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Natürlich hatte sich die Sache nicht ganz so entwickelt, wie der Kahlß Friedrich es angeordnet und sich vorgestellt hatte. Als ein weißer Audi mit Liezener Kennzeichen hinter einem Streifenwagen auf die Wiese hinter dem Pissoir rollte, hatte sich bereits eine ansehnliche Menge Schaulustiger dort versammelt, die sich zwar nun hinter einer Absperrung befand, hinter die sie von Kahlß, Gasperlmaier und zwei Ausseer Kollegen, deren eine eine Kollegin war, gedrängt worden waren, zuvor aber hatten sie ausgiebig die Gelegenheit genutzt, in der Umgebung des Pissoirs sämtliche denkbaren Spuren zu zertrampeln. Wie hätten Gasperlmaier und Kahlß, die ja zunächst nur zu zweit am Tatort gewesen waren, sie auch daran hindern können?

Gasperlmaier war dies nur recht. Von Schleifspuren, die aus dem Zelt zum Pissoir führten, war nun mit Sicherheit nichts mehr zu sehen, weil eine Gruppe Schaulustiger gerade jenen Streifen Gras besetzte, über den Gasperlmaier den Doktor Naglreiter hatte ziehen müssen, um ihn im Pissoir ablegen zu können, wo er sich noch immer befand.

Ebenfalls im Pissoir befanden sich die Damen und Herren der Abteilung für Spurensicherung, die wirklich in so weißen, halb durchsichtigen Plastikanzügen steckten, wie Gasperlmaier das bisher nur im Fernsehen gesehen hatte. Und die, wie man aus den Flüchen besonders eines etwas korpulenteren Beamten unschwer entnehmen konnte, bereits unmäßig schwitzten.

Gasperlmaier, an der Seite des Kahlß Friedrich, erwartete die Ermittler aus Liezen, die wohl in dem weißen Audi sitzen mussten, denn aus dem Streifenwagen stiegen nur zwei Uniformierte, die gleich auf Gasperlmaier und den Kahlß Friedrich zuhielten.

Aus dem Audi stieg aber eine Frau in einem feinen Kostüm, und Gasperlmaier war sich zunächst nicht ganz im Klaren darüber, wer das sein konnte und was die hier verloren hatte. Aber es dauerte nur wenige Sekunden, bis die Frau ein paar Schritte auf sie zu gemacht hatte und Gasperlmaier begriffen hatte, dass sie die Ermittlerin aus Liezen sein musste, die man geschickt hatte, um den Todesfall aufzuklären. Von seiner Frau war Gasperlmaier über die Jahre ebenso behutsam wie konsequent in die Geheimnisse der Gleichberechtigung der Geschlechter eingeweiht worden, sodass er eine nur mehr sehr kurze Schrecksekunde erlebte, sobald er einer Frau gegenüberstand, die eine Position einnahm, in der Gasperlmaier sich bis dahin nur Männer hatte vorstellen können.

Gasperlmaier streckte schon die Hand aus, um sie zu begrüßen, während die Frau, ohne ihn wahrzunehmen, an ihm vorbeisteuerte und den schwitzenden dicken Spurensicherer ansprach.

Einerseits ärgerte es Gasperlmaier, dass er von der Dame vollständig übersehen worden war, was indessen dem Kahlß Friedrich völlig egal zu sein schien, der versonnen zur Trisselwand hinüberblickte und froh darüber schien, dass der wegen der vielen Gaffer unmittelbar am Tatort fällige Rüffel bisher ausgeblieben war.

Andererseits konnte Gasperlmaier seine Blicke nicht von der Frau lassen, deren Auftritt bei ihm einen unmittelbaren und tiefen Eindruck auslöste. Ihr Kostüm war nicht ganz weiß, der Rock endete wenig oberhalb der Knie, und ihre wohlgeformten Beine steckten ihn ganz schön hohen Stöckelschuhen. Die konnte sie auch brauchen, dachte Gasperlmaier bei sich, denn sie war recht klein und reichte Gasperlmaier, der selbst kein Riese war, gerade einmal bis zum Kinn. Jetzt allerdings waren die Stöckelschuhe eher ein Hindernis, denn gerade war sie mit einem Absatz tief in die Wiese gesunken und dadurch fast ins Pissoir hineingestolpert. Der Fluch, der darauf folgte, flößte Gasperlmaier durchaus Respekt ein, war aber wenig damenhaft.

Was Gasperlmaier faszinierte, ein wenig aber auch ängstigte, war ihr scharfer, entschlossener Blick, der nun zwischen der Leiche am Boden des Pissoirs, den Mitgliedern der Spurensicherungsgruppe und den Uniformierten, die sie umstanden, hin und her glitt. Eine saubere Figur hat sie auch, dachte Gasperlmaier, das Kostüm verriet, dass Rundungen und Ausbuchtungen gerade dort sich befanden, wo Gasperlmaiers Meinung nach sie bei einer ordentlichen Frau auch hingehörten. Wenn man die Frau, dachte Gasperlmaier, jetzt zum Beispiel auf einem Computerfoto so um zwanzig Zentimeter in die Länge ziehen würde, hätte man die Perfektion schlechthin. Wie er von seinen Kindern wusste, wurde das in Modemagazinen routinemäßig gemacht. Heutzutage lernten die Kinder das schon in der Schule.

In seinem Sinnieren wurde Gasperlmaier völlig überrumpelt davon, dass ihm die Frau plötzlich die Hand hinstreckte, um ihn lächelnd zu begrüßen. „Doktor Kohlross, Bezirkspolizeikommando“, stellte sie sich vor. So perplex war Gasperlmaier, dass er nur einen Laut hervorbrachte, irgendwo zwischen einem unklaren Röcheln und einem vorsichtigen Grunzen, und dass sie schon dem Kahlß Friedrich die Hand schüttelte, als Gasperlmaier endlich seinen Namen herausbrachte und ins Leere hineinrief: „Gasperlmaier, Polizeiposten Altaussee!“, worauf ihn der Kahlß Friedrich von der Seite her ein wenig seltsam anschaute.

Das Lächeln der Frau Doktor Kohlross hatte den Gasperlmaier so gefangen genommen, dass er nur die Augen mit ihren feinen Lachfältchen, ihre vollen, weichen Lippen und das rotbraune, lang und glatt über den Rücken fließende Haar mit seinen orangen Strähnen in sich noch nachwirken ließ, während er nach außen hin nicht mehr als einen durchaus leeren Gesichtsausdruck mit etwas blöde wirkendem Lächeln zustande brachte.

Dazu kam ihre Stimme: klar, kräftig, nicht ohne Autorität und Schärfe, aber auch mit einem auf Gasperlmaier äußerst erotisierend wirkenden Timbre. Augenblicklich stellte sich bei Gasperlmaier schlechtes Gewissen ein – das untrügliche Zeichen dafür war das Bild seiner Christine vor seinem inneren Auge, mit blitzenden Augen und warnend erhobenem Zeigefinger. Nach und nach bekam sich Gasperlmaier wieder unter Kontrolle, nicht aber ohne den Bewegungen der Frau Doktor Kohlross mit wachsamen Augen zu folgen.

Langsam schien sich das Sichern der vorhandenen Spuren – dem nur schwer zu verstehenden Gemurmel der Beamten nach – seinem Ende zu nähern, als ein weiteres Fahrzeug, diesmal ein schwarzer Geländewagen japanischer oder koreanischer Marke, mit eingeschaltetem Blaulicht auf dem Dach, eine verwegene Spur durch die Wiese zog. Da freut sich der Doktor Walter, dachte Gasperlmaier bei sich, dass er mit seinem Allradantrieb wieder einmal was anfangen kann, weil er gar so Gas gab in der Wiese, dass die Erdbrocken nur so flogen.

Die Frau Doktor Kohlross begrüßte den Arzt kurz, worauf er mitsamt ihr und ihren Stöckelschuhen im Pissoir verschwand. Gasperlmaier näherte sich langsam dem Kartonverschlag, um genauer beobachten zu können, was dahinter vorging.

Die Spurensicherer wurden von Frau Doktor Kohlross mit einer Armbewegung verscheucht, drückten sich durch die Öffnung nach draußen und verschwanden zu ihren Fahrzeugen, wohl um die lästigen Plastikanzüge loszuwerden.

Der Arzt beugte sich über die Leiche, drückte da und dort ins kalte Fleisch, schob ihr die Stutzen hinunter, worauf violette Flecken sichtbar wurden, öffnete die Augenlider und brummte ein wenig herum, bevor er die Leiche auf den Rücken drehte und vorsichtig Arme und Beine zu bewegen versuchte.

Wieder hatte Gasperlmaier nun Gelegenheit, dem Doktor Naglreiter ins Gesicht zu blicken. Irgendeinen Ausdruck konnte er dem nicht entnehmen, obwohl man doch in Kriminalromanen so oft lesen konnte, dass dem Opfer der Todesschmerz in die Züge gebrannt war. Auch kein anderer Gesichtsausdruck war feststellbar, also auch keine Verzückung, wie sie oft beschrieben wurde, wenn Opfer beim Liebesakt ihr Leben hatten lassen müssen. Was aber hier ohnehin nicht zur Diskussion stand. Der Doktor Naglreiter starrte leer und ausdruckslos zum Himmel empor und verursachte Gasperlmaier allein durch seine Anwesenheit Magenschmerzen.

„Wie lange ist er denn schon tot?“, kam die übliche Frage der Frau Doktor Kohlross. Doktor Walter zuckte mit den Schultern. „Schwer zu sagen. Ein Gerichtsmediziner bin ich nicht. Aber so vier, fünf Stunden werden es wohl sein. Mindestens. Wenn er hier im Freien gelegen ist.“

„Was heißt, wenn?“ Eine tiefe, senkrechte Falte erschien über der Stirn der Frau Doktor. Sie war wohl, fiel Gasperlmaier ein, die erste Frau, die sich in das Pissoir des Altausseer Kirtags verirrt hatte, und war so ein gänzlich fremdartiger Anblick.

„Na ja, die Totenstarre hat schon teilweise eingesetzt. Wenn er allerdings hier gestorben wäre, gäbe es keine Leichenflecken an den Unterschenkeln, sehen Sie, hier?“ Der Doktor wies auf hässliche bläuliche Verfärbungen an den Waden der Leiche. „Die Beine müssen bei Eintritt des Todes, und auch noch danach, hinuntergehangen haben, wahrscheinlich ist er gesessen. Ich würde sagen, der Tote ist einige Zeit, nachdem er gestorben ist, noch einmal bewegt worden. Möglicherweise erst vor ein, zwei Stunden.“

Gasperlmaier schoss es siedend heiß bis in den Schädel hinein. Normal hielt er nicht viel von der Kunst des Doktor Walter, der schien ihm mehr von Autos und Golfschlägern zu verstehen als von Nieren, Hautausschlägen und unklaren Schmerzzuständen in den Eingeweiden, von denen Gasperlmaier plötzlich und heftig heimgesucht wurde. Diesmal allerdings, wusste Gasperlmaier, hatte der Doktor ins Schwarze getroffen.

„Die Spurensicherung meint auch, dass Fundort und Tatort nicht übereinstimmen. Sie haben viel zu wenig Blut für die Verletzung gefunden.“ Wie hatte Gasperlmaier nur im Traum annehmen können, sein Leichentransport werde unentdeckt bleiben. Gerade fielen ihm wieder die weiteren Beweise ein, die er zurückgelassen hatte: die blutige Bierbank im Gebüsch und wohl auch ein paar Blutspuren unter dem Tisch, wo, wie Gasperlmaier jetzt erst klar wurde, die Bank natürlich vermisst werden würde. Zu jedem Tisch gehörten zwei Bänke – und einem fehlte nun eine solche. Die Spurensicherer würden nicht ruhen, bevor sie nicht auch den letzten Winkel des Bierzelts nach Nasenhaaren und Hautschuppen des verblichenen Doktor Naglreiter abgesucht hatten, und Gasperlmaier hatte bei seiner Leichen- und Bankbeseitigung leichtsinnigerweise nicht einmal Handschuhe getragen!

Beim nächsten Leichenfund würde Gasperlmaier, das schwor er sich schon jetzt, jedenfalls still und heimlich verschwinden und sich krank melden, bis jemand anderer ihm dieses unangenehme Geschäft abgenommen haben würde.

„Sie haben also die Leiche gefunden?“ Schlagartig wurde Gasperlmaier aus seinen Gedanken gerissen, als ihn die Frau Doktor Kohlross, aus dem Pissoir tretend, jäh ansprach, und ebenso jäh riss es den Angesprochenen so ordentlich, dass die Frau Doktor verwundert die Augenbrauen hochzog.

Gasperlmaier bejahte, übertrieben mit dem Kopf nickend, der ihm nicht mehr so recht gehorchen und still auf dem Hals sitzen bleiben wollte.

„Was wollten Sie denn im Pissoir?“ Ganz sicher war sich Gasperlmaier, dass die Frau Doktor aus seinem hilflosen Gestikulieren auf eine Lüge schließen musste, dennoch bekam er es nicht unter Kontrolle. „Ich hab halt, weil ich …“ „Sie wollten es benützen?“, sprang ihm die Frau Doktor bei. Gasperlmaier nickte, während er Hitze in seinem Kopf aufsteigen spürte, die gewöhnlich mit der Rötung seiner Ohren und seines Gesichts einherzugehen pflegte. „Und Sie haben seine Lage nicht verändert?“ Gasperlmaier schüttelte energisch den Kopf und ließ dabei alle Hoffnung fahren, die Frau Doktor werde ihm glauben.

Abschätzig betrachtete sie Gasperlmaiers Zuckun-gen. „Ich glaub, wir setzen uns lieber kurz ins Zelt und Sie erklären mir noch einmal genau, wie die Situation war.“ Während Gasperlmaier, weiterhin nickend im Versuch, seine unkontrollierbaren Schädelbewegungen wenigstens zu dämpfen, sich hinter der Frau Doktor in Bewegung setzte, gab sie noch Anweisungen an die Uniformierten: „Alles absuchen, um das Zelt, drinnen, die Leute müssen weg. Spurensicherung ins Zelt.“

Drinnen setzte sie sich Gasperlmaier gegenüber hin, dem es gelungen war, sich ein wenig besser unter Kontrolle zu bekommen. Die Frau Doktor zog aus seiner deutlich erkennbaren Erregung aber die falschen Schlüsse. „Ich weiß, es ist ein Schock, eine Leiche zu finden, die so zugerichtet ist. Auch für mich ist es immer noch nicht leicht. Manche müssen sich in solchen Situationen sogar übergeben.“

Gasperlmaier ertappte sich dabei, wie er in das durchaus züchtige V des Ausschnitts der Kostümjacke der Frau Doktor stierte, in dem ein kleines Stück der Falte zu sehen war, die ihre Brüste voneinander trennte. Nicht aus Lüsternheit, auch nicht aus einfacher Freude an sichtbarer Schönheit hatte sich Gasperlmaier blickmäßig in die sichtbaren Brustansätze verbissen, das Problem war, dass er den Blickkontakt zu diesen klaren, alles wissenden, alles aus einem herausbohrenden Augen scheute. Er war sich völlig sicher, dass die Frau Doktor in seinen Augen wie in einem Buch lesen würde können, sobald er den Blick hob.

Der Frau Doktor Kohlross war nicht entgangen, welchen Einzelheiten Gasperlmaier seine Aufmerksamkeit widmete. „Hier heroben spielt die Musik!“ Mit diesen Worten schob sie ihren rechten Zeigefinger unter Gasperlmaiers Kinn, um es so weit anzuheben, dass er ihrem Blick standzuhalten nun gezwungen war.

„Wie heißen S’ denn eigentlich?“ Offenbar hatte sie die erste Nennung seines Namens, die zu spät gekommen und ins Leere gerufen worden war, tatsächlich nicht mitbekommen. „Gasperlmaier!“, brachte der Angesprochene hervor, so als ob es sein erstes Wort nach dem Aufwachen im Gefolge einer durchzechten Nacht gewesen wäre: heiser und mehr gekrächzt als gesprochen. Die Frau Doktor ging darüber hinweg und forderte Gasperlmaier neuerlich auf, ihr genau darzulegen, wie der Fund der Leiche des Herrn Doktor Naglreiter vor sich gegangen war.

Gasperlmaier gab, mit Händen und Armen rudernd, sich immer wieder räuspernd, seine eben zusammengereimte Lügengeschichte zum Besten. Sehr kompliziert war sie nicht: Er habe, wie immer, wenn er Streifendienst habe, das Bierzelt wie auch das Gelände darum herum kontrolliert, schließlich einen gewissen Drang verspürt und im Pissoir anstatt der erwünschten Erleichterung den Doktor Naglreiter gefunden. Dass er ihn nicht erkannt habe, sondern ihm der Kahlß Friedrich verraten habe, wer der Tote sei, beeilte er sich hinzuzufügen.

Ob er die Leiche berührt habe, wollte die Frau Doktor wissen. Scharf an ihrem rechten Ohr vorbeiblickend, hinter das sie gerade eine Haarsträhne geschoben hatte, log Gasperlmaier weiter, nein, keineswegs, er wisse, wie man sich in Angelegenheiten eines Leichenfunds zu verhalten habe. Gasperlmaier wurde der Kragen zu eng, aber er hütete sich davor, etwa einen Knopf zu öffnen oder mit den Fingern darunterzufahren, um sich mehr Atemluft zu verschaffen, hatte er doch zahllose Male in Kriminalfilmen der eher einfacheren Art gesehen, wie man auf diese Weise jemanden darstellte, dem beim Lügen das schlechte Gewissen hoch aufragend und kastenbreit im Weg steht.

Die Frau Doktor sah ihn auf eine Art und Weise an, die Gasperlmaier sagte, dass sie wusste, dass er ganz unverschämt log. Immer wieder ihren durchdringenden Blicken ausweichend, dabei tunlichst ihren Ausschnitt vermeidend, war Gasperlmaier nur noch Sekunden von einem Geständnis entfernt, als plötzlich ein lautes „Da ist was!“ die Aufmerksamkeit der Frau Doktor auf sich zog. Noch im Aufstehen warf sie ihm einen vernichtenden Blick zu, der Gasperlmaier sagte: Mit dir bin ich noch lang nicht fertig, ich krieg dich schon noch.

Einer der Spurensicherer deutete auf einen kaum wahrnehmbaren Fleck unter dem Tisch, dem die von Gasperlmaier ins Gebüsch verbrachte Bank fehlte. Frau Doktor Kohlross kniete sich neben dem Spurensicherer hin, um den Fleck näher in Augenschein zu nehmen. Der deutete mit den Fingern auf verschiedene Stellen im Dreck unter dem Tisch. „Das ist Blut!“, meinte er. Doktor Kohlross schwieg und zog die Schultern hoch. „Kann man so nicht erkennen. Kratzt es zusammen, und ins Labor damit!“

„Übrigens, hier ist eine Bank verschwunden. Da sieht man ganz genau die Abdrücke von den Beinen, hier und hier. Außerdem ist das der einzige Tisch mit nur einer Bank. Wo ist die?“ Der Scharfsinn der Frau Doktor Kohlross wurde sogleich von einem Ruf, der von außerhalb des Bierzelts kam, unter Beweis gestellt: „Wir haben da eine Bank gefunden!“

Während der Spurensicherer unter dem Tisch kauernd mit einer Spachtel Dreck zusammenkratzte und in ein bereitgehaltenes Plastiksäckchen füllte, mit einer Präzision und Umsicht, als handle es sich um wertvolle Überbleibsel einer versunkenen Kultur, verließ Frau Doktor Kohlross stöckelnd das Dämmerlicht des Bierzelts, Gasperlmaier aber blieb noch ein wenig sitzen, denn er war sich nicht gänzlich sicher, ob ihn seine Beine ob der ganzen Aufregung überhaupt weiter tragen würden. Schließlich gelang es ihm doch, sich zusammenzureißen, schließlich war er im Einsatz und konnte nicht einfach untätig hier sitzen bleiben. So erhob er sich schwerfällig von seiner Bank und folgte der Frau Doktor Kohlross aus dem Zelt.

Wenig überrascht sah er ein ganzes Grüppchen Beamter bei dem Gebüsch stehen, unter dem er die blutbesudelte Bank versteckt hatte. Er näherte sich mit zittrigen Knien und wollte die Spekulationen seiner Kollegen, wie die Bank wohl hierher gekommen sein könnte, gar nicht hören. Noch bevor er die Versammlung ganz erreicht hatte, drehte sich die Frau Doktor zu ihm um. „Wir haben die fehlende Bank gefunden. Sie ist voll Blut. Wollen Sie sie sehen?“ Gasperlmaier schüttelte abwehrend Kopf und Hände und hoffte, dass man seine Verweigerung der Bankbegutachtung aufkommender Übelkeit, des Blutes wegen, zuschreiben würde.

„Jetzt müssen Sie mir aber schon genau erklären, was da heute früh vorgefallen ist!“ Gasperlmaier entging die zunehmende Schärfe im Ton der Frau Doktor nicht. „Wie ich gesagt habe“, entgegnete er trotzig, „nur die Bierfahrer sind kurz nach mir gekommen, die sind gleich ins Zelt, aber das war eigentlich erst, als ich den Kahlß Friedrich schon angerufen habe.“

„Wer ist der Kahlß Friedrich?“, fragte die Frau Doktor mit zunehmender Schärfe in der Stimme, wohl, weil ihr noch nicht erklärt worden war, wie der Postenkommandant in Altaussee hieß, und weil sie dachte, Gasperl-maier habe irgendwen, einen Saufkumpan vielleicht oder den Leichenbestatter, zuerst gerufen.

Nachdem das Missverständnis ausgeräumt war, er-kundigte sie sich nach den Bierfahrern, und als Gasperlmaier in aller Unschuld erklärte, die habe er weggeschickt, weil sie ja doch nur unnötig am Tatort herumgelaufen seien, platzte ihr erstmals der Kragen.

„Ja, von was für Fachleuten bin ich denn hier umgeben? Der schickt mir möglicherweise wichtige Augenzeugen gleich wieder weg!“, rief sie laut, gegen den Loser hin wild gestikulierend, der, obwohl sein Name ja ein Dialektbegriff für das Ohr war, ihr wohl kein Gehör schenkte.

Schnell hatte sie sich aber wieder unter Kontrolle: „Meine Herren, Bank und Spuren unter dem Tisch ins Labor, die Leiche kann weg. Wir gehen jetzt alle zunächst einmal auf den Posten, um uns Übersicht zu verschaffen. Allerdings dürfen wir nicht zu lange damit warten, das Wohnhaus der Familie aufzusuchen. Keine Pause vorläufig.“