Gawain,Ewain und Marhalt

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König Artus brachte nach Camelot schwarze Gedanken und finsteren Zorn mit, denn gegen tückische Treulosigkeit kann man sich nicht wehren, und sie gebiert nichts als Grimm und Argwohn, an denen sich die Tiefe der Wunde ermessen läßt.

Der Zorn des Königs übertrug sich auf die Ritter am Hof. Ein Anschlag auf des Königs Person ist Hochverrat und richtet sich zugleich auch gegen alle seine Untertanen, die den Schlag spüren. Morgan le Fay, so sprachen die Ritter, habe den Feuertod verdient. Daß sie die Halbschwester des Königs war, machte ihr Verbrechen nur noch gräßlicher. Als Sir Manessen ihre trotzige Botschaft brachte, murrten die Ritter und blickten auf Artus, weil sie auf den Befehl warteten, sich zu wappnen – aber der König sagte nur bitter: »Ihr seht jetzt, was es heißt, eine teure, liebevolle Schwester zu haben. Ich werde auf meine eigene Weise damit verfahren und verspreche euch, daß die ganze Welt von meiner Rache sprechen wird.« Und daran erkannten die Ritter, daß ihr König ratlos war und noch keinen Plan gefaßt hatte.

Wie viele böse, grausame Frauen kannte Morgan le Fay die Schwächen der Männer, während sie ihre Stärken geringschätzte. Und sie wußte auch, daß die unwahrscheinlichsten Unternehmungen zum Erfolg führen können, sofern sie nur mit Kühnheit und ohne Zaudern ins Werk gesetzt werden, denn die Männer glauben trotz des gegenteiligen Beweises, daß Blut dicker als Wasser sei und daß eine schöne Frau nicht böse sein könne. So ersann Morgan ein tödliches Spiel mit Artus’ Arglosig- und Anständigkeit. Sie verfertigte ein Geschenk für ihren Bruder, einen Mantel von solcher Schönheit, daß sie wußte, bei seinem Anblick würden Artus die Augen übergehen. Blumen und geringelte Blätter, aus Edelsteinen gebildet, überzogen den Mantel mit Kostbarkeit und funkelnder Farbenpracht. Morgan le Fay schickte eines ihrer Fräulein damit zu Artus, und vorher studierte sie mit ihr noch ein, was sie sagen sollte.

Das Mädchen stand vor dem König und erschauerte angesichts seines kalten Zorns.

»Sir«, sagte sie, »Eure Schwester ist sich ihrer schrecklichen Untat inne geworden und weiß, daß ihr nicht verziehen werden kann. Sie hat sich mit ihrem Schicksal abgefunden, aber sie möchte, daß Ihr wißt, es war nicht ihr eigenes Tun, sondern das Werk eines bösen Geistes, der sie übermannte und ihr die Hand führte.« Das Fräulein sah Unschlüssigkeit in den Augen des Königs und ließ nicht locker. »Eure Schwester sendet Euch dieses Geschenk, Herr, eine Gabe, die Eurem Ruhm als ein gerechter, weiser und gnädiger König ansteht. Sie läßt Euch bitten, ihr Geschenk zu tragen, wenn Ihr über sie zu Gericht sitzt und vielleicht nicht des bösen Geistes gedenkt, in dessen Macht sie war, sondern der innig geliebten Schwester, der Ihr mit Eurer Güte immer das Herz erwärmt habt.«

Das Fräulein entrollte den glänzenden Mantel, breitete ihn vor dem König aus und beobachtete sein Gesicht. Sie wagte kaum zu atmen und sah, wie seine Augen vor Freude über das prachtvolle Stück leuchteten.

»Nun ja – böse Geister gibt es«, sagte er. »Das ist jedermann bekannt.«

»Eure Schwester hat diesen Mantel mit ihren eigenen weißen Fingern genäht, Herr. Sie hat jeden einzelnen Edelstein darauf gestickt und sich von niemandem dabei helfen lassen.«

Artus blickte den Mantel an. »Sie war schon immer geschickt«, sagte er. »Ich weiß noch, einmal, in ihrer Mädchenzeit …« Er streckte die Hand nach der glänzenden Pracht aus.

Da ertönte ein schriller Ruf: »Herr, rührt ihn nicht an!« Und Nyneve vom See trat vor Artus hin und sagte: »Sir, ich habe Euch schon einmal vor einem tückischen Anschlag gerettet.«

Die Augen des Königs wandten sich wieder dem glänzenden Mantel zu. Aber Nyneve sagte: »Sir, selbst wenn ich mich täusche, kann es nicht schaden, den Mantel zu prüfen. Laßt ihn doch zuerst Morgans Botin umlegen.«

Artus wandte sich dem zitternden Fräulein zu. »Zieht ihn an!«

»Das darf ich nicht«, sagte das Fräulein. »Es wäre nicht schicklich, sich den Mantel eines Königs umzulegen. Meine Herrin würde mir zürnen.«

»Ich vergebe Euch den Fehltritt. Zieht ihn an!«

Als das Mädchen zurückwich, hob Nyneve mit den Fingerspitzen den Mantel am Saum hoch und warf ihn dem Fräulein über die Schultern. Ihre Haut rötete sich und wurde dann schwarz, und sie sank in Zuckungen zu Boden, während das ätzende Gift sich durch ihr Fleisch fraß und es zu Asche verdorren ließ.

Artus blickte auf das Schreckensbild des zuckenden Unglückswesens in dem steinbesetzten Gewand, und schmerzliches Staunen über solche Tücke erfüllte ihn. »Mit ihren eigenen Händen hat meine Schwester mir dieses Todesgewand genäht«, sagte er. »Meine eigene Schwester!« Dann warf er allen ringsum argwöhnische Blicke zu und forderte Sir Uryens, Morgans Gemahl, auf, sich mit ihm unter vier Augen zu besprechen.

Als sie allein waren, sagte der König: »Sir, Treulosigkeit ist von allen Verbrechen das traurigste. Selbst wenn der Anschlag mißglückt, verbreitet sich das Gift. Sir Accolon hat, ehe er starb, seine Schuld eingestanden und geschworen, daß Ihr schuldlos wart – Ihr, mein Freund und Bruder. Doch Schuldlosigkeit ist kein Gegengift. Ich weiß, daß Ihr es abgelehnt habt, Euch gegen mich zu verschwören, aber wie kann ich vergessen, daß Ihr von einer Verschwörung wußtet? Immerhin fällt es mir leicht, Euch zu entschuldigen, weil ich weiß, daß meine Schwester Euch ebenso wie mich töten wollte. Ich werde mich bemühen, Euch zu vertrauen – freilich, wie läßt sich Vertrauen, das einen Knacks bekommen hat, wiederherstellen? Ich weiß es nicht. Was Euren Sohn und meinen Neffen, Sir Ewain, betrifft, so weiß ich von ihm nur, daß er vergiftete Muttermilch eingesogen hat. Dieselben Hände, die ihn großzogen, nähten Edelsteine an den mir zugedachten Todesmantel. Argwohn ist wie ekler Schimmel. Ewain muß den Hof verlassen. Ich kann keine Zeit daran verschwenden, jegliches, selbst unschuldiges Tun zu beargwöhnen.«

»Ich verstehe«, sagte Sir Uryens. »Wenn Euch eine Möglichkeit einfällt, wie ich meine Treue beweisen kann – ich bin zu allem bereit.«

»Schickt Euren Sohn fort«, sagte Artus.

Ewain fand sich damit ab, daß er vom Hof verwiesen wurde, und sagte: »Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, meine Unschuld zu beweisen. Ich werde auf eine Ausfahrt gehen, und meine Taten sollen für mich sprechen. Worte können Verräter sein, aber Taten brauchen keinen Anwalt.«

Sein Freund und Vetter Sir Gawain fand sich nicht so leicht damit ab. »Wer Euch verbannt, verbannt auch mich«, sagte er. »Ich gehe mit Euch. Das ist ungerecht.«

Und als Artus sah, wie sich die beiden wackeren jungen Ritter auf eine lange Reise vorbereiteten, sagte er nachdenklich: »Als ich Merlin noch hatte, war ich gegen niemanden mißtrauisch. Er wußte immer alles und bewahrte mich vor jeder Unsicherheit. Ich wünschte, ich hätte ihn wieder.« Doch dann entsann er sich der Andeutungen Merlins, was Guinevere betraf, und war sich nicht mehr so sicher, ob er die Zukunft kennen wollte. »Wenn man alles im voraus weiß, gibt es keine Hoffnung«, sagte er. »Und ohne Hoffnung würde ich dasitzen und die Hände in den Schoß legen, verrosten wie eine unbenützte Rüstung.«

Am nächsten Morgen noch vor Tagesanbruch hörten die beiden jungen Ritter die Messe, beichteten und empfingen die Absolution, so daß ihre Seelen ebenso rein schimmerten wie ihre Schwerter. Sie ritten von Camelot fort und voll Eifer in eine neue Welt der Wunder. Sie blickten zurück zu den alten Mauern von Camelot, die auf dem unbezwinglichen Hügel in den Morgenhimmel ragten, und zu den vier tiefen Gräben, die die Mauern sicherten. Sie waren froh und demütig-stolz, in einer Welt Männer zu sein, in der ein Mann etwas galt. Sie kamen durch Täler, umrahmt von Anhöhen, und sie sahen die grasüberwachsenen Umwallungen von Hügelfesten, zerfallen, noch ehe die Welt geboren wurde. Auf einer weiten, ebenen Wiese erblickten sie kreisförmig stehende gewaltige Steinblöcke, vielleicht von Völkern einer fernen Vergangenheit, wahrscheinlicher jedoch von bösen Geistern der Gegenwart dort hingestellt, doch da diese Dinge mit ihrer Ausfahrt nichts zu tun hatten, sahen sie weg und umritten sie in weitem Bogen.

Dann – in der Ferne war ein Wald zu sehen – näherten sie sich einem kegelförmigen Hügel, gekrönt mit dunklen Fichten, und ihre Pferde blieben zitternd, mit angelegten Ohren stehen und verdrehten vor Furcht die Augen, so daß nur noch das Weiße zu sehen war. Sir Ewain und Sir Gawain erkannten die Zeichen und wandten sich seitwärts, um das Hügelgrab zu vermeiden. Es ging sie nichts an, es war nicht ihre Welt. Ihre eigene Welt hatte ja der Wunderdinge genug.

Mit Erleichterung ritten sie in den schützenden Wald aus großen Eichen hinein und ließen die verwunschenen Gründe hinter sich. Die Baumstämme, dick wie Pferdeleiber, stiegen dunkel in die Höhe, und ein Dach aus Blattgewirr machte den Himmel unsichtbar, so daß nur schwaches grünes Licht durchsickerte. Der bemooste Boden dämpfte die Hufschläge, auf den Ästen in der Höhe sangen keine Vögel. Nur das Klirren der Schildränder gegen die Brustharnische, das flüsternde Knirschen von gedehntem Leder und das Klingeln der Sporenrädchen zeigten an, daß hier zwei Ritter durch den Wald ritten. Die Pferde fanden von selbst ihren Weg, da Pferde ohne Zügelführung, wie jedermann weiß, den Weg nehmen, den schon andere vor ihnen genommen haben. Hoch oben bewegten sich die Eichenblätter raschelnd im Wind, der den Erdboden nicht erreichte. Das dämmrige Licht und die Stille legten sich den schweigenden jungen Rittern lastend auf die Seele, und sie waren froh, als sie eine Anhöhe erreichten und unter sich eine Wiese und an deren anderem, baumbestandenem Ende einen düsteren steinernen Turm mit Zinnen und schmalen Schießscharten sahen, denn dort mußte es vertraute, wenn auch vielleicht gefahrvolle Dinge geben.

Gawain und sein Vetter richteten sich in ihren Sätteln gerade auf, hielten ihre Schilde vor sich hin, und die rechten Hände faßten die Schwertgriffe. Von der Wiese drangen weibliche Stimmen her, schrill und rachsüchtig. Die Ritter prüften ihre Harnischschnallen und klappten sachte die Visiere herab, ehe sie weiterritten, den Hang hinab und dem Turm entgegen.

Am anderen Rand der Wiese hielten sie an, denn sie sahen zwölf Damen, die neben einem kleinen Baum, an dem ein weißer Schild hing, hin und her rannten. Und jedesmal, wenn eine von ihnen an dem Schild vorbeikam, bewarf sie ihn mit Schmutz, schrie eine Verwünschung und rannte weg, um wieder eine Handvoll Schmutz aufzuheben. Auf dem Turm unweit davon standen zwei Ritter und blickten herab auf die befremdliche Szene.

Die jungen Vettern ritten zu den Damen hin, und Sir Ewain fragte streng: »Warum beschmutzt und beleidigt ihr einen Schild, der keinen Verteidiger hat?«

Die Damen lachten kreischend auf, und eine von ihnen sagte: »Ich will es Euch sagen. Der Ritter, dem der Schild gehört, haßt alle Damen. Das ist für uns eine Beleidigung, und zur Strafe beleidigen wir seinen Schild. Das ist nur recht und billig.« Und ihre Gefährtinnen stießen ein häßliches Lachen aus.

Sir Gawain sagte: »Es gehört sich nicht für einen Ritter, Damen zu verachten, da stimme ich zu, aber vielleicht hat er irgendeinen Grund dafür. Oder vielleicht liebt er eine andere Dame. Ist Euch bekannt, wie er heißt?«

»Gewiß. Er heißt Sir Marhalt und ist ein Sohn des Königs von Irland.«

»Ich kenne ihn«, sagte Sir Ewain. »Er ist ein trefflicher Ritter, so trefflich wie nur irgendeiner, und ich habe gesehen, wie er es in einem Turnier bewies, in dem er gegen alle den Preis errang.«

Sir Gawain sagte streng: »Ich finde euer Verhalten tadelnswert. Es ist nicht Damenart, den Schild eines Mannes zu entehren. Er wird zurückkehren, um seinen Schild zu verteidigen, und seine Liebe zu den Damen wird nicht größer werden, wenn er feststellt, was ihr getan habt. Der Streit geht mich zwar nichts an, aber ich werde nicht ruhig zusehen, wie dem Schild eines Ritters Schimpf und Schande angetan wird. Kommt, Vetter, reiten wir weiter. Für solche Damen habe ich nichts übrig.«

Als sie sich dem Waldrand näherten, erschien Sir Marhalt auf einem gewaltigen Streitroß. Er galoppierte auf die Damen zu, die furchtsam aufschrien und stolpernd und strauchelnd auf den Turm zurannten, um sich in Sicherheit zu bringen.

Sir Marhalt blickte seinen besudelten Schild an, hängte ihn sich an die Schulter, und in diesem Augenblick kam einer der Ritter aus dem Turm geritten und rief: »Verteidigt Euch!«

»Mit Freuden«, sagte Marhalt, beugte sich kampflustig über seine eingelegte Lanze, und unter der Wucht des Zusammenpralls taumelte das Pferd des Herausforderers samt ihm selbst in einem wirren Knäuel von Zaumzeug und schlagenden Hufen zu Boden. Bevor Sir Marhalt noch sein Pferd wenden konnte, begann der zweite Ritter aus dem Turm seinen Angriff, doch Marhalt drehte sich im Sattel um, ließ die Lanzenspitze seines Widersachers abgleiten und streckte ihn zu Boden.

Dann drehte Marhalt seinen Schild um, kratzte den Dreck von der weißen Oberfläche und hielt ihn hoch, in Richtung auf den Turm, wo sich die Fräulein zitternd vor Furcht bargen. »Ein Teil des Schimpfs ist gerächt«, brüllte er. »Diesen weißen Schild hat mir eine Dame geschenkt, und ich werde ihn tragen, wie er ist. Selbst beschmutzt ist er noch sauberer, als ihr es seid.« Dann erblickte er die beiden Vettern am Waldrand, näherte sich ihnen vorsichtig und fragte, was sie hierherführe.

Sir Gawain antwortete: »Wir kommen von König Artus’ Hof und sind auf der Suche nach Abenteuern. Könnt Ihr uns einen Vorschlag machen?«

»Nein«, sagte Marhalt, »aber wenn Ihr ein kleines Geplänkel mit Lanzen ein Abenteuer nennt, werde ich nicht nein sagen, wenn ich artig gebeten werde«, und er wendete sein Roß und nahm in der Mitte der Wiese Kampfposition ein.

»Laßt es gut sein«, sagte Ewain zu seinem Vetter. »Er ist ein braver Mann. Was ist dabei zu gewinnen? Wir haben ja keinen Streit mit ihm.«

Sir Gawain blickte zur Sonne hinauf. »Es ist noch nicht Mittag«, sagte er. »Vormittags, wie Ihr wißt, bin ich stark, aber am Nachmittag werde ich schwächer. Es wäre schade, nicht mit ihm zu kämpfen, aber es muß entweder bald geschehen oder gar nicht.«

»Vielleicht können wir wegreiten«, sagte Ewain.

»Nicht, nachdem er uns zum Kampf aufgefordert hat. Wir würden ausgelacht und verspottet werden.«

»Nun denn, Vetter«, sagte Ewain. »Ich bin nicht so stark und erfahren wie Ihr. Laßt es mich als ersten mit ihm aufnehmen. Wenn ich zu Boden gehen sollte, seid Ihr noch da und könnt mich rächen.«

Gawain stimmte ihm zu. »Aber Ihr erlaubt mir schon zu sagen, Ihr zieht da mit einer bedenklichen Einstellung in den Kampf.«

Sir Ewain griff an, und Marhalt stieß ihn vom Pferd und fügte ihm eine Wunde an der Seite zu. Dann trabte er in seine Ausgangsstellung zurück und saß, ein düsterer Anblick, regungslos auf seinem Pferd, den nächsten Gegner erwartend.

Sir Gawain vergewisserte sich, daß sein Vetter nicht schlimm verwundet war, blickte dann zur Sonne hinauf und sah, daß ihm noch Zeit blieb. Freudig klopfte ihm das Herz. Er legte die Lanze ein und trieb sein Pferd zum Traben, dann zu einem Schnellgalopp an, daß die Hufe nur so flogen. Sir Marhalt traf mit ihm auf halbem Weg zusammen. Beide Lanzen trafen die Schildmitte und verbogen sich unter der Wucht des Anpralls. Eschenschaft maß sich mit Eschenschaft, und Gawains Lanze zersplitterte. Samt seinem Pferd wurde er zu Boden geschleudert.

Als Marhalt sein Pferd zum Stehen gebracht und gewendet hatte, sah er Sir Gawain neben seinem gestürzten Roß stehen. Er hatte den Schild vorgelegt, in seiner Hand tanzte das Schwert. Er rief: »Herr Ritter, sitzt ab und kämpft zu Fuß weiter, sonst töte ich Euer Pferd, und Euch bleibt keine Wahl, die Euch Ehre macht.«

Sir Marhalt zog die Zügel an. »Ich danke Euch für die Belehrung«, sagte er. »Ihr sorgt dafür, daß die Gesetze des Rittertums ihren Biß behalten.« Und er ritt zu einem kleinen Baum, lehnte seine Lanze dagegen, stieg langsam aus dem Sattel, band das Pferd an einem Ast fest und lockerte den Sattelgurt. Dann prüfte er umständlich den Schildriemen, zog das Schwertgehenk fester, darauf das Schwert aus der Scheide und inspizierte die Klinge, während Gawain ungeduldig wartete und die Sonne ihrer mittäglichen Position entgegenkroch.

Nun näherte sich Sir Marhalt behäbig, das Schwert zur Abwehr bereit, der leicht schwankende Schild voran. Gawain sprang auf ihn zu, drang mit Hieben heftig auf ihn ein und versuchte, einen tödlichen Streich anzubringen, solange seine Kraft noch im Zunehmen war. Doch Marhalt war ein altgedienter Kämpe. Er hielt den behelmten Kopf gesenkt, deckte ihn mit dem hin und her schwankenden Schild, vollführte Finten, um einen Angriff herauszufordern, und ließ die Attacke ins Leere laufen, wenn er zurückwich. »Warum habt Ihr es so eilig?« fragte er. »Wir haben doch den ganzen Tag zum Kämpfen.«

Die Frage reizte Gawain noch mehr. Er führte einen blitzschnellen Stoß an Marhalts Schild vorbei, versetzte ihm einen Stich in die Seite und spürte zu spät, wie ihm als Antwort die Spitze von Marhalts Schwert in den Oberschenkel drang. Er umtanzte den Ritter, der sich auf die Abwehr beschränkte, und deckte den Schild, den Marhalt dicht vor sich hinhielt, und den nach vorne geneigten Helm mit Schwertstreichen ein.

»Ihr seid ein starker Mann«, sagte Marhalt leise. »Ihr werdet mit jedem Augenblick stärker. Teilt Euch Eure Kraft und Euren Atem für den langen Kampf gut ein. Kommt – laßt uns einen Augenblick innehalten.«

Doch Gawain sah, daß sein Schatten unter ihm schrumpfte, drang wieder auf Marhalt ein, und sein Schwert wirbelte blitzend wie ein stählernes Rad durch die Luft. Er verwundete Marhalt und empfing selbst sofort darauf von diesem kleine Blessuren. Und er wurde kurzatmig, während er sich mühte, die Verteidigung des geübten und überlegt kämpfenden Widersachers zu durchbrechen. Er hieb auf Marhalt ein wie eine glänzende Ramme, riß an dem Schild, mit dem Marhalt sich deckte, sah unter sich seinen Schatten schwinden und wankte unter dem Gewicht des auf ihn eindringenden Schildes zurück. Nun spürte Gawain, daß seine Kraft zu erlahmen begann, und seine Lungen rasselten vor Erschöpfung. Die Freude an dem Zweikampf verließ ihn und wich einem leichten Schmerz. Er wich zurück und umkreiste Marhalt vorsichtig.

Dieser hatte seine Kraft für einen solchen Augenblick aufgespart. Jetzt bewegte er sich langsam vorwärts, holte unvermutet aus, hieb in den Rand von Gawains Schild und sah ihn, da Gawains Griff sich lockerte, zur Seite fliegen. Und nun drang er auf Gawain ein, um ihm mit seinem Schild die Sicht zu verstellen und ihm einen Stich in den Bauch zu versetzen, und er sah, daß der junge Ritter dem Stoß schutzlos preisgegeben war. Marhalt zögerte, wartete darauf, daß Gawains Schild die Stelle decken werde, doch er hing nutzlos an Gawains Seite.

Sir Marhalt zog sich vorsichtig – für den Fall, daß es sich um eine List handelte – zurück, und als er fünf Meter weit weg und vor einem Satz Gawains sicher war, stellte er sein Schwert mit der Spitze nach unten auf die Erde und sagte: »Noch vor kurzem habt Ihr Euch mit mir so gut geschlagen wie nur je ein Ritter. Jetzt aber seid Ihr abgekämpft, und Eure Kraft ist dahin. Wenn ich Euch jetzt tötete, wäre es Mord, und ich bin kein Mörder. Ich könnte Euch eine Erholungspause gewähren, und dann würdet vielleicht Ihr mich töten oder umgekehrt. Ihr habt keinen rechten Anlaß zum Streit mit mir – warum in Kauf nehmen, daß einer von uns beiden stirbt oder wir beide umkommen oder Schande auf uns laden. Es geht ja nur um ein Abenteuer. Seid Ihr damit einverstanden, daß wir Frieden schließen und keiner von uns den Sieg für sich beansprucht?«

Sir Gawain zitterte vor innerer Erregung. »Edler Ritter, Ihr seid der ritterlichste Mann, dem ich jemals begegnet bin. Ich könnte es nicht vorschlagen, weil ich jetzt der Schwächere bin. Ihr aber, stark und frisch, könnt es, und das ist nach Ritterart gehandelt. Ich nehme den Friedensvorschlag an, Herr Ritter, und danke Euch.«

Dann legte Gawain zum Zeichen seines Vertrauens sein Schwert auf die Erde, band sich den Helm los und nahm ihn vom Kopf. Marhalt folgte seinem Beispiel, die beiden umarmten einander brüderlich und gelobten auch, fortan wie Brüder zueinander zu sein. Nun kam Ewain heran, der sich die Wunde an der Seite hielt, und sie halfen ihm, seine Rüstung abzulegen. Dann führte sie Sir Marhalt zu seinem nicht weit entfernten Haus, wo die Diener ihnen die Wunden verbanden und es ihnen behaglich machten. Und die drei Ritter schlossen so rasch eine enge und vertrauensvolle Freundschaft, daß bald darauf, als sie in der großen Halle saßen – um sie herum die abgenagten Knochen von ihrem Abendessen, in ihren Händen mit Wein gefüllte Pokale –, Sir Gawain sagte: »Eine Sache will mir nicht aus dem Kopf, Sir. Ihr seid ein tapferer Mann, wie ich weiß, und von edler, ritterlicher Art, wie Ihr mir bewiesen habt. Wie kann es sein, daß Ihr die Damen haßt?«

»Ich? Die Damen hassen?« sagte Marhalt.

»Diese Damen, die Euren Schild mit Schmutz bewarfen, haben es behauptet.«

Da lachte Marhalt auf. »Habt Ihr nicht auch schon erlebt«, sagte er, »daß irgendein Fräulein, nur weil sie Euch nicht gefällt, herumerzählt, Euch seien alle Damen zuwider? Auf diese Weise will sie ihre eitle Selbstachtung retten und beweisen, daß Ihr kein Mann seid.«

»Aber was war mit denen, die Euren weißen Schild entehrt haben?«

»Sie hatten recht, als sie sagten, ich haßte sie«, antwortete Marhalt. »Aber sie hätten das nicht auf alle Damen ausdehnen sollen. Es gibt eine Sorte von Frauen, die die Männer zutiefst hassen und voller Neid auf wahre Männer sind. Sie sind diejenigen, die Schwächen ausnützen und mit List und Tücke die Stärke der Männer zugrunde richten wollen. Solche Damen sind mir zuwider, und ihresgleichen waren die dort bei dem Turm. Doch allen guten Damen und Edelfrauen diene ich, wie es einem rechten Ritter ansteht. Solche Damen würden niemals den Schild eines Mannes beschmutzen, wenn er abwesend ist, oder ihn hinter seinem Rücken verwünschen und dann wie furchtsame Hühner davonrennen, wenn er zurückkommt. Nein – es gibt andere Damen unter Gottes Sonne, die Euch anderes von mir erzählen können.«

Dann sprachen sie vom Ritterleben und von Abenteuern, und Sir Ewain sagte: »Ich muß weiterziehen, sobald ich kann. Ich stehe, ohne eigene Schuld, beim König in Ungnade, und muß vor aller Welt meine Ritterehre beweisen, so daß der König davon erfährt.«

Gawain sagte: »Ich stehe nicht in Ungnade, finde aber, daß mein Vetter ungerecht behandelt wurde, und werde bei seiner Suche nach Ehre nicht von seiner Seite weichen.«

Marhalts Miene verdüsterte sich. »Der Gedanke gefällt mir nicht, daß ihr weiterzieht«, sagte er. »Wir verstehen uns gut. Wollt ihr nicht hier bei mir bleiben?«

»Ich darf nicht, Sir«, sagte Ewain, »ich bin vom Hof gewiesen worden, und solche Schmach muß mit tapferen und ehrenvollen Taten getilgt werden.«

»Nun«, sagte Sir Marhalt, »dann will ich euch sagen, daß in der Nähe ein großer Wald voller Geheimnisse beginnt, der Wald von Arroy geheißen. Noch nie hat ihn jemand durchquert, ohne wundersamen Dingen, Gefahren und mehr Abenteuern zu begegnen, als er bestehen kann. Eure Rede hat mein Blut entflammt. Wenn ihr erlaubt, reite ich mit durch den Wald und nehme teil an eurer Abenteuersuche. Ich hatte ganz vergessen, wie schön und spannend eine Ausfahrt sein kann.«

»Wir freuen uns über Eure Begleitung, Sir«, sagte Gawain. »Und mehr noch über Euren starken Arm.« Und so setzten sie ihr Gespräch bis tief in die Nacht fort, über Abenteuer und Errettungen schöner Damen, und sie träumten von wohlerworbenem Ruhm und Ehre in der Welt.

Ewain sagte: »Sir, erzählt uns doch von Eurer Dame, die Euch den so abscheulich besudelten weißen Schild schenkte.«

Sir Marhalt aber schwieg, und Sir Gawain sagte: »Eure Frage ist ungehörig, Vetter. Worüber ein ehrenhafter Ritter nicht aus freien Stücken spricht, darüber will er nicht sprechen. Vielleicht war ein Eid im Spiel.«

»Ja, es war ein Eid«, sagte Marhalt rasch.

»Verzeiht mir, Sir«, sagte Ewain. »Und danke, lieber Vetter.«

Am nächsten Morgen bereiteten sich die drei Gefährten auf ihre Suche nach Abenteuern vor – sie rieben ihre Rüstungen blank, sorgten dafür, daß ihre Schwerter scharf waren, und wählten mit Sorgfalt Lanzen aus, wobei sie darauf achteten, daß die Maserung des Eschenholzes glatt und gleichmäßig war, denn von solchen Dingen hingen Sieg und Leben ab. Und als sie aufgesessen waren und in Richtung auf den Wald von Arroy davonritten, der in der Ferne dunkel dräute, fragte Sir Gawain: »Sir, kennt Ihr diesen Wald schon? Welcherart Abenteuer dürfen wir dort erhoffen?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Marhalt. »Wüßte ich es, wären es keine Abenteuer. Doch vorüberziehende Ritter erzählten, daß er Wunderdinge berge.«

Es war ein Wald aus Eichen und Birken, durchsetzt mit Hage- und Weißdornsträuchern, Brombeerbüschen und dichtem Gestrüpp. Sein dunkler Rand verschloß ihn so dicht, daß sie sich mit den Schwertern einen Zugang freihauen mußten, doch schon nach kurzer Zeit stießen sie auf einen Pfad durchs Unterholz, den Rotwild gebahnt hatte, und sie folgten diesem Weg in der Gewißheit, daß er zu Wasser und Weidegründen führen müsse, denn Wild muß trinken und äsen. Nach einiger Zeit gelangten sie in ein Tal mit rechteckig zubehauenen Steinen, die durcheinandergeworfen dalagen, als wäre hier vor Zeiten eine Stadt geplündert und zerstört worden. Zwischen den Steinblöcken sahen sie ein paar primitive, wie Schafställe wirkende Schuppen, gebaut aus aufeinandergelegten Steinen und mit Ästen als Dächern. Von einem Hügel weiter weg strömte ein Bach mit reißendem Wasser, und nachdem sie dort ihre Pferde erquickt hatten, folgten sie dem Bachlauf hügelan bis zu der Stelle, wo seine Quelle aus dem moosbedeckten Hang sprudelte. Oberhalb der Quelle, unter einer Birkengruppe, saßen auf einer mit Farn bewachsenen Felsplatte drei Damen. Als die Ritter so nahe waren, daß sie sie sehen konnten, hielten sie an und betrachteten das merkwürdige Trio. Eine der Damen war schon vorgerückten Alters, zeigte nur noch Spuren ehemaliger Schönheit, und auf dem weißen Haar trug sie einen schweren goldenen Kranz. Neben ihr saß eine von dreißig Jahren, voll erblüht und stattlich, auf dem kastanienbraunen Haar ein dünner goldener Reif. Die dritte war ein liebliches Kind von fünfzehn Jahren, erst jüngst zur Frau herangereift, und sie hatte sich Blumen in das goldene Haar geflochten. Alle drei trugen die Kleidung von Edelfrauen, bestickt mit goldenem und silbernem Faden, und hinter ihnen lagen ihre pelzbesetzten Umhänge.

Die Ritter ritten langsam hin, nahmen höflich die Helme ab und entboten den sitzenden Damen ihren Gruß.

Sir Marhalt richtete das Wort an sie. »Meine Damen«, sagte er, »wir sind fahrende Ritter, für jedes Abenteuer bereit, das Gott uns schicken mag. Ihr habt von uns nichts zu befürchten, weil uns unsere Ritterehre am Herzen liegt, worunter ihr verstehen sollt, daß wir Damen ehrenhaft behandeln.«

»Seid uns willkommen«, sagte die älteste der drei.

Sir Gawain sagte: »Falls ihr nicht Schweigen gelobt habt, sagt uns, warum ihr hier sitzt, als würdet ihr auf etwas warten.«

Und die zweite Dame erwiderte: »Nein, es ist kein Geheimnis. Wir warten hier auf fahrende Ritter, wie ihr es seid. Das ist unser Brauch, so wie die Ausfahrt, die Suche nach Abenteuern euer Brauch ist. Wenn es euch recht ist, können wir euch zu Abenteuern führen, vorausgesetzt, ihr folgt unserer Sitte: Jeder von euch muß eine von uns als Führerin wählen. Sobald ihr dies getan habt, werden wir euch an einen Ort geleiten, von dem drei Wege wegführen. So bleiben jedem von euch zwei unerkundete Wege zu seinem Schicksal, und nur Gott kann bestimmen, welchen der drei ihr einschlagt. Dann wird jede von uns mit einem von euch den Dingen entgegenreiten, die euch beschieden sein werden, mag es sein, was es will. Aber ihr müßt schwören, daß ihr euch in Jahresfrist wieder hier einfinden werdet, wenn ihr noch am Leben seid. Möge Gott euer Leben beschirmen und euch Glück schicken.«

»Das ist wohl gesprochen«, sagte Sir Marhalt. »So soll es bei einer Ausfahrt sein. Aber wie soll jeder von uns seine Dame wählen?«

»Wie es euch euer Herz und Sinn eingeben«, sagte das Fräulein, warf einen raschen Blick auf den jungen Sir Ewain, schlug die Augen nieder und errötete.

Doch Sir Ewain sagte: »Ich bin der jüngste von uns dreien und nicht so stark und erfahren, deshalb laßt mir bitte die älteste Dame. Sie hat viel erlebt und kann mir am besten beistehen, wenn ich es nötig habe, denn ich werde mehr Beistand brauchen als die anderen.«

Das Gesicht des jüngsten Fräuleins wurde vor Ärger hochrot.

Sir Marhalt sagte: »Nun gut, wenn dem kein anderer Wunsch entgegensteht, wähle ich die Dame mit der reifen Anmut. Wir haben auch viel gemeinsam, da wir weder sehr alt noch sehr jung, von der Last der Eitelkeiten befreit sind und voneinander nicht zuviel verlangen werden.«

Sir Gawain frohlockte. »Habt Dank, edle Gefährten. Die übriggebliebene Dame hätte ich auch auf die Gefahr hin gewählt, die anderen zu kränken, denn sie ist die jüngste und schönste und gefällt mir am besten.«

Sir Marhalt sagte: »Entweder war es ein glücklicher Zufall, oder Gott hat unsere Wahl so gelenkt, daß kein Streit oder Ärger entstand. Nun, meine Damen, führt uns zu der Stelle, von der wir aufbrechen wollen.«

Die Damen standen auf und nahmen die Zügel des jeweiligen Pferdes, und dort, wo sich der Weg in drei Pfade gabelte, gelobten die drei Ritter, in Jahresfrist zu dieser Stelle zurückzukehren. Dann umarmten sie einander, und jeder ließ seine Dame hinter ihm aufsitzen. Wohlgemut traten sie ihre dreifache Ausfahrt an, Sir Ewain westwärts, Sir Marhalt nach Süden, und Gawain schlug den Pfad ein, der gen Norden führte.

Zuerst wollen wir Sir Gawain folgen, wie er mit dem hübschen Fräulein, das enttäuscht hinter ihm saß, vergnügt durch den grünen Wald ritt.

»Was für ein Glück, daß Ihr mir zugefallen seid«, sagte er. »Wenn es nicht so gekommen wäre, hätte ich um Euch gefochten. Ihr antwortet mir nicht. Nun ja, das erklärt sich leicht. Ihr seid noch sehr jung und wart noch nie mit einem galanten Ritter aus der großen Welt zusammen. Ich weiß, obwohl ich Euer Gesicht nicht sehen kann, daß Ihr jetzt errötet. Nun, das gehört sich bei einem solch jungen Fräulein auch so. Vielleicht bringt Ihr aus Verwirrung über die Euch widerfahrene Ehre kein Wort heraus. Oder vielleicht hat man Euch beigebracht zu schweigen, wenn ein Ritter spricht. Das ist gute alte Sitte. Heutzutage zu selten geübt. Ihr braucht keine Angst vor mir zu haben, müßt nicht eingeschüchtert sein. Ihr werdet sehen, daß ich trotz meiner erhabenen Stellung in der Welt, meiner Aura als Ritter und entgegen meiner Erscheinung ein Mensch bin, wie Ihr es seid, ein Mann, um es genau zu sagen. Ihr seid geblendet, mein Kind. Ja, das ist nur zu verständlich.«

Das Fräulein saß mit finsterer Miene hinter ihm und trat mit ihren Absätzen dem Pferd in die Flanken, so daß es scheute.

»Vielleicht hat es irgendein Tier gesehen, vielleicht eine Schlange«, sagte Gawain. »Wenn Ihr Euch fürchtet, legt den Arm um mich. Ich werde Euch davor bewahren, daß Ihr herunterfallt. Ich muß Euch sagen, ein Mädchen, das nicht die ganze Zeit plappert, das ist mein Fall.«

»Ist Sir Ewain Euer Bruder?« erkundigte sich das Fräulein.

»Nein, mein Vetter und ein sehr braver Junge. Ich merke Euch an, daß er wegen seiner Jugend und Unerfahrenheit für Euch uninteressant wäre – und er ist ja auch kaum den Kinderschuhen entwachsen. Aber wenn er erst einmal von der Welt so viel gesehen hat wie ich, wird aus ihm ein trefflicher Ritter werden. Er ist von edler Abkunft. Aber Mädchen haben natürlich ältere Männer lieber.« Das Pferd scheute wieder. »Ich verstehe das nicht«, sagte Gawain. »Das Pferd ist doch sonst so ruhig. Wenn Ihr Musik gern habt, könnte ich Euch etwas vorsingen. Ich bin zwar selbst nicht dieser Meinung, aber man sagt, ich hätte eine schöne Stimme. Welches Lied würdet Ihr gerne hören?«

»Ich mag keine Lieder«, sagte das Fräulein. »Schaut, dort vorne ist ein hübsches Gutshaus. Ich habe Durst, Sir.«

»Ein echtes Mädchen«, sagte Gawain. »Mal durstig, mal hungrig, mal ist ihm kalt, dann wieder heiß, mal traurig, mal glücklich, bald zärtlich, bald voller Haß – immer irgend etwas, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Nun ja, vielleicht ist das das Anziehende an den Mädchen.«

Nahe dem Weg saß ein alter Mann vor dem Gutshaus. Gawain ritt zu ihm hin und hielt an. »Gottes Segen, Sir«, sagte er. »Wißt Ihr hier in der Gegend für einen edlen fahrenden Ritter Möglichkeiten, Abenteuer zu bestehen?«

»Zuerst segne Gott Euch, wenn Ihr Mangel an Segen habt«, antwortete der alte Ritter verbindlich. »Abenteuer? Ja, mehr als genug für eine einzelne Lanze, doch der Tag geht zur Neige. Was bei Tageslicht ein Abenteuer ist, sieht nachts ganz anders aus. Steigt ab, junger Herr, und bleibt die Nacht über. Morgen früh werde ich Euch zu Abenteuern führen.«

»Wir sollten weiterreiten«, sagte Gawain. »Es gehört sich eigentlich, daß wir unser Nachtlager unter dem Laubdach eines Baumes aufschlagen.«

»Unsinn«, sagte das Fräulein. »Ich bin müde und durstig.«

»Sie ist noch sehr jung«, erläuterte Gawain. »Na schön, meine Liebe. Wenn Ihr es unbedingt so haben wollt.«

Das Fräulein ging in ein kleines Zimmer, verzehrte allein sein Abendbrot, versperrte dann die Tür und gab keine Antwort, als Gawain sachte daran klopfte. Er ging zurück und setzte sich zu dem alten Ritter ans Feuer, und sie unterhielten sich über Pferde und Rüstungen und sprachen darüber, ob ein Schild flach oder gewölbt sein sollte, damit die Lanzen daran abprallten. So ging das Gespräch über ihr Handwerk dahin, bis sie schläfrig wurden.

Als sie sich am folgenden Morgen gewappnet hatten und zu Pferde saßen, sagte Gawain: »Nun, Sir, was für ein Abenteuer habt Ihr für mich reserviert?«

Der alte Ritter sagte: »In der Nähe gibt es eine Stelle, die Ihr später sehen werdet – eine Lichtung im Wald mit einem steinernen Kreuz und ebenem, festem Grasboden, und am Rand ist eine Quelle mit klarem, kaltem Wasser. Dieser Platz zieht Abenteuer an, wie Fleisch Fliegen anzieht. Ich weiß nicht, was uns dort begegnen wird, doch falls sich irgendwelche wundersamen Dinge ereignen, dann wird es dort geschehen.«

Als sie zu der Lichtung mit ihrer grünsamtenen Grasdecke kamen, war nichts zu sehen. Die drei stiegen ab und setzten sich neben das alte Steinkreuz. Und schon sehr bald hörten sie eine Stimme, die sich gegen ein schändliches Schicksal empörte, und auf die Wiese kam ein starker Ritter geritten, edel von Haltung, wohlgewappnet und schmuck. Als er Sir Gawain sah, hörte er zu jammern auf, entbot ihm seinen Gruß und drückte seinen Wunsch aus, Gott möge Gawain Ehre und Ruhm zuteil werden lassen.

»Habt Dank«, antwortete Gawain. »Und möge Gott auch Euch Ehre und Ruhm schenken.«

»Solche Dinge muß ich mir aus dem Kopf schlagen, Sir«, sagte der Ritter, »denn für mich gibt es nichts als Kummer und Schande, wie Ihr noch sehen werdet.« Und er ritt weiter, auf die andere Seite der Lichtung und verharrte dort wartend im Sattel. Er brauchte nicht lange zu warten, denn aus dem Wald kamen zehn Ritter hintereinander geritten. Der erste legte seine Lanze ein, und der traurige Ritter traf mit ihm in der Mitte der Lichtung zusammen und warf ihn aus dem Sattel. Dann tjostete er gegen die übrigen neun und stieß mit ein und derselben Lanze jeden einzelnen von ihnen vom Pferd. Als das geschehen war, blieb er mit niedergeschlagenen Augen auf seinem Pferd sitzen, und die zehn Ritter näherten sich ihm zu Fuß und zogen ihn vom Pferd, ohne daß er sich wehrte. Sie fesselten ihn an Händen und Füßen, banden ihn unter den Bauch seines Pferdes und führten es fort. Der traurige Ritter baumelte darunter wie ein Sack.

Gawain sah staunend zu. »Was geht hier vor?« fragte er. »Er hat sie alle besiegt, und dann läßt er sich von ihnen gefangennehmen.«

»Das ist wahr«, sagte der alte Ritter. »Wenn er gewollt hätte, hätte er sie zu Fuß ebensogut besiegen können wie zu Pferde.«

Das Fräulein zeterte: »Ich finde, Ihr könntet ihm beistehen, wenn Ihr so vortrefflich seid, wie Ihr sagt. Er ist einer der wackersten und schönsten Ritter, die ich gesehen habe.«

»Ich wäre ihm beigestanden, wenn er es gewünscht hätte. Aber ich hatte den Eindruck, er wollte, was er bekam. Es ist nicht klug und nicht höflich, sich in anderer Leute Angelegenheiten einzumischen, wenn man nicht darum gebeten wird.«

»Ich glaube, Ihr wolltet ihm nicht helfen«, sagte das Fräulein. »Vielleicht seid Ihr auf ihn neidisch. Es kann auch sein, daß Ihr Angst habt.«

»Ihr seid ein albernes Kind vom Lande«, sagte Gawain. »Ich und Angst? Seid versichert, so etwas wie Angst kenne ich nicht.«

Der alte Ritter unterbrach die Streitenden. »Still! Es ist noch früh am Tag, und schon drängen neue Abenteuer heran. Seht den Ritter dort auf der rechten Seite der Wiese, voll gewappnet bis auf den Kopf.«

»Ich sehe ihn«, sagte das Fräulein. »Ein schöner Kopf, ein männliches Gesicht.«

Während sie sprach, erschien von links ein zweiter Ritter auf der Lichtung, ein gewappneter Zwerg, und auch er ohne Helm, eine Mißgestalt mit Schultern, so breit wie eine Tür, einem großen, dicklippigen Froschmaul, einer flachen, breiten Nase wie der eines Affen und pechschwarz funkelnden Augen – ein Wesen von so vollkommener Häßlichkeit, daß es schon wieder schön war. Der Zwerg rief zu dem wartenden Ritter hin: »Wo ist die Dame?«

Aus dem Schatten der Bäume trat ein anmutiges Fräulein und rief: »Hier bin ich.«

Der Ritter sagte: »Es ist töricht, sich um ihren Besitz zu streiten. Komm, Zwerg, und wappne dich zum Kampf um sie.«

Der Zwerg antwortete: »Gern, aber es gibt eine andere Möglichkeit. Dort bei dem Kreuz sitzt ein trefflicher Ritter. Lassen wir ihn entscheiden, welcher von uns beiden sie bekommen soll.«

»Ich bin einverstanden«, sagte der Ritter, »wenn du schwörst, dich seiner Entscheidung zu beugen.«

Als sie Sir Gawain ihre Sache darlegten, sagte er: »Mir scheint, da gibt es nicht viel zu entscheiden. Wenn Ihr es mir überlaßt, sage ich, laßt die Dame bestimmen, wer sie bekommen soll, und ich werde ihre Entscheidung verteidigen.«

Die Dame zögerte nicht. Sie ging zu dem Zwerg mit dem Froschgesicht, streckte ihm die Arme entgegen, und er beugte sich aus dem Sattel, hob sie vom Boden auf und setzte sie vor sich aufs Pferd, und sie herzte und küßte ihn. Der Zwerg lächelte klug, verbeugte sich spöttisch zu den anderen hin und ritt in den Wald hinein, die Dame in seinen Armen.

Der Ritter, der das Spiel verloren hatte, setzte sich untröstlich neben das steinerne Kreuz, und sie konnten alle zusammen nicht fassen, was sie eben gesehen hatten. Der alte Ritter stieg verdrossen auf sein Pferd und ritt fort, in Richtung auf sein Gutshaus.

Nun kam ein anderer Ritter, voll gewappnet, auf die Lichtung geritten und rief: »Sir Gawain, ich erkenne Euch an Eurem Schild. Los, tjostet mit mir um Eure Ritterehre!« Und als Gawain zögerte, sagte sein Fräulein: »Ihr hattet einen Grund, es mit den anderen zehn Rittern nicht aufzunehmen, welchen Grund wollt Ihr angeben, daß Ihr es nicht mit diesem einzigen Mann aufnehmt, der Euch da zum Kampf auffordert?«

Gawain erhob sich zornig. »Keinen. Ich nehme an.« Er stieg in den Sattel und ritt gegen seinen Herausforderer, und beide gingen zu Boden. Dann zogen sie umständlich ihre Schwerter und begannen zu Fuß einen langsamen, lustlosen Zweikampf, teilten ein paar Hiebe aus und hielten dann inne, als wären sie nicht bei der Sache.

Unterdessen sagte an dem Steinkreuz der enttäuschte Ritter zu dem Fräulein: »Ich kann nicht verstehen, warum sie mit dem häßlichen Zwerg fortgeritten ist.«

»Wer kann sagen, was auf das Herz eines Mädchens wirkt?« antwortete sie. »Eine Frau läßt sich vom Gesicht eines Mannes nicht irreführen. Wenn sie liebt, blickt sie tiefer.«

»Das habt Ihr nicht nötig«, erwiderte er. »Euer Liebster ist einer der schmucksten Männer, die ich in meinem Leben gesehen habe.« Und dabei sah er zu den beiden Rittern hin, die auf der rasenähnlichen Grasdecke der Lichtung gegeneinander Scheinangriffe führten und sie parierten.

»Das beweist ja, was ich sage«, bemerkte das Fräulein schüchtern. »Er ist nicht mein Liebster. Ich mag ihn nicht einmal. Euer Gesicht hat vielleicht nicht die arrogante Vollkommenheit seiner Züge, aber ich finde es männlicher.«

»Wollt Ihr damit sagen, wenn Ihr wählen könntet, würdet Ihr Euch für mich entscheiden?«

»Oh, was rede ich da?« Das Fräulein errötete. »Er ist ein Prahlhans. Er hält sich für besser als alle anderen zusammen. Er glaubte, eine Dame brauche ihn nur anzusehen und schon liebe sie ihn. Ein solcher Mann braucht einen Denkzettel.«

Der Ritter sagte rasch: »Kommt, reiten wir davon, solange sie noch kämpfen.«

»Es wäre unschicklich«, sagte sie.

»Aber Ihr habt doch für ihn nichts übrig, wie Ihr gesagt habt.«

»Das ist wahr. Ihr seid mir viel lieber.«

»Ich werde für Euch sorgen und Euch mein ganzes Herz schenken.«

»Er denkt immer nur an sich selbst.«

»Meint Ihr, er würde uns verfolgen?«

»Ich glaube nicht, daß er es wagen würde. Er ist ein feiger Narr.«

Die beiden Ritter kämpften lange miteinander, und die Sonne brannte heiß auf ihre Rüstungen herab, so daß sie mehr Schweiß- als Blutstropfen vergossen. Schließlich trat der Herausforderer zur Seite, lehnte sich auf sein Schwert und sagte: »Ich für mein Teil finde, daß alles seinen gehörigen Gang gegangen ist und wir uns beide würdig betragen haben. Wenn Ihr keinen besonderen Groll gegen mich hegt, laßt uns Frieden schließen. Aber wohlgemerkt, ich bitte nicht um Frieden!«

»Das ist mir klar«, sagte Gawain. »Es ist nichts Unehrenhaftes daran, wenn beide einverstanden sind, ja, wir haben beide sogar noch an Ehre gewonnen. Stimmt Ihr zu?«

»Ich stimme zu«, sagte der Ritter, und sie nahmen ihre Helme ab, umarmten einander förmlich, gingen zu der Quelle, tranken mit tiefen Zügen daraus und wuschen sich das brennende Salz von den Augen. Dann blickte sich Gawain um und sagte: »Wo ist denn mein Fräulein? Als ich sie verließ, saß sie neben dem Kreuz.«

»War sie Euer?« fragte der andere. »Ich sah sie hinter dem anderen Ritter davonreiten. Ich dachte, sie sei sein Fräulein.«

Nun blickte Gawain einen Augenblick düster drein, und dann lachte er unsicher. »Es hört sich vielleicht ungalant an, aber ich bin froh, daß sie fort ist. Sie ist mir durchs Los zugefallen, eine dumme Ziege vom Land, jetzt noch hübsch, doch von der Sorte, die zum Dickwerden neigt.«

»Ich habe sie nicht aus der Nähe gesehen.«

»Da ist Euch nicht viel entgangen«, sagte Gawain. »Sie hat mich mit ihrem Geschnatter halb verrückt gemacht. Mir sind reifere Damen lieber, die etwas von der großen Welt gesehen haben.«

»So, ein Plappermaul war sie? Die Sorte kenne ich.«

»Keinen Augenblick den Mund gehalten«, sagte Gawain. »Und dieser arme Kerl bildet sich vermutlich ein, er hätte sie mir abspenstig gemacht. Die Augen werden ihm schon noch aufgehen.«

»Nun, das freut mich für Euch«, sagte der Ritter. »Ich habe ein hübsches kleines Gut mit Häusern nicht weit von hier. Kommt doch mit und nehmt bei mir über Nacht Quartier. Vielleicht findet sich ein Bauernmädchen, das Euch von dem Plappermaul ablenkt.«

»Sehr gerne«, antwortete Gawain. Und unterwegs zur Behausung des Ritters sagte er: »Wenn Ihr hier in der Gegend lebt, könnt Ihr mir vielleicht sagen, was das für ein Ritter ist, der imstande war, mit einer einzigen Lanze zehn Gegner aus dem Sattel zu werfen, und sich dann ohne Gegenwehr von ihnen gefangennehmen und fesseln ließ.«

»Ich kenne ihn gut«, sagte der Ritter. »Und ich kenne auch seine Geschichte. Möchtet Ihr sie hören?«

»O ja«, sagte Gawain. »Mir hat das Herz für ihn geblutet.«

»Er heißt Sir Pelleas«, sagte der andere, »und ist wohl einer der besten Ritter in der ganzen Welt.«

»Das war daran zu sehen, wie er tjostete – zehn Ritter gingen durch eine einzige Lanze zu Boden.«

»Ja, und er hat noch Größeres vollbracht. Als Lady Ettarde, die große Ländereien und eine Burg hier in der Nähe hat, ein drei Tage währendes Turnier ausrief, nahm Sir Pelleas daran teil, und obwohl sich fünfhundert Ritter um den Siegespreis bemühten, warf er alle aus dem Sattel, die gegen ihn antraten. Der Preis bestand aus einem schönen Schwert und einem Goldreif, den der Sieger der Dame seines Herzens schenken sollte. Es war keine Frage, wem der Preis zustand, doch als Sir Pelleas die Augen auf Lady Ettarde richtete, verliebte er sich in sie und überreichte ihr den Preis. Er erklärte sie zur holdesten Dame weit und breit, woran gewisse Zweifel bestanden, und forderte jeden, der das bestreiten wollte, zum Kampf auf Leben und Tod heraus. Doch diese Ettarde ist eine seltsam eitle und hochmütige Person. Sie wollte nichts von ihm wissen. Die Frauen werden mir immer ein Rätsel bleiben.«

»Mir auch«, sagte Gawain. »Erst heute entschied sich eine Dame für einen Zwerg mit dem Gesicht einer Kröte.«

»Da sieht man es wieder«, sagte der andere. »Auf der Burg gibt es viele ungleich schönere Damen als Ettarde, und keine einzige von ihnen hätte einen so schmucken und wohlgestalteten Ritter wie Sir Pelleas abgewiesen, zumal nicht nachdem er drei Tage lang seinen Heldenmut gegen fünfhundert Ritter demonstriert hatte. Doch Sir Pelleas hatte für keine andere Dame Augen. Er folgte Ettarde winselnd wie ein Hündchen, und je mehr er sie anflehte, desto mehr mißfiel er ihr, um so mehr kränkte sie ihn, wollte sie ihn forttreiben. Ich verstehe nicht, was er an ihr liebenswert fand.«

»Wer kennt die Geheimnisse eines Männerherzens?« sagte Gawain. »Seine Liebe zu ihr muß sehr tief sein.«

»Das kann man wohl sagen, Sir. Er hat erklärt, er werde ihr bis ans Ende der Welt folgen und ihr keine Ruhe lassen, bis sie seine Liebe erwidert.«

»Das ist manchmal das Verkehrteste, was man tun kann«, sagte Gawain. »Vielleicht wäre es besser, ihr eine Kußhand zuzuwerfen und davonzureiten. Manche Damen wissen ihr Glück nicht zu schätzen.«

»Es gibt keinen Zweifel, daß sie es ernst meint. Sie hat jedes Mittel versucht, um ihn loszuwerden. Aber er hat sich in einem Kloster in der Nähe einquartiert, reitet unter ihrem Fenster auf und ab, klagt laut über seinen Schmerz und fleht sie um Erbarmen an, bis Lady Ettarde nicht mehr ein noch aus weiß und Ritter gegen ihn losschickt. Dann besiegt er sie alle zu Pferde und läßt sich hinterher von ihnen gefangennehmen.«

»Das hat er heute auch getan. Was ist der Grund?«

»Es verschafft ihm die einzige Möglichkeit, sie zu sehen. Und obwohl sie ihn schmäht und ihn in jeder Weise herabsetzt, liebt er sie nur um so mehr. Er fleht sie an, ihn zu ihrem Gefangenen zu machen, damit er sie sehen kann. Dann läßt sie ihn aus der Burg hinauswerfen, und wieder reitet er unter ihrem Fenster auf und ab und winselt wie ein liebeskranker Hund.«

»Es ist ein Jammer, daß ein Mann so tief sinken kann«, sagte Gawain.

»Nun ja«, sagte sein Gastgeber, »er hat sich ausgedacht, wenn er damit nur lange genug durchhält, wird er sie mürbe machen, aber das einzige Resultat ist, daß ihre Abneigung gegen ihn sich in bitteren Haß verwandelt hat. Er hat ihr so viel Verdruß bereitet, daß sie den Mann, der ihn erschlüge, in den Himmel heben würde. Aber sie findet einfach keinen Ritter, der imstande ist, ihn im Kampf zu besiegen, und ihn zu töten, dazu ist keiner bereit.«

»Er tut mir leid«, sagte Gawain. »Ich werde ihn morgen aufsuchen und sehen, ob ich ihm helfen kann.«

»Ihr werdet kein Glück damit haben«, sagte Gawains Gastgeber. »Er ist für vernünftiges Zureden taub.«

»Immerhin, Ihr habt mich auf eine Idee gebracht«, sagte Gawain.

Am nächsten Morgen erfragte Gawain seinen Weg zu dem Kloster, wo Sir Pelleas sich einquartiert hatte, und er traf den Ritter zerschlagen und mit blauen Flecken am Körper an.

»Wie könnt Ihr das zulassen, ohne Euch zu wehren?« fragte ihn Gawain.

Sir Pelleas begann: »Ich liebe eine Dame, doch sie …«

»Ich kenne die Geschichte schon«, unterbrach ihn Gawain. »Aber ich verstehe nicht, warum Ihr der Dame erlaubt, auf Euch herumzutrampeln.«

»Weil ich hoffe, daß sie irgendwann doch Mitleid mit mir bekommen wird. Die Liebe bringt so manchem Ritter Leid, bis er erhört wird. Aber ich habe leider kein Glück.«

Gawain sagte: »Unter den Vorzügen des weiblichen Geschlechts ist das Mitgefühl eine Seltenheit.«

»Wenn ich beweisen kann, wie tief meine Liebe zu ihr ist, wird sie sich erweichen lassen.«

»Hört mit diesem Schmachten auf«, sagte Gawain. »So wie Ihr die Sache angeht, bringt es Euch nur Kummer und Kränkung ein, und wirkungslos ist es auch. Wenn Ihr erlaubt – ich habe einen Plan, Euch das Herz der Dame zuzuwenden.«

»Wer seid Ihr?«

»Ich bin Sir Gawain von König Artus’ Hof, sein Schwestersohn. König Lot von den Orkney-Inseln war mein Vater.«

»Ich bin Sir Pelleas, Herr der Inseln. Und ich habe bisher noch nie eine Dame oder ein Fräulein geliebt.«

»Das merkt man«, sagte Gawain. »Ihr braucht den Beistand irgendeines guten Freundes.«

»Ich sterbe, wenn ich sie nicht sehen kann. Sie beleidigt und verflucht mich, doch ich kann mir nichts Schöneres wünschen, als sie zu sehen, obwohl sie mich zum Teufel oder tot wünscht.«

»Wenn Ihr Euer Gejammer so lange unterbrechen könnt, bis Ihr mich angehört habt, dann hört Euch meinen Plan an. Sie wünscht also. Ihr wäret tot. Gebt mir Eure Rüstung. Ich werde zu ihr gehen und ihr sagen, ich hätte Euch getötet. Das wird ihr die Augen dafür öffnen, was sie verloren hat, und wenn sie um Euch trauert, führe ich sie zu Euch, und Ihr werdet feststellen, daß sie Euch liebt.«

»So wird es also gemacht?« sagte Pelleas.

»Ich glaube, am meisten lieben die Damen das, was sie nicht besitzen«, sagte Gawain.

»Ihr werdet mir beistehen, nicht gegen mich handeln?«

»Warum sollte ich?« sagte Gawain. »Ich werde nach einem Tag und einer Nacht wieder hierherkommen. Wenn nicht, dann wißt Ihr, daß etwas schiefgegangen ist.«

Nachdem sich die beiden geeinigt hatten, tauschten sie Harnische und Schilde, umarmten einander, und dann stieg Gawain in den Sattel und ritt davon, der Burg der Dame Ettarde entgegen.

Auf dem Gras vor dem Burgtor waren Damenzelte aufgeschlagen. Ettarde und ihre Fräulein spielten und tanzten und sangen im süßen Duft der Wiesenblumen.

Als Gawain mit Sir Pelleas’ Wappenzeichen auf dem Schild in Sicht kam, sprangen die Damen auf und flohen in Angst und Schrecken auf das Burgtor zu. Doch Gawain rief ihnen zu, daß er nicht Pelleas sei. »Ich bin ein anderer Ritter«, rief er. »Ich habe Pelleas getötet und ihm die Rüstung abgenommen.«

Ettarde blieb mißtrauisch stehen. »Nehmt den Helm ab, damit ich Euer Gesicht sehen kann«, sagte sie.

Und als sie sah, daß es nicht Pelleas war, bat sie ihn, vom Pferd zu steigen. »Habt Ihr Pelleas wirklich erschlagen?«

»Das habe ich«, sagte Gawain. »Er war der beste Ritter, dem ich jemals begegnet bin, aber schließlich habe ich ihn doch überwunden, und als er sich nicht ergeben wollte, habe ich ihn getötet. Wie sonst, glaubt Ihr, wäre ich zu seiner Rüstung gekommen?«

»Das ist richtig«, sagte Ettarde. »Er war ein großartiger Kämpe – aber ich haßte ihn, weil ich ihn nicht loswerden konnte. Er schrie und weinte und stöhnte wie ein krankes Kalb, bis ich wünschte, er wäre tot. Ich habe es gern, wenn ein Mann zupackend ist. Da Ihr ihn für mich erschlagen habt, werde ich Euch alles gewähren, was Ihr begehrt.« Und Ettarde errötete, als sie so sprach.

Nun blickte Gawain sie an und sah, daß sie schön war. Er gedachte haßerfüllt seines ungetreuen kleinen Fräuleins, und seine verletzte Eitelkeit schrie nach Eroberung. Er lächelte voll Selbstgewißheit. »Ich werde Euch beim Wort nehmen, meine Dame«, sagte er und sah mit Wohlgefallen, daß ihre Wangen sich vor Erregung röteten. Sie führte ihn in ihre Burg, richtete ihm ein Bad mit parfümiertem Wasser, und als er sich in ein loses Gewand aus purpurfarbenem Tuch gehüllt hatte, setzte sie ihm Speisen und Wein vor und nahm so dicht neben ihm Platz, daß ihre Schulter ihn berührte. »Nun sagt mir, was Ihr von mir möchtet«, sagte sie leise. »Ihr werdet feststellen, daß ich meine Schulden bezahle.«

Gawain nahm ihre Hand. »Nun gut«, sagte er. »Ich liebe eine Dame, aber sie liebt mich nicht.«

»Oh!« rief Ettarde in Verwirrung und Eifersucht. »Dann ist sie nicht gescheit. Ihr seid eines Königs Sohn und eines Königs Neffe, jung, schmuck, tapfer. Woran krankt der Gegenstand Eurer Liebe? Keine Dame auf der Welt ist zu gut für Euch. Sie muß nicht bei Verstand sein.« Sie blickte in Gawains lächelnde Augen.

»Zur Belohnung«, sagte er, »möchte ich von Euch das Versprechen, daß Ihr alles tun werdet, was in Euren Kräften steht, um mir die Liebe meiner Dame zu verschaffen.«

Ettarde bemühte sich, ihrem Gesicht die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. »Ich weiß nicht, was ich tun könnte«, sagte sie.

»Versprecht Ihr es mir, bei Eurer Ehre?«

»Nun … ja … ja, ich verspreche es, weil ich es so versprochen habe. Wer ist die Dame, und was kann ich tun?«

Gawain schaute ihr lange in die Augen, ehe er antwortete: »Ihr seid die Dame. Ihr seid der Gegenstand meiner Liebe. Ihr wißt, was Ihr tun könnt. Ich nehme Euch bei Eurem Versprechen.«

»Oh!« rief sie. »Wie Ihr einen anführt! Vor Euch ist keine Dame sicher. Ihr habt mich in eine Falle gelockt.«

»Euer Versprechen!«

»Ich werde wohl nicht anders können«, sagte Lady Ettarde. »Wenn ich Euch nicht gäbe, worum Ihr mich bittet, würde ich eidbrüchig werden, und meine Ehre ist mir mehr wert als mein Leben, Liebster.«

Es war im Maienmonat, und die Felder prangten grün und golden, süß dufteten die Blumen, und das Gras unter der Nachmittagssonne war weich und warm. Gawain und Ettarde spazierten aus der düsteren Burg hinaus und gingen Hand in Hand über die Wiese zu den bunten Prachtzelten, die dort aufgeschlagen waren. Im Gras sitzend nahmen sie ihr Abendessen ein, und als die Nacht kam, sang ein Troubadour von jenseits des Meeres Lieder von Liebe und Frauendienst, und Ettardes Fräulein und Ritter lustwandelten lauschend in der Abendluft und entschlüpften dann zu anderen Zelten, die etwas abseits aufgeschlagen waren.

Und als die Abendkühle sie frösteln machte, traten Gawain und Ettarde in ihr Haus aus Seide, und ließen die Stofftüre fallen. Auf einem weichen Lager mit Daunendecken oblagen sie der Liebe, ergaben sich süßem Schmachten und wiederum der Lust, und sie merkten nichts von der Zeit, die über sie hinging. Im goldenen Morgenlicht nahmen sie etwas zu sich, ergaben sich der Liebe, und sie speisten zu Mittag und frönten der Liebe und aßen zu Abend und kehrten wieder zur Liebe zurück und schliefen ein und erwachten zum Liebesgenuß – und so vergingen drei Tage, als wäre der Uhrzeiger nur eine Stunde vorgerückt.

Voll Unruhe wartete Sir Pelleas in seinem Kloster, doch Gawain kam nicht, wie er versprochen hatte, nach einem Tag und einer Nacht zurück. »Irgend etwas hat ihn aufgehalten«, sprach Sir Pelleas zu sich, und er wartete schlaflos noch einmal einen Tag und eine Nacht. Dann ging er hohlwangig und aufgewühlt in seiner Zelle auf und ab und sagte laut: »Vielleicht ist er verwundet, vielleicht krank geworden. Doch wenn ich mich jetzt aufmache, könnte es sein, daß ich seinen listigen Plan verderbe. Aber angenommen, sie hat ihn zu ihrem Gefangenen gemacht?« In der dritten Nacht, vor dem Morgengrauen, hielt er es nicht länger aus. Er wappnete sich und ritt auf die Burg zu, die still, düster und unbewacht dastand, und er sah die Zelte auf der Wiese, deren gestreifte Seitenwände sich leicht im Frühwind bauschten. Leise band er sein Pferd fest, blickte hinein und sah darin drei schlafende Ritter. Im zweiten fand er vier Fräulein, die mit zerzausten Haaren selig schlummerten. Dann öffnete er die Stofftüre des dritten Zelts und sah seine Angebetete und Gawain eng umschlungen im tiefen, matten, satten Schlaf der Liebe.

Pelleas brach das Herz. »Er hat mich also verraten«, dachte er. »War sein Verrat geplant, oder wurde er durch einen Zauber dazu gebracht?« Er schlich in tiefem Schmerz davon und stieg auf sein Pferd. Als er eine halbe Meile weit geritten war, das Bild des Paares hinter ihm vor seinen Augen, stieg der Zorn in ihm hoch. »Er ist nicht mein Freund«, dachte er. »Er ist mein Feind. Ich reite jetzt zurück und töte ihn, weil er sein Versprechen gebrochen hat. Ich sollte sie beide erschlagen.« Er wendete sein Pferd und begann den Weg zurückzureiten, den er gekommen war. Doch viele ehrenvoll und frei von Schuld gelebte Jahre bestürmten ihn anklagend. »Ich kann doch einen waffenlosen, schlafenden Ritter nicht töten«, sagte er sich. »Das wäre eine Schandtat, ärger als sein Verrat an meiner Ritterehre und am ganzen Rittertum.« Er machte wieder kehrt, um zum Kloster zurückzureiten. Und indes er dahinritt, schrie der Grimm in seiner Brust empört auf, und Pelleas rief: »Verfluchtes Rittertum! Verfluchte Ehre! Haben sie ehrenvoll gehandelt? Ich werde sie beide umbringen, diese verderbten Geschöpfe, und die Welt von solchem Gezücht befreien!« Und er riß das Pferd herum und galoppierte auf die Burg zu. Er band sein Roß an, schlich sich im dämmernden Morgen zum Zelt, zog geräuschlos das Schwert aus der Scheide. Seine Nasenflügel bebten, und der Atem pfiff vom Druck in seiner Brust. Im Zelt stand er über das schlafende Liebespaar gebeugt. Ettarde drehte sich im Schlummer um, ihre Lippen flüsterten etwas aus einem stillen Traum, und Gawain zog sie im Schlaf wieder an sich. Sir Pelleas hatte in seinem ganzen Leben noch nie etwas Grausames oder Unrechtes getan und vermochte das Schwert nicht zu heben, obgleich er es versuchte. Stumm beugte er sich über die beiden, legte ihnen die nackte Klinge quer über den Hals, ging leise hinaus und ritt hilflos weinend zum Kloster zurück. Dort traf er seine Knappen besorgt nach ihm Ausschau haltend an, und als sie sich um ihn scharten, sagte er: »Ihr seid mir in einer treulosen Welt treu und aufrecht ergeben gewesen. Ich will euch meine Rüstung und alles andere schenken, was ich besitze. Mein Leben ist zu Ende. Ich lege mich jetzt auf mein Bett und werde mich nie mehr davon erheben. Ich werde schon bald sterben, denn mein Herz ist gebrochen. Ihr müßt mir versprechen, mir nach meinem Tod das Herz aus dem Leib zu nehmen, es in eine Silberschale mit einem Deckel zu legen und es mit euren eigenen Händen Lady Ettarde zu bringen und ihr zu sagen, daß ich sie mit meinem falschen Freund, Sir Gawain, schlafen sah.«

Die Knappen erhoben Protest, doch er hieß sie schweigen, trat an sein Bett, fiel ohnmächtig darauf nieder und lag viele Stunden gelähmt vom Schock seines Kummers da.

Als Ettarde erwachte und die Schwertklinge auf ihrem Hals spürte, fuhr sie hoch. Am Knauf erkannte sie, daß es Pelleas’ Schwert war, und Furcht und Zorn erfüllten sie. Sie rüttelte Gawain aus dem Schlaf und sagte: »Ihr habt mich also belogen. Ihr habt Pelleas nicht getötet. Hier ist sein Schwert. Er ist am Leben und war hier und hat uns nicht erschlagen. Ihr habt ihn und mich betrogen. Hätte er an Euch gehandelt, wie Ihr an ihm gehandelt habt, wärt Ihr jetzt ein toter Mann, denn einem andern würdet Ihr nicht vergeben, was Ihr selbst getan habt. Jetzt kenne ich Euch, und ich werde alle Damen vor Eurer Liebe und alle guten Ritter vor Eurer Freundschaft warnen.«

Gawain versuchte zu antworten, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Versucht Euch nicht herauszureden. Ihr würdet alles nur noch schlimmer machen.«

Sir Gawain lächelte sie düster an, wandte sich ab und ging in die Burg hinein, um seine Rüstung anzulegen. Als er sich gewappnet hatte, ritt er davon und sagte stumm zu sich: »Sie war längst nicht die Hübscheste. Und was Pelleas betrifft – das also ist mein Lohn dafür, daß ich ihn an dieser Frau gerächt habe, die ihn hatte leiden lassen. Nun ja, so geht es eben zu. Es gibt keine Dankbarkeit mehr auf der Welt. Ein Mann muß an sich selber denken. Und das werde ich fortan tun. Die Sache soll mir eine Lehre sein.«

Rastlos zog Nyneve vom See im Wald der Abenteuer umher. Sie hatte sich sehr verändert seit den Tagen, da sie als ungeduldiges Mädchen Merlin erst um seine Geheimnisse und dann ums Leben gebracht hatte. Damals hatte sie zügellos nach Macht und Ruhm gestrebt. Doch in den seither vergangenen Jahren hatte ihre Macht ihr selbst Zügel angelegt. Sie verstand, Dinge zu bewirken, zu denen gewöhnliche Menschen nicht imstande waren, doch dies machte sie nicht frei, sondern zur Sklavin jener, die sich selbst nicht helfen konnten. Mit ihrer Gabe zu heilen wurde sie zur Dienerin der Kranken, ihre Macht über das Glück band sie an die Unglücklichen, während ihr Wissen, das sie alles Böse erkennen ließ, sie immer wieder aufs neue in einen Krieg gegen die ehrgeizigen Ränke von Habgier und Verrat verwickelte. Dazu kam aber auch noch die traurige Erkenntnis, daß ihre Stärke sie zwar an die Schwachen und Betrübten band, diese jedoch nicht an sie, denn sie konnten keine Freundschaft anbieten, um damit die Schuld des Dankes abzutragen. So war sie allein und fühlte sich einsam, wurde gepriesen und war doch voll Trauer, und oft sehnte sie sich nach den alten Zeiten, als alle gleichermaßen am Schatz der Liebe und Güte teilhatten, denn niemand ist einsamer als der Mensch, der nur schenken kann, und niemand empfindet größeren Groll als jene, die nur empfangen und die drückende Schuld der Dankbarkeit hassen. Sie hielt sich nie lange an ein und demselben Ort auf, denn jedesmal wandelte sich die Freude über ihr Wirken in Unbehagen angesichts ihrer Macht.

Als sie wieder einmal durch den Wald streifte, begegnete sie einem jungen Knappen, der weinte, und als sie sich nach dem Grund seines Kummers erkundigte, erzählte er, daß sein geliebter Herr von der Dame seines Herzens und einem Ritter betrogen worden sei und daß er gebrochen auf seinem Bett liege und mit ausgebreiteten Armen auf den Tod warte.

»Führt mich zu Eurem Herrn«, sagte Nyneve. »Er soll nicht aus Liebe zu einer Unwürdigen sterben. Wenn sie mit der Liebe kein Erbarmen kennt, gebührt ihr als Strafe, daß sie selbst liebt und keine Erwiderung findet.«

Dies hörte der Knappe mit Freude, und er führte sie an das Lager, auf dem Sir Pelleas fieberkrank, mit abgehärmten Wangen und starrenden Augen lag, und Nyneve glaubte, noch nie einen so stattlichen und schönen Ritter erblickt zu haben. »Warum wirft sich das Gute unter die Füße des Bösen?« sagte sie. Und sie legte ihm ihre kühle Hand auf die Stirn und spürte, wie das heiße Blut in seinen Schläfen pochte. Dann summte sie ihm leise und sanft ins Ohr und sprach ihm tröstend zu, bis ihr wiederholter Zauberspruch ihm Frieden und die Erquickung eines traumlosen Schlafes schenkte. Sodann gebot sie seinen Knappen, an seinem Lager zu wachen und ihn nicht zu wecken, ehe sie wiederkomme. Sie eilte zu Lady Ettarde, brach ihren Willen und führte sie an das Bett des schlafenden Pelleas.

»Wie könnt Ihr es wagen, einem solchen Mann den Tod zu bringen?« sagte sie. »Für wen haltet Ihr Euch, daß Ihr keine Güte zeigen konntet. Ihr sollt jetzt den Schmerz fühlen, den Ihr anderen Menschen zugefügt habt. Schon spürt Ihr meinen Zauber und beginnt diesen Mann zu lieben. Ihr liebt ihn mehr als alles andere auf der Welt. Ihr liebt ihn. Ihr würdet für ihn sterben, so sehr liebt Ihr ihn.«

Und Ettarde sprach ihr nach. »Ich liebe ihn. O Gott! Ja, ich liebe ihn. Wie kann ich lieben, was ich so gehaßt habe?«

»Das ist ein kleines Stück von der Hölle, die Ihr anderen zu bereiten pflegtet«, sagte Nyneve. »Jetzt bekommt Ihr die Sache von der anderen Seite zu sehen.«

Sie flüsterte lange ins Ohr des schlafenden Ritters, weckte ihn dann und trat beiseite, um zuzusehen und zuzuhören.

Sir Pelleas warf wilde Blicke um sich. Dann erblickte er Ettarde, und während er sie ansah, wallte Haß in ihm auf, und als sich ihre Hand liebend nach ihm ausstreckte, wich er angewidert zurück und sagte: »Geht Eurer Wege. Ich kann Euren Anblick nicht ertragen. Ihr seid häßlich und schrecklich anzusehen. Geht und kommt mir nie wieder unter die Augen!«

Weinend sank Ettarde auf den Boden. Dann hob Nyneve sie auf, führte sie aus der Zelle und sagte: »Nun kennt Ihr den Schmerz der Liebe. Genauso hat er durch Euch gelitten.«

»Ich liebe ihn!« kreischte Ettarde.

»Das werdet Ihr zeit Eures Lebens tun«, sagte Nyneve. »Und Ihr werdet mit Eurer verschmähten Liebe ins Grab sinken, vertrocknet, verdorrt. Geht jetzt! Euer Werk hier ist getan. Geht Eurem Tod in Staub und Asche entgegen.«

Dann kehrte Nyneve zu Pelleas zurück und sagte: »Erhebt Euch und fangt wieder an zu leben. Ihr werdet Eure wahre Liebe finden, und sie wird Euch finden.«

»Meine Liebesfähigkeit ist erschöpft«, sagte er. »Damit ist es vorbei.«

»Aber nein«, sagte Nyneve vom See. »Nehmt meine Hand. Ich werde Euch helfen, Eure Liebe zu finden.«

»Werdet Ihr bis dahin bei mir bleiben?« fragte er.

»Ja«, sagte sie. »Ich verspreche, an Eurer Seite zu bleiben, bis Ihr Eure Liebe findet.«

Und sie lebten zusammen glücklich bis ans Ende ihrer Tage.

Nun müssen wir zu der Stelle zurückkehren, von der die drei Wege ausgingen, und zusammen mit Sir Marhalt und seinem dreißigjährigen Fräulein gen Süden aufbrechen. Sie saß seitwärts hinter ihm auf dem Pferd und umschlang mit einem üppigen Arm seine Taille. Und Marhalt sagte: »Wie froh ich bin, daß Ihr mir zugefallen seid. Ihr scheint mir eine tüchtige Frau zu sein, die Behaglichkeit zu schaffen versteht. Wenn man in ein bestimmtes Alter kommt, ist es schon schwer genug, sich auf die Ausfahrt zu konzentrieren; da braucht man nicht die Wechselbäder stürmischer jugendlicher Liebe, die ein ohnedies unruhvolles Leben noch weiter komplizieren.«

»Auf eine Ausfahrt gehen ist etwas ganz Eigenes«, sagte sie. »Man kann daraus machen, was man will.«

»Seid Ihr schon einmal auf Abenteuer ausgezogen, mein Fräulein?«

»Schon oft, Sir.« Sie lachte freundlich. »Die Wunder der Ausfahrt sind für mich etwas Alltägliches. Es ist kein übles Leben, wenn man mit einem guten Gefährten unterwegs ist.«

»Darin werde ich Euch hoffentlich nicht enttäuschen«, sagte Marhalt. »Ich kann mich nur noch undeutlich erinnern, daß mir früher das hübsche Gesicht, der Schmollmund, das goldene Haar, der Geist, so unentwickelt wie die Brüste, wichtig waren – ja doch, ich erinnere mich.«

»Aber heute findet Ihr jemanden wie mich anziehender?«

»Ich finde, daß von Euch Behaglichkeit ausgeht, frage mich aber, warum eine Frau, die das Behagliche liebt, auf Abenteuer auszieht. Die kalten Nächte, zum Schlafen nur der harte, feuchte Boden, die schlechte Kost oder gar nichts zu essen.«

»Es gibt immer Möglichkeiten, Sir, Behaglichkeit zu schaffen. Ihr habt ja gesehen, daß jede von uns einen Beutel dabei hatte. Ich habe meinen hier an Eurem Sattelgurt befestigt. Ist er Euch im Wege?«

»Überhaupt nicht«, antwortete er. »Darin sind natürlich die tausend kleinen Dinge, die eine Frau so braucht.«

»Schon«, sagte sie. »Aber die eine Frau braucht dies, die andere braucht das. Das kleine Fräulein hat ebenfalls einen Beutel dabei, und er enthält Duftwässer, Tüchlein, Handschuhe, einen Spiegel, rote Erde für Lippen und Wangen und ein weißes medizinisches Pulver, um den Leib von kalten, fetten Speisen zu reinigen und den Teint rein zu halten.«

»Und was birgt Euer Beutel, mein Fräulein?«

»Ich bin ähnlich wie Ihr. Ein bißchen Behaglichkeit kann nicht schaden. Ich habe einen Topf dabei, um Wasser zu kochen, Kräuter und Räucherfleisch als Notproviant, Lauge, um sie mit Asche und Fett zu vermischen und daraus Seife zu machen, denn man wird unterwegs sehr schmutzig, eine gute Salbe für Wunden und Insektenstiche und ein leichtes, dichtgewebtes Tuch, das uns vor dem Regen schützen soll. Und natürlich das gleiche weiße Pulver.«

»Und für die weibliche Eitelkeit, meine Liebe?«

»Eine zweite Garnitur Kleider, damit meine Haut gesund bleibt, einen Kamm und ein kleines scharfes Messer für den Fall … für den Fall, daß …«

»Bin ich dieser Fall?«

»Ich glaube nicht, daß ich das Messer brauchen werde, außer vielleicht um wilde Zwiebeln für den kleinen Topf abzuschneiden.«

»Wie froh ich bin, Euch als Führerin zu haben«, sagte Marhalt. »Ihr seid nicht nur klug, sondern auch eine gute Gefährtin.«

»Ich bin, wie andere auch, nur so gut wie mein Gefährte.«

»Ihr versteht, Euch anmutig auszudrücken, meine Liebe.«

»Ihr auch. Sagt mir«, fuhr sie fort, »seid Ihr ein guter Kämpe?«

»Das Glück ist bisher auf meiner Seite gewesen«, antwortete Sir Marhalt. »Ich habe in den letzten Jahren öfter gesiegt als verloren. Aber mir kommen ja auch tausend Tage Übung zugute. Es ist möglich, daß ich gut kämpfe, weil ich so oft gekämpft habe.«

»Ihr seid kein Aufschneider, Sir.«

»Ich habe zu viele gute Männer unterliegen sehen, und ich gestatte mir nie zu vergessen, daß auch ich eines Tages unterliegen werde, sei es durch Zufall, sei es, weil mein Gegner ein jüngerer, stärkerer Ritter ist.«

»Warum zieht Ihr dann auf Abenteuer aus? Ihr müßt doch Besitz haben. Ihr könntet Euch mit einer guten Frau, die Euch das Leben angenehm macht, zur Ruhe setzen.«

»O nein«, sagte er. »Das habe ich schon ausprobiert. Ich bin von adeliger Abkunft, zum Edelmann erzogen und auf das Leben, das ich führe, so ausgerichtet, wie eine Lanze, die genau auf ihr Ziel gerichtet ist. Man könnte ebensogut ein galoppierendes Pferd wenden, wie aus einem Ritter, der für sein Rittertum geboren ist, einen anderen Menschen machen. Jagen Hunde, die auf Hirschkühe abgerichtet sind, Hirsche oder spüren Hetzhunde Hirschkühen nach? Wir töten sie, wenn sie es tun.«

»Horcht!« sagte sie. »Ich höre das Rauschen von Wasser, eine Quelle oder ein Bächlein. Wenn Ihr trocknes Holz für ein Feuer suchen geht, will ich Wasser heiß machen. Ich habe ein Kistchen mit getrockneten Kamilleblüten für Tee dabei – auch eine kleine Fleischpastete und ein Stück Käse.«

»Ja, Ihr seid eine Frau, die Behaglichkeit schafft«, sagte Marhalt.

Nachdem sie gegessen und sich mit dem Tee aufgewärmt hatten, sagte sie: »Es wäre nett, jetzt ein Schläfchen zu halten.«

»Sollten wir nicht unsere Ausfahrt fortsetzen?«

»Wir haben doch ein ganzes Jahr vor uns«, sagte sie. »Ich finde, wir könnten uns die Zeit für ein Nickerchen nehmen. Hier, mein Ritter, ich werde meinen Mantel als Kopfkissen für Euch zusammenlegen.«

Er stützte sich auf die Ellenbogen und sah sie an. »Ihr habt aber hübsche Augen«, sagte er. »Haselnußbraun, glaube ich, ein warmer Ton.«

»Streckt Euch aus, Herr Ritter«, sagte sie. »Als ich jung war wie das kleine Fräulein, fischte ich in trüben Wassern nach wohlfeilen Komplimenten. Aber ich habe dazugelernt.«

Als sie nach dem Erwachen weiterritten, wurde der Wald lichter, der Nachmittag mit seinem grünlich-goldenen Licht war warm, die Luft unbewegt, und unter den Hufen des Pferdes ließ der wuchernde Thymian seinen Duft ausströmen. Das Fräulein sagte: »Herr Ritter, wenn ich nicht spreche, dann, weil ich jetzt ein bißchen schlafen will. Ich werde den Kopf an Eure Schulter legen, wenn Ihr nichts dagegen habt.«

»Habt Ihr denn vorhin nicht geschlafen?«

»Nein, ich habe gewacht. Aber jetzt werdet Ihr für mich wachen.«

»Könnt Ihr auf einem Pferd schlafen, ohne herunterzufallen?«

»Bei manchen meiner Ausfahrten habe ich nur auf dem Pferd geschlafen«, sagte sie.

Aber Marhalt sagte: »Ich sorge mich, daß das Pferd stolpern könnte. Schlingt den Schal um Eure Taille und reicht mir die Enden nach vorne.« Dann verknotete er sie vor sich, so daß er und das Fräulein aneinandergebunden waren. »Jetzt schlaft ein, meine Liebe. Ihr könnt nicht herunterfallen.«

Als der Abend herankam, wurde der Wald wieder dichter, er schien näher heranzurücken und war kein freundlicher Ort mehr, denn mit der einbrechenden Dunkelheit schlichen sich Feinde hinein. Das Fräulein fröstelte, wurde wach und nieste. »Ich habe lange geschlafen«, sagte sie. »Ihr könnt mich jetzt losbinden. Werden wir bald anhalten?«

»Ich hoffe, irgendwo ein Haus zu finden, wo wir bleiben können. Fürchtet Ihr Euch vor der Dunkelheit, Madame?«

»Nein«, sagte sie. »Früher schon, aber dann dachte ich, ich kann im Dunkeln ja ebensogut sehen wie sie.«

»Sie?«

»Was sich im Finstern eben herumtreibt.«

»Drachen können in der Dunkelheit sehen, genauso wie Katzen«, sagte er.

»Ja, ich nehme es an. Ich selbst habe noch nie einen Drachen gesehen. Meine Schwester sehr oft, aber sie sah ja alles. Katzen beunruhigen mich nicht, und solange ich keinen Drachen gesehen habe, werde ich mich nicht anstrengen, einen aufzuscheuchen. Es ist dunkel, Sir. Könntet Ihr ein Haus erkennen, wenn wir an einem vorbeikämen?«

»Ich rieche Rauch von brennendem Holz«, sagte Marhalt.

»Wo ein Feuer ist, da ist vielleicht auch eine Unterkunft.«

Und tatsächlich, sie sahen eine schwarze Masse, die sich von der ungastlichen Dunkelheit abhob, und einen schwachen Lichtschimmer um die Umrisse der Tür. Hunde kamen herausgerannt und umbellten den müden Reitersmann. Die Tür flog auf, und eine schwarze Gestalt mit einem Wildschweinspeer in der Hand spähte heraus und rief: »Wer ist da?«

»Ein fahrender Ritter mit einer Dame«, antwortete Marhalt. »Ruft Eure Hunde zurück, Sir. Wir hätten gerne ein Nachtquartier, da es dunkel ist.«

»Hier könnt Ihr nicht bleiben.«

»Das ist aber nicht höflich«, sagte Marhalt.

»Höflichkeit und Dunkelheit vertragen sich nicht.«

»Ihr sprecht nicht wie ein Edelmann.«

»Daß ich keiner bin, ist weniger von Belang als meine zwei Füße, die fest hier in meiner Tür stehen, und daß sie hier bleiben, dafür wird mein Speer sorgen.«

»Spart Euren Schweinespeer für Eure Kinder auf«, sagte Marhalt zornig, »und sagt uns, falls Ihr etwas wißt, wo ein Ritter und eine Dame ein Unterkommen für die Nacht finden können.«

»Ein Ritter auf Abenteuern.« Der Mann lachte. »Euresgleichen kenne ich, Leute in einer kindlichen Traumwelt, die auf den Schultern der weniger Glücklichen ruht. Ja, ich kann Euch den Weg weisen, wenn Ihr für ein Nachtquartier ein Abenteuer auf Euch nehmen wollt.«

»Was für eine Art Abenteuer?«

»Das werdet Ihr feststellen, wenn Ihr hinkommt. Reitet weiter in die Richtung des roten Sterns dort, bis ihr eine Brücke seht, falls Ihr sie nicht in der Finsternis verfehlt und Euch selbst ersäuft.«

»Hört, mein unfreundlicher Freund, ich bin müde, und meine Dame ist müde, und mein Pferd ist müde. Ich zahle Euch etwas, wenn Ihr unseren Führer macht.«

»Zahlt zuerst!«

»Das werde ich tun, aber wenn Ihr uns nicht den richtigen Weg führt, komme ich zurück und brenne Euer kostbares Haus nieder.«

»Das traue ich Euch zu. Edelleute tun so was immerfort«, sagte der Mann, aber er holte eine kleine Laterne mit Fensterchen aus Horn und leuchtete ihnen, vor ihnen hergehend, den Weg. Nach einer Stunde führte er sie vor eine schöne Burg aus weißem Stein, die sich von der Schwärze des Waldes abhob. Er zog an einer Klingelschnur, und als der Torwächter einen kleinen Einlaß im Burgtor öffnete, sagte Sir Marhalts Führer: »Simon, ich bringe einen fahrenden Ritter, der eine Unterkunft sucht.«

Die beiden Männer lachten leise, und der Torhüter sagte: »Vielleicht wird er es bereuen.«

»Er hat mich bezahlt, Simon. Die Sache geht mich nichts an. Kommt, Herr Ritter – hier ist Euer Nachtquartier. Schlaft wohl.« Und damit ging er, widerlich lachend, davon.

Der Torwächter führte mit einer Fackel Sir Marhalt in die Burg, und im Innenhof halfen mehrere gutgekleidete Männer dem Ritter und seiner Dame vom Pferd und führten es in den Stall. In der großen Halle saß ein mächtiger Herzog an einem erhöhten Tisch über zahlreichen ebenfalls sitzenden Gefolgsleuten.

»Was kommt denn da?« fragte der Herzog kalt.

»Sir, ich bin ein Ritter aus König Artus’ Tafelrunde. Ich heiße Marhalt und bin aus Irland gebürtig.«

»Das freut mich zu hören, und Euch verheißt es nichts Gutes«, sagte der Herzog. »Genießt die Nachtruhe. Ihr werdet sie brauchen. Ich habe für Euren König oder Eure Rittergenossen nichts übrig. Morgen früh werdet Ihr gegen mich und meine sechs Söhne kämpfen.«

»Das ist auch für den abenteuerlustigsten der fahrenden Ritter keine erfreuliche Aussicht«, sagte Marhalt. »Gibt es keine Möglichkeit, einem Kampf gegen sieben Männer auf einmal auszuweichen?«

»Nein«, sagte der Herzog, »daran führt kein Weg vorbei. Als Sir Gawain meinen zweiten Sohn im Kampf tötete, habe ich geschworen, daß jeder Ritter von König Artus’ Hof, der des Weges kommt, mit uns kämpfen muß, bis mein toter Sohn gerächt ist.«

»Geruht Ihr, mir Euren Namen zu sagen, Sir?«

»Ich bin der Herzog der Südlichen Grenzmarken.«

»Ich habe von Euch gehört«, sagte Sir Marhalt. »Ihr seid schon seit langem König Artus’ Feind.«

»Was für ein Feind, werdet Ihr wissen, wenn Ihr den morgigen Tag überlebt.«

»Muß ich unbedingt kämpfen, Sir?«

»Ja, Ihr habt keine andere Wahl, es sei denn, Ihr wollt Euren Hals dem Schlachtmesser des Kochs darbieten.« Und zu seinem Gefolge sagte der Herzog: »Führt ihn und seine Dame in ein Gemach. Gebt ihnen, was sie begehren, und stellt Wächter vor die Türe.«

In dem unwirtlichen Gemach aßen Marhalt und das Fräulein das Brot, das man ihnen gab, und sie holte aus ihrem Beutel die Reste des Käses, um die karge Bewirtung zu ergänzen.

Marhalt sagte mißmutig: »Da sie wissen, daß fahrende Ritter nur selten mit ihren Damen verheiratet sind, hätten sie uns der Schicklichkeit halber zwei separate Gemächer geben können.«

Die Dame lächelte. »Im Wald, Sir, hätte ich einen Baum für mich gehabt. Ich mache mir mehr Sorgen wegen morgen früh. Sieben gegen einen. Wie wollt Ihr das schaffen? Die Übermacht ist ja grausig.«

Marhalt sagte: »Ich bin ein alter Hase. Hätte er gesagt, er werde allein gegen mich kämpfen, wäre mir banger. Wenn er zu seiner Unterstützung sechs Söhne braucht, ist er sich seiner und auch ihrer nicht sicher. Unser Handwerk verlangt Präzision und Können, und fehlende Fähigkeiten sind auch durch eine größere Zahl nicht wettzumachen. Schlaft, so gut Ihr könnt, meine Liebe. Wenn wir aus dieser Sache heil herauskommen, werden wir nach unserem nächsten Quartier Ausschau halten, bevor es dunkel wird.«

Sie sagte mit einem zufriedenen Seufzer: »Ein Mann, der weder seine Kräfte überschätzt, noch sein Können herabsetzt, der gefällt mir. Schlaft wohl, mein lieber Ritter.«

Am nächsten Morgen in der Frühe erschallten die Trompeten, und die Burg erwachte mit Getöse aus dem Schlaf. Sir Marhalt blickte zum Fenster hinaus und sah, wie sein Gastgeber sich zusammen mit den Söhnen auf den Kampf vorbereitete. Er registrierte, wie sie zu Pferde saßen, wie sie die Schwerter schwangen, um ihre Muskeln zu wecken und zu lockern, wie sie Ringelstechen übten. Er sah, daß dieses Pferd unsicher wurde und jener Ritter die Zügel durcheinanderbrachte, und schon nach ein paar Augenblicken pfiff er vergnügt durch die Zähne.

»Ihr seid gut aufgelegt, mein Ritter. Dreht Euch nicht um. Ich wechsle gerade meine Unterwäsche.«

»Sagt, wenn Ihr fertig seid«, antwortete er. »Ich glaube, die Sache wird gutgehen«, fuhr er fort. »Haltet mich bitte nicht für ein Großmaul, aber ich denke, was ich am meisten zu fürchten habe, ist ein schlechtes Frühstück.«

Doch dann bezähmte er sein Lächeln, und das Frühstück fand er ausgezeichnet. Er hörte zusammen mit den anderen kniend die Messe, und dann begann mit allem zeremoniellen Prunk, mit Trompetenschall und flatternden Wimpeln, stramm dastehenden Gefolgsleuten und taschentuchschwenkenden Damen auf der Mauer, der Kampf.

Der grimme Herzog und seine sechs Söhne stiegen in den Sattel und stellten sich in einer Reihe auf. Der Herzog stürmte heran, und beim Zusammenprall hob Marhalt seine eigene Lanze und fing die Wucht der herzoglichen Lanze mit dem Schild auf, und sie zerbarst in Stücke. Nach ihm attackierten seine Söhne, einer nach dem andern. Der erste ließ die Zügel fahren, worauf sein Pferd ausbrach und an der Ausfallpforte zum Stehen gebracht werden mußte. Dem zweiten erging es ähnlich. Der dritte zielte mit seiner Lanze auf die Mitte von Marhalts Schild, verfehlte sie aber. Der vierte stürmte gegen Marhalt an, doch sein Pferd stolperte, stürzte mit dem Kopf voran auf den Boden und begrub die Lanze unter sich. Der fünfte traf mit großer Wucht, aber die Lanze wurde ihm, als sie zurückprallte, aus der Hand gerissen und fetzte das Leder von seinem Sattel. Der sechste traf zwar, seine Lanze zersplitterte jedoch, und bei jeder Attacke hob Sir Marhalt höhnisch seine eigene Lanze und stieß nicht nach dem Gegner. Rasch blickte er zur Mauer hin, wo sein Fräulein stand und zuschaute, und er sah, daß sie mit ihrem Schal die Augen bedeckt hielt und daß ihre Schultern bebten.

Die sieben Männer waren zu einer zweiten Runde bereit, und nun senkte Sir Marhalt seine Lanze und warf scheinbar spielerisch einen nach dem andern aus dem Sattel. Doch nun wurde er zornig. Er ritt zu dem gestürzten Herzog hin und saß ab. »Herr Herzog«, sagte er, »Ihr habt diesen Kampf erzwungen. Jetzt ergebt Euch, oder Ihr müßt sterben.«

Zwei der weniger arg mitgenommenen Söhne kamen mit gezückten Schwertern herbei, doch der Herzog rief: »Zurück, ihr Narren! Wollt ihr, daß euer Vater getötet wird?«

Dann erhob er sich auf die Knie und hielt Sir Marhalt den Knauf seines Schwerts entgegen. Seine Söhne krochen demütig herbei und knieten neben dem Vater nieder.

»Ich gewähre Euch Gnade«, sagte Sir Marhalt. »Doch zum nächsten Pfingstfest müßt ihr alle König Artus aufsuchen und ihn um Vergebung bitten.«

Dann trat das Fräulein zu ihm, Sir Marhalt stieg in den Sattel, zog sie mühelos empor und setzte sie hinter sich. Stumm sahen die Gefolgsleute des Herzogs zu, wie die beiden zum Burgtor hinaus-, in den Wald hinein- und nach Süden davonritten.

Unterwegs sagte das Fräulein. »Bisher habe ich Euch noch nicht gegen einen richtigen Gegner kämpfen sehen.«

»Ihr habt recht«, sagte Sir Marhalt. »Dieser hochfahrende, grimme Herzog und seine sechs Söhne – wann werden die Männer lernen, daß ein Pferd und eine Rüstung noch keinen Ritter machen?«

»Ihr müßt einer der besten Ritter auf der Welt sein, weil Ihr es fertigbrachtet, die Lanze hochzuhalten und die Stöße abzuwehren.«

»Wollt Ihr prüfen, wie groß meine Selbstgefälligkeit ist, meine Liebe? Ich will Euch sagen, wie ich über mich selbst denke. Ich bin ein guter Ritter, wohlgeübt und geschickt, und obwohl ich viele Fehler habe, glaube ich doch, auch ein paar Tugenden zu besitzen. Ihr dürft aber nicht denken, daß ich das Tjosten auf die leichte Schulter nehme, weil ich mir mit diesen Nichtskönnern einen Spaß erlaubt habe. Ich könnte viele gute Ritter aufzählen, bei denen mir das Blut in den Adern stocken würde, sähe ich über meiner eingelegten Lanze, wie sie heranstürmen.«

»Ihr seid ein aufrichtiger Mann«, sagte sie. »Es macht Freude, mit Euch auf Abenteuer auszuziehen.«

»Vielen Dank, Madame. Was gibt es als nächstes? Ihr müßt mich führen.«

Sie antwortete: »Damen, die mit fahrenden Rittern reiten, müssen kundig sein. Ungefähr in diesen Tagen hält Lady de Vawse ihr Turnier ab. Sie lebt in einer abgelegenen Burg zwei Tagesritte von hier. Und jedes Jahr setzt sie einen schönen Preis aus und bietet Lustbarkeiten, um gute Teilnehmer anzulocken. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, meine Ritter zu diesem Turnier zu geleiten, und nehme an, daß Ihr dort vielen würdigen Konkurrenten begegnen werdet. Hinterher dann denke ich an den jungen Grafen Fergus, der weiter im Süden seine Burg hat. Ich habe nämlich gehört, daß ihm ein Riese zu schaffen macht. Versteht Ihr Euch auf Riesen?«

»Ich habe einige Erfahrung mit ihnen, Madame. Überlegen wir uns die Sache, wenn wir dort sind. Zuerst wollen wir zu Lady de Vawse reiten. Die Unterkunft bei dem grimmen Herzog war weitaus schlimmer als seine Darbietung im Kampf. Ich freue mich auf gute Turniergegner und ein anständiges Quartier.«

»Und mir wird es guttun, mir das Haar zu waschen. Ihr habt mich noch nicht gesehen, mein Herr Ritter, wie ich es gerne hätte. Ich habe ein Gewand aus feiner Seide und mit goldener Stickerei unten in meinem Beutel und dazu leichte, kleine Schuhe.«

»Ich finde Euch so, wie Ihr seid, bezaubernd«, sagte er, »aber ich lasse mich ja in meiner Freude an hübschen Damen von keinem übertreffen.«

Sie seufzte. »Ich wollte, alle fahrenden Ritter wären wie Ihr«, sagte sie.

Sie trafen vor dem Turnier in Lady de Vawses Burg ein, und da sie frühzeitig gekommen waren, konnten sie sich angenehme Gemächer aussuchen, die auf den Garten im Burghof gingen. Lady de Vawse nahm sie herzlich auf und führte das Fräulein fort, damit es von den flinken Fingern der Dienerinnen gebadet und gesalbt wurde. Sir Marhalt fand einen Knappen, der ihm die Rüstung polierte und reparierte, einen Pferdeknecht, der sich um sein Roß kümmerte, und sogar einen Handwerker, der die Farben des Wappenzeichens auf seinem Schild auffrischte. Währenddessen schlug er mit anderen zu Besuch eingetroffenen Rittern die Zeit tot, unterhielt sich mit ihnen über die alten Zeiten, erzählte von berühmten Zweikämpfen, prahlte ein wenig in seiner untertreibenden Art, inspizierte die Grasdecke des Turnierplatzes, blickte oft zum Himmel hinauf und betete um gutes Wetter. Und am Nachmittag saßen sie in der großen Halle, schmausten, lauschten und erzählten Geschichten und hörten den lieblichen Stimmen hübscher, junger Troubadoure zu, die von Ruhmestaten und Wundern, von Drachen und Riesen, von Damen, schön und rein wie die Luft, und liebenden Rittern sangen, deren Schwertarme mit Blitzesgewalt zuschlugen – von Dingen, die jedermann wohl gern hörte und glauben wollte. Und sie bewunderten den Siegespreis des Turniers, einen herrlich gearbeiteten goldenen Reif, dessen Wert auf tausend Byzantiner geschätzt wurde.

Sir Marhalts Dame blendete ihn mit ihrem schimmernden Haar und der rosenblätterfarbenen Haut ihres Gesichts. Sie bewegte sich in ihrem blaugoldenen Gewand mit der langsamen Getragenheit von Musik und trug einen hohen, blauen, kegelförmigen Hut und ein Brusttuch aus schneeweißem Satin. Als sie den goldenen Siegespreis sah, trat in ihre Augen ein Leuchten, so daß Sir Marhalt sagte: »Meine Dame, falls das Glück und mein Arm meine Hoffnungen wahr machen, werdet Ihr den Reif tragen.«

Sie lächelte ihn an, errötete, und ihre Hände, die einen Sattelgurt festzurren und einen Eintopf aus Produkten des Waldes kochen konnten, flatterten anmutig wie blasse Schmetterlinge, und Marhalt verstand, daß die Kunst, damenhaft zu sein, ebensoviel verlangt, wie von einem trefflichen Ritter gefordert wird.

Am Morgen des Turniers, als hübsche Damen ihre Plätze auf der Tribüne einnahmen und die gegeneinander antretenden Ritter ihre Pferde fürs Tjosten vorbereiteten und mit Sorgfalt ihre Lanzen wählten, kam ein Page auf den Turnierplatz und brachte Sir Marhalt ein Päckchen. Als dieser die Hülle entfernte, entdeckte er einen blauseidenen Ärmel mit Goldstickerei und befestigte ihn an der Spitze seines Helms, so daß er beim Reiten wie ein Wimpel wehte. Und als die Ritter Aufstellung nahmen, um die jeweilige Seite zu wählen, sah das Fräulein den blauen Ärmel an Marhalts Helm wehen, was sie erfreute. Und noch größer war ihre Freude, als er seine Lanze hob und ihr damit einen Gruß entbot.

Das Turnier war lang und großartig, denn viele gute Kämpen nahmen daran teil, und die Richter und die Damen saßen vornübergebeugt auf den Tribünen, beobachteten die Feinheiten und registrierten die Punkte, denn sie waren sachkundig im Ritterkampfspiel und konnten sehr wohl großspuriges Gehabe von solidem ritterlichem Können unterscheiden. Der Tag schritt voran, und ein einziger Ritter, von ruhiger Haltung und ohne jede prahlerische Übertreibung, nahm alle Herausforderungen an und warf jedesmal den Gegner aus dem Sattel. So groß war seine Könnerschaft, daß alles, was er tat, ganz leicht, gleichsam beiläufig wirkte. Die Zuschauer markierten Punkte auf Holzstücken, und als die Trompete das Ende des Turniers verkündete, war das Urteil einmütig. Der goldene Reif wurde Marhalt gebracht, der barhäuptig vor Lady de Vawse niederkniete. Er schimmerte auf seinem kurz geschnittenen, angegrauten Haar. Dann dankte Marhalt seiner Gastgeberin, schritt zu seinem fahrenden Fräulein und bot ihr vor aller Augen den Siegespreis dar. Sie entledigte sich mit einer einzigen Handbewegung ihres Kopfputzes, beugte sich errötend nach vorne, und Marhalt legte ihr den Reif auf die Stirne, und alle Anwesenden spendeten dem mutigen Ritter und seiner anmutigen Dame Beifall.

Daran schlossen sich drei Tage mit Tafeleien, Musik und Liebe, Reden und Ruhmreden, ein paar heftige Auseinandersetzungen und sehr wenig Schlaf – alles in allem das beste Turnierfest, an das man sich allgemein erinnerte.

Am vierten Tag, als die Sonne schon ziemlich hoch stand, ritt Sir Marhalt, seine Dame hinter ihm, müde zum Burgtor hinaus und durch das grünende Land gen Süden. Die Dame trug ihre Reisekleidung, und ihr Beutel mit den häuslichen Wunderdingen hing an einem der Steigbügel.

»Es ist gut, daß wir es hinter uns haben«, bemerkte Marhalt. »Feste feiern nimmt einen mehr mit als Tjosten. Mir tun die Knochen weh.«

»Ein paar Nächte im Freien, mein Herr Ritter, Ruhe und Frieden werden helfen. Ja, ich muß auch sagen, ich bin froh. Es war schön, aber allein zu sein hat auch etwas für sich. Wir haben keine Eile. Am Ende wartet das Grab. Müssen wir uns beeilen, dorthin zu kommen? Ich werde mir damit Zeit lassen.«

»Dieser Meinung bin ich auch«, sagte Marhalt. »Wenn wir ein Stück Weges hinter uns haben, wollen wir nach einem stillen Plätzchen mit Wasser in der Nähe Ausschau halten, und ich werde Farnwedel für unser Ruhelager abschneiden und vielleicht sogar eine kleine Laube bauen, wo wir uns von den Lustbarkeiten erholen können.«

»Ich habe ein gebratenes Huhn und einen Laib gutes Weizenbrot in meinem Beutel, mein Herr Ritter.«

»Ich habe ja einen wahren Schatz auf dem Reitkissen hinter mir.«

Auf einer kleinen Lichtung neben einer Quelle mit sprudelndem, kühlem Wasser hackte er mit seinem Schwert Zweige ab und baute daraus mit geschickten Händen ein Häuschen, das er mit einer dicken Schicht aus trockenen, süß duftenden Farnwedeln auspolsterte. Nicht weit davon entfernt fügte er aus passenden Steinen einen provisorischen Herd für einen kleinen Topf zusammen, sammelte trockenes Holz auf einen Haufen und band unweit davon im Gras sein Pferd an. Sein Harnisch hing an der Eiche neben der Laube, Schild und Lanze standen daneben. Das Fräulein blieb nicht müßig. Als er sein Hemd ausgezogen hatte, wusch sie seine Leibwäsche und hängte sie zum Trocknen an einen Stachelbeerstrauch. Sie füllte ihren kleinen Topf mit Stachelbeeren, folgte mit Auge und Ohr dem Flug eines Bienenschwarms und holte aus einem hohlen Baumstamm wilden Honig zum Süßen. Sie verstreute duftende Blätter von wildem Thymian auf dem Ruhelager in der Laube, rollte ihr dichtgewebtes Tuch um eine Füllung aus wohlriechenden Kräutern zu einem üppigen, weichen Kissen zusammen und stellte ihren kleinen Vorrat an notwendigen Dingen in häuslicher Ordnung auf.

Mit ihrem kleinen, scharfen Messer schnitt sie Schößlinge ab und machte daraus Haken für ihre Kleidungsstücke. Ihr Ritter bat sie um die goldene Spange, mit der sie ihr Haar zusammenhielt, zog Haare aus dem Schweif seines Pferdes, flocht sie zu einer Schnur zusammen, ging dem Geräusch von Wasser nach, das in ein Becken sprudelte, und fing auf dem Weg dorthin ein paar Fliegen. Schon bald darauf kam er mit vier schön gesprenkelten Forellen zurück, bog die Haarspange der Dame gerade und gab sie ihr wieder. Dann wickelte er die Forellen in grüne Farnblätter und legte sie beiseite, um sie am Abend in heißer Asche zu braten.

»Nun pflegt der Ruhe, mein Ritter«, sagte sie. »Eure Arbeit ist getan. Bringt mich bitte nicht um meinen eigenen Anteil. Seht, ich habe einen weichen Sitz aus Farnwedeln gemacht. Setzt Euch darauf, Sir, lehnt Euch an den Baum und schaut zu, wie ein Fräulein sich müht, es seinem Herrn angenehm zu machen.«

Er lächelte, setzte sich und sog den Duft der Stachelbeeren ein, die über dem Feuer in heißem Honig tanzten. Er dehnte seine Glieder und hob die Arme über den Kopf. »Zufriedenheit verlangt so wenig und doch so viel«, sagte er. »Seht Euch den klaren, blauen Sommerhimmel an, vom Abendrot rosa überhaucht, und den Abendstern dort. Es ist nichts Geringes, das alles für unsere Zufriedenheit zu bereiten. Laßt uns über die Zukunft sprechen, mein Fräulein.«

»Ich würde lieber stumm das Jetzt genießen, mein Ritter.«

»Ja, ja«, sagte er. »Ich habe nicht die ferne Zukunft gemeint, die uns erwartet. Wir sind zu Abenteuern unterwegs. Ich bin oft auf Abenteuer ausgezogen, aber noch nie mit solcher Freude. Bestimmte Dinge werden verlangt. Wir müssen tun, was notwendig ist. Wir haben die Feinde des Königs bezwungen und im Turnier gekämpft. Wir haben ein ganzes Jahr vor uns und keine Eile. Also – wir können uns mit den Abenteuern Zeit lassen und sie übers Jahr verteilen, oder wir können sie rasch hinter uns bringen, uns ein freundliches Plätzchen suchen und die Zeit sanft über uns hingleiten lassen.«

Sie rührte mit einem Zweig die Stachelbeeren um und lächelte dabei ein zufriedenes, heiteres Lächeln. »Als fahrendes Fräulein kenne ich mich aus«, sagte sie. »Ein einziges Abenteuer ist ein leidliches Ergebnis. Zwei Abenteuer sind besser, drei verdienen, daß die Zahl aufgeschrieben wird, und vier – bei vier wird niemand einen Zweifel äußern. Wir haben bereits zwei erstklassige bestanden. Manche würden auch den unfreundlichen Mann aus dem Haus im Wald dazuzählen, doch das wollen wir nicht tun. Und vor uns haben wir jetzt den Riesen, von dem ich gesprochen habe. Wie steht’s bei Euch mit Riesen, mein Herr Ritter?«

»Ich hatte ein paar Begegnungen mit Riesen«, antwortete er. »Sie haben mir immer leid getan. Niemand will sie um sich haben, und ihre Vereinsamung macht sie zornig und manchmal gefährlich.«

»Aber wie seid Ihr als Kämpfer gegen Riesen?«

»Macht Euch darüber keine Gedanken«, sagte Sir Marhalt. »Ich kenne zwar diesen speziellen Riesen noch nicht, doch die, mit denen ich es bisher zu tun hatte, waren ebenso dumm wie sie groß waren, je größer, desto dümmer. Es gibt eine Taktik gegen Riesen, die meistens Erfolg hat.«

»Aber es ist doch wahr, daß sie viele Ritter gefangennehmen oder töten, Herr Ritter.«

»Ich weiß, und für diese Ritter ist das kein Kompliment. Ritter neigen dazu, mit denselben Waffen gegen alle Feinde zu kämpfen. Sie wollen sich nicht umstellen. Ein schwerer Harnisch und ein Schild gegen einen Riesen, das ist hirnverbrannt.«

Von dem Hang oberhalb von ihnen, auf den sich nun die Dunkelheit senkte, kam ein Schrei. Sir Marhalt sagte zu dem Fräulein beruhigend: »Es ist nur ein Hase. Ich habe eine Schlinge ausgelegt. Jetzt haben wir Fleisch für morgen vormittag. Wenn Ihr mit dem Feuer fertig seid, lege ich die Forellen in die heiße Asche.«

»Das werde ich tun, Sir. Ihr dürft mich nicht darum bringen, Euch zu bedienen. Mein Stolz hängt daran.«

Als der süß duftende Dampf von den Farnwedeln und den Forellen hochstieg, sagte er: »Kommt, setzt Euch zu mir, liebes Fräulein.« Und als sie sich mit dem Rücken an den Baum lehnte, schob er das Haar über ihrem kleinen Ohr zur Seite, fuhr mit einem Finger den Rand ihres Ohrläppchens nach und sah, daß sich die Abendsonne in ihren Augen spiegelte. »Zufriedenheit verlangt so wenig und doch so viel«, sagte er.

Und sie seufzte tief und streckte sich wohlig wie ein Kätzchen im Gras. »Mein Ritter«, sagte sie. »Mein teurer Herr Ritter.«

Der junge Graf Fergus empfing sie bei der Zugbrücke und führte sie unter dem hochgezogenen doppelten Fallgatter und durch das Tor in den Innenhof seiner Burg. Dann gab er ein Zeichen, die Brücke aufzuziehen, die Fallgatter ratterten herab, und das Tor schloß sich.

»Sicher ist sicher«, sagte der Graf. »Willkommen, Herr Ritter! Ich hoffe, Ihr seid wegen des Riesen gekommen. Oh, meine Dame, Gott zum Gruß. Ich habe Euch im ersten Augenblick nicht erkannt. Ihr seid noch schöner geworden. Ich hoffe sehr, daß Ihr diesmal mehr Glück haben werdet als beim letztenmal. Euer Ritter von damals liegt noch immer als Gefangener im Burgverlies des Riesen, sofern er nicht inzwischen gestorben ist.«

»Ihr meint den verkehrten Ritter, Herr Graf«, sagte sie. Und zu Sir Marhalt gewandt fuhr sie fort: »Mein letzter fahrender Ritter galoppierte in voller Wehr gegen den Riesen, und das Ungeheuer packte die Lanze und stieß ihn damit wie ein Insekt vom Pferd, hob ihn auf und warf ihn ins oberste Geäst eines Baumes.«

»Ja, ich erinnere mich«, sagte Fergus. »Wir mußten warten, bis es Nacht wurde, und ihn mit einer Leiter herunterholen.«

»Danach war er nicht sehr gut zu haben«, sagte das Fräulein. »Er war trübselig gestimmt, sprach von seiner Ehre, und ich mußte ihm versprechen, die Sache für mich zu behalten, was ich bis jetzt auch getan habe. Lord Fergus, mein jetziger Ritter, Sir Marhalt, ist aus anderem Holz geschnitzt. Er hat Erfahrung im Kampf gegen Riesen.«

»Mein Fräulein«, sagte Marhalt, »das ist zuviel Ehre für mich. Außerdem bringt es Unglück, wenn man einen Sieg prophezeit, ehe der Kampf begonnen hat.«

»Hoffentlich werdet Ihr ihn töten«, sagte Fergus. »Anfangs war er eine Zugnummer und hat jedes Jahr viele Gäste angelockt. Doch jetzt macht er die ganze Gegend unsicher. Sein Burgverlies ist voll von Gefangenen, und er überfällt die reisenden Kaufleute und raubt sie aus, so daß es bald unmöglich sein wird, sich ein Stück Tuch oder ein neues Schwert zu beschaffen. Sein Burgturm muß mit Waren, Edelsteinen, Gold und erbeuteten Waffen vollgestopft sein. Ich hoffe sehr, Ihr könnt ihn mir vom Halse schaffen, Sir. Er ist mir sehr lästig geworden.«

»Ich werde mein Bestes versuchen«, sagte Marhalt. »Kämpft er zu Pferde?«

»Aber nein. Dafür ist er viel zu groß und zu schwer. Kein Roß könnte ihn tragen. Ja, er kann ein Pferd wie ein Hündchen auf die Arme nehmen.«

»Und wie heißt er?«

»Sein Name ist Taulurd.«

»Ich habe von ihm gehört, Sir. Er hat einen Bruder in Cornwall, der Taulas heißt. Ich habe einen Gang mit ihm getan und bin zweiter Sieger geblieben, aber damais war ich noch jung. Er hat mir einiges beigebracht.«

Fergus sagte: »Ich würde ja gar nichts sagen, wenn er sich nur nähme, was er braucht. Aber alles, was er nicht gebrauchen kann, zerschlägt er wie ein mißmutiges Kind.«

»Nun ja«, sagte Marhalt, »das ist er wohl auch, trotz seiner Größe. Trägt er eine Rüstung?«

»Nein, nur Tierhäute, und als Waffen benutzt er Keulen, Baumstämme und Eisenstangen, alles, was ihm zwischen die Finger kommt.«

»Nun, wir werden sehen«, sagte Marhalt. »Ich könnte ihn wohl jetzt gleich suchen gehen, möchte aber lieber bis morgen früh warten. Kann ich für mein Schwert einen Schleifstein benutzen, Sir?«

»Ich rufe einen Diener, damit er es Euch schleift.«

»Nein«, sagte Marhalt, »das besorge ich lieber selbst. Ich möchte die Schneide ganz speziell geschliffen haben. Und darf ich jetzt die Rüstung ablegen, damit wir es uns gemütlich machen können?«

»Bitte tausendmal um Vergebung«, sagte Fergus. »Kommt bitte in die Halle – oder essen wir lieber in meinem kleinen Zimmer vor dem Kamin. Es sind keine Gäste da. Taulurd bringt die ganze Gegend in Verruf. Kommt, Madame, kommt, Sir. Ihr habt hoffentlich nichts gegen ländliche Kost. Aber die Betten sind bequem. Ich werde erhitzte Steine hineinlegen lassen, damit sie trocken und warm sind. Das Frühjahr war bisher sehr regnerisch.«

Es war angenehm auf Graf Fergus’ kleiner Burg im Fluß Cam. Die Burg bildete eine Insel, umspült vom rasch fließenden Wasser des Flusses, der ihr gleichsam als Burggraben diente. Und weil dieser Burggraben tief war, hatte man die Mauern nicht hoch bauen müssen. Es war ein lichtes, luftiges Bauwerk, das die Sonne einließ, die es auch am nächsten Morgen durchflutete, als Sir Marhalt sich auf seinen Kampf mit dem Riesen vorbereitete. Er zog eine Jacke aus weichem Leder und Beinlinge an, die er normalerweise unter der Rüstung trug. Doch an diesem Tag waren weder sein Leib noch der Kopf durch Metall geschützt. Über die Füße zog er Strümpfe aus Rehleder und umwickelte die Beine bis zu den Knien mit Stoffbändern.

Fergus protestierte: »Seid Ihr von Sinnen? Taulurd wird mit seiner Keule Kleinholz aus Euch machen.«

Doch Marhalt lächelte ihn an. »Ich werde nicht meine eigene Falle am Körper herumtragen«, sagte er. »Würde mich die Rüstung vor den Keulenhieben bewahren?«

»Nein, das wohl nicht.«

Marhalt sagte: »Das hat mich sein Bruder gelehrt. Er hätte mich um ein Haar umgebracht. Gegen Größe und gewaltige Körperkraft kann man sich nur schützen, indem man sich klein macht und möglichst beweglich ist. Gebt mir meinen Schild, meine Liebe«, sagte er zu dem Fräulein. Dann nahm er sein Schwert, so scharf geschliffen, daß es ein einziges Haar durchschneiden konnte, und wog es in der Hand.

»Ich werde Euch die Scheide umschnallen«, sagte die Dame.

»Nein, Madame. Ich nehme sie nicht mit. Ich möchte nicht, daß mich etwas behindert. Nun, Herr Graf, wollt Ihr mich jetzt zu diesem Riesen führen?«

»Ich glaube, ich könnte den Anblick nicht ertragen – Ihr gegen einen Elefanten. Ich gebe Euch einen meiner Männer mit.«

»Ich begleite Euch«, sagte das Fräulein.

»Nein, meine Liebe. Wartet hier auf mich.«

»Warum soll ich nicht mitkommen?«

»Aus dem gleichen Grund, weswegen ich die Schwertscheide nicht mitnehme, mein Fräulein.«

Der Diener führte Marhalt auf einem schlecht markierten, grasbewachsenen Weg und dann über steinigen Boden mit Stechginsterbüschen, und am Flußufer deutete er auf eine große, dunkle Masse auf einem Steinhaufen. »Dort ist es, das Ungeheuer, Sir, und Ihr seid hier, und ich mache mich von dannen, wenn Ihr erlaubt, Sir.«

»Nimm mein Pferd«, sagte Sir Marhalt. »Reite ein Stück weit zurück und warte auf mich.«

»Ihr wollt zu Fuß kämpfen?«

»Ich will mich nicht mit einem Pferd belasten. Falls er mich totschlagen sollte, versuch, ein kleines Stück von mir für mein Fräulein zu retten. Sie hat eine Schwäche für Andenken.«

In seinen leichten, weichen Schuhen ging Marhalt leise auf den Riesen zu, der auf dem Steinhaufen saß. Der große Kopf mit der struppigen Mähne war ihm auf die Brust gesunken, die Schultern bewegten sich, und er sang ein mißtönendes Lied wie ein aufsässiges Kind. Seine Haut war mit einer Schmutzkruste bedeckt, und der leichte Wind wehte seinen üblen Geruch in Marhalts Nase. Auf der Erde um ihn herum lagen Keulen aus Eichenholz, Streitkolben mit gerillten Knöpfen, schwere dornige Knüppel und eine lange Eisenstange mit einem Bleiklumpen am einen Ende, der mit Nägeln gespickt war. Der Riese, ganz mit seinem kleinen Sohn beschäftigt, hörte nicht, wie Marhalt sich ihm näherte.

»Guten Morgen, Taulurd«, sagte der Ritter ruhig. »Ich bringe dir Grüße von deinem Bruder Taulas.«

Der gewaltige Kopf fuhr hoch. Rotgeränderte Augen starrten aus dem verfilzten, schmutzigen Haar, und aus dem weit geöffneten Mund quoll Schaum wie bei einem Baby, das rülpst.

»Habb«, gurgelte Taulurd. »Hou.«

»Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber du mußt fort von hier, weit fort. Du weißt nicht, wie man sich mit den Leuten verträgt. Du hast vielen Menschen übel mitgespielt und nicht gelernt, das Eigentum anderer zu respektieren. Du hast ja nicht einmal gelernt, dich sauberzuhalten. Eine Schande! Du stinkst nach einer Mischung aus Leichenhaus und Abort. Du kannst nicht in dieser Gegend bleiben.«

Taulurd, dessen kleine Augen wässerig wurden, schien im Begriff, in Tränen auszubrechen, doch dann nahm sein Gesicht den Ausdruck irrer Wut an, und sein Singsang ging in ein tierisches Geheul über. Seine Pranke tastete verstohlen auf der Erde umher, fuhr zu der langen Eisenstange, und plötzlich sprang er auf – er war viereinhalb Meter hoch, sein zottiger Kopf hob sich vom Himmel ab, und die sabbernden Lippen entblößten schwarze Zähne. Er trottete, die Hüften wie ein Gorilla schwingend, nach vorne, schlug sich mit der linken Faust an die Brust und stieß einen schrillen Drohschrei aus. Die Muskeln an seinen Armen und an seiner Brust waren wie Schlangen anzusehen.

Sir Marhalt verharrte ruhig auf seinem Platz, bis der Riese dicht vor ihm dräute und sein stinkender Atem zu riechen war. Die Eisenstange fuhr hoch, und erst als sie herabzusausen begann, entschlüpfte der Ritter dem Hieb, sprang hinter den Riesen, und der tückische Kopf der Stange donnerte auf die Erde.

»Das hat doch keinen Sinn«, sagte Marhalt. »Du bist nichts anderes als ein großes, starkes Baby. Ich will dir nichts tun, und wenn du deiner Wege gehst, können wir Freunde sein.«

Marhalt sah, wie ein verschlagener Blick in die Augen des Riesen trat, während er sich langsam umdrehte. Der Ritter bemerkte, daß sich die Stange ein wenig hob, und an der Muskelanspannung erkannte er, daß ein rascher Seitenhieb bevorstand. Im Nu berechnete er den Bogen und wußte, wo er ihm ausweichen mußte. Die Stange vollführte eine Bewegung wie eine Sense, und Marhalt versuchte wegzuspringen, doch unter einem Fuß lockerte sich ein Stein, so daß er strauchelte. Die Stange traf seinen Schild, die Eisennägel drangen hinein und fetzten ihn aus Marhalts Hand, und um ein Haar wäre ihm auch noch der linke Arm abgerissen worden. Er rollte sich rasch beiseite und kroch auf Händen und Knien davon, und als er aufstand, spürte er einen schrecklichen Schmerz in der linken Schulter.

Taulurd sprang auf und nieder, jedesmal auf den Fersen landend, und wieherte jubelnd. »Hou!« schrie er. »Ha-ha-ha!«

»Du bist ein ungezogener Junge«, sagte Marhalt. »Ich will dir eigentlich nichts tun, aber wenn du dich wie ein bösartiges Tier aufführst, fürchte ich, muß ich dich töten, und das ist doch schade.«

Nun kam der Riese torkelnd auf ihn zugerannt, hob im Laufen seine Eisenstange und brüllte vor grimmiger Begeisterung. Marhalt warf einen raschen Blick auf den Boden, ob lose Steine zu sehen waren. Er wartete, bis der Riese noch zwei Meter von ihm entfernt war, duckte sich dann, machte nach links einen Satz hinauf zu dem baumstammdicken rechten Arm des Angreifers, und im Sprung fuhr das rasiermesserscharfe Schwert nach oben, durchschnitt die Armsehne, der Arm fiel nach unten und die Stange auf den Boden.

Taulurd blickte erstaunt auf seinen schwer verletzten Arm, an dem das Blut aus der durchtrennten Arterie schoß, und plötzlich brach der Riese in Tränen aus und weinte wie ein kleines Kind, das sich weh getan und Angst hat. Er taumelte auf den Fluß zu, watete hinein und immer weiter, bis nur noch sein Kopf über die Wasserfläche ragte. Dort stand er außer Reichweite, lallend und jammernd, und das Wasser um ihn rötete sich vom ausströmenden Blut.

Marhalt stand am Ufer. Weil das Wasser so tief war, konnte er den Riesen nicht erreichen. »Armer Teufel!« sagte er zu sich. »Ich habe ja schon oft getötet und viele Männer erschlagen, aber noch nie hat es mich so traurig gemacht wie jetzt. Es tut mir leid, Taulurd, aber vielleicht: je rascher, desto besser.«

Er hob vom Flußrand einen runden Stein auf und warf ihn auf den mächtigen Kopf. Der Riese wich aus, und der Stein landete unterhalb seines Ohres im Wasser. Marhalt warf einen zweiten und verfehlte das Ziel abermals, doch der dritte dann traf die Stirnmitte über den starrenden roten Augen. Taulurd versank rasch mit offenstehendem Mund, und im Fluß stieg ein Blasenschwall an die Oberfläche.

Marhalt blieb wartend stehen, und einen Augenblick später kam das Monster nach oben und trieb, sich drehend wie ein Baumstamm, im Fluß. Dann bemächtigte sich die Strömung des großen Kadavers und trug ihn flußabwärts dem Meer entgegen.

Jetzt kam Fergus’ Diener herangaloppiert und rief laut: »Triumph, Herr Ritter! Es war großartig!«

»Es war schrecklich!« sagte Marhalt.

»Suchen wir rasch seine Burg auf. Er hat dort Gefangene und Schätze.«

»Ja, machen wir uns auf den Weg.«

Die Burg war ein primitives Bauwerk aus aufeinandergeschichteten Steinen, anzusehen wie ein riesiger Schafstall, und hatte ein Dach aus Ästen und Soden. In dem dunklen Gemäuer lagen Ritter und Damen, Schafe und Schweine, an Händen und Füßen gefesselt, und wälzten sich in Dreck und Elend.

»Reiße das Dach herunter«, sagte Marhalt, »damit ein bißchen Licht in diesen Schweinekoben kommt.« Und als er genug sehen konnte, schnitt er mit seinem scharfen Schwert Tieren und Menschen die Fesseln durch. Sie versuchten, sich hochzurappeln, sanken aber unter Schmerzen zurück, weil ihr Blut gestockt war.

In einer Ecke lag der zusammengeraubte Hort des Riesen: Gold und Silber, Edelsteine und buntes Tuch, kostbar gearbeitete Kruzifixe und mit Rubinen und Smaragden besetzte Kelche, dazu bunte Steine und Glasscherben von zerbrochenen Kirchenfenstern, Quarz und knorriges Kristall und Bruchstücke von blauen und gelben Tongefäßen – ein Kunterbunt aus höchst wertvollen Dingen und blankem Plunder. Traurig sagte Sir Marhalt, als er auf den Haufen blickte: »Der Arme, er sah den Unterschied nicht. Er konnte nicht lernen, nur Dinge von Wert zu rauben, wie es zivilisierte Männer und Frauen tun.«

»Trotzdem ist noch genug da«, sagte der Diener. »Ihr werdet bis ans Ende Eurer Tage ein reicher Mann sein, und wenn Ihr zweihundert Jahre alt würdet.«

»Laß alles auf Graf Fergus’ Burg schaffen, mein Freund«, sagte Marhalt. »Und paß auf, daß du nicht aus Versehen einen Glasscherben mitgehen läßt.« Er stieg aufs Pferd und ritt davon, und sein Triumph würgte ihn in der Kehle, ein trauriges und häßliches Gefühl. »Und doch«, sagte er zu sich, »mußte es getan werden. Der arme Teufel, er war gefährlich.« Er sah vor sich die angstvollen Augen des kindlichen Monsters und erkannte, daß von allen Wunden die Furcht die gräßlichste ist.

Graf Fergus war hocherfreut und dankbar. Er sagte: »Ihr könnt Euch nicht vorstellen, welchen Schaden der Riese angerichtet hat – hektarweise blieben die Felder ungepflügt, weil er die Pferde verschlang. Händler, Kesselflicker, Zigeuner, keiner von ihnen zog mehr durchs Land, aus Frankreich erschienen keine Spielleute und Rezitatoren mehr, um uns von unserer eigenen Geschichte zu erzählen. Euch, mein Freund, ist es zu verdanken, daß das vorbei ist. Ich würde Euch Güter schenken, wenn Ihr welche wolltet. Aber Ihr besitzt jetzt Schätze, an denen vier Männer genug hätten. Warum verweilt Ihr nicht hier als mein Gast? Betrachtet die Burg als Euer Haus, solange Ihr Euer ruheloses Herz im Zaum zu halten vermögt.«

Als sie am Abend über die Wiese neben dem »Burggraben« spazierten, sagte Marhalt zu seinem Fräulein: »Warum nicht? In meinem Alter habe ich es nicht nötig, Abenteuer um ihrer selbst willen zu sammeln. Es ist noch viele Monate hin, bis wir meine Freunde an dem Kreuz wiedertreffen, von dem die drei Wege ausgehen. Ich werde mich nach Euch richten, mein Fräulein, doch wenn Ihr fändet, wir könnten hier eine Weile bleiben, würde ich nicht nein sagen. Ein gutes Bett und regelmäßige Mahlzeiten, das sagt mir zu. Vielleicht kommt es vom Älterwerden.«

»Es hört sich angenehm an«, sagte sie. »Wenn ich mir gutes flandrisches Tuch verschaffen könnte, würde ich meine Nadel in Bewegung setzen. Hier gibt es ein paar Fräulein, die nichts zu tun haben. Graf Fergus hat mich gebeten, sie im Handarbeiten zu unterweisen.«

Sir Marhalt sagte: »Ich könnte einen Trupp Männer an die Südküste schicken. Die toskanischen Schiffe bringen Tuch aus Prato, aus englischer Wolle gewebt, aber gefärbt und verarbeitet, wie das nur die Florentiner können. Zwar teuer, aber vergeßt nicht, meine Dame, ich bin ja Besitzer eines Schatzes.«

»Würdet Ihr das für mich tun? Das ist sehr freundschaftlich von Euch. Laßt ein großes Stück scharlachrotes Tuch kaufen, und ich werde Euch daraus eine königliche Robe nähen, und darauf werde ich die Abenteuer dieses Jahres sticken, als Zeugnis unserer Ausfahrt, geschrieben mit farbenfrohen Seidenfäden.«

Es war eine Zeit behaglicher Häuslichkeit. Das Fräulein hielt den Nähunterricht, mit dem es beauftragt worden war, hielt die Dienerschaft auf Trab, ließ Spinnweben wegfegen, gewaschenes Linnen auf der Wiese trocknen und bleichen. Marhalt fing Lachse im Fluß, ließ Windhunde junge Hasen jagen, und kaum ein Tag verging, an dem er nicht von Falken gefangene Vögel mitbrachte. Fergus kümmerte sich frohen Sinnes um die Verbesserung seines Besitzes, und an den langen Sommerabenden plauderten sie über Saaten und Küchenrezepte und über andere Leute; sie erzählten Geschichten, die ihnen einfielen, tranken Met aus gegorenem Honig und manchmal den starken Würzwein, »Metheglin« genannt, der ihnen zu Kopf stieg und sie zum Lachen brachte.

Mehr und mehr nahm sich die Dame der Bedürfnisse ihres Ritters an. Sie schnitt ihm das Haar und die Fingernägel und räumte hinter ihm auf. »Warum tragt Ihr heute abend nicht das blaugelbe Gewand?« sagte sie. »Ihr seht so schmuck darin aus. Es bringt die Farbe Eurer Augen zur Geltung.«

»Es wäre mir nicht eingefallen, mich umzuziehen, meine Liebe.«

»Aber Ihr müßt! Fergus tut es. Jedermann tut es.«

»Ich bin nicht Fergus. Ich bin nicht jedermann.«

»Ich sehe nicht ein, warum Ihr etwas dagegen habt. Ihr habt keine große Mühe damit, und es ist doch viel angenehmer, saubere Sachen am Leib zu haben. Hier – riecht einmal an Eurem blauen Gewand. Ich habe es mit Lavendelblüten in die Truhe gelegt.«

Und gegen Ende des Sommers sagte sie: »Ich verstehe nicht, warum Ihr Eure Kleider auf den Boden fallen laßt. Es ist genauso einfach, sie ordentlich wegzuräumen. Irgend jemand muß das tun. Habt Ihr daran noch nicht gedacht?«

Und im September: »Mein Ritter, wenn Ihr diese stinkende Falkenhaube und die Fußriemen sucht, findet Ihr sie in der Kiste am Ende des Korridors. Ihr hattet sie auf dem Fenstersims abgelegt. Sie haben meine trocknenden Taschentücher mit Blut befleckt.«

»Kann ich nicht einen Fenstersims für meine Sachen haben, meine Liebe?«

»Solche Dinge gehören in die Kiste am Ende des Korridors. Wenn Ihr sie da hineinlegt, findet Ihr sie jederzeit ohne Mühe.«

»Ich weiß, wo ich suchen muß, wenn sie auf dem Fenstersims liegen.«

»Ich kann es nicht ausstehen, wenn Dinge herumliegen.«

»Ausgenommen Eure eigenen.«

»Ihr seid streitsüchtig aufgelegt, Sir.«

Als der Novemberreif auf dem Gras glitzerte, sagte sie: »Ihr seid nie zu Hause. Sind Pferde eine so angenehme Gesellschaft, oder gibt es vielleicht ein entgegenkommendes Stallmädchen mit Strohhalmen im Haar?«

Und als die Winterstürme kamen und gegen die Mauern pfiffen und ihren Weg hinter die Vorhänge fanden, klagte sie: »Ihr solltet ins Freie gehen und Euch Bewegung verschaffen. Ihr nehmt zu.«

»Nein, das stimmt nicht.«

»Euch selbst könnt Ihr ja etwas vormachen, Sir. Aber die Knöpfe überzeugt das nicht, die ich wieder annähen muß, wenn sie abspringen. Nein, geht nicht aus dem Zimmer. Das ist eine Kränkung.«

Im Februar sagte sie: »Ihr seid unruhig, Sir, und ich kenne den Grund. Es ist nicht angenehm, Gast zu sein. Fergus ist ein vortrefflicher Mann, und ich habe das immer gesagt. Aber meint Ihr nicht, er hätte vielleicht gerne unser Zimmer wieder?«

»Er sagt, nein. Ich habe ihn gefragt.«

»Ach was! Eine Frau merkt so etwas. Ich wollte, Ihr würdet aufhören, hin und her zu marschieren. Ihr seid unruhig, weil Ihr keine Verantwortung habt. Ihr besitzt doch Güter, mein Ritter. Warum reiten wir nicht hin? Dann hättet Ihr eine Beschäftigung und wärt nicht so rastlos. Es wäre eine hübsche Idee, wenn wir uns eine kleine Burg bauten. Warum seht Ihr mich so an, Herr Ritter? Steht wieder ein Zornausbruch bevor?«

Er trat zu ihr und blieb stehen. »Madame«, sagte er aufgebracht, »Ihr habt Euch sehr verändert, seit Ihr auf dem Reitkissen saßet. Madame – genug jetzt!«

»Wenn ich mich verändert habe, dann seid auch Ihr anders geworden. Ihr seid nicht mehr heiter und aufmerksam wie früher. Ihr mäkelt herum und schimpft. Verändert! Schaut in den Spiegel, wenn Ihr eine Veränderung sehen wollt. Rollt die Augen nicht so grimmig. Mir macht Ihr keine Angst wie damals dem armen Riesen.«

Er wandte sich ab, schritt rasch hinaus, und sie nahm sich, leise vor sich hin summend, ihre Näharbeit wieder vor. Dann hörte sie ihn mit klirrenden Geräuschen durch den Korridor kommen, und die Tür flog auf. Er trug seinen Harnisch, eingeölt und poliert, und unter dem Arm seinen Helm.

»Was soll das?« fragte sie. »Dreht Ihr wieder durch?«

»Fräulein«, begann er. »Und merkt gut auf, ich habe ›Fräulein‹ gesagt. Packt, was Ihr braucht, in Euren kleinen Beutel. Nehmt einen warmen Mantel mit. Wir brechen auf. Ich habe Weisung gegeben, daß man mein Kriegsroß bereit macht.«

»Jetzt im Winter? Seid Ihr von Sinnen? Ich denke nicht daran.«

»Dann lebt wohl, Fräulein«, sagte er, und das metallische Klirren seiner Schritte hallte durch die Korridore. Sie sprang auf. »Mein Ritter«, rief sie, »wartet! Wartet auf mich, Sir! Ich komme. Wartet, mein Gebieter!« Sie riß den Deckel einer Truhe auf, kramte ihren Reisebeutel heraus und warf Sachen hinein. Dann packte sie einen Mantel und rannte hinter ihm drein.

Am Nachmittag, während Marhalt nach Norden ritt – ein schwacher Eisregen trommelte gegen seinen Schild, der Wind pfiff ihm übers Visier –, begegnete er vier Rittern von König Artus’ Hof. Er setzte sein Fräulein an die windgeschützte Seite einer Eiche, nahm sich die vier nacheinander vor, und die trefflichen Ritter zappelten auf der Erde. Dann ging er zurück und half mit leichter Hand seiner Dame auf den Sitz hinter ihm. »Hüllt Euch gut ein«, sagte er. »Wir werden heute vielleicht kein Nachtquartier finden.«

»Ja, mein Ritter«, sagte sie, zog sich die Kapuze ihres Reisemantels in die Stirn und lehnte den Kopf an Marhalts breiten eisernen Rücken.

Als die linden Schauer des April die Wurzeln des März ausgeschwemmt hatten, waren die beiden in der Nähe der verabredeten Stelle, wo sich der Weg in drei Pfade gabelte und die drei Ritter ihren Schwur einlösen sollten.

»Nun, mein Ritter, und was wollt Ihr jetzt tun? Wollt Ihr zu Eurem Besitztum oder zu Artus’ Hof reiten? Sagt es mir nicht, Sir. Ich weiß es ohnedies. So oder so, ein warmer Frühlingsstrahl wird seinen Weg zu Euch finden, und Ihr werdet ruhelos und gereizt auf und ab gehen, und eines Tages werdet Ihr unversehens in den Sattel steigen und davonreiten.«

»Mag sein«, antwortete er. »Aber das ist nicht, was mir durch den Kopf geht. Was gedenkt Ihr zu tun? Hättet Ihr Lust, mich zu meinem Gutshof zu begleiten? Wir könnten uns vielleicht eine kleine Burg bauen.«

Sie lachte, ließ sich auf die Erde gleiten und löste ihren kleinen Beutel vom Sattelgurt. »Lebt wohl, mein Ritter«, sagte sie. Dann stieg sie den Hang hinauf zu der moosbewachsenen Stelle, wo das klare Quellwasser blubberte, breitete ihren Mantel auf dem Boden aus und setzte sich anmutig darauf. Sie kramte in ihrem Beutel, förderte einen goldenen Kranz zutage und setzte ihn auf. Dann blickte sie hinunter zu Marhalt auf seinem Pferd, lächelte und winkte ihm zu.

Ein junger Ritter kam herbeigeritten. »Ist das ein Fräulein, das dort sitzt?« fragte er.

»So ist es, junger Herr.«

»Was tut sie dort?«

»Warum fragt Ihr sie nicht selbst?«

»Wie heißt sie, Sir?«

»Danach zu fragen ist mir nie eingefallen«, antwortete Marhalt, lenkte sein Pferd in die andere Richtung und ritt zu dem Kreuz an den drei Wegen, um zu warten.

Nun müssen wir im Buch dieses Jahres zurückblättern und Sir Ewain folgen, der mit seiner sechzig Jahre alten Dame davonritt. Seine Straße führte westwärts, Wales entgegen.

Der junge Ewain, der als erster gewählt hatte, hatte sich mit guten Gründen für diese Begleiterin entschieden. Ihr Haar war weiß, und die Jahre standen ihr deutlich ins Gesicht geschrieben, mit Falten und kleinen Runzeln. Ihre Wangen hatten Kälte erlebt, Hitze und Wind hatten sie wie Leder gegerbt. Ihre Nase war kühn geformt, stark geschwungen wie der Schnabel eines weißköpfigen Seeadlers, und auch die Augen waren die eines Adlers, gelb, weithin blickend und wild. Sie glühten, wenn bitterer Humor in ihnen stand, oder musterten scharf, wenn sich die Lider zusammenzogen. Als Ewain seine Wahl getroffen hatte, stand sie rasch auf, nahm die Zügel seines Pferdes und führte ihn von den anderen weg, als wollte sie verhindern, daß er seinen Entschluß bereute, denn sie hatte den Blick des jungen Fräuleins gesehen. Die Dame war biegsam wie eine Weidengerte, aber von gedrungenem Wuchs, in Bereitschaft wie ein gespannter Bogen. Sie wartete nicht auf die helfende Hand des jungen Ritters, sondern packte den Hinterzwiesel des Sattels und schwang sich mühelos aufs Pferd. Kaum waren die Schwüre geleistet, drängte sie ihn zum Aufbruch.

»Reiten wir los, junger Herr«, sagte sie. »Wir haben viel zu tun. Da, schlagt den Weg nach Westen ein – rasch, rasch!« Sie warf einen letzten Blick zurück zu den anderen, die noch an dem Wegkreuz standen.

»Aber es muß doch hier in der Gegend Abenteuer zu erleben geben, mein Fräulein«, sagte Ewain.

»Abenteuer? Ach ja, Abenteuer. Wir werden sehen. Ich möchte schnell weg, damit die anderen uns nicht mehr sehen. Es war meine Sorge, Ihr könntet Euch nicht für mich entscheiden. Ich habe Euch meinen Willen aufgezwungen, mich zu wählen, und Ihr habt es getan – habt mich gewählt!« Ihre Stimme klang schrill, so vergnügt war sie.

»Habt Ihr mich so rasch ins Herz geschlossen, Madame?«

»Ich heiße Lyne«, sagte sie. »Ihr seid Ewain, Sohn von Morgan le Fay, Neffe des Königs. Euch ins Herz geschlossen?« Sie lachte. »Nein, mein Auge hat Euch vor den anderen ausersehen. Marhalt ist zwar ein wackerer, zuverlässiger Ritter, ein hervorragender Kämpe und könnte ein großer Mann sein, er hat aber mehr Güte als Größe, und dann ist Marhalt festgelegt. An ihm wird sich nichts mehr verändern. Gawain? Er ist ein unbeständiger, hübscher, gräßlicher junger Spund, der sich vor Eitelkeit verzehrt wie diese Eidechsen, die ihren eigenen Schwanz fressen. Gawain hat Tage, da ist er obenauf, da könnte er mit Leichtigkeit über den Mond springen, und Tage, an denen ist er so weit unten, daß ein Erdwurm einen hohen Bogen über ihn schlagen kann.«

»Die beiden sind erprobte Ritter, mein Fräulein Lyne. Warum ist Eure Wahl auf mich gefallen?«

»Aus eben diesem Grund. Ihr seid noch nicht erprobt und daher nicht festgelegt. Ein Ritter wurdet Ihr, weil Ihr der Neffe des Königs seid, nicht als Auszeichnung für Verdienste im Kampf. Sagt mir, mein Sohn, seid Ihr ein guter Kämpfer?«

»Nein, mein Fräulein. Ich bin noch jung und unerfahren und auch nicht sehr kräftig. Ich habe auf dem Turnierplatz ein paar Gänge gegen andere junge Männer gewonnen, aber öfter verloren. Heute wurde ich von einem kampfgeübten Ritter vom Pferd geworfen und fiel zu Boden wie ein Kaninchen, das von einem stumpfen Pfeil getroffen wurde, Gawain konnte ihn freilich auch nicht besiegen.«

»Gut«, sagte sie. »Sehr gut.«

»Inwiefern gut, Madame?«

»Weil Ihr Eure Mängel nicht vervollkommnet habt. Ihr seid gutes Material, aber noch nicht geschmiedet. Ich habe beobachtet, wie Ihr Euch bewegt – Ihr habt die natürliche Gabe, dabei den ganzen Körper einzusetzen. Auf solchen Rohstoff, wie Ihr es seid, habe ich schon lange gewartet. Seht – dort, wo sich der Weg gabelt, reitet nach rechts. Findet Ihr es unschicklich, daß eine Dame meines Alters auf Abenteuer auszieht?«

»Ich finde es ungewöhnlich, Madame.« Er warf einen kurzen Blick über die Schulter und sah ihr Gesicht: die Lippen waren vor Vergnügen zusammengepreßt, in den gelben Augen stand eiserne Willensstärke.

»Ich will Euch sagen, wie das gekommen ist«, fuhr sie fort, »und dann dürft Ihr mich nie mehr danach fragen. Als kleines Mädchen, dem die Handarbeiten verhaßt waren, habe ich die Knaben beim Üben beobachtet. Die hinderlichen langen Kleider waren mir zuwider. Ich war im Reiten besser als sie und auch im Jagen, wie ich bewiesen habe, und an einer Stechpuppe lernte ich den Umgang mit der Lanze. Nur der Zufall, daß ich ein Mädchen war, hat mich daran gehindert, die Knaben auszustechen. Ich haßte mein Geschlecht, das mich so einengte, zog manchmal Knabenkleidung an, setzte eine Gesichtsmaske auf, um der Schande des Entdecktwerdens zu entgehen, und wartete wie ein fahrender Ritter auf einer Waldlichtung auf junge Männer und Knaben. Ich besiegte sie im Ringkampf und mit dem Bauernstock und behauptete mich gegen sie mit Schwert und Schild, bis ich eines Tages in einem fairen Zweikampf einen jungen Ritter tötete. Da bekam ich Angst. Ich begrub seine Leiche, versteckte seine Rüstung und schlich mich zu meinen schützenden Handarbeiten zurück. Ihr wißt, daß einer Dame der Feuertod bestimmt ist, wenn sie an einem Ritter treulos handelt.«

»Was erzählt Ihr mir da für eine grausige und widernatürliche Geschichte!« rief Sir Ewain.

»Vielleicht ist sie grausig«, sagte sie. »Aber ich frage mich: wie sehr wider die Natur? Damals wurde mir klar, daß ich auf das Ritterleben verzichten mußte. Und mit Bitterkeit im Herzen schaute ich beim Tjosten und bei den Turnieren zu. Ich bemerkte es, wenn Männer Fehler machten und zu dumm waren, sie zu korrigieren. Meine Gedanken kreisten nur ums Kämpfen, aber um erstklassiges Kämpfen, nicht diese plumpen Schlächtereien, wenn Körper zerhackt werden wie beim Fleischer. Ich habe große Ritter gegeneinander antreten sehen und festgestellt, daß ihre Größe als Kämpen nicht von ungefähr kam. Vielleicht war es ihnen nicht bewußt, aber sie kannten sich mit ihren Waffen und mit ihren Gegnern aus. Ich erkannte überlegene Könnerschaft und studierte sie, sah Fehler und prägte sie mir ein, bis ich über die Kunst des Ritterkampfs vielleicht mehr als irgendein lebender Ritter wußte. Und da saß ich, überreich an Wissen, doch ohne eine Möglichkeit, es zu nutzen, bis ich – als die Säfte meiner Eitelkeit vertrockneten und das Gift meines Zornes schwächer wurde – ein Feld fand, auf dem ich meine Kenntnisse verwerten konnte. Seid Ihr schon einmal einem jungen und unerprobten Ritter begegnet, der fortritt und nach einem Jahr wiederkehrte, gehärtet wie eine Schwertklinge, zielsicher und todbringend wie eine Lanze aus Eschenholz?«

»O ja. Vergangenes Jahr ist Sir Eglan, den sogar ich überwunden hatte, nach zwölf Monaten Abwesenheit zurückgekehrt und hat bei einem Turnier den Preis gewonnen.«

Sie lachte vergnügt. »Hat er es also geschafft. Ein braver Junge. Einer der besten, die durch meine Hände gegangen sind.«

»Er hat nie etwas von Euch gesagt.«

»Was wundert’s Euch? Welcher Mann in dieser Männerwelt könnte zugeben, daß er seinen letzten Schliff einer Frau verdankt? Es war nie nötig, irgendeinem meiner Ritter ein Schweigegelöbnis aufzuerlegen.«

»Wollt Ihr damit sagen, daß Ihr sie unterweist?«

»Ich unterweise und lehre sie, bilde sie aus, stähle sie, nehme ihnen ihre Prüfung ab, und erst dann lasse ich sie als ein vollkommenes Kampfinstrument auf die Welt los. Das ist meine Rache und mein Triumph.«

»Wohin geht es jetzt mit uns? Werden wir Abenteuer erleben, Madame?«

»Wir reiten zu meinem Lehnsgut, das in den walisischen Hügeln versteckt liegt. Abenteuer wird es für Euch geben, sobald Ihr dafür gerüstet seid, eher nicht.«

»Aber ich bin doch eigentlich auf einer Ausfahrt.«

»Ist eine Ausfahrt schlecht genutzt, wenn man nach ritterlicher Vollkommenheit strebt? Sagt ja, und ich lasse mich vom Pferd gleiten, gehe zurück, um auf einen anderen jungen Kandidaten zu warten, und Ihr könnt Euer Leben lang wie ein Kaninchen Purzelbäume schlagen.«

»Nein, das nicht!« sagte Ewain. »Nein, Madame.«

»Unterwerft Ihr Euch dann meinem Gesetz und Regiment?«

»Ja, Madame.«

»Braver Junge«, sagte sie. »Es wird nicht einfach für Euch werden, aber hinterher werdet Ihr froh sein.«

»Aber was soll ich sagen, wenn ich zurückkehre, ohne Abenteuer bestanden zu haben?«

»Zehn Monate lang werdet Ihr üben und lernen«, antwortete sie. »Und danach, das verspreche ich Euch, werdet Ihr mehr und lohnendere Abenteuer erleben, als die beiden anderen in allen zwölf Monaten. Reitet weiter, die Schule beginnt, die Schule der Waffen.« Und dann nahm ihre Stimme einen gebieterischen Befehlston an. »Eure Steigbügel hängen zu hoch. Wir werden sie tiefer hängen. Eure Füße müssen möglichst weit unten sein, so daß Ihr gerade eine Haaresbreite über dem Sattel schwebt, wenn Ihr Euch in den Steigbügeln aufstellt. Zu hoch hängende Steigbügel machen einen gepanzerten Mann oberlastig. Sitzt locker, die Schultern zurück! Nehmt die Bewegung in den Schenkeln und im Rücken auf. So, jetzt laßt die Füße frei hängen.«

»Madame«, sagte er, »ich reite seit frühester Jugend.«

»Es ist schon vorgekommen, daß Männer ihr ganzes Leben lang schlechte Reiter blieben. Das trifft auf die meisten zu. Deswegen steht ja ein richtiger Reiter turmhoch über den anderen Männern.«

»Aber mein Lehrer, Madame, hat gesagt …«

»Schweigt! Jetzt bin ich Euer Lehrer. Je lockerer Ihr im Sattel sitzt – nicht schlampig, sondern entspannt, so daß Ihr dem Pferd keinen Widerstand bietet –, um so leichter macht Ihr es Eurem Roß. Und beim Traben hebt Euch abwechselnd in den Steigbügeln, mal auf der einen, mal auf der anderen Seite. Es entlastet den Rücken Eures Pferdes. O ja, ich weiß, viele, die einen ganzen Stall voller Pferde besitzen, erschöpfen sie, reiten sie lahm, so daß nach einem einzigen Jagdtag nur noch keuchende Kadaver übrig sind. Ihr werdet so etwas nicht tun. Ihr werdet nur zwei Pferde zureiten, aber sie schulen, wie Ihr Euch selber schult, und Ihr werdet sie hegen und pflegen. Ich sage Euch, ein gutes Roß ist mehr wert als eine gute Rüstung. Ein Reiter bildet mit seinem Pferd eine Einheit, ist mehr als nur ein Mann, der auf einem Tier sitzt wie ein Hahn auf seiner Stange. Ihr werdet es Eurem Pferd behaglich und angenehm machen, ehe Ihr Euch um Euer Wohl kümmert, ihm Futter geben, bevor Ihr eßt, vor Euren eigenen erst die Wunden Eures Pferdes untersuchen. Und wenn Ihr es dann braucht, werdet Ihr in ihm zugleich ein Instrument und einen Freund haben. Versteht Ihr, was ich sage?«

»Ich höre Euch zu, Madame.«

»Ihr werdet mehr tun als nur zuhören. Jetzt zu Eurer Rüstung. Wir werden sie irgendeinem ahnungslosen Narren verkaufen.«

»Es ist eine ganz vorzügliche Rüstung, Madame. Von einem großen Künstler in den Bergen Deutschlands geschmiedet. Sie hat ein Vermögen gekostet.«

»Das kann ich mir gut vorstellen. Bei einer Parade zieht sie alle Aufmerksamkeit auf sich. Die Damen verdrehen verzückt die Augen und schmachten sie an, als ob die Kleidung den Mann trüge, was allerdings oft vorkommt, doch zum Kämpfen taugt sie jämmerlich wenig.«

»Was ist denn verkehrt daran? Sie kommt aus Innsbruck.«

»Das will ich Euch sagen. Sie ist zu massiv und zu schwer. Metall kann niemals Könnerschaft ersetzen. Eures schützt Körperpartien, die keines Schutzes bedürfen. Der Harnisch ist voller Ausbuchtungen und Vertiefungen, die einer Lanze und einem Schwert Angriffsmöglichkeiten bieten. Ihr könnt Euren rechten Arm nicht abwinkeln, um einen Schlag nach der linken Seite zu führen, und wenn Ihr den Arm hebt, rutscht die kleine Metallmanschette zur Seite und entblößt drei Zoll von Eurer hübschen Achselhöhle. Drücke ich mich klar aus? Mit einem Wort: die Rüstung ist keinen Pfifferling wert! Ihr bewegt Euch darin wie ein Esel mit übervollen Satteltaschen. Ich selbst in einem langen Rock könnte Euch mit einem Schwert besiegen, und dabei seid Ihr gepanzert. Diese Rüstung ist nur Dekor, untauglich zum Gebrauch.«

Mit einem Anflug von Ärger sagte er: »Ihr seid aber kritisch, Madame.«

»Findet Ihr? Dabei gurre ich wie ein Täubchen. Wartet ab, bis Ihr mich wirklich kritisch erlebt. Und wenn es Euch nicht paßt, laßt mich absitzen und zieht Eurer Wege.«

»Madame, ich wollte damit nicht sagen …«

»Dann schweigt, bis Ihr etwas zu sagen habt. Ihr werdet nicht nur diesen lächerlichen Plunder wegwerfen, den Ihr am Leib habt, sondern auch einen Haufen von angesammeltem Krempel aus Eurem Kopf hinausbefördern. Ihr fangt ganz von vorne an, mein Junge, wie ein Säugling, der an den Füßen hochgehoben wird und seinen ersten Klaps bekommt. Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, bei der Rüstung. Sperrt Eure entzückenden Ohren auf, hört mir zu und merkt Euch, was ich sage, Ihr könntet es mir sogar nachsprechen. Ein Harnisch ist nur dazu da, zu schützen, was Können, Präzision und Schnelligkeit nicht zu schützen vermögen. Er sollte möglichst leicht sein und so geformt, daß er einen Hieb abgleiten läßt, und nie der Prüfung durch einen direkten Treffer ausgesetzt werden. Seine Aufgabe ist es, Stöße und Hiebe abzuleiten. Auch die Form des Helms sollte nicht dem Zweck dienen, einer Klinge standzuhalten, sondern sie abgleiten zu lassen. Euer Visier ist so genial, daß Ihr damit nichts sehen könnt. Wie wollt Ihr kämpfen, wenn Ihr nichts seht? Ein Helm mit Kanten ist besser als einer mit dickem Panzer, denn selbst wenn Ihr einen gußeisernen Topf auf dem Kopf hättet, würde ein einziger tüchtiger Hieb mit dem Streitkolben Euch lähmen wie ein Kaninchen. Jetzt kommen wir zu den Kampfhandschuhen … und dann … die Sättel nehmen wir uns später vor. So … ich werde Euch das Gesetz verkünden, und Ihr werdet es Wort für Wort lernen, und jedes Wort muß mit Feuer gehärtet werden. Das Gesetz lautet so: Der Zweck des Kämpfens heißt Siegen. Verteidigung kann unmöglich zum Sieg führen.Das Schwert ist wichtiger als der Schild, und Können zählt mehr als beides. Die entscheidende Waffe ist das Gehirn, alles andere nur Ergänzung.« Sie schwieg unvermittelt. Dann fuhr sie fort: »Ich habe Euch ganz schön eingedeckt, nicht wahr, mein Sohn? Aber wenn Ihr Euch nur das zu eigen machen könntet, was ich bisher gesagt habe, wären nur wenige Männer auf der Welt imstande, es mit Euch aufzunehmen, und noch weniger fähig, Euch zu besiegen. Doch es wird Nacht. Reitet in dieses Gehölz dort am Hang. Während Ihr das Pferd trockenreibt, suche ich etwas für Euer Abendbrot aus meinem Beutel heraus.«

Als Ewain sein Pferd angepflockt hatte, kam er zurück. Sie fragte ihn: »Habt Ihr es trockengerieben?«

»Ja, Madame.«

»Und Eure Satteldecke zum Trocknen aufgehängt?«

»Ja, Madame.«

»Also dann, hier ist Euer Abendbrot.« Und sie warf ihm einen Kanten Haferbrot zu, ohne Geschmack und hart wie ein Dachziegel. Und während er klaglos daran herumknabberte, hockte sich die Dame Lyne auf die Erde und zog ihren weiten Mantel wie ein Zelt um sich. »Von der Nachtluft bekomme ich Gelenkschmerzen. Ich nehme an, das Alter setzt mir allmählich zu. Nun ja, die Welt wird sich an mich nicht erinnern, aber ich werde ihr Männer vererben. Mein Schoß ist der Turnierplatz, aus dem Ritter kommen. Erzählt mir, junger Herr, was ist Eure Mutter für eine Frau? Über Morgan le Fay haben schon einige sonderbare Geschichten die Runde gemacht.«

»Sie war immer sehr gut zu mir«, sagte er. »Natürlich, ihre Güter und alle ihre speziellen Pflichten haben es vielleicht verhindert, daß ich so viel mit ihr beisammen war, wie sie es gewünscht hätte, aber … ja, sie war immer gütig und sogar fürsorglich zu mir. Und wenn sie gut aufgelegt ist und alles geht, wie sie will, kann sie fidel wie niemand sonst sein. Dann singt sie wie ein Engel und macht so lustige Witze, daß man sich vor Lachen biegt.«

»Und wenn sie nicht fidel ist?« fragte die Dame Lyne.

»Nun ja, wir haben uns angewöhnt, uns in einem solchen Fall zu verdrücken. Sie ist eine sehr willensstarke Person.«

»Hoffentlich hat sie Euch nicht ihre Art zu kämpfen beigebracht, oder?«

»Wie meint Ihr das, Madame?«

»Weicht der Frage nicht aus, junger Mann. Ich meine die Zauberei, und Ihr wißt, daß ich die Zauberei meine.«

»Oh! Sie wendet nie Zauberkünste an. Sie hat mich sogar davor gewarnt.«

»Hat sie das? Gut so.« Das Fräulein streckte sich auf dem Boden aus, umhüllte sorgfältig die Füße mit dem Mantel und kuschelte die Schultern darunter. »Ihr bekommt sicher den König oft zu sehen. Erzählt mir über ihn. Wie ist er, wenn er nicht auf dem Thron sitzt?«

»Nicht anders, Madame. Er sitzt immer auf dem Thron, außer …«

»Außer was?«

»Ich sollte es nicht erzählen.«

»Das müßt Ihr selbst beurteilen. Ist es etwas für ihn Nachteiliges?«

»Nein. Nur verblüffend, weil er doch König ist.«

»Ihr habt also etwas Menschliches an ihm gesehen.«

»Ja, so könnte man es wohl bezeichnen. Eines Abends, als meine Frau Mutter sehr fidel war und wir uns alle vor Lachen bogen, trat ein Bote zu ihr, und sie wurde krebsrot vor Zorn. Natürlich verdrückte ich mich, wie ich es mir angewöhnt hatte, und ging auf die Burgmauer, um zu den Sternen hinaufzuschauen und den Wind im Gesicht zu spüren.«

»Wie Ihr es immer tut.«

»Ja – aber woher wißt Ihr das? Nun, und dann hörte ich ein Geräusch wie das Wimmern eines hungrigen Welpen oder wie ein Schmerzensschrei, der zwischen geschlossenen Fingern hindurchdringt. Ich ging leise darauf zu und sah im Schatten des Turms den König – und er weinte und preßte sich die Hände auf den Mund, um das Weinen zurückzuhalten.«

»Und Ihr habt Euch verzogen, ohne etwas zu sagen?«

»Ja, Madame.«

»Gut so«, sagte sie. »Das war schicklich gehandelt.«

»Es hat mich verblüfft, Madame – und ist mir zu Herzen gegangen. Der König darf doch nicht weinen, er ist ja der König.«

»Ich verstehe. Sagt niemand anderem etwas davon. Ich werde es auch nicht weitererzählen. Aber solltet Ihr jemals träumen, ein König zu sein, wäre es nicht schlecht, daran zu denken. Legt Euch jetzt zur Ruhe, mein Freund. Wir reiten morgen in der Frühe weiter.«

Und mit »Frühe« meinte sie das erste Erblassen der Sterne in ihrem milchigen Licht. Lyne rüttelte Sir Ewain aus seinem schweren Schlaf. »Los, aufstehen«, sagte sie. »Sprecht Euer Gebet.« Sie ließ einen Dachziegel aus Brot auf seine Brust fallen. Und während sie sich zum Weiterreiten fertigmachten, klagte sie verdrossen: »Rost auf den Kugeln und Pfannen meiner Gelenke. Nicht daß man früh müde wird, zeigt das Alter an, sondern das leichte, schmerzhafte Knirschen am Morgen.« Der junge Ewain stolperte blind und schlaftrunken zu seinem unwilligen Roß, um es zu satteln. Und als er die Rüstung anlegte, wollten die Schnallen und Riemen seinen Fingern nicht gehorchen. Er und das Fräulein waren schon ein gutes Stück weit gekommen, als das schwache, graue Morgenlicht den Weg erkennen ließ und den Bäumen rechts und links ihre Form zurückgab.

Sie durchquerten einen breiten, seichten Fluß, als die Sonne hinter ihnen emporstieg, und kamen in offenes Gelände, das zu Hügeln, bewachsen mit Stechginster, anstieg, und dahinter kamen weitere Hügel und noch mehr Hügel – ein felsiges Land, das das Dunkel der Nacht festzuhalten schien. Schafe hoben den Kopf und blickten kauend zu ihnen her, senkten ihn dann wieder und grasten weiter, und auf jedem Hügelkamm stand die dunkle Gestalt eines Hirten, der neidvoll hersah, und neben ihm jaulte leise sein struppiger Hund, der die Wünsche seines Herrn wissen wollte.

»Sind das Menschen oder nicht?« fragte Ewain.

»Manchmal das eine, manchmal das andere, zuweilen beides. Nähert Euch ihnen nicht. Sie haben Stacheln.« Das Fräulein war an diesem Morgen wortkarg, doch als das Pferd hangaufwärts langsamer wurde, ließ sie Ungeduld erkennen. »Treibt Euer Roß an, junger Mann«, sagte sie gereizt. »Die Hügel werden uns nicht entgegenkommen.« Von einer Rast wollte sie nichts wissen – nur das Pferd durfte an einem kleinen, klaren Bach saufen, der talwärts tollte.

Es war in der Mitte des Nachmittags, als sie eine letzte lange Anhöhe hinaufritten und unterhalb der Hügelkuppe zu einer Mulde gelangten, die allen Augen außer denen der Vögel verborgen war. Darin duckten sich unter dem Wind niedrige gemauerte Häuser mit steinernen Dachplatten, niedrigen Türen für kleine, breit gewachsene Männer und Schießscharten, um Licht einzulassen. Diese Häuschen umrahmten drei Seiten eines Turnierplatzes, von dem mit Gartenrechen die Steine entfernt worden waren, und dort sah Ewain eine Stechpuppe, die ungeschickten Umgang mit der Lanze automatisch bestrafte, und an einem Strick hing ein Stechring. Das Ganze hatte etwas Armseliges. Manche der Häuser beherbergten Schafe, andere Schweine, ein paar waren Behausungen für Menschen, und zwischen ihnen allen war kein großer Unterschied.

Die Dame schrie einen Befehl, als sie vom Pferd herabglitt. Kleine, dunkelhaarige Männer, die den Eindruck roher Gesellen machten, tauchten aus den Hütten auf und kamen herbei, um das Pferd wegzuführen. Sie begrüßten die Dame, indem sie die Hand an die Stirn führten, schauten Ewain mit abschätzenden, finsteren Blicken an und unterhielten sich miteinander in einer Sprache, die er nicht kannte und die ihm wie Gesang vorkam.

Das Fräulein sagte: »Willkommen, junger Herr, im Lustschloß einer Dame. Wenn Ihr hier irgendwelchen Komfort entdecken könnt, dann ist er mir entgangen.« Sie warf einen kurzen Blick zum Himmel hinauf. »Seht Euch Euer Quartier an, mein Sohn. Erschaut die liebliche Gastlichkeit dieser Hügel, betrachtet die lächelnden Gesichter meiner Männer. Ihr habt noch drei Stunden, bis es dunkel wird. Ihr könnt davonziehen, ehe die Sonne untergeht, und der Weg vor Euch wird frei sein. Doch wenn Ihr morgen früh noch hier seid, dürft Ihr nicht mehr fort, und solltet Ihr es dennoch tun, werden diese kleinen Männer Euch aufspüren, selbst wenn ihr keine andere Spur hinterlaßt als der Westwind der vergangenen Woche, und die Krähen werden sich an jungem, zartem Fleisch gütlich tun.«

Am folgenden Morgen war Ewain noch da, und nun begann seine Ausbildung – stundenlange, erschöpfende Arbeit mit einer Lanze, und die Dame stand dabei, sah ihm zu, kommentierte die Fehler mit ätzenden Bemerkungen und entdeckte nicht viel Lobenswertes. Und als nach einiger Zeit die Lanzenspitze ins Ziel traf, befestigte sie es an einem tanzenden Seil und jubelte triumphierend, wenn Ewain es verfehlte. Auf die Arbeit mit der Lanze folgten Stunden mit einem bleibeschwerten Schwert, das die Muskeln strecken und modellieren sollte. Dabei ging es nicht gegen einen Widersacher, sondern darum, Hiebe gegen einen aufrecht stehenden Baumstamm zu führen, und der Winkel jeder einzelnen Kerbe wurde inspiziert und kritisch begutachtet. Die Kost war ebenso derb, wie die Arbeit anstrengend – gekochte Hafergrütze mit Lammfleisch und nach Farnkräutern schmeckendem Wasser –, und als es dunkel wurde, stolperte Ewain mit trüben Augen zu seinem Schlaf feil in einer Ecke, und manchmal mußte er eine Gans wegschieben, um Platz für sich zu schaffen. Schwer sank der Schlaf auf ihn herab, bis ihn dann, noch in der Dunkelheit, ein derber Stiefel traf und ein neuer Tag begann.

Nach zwei Monaten reagierten sein Auge und Arm automatisch, ohne Überlegung; Bewegung und Balance waren verschmolzen. Die Dame beobachtete alles, was er tat, verglich es mit seinen Leistungen vom Vortag, und endlich sah sie, daß sie einen Kämpfer im Rohzustand vor sich hatte. Erst jetzt begann sie zu ihm in einer Art zu sprechen, die über Tadeln und Nörgeln hinausging.

»Ihr leistet Leidliches, junger Mann«, sagte sie. »Aber ich habe schon Besseres erlebt. Ich habe bemerkt, wie immer wieder Euer Stolz zornig aufflammte. ›Ich bin doch ein Ritter‹, habt Ihr stumm zu Euch gesagt. ›Wieso soll ich leben wie ein Vieh?‹ Wißt Ihr, was ›Ritter‹ – unser englisches ›knight‹ – bedeutet? Es ist ein ururaltes Wort und kommt von dem deutschen ›Knecht‹, was sehr treffend ist, denn wer ein Herr werden möchte, der muß zuerst lernen, einem Herrn zu gehorchen. Ich weiß, das ist ein alter Spruch, aber wie andere Sprichwörter wird er erst wahr, wenn man die Sache selbst erlebt hat. Ihr sollt jetzt einen Gegner bekommen.«

Darauf folgten zwei Monate, in denen er gegen einen trickreichen, mit allen Wassern gewaschenen Waliser ritt, der von Ewains stoßbereiter Lanze wegtrieb wie Rauch, den nichts halten kann. Und nun sprach die Dame zu ihm nicht wie zu einem Vieh, sondern mehr wie zu einem intelligenten Hund oder einem etwas zurückgebliebenen Kind.

»Vermutlich ist es für Euch etwas Natürliches, vor dem Augenblick des Anpralls die Augen zu schließen«, sagte sie. »Aber Ihr müßt Euch angewöhnen, sie offenzuhalten, denn in dem Augenblick, da Ihr blind seid, kann alles mögliche geschehen.«

Dann zwei weitere Monate und noch einmal zwei. Ewain war mittlerweile hager, muskulös und rank, anzusehen wie ein Eibenstamm. Er sehnte sich abends nicht mehr nach der Erlösung durch den Tod, fürchtete nicht mehr die Zehe zwischen seinen Rippen, die ihn weckte, wenn er nicht bereits aufgestanden war. Jetzt kam er selbst hinter seine Fehler und versuchte sie zu korrigieren, und er schlich auch nicht mehr beschämt zu seiner Schlafstätte, nachdem er ungnädig fortgeschickt worden war.

»Aus Euch wird nie einer der Männer werden, die wie ein Fels in der Brandung stehen«, sagte das Fräulein. »Da Euer eigenes Gewicht nicht sehr groß ist, müßt Ihr das Gewicht Eurer Gegner für Euch kämpfen lassen. Achtet darauf, daß Eure Lanzen lang sind. Beugt Euch im Sattel so weit nach vorne, wie Ihr könnt. Auf diese Weise gebt Ihr ein kleineres Ziel ab, und wenn – was noch mehr zählt – Eure Lanzenspitze als erste auftrifft, nimmt sie dem Stoß des Gegners die Kraft. Setzt nie Stärke gegen Stärke, sondern studiert Euren Gegner, ehe Ihr den Kampf beginnt. Versucht seine Stärken wie seine Schwächen herauszufinden, damit Ihr jenen ausweichen und diese für Euch nutzen könnt. Unter den Rittern gibt es ein paar Narren, die glauben, sie könnten sich mit einem neuen Wappenzeichen oder einer Rüstung in einer anderen Farbe tarnen. Auch wenn ich einen Mann nur ein einziges Mal kämpfen sah, werde ich ihn immer erkennen, selbst wenn er ein Bierfaß als Harnisch trüge und auf einer Gans auf den Turnierplatz geritten käme.«

Als das Jahr schon weit vorgerückt war, im neunten Monat, führte die Dame Ewain über den Hügelkamm, wo er noch nie gewesen war, und in einem windgeschützten Tal stießen sie auf ein Dutzend der vierschrötigen, dunkelhaarigen, kriegerisch wirkenden Männer dieses Landstrichs, die unter den Bäumen an einem Fluß Zielscheiben aufgestellt hatten. Sie übten mit Bogen, so groß wie sie selbst, und Pfeilen, deren Schaftenden ihnen beim Spannen der Sehne bis ans Ohr reichten. Die Pfeile flogen mit einem zornigen Schwirren dahin und trafen die Scheiben, obwohl diese klein und weit entfernt waren.

»Hier«, sagte die Dame Lyne, »seht Ihr die Zukunft – den Tod des Rittertums.«

»Was redet Ihr denn da, Madame? Das ist doch nur ein angenehmer Sport.«

»Schon wahr«, sagte sie. »Aber gebt mir zwanzig von diesen sporttreibenden Bauern, und ich bringe mit ihnen zwanzig Ritter zum Stehen.«

»Das ist doch verrückt!« antwortete er heftig. »Diese Spielzeuge sind für einen gepanzerten Ritter nicht mehr als Insekten.«

»Meint Ihr? Gebt mir Euren Schild und Euren Brustharnisch.« Und als er beides abgelegt hatte, ließ sie die Rüstung an einen Pfosten hängen, der hundert Schritte weit weg war. »So, Daffyd«, sagte sie, »schieß acht rasch nacheinander ab.«

Die Pfeile flogen durch die Luft, als wären sie aneinander aufgereiht, und als die Rüstung geholt wurde, sah der Harnisch aus wie ein flach gedrücktes Nadelkissen, und dort, wo die Brust des Trägers gewesen wäre, waren vier der Eisenspitzen in den Panzer eingedrungen.

»So sieht es für die Ritter aus«, sagte die Dame. »Wenn ich einen Krieg anfangen wollte, würde ich mit diesen Männern in den Kampf ziehen.«

»Sie würden es nicht wagen. Jedermann weiß doch, daß kein Bauer einem edlen, zum Kämpfen geborenen Ritter standzuhalten vermag.«

»Kann sein, sie lernen. Ich weiß, daß es für die Kriegskunst ebenso lähmend wäre, sie den Händen von Soldaten anzuvertrauen, wie wenn man die Religion denen von Priestern überantworten wollte. Doch eines Tages wird ein Anführer, der den Sieg über die hergebrachte Form des Krieges stellt, solche Männer ins Feld führen, und dann … dann ist es mit den Rittern vorbei.«

»Was für eine schreckliche Vorstellung«, sagte Sir Ewain. »Wenn niedrig Geborene imstande wären, sich gegen die aufzulehnen, die zur Herrschaft, zum Bischofsamt, zur Regierung geboren sind, würde ja die ganze Welt auseinanderbrechen.«

»Ja, das würde geschehen«, sagte sie. »Das wird geschehen.«

»Ich glaube Euch nicht«, sagte Ewain. »Aber weil wir schon darüber sprechen – was würde danach kommen, Madame?«

»Nun, danach … danach müßten die Trümmer eben wieder zusammengefügt werden.«

»Aber von Leuten dieser Art …?«

»Von wem sonst. Von wem denn sonst?«

»Wenn dies wahr werden sollte, Madame, dann bete ich darum, daß ich es nicht erleben muß.«

»Wenn es wahr werden sollte, und Ihr, mein Herr Ritter, würdet einem Pfeilhagel entgegenstürmen, wäre es mit Euch vorbei. Kommt jetzt, wir wollen zurückreiten. Noch ein Monat, und Ihr seid für Eure Prüfung gerüstet, ein guter Ritter, einer der besten, doch vorher wollte ich Euch noch zeigen, was für eine Zukunft den besten Rittern auf der Welt bestimmt ist.« Sie sprach für Ewain unverständliche Worte zu den Männern mit den Langbogen und den fast einen Meter langen Pfeilen, und sie lachten und führten die Hand an die Stirn.

»Was haben sie gesagt?« fragte der junge Ritter, dem unbehaglich zumute war.

»Was sollen sie schon gesagt haben? Sie haben gesagt: ›Geht in Frieden.‹«

Der letzte Monat verging wie im Flug, so angefüllt war er. Noch nie war die Dame so kritisch, so sarkastisch gewesen, hatte sie ihn so erniedrigt. Eine Bewegung, die ihm früher ein kleines Lob eingetragen hatte, löste nun ein schrilles Schimpfen aus. Mit blitzenden Augen maß sie ihn, und aus ihrem schmallippigen Mund troff Gift, während sie ihr ganzes Wissen, alles, was sie beobachtet und erfunden hatte, in ihn hineinzupressen versuchte. Und dann wurde eines Abends – am Ende eines Tages, an dem er nichts zu hören bekommen hatte als demütigende Beschimpfungen, die ihn verzweifeln ließen – ihre Stimme leiser. Sie schwieg, trat zurück und sah den schmutzigen, schwitzenden, erschöpften, mit Schmähungen überhäuften Ewain an.

»So«, sagte sie dann, »das war alles, was ich Euch beibringen konnte. Wenn Ihr jetzt nicht ein fertiger Ritter seid, werdet Ihr es nie sein.«

Er brauchte ein bißchen, bis er begriff, daß seine Lehrzeit zu Ende war. »Bin ich jetzt ein guter Ritter?« fragte er schließlich.

»Ihr seid überhaupt kein Ritter, bis Ihr Eure Probe bestanden habt. Zumindest aber seid Ihr das Erdreich, aus dem vielleicht ein guter Ritter wachsen wird.« Und besorgt fragte sie: »War ich ein gestrenger Lehrmeister?«

»Ich kann mir keinen schlimmeren vorstellen, Madame.«

»Das hoffe ich«, sagte sie. »Das hoffe ich wirklich. Morgen werdet Ihr Euch säubern, und übermorgen brechen wir auf.«

»Wohin?«

»Auf Abenteuersuche. Ich habe ein Werkzeug geschmiedet. Jetzt wollen wir sehen, was es taugt.«

Am nächsten Tag in der Frühe fuhr er im Dunkeln aus dem Schlaf hoch, um dem gewohnten Rippenstoß zu entgehen. Dann fiel ihm ein, daß der Stoß ausbleiben werde. Er versuchte wieder einzuschlafen, um noch weiterzuschlummern, wonach er sich all die Zeit so sehr gesehnt hatte, doch er war nicht mehr müde. An diesem Tag wurde er gebadet, geschrubbt und saubergeschabt. Man schnitt ihm das Haar. Die Leute der Dame lachten, als sie sahen, wie unter den Schichten aus Schmutz, Fett und Asche die Farbe seiner Haut zum Vorschein kam. Und als er angekleidet war, in einer neuen Jacke und Hose aus Schafsfell, weich und geschmeidig wie Wildleder, ließ die Dame Lyne seine Geschenke holen.

»Hier ist ein magischer Harnisch«, sagte sie. »Die Zauberkraft wohnt in den Außenflächen. Es gibt keine Stelle daran, wo Klinge oder Lanzenspitze einen Ansatzpunkt finden könnten. Hebt ihn hoch. Ihr seht, er wiegt nicht viel. Und hier ist ein Topf mit reinem Hammelfett. Ihr müßt den Harnisch jeden Tag damit einreiben, um Rost fernzuhalten und damit Schwerthiebe wirkungslos abgleiten. Euer Schild ist, wie Ihr seht, glatt und gebördelt, und der Rand hat die gleiche Höhe wie die Fläche. Sollte er eine Delle bekommen, vergeßt nicht, sie auszuheulen. Hier ist Euer Helm – hübsch, nicht? Einfach, leicht und sehr fest. In dieses Loch hier könnt Ihr Federn stecken, aber nichts sonst. Jetzt Euer magisches Schwert. Nehmt es in die Hand.«

Sir Ewain nahm es. »Es wiegt nichts, Madame. Ist es nicht zu leicht?«

»Es kommt Euren Armen leicht vor, weil Ihr bisher mit einem bleibeschwerten Schwert hantiert habt. Nein, es ist schwer genug, aber der Zauber ist in der Ausgeglichenheit zu suchen. Der Schwerpunkt liegt nicht in der Spitze, weil der Griff mehr Gewicht hat, und die sonderbare Form soll das Auge über die Länge täuschen.«

»Es sieht zu kurz aus.«

»Vergleicht es mit einem anderen. Dann werdet Ihr sehen, daß es das längere der beiden ist. Und nun als letztes Eure Lanze. Sie ist ebenfalls magisch, von den guten Feen hier bei mir gemacht. Hütet sie gut.«

»Doch wenn sie zersplittert?«

»Sie wird nicht zersplittern. Ihr Anblick täuscht. Das Mark besteht aus einem langen stählernen Stab, umhüllt mit ungegerbtem, beinahe ebenso hartem Leder. Nein, sie wird nicht zerbrechen. Und seht her, sie hat zwei Griffe, im Abstand von einem Fuß. Bei einem gewichtigen Gegner faßt sie am hinteren und stoßt als erster zu. So, damit habe ich Euch beigebracht, was ich vermag. Wenn ich auch in Euren Kopf etwas hineingepreßt habe, bin ich zufrieden. Geht jetzt schlafen. Wir reiten morgen fort, allerdings nicht zu früh. Wir haben Zeit, die wir ein bißchen genießen können.«

Als Ewain zu seinem Nachtlager kam, fand er ein mit sauberem Linnen bezogenes Bett vor, das nach getrocknetem Lavendel duftete, und am oberen Ende lag ein Kissen aus den weichsten Gänsedaunen. Vor dem Einschlafen versuchte er noch, sich jede einzelne Lektion dieser erschöpfenden Monate in die Erinnerung zu rufen.

Am folgenden Morgen, nach Morgengebet und Frühstück, legte er seinen Harnisch an und wunderte sich, wie leicht dieser war und wie ungehindert er sich darin bewegen konnte.

Dann kam die Dame Lyne zu ihm heraus, und verblüfft stellte er fest, was für eine Verwandlung mit ihr vor sich gegangen war, denn nun wirkte sie fraulich, beinahe wie ein junges Fräulein. Ihr Haar war kunstvoll aufgesteckt, die Augenfarbe nicht mehr das Gelb des Adlers, sondern ein weiches Gold, und sie bewegte sich mit dem graziösen, sicheren Schritt einer Edelfrau. Ihr Kleid war violett, mit goldenen Borten gesäumt, und darüber hing ein purpurroter Reisemantel mit Futter und Kragen aus Eichhörnchenfell. Und auf dem Kopf trug sie eine kleine Krone, wie eine Fürstin. Sie ritt einen Zelter, dessen Fell wie mattes Gold schimmerte. Zwei in Leder gewandete Gefolgsleute saßen hinter ihr auf struppigen Ponys. Die entspannten Bogen in ihren Händen wirkten wie lange Stäbe, und über der linken Schulter waren die gefiederten Enden von gebündelten Pfeilen zu sehen.

»Reitet voran!« sagte die Dame.

»In welche Richtung, Madame?«

»Den Weg, den wir gekommen sind«, antwortete sie.

Sie ritten durch nasse Nebelschwaden, die wie Stoffetzen über das weite Hügelland geweht wurden. Die Schäfer sahen sie vorbeikommen und riefen ihren Landsleuten melodische Grüße zu.

Als sie am Fuß der Berge in flaches Land kamen, durchquerten sie auf einer Furt den Fluß und ritten in den Wald hinein, abweisend und von einer unheimlichen Düsternis im Vorfrühling. Eichen und Birken mit kahlem Geäst wie Schiffsmasten, deren Takelage vor dem Sturm eingeholt wurde – ein trister Weg in einem tristen Monat.

»Kein Tag, der Abenteuer verheißt, Madame.«

Sie war den langen, gewundenen Weg von den Hügeln herab schweigend geritten, nun aber lachte sie leise. »Abenteuer kommen oder bleiben aus, wie es ihnen beliebt«, sagte sie. »Wenn die Sänger Gäste melden, strotzt ein Tag von Abenteuern wie eine pralle Traube von Beeren. Aber ich bin schon wochenlang geritten, ohne daß ein größeres Wunder geschah als ein geschwollenes Gelenk nach einer nassen Nacht.«

»Sind wir zu einem Abenteuer unterwegs, das Euch bekannt ist?«

»Nicht weit von hier wird ein Turnier abgehalten, früh im Jahr, um gute Kämpen anzulocken. Später im Jahr, wenn der treibende Geist der Ausfahrt zu sprießen beginnt, ziehen die großen Ritter zu bedeutenderen Kampfstätten. Ich hoffe, Ihr bekommt Gelegenheit, Eure Arme noch vor dem Turnier zu erproben.«

Und noch während sie sprach, kam ein gepanzerter Ritter rasselnd hinter ihnen hergeritten und rief Ewain zu: »Kommt, tut einen Gang mit mir!«

Sir Ewain sah die armselige, ausgebesserte, mit Rost bedeckte Rüstung des Ritters und sein Pferd an, das wegen einer Verstauchung hinkte. Er bemerkte, daß der Mann unsicher im Sattel saß, als wäre er mit Nadeln gespickt. Einen Augenblick lang war er unschlüssig und liebkoste seine Lanze, doch dann sagte er: »Edler Ritter, erlaubt mir freundlicherweise, mich der Aufforderung mit Ehren zu entziehen, denn ich will Euch sagen, daß ich eidlich gelobt habe, erst mit einem bestimmten Gegner zu kämpfen. Ich habe geschworen, keine Waffe zu ziehen, ehe ich ihn gefunden habe.«

Der fremde Ritter sagte: »Aber gewiß, junger Herr, ich will Euren Eid respektieren und Euch Eurer Wege ziehen lassen, da mir meine Ritterehre teuer ist.«

»Das ist edel gesprochen, Sir. Ich danke Euch.«

Der fahrende Ritter entbot mit einer Berührung seines Visiers der Dame seinen Gruß und ritt mit einem metallischen Klingen unsicher schwankend davon, während seine altersschwache Mähre wie ein störrisches Fohlen mit der Kandare kämpfte. Als er verschwunden war, sagte die Dame: »Das war wohlgetan, Sir.«

»Ich mußte lügen, Madame.«

»Es war eine ritterliche und gütige Lüge«, sagte sie. »Warum solltet Ihr seinen Stolz verwunden und seinen Körper obendrein.«

»Trotzdem«, sagte Ewain, »hoffe ich meine Arme noch zu erproben, ehe ich am Turnier teilnehme.«

»Auch die Geduld ist eine ritterliche Tugend«, bemerkte sie.

Bald danach trafen sie auf einer Lichtung den Ritter mit dem rostigen Harnisch wieder. Er saß auf der Erde und hielt seinen geborstenen Schild über sich, während ein hochgewachsener Ritter zu Pferde mit der Lanze auf ihn einstach wie ein Gärtner, der Blätter aufspießt.

Da lachte Ewain das Herz. »Haltet ein, Sir!« rief er.

»Was sehe ich da?« sagte der große Ritter. »Ein Bürschchen in einer Spielzeugrüstung. Das ist ein schwarzer Tag für mich – ein rostiger Misthaufen und ein Knäblein.«

Nun blickte sich Ewain besorgt und ratsuchend nach der Dame um, doch sie war an den Rand der Lichtung geritten und wollte weder zu ihm hinsehen, noch ihm helfen. Und Ewain wollte im ersten Zweikampf nach Abschluß seiner Lehrzeit eine gute Figur machen. Alles Erlernte schwirrte ihm wie ein Bienenschwarm durch den Kopf, und eine einzelne Biene löste sich aus dem Schwarm und summte: »Du mußt es erst mit mir aufnehmen, ehe du gegen ihn kämpfst.« Und plötzlich war der junge Ewain ganz gelassen. Er prüfte rasch Sattelgurt und Schildriemen, lockerte das Schwert in der Scheide und ritt dann absichtlich ganz langsam auf die andere Seite der Lichtung, wobei er den hochgewachsenen Ritter im Auge behielt.

Die beiden Ritter senkten ihre Lanzen und ritten aufeinander zu, doch auf halbem Weg zügelte Ewain sein Pferd, lenkte es herum und ritt in einem Bogen zurück zu seiner Ausgangsstellung, während der große Ritter sein schnaubendes, sich nach vorne werfendes Roß zu bändigen versuchte.

»Entschuldigt, Sir«, rief Ewain, »aber mein Sattelgurt ist locker.« Er tat so, als zöge er die Riemen an, aber er hatte gesehen, was er hatte sehen wollen: wie der Gegner im Sattel saß, was sein Pferd taugte und wie er mit sich selbst zurechtkam. Ewain blickte eine Sekunde lang zu der Dame Lyne hin, sah in ihren Augen einen gelben Glanz und auf den schmalen Lippen ein Lächeln des Verstehens.

»So geht es einem mit Kindern«, brüllte der hochgewachsene Ritter. »Paßt besser auf!« Er bewegte sein aufsässiges und zugleich scheues Pferd zu einem schwerfälligen Galopp. Ewain sah, wie die Lanzenspitze hochfuhr und sich senkte. Er lenkte sein Pferd in einem weiten Bogen nach rechts und zwang so den Gegner, seine Richtung nach links zu ändern. Im letzten Augenblick schwenkte Ewain lässig auf ihn zu, stieß mit der Lanzenspitze beinahe zart gegen den Schuppenpanzer des großen Ritters und hob ihn aus dem Sattel, so daß er rasselnd auf die Erde stürzte, während sein wütendes Roß in den Wald davongaloppierte.

Ewain wendete sein Pferd, trabte zurück und sagte: »Ergebt Ihr Euch, Herr Ritter?«

Der andere lag mit verdrossenem Gesicht auf der Erde, blickte zu dem jungen Mann hinauf, den er zum erstenmal richtig sah, und sagte: »Wenn dieser Stoß Glück war, habe ich Pech gehabt, und wenn er kein Glück war, ist mein Pech noch größer. Ich kann nicht zu Fuß gegen Euch kämpfen. Ich glaube, ich habe mir eine Hüfte gebrochen. Sagt mir, Sir, war Euer Sattelgurt wirklich locker?«

Ewain sagte: »Ergebt Euch!«

»O ja, ich ergebe mich bereitwillig. Mir bleibt ja nichts anderes übrig. Ich war zum Turnier unterwegs, und jetzt sitze ich hier, und das alles nur, weil ich gegen den Sack voll Knochen dort gekämpft habe.«

»Ihr seid der Gefangene dieses edlen Mannes«, sagte Ewain. Er trat zu dem Ritter mit der rostigen Rüstung, der sich auf unsicheren Beinen erhob. »Ich überantworte ihn Euch, Sir«, sagte er. »Ich weiß, Ihr werdet ritterlich mit ihm verfahren, wie Ihr es mir gegenüber getan habt. Sein Harnisch ist Euer Lohn. Kümmert Euch um seine Verletzung.«

»Wie heißt Ihr, Sir?«

»Mein Name ist der eines noch unerprobten Mannes«, sagte Ewain. »Wenn Ihr zu dem Turnier reitet – ich hoffe, mich dort zu bewähren.«

»Ja, ich bin zu dem Turnier unterwegs und bitte um die Ehre, an Eurer Seite kämpfen zu dürfen.«

Als sie weiterritten, sagte die Dame sarkastisch: »Versucht diesen Trick nicht bei einem Ritter, der sich auskennt. Er war zu durchsichtig.«

»Ich fand, ich müßte meinen ersten Kampf gewinnen.«

»Es war ja recht gut gemacht«, erwiderte sie. »Aber es roch nach einem Trick. Versucht nächstes Mal, es mehr wie Zufall aussehen zu lassen. Ich finde, Ihr hättet es auf einen Lanzenkampf ankommen lassen können. Ein zweiter Gang, und er wäre auch ohne Euer Zutun vom Pferd gefallen.« Und als sie sah, daß Ewain unter ihrer Kritik zusammensank, fuhr sie fort: »Für das erste Mal war es durchaus in Ordnung. Vielleicht habt Ihr recht daran getan, übervorsichtig zu sein. Doch zum Stolz habt Ihr erst dann Anlaß, wenn Ihr einen guten Gegner bezwungen habt.«

Dreimal im Laufe des Nachmittags überholten sie Ritter, die zum ersten Turnier des Frühjahrs unterwegs waren. Ewain tjostete gegen jeden, stieß jeden aus dem Sattel und weigerte sich auf Weisung der Dame, zu Fuß zu kämpfen. »Das wollen wir uns für das Turnier aufheben«, sagte er.

Die Dame ließ zwar eine grimmige Befriedigung erkennen, meinte aber: »Ich bin ein bißchen besorgt. Ich mißtraue Eurer Könnerschaft. Vielleicht mißtraue ich mir selbst.« Dann beschäftigte sie sich kurze Zeit mit ihren Gedanken, beantwortete seine Fragen nur knapp und widerwillig und sagte schließlich: »Es hat keinen Sinn, hat nie einen gehabt. Habt Ihr bemerkt, junger Herr, daß ich mich heute wie eine Dame betragen habe?«

»Ja, Madame.«

»Wie hat es Euch gefallen?«

»Es ist mir sonderbar vorgekommen, Madame. Sonderbar und ungemütlich.«

Sie seufzte erleichtert auf. »Es war immer sonderbar, als wäre ich ein Huhn mit einem Pelz. In meinem Herzen bin ich ein Kämpfer und ein Lehrer von Kämpfern. Oh, ich habe es schon versucht, habe mich mannhaft bemüht, fraulich zu sein. Es hat Euch nicht gefallen?«

»Nicht so gut wie Eure Art sonst, Madame.«

»Ich heiße Lyne«, sagte sie. »Jetzt etwas anderes – ich glaube nicht, daß die Männer im Kampf wirklich Großes leisten. Ich meine, der Durchschnitt. Zu weich, zu fair, zu eitel. Eine Frau mit dem Körper eines Mannes wäre eine unvergleichliche Kämpferin. Aus Euch wird ein recht guter Ritter werden, aber gerade der Umstand, daß Ihr ein Mann seid, setzt Euch Grenzen. Könnt Ihr Euch vorstellen, was für ein Recke Eure Mutter geworden wäre? Denkt an die berühmten Kämpen – kein einziger von ihnen hatte wirklich etwas für Frauen übrig, welchen Grund sie auch genannt haben mögen. Es stimmt, daß Frauen die Ritterlichkeit erfunden haben, allerdings aus eigensüchtigen Gründen. Wären Frauen die Ritter geworden, hätten sie die Ritterlichkeit als ein Verbrechen und als eine Gefahr bestraft.«

»Nun ja«, fuhr sie fort, »da läßt sich nichts machen. Wir müssen mit dem vorliebnehmen, was wir haben. Mir ist eine Idee zum Kämpfen gekommen. Aber, um es gleich zu sagen, sie wird nie akzeptiert werden. Sie ist zu vernünftig, und die Männer sind Gewohnheitstiere. Beim Tjosten ist das Beinzeug nicht notwendig. Es kommt zwar vor, daß ein ungeschickter Lanzenstoß oder eine abgleitende Lanzenspitze einen Mann an den Beinen verwundet. Aber beim Kampf zu Fuß – wie viele Beinwunden habt Ihr schon gesehen? Trotzdem«, fuhr sie fort, »tragen die Männer die schweren Beinschienen. Und wenn die Kraft eines Mannes nachläßt, sind es nicht die Arme, die zuerst erlahmen, sondern die Beine. Und wenn einem Kämpfer das Alter anzumerken ist, zeugen als erstes die Beine gegen ihn. Wenn das Beinzeug in den Sattel eingebaut werden könnte – vielleicht würde das funktionieren. Oder wenn das nicht geht, könnte man mittels eines einfachen Hakens die schweren Dinger fallen lassen. Ein Mann, der unterhalb der Lenden nicht gepanzert ist, wäre beim Schwertkampf zu Fuß schneller und würde länger durchhalten.«

»Aber es würde lächerlich aussehen«, sagte Ewain.

»Na bitte! Und da heißt es, die Frauen seien eitel.«

Unter solchen Gesprächen ritten sie dahin, und als der Abend kam, wurden noch einmal zwei Ritter von Ewain zum Kampf gefordert und aus dem Sattel geworfen. Die Dame Lyne war in aufgeräumter Stimmung, als sie in der Burg an der Grenze von Wales eintrafen, wo das Turnier stattfinden sollte.

Es war eine kleine, häßliche Burg, ein uraltes, halb in Trümmern liegendes Gemäuer, unwohnlich wie eine Höhle. Die Wände der inneren Räume schwitzten Feuchtigkeit aus, in den Schlafgemächern hing der Geruch des Sterbens und, schlimmer noch, des Lebens, und die Fische im Burggraben waren an dem hineingeworfenen Unrat verendet. Die versammelte Ritterschaft des Umlands saß in der großen Halle und versuchte, möglichst viel Dünnbier in sich hineinzuschütten, um sich das Blut im Leib zu wärmen.

Die Dame Lyne beklagte sich nicht über die Burg, doch als sie die ritterliche Versammlung sah, wurde sie unruhig und wollte wieder fort. Leise sprach sie zu Ewain neben ihr an dem langen Tisch, der mit den grausig anzusehenden Kadavern halb gebratener Schafe bedeckt war.

»Die Sache gefällt mir nicht«, raunte sie. »Ich mache mir Sorgen. Hier ist kein einziger Mann, der eine Brücke gegen ein Kaninchen verteidigen könnte. Doch gerade bei solchen Zusammenkünften gehen große Ritter durch unglückliche Zufälle zugrunde. Es macht mir nichts aus, einen Mann in einem berühmten Zweikampf mit einem ebenbürtigen Gegner zu verlieren, aber durch Zufälle … Hört mir gut zu, junger Mann: Geht keine Risiken ein, keinerlei Risiken! Mit den Männern, gegen die Ihr kämpft, werdet Ihr keine Probleme haben. Was ich fürchte, das ist ein ungeschickter Hieb, der auf einen anderen zielt. Vergangenes Jahr nahm an einem solchen Turnier wie hier ein Schüler von mir, Sir Reginus, teil, der die Welt der ritterlichen Kämpfer in Staunen versetzt hätte. Da holte so ein Tölpel zu einem großen Hieb gegen einen anderen Mann aus und ließ dabei den Schwertgriff los. Das Schwert flog durch die Luft, die Spitze bohrte sich durch die Sehschlitze von Reginus’ Visier, drang durchs rechte Auge ins Gehirn, und er fiel langsam, wie eine gefällte Fichte, in den Sand. Nein, das hier gefällt mir ganz und gar nicht.«

Am folgenden Morgen fand bei Regen auf dem glitschigen Platz das traurige Turnier statt. Obwohl mit einer Dreckkruste überzogen und von hochspritzender Jauche geblendet, stieß Sir Ewain dreißig Ritter vom Pferd und errang den Siegespreis, einen Geierfalken mit schimmerndem Gefieder und einen Schimmel mit einer Schmuckdecke aus gelbem Tuch, Goldtuch genannt, um es vornehm zu machen. Ewain wischte sich über die Augen und brachte seine Trophäen der Dame Lyne.

»Ich danke Euch für Eure noble Geste, teurer Ritter«, sagte sie und setzte hauchend hinzu: »Wenn Ihr nicht Sieger geworden wärt, hätte ich Euch im Burggraben ertränkt, nur daß der Graben dummerweise der einzige trockene Ort in diesem Landstrich ist.«

»Ich gelobe, Euch ein pflichtgetreuer Diener zu sein, Madame«, erklärte Ewain feierlich.

»Machen wir uns rasch auf den Weg«, sagte sie. »Unter einem Baum im Wald werde ich besser und trockener schlafen.« Sie trat zu ihrem Gastgeber und dankte ihm artig. »Herr Ritter«, sagte sie, »dieser Mann, der für mich kämpfte, hat soeben Kunde von einem Aufruhr auf seinen Ländereien erhalten. Mit Eurer Erlaubnis müssen wir scheiden, um ihn niederzuschlagen.«

»Natürlich muß er das. Wo hat er denn seine Ländereien, Madame?«

Sie machte eine unbestimmte Handbewegung ostwärts. »Weit von hier«, sagte sie. »Ganz am Rand der Welt. Er muß augenblicklich aufbrechen.«

»Das muß Muscony sein, Madame.«

»Ja, Muscony{*}«, sagte die Dame Lyne.

Abends in einem guten Nachtquartier unter einem überhängenden Felsen, das mit üppigen Kleidungsstücken aus den Satteltaschen von Lynes Leuten ausgelegt und gepolstert war, legte sich die Dame auf ihrem Ruhelager aus aufeinandergelegten Pelzen zurück und seufzte befriedigt. »Die armen Teufel«, sagte sie. »Sie können immer nur eine Sache auf einmal lernen. Eben jetzt habe ich ihnen erst beigebracht, mich nicht zu bestehlen. Nun, morgen ist wieder ein anderer Tag. Morgen reiten wir zu der Burg der Dame vom Felsen.«

Als sie aufbrachen, fiel der kalte Märzregen noch immer. Die Pferde senkten die Köpfe und legten die Schweife dicht an, um sich etwas davor zu schützen.

»Hoffentlich habt Ihr Euren Harnisch mit Fett eingerieben«, sagte die Dame. »Wenn nicht, werdet Ihr alsbald aussehen wie ein rostiger Nagel. Zum Glück ist die Burg auf dem Felsen nicht weit entfernt. Und dort werdet Ihr ein Abenteuer erleben, das zu erzählen sich lohnt. Ich nehme an, bei Eurem Ritterschlag habt Ihr geschworen, den Damen beizustehen und Witwen und Waisen zu beschirmen, namentlich solche von edler Abkunft.«

»So ist es«, sagte Ewain. »Und ich werde meinen Schwur halten.«

»Ihr habt Glück«, sagte sie. »Die Dame vom Felsen ist all dies zusammen – Witwe, Waise und von edler Abkunft. Außerdem bedarf sie mehr des Beistands als sonst ein Mensch, den ich kenne. Als der Gemahl dieser Dame aus der Welt schied, ließ er sie im Besitz von ansehnlichen Ländereien zurück, Wäldern und Weidegründen, dazu Katen und Leibeigenen und zwei wohlgebauten und wehrhaften Festen, die Burg auf dem Felsen und die Rote Burg. Als zwei Brüder namens Edward und Hugh erfuhren, daß diese Dame ihres Herrn und Beschützers beraubt war, rissen sie die Rote Burg und einen großen Teil der Ländereien, die der Dame gehörten, an sich. Sie ließen ihr nur die Burg auf dem Felsen, und auch dieser gedenken sie sich zu gegebener Zeit zu bemächtigen wie auch der Dame selbst, denn sie ist schön und artig und wohlgeboren. Diese beiden Brüder nennen sich derzeit Sir Edward und Sir Hugh von der Roten Burg. Sie ziehen Pachten und Abgaben ein, fordern Lehnsdienste und spielen sich, unterstützt von bewaffneten Söldnern, auf dem Besitztum als die Herren auf.«

Ewain sagte: »Madame, das ist zweifellos ein Fall, der Beistand verlangt. Ich werde mit diesen Rittern um das Erbe der Dame kämpfen.«

»Ich muß Euch warnen, junger Herr, daß diese beiden keine fahrenden Ritter sind, jederzeit bereit, um der Ehre willen ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Sie sind brave, anständige, fleißige, gewissenhafte Diebe und werden nur dann kämpfen, wenn sie sicher sind, daß sie Sieger bleiben.«

»Ich werde sie bei ihrer Ehre packen«, sagte Ewain.

»Ihr werdet vermutlich feststellen, daß ihnen an ihrem Besitz mehr liegt als an der Ehre«, sagte die Dame Lyne. »Vielleicht, daß ihre Enkelsöhne es mit der Ehre versuchen werden, wenn sie auf der Welt sind.« Sie deutete auf eine gestürzte Eiche, die mit ihrem emporragenden Wurzelwerk eine kleine Höhle gebildet hatte, bewohnt von Füchsen, Wildschweinen, Dachsen, Bären und vielleicht auch Drachen, bis Menschen sie allesamt daraus vertrieben. »Suchen wir dort Schutz vor diesem elenden Regen«, sagte sie.

Eine kleine mit Asche gefüllte Grube in der Höhle zeigte an, daß sie kurz vorher noch bewohnt gewesen war, und einer der Bogenschützen machte sich ans Werk, ein Feuer zu legen, wurde jedoch von der Dame daran gehindert. »Wir dürfen keinen Rauch machen«, sagte sie. »Wir sind schon in der Nähe der Burg auf dem Felsen, die man von der Spitze des nächsten Hügels samt dem ganzen Umland sehen kann. Wenn ich vom Schlag Edwards und Hughs wäre und wie sie am Leben bleiben und es noch mehr genießen wollte, würde ich auf dem Hügel Wächter für den Fall postieren, daß sich in irgendeinem jungen Ritter das Verlangen regen sollte, einer Dame in Bedrängnis zu Hilfe zu eilen.«

»Ich werde hinaufreiten und sie aus dem Weg schaffen, Madame«, sagte Ewain.

»Ihr werdet Euch hierhersetzen und warten, Herr Ritter.« Sie rief ihre Männer zu sich und sprach zu ihnen in der alten keltischen Mundart, und sie nickten, lächelten und berührten ihre zerzausten Stirnlocken. Dann holten sie aus ihren Beuteln gut eingewachste Bogensehnen und spannten ihre Langbogen. Beide Männer suchten sich acht Pfeile aus, schärften die Eisenspitzen und linsten die Schäfte entlang, um zu kontrollieren, ob sie verbogen waren. Dann schlichen sie leise den Hang hinauf, nicht auf dem Weg, sondern durch das tropfende Dickicht, und kein Geräusch verriet, daß sie auf dem Kriegspfad waren.

Die Dame Lyne sagte: »Wir müssen uns irgend etwas ausdenken, um die beiden Brüder dazu zu bringen, daß sie sich zum Kampf stellen. Wenn Ihr ein bißchen von Euren Grundsätzen abgehen und so tun könntet, als tapptet Ihr in eine Falle … nun ja, wir werden sehen. Habt Ihr das eben gehört?«

»Was, Madame?«

»Ich dachte, ich hätte einen Schrei gehört … Horcht! Noch einer.«

»Den habe ich auch gehört. Er klang wie ein Todesschrei.«

»Es war einer«, sagte die Dame.

Lange hörten sie nur die Regentropfen fallen, und das Murmeln eines Baches. Und dann kamen die ausgeschickten Männer zurück. Jeder von ihnen trug, an einem Riemen über den Rücken geschnallt, einen Harnisch, und ihre Hosengürtel wurden von schweren Schwertern nach unten gezogen. Sie legten mit rasselnden Geräuschen die Rüstungen am Höhleneingang nieder und lächelten leicht, während sie berichteten.

»Es waren nur zwei«, erläuterte die Dame Lyne. »Meine Männer glauben, der Weg ist jetzt frei, aber wenn wir uns aufmachen, werden sie sicherheitshalber vorausreiten.«

Die Dame vom Felsen begrüßte sie mit freudiger Erleichterung. Sie war eine edle, schöne Frau, von Sorge abgehärmt. »Niemand ist mir zu Hilfe gekommen«, sagte sie. »Sie haben mir meine ganzen Ländereien, alle meine Leibeigenen weggenommen. Wir haben einen kleinen Vorrat Salzheringe und etwas eingepökeltes Schweinefleisch, sonst nichts. Meine waffentragenden Männer sind ganz abgemagert. Aber was kann ein einziger junger Ritter schon ausrichten?«

Ewain sagte: »Ich werde sie auffordern, mit mir zu kämpfen, damit Gott zeigen kann, wessen Sache die gerechte ist.«

Die beiden Damen tauschten einen mitleidvollen Blick. »Ich danke Euch, edler Ritter«, sagte die Dame vom Felsen.

Die Brüder nahmen die Aufforderung, sich einzufinden, rasch an und erschienen mit einer Gefolgschaft von hundert Bewaffneten, denn sie hatten die toten Wächter am Weg entdeckt, die ihrer Rüstungen beraubt worden waren und seltsame Wunden trugen.

Die Dame vom Felsen wollte Ewain nicht gestatten, ins Freie zu gehen und mit den Brüdern zu verhandeln, »denn das«, sagte sie, »sind keine Männer, die die geheiligten Bräuche achten«. Das Tor war geschlossen, die Zugbrücke hochgezogen. Die Dame Lyne sprach, von Ewain dazu ermächtigt, von der Burgmauer aus die Brüder an. Sie rief hinab: »Wir haben hier einen Ritter, der für die Burgherrin gegen einen von euch um die ihr geraubten Ländereien kämpfen will.«

Die Brüder lachten sie aus. »Warum sollten wir um etwas kämpfen, das wir bereits haben?« fragten sie.

Sie war auf diese Antwort vorbereitet und ging behutsam zu Werke, denn sie wußte, es gibt Männer, die sich nur in den von ihnen selbst gebauten Fallen fangen lassen. »Unser Kämpe ist noch jung, erst vor kurzem zum Ritter geschlagen und begierig nach Ruhm. Ihr wißt ja, wie junge Männer sind. Nun denn, wenn ihr nicht helfen wollt, ihm die Sporen zu vergolden, dann eben nicht. Ich wünschte, ich könnte ohne Zeugen mit euch sprechen.«

Die Brüder berieten sich, und dann sagte der eine: »Dann kommt zu uns herab.«

»Welche Sicherheit bietet ihr mir?« fragte sie.

»Meine Dame«, gab er zur Antwort, »wegen Eurer Sicherheit befragt Eure Vernunft. Was hätten wir davon, eine Dame ohne Land zu bekriegen. Wenn wir treulos handeln, was bekommen wir außer einem alten Gerippe?«

Die Dame lächelte in sich hinein. »Wie angenehm, mit Herren zu sprechen, die sich vom Verstand, nicht von der Leidenschaft leiten lassen. Ich werde allein zu euch hinabkommen. Ich habe keine Angst, aber die anderen hier in der Burg könnten sich Sorgen machen. Laßt eure Leute zurückweichen, so daß sie von euch so weit entfernt sind wie ihr von der Mauer.«

Sie achtete nicht auf die Warnungen der anderen, doch ehe sie zum Burgtor hinabstieg, ließ sie ihre beiden Bogenschützen hinter Schießscharten Aufstellung nehmen, von außen unsichtbar, aber mit auf die Kerbe gelegten Pfeilen und freiem Schußfeld.

Sie nahm ihre Position am Burggraben ein und ließ die Brüder an diese Stelle kommen, wo Pfeile sie niederstrecken würden, sobald sie die Hand hob.

»Meine Herren, wir sind keine Kinder. Jetzt, da uns niemand aus der hehren Ritterschaft hört, wollen wir die Situation erörtern. Ihr habt die Ländereien der Dame wie auch die Rote Burg. Warum solltet ihr darum kämpfen?«

»So ist es. Man sieht, Ihr seid eine Dame von Erfahrung.«

»Dagegen habt ihr nicht die Burg auf dem Felsen, und ich glaube nicht, daß ihr sie erstürmen könnt. Sie ist fest gebaut und hat gute Verteidiger.«

»Das ist gar nicht notwendig«, sagte Sir Edward. »Sobald der Proviant zu Ende ist, fällt sie uns ohnedies zu. Niemand hat Zugang zu ihr. Wir überwachen das Land ringsum.«

»Euer Argument ist bestechend«, sagte die Dame Lyne. »Beziehungsweise war es bis vor kurzem. Habt ihr den Paß im Westen inspiziert, meine Herren?«

Sie blickten einander rasch an.

»Ihr habt festgestellt, daß der Paß offen ist, meine Herren. Wißt ihr aber, was sich auf diesem unbewachten Weg heimlich in die Burg schlich? Ich will es euch sagen: fünfzig walisische Bogenschützen, stumm und verstohlen wie die Katzen. Und was ihr gesehen habt, war das Werk von nur zweien dieser Männer. Ich brauche euch nicht zu sagen, was für Nächte ihr vor euch habt. Jeder Schatten kann euch den Tod bringen, jeder kleine Lufthauch das Flüstern dunkler Schwingen sein.« Dann legte sie eine Pause ein, damit sich die Ungewißheit festfraß. Einen Augenblick später fuhr sie fort: »Ich finde ebenfalls, daß es töricht wäre, um das zu kämpfen, was ihr bereits habt. Aber wollt ihr nicht um das kämpfen, was ihr nicht besitzt? Um die Burg auf dem Felsen und damit die Gewißheit, daß ihr dann alles habt und für immer? Ihr seid doch vernünftige Männer.«

»Was schlagt Ihr vor, Madame?« fragte Sir Hugh.

»Wenn ihr genug Mut habt, einen hohen Einsatz zu wagen, schlage ich vor, daß ihr gegen den Ritter der Burgherrin kämpft. Es ist ja nicht so, daß er ein großer und weithin berühmter Ritter wäre. Es ist nicht viel mehr als ein Knabe.«

»Was habt Ihr für ein Interesse daran, Madame?« fragten sie argwöhnisch.

»Ich bin in einer glücklichen Lage«, antwortete sie. »Wenn ich den Kampf zustande bringe, wird die Dame vom Felsen es mir lohnen. Und solltet ihr gewinnen, darf ich vielleicht hoffen, daß ihr euch nicht undankbar zeigen werdet.«

Die Brüder traten ein Stück beiseite, um zu beratschlagen, und nach einer kurzen Debatte kamen sie zurück. »Madame«, sagte Sir Edward, »wir beide kamen zur selben Stunde aus demselben Schoß. Keiner von uns tut etwas ohne den andern, schon seit den Tagen, als wir Kleinkinder waren. Wir kämpfen gemeinsam und nur gemeinsam. Denkt Ihr, Euer Ritter wäre bereit, gegen uns beide zugleich zu kämpfen?«

»Ich weiß nicht. Er ist noch sehr jung und eigensinnig. Ihr wißt ja, wie ehrgeizige Knaben sind. Ich kann ihn fragen. Doch wenn er sich bereit erklärt, morgen früh gegen euch anzutreten, müßt ihr eure Männer in zweihundert Schritt Abstand zurücklassen.«

»Ist das eine List, Madame?«

»Nein«, sagte sie. »Das ist die Bogenschußweite. Wenn die ungebärdigen Bogenschützen bei uns wild werden oder eure Männer herankommen sollten, um einzugreifen, würden viele von ihnen umkommen.«

»Das hört sich vernünftig an«, sagten die beiden. »Versucht Euren Ritter zu bewegen, daß er gegen uns beide gleichzeitig antritt.«

»Ich werde mir alle Mühe geben, meine Herren. Und sollte Gott euch den Sieg verleihen, werdet ihr euch hoffentlich meiner erinnern.« Sie lächelte die Brüder an, kehrte in die Burg auf dem Felsen zurück, die Zugbrücke ging hoch, und hinter der Dame schloß sich das riesige Tor.

Als sie ihr Abendbrot verzehrt hatten, begab sich die Dame vom Felsen in ihre Kapelle, um den Beistand des Himmels herabzuflehen, die Dame Lyne aber zog Sir Ewain zum Torturm, von wo aus sie auf die Zugbrücke und die schöne Wiese jenseits des Burggrabens hinabblicken konnten. »Ihr dürft nicht denken, daß ich Euch als einen Dummkopf hingestellt habe«, sagte sie. »Das Problem war, sie überhaupt kampfwillig zu stimmen. Sie hatten wirklich keinen Grund, jetzt aber wähnen sie, einen zu haben. Habt Ihr sie genau beobachtet, während ich mit ihnen sprach?«

»Ja, Madame.«

»Und was habt Ihr gesehen?«

»Sie sind kräftig gebaut, wohlgestaltet, größer als ich und gleich schwer. Der, der rechts stand …«

»Merkt Euch, das ist Sir Hugh.«

»Er wurde einmal am rechten Knie oder Bein verwundet, denn er zieht den rechten Fuß nach. Ich nehme an, daß sie achtbare Kämpfer sind.«

»Was sonst noch? Befragt Euer Gedächtnis.«

Er schloß die Augen und stellte sich das Bild vor. »Ja, ich habe noch etwas bemerkt, etwas Sonderbares. Sie tragen ihre Schwerter auf verschiedenen Seiten. Das ist es. Der eine ist Rechts- und der andere Linkshänder.«

Sie streckte die Hand aus und berührte ihn an der Schulter – eine kleine Akkolade. »Gut, mein Ritter«, sagte sie. »Wie standen sie da?«

Wieder schloß er die Augen. »Die Scheiden der Schwerter waren nebeneinander, während sie dastanden – also ist der, der von mir aus gesehen, rechts stand, Sir Hugh, Linkshänder.«

»Und so werden sie auch kämpfen«, sagte sie. »Die Schwertarme außen, die Schilde nebeneinander – höchst gefährlich. Ihr müßt dafür sorgen, daß sie auseinanderrücken und versuchen, in Euren Rücken zu kommen. Ihr müßt zurückweichen und die leicht angezogene Zugbrücke im Rücken behalten. Nun gibt es einen Trick, den ich nur ein einziges Mal gesehen habe.«

»Vielleicht kenne ich ihn, Madame, oder ich kann ihn mir vorstellen. Wie ich sie dazu bringen könnte, daß sie die Plätze tauschen?«

Das Adlerauge der Dame leuchtete vor Stolz auf. »Ja, das ist es!« rief sie. »Ich habe Euch gut gewählt, oder das Glück war mit mir. Wenn Ihr es schafft, daß ihre Schwertarme nebeneinander sind, werden sie sich gegenseitig behindern, und Ihr seid im Vorteil. Aber wartet, junger Mann – wenn sie ein bißchen abgekämpft sind …« Sie zeichnete mit einem Finger in den Staub, der auf dem Steinboden des Turms lag. »Hier eine Finte würde den da auf Euch ziehen. Wenn Ihr Euch dann rasch um ihn herumdreht, wird er Euch hierher folgen. Dann greift hier an, weicht zurück, noch einmal angreifen – schnell! Versteht Ihr? Dann habt Ihr sie umgekehrt wie vorher dastehen. Aber Ihr müßt es schnell tun, eine zweite Chance bekommt Ihr nicht. Ich nehme an, die beiden kämpfen schon seit vielen Jahren auf diese Weise. So, und jetzt zum Tjosten. Darüber mache ich mir keine Sorgen. Mit der Lanze nehmt Ihr es mit jedem auf. Und es ist schwierig für zwei Ritter, zur selben Zeit loszustürmen. Ihr habt ein gutes Roß und könnt ihnen nach Belieben ausweichen oder auch nicht. Aber es gibt noch einen anderen Vorteil. Habt Ihr ihn bemerkt?«

»Ich weiß nicht«, sagte Ewain. »Die größten Ritter kämpfen mit beiden Händen gleich gut. Ich habe gesehen, daß sie von der rechten zur linken Hand wechseln und umgekehrt.«

»Ich denke, Ihr werdet feststellen, daß diese beiden nicht die besten Ritter sind«, sagte sie. »Sie sind Räuber, die ein Jüngelchen zu besiegen hoffen. Laßt sie bis zum letzten Augenblick in diesem Glauben. So, und jetzt geht schlafen. Und habt keine Angst. Ich bin nicht willens, einen guten Ritter, den ich selbst ausgebildet habe, durch zwei Halunken zu verlieren.«

Der nächste Morgen war günstig für einen Kampf. Die ersten Amseln des Frühlings begrüßten die Sonne und sangen sich in den Büschen längs des Burggrabens die Kehlen warm, und auf dem grünen Gras der Wiese lag ein goldener Hauch. Kaninchen ließen in der Sonne ihr Fell trocknen und leckten sich die Brust ab. Ein Schwarm eben erst ausgeschlüpfter Kaulquappen kapriolte im Wasser des Burggrabens umher (wie winzige Wale), während ein Reiher, der auf einem lanzengeraden Bein würdevoll dastand, sie herankommen ließ und dann mit der Pinzette seines Schnabels eine nach der andern wie reife Kirschen herauspickte.

Der junge Ewain war schon früh wach. Er schärfte sein Schwert, schliff seine schwarze Lanze tadellos spitz, und zuletzt salbte er seinen Harnisch mit geklärtem Fett, das er mit den Fingerspitzen sanft in jedes bewegliche Teil einrieb. Er war freudig erregt, und als die Dame Lyne neben ihn trat und gluckte wie eine brütende Henne, sagte er: »Madame, habt Ihr nicht eine Zier für meinen Helm?«

»Ach, kommt«, sagte sie. »Möchtet Ihr eine graue Haarsträhne oder einen feuchten Handschuh haben?« Doch der Gedanke ließ ihr keine Ruhe, und sie ging weg. Als Ewain den Helm beiseite gelegt hatte und in die Kapelle gegangen war, um die Messe zu hören, brachte sie eine Adlerfeder, braunschwarz und mit weißgefiedertem Kiel, und befestigte sie am Scharnier seines Visiers.

Zur Stunde der Prim erschienen die beiden Brüder mit zusammengescharrter Würde, mit scheppernden Trompeten und Gefolgsleuten, die mit einem Kunterbunt erbeuteter Dinge ausgerüstet waren. Die Brüder ließen sie eine Bogenschußweite entfernt eine Reihe bilden und kamen dann mit einem einzigen Trompeter herbei, der vor ihnen herging und blecherne Töne von sich gab.

Ewain ergriff seinen Schild, um zu ihnen hinauszureiten, aber seine Dame hielt ihn zurück. »Laßt sie eine Weile blasen«, sagte sie. »Je länger Ihr sie warten laßt, um so besser. Geht hinunter in den Hof und steigt auf Euer Pferd, reitet aber erst hinaus, wenn ich das Zeichen dafür gebe.« Sie sprach lange zu ihren beiden wilden Bogenschützen, ließ sie neben sich auf den Torturm treten, gedeckt von den Zinnen, und jeder hatte einen Vorrat von Pfeilen neben sich, zwei große Büschel aus grauen Gänsefedern. Die Bogenschützen beobachteten ihr Gesicht aufmerksam wie Jagdhunde.

Die Dame Lyne blickte hinab in den Burghof und sah Ewain auf seinem gepanzerten Pferd sitzen, die große schwarze Lanze senkrecht aufgestellt, die Adlerfeder über seinem Helm nach hinten gebogen. Und noch immer wartete sie, bis schließlich dem Trompeter auf der Wiese die Luft ausging und der ganze pompöse Aufzug in Unruhe geriet.

Sir Hugh rief zu der Burg hinauf, aus der nichts zu hören war: »Kommt herunter, jämmerlicher Ritter, wenn Ihr keine Angst habt!«

Und noch immer wartete sie. Die Brüder, die irgendeinen Anschlag argwöhnten, waren zusammengerückt und blickten voll Mißtrauen und in aufkeimender Furcht hinauf. Erst dann hob sie die Hand. Die Zugbrücke fiel krachend herab, die Torflügel flogen auf, und Ewain galoppierte kühn hinaus. Er ritt an den Rittern vorbei, wendete, nahm seine Position der Burg gegenüber ein und wartete, schweigend und regungslos.

Die Brüder senkten die Lanzen und griffen gemeinsam an, doch Sir Edwards Pferd war schneller, und Ewain, der sein Roß am kurzen Zügel hielt, ritt quer über Edwards Angriffslinie, überquerte sie hinter ihm noch einmal in der Gegenrichtung, erwischte Sir Hugh an seiner schwächeren Seite und stieß ihn aus dem Sattel. Ergrimmt attackierte Sir Edward ein zweites Mal und hielt Ausschau, ob Ewain einen weiteren Trick mit seinem Pferd vorhatte. Ewain sah die Dame Lyne droben auf dem Turm zu ihm herabblicken. Er hob grüßend die Lanze, legte sie dann ein und sprengte auf den Gegner los. Er spürte, wie Edwards Lanzenspitze auftraf, seine eigene traf gleichfalls ins Ziel, und dann sah er Edwards Lanze zersplittern und ihn selbst samt Sattel vom Pferd fallen. Die Dame Lyne schlug jubelnd die Hände zusammen, und von den Mauerzinnen schallte ein triumphierender Adlerschrei herab.

Die Brüder rappelten sich vom Boden hoch und traten nebeneinander, die Schwertarme außen und infolgedessen die Schilde dicht nebeneinander.

Sir Ewain ritt nahe hin und sagte: »Da ihr zwei gegen einen seid, habe ich das Recht, zu Pferde gegen euch zu kämpfen.«

»Ihr seid eine Memme und ein Verräter!« schrie Sir Edward.

Und Ewain hörte im Geist die rauhe Stimme der Dame sagen: »Taten sind die einzigen richtigen Antworten auf Worte. Spart Euch das Reden.«

Er sah, daß die Zugbrücke sich senkte, um ihm eine Rückzugsmöglichkeit in sicheren Hafen zu bieten. Er ritt so nahe wie möglich hin, aber so, daß ihm noch Zeit blieb, vom Pferd zu steigen und sich bereit zu machen. Dann saß er ab, warf den Schild vor und setzte sich in Richtung auf die Zugbrücke in Bewegung. Die Brüder erkannten sein Ziel und rannten mit aller Kraft Seite an Seite los, um ihm den Weg abzuschneiden. Sie erreichten ihn, ehe er sich zu ihnen umwenden konnte, fielen ihn an und hieben wie ein einziger breiter Mann mit einem Schwert in jeder Hand auf ihn ein. Ewain stürzte unter einem Streich, und droben auf dem Turm erschienen zwei Köpfe und zwei angelegte Pfeile, die Enden der gefiederten Schäfte an den Ohren der Schützen. Ewain raffte sich auf, rannte unter Schmerzen davon und dankte dem Himmel, daß er so leicht bewaffnet war. Dann wandte er sich – die Zugbrücke im Rücken – um und erwartete sie.

Sie waren erfahren in diesem Spiel. Sie wichen ein bißchen auseinander, und wenn Ewain einen Hieb gegen den einen führte, setzte er sich dem Schwert des andern aus. Sie verwundeten ihn an der Seite, und dann, als der eine nach oben zielte, damit Ewain den Schild hob, schlug der andere nach unten und traf ihn an den Beinen. Ewain spürte, wie das heiße Blut an seiner Seite hinabströmte und der Boden unter seinen Füßen glitschig wurde. Er versuchte sich an die Zeichnung im Staub, droben auf dem Turm, zu erinnern, doch da er etwas benommen war, konnte er sich das Bild nicht zurückrufen. Ein rascher Schlag auf seinen Helm, und sein Blick war wieder klar. Er sah seine Feder im Zickzack zu Boden schweben, und zugleich hörte er vom Turm den Adler schreien. Die Zeichnung im Staub trat ihm klar vor das geistige Auge. Er machte aus seiner gedeckten Position einen Satz nach rechts, näherte sich den beiden in einer enger werdenden Kreisbewegung, und Sir Edward drehte sich um, um seinen Angriff zu parieren. Dann sprang Ewain auf Hugh zu, der herumwirbelte, um sich zu verteidigen. Und als der Adler wieder schrie, manövrierte sich Ewain zwischen die Brüder, und sie drangen auf ihn ein. Ihre Schwerter fuhren hoch, und die Klingen prallten zusammen. Ewain machte einen Schritt nach links, zwang Sir Hughs Schild beiseite und trieb ihn mit einem kurzen Rückhandhieb gegen den Arm seines Bruders. Dann trat er ganz rasch nach links und dicht heran, und sein Schwert spaltete Edward die Schulter und fuhr tief in die Brust hinein. Zu Tode getroffen, stürzte Edward auf die Erde. Nun wandte Ewain sich gegen Hugh, doch dieser Ritter war ohne seinen Bruder nur ein halber Mann, und der Mut verließ ihn ganz und gar. Er sank auf die Knie, hob den Helm und flehte um Gnade.

Sir Ewain in seinem Edelsinn nahm Hughs Schwert entgegen, ergriff ihn an der Hand und führte ihn zum Burgtor. Dort schwanden dem jungen Ritter die Sinne, denn er hatte bei dem Kampf viel Blut verloren.

Die Damen brachten ihn zu Bett, reinigten seine Wunden und pflegten ihn mit zarten Händen. Da er jung war, heilten seine Wunden rasch.

Die Dame vom Felsen war überaus froh, und als Ewain genesen war, dankte sie ihm mit anmutigen Worten und sagte errötend: »Herr Ritter, Ihr habt Euch durch die Taten Eurer Hände jedes Geschenk verdient, das anzubieten in meiner Macht steht. Sprecht jetzt nicht, aber denkt darüber nach.«

Er dankte ihr artig, schlief ein, und als er erwachte, saß die Dame Lyne an seinem Bett. »Sir«, begann sie. »Ich habe Euch in vielen Dingen Ratschläge erteilt, in diesem Fall aber werde ich mich nicht einmischen. Ihr dürft überzeugt sein, daß die Dame vom Felsen ihr Versprechen halten wird. Ich habe ihre Miene gesehen und ihre warme Hochherzigkeit gespürt. Ihr habt, in so jungen Jahren, erreicht, was beinahe jeder Mann begehrt. Die Dame hat Ländereien und Burgen, und nun, da Ihr ihr wieder zu ihrem Eigen verholfen habt, verfügt sie über großen Wohlstand. Ich denke, Ihr wißt, an welches Geschenk sie denkt, und sie hat freie Hand, es anzubieten. Ihr müßt Euch die Sache sorgfältig überlegen. Es ist ein fürstlicher Besitz, und die Reize der Dame lassen sich nicht bestreiten. Das Leben, das sie Euch bietet, ist ein Traum vieler Männer, der unerfüllt bleibt. Bedenkt, was Euch erwartet. Ihr könnt in den Wäldern jagen, Pachten einziehen, mit den Nachbarn tjosten, nach Herzenslust schmausen und trinken und mit einer edlen Frau, die die Blüte ihrer Jahre noch nicht hinter sich hat, süßen Schlaf genießen. Und glaubt nicht, daß es ein müßiges Leben wäre. Es gibt Felder trockenzulegen und die Saaten zu hüten. Die Verwaltung eines Gutes ist keine geringe Aufgabe. Ihr habt als Grundherr Anspruch darauf, Recht zu sprechen und zu entscheiden, wer im Unrecht ist, wenn die Henne von A im Garten von B scharrt. Und wenn Jack o’ Woods, der Wilddieb, mit einem Hasen in seinem Kochtopf ertappt wird, wird es Eure Pflicht wie Euer Recht sein, Jacks Hund einen Hinterlauf abschneiden zu lassen, Jacks Kinderbrut aus seinem Heim zu weisen und an einem sonnigen Sonntagvormittag, nach dem Kirchgang, Jack mit zappelnden Füßen an einen Baum hängen zu lassen, ehe Ihr Euch an den Mittagstisch setzt und Euch danach mit dem Gefühl erfüllter Pflicht zur Ruhe begebt. Und glaubt nur ja nicht, daß Ihr ein einsames Leben führen werdet. Einmal im Jahr, mitunter auch zweimal, wird ein fahrender Ritter kommen und Euch bei gutem saurem Bier alle Neuigkeiten von Turnieren und Kriegen erzählen, berichten, was Artus spricht und tut und wie er aussieht und welche neuen Moden die Damen am Hof aus Frankreich erreicht haben.« Sie bemerkte, daß er leise lachte.

»Ihr seid eine böse Frau«, sagte Ewain.

»Ich habe nur mein der Dame gegebenes Versprechen gehalten. Ich habe zugesagt, ihre Fürsprecherin zu machen, und Ihr könnt beschwören, daß ich es getan habe.«

»Bittet sie hereinzukommen, und Ihr bleibt bitte dabei.«

Als dann die Dame vom Felsen neben seinem Bett stand, sagte er feierlich: »Madame, ich habe von Euren noblen Angeboten gehört und bin stolz darauf, daß Ihr mich ihrer würdig erfunden habt. Doch da Ihr mich mit so ausgesuchter Höflichkeit behandelt, wäre es schmählich von mir, wenn ich Euch nicht die Wahrheit sagte. Ich habe nämlich bei den vier Evangelisten und bei meiner Ritterehre geschworen, eine Ausfahrt zu vollenden. Ihr werdet mir wohl beipflichten, daß man von einem Ritter, der eines Schwurs gespottet hat, nicht erwarten darf, daß er einen andern hält. Daher, Madame, bitte ich Euch, Euer nobles Anerbieten zurückzuziehen und mir statt dessen den kleinen Ring an Eurem Finger zu schenken, damit ich ihn in notvollem Kampf, dessen Ausgang ungewiß ist, ansehen und so am allzeit brennenden Feuer der Erinnerung an Euch meinen Mut neu entflammen kann.«

Hinterher sagte die Dame Lyne zu ihm: »Ich habe Euch nur den Umgang mit Schwert und Lanze beigebracht. Diesen anderen Vorzug müßt Ihr von Eurer Mutter mitbekommen haben. Mit einer solchen Waffe werdet Ihr es weit bringen.«

Nicht lange, und sie ritten zu dem verabredeten Treffpunkt zurück, und als sie sich der dreifachen Weggabelung näherten, sagte Ewain: »Madame, Ihr habt mir unbezahlbare Geschenke gemacht. Wollt Ihr mich also um eine Gabe bitten, die zu schenken in meiner Macht steht?«

»Das will ich«, sagte sie bedächtig. »Als Gegengabe will ich Euch darum bitten, die Erinnerung an mich lebendig zu erhalten.«

»Das ist doch kein Geschenk, Madame. Ich könnte gar nicht anders, selbst wenn ich wollte.«

»Still«, sagte sie. »Ich kenne mich mit der Erinnerung aus – und mit Versprechungen. Doch es gibt eine Möglichkeit. So wie die Heilige Kirche alljährlich Geburt, Tod und Auferstehung des Herrn feiert, so könntet auch Ihr handeln, was mich betrifft.«

»Wie soll ich das verstehen, Madame?«

»Ohne Euch nahetreten zu wollen – ich will damit sagen, daß eine Tat besser ist als ein Gedanke. Wenn Ihr Eure schwarze Lanze einlegt, denkt daran, Euch tief aufs Pferd zu ducken. Wenn Ihr kämpft, dann kämpft um den Sieg, und wenn Ihr gesiegt habt, seid edelmütig. Und reibt abends, ehe Ihr Euch zur Ruhe bettet, Euren Harnisch tüchtig mit Fett ein – mit diesem Geschenk werde ich zufrieden sein.«

»Kehrt Ihr zurück an die Quelle, um Euch einen anderen Ritter zu suchen?« fragte er eifersüchtig.

»Ja, ich denke schon. Aber ich werde kritisch sein. Es wird schwerhalten, einen zu finden, aus dem etwas zu machen ist. O Gott, es muß schrecklich sein, einen Sohn zu haben!«

Er begrüßte Gawain und Marhalt an dem Wegkreuz und geleitete die Dame zu ihrem Sitz an der Quelle, wo schon das dreißig Winter alte Fräulein mit dem Kranz auf dem Kopf saß. Die Dame Lyne ließ sich nieder und setzte ihren Kranz auf. Und Ewain fragte: »Wo ist denn das jüngste Fräulein?«

»Die kommt schon«, sagten die beiden. »Sie verspätet sich immer.«

»Dann gehabt Euch wohl, Madame«, sagte Sir Ewain. Und als er davonritt, glaubte er sie sagen zu hören: »Gehabt Euch wohl, mein Sohn.«

Jedem der drei Gefährten war bewußt, daß es viel zu erzählen und noch mehr zu verschweigen gab. Und während sie das Jahr durchgingen, kam ein königlicher Bote dahergeritten. »Ihr seid Sir Gawain und Sir Ewain«, sagte er. »Ich habe nach Euch gesucht. König Artus läßt Euch bitten, an den Hof zurückzukehren.«

»Ist er noch immer ungnädig?«

»Nein«, sagte der Bote. »Der König bereut sein unbedachtes Handeln. Ihr werdet herzlich aufgenommen werden.«

Darüber freuten sich die Vettern, und sie sagten zu Marhalt: »Ihr müßt uns an den Hof begleiten.«

»Ich sollte eigentlich auf mein Gut zurückkehren.«

»Aber das wäre ein Makel an einer vollkommenen Ausfahrt – der einzige.«

Marhalt lachte. »Da ich mein Rittertum ehre, darf ich mir so etwas nicht zuschulden kommen lassen«, sagte er.

Und so ritten die drei fröhlich gen Camelot. Und jeder legte sich seine Erzählung so zurecht, wie er sie durch die Zeiten erzählt und wiedererzählt wissen wollte.