfräulein Lyonors, die Tochter des Grafen Sanam. Als sie vor den König trat, sah er, daß sie schön war. Er wurde sogleich von Liebe zu ihr ergriffen, und sie erwiderte seine Liebe, und es zog sie zueinander hin, und Lyonors empfing einen Knaben, der den Namen Borre erhielt und später ein wackerer Ritter der Tafelrunde wurde.

Nun wurde Artus gemeldet, daß König Royns von Nord-Wales König Lodegrance von Camylarde, Artus’ Freund, angegriffen habe. Artus beschloß, Lodegrance Beistand zu leisten. Doch zuvor noch wurden die französischen Ritter, die es nach Hause zog, nach Benwick geschickt, um bei der Verteidigung der Stadt gegen König Claudas mitzuhelfen.

Als sie fort waren, zogen Artus und Bors und Ban mit zwanzigtausend Männern nach dem Land Camylarde, wofür sie sieben Tage brauchten, töteten zehntausend von König Royns’ Mannen, schlugen die übrigen in die Flucht und erretteten König Lodegrance von seinem Feind. Lodegrance dankte ihnen und bewirtete sie in seiner Burg und gab ihnen Geschenke. Und bei dem Festmahl sah König Artus zum erstenmal König Lodegrances Tochter. Sie hieß Guinevere, und Artus liebte sie sogleich und immerdar, und später machte er sie zu seiner Königin.

Nun war für die französischen Könige die Stunde des Aufbruchs gekommen, denn die Nachricht hatte sie erreicht, daß König Claudas ernstlich Krieg gegen ihre Länder führe. Und Artus erbot sich, sie zu begleiten.

Doch die Könige anworteten ihm: »Nein, Ihr dürft dieses Mal nicht mitkommen, denn Ihr habt hier viel zu tun, um Ordnung und Frieden in Eurem Königreich zu schaffen. Und wir bedürfen derzeit Eurer Hilfe nicht, weil wir dank der vielen Geschenke, die Ihr uns gemacht habt, wackere Ritter anwerben können, die uns gegen Claudas beistehen werden.« Und sie fuhren fort: »Wir versprechen Euch bei unserem gnädigen Gott, daß wir nach Euch schicken werden, wenn wir Hilfe brauchen, und wenn Ihr des Beistands bedürft, braucht Ihr nur nach uns zu schicken, und wir werden Euch ungesäumt zu Hilfe kommen. Das schwören wir.«

Dann sprach Merlin, der in der Nähe stand, eine Prophezeiung aus. »Diese beiden Könige«, sagte er, »brauchen nie mehr zum Kämpfen nach England zurückzukehren. Gleichwohl werden sie nicht lange von König Artus getrennt sein. Binnen ein, zwei Jahren werden sie seines Beistands bedürfen, und er wird ihnen gegen ihre Feinde zur Seite stehen, so wie sie ihn gegen seine Feinde unterstützt haben. Die elf Lords des Nordens werden alle an ein und demselben Tag sterben, von der Hand zweier mutvoller Ritter, des Balin le Savage und seines Bruders Balan.« Dann schwieg Merlin.

Als die aufrührerischen Lords vom Schlachtfeld abgerückt waren, zogen sie zu der Stadt Surhaute in König Uryens’ Land, wo sie Rast machten, sich erquickten und ihre Wunden verbanden, und das Herz war ihnen schwer, weil sie so viele ihrer Getreuen verloren hatten. Sie waren noch nicht lange dort, als ihnen von den vierzigtausend Sarazenen, die ihre Länder verbrannten und verwüsteten, und von gewissen gesetzlosen Männern berichtet wurde, die ihre, der Lords, Abwesenheit dazu nutzten, ohne Erbarmen zu rauben, zu brennen und zu plündern.

Die elf Lords klagten: »Jetzt wird Kummer auf Kummer gehäuft. Wenn wir nicht gegen König Artus gekämpft hätten, würde er uns jetzt beistehen. Von König Lodegrance können wir keine Hilfe erwarten, weil er Artus’ Freund ist, und Royns ist zu sehr mit seinem eigenen Krieg beschäftigt, um uns zu Hilfe zu kommen.«

Nachdem sie sich weiter beraten hatten, beschlossen sie, die Grenzen Cornwalls, Wales’ und des Nordens zu sichern. König Idres wurde mit viertausend Männern in die Stadt Nauntis in der Bretagne entsandt, um sie gegen Angriffe von der Land- oder Seeseite zu schützen. König Nentres von Garlot besetzte mit viertausend Männern die Stadt Windesan. Achttausend Krieger bemannten die Festen an den Grenzen von Cornwall, während andere in Marsch gesetzt wurden, damit sie die Marken von Wales und Schottland verteidigten. Dergestalt hielten die Lords zusammen, um ihrer Bedrängnis abzuhelfen. Außerdem zogen sie neue Bundesgenossen an sich. König Royns kam herbei, nachdem er von Artus geschlagen worden war. Und ohne Unterlaß stärkten die Lords aus dem Norden ihre Heere und sammelten Kriegsgerät und legten Vorratslager für die Zukunft an, denn sie waren entschlossen, sich wegen der Schlacht bei Bedgrayne an Artus zu rächen.

Um zu Artus zurückzukehren: Nachdem Ban und Bors Abschied genommen hatten, zog er mit seinen Getreuen zu der Stadt Caerleon. Dann erschien an seinem Hof die Gemahlin König Lots von den Orkney-Inseln, angeblich um eine Botschaft zu überbringen, in Wahrheit aber in der Absicht zu spionieren. Sie kam reich gewandet und mit einem königlichen Gefolge aus Rittern und Edeldamen. König Lots Gemahlin war eine überaus liebliche Frau, und Artus begehrte sie und wohnte ihr bei, und sie empfing ein Kind von ihm, den späteren Sir Mordred. Die Königin verweilte einen Monat an Artus’ Hof und begab sich dann auf die Heimreise. Und Artus ahnte nicht, daß sie seine Halbschwester war und daß er eine Sünde begangen hatte.

Nachdem die Dame seinen Hof verlassen hatte und das einfache Werk des Krieges getan war und die französischen Könige, diese freundwilligen und tatkräftigen Gesellen, fortgezogen waren, blieb Artus sein Reich, England, das ihn noch nicht wirklich als König akzeptiert hatte. Im Krieg, in der Geselligkeit und der Liebe hatte er es vermieden, daran zu denken, doch nun, da er Muße hatte, war er beschwert und voller Zweifel. Und er träumte einen Traum, der ihm Furcht einflößte, denn er war der Ansicht, daß Träume wichtig seien, was auch der Fall ist. Er träumte, daß Drachen und Schlangen in sein Land krochen und mit ihrem Feueratem die Menschen töteten und die Saaten und Ernten verbrannten. Und er träumte, daß er ebenso kraft- wie aussichtslos gegen sie kämpfte, daß sie ihn bissen, versengten und verwundeten, er aber trotzdem weiter- und weiterkämpfte, und am Ende schien es ihm doch, daß er viele der Untiere erschlagen und die übrigen vertrieben hatte.

Als Artus erwachte, lag ihm der Traum schwer auf der Seele, schwarz und unheilkündend. Er vergällte ihm den Tag, und um ihn zu verscheuchen, scharte er ein paar Ritter und Gefolgsleute um sich und ritt mit ihnen zum Jagen in den Wald.

Schon bald stöberte der König einen großen Hirsch auf, gab seinem Pferd die Sporen und nahm die Verfolgung auf. Doch auch diese hatte etwas von seinem nächtlichen Traum an sich. Mehrmals war er fast nahe genug, um den Speer auf den Hirsch zu schleudern, mußte aber jedesmal erleben, daß das Tier sich ihm wieder entzog. In seinem Drang, es zu erjagen, trieb er sein Pferd bis zur Erschöpfung an, bis es stolperte, strauchelte und tot zusammenbrach. Der Hirsch entkam. Dann schickte König Artus einen Diener los, der ein neues Pferd holen sollte. Er setzte sich an eine kleine Quelle, das Traumgefühl noch immer über ihm, und die Lider sanken ihm schläfrig herab. Und während er so dasaß, glaubte er das Bellen von Jagdhunden zu hören. Dann trat aus dem Wald ein seltsames, unnatürliches Tier von einer ihm unbekannten Art, und das Hundegebell kam aus dem Bauch dieses Tieres. Es trat an die Quelle, um zu trinken, und während es soff, hörte das dumpfe Bellen auf, doch als es sich in die Waldesdichte entfernte, kam aus seinem Bauch abermals das Bellen vieler Jagdhunde, die Witterung aufgenommen haben. Den König überkam Staunen an diesem traumverdüsterten Tag, und seine Gedanken waren schwer und schwarz, und er schlief ein.

Dann schien es Artus, daß sich ihm ein Ritter zu Fuß näherte und sagte: »Ritter, umfangen von Gedanken und Schlaf, sagt mir, ob Ihr hier ein seltsames Tier vorüberkommen saht.«

»Sehr wohl«, sagte der König, »aber es ist weitergegangen, in den Wald hinein. Doch sagt, was kümmert Euch dieses Tier?«

»Sir«, antwortete der Ritter, »dem Tier gilt meine Ausfahrt, und ich verfolge es schon seit langer Zeit und habe mein Pferd zuschanden geritten. Wollte Gott, ich hätte ein anderes, damit ich meine Suche fortsetzen kann.«

Dann erschien ein Diener Artus’, der ein Pferd für ihn brachte, und der Ritter bat ihn inständig darum. »Ich bin nun zwölf Monate unterwegs und muß meine Ausfahrt fortsetzen.«

»Herr Ritter«, sagte der König, »tretet Eure Ausfahrt mir ab, und ich will das Tier weitere zwölf Monate verfolgen, denn ich brauche eine solche Ablenkung, damit mir leichter ums Herz wird.«

»Eure Bitte ist närrisch«, sagte der Ritter. »Es ist meine Fahrt, und sie kann nicht abgetreten werden. Nur meine nächsten Verwandten könnten sie mir abnehmen.« Dann trat der Ritter rasch zum Pferd des Königs, schwang sich in den Sattel und sagte: »Vielen Dank, Sir. Das Pferd gehört jetzt mir.«

Der König rief: »Ihr könnt mir mein Pferd wohl mit Gewalt wegnehmen, aber laßt uns doch mit den Waffen entscheiden, ob Ihr es mehr verdient als ich.«

Im Davonreiten rief der Ritter über die Schulter zurück: »Nicht jetzt, doch zu jeder anderen Zeit könnt Ihr mich hier an dieser Quelle antreffen, mit Freuden bereit, Euch Genugtuung zu leisten.« Und damit verschwand er in den Wald. Der König befahl seinem Diener, ein anderes Pferd zu holen und sank dann wiederum in sein düsteres, träumerisches Grübeln.

Es war ein Tag unter einem Zauberbann, einer jener Tage mit verzerrter Realität, wie ein Spiegelbild in bewegtem Wasser. Und so dauerte der Tag fort – denn nun näherte sich ein Knabe von vierzehn Jahren und fragte den König, warum er so in Gedanken verloren sei.

»Ich habe allen Grund dafür«, gab der König zur Antwort, »denn ich habe merkwürdige und wundersame Dinge gesehen und empfunden.«

Der Knabe sagte: »Ich weiß, was Ihr gesehen habt. Ich kenne alle Eure Gedanken. Und ich weiß auch, daß nur ein Narr sich über Dinge sorgt, an denen er nichts ändern kann. Ich weiß noch mehr als das. Ich weiß, wer Ihr seid, und daß König Uther Euer Vater und Igraine Eure Mutter war.«

»Das ist nicht wahr«, sagte Artus zornig. »Wie solltest du solche Dinge wissen? Du bist nicht alt genug dafür.«

Der Knabe sagte: »Ich weiß über diese Dinge besser Bescheid als Ihr – besser als sonst jemand.«

»Ich glaube dir nicht«, sagte der König, und er war so aufgebracht über den vorlauten Knaben, daß dieser wegging. Wieder überkam Artus die umdüsterte Stimmung.

Nun näherte sich ein Greis, nicht weniger als achtzig Jahre alt und mit einem Gesicht, aus dem Weisheit sprach. Artus war froh darüber, denn er brauchte Stärkung gegen seine schwarzen Gedanken.

Der alte Mann fragte: »Warum seid Ihr so traurig?«

Und der König antwortete: »Ich bin traurig und verwirrt von vielen Geschehnissen, und gerade eben kam ein Knabe zu mir und sagte mir Dinge, die er nicht wissen konnte und auch nicht wissen sollte.«

»Das Kind hat Euch die Wahrheit gesagt«, sagte der alte Mann. »Ihr müßt lernen, Kinder anzuhören. Es hätte Euch noch viel mehr erzählt, wenn Ihr es erlaubt hättet. Aber Euer Sinn ist düster und verschlossen, weil Ihr eine Sünde begangen habt und Gott über Euch ungehalten ist. Ihr habt Eurer Schwester beigewohnt und sie geschwängert. Und dieses Kind wird, wenn es herangewachsen ist, Euren Rittern und Eurem Reich und Euch selbst den Untergang bringen.«

»Was sagt Ihr da?« rief Artus. »Wer seid Ihr?«

»Ich bin Merlin als alter Mann. Aber ich war auch Merlin als Kind, um Euch zu lehren, jedem Menschen Gehör zu schenken.«

»Du bist ein Mann der Wunderdinge«, sagte der König. »Immer ist Geheimnis um dich. Sag mir, als Prophezeiung – ist es wahr, daß ich im Kampf sterben muß?«

»Es ist Gottes Wille, daß Ihr für Eure Sünden bestraft werdet«, erwiderte Merlin. »Aber Ihr solltet Euch freuen, daß Ihr einen anständigen und ehrenvollen Tod sterben werdet. Ich bin derjenige, der Anlaß zur Trauer hat, denn mir ist ein schändlicher und häßlicher und lächerlicher Tod bestimmt.«

Eine massige Wolke verdunkelte den Himmel, und die Wipfel der Waldbäume rauschten unter einem raschen Windstoß.

Der König fragte: »Aber wenn dir die Art deines Todes bekannt ist, könntest du dich ihm nicht vielleicht entziehen?«

»Nein«, sagte Merlin. »Es ist mir so gewiß, als wäre er bereits eingetreten.«

Artus blickte nach oben und sagte: »Es ist ein schwarzer Tag, ein Kummertag.«

»Es ist ein Tag wie jeder andere, Herr. Nur Euer Sinn ist schwarz und beschwert.«

Und indes sie so sprachen, brachten Leute aus Artus’ Gefolge frische Pferde herbei, und der König und Merlin stiegen in den Sattel und brachen nach Caerleon auf, und der dunkle Himmel öffnete sich, und stahlgrauer Regen fiel herab. Sobald der König, von Sorge beschwert, eine Gelegenheit dazu fand, rief er Sir Ector und Sir Ulfius zu sich und fragte sie nach den Umständen seiner Geburt und nach seinen Vorfahren aus. Sie sagten ihm, daß König Uther Pendragon sein Vater und Igraine seine Mutter gewesen sei.

»So hat es mir auch Merlin erzählt«, sagte Artus. »Ich möchte, daß ihr Igraine holen laßt. Ich muß mit ihr sprechen. Erst wenn sie selbst sagt, daß sie meine Mutter ist, kann ich es glauben.«

Dann wurde rasch nach der Königin geschickt, und sie kam zusammen mit ihrer Tochter Morgan le Fay, einer Dame von eigenartiger Schönheit. König Artus hieß sie artig willkommen.

Und als sie in der großen Halle saßen, zusammen mit dem ganzen Hof und den Gefolgsleuten an den langen Tischen, stand Sir Ulfius auf und redete Königin Igraine mit lauter Stimme an, so daß jedermann ihn hören konnte. »Ihr seid eine Dame voller Falsch!« rief er. »Ihr handelt übel gegen den König.«

Artus sagte: »Bedenkt, was Ihr sagt. Ihr erhebt eine schwerwiegende Anklage – einen Vorwurf, den Ihr nicht zurücknehmen könnt.«

Aber Sir Ulfius sagte: »Herr, ich spreche durchaus mit Bedacht, und hier ist mein Handschuh, den ich jedem hinwerfe, der mir widerspricht. Ich behaupte, daß Königin Igraine die Ursache all Eurer Kümmernisse ist, der Grund für die Unzufriedenheit und Aufsässigkeit in Eurem Reich und die wahre Ursache des schrecklichen Krieges. Hätte sie zu König Uthers Lebzeiten zugegeben, daß sie Eure Mutter ist, wäre es nicht zu all den Wirren und blutigen Kämpfen gekommen. Eure Untertanen und Eure Barone hatten nie Gewißheit über Eure Abkunft, haben nie an Euren eindeutigen Anspruch auf die Krone geglaubt. Aber wenn Eure Mutter bereit gewesen wäre, um Euretwillen und dem Lande zuliebe ein wenig Schande auf sich zu nehmen, wären diese schweren Zeiten nicht über uns gekommen. Deshalb behaupte ich, daß sie Euch und Eurem Reich Schaden bringt, und ich biete jedem, der das Gegenteil sagt, meinen Leib zum Kampf dar.«

Da wandten sich alle Augen Igraine neben dem König an der erhöhten Tafel zu. Sie saß eine Weile stumm und mit niedergeschlagenen Augen da. Dann hob sie den Kopf und sprach leise: »Ich bin eine Witwe und kann nicht um meine Ehre kämpfen. Ist vielleicht irgendein braver Mann hier, der mich verteidigt?

Hier meine Antwort auf die Anklage: Merlin weiß wohl, und auch Ihr, Sir Ulfius, wißt, daß König Uther dank Merlins Zauberkunst zu mir in der Gestalt meines Gatten kam, der damals bereits seit drei Stunden tot war. In jener Nacht empfing ich von König Uther ein Kind, und nach dem dreizehnten Tag vermählte er sich mit mir und machte mich zu seiner Königin. Auf Uthers Befehl wurde mir mein Kind, als es geboren war, weggenommen und Merlin übergeben. Ich habe nie erfahren, was aus ihm wurde, nie seinen Namen gekannt, nie sein Gesicht gesehen, nie etwas über sein Schicksal erfahren. Ich schwöre, das ist die Wahrheit.«

Da wandte Sir Ulfius sich Merlin zu und sagte: »Wenn es wahr ist, was sie sagt, bist du mehr zu tadeln als sie.«

Und die Königin rief: »Ich habe ein Kind von meinem Gebieter, König Uther, geboren, aber nie erfahren, was aus ihm geworden ist – niemals!«

Da erhob sich König Artus, trat zu Merlin, nahm ihn an der Hand und führte ihn zu Königin Igraine. Er fragte ruhig: »Ist das meine Mutter?«

Und Merlin sagte: »Ja, Herr, das ist Eure Mutter.«

Da nahm König Artus seine Mutter in die Arme und küßte sie. Er weinte, und sie sprach ihm tröstend zu. Nach einer Weile warf der König den Kopf nach hinten, seine Augen leuchteten, und er rief laut, daß ein Freudenfest gefeiert werden solle, ein großes Fest von acht Tagen Dauer.

Es war damals der Brauch, daß alle Barone, Ritter und Gefolgsleute, die in der großen Halle tafelten, an beiden Seiten zweier langer Tische entsprechend ihrem Adelsrang oder ihrer Stellung plaziert waren, während der König, die hohen Würdenträger des Reiches und die Damen an einer erhöhten Tafel am Ende des Saales dem versammelten Hof gegenübersaßen. Und während sie schmausten und tranken, kamen Männer – Sänger und Spielleute und Erzähler –, um den König zu unterhalten, und sie stellten sich zwischen die langen Tische, die Gesichter dem erhöhten Platz des Königs zugewandt. Außerdem kamen zu solchen Festen auch Leute mit Geschenken und Ehrengaben oder solche, die vom König Gerechtigkeit gegen Übeltäter erbaten. Hier stellten sich auch die Ritter auf, die um die Erlaubnis für eine Ausfahrt baten, und wenn sie zurückkehrten, standen sie an derselben Stelle und berichteten von ihren Abenteuern. Ein Fest bestand aus viel mehr als nur aus Essen und Trinken.

Zu Artus’ Fest kam ein Knappe in die große Halle geritten, und er hielt einen toten Ritter in den Armen. Er berichtete, im Wald habe ein anderer Ritter ein Zelt aufgeschlagen und fordere jeden Ritter, der vorüberkam, zum Kampf auf. Der Knappe sagte: »Und dieser hat den braven Ritter hier, Sir Miles, erschlagen, der mein Herr war. Ich bitte darum, Herr, daß Sir Miles ein ehrenvolles Begräbnis erhält und irgendein Ritter auszieht, um ihn zu rächen.« Darauf erhob sich großer Lärm in der Halle, und jeder schrie, was er dazu meinte.

Der junge Gryfflet, der nur Knappe war, trat vor den König und bat darum, in Anerkennung seiner Dienste während des Krieges zum Ritter geschlagen zu werden.

Der König wandte ein: »Ihr seid noch zu jung, von zu zartem Alter, um in einen so hohen und anspruchsvollen Stand einzutreten.«

»Sir«, sagte Gryfflet, »ich bitte Euch inständig, macht mich zum Ritter.«

Merlin aber sprach: »Es wäre ein Jammer, das zu tun und ihn in den Tod zu schicken, denn er wird ein trefflicher Recke sein, wenn er volljährig ist, und Euch zeit Eures Lebens die Treue bewahren. Doch wenn er gegen den Ritter im Wald antritt, werdet Ihr ihn vielleicht nie mehr sehen, denn derselbige ist einer der besten, stärksten und klügsten Ritter von der Welt.«

Artus bedachte sich und sagte dann zu Gryfflet: »Wegen Eurer Dienste, die Ihr mir geleistet habt, kann ich Euch den Wunsch nicht abschlagen, selbst wenn ich es wollte.« Er berührte Gryfflet mit seinem Schwert und schlug ihn so zum Ritter. Und dann sprach Artus: »Nun, da ich Euch mit der Ritterwürde beschenkt habe, verlange ich von Euch ein Geschenk.«

»Ich werde alles tun, was Ihr von mir wünscht«, sagte Sir Gryfflet.

König Artus sagte: »Ihr müßt mir bei Eurer Ehre versprechen, daß Ihr es bei einem einzigen Waffengang gegen den Ritter im Wald bewenden laßt, bei einem einzigen, und ohne weiterzukämpfen hierher zurückkehrt.«

»Das verspreche ich«, sagte Sir Gryfflet.

Sodann wappnete er sich rasch, schwang sich in den Sattel, nahm Schild und Lanze und galoppierte davon, bis er zu dem Brunnen nahe dem Waldpfad kam. Daneben sah er ein reichgeschmücktes Zelt und ein Kriegsroß mit Sattel und Zaumzeug. An einem Baum in der Nähe hing ein buntbemalter Schild, und gegen den Baumstamm lehnte eine Lanze. Dann schlug Sir Gryfflet mit dem Schaft seiner Lanze gegen den Schild, so daß er herabfiel. Aus dem Zelt kam ein bewaffneter Mann und fragte: »Warum habt Ihr meinen Schild heruntergestoßen, Sir?«

»Weil ich mit Euch tjosten will«, antwortete Gryfflet.

Der Ritter seufzte und sagte: »Sir, das tut lieber nicht. Ihr seid noch sehr jung und unerfahren. Ich bin viel stärker als Ihr und ein kampferprobter Krieger. Zwingt mich nicht, gegen Euch zu kämpfen, junger Herr.«

»Ihr kommt mir nicht davon«, sagte Sir Gryfflet. »Ich bin ein Ritter, und ich habe Euch zum Kampf aufgefordert.«

»Es ist nicht fair«, sagte der Ritter, »doch nach den ritterlichen Regeln muß ich, wenn Ihr darauf besteht.« Und er fragte: »Woher kommt Ihr, junger Herr?«

»Ich bin ein Ritter von König Artus’ Hof«, erwiderte Gryfflet, »und ich verlange die Tjost.«

Dann stieg der Ritter zögernd auf sein Pferd und nahm seinen Platz ein, und die beiden legten ihre Lanzen ein und stürmten gegeneinander an. Beim Aufprall zerbrach Sir Gryfflets Lanze, doch die des starken Ritters bohrte sich durch Schild und Harnisch, fuhr Gryfflet in die linke Seite, brach dann ab, und der Stumpf blieb in seinem Körper stecken. Sir Gryfflet stürzte zu Boden.

Der Ritter blickte traurig auf den Gestürzten hinab, stieg vom Pferd, ging zu ihm hin und band ihm den Helm los. Zu seinem Leidwesen stellte er fest, daß Gryfflet schwer verwundet war. Er hob ihn hoch, setzte ihn auf sein Pferd und sprach ein Gebet für den jungen Mann. »Er hat ein mutvolles Herz«, sprach der Ritter zu sich, »und wenn sein Leben erhalten werden kann, wird er eines Tages zeigen, was in ihm steckt.« Dann schickte er das Pferd den Weg zurück, den es gekommen war. Es trug den blutenden Gryfflet an Artus’ Hof, und dort war der Jammer um ihn groß. Man reinigte seine Wunde, pflegte ihn, und es dauerte lange, bis seine Lebensgeister wiederkehrten.

Während Artus seinem Kummer über Gryfflets Wunde nachhing, kamen zwölf Ritter, hoch an Jahren, an seinen Hof geritten. Sie seien, erklärten sie, Boten des Kaisers von Rom. In seinem Namen forderten sie Artus auf, ihm zu huldigen, und sagten, sollte dies nicht geschehen, würde Artus mit seinem ganzen Königreich zugrunde gerichtet werden.

Da geriet Artus in Zorn, und er sagte: »Wenn Ihr nicht freies Botengeleit hättet, würde ich Euch auf der Stelle töten. Aber ich achte Eure Immunität als Gesandte. Nehmt dies als Antwort mit: Ich schulde dem Kaiser keine Huldigung, doch wenn er gleichwohl eine fordert, wird er sie von mir mit Lanzen und Schwertern bekommen. Das schwöre ich bei meinem seligen Vater. Bringt ihm diesen Bescheid zurück.«

Die Boten schieden voll Zorn. Sie waren zur Unzeit gekommen.

Der König war erzürnt und sann auf Rache, weil Sir Gryfflet verwundet worden war. Er fühlte sich dafür verantwortlich, denn wenn er auf Merlin gehört und den Ritterschlag verweigert hätte, hätte Gryfflet den Ritter vom Brunnen nicht zum Zweikampf gefordert. Artus fand, er müsse die Konsequenz daraus ziehen, daß er an Gryfflets Verwundung schuldig sei. Und als es Nacht geworden war, befahl er einem Diener, sein Pferd, seinen Schild, seine Rüstung und Lanze an eine Stelle vor der Stadt zu bringen und dort auf ihn zu warten. Noch vor Tagesanbruch begab sich der König heimlich zu dem Treffpunkt, wappnete sich, stieg auf sein Pferd und hieß seinen Diener bleiben, wo er war. So ritt König Artus allein in den Wald, um Sir Gryfflet zu rächen oder für seine Unüberlegtheit Buße zu tun, denn mehr noch als sein Königtum achtete er seine Ehre als Mann.

Der König ritt leise von der Stadt weg und beim ersten Tageslicht in den Wald hinein. Und zwischen den Bäumen sah er drei Bauern in Lumpenkleidung, die mit Keulen in den Händen hinter Merlin herliefen, um ihn zu erschlagen. Artus galoppierte auf sie zu, und als sie den bewaffneten Ritter sahen, wandten sie sich zur Flucht, um ihr Leben zu retten, und verbargen sich in der Waldestiefe. Artus erreichte Merlin und sagte: »Siehst du, trotz all deiner Zauberkünste hätten sie dich umgebracht, wenn ich nicht des Weges gekommen wäre.«

Merlin erwiderte: »Die Vorstellung schmeichelt Euch, aber sie ist falsch. Ich hätte mich jederzeit retten können, wäre es mein Wille gewesen. Ihr seid der Gefahr näher, als ich es war, denn Ihr reitet dorthin, wo Euch der Tod drohen mag, und Gott ist nicht auf Eurer Seite.«

Sie zogen weiter, bis sie zu dem Brunnen abseits des Pfades und dem reichgeschmückten Zelt kamen, auf dem das Licht der aufgehenden Sonne lag. Und auf einem Stuhl neben dem Zelt saß gelassen ein bewaffneter Ritter, an den Artus nun das Wort richtete.

»Herr Ritter«, sagte er, »warum bewacht Ihr diesen Weg und fordert jeden Ritter zum Kampf, der daherkommt?«

»Das ist bei mir der Brauch«, sagte der Ritter.

»Dann sage ich Euch, laßt ab von dem Brauch«, sagte der König.

»Es ist mein Brauch«, wiederholte der Ritter, »und ich werde dabei bleiben. Jedem, der damit nicht einverstanden ist, steht es frei, ihn abzuschaffen, falls er es kann.«

»Ich werde ihn abschaffen«, sagte Artus.

»Und ich werde ihn verteidigen«, versetzte der Ritter. Er stieg in den Sattel, legte den Schild vor und nahm eine große Lanze in die Hand. Die beiden sprengten aufeinander zu und handhabten ihre Lanzen so vollendet, daß jede die Mitte des gegnerischen Schildes traf und zersplitterte. Dann zog Artus sein Schwert, doch der Ritter rief ihm zu: »Nein, nicht das! Tjosten wir noch einmal mit Lanzen.«

»Ich habe keine mehr«, sagte Artus.

»Ihr bekommt eine von meinen. Ich habe genug davon«, antwortete der Ritter, und sein Knappe holte zwei neue aus dem Zelt und reichte jedem eine. Dann gaben sie wieder ihren Pferden die Sporen, rasten mit einem gewaltigen Anprall gegeneinander, und wiederum trafen die Lanzen genau und zerbarsten. Und abermals griff Artus an sein Schwert. Aber der Ritter sagte: »Sir, Ihr seid der beste Tjoster, der mir jemals begegnet ist. Eurem Rittertum zu Ehren – tjosten wir noch einmal.«

»Einverstanden«, sagte Artus.

Dann wurden wieder neue Lanzen gebracht, und sie stürmten noch einmal gegeneinander, doch diesmal zerbrach Artus’ Lanze, die seines Gegners hingegen zwang Pferd samt Reiter zu Boden. Artus trat von seinem Pferd weg, zog sein Schwert und sagte: »Ich werde zu Fuß gegen Euch kämpfen, da ich zu Pferde verloren habe.«

Und der Ritter sagte spottend: »Ich sitze noch zu Pferde.«

Da wurde der König wütend, legte seinen Schild vor und ging auf den im Sattel sitzenden Gegner los.

Als der Ritter diesen entschlossenen Mut sah, sprang er rasch vom Pferd, denn er war ein Mann von Ehre, und einen unfairen Vorteil zu nutzen war nicht seine Art. Er zog das Schwert, und die beiden fochten ungestüm, stachen und hieben und parierten Gegenhiebe, und die Schwerter stießen durch die Schilde und drangen in die Harnische, das Blut tropfte und floß und ihre Hände wurden glitschig davon. Dann stürmten sie in erneutem Grimm wieder gegeneinander wie zwei Widder. Die Klingen ihrer Schwerter prallten mitten im Zuhauen zusammen, und Artus’ Schwert zerbrach in zwei Stücke. Er wich zurück, ließ die Hand sinken und stand traurig und stumm da.

Da sagte der Ritter höflich: »Ich bin also Sieger und kann wählen, ob ich Euch töte oder leben lasse. Ergebt Euch und erkennt an, daß Ihr besiegt seid, sonst müßt Ihr sterben.«

Darauf sagte Artus: »Der Tod ist mir willkommen, wenn er mir bestimmt ist, nicht aber die Niederlage. Ich werde mich nicht ergeben.« Und damit machte er, unbewaffnet, einen Satz und packte den Ritter um die Körpermitte, warf ihn zu Boden und riß ihm den Helm vom Kopf. Aber der Ritter hatte große Kräfte. Er rang mit Artus und drehte und wendete sich, bis er sich freigekämpft hatte. Er riß Artus den Helm herunter und hob sein Schwert, um ihn zu erschlagen.

In diesem Augenblick griff Merlin ein und sagte: »Ritter, haltet ein! Dieser Mann ist bedeutender, als Ihr wißt. Wenn Ihr ihn tötet, schlagt Ihr dem Königreich eine furchtbare Wunde.«

»Was willst du damit sagen?«

»Es ist König Artus«, sagte Merlin.

Da ergriff den Ritter Furcht vor dem Grimm des Königs. In Panik hob er abermals das Schwert, um ihn zu erschlagen. Doch Merlin blickte ihm in die Augen und ließ einen Zauber wirken. Das Schwert des Ritters sank herab, und er selbst in einen tiefen Schlaf.

Da rief Artus: »Merlin, was hast du getan? Hast du diesen wackeren Ritter mit deiner Zauberei getötet? Er war einer der besten Ritter auf der Welt. Ich würde alles dafür geben, wenn er am Leben bliebe.«

Merlin sagte: »Macht Euch keine Gedanken um ihn, Herr. Er ist nicht so schwer verwundet wie Ihr. Er schläft jetzt und wird binnen einer Stunde erwachen.« Und er fuhr fort: »Heute morgen habe ich Euch gewarnt, was für ein gewaltiger Recke er ist. Es gibt keinen besseren auf der Erde als ihn. Er wird Euch in Zukunft gute Dienste leisten.«

»Wer ist er?« fragte Artus.

»Er heißt König Pellinore. Und die Zukunft sagt mir, daß er zwei Söhne bekommen wird, Percival und Lamorake, und daß diese zu großen Rittern heranwachsen werden.«

Der König war von seinen Wunden geschwächt, und Merlin führte ihn in eine nahegelegene Einsiedelei, wo der Eremit Artus’ Wunden säuberte, Wundbalsam darauf strich und mit Verbänden das Blut stillte. Drei Tage lag der König dort, ehe er imstande war, auf sein Pferd zu steigen und weiterzureiten. Und als er dann mit Merlin an seiner Seite dahinritt, sagte er bitter: »Du mußt stolz darauf sein, mir zu dienen, Merlin, einem besiegten König, einem großen, wackeren Ritter, der nicht einmal ein Schwert besitzt, verwundet und wehrlos. Was ist ein Ritter ohne Schwert? Ein Nichts – ja, weniger als ein Nichts.«

»So redet ein Kind«, sagte Merlin, »nicht ein König und nicht ein Ritter, sondern ein gekränktes und zorniges Kind, denn sonst wüßtet Ihr, Herr, daß eine Krone noch keinen König und ein Schwert noch keinen Ritter macht. Ihr wart ein echter Ritter, als Ihr waffenlos, mit bloßen Händen Pellinore angegriffen habt.«

»Aber er hat mich besiegt.«

»Ihr wart ein echter Ritter«, wiederholte Merlin. »Irgendwo auf der Welt wartet auf jeden eine Niederlage. Manche werden von einer Niederlage vernichtet, andere macht ein Sieg klein und schäbig. Wer über Niederlage wie über Sieg gleichermaßen erhaben ist, in dem lebt wahre Größe. Aber Ihr möchtet ein Schwert haben. Wohlan, Ihr sollt eines bekommen. Hier in der Gegend gibt es ein Schwert, das Euer sein soll, wenn ich Euch dazu verhelfen kann.«

Sie ritten, bis sie an einen breiten See mit klarem, köstlichem Wasser kamen. Und in der Mitte des Sees sah Artus einen Arm in einem Ärmel aus reicher weißer Seide herausragen, und die Hand hielt ein Schwert an der Scheide in die Höhe. Merlin sagte: »Dort ist das Schwert, von dem ich gesprochen habe.«

Dann sahen sie ein Fräulein leichtfüßig über die Wasserfläche gehen.

»Das ist ein Wunder«, sagte der König. »Wer ist dieses Fräulein?«

»Es ist die Dame vom See«, sagte Merlin. »Und noch andere Wunder gibt es hier. Unter einem Felsen tief im See ist ein Palast, so üppig und so schön wie nur irgendeiner auf der Welt, und dort wohnt die Dame. Sie wird jetzt auf Euch zukommen, und wenn Ihr höflich seid und sie artig darum bittet, wird sie Euch vielleicht das Schwert geben.«

Dann kam die Dame herbei, entbot Artus ihren Gruß, und er grüßte sie und sagte: »Madame, sagt mir doch bitte, was ist das für ein Schwert, das ich dort im See sehe? Ich wünschte, ich könnte es erlangen, denn ich habe keines.«

Die Dame sagte: »Das Schwert gehört mir, Herr Ritter, aber wenn Ihr mir dafür ein Geschenk gebt, sobald ich darum bitte, sollt Ihr das Schwert bekommen.«

»Bei meiner Ehre, ich werde Euch jeden Wunsch erfüllen, worum Ihr mich auch bitten mögt«, sagte der König.

Die Dame sagte: »Dann soll es Euer sein. Geht zu dem Kahn, den Ihr dort seht, rudert hinaus zu dem Arm und nehmt das Schwert samt Scheide an Euch. Ich werde um mein Geschenk bitten, wenn die Zeit dafür kommt.«

Dann stiegen Artus und Merlin von ihren Pferden, banden sie an Bäumen fest, gingen zu dem Kahn und ruderten zu dem emporgestreckten Arm hinaus. Sanft faßte Artus das Schwert, die Hand gab es frei, und Hand und Arm verschwanden im Wasser. Und die beiden ruderten zurück ans Ufer, stiegen auf ihre Pferde und ritten davon.

Unterwegs kamen sie an einem reichverzierten Zelt vorbei, das nahe dem Pfad stand, und Artus erkundigte sich danach.

»Wißt Ihr nicht mehr?« sagte Merlin. »Es ist das Zelt Eures Feindes von neulich, König Pellinore. Aber er ist nicht da. Er kämpfte gegen einen Eurer Ritter, Sir Egglame, der schließlich Fersengeld gab, um seine Haut zu retten. Pellinore jagte ihm nach und verfolgte ihn bis nach Caerleon. Wir werden ihm schon bald begegnen, wenn er zurückreitet.«

»Gut«, sagte Artus. »Jetzt habe ich ja wieder ein Schwert. Ich werde noch einmal gegen ihn antreten und diesmal nicht verlieren.«

»Das ist nicht wohl gesprochen, Sir«, sagte Merlin. »Der Ritter Pellinore ist vom Kampf und von der Verfolgungsjagd ermattet. Es brächte Euch wenig Ehre ein, ihn jetzt zu besiegen. Ich rate Euch, ihn passieren zu lassen, denn er wird Euch schon bald gute Dienste leisten, und nach seinem Tod werden Euch seine Söhne dienen. Ihr werdet binnen kurzem so zufrieden mit ihm sein, daß Ihr ihm Eure Schwester zur Frau gebt. Deshalb fordert ihn nicht heraus, wenn er vorüberreitet.«

»Ich werde mich an Euren Rat halten«, sagte der König, blickte das Schwert an und bewunderte seine Schönheit.

Merlin fragte: »Was gefällt Euch besser, das Schwert oder die Scheide?«

»Das Schwert natürlich«, sagte Artus.

»Die Scheide ist ungleich wertvoller«, sagte Merlin. »Solange Ihr sie bei Euch habt, könnt Ihr keinen Tropfen Blut verlieren, und mögen Eure Wunden noch so tief sein. Es ist eine zauberkräftige Scheide. Ihr werdet gut daran tun, sie immer zur Hand zu haben.«

Als sie in die Nähe von Caerleon kamen, begegneten sie König Pellinore, doch Merlin traute dem Temperament der beiden Ritter nicht und bewirkte deshalb durch einen Zauber, daß Pellinore sie nicht sah.

»Es ist sonderbar, daß er kein Wort sprach«, sagte Artus.

»Er hat Euch nicht gesehen«, erklärte Merlin. »Hätte er Euch bemerkt, wäre es zu einem Kampf gekommen.«

Und so gelangten sie nach Caerleon, und Artus’ Ritter freuten sich, als sie die Geschichte seiner Abenteuer hörten. Ihr Staunen war groß, daß der König sich ganz allein in Gefahr begeben hatte, und auch die Tapfersten priesen sich glücklich, einem Fürsten zu dienen, der wie jeder arme Ritter auf Abenteuer auszog.

Doch Artus konnte die Geselligkeit im Kreise seiner Ritter nicht richtig genießen, denn er geriet ins Grübeln, und seine Gedanken wanderten zurück zu Merlins Worten von der Sünde, die er mit seiner Schwester begangen habe, und zu der düsteren Prophezeiung, sein eigener Sohn werde ihm den Untergang bereiten.

Letzthin hatte König Royns von Nord-Wales, obwohl erst unlängst von Artus besiegt, beständig im Norden gewütet und Irland und die Inseln an sich gerissen. Nun entsandte er Boten, die König Artus eine schauerliche und hochfahrende Forderung überbrachten. König Royns, so lautete die Botschaft, habe die elf Lords des Nordens besiegt und ihnen zum Zeichen ihrer Unterwerfung die Bärte abgeschoren, um damit seinen Mantel zu schmücken. Zu diesen elf Bärten verlangte er nun einen zwölften – den von König Artus. Sollte Artus seinen Bart nicht übersenden, werde er, Royns, ins Land einfallen und es in einen brennenden Trümmerhaufen verwandeln, sich König Artus’ Bart holen und seinen Kopf obendrein.

Artus hörte sich die Botschaft an und reagierte beinahe heiter darauf, denn die Sache lenkte ihn einen Augenblick lang von seinen dunklen Vorgefühlen ab.

»Sagt Eurem Herrn, daß diese arrogante, schändliche Forderung angehört wurde. Bestellt ihm, mein Bart sei nicht dicht genug gewachsen, um seinen Mantel zieren zu können. Und was meine Unterwerfung betrifft, verspreche ich, ihn auf die Knie zu zwingen, daß er sich um Gnade bettelnd vor mir windet. Wenn er jemals mit Männern von Ehre Umgang gepflogen hätte, wäre er außerstande gewesen, eine solche Botschaft zu schicken. Diese Worte nehmt mit auf Euren Weg.« Und damit schickte er die Boten fort.

Dann fragte Artus seine versammelten Männer: »Kennt irgendeiner von euch diesen König Royns?«

Und einer der Ritter, Sir Naram, antwortete: »Ich kenne ihn gut, Herr. Er ist ein unbeherrschter, stolzer, leidenschaftlicher Mann. Aber nehmt ihn trotz seiner Arroganz ernst, denn er ist einer der besten Recken unter der Sonne. Und zweifelt nicht daran, daß er mit allem, was ihm zu Gebote steht, versuchen wird, seine Drohung wahr zu machen.«

»Ich werde ihn mir vornehmen«, sagte der König. »Sobald ich die Zeit dafür habe, werde ich mit ihm verfahren, wie er es verdient.«

Und wieder überkam ihn die grüblerische Stimmung. Er rief Merlin zu sich und stellte ihm Fragen. »Ist das Kind, von dem du gesprochen hast, schon geboren?«

»Ja, Herr.«

»Wann kam es zur Welt?«

»Am ersten Maitag, Herr«, sagte Merlin. Artus schickte ihn fort und saß dann mit zusammengekniffenen Augen da, und in seinem Innern sah es dunkel und böse aus. Der Gedanke war ihm unerträglich, daß seine blutschänderische Tat bekannt werden könnte, und zugleich hatte die Prophezeiung ihm Furcht eingejagt. Er suchte nach einem Weg, der Schande und seinem Schicksal zu entrinnen. Dann nahm in seinem Kopf ein grausamer und tückischer Plan Gestalt an, mit dem er seine Ehre und sein Leben retten wollte. Er schämte sich, Merlin etwas davon zu sagen, ehe er das Vorhaben ins Werk setzte. Um zu verhindern, daß seine blutschänderische Tat ans Licht kam, schickte er Kuriere zu allen seinen Baronen und Rittern mit dem Befehl, sämtliche am ersten Maitag geborenen Knaben zum König zu schicken, sonst sei ihr Leben verwirkt. Die Barone waren zornig und bekamen Angst, und viele suchten die Schuld mehr bei Merlin als beim König, doch sie wagten es nicht, nein zu sagen, und so wurde eine große Zahl am ersten Maitag geborener Kinder, die erst vier Wochen alt waren, zu Artus gebracht. Dann ließ der König die Babys an die Küste schaffen, denn er brachte es nicht übers Herz, sie abschlachten zu lassen. Er ließ die einen Monat alten Kinder auf ein Schiff bringen und das Segel in einen ablandigen Wind drehen. Es fuhr ohne irgendeine Begleitperson hinaus aufs Meer. Mit schamerfüllten und zugleich bösen Blicken beobachtete König Artus, wie das Schifflein den lebenden Beweis seiner sündigen Tat davontrug und mit zunehmender Entfernung immer kleiner wurde.

Der Wind frischte brausend auf, drehte sich und trieb das kleine Schiff zum Land zurück. Unterhalb einer Burg lief es auf ein Riff im Meer, zerbarst und entlud seine wimmernde Ladung in die Wellen. In seiner Hütte am Strand saß ein braver Mann und hörte einen Schrei, der den heulenden Wind und das Tosen der Brandung übertönte. Er ging ans Meer und fand im Sand einen Säugling, der zwischen Treibholzstücke eingeklemmt war. Der Mann hob ihn auf, barg ihn unter seinem wärmenden Mantel und trug ihn nach Hause. Und seine Frau nahm Mordred an die Brust und stillte ihn.