Manche Menschen vergessen, wenn sie herangewachsen sind, was für eine Plage es ist, das Lesen zu erlernen. Es ist vielleicht die größte Anstrengung im menschlichen Leben, und sie muß im Kindesalter geleistet werden. Einem Erwachsenen gelingt es nur selten – Erfahrungen auf eine Gruppe von Symbolen zu reduzieren. Seit Abertausenden von Jahren lebt nun schon der Mensch auf der Erde, doch erst vor zehntausend Jahren hat er dieses Kunststück – diesen Zaubertrick – erlernt.

Ich weiß nicht, wie weit meine Erfahrung verbreitet ist, aber ich habe bei meinen Kindern erlebt, welch verzweifelte Mühe es sie kostete, als sie das Lesen zu erlernen versuchten. Sie zumindest haben die gleiche Erfahrung gemacht wie ich.

Ich erinnere mich noch, daß ich in Wörtern – geschrieben oder gedruckt – Teufel sah, und die Bücher waren meine Feinde, weil sie mir Schmerzen zufügten.

Literatur schwebte in der Luft, die mich umgab. Die Bibel nahm ich gleichsam durch die Poren in mich auf. Aus meinen Onkeln sprach Shakespeare, und Pilgrim’s Progress war in die Milch meiner Mutter gemischt. Doch all dies erreichte mich durch die Ohren, als Töne, Rhythmen, Sprachfiguren. Bücher aber waren gedruckte Dämonen – Daumenschrauben und Kneifzangen einer empörenden Verfolgung. Und dann ignorierte eines Tages eine Tante meine Aversion und beschenkte mich törichterweise mit einem Buch. Ich starrte voll Haß auf die schwarzen Lettern, doch allmählich schlossen sich die Seiten auf und ließen mich ein. Der Zauber wirkte. Die Bibel und Shakespeare und Pilgrim’s Progress waren Allgemeingut. Dieses Buch aber gehörte mir ganz allein … Es war eine gekürzte Fassung der Caxton-Ausgabe des Morte d’Arthur von Thomas Malory. Wie ich sie liebte, die altertümliche Schreibweise der Wörter – und die Wörter selbst, die nicht mehr in Gebrauch waren. Vielleicht hat mir dieses Buch meine leidenschaftliche Liebe zur englischen Sprache erschlossen. Entzückt entdeckte ich Paradoxe – daß cleave zugleich zerspalten wie zusammenkleben bedeutet; daß host einen Feind wie einen Gastfreund bezeichnet, daß king und gens (Leute) aus derselben Wurzel stammen. Lange Zeit hatte ich eine Geheimsprache – yclept und hyght, wist und accord in der Bedeutung Frieden und entente als Wort für Absicht und fyaunce als Bezeichnung für ein Versprechen. Mit stummen Lippenbewegungen sprach ich den thorn genannten Buchstaben Þ aus, wie ein »p«, dem er ähnlich sieht, statt wie ein »th«. Doch in meinem Heimatort wurde das erste Wort von Ye Olde Pye Shoppe wie ein »Yee« ausgesprochen, nicht als »The«, und so nehme ich an, daß meine klügeren Altvorderen auch nicht klüger waren als ich. Erst viel später kam ich darauf, daß das verlorengegangene Þ durch das »y« ersetzt worden war. Doch hinter dem Glanz und dem Geheimnis des »And when the chylde is borne lete it be delyvered to me at yonder privy posterne uncrystened« erfaßte ich seltsamerweise den Sinn der Worte, denn ich flüsterte sie vor mich hin. Gerade das Fremdartige an dieser Sprache schlug mich in Bann und katapultierte mich in eine altertümliche Welt.

Und in dieser Welt waren alle Untugenden versammelt, die es jemals hinieden gegeben hat, dazu Mut und Traurigkeit und Vergeblichkeit, vor allem aber Galanterie – vielleicht die einzige männliche Eigenschaft, die das Abendland erfunden hat. Ich glaube, daß ich mein Rechtsempfinden, mein Gefühl für Noblesse oblige und alles, was mich für die Unterdrückten und gegen den Unterdrücker einnehmen mag, aus diesem geheimnisvollen Buch habe. Im Unterschied zu beinahe allen anderen Kinderbüchern hat es meine zarte Seele nie verletzt. Ich stieß mich nicht daran, daß es Uther Pendragon nach der Ehefrau seines Vasallen gelüstete und daß er sie mit List nahm. Ich bekam keine Angst, als ich feststellte, daß es nicht nur edle, sondern auch böse Ritter gab. In meinem eigenen Heimatort gingen Menschen im Gewand der Tugend umher, von denen ich wußte, daß sie böse waren. Wenn mich Schmerz oder Kummer übermannte, wenn ich mich nicht mehr auskannte, suchte ich bei meinem Zauberbuch Zuflucht. Kinder können gewalttätig und grausam, doch sie können auch gut sein – was alles auf mich zutraf –, und all dies fand sich in diesem Buch der Geheimnisse. Wenn ich mich zwischen Liebe und Treue nicht entscheiden konnte, so hatte dies auch Lancelot nicht gekonnt. Ich verstand Mordreds finstere Gedanken, denn er war gleichfalls in mir, und auch von Galahad hatte ich etwas, wenn auch vielleicht nicht genug. Doch das Gralsgefühl war da, tief eingepflanzt, und wird mir vielleicht immer bleiben.

Später suchte ich die Quellen, weil der Zauber fortwirkte – das Black Book of Caermarthen, »The Mabinogion and Other Welsh Tales« aus dem Red Book of Hergist, De Excidio Britanniae von Gildas, die Historia Britonum von Giraldus Cambrensis [recte: Nennius] und viele der »Frensshe« [französischen] Bücher, von denen Malory spricht. Und neben den Quellen las ich auch, was Gelehrtenfleiß geschürft und zutage gefördert hat – Arbeiten von Chambers, Sommer, Gollancz, Saintsbury –, doch immer wieder kehrte ich zu Malory zurück – oder vielleicht sollte ich sagen, zu Caxtons Malory, denn außer ihm gab es keinen anderen, bis vor gut dreißig Jahren die Nachricht kam, daß in der Fellows Library im Winchester College ein unbekanntes Malory-Manuskript entdeckt worden sei. Dieser Fund elektrisierte mich, doch da ich kein Literaturwissenschaftler, sondern nur ein Enthusiast bin, hatte ich weder eine Möglichkeit, noch besaß ich die Qualifikation, die Entdeckung zu prüfen, bis dann 1947 Eugène Vinaver, Professor für französische Sprache und Literatur an der University of Manchester, anhand des Winchester-Textes seine großartige dreibändige Ausgabe der Werke von Sir Thomas Malory für die Oxford University herausgab. Für diese Aufgabe hätte man keinen Besseren finden können als Professor Vinaver mit seiner umfassenden Kenntnis nicht nur der »Frensshe« Bücher, sondern auch der walisischen, schottischen, bretonischen und englischen Quellen. Er ist an diese Arbeit nicht nur als Wissenschaftler herangegangen, sondern hat ihr darüber hinaus auch jenes ehrfürchtige Staunen und Entzücken zugebracht, an dem es der Methodik eines Schulgelehrten nur zu oft gebricht.

Schon seit langem war es mein Wunsch, die Erzählungen von König Arthur [Artus] und den Rittern der Tafelrunde in den heutigen Sprachgebrauch zu übertragen. Sie sind selbst in jenen von uns lebendig, die sie nicht gelesen haben. Doch uns Menschen von heute fehlt vielleicht die Geduld für die altertümlichen Wörter und gemessenen Rhythmen Malorys. Mein frühes und anhaltendes Entzücken an diesen Dingen wird nicht allgemein geteilt. Ich wollte die Erzählungen für meine jungen Söhne und für andere, nicht so junge Söhne in unserer Alltagssprache aufschreiben, mit ihrem ursprünglichen Sinngehalt, ohne etwas wegzulassen oder hinzuzufügen – vielleicht als Konkurrenz zum Film und zu den Comic-strip-Travestien, den einzig verfügbaren Quellen für all jene Kinder und andere Zeitgenossen, die nicht willens sind, sich mit Malorys schwieriger Schreibweise und archaischer Sprache auseinanderzusetzen. Es wird mir Freude und Befriedigung gewähren, wenn mir dies gelingt und wenn ich das Wunderbare an den Erzählungen und ihren Zauber erhalten kann. Ich habe keinesfalls den Wunsch, Malory umzuschreiben, ihn zu verkürzen, zu verändern, abzuschwächen oder zu sentimentalisieren. Ich glaube, daß die Erzählungen stark genug sind, meine Eingriffe auszuhalten, die sie im besten Fall mehr Lesern zugänglich machen werden und im schlimmsten Malory nicht viel Schaden zufügen können. Nach all diesen Jahren lege ich die Caxton-Ausgabe meiner ersten Liebe beiseite und gehe zum Winchester-Manuskript über, das nach meiner Meinung an Malory viel näher herankommt als die Caxton-Ausgabe. Ich bin Professor Vinaver, der mir das Winchester-Manuskript verfügbar machte, zu großem Dank verpflichtet.

Was mich selbst betrifft, kann ich meine Leser nur darum bitten, mich einzuschließen, wenn Sir Thomas Malory schreibt: »And I pray you all that redyth this tale to pray for him that this wrote that God sende hym good delyverance and sone and hastely – Amen.« (»Und ich bitte euch alle, die Leser dieses Buches, für den, der dies geschrieben hat, zu beten, daß Gott ihm ein gutes Ende senden möge und bald und geschwind – Amen.«)