Erhabener

Ein verlassenes Haus überragte die Stadt.

Auf dem Grundstück, auf dem das Haus erbaut worden war, hatte einst der Herrensitz einer Familie mit großem Namen gestanden. Er lag auf dem höchsten der Hügel, die die Stadt Ontoset umgaben. Die Aussicht auf die Stadt und das dahinter liegende Meer wurde als die schönste erachtet. Der Familie war es schlecht ergangen, denn sie hatte in einem der zahlreichen politischen Machtkämpfe des Kaiserreiches auf der Verliererseite gestanden. Das Haus war reparaturbedürftig geworden, die Familie wurde immer weniger geschätzt und der Landsitz ignoriert. Es war zwar ein schöner, wenn nicht noch schönerer Platz als andere, um ein Haus darauf zu errichten, aber die Tsuranis waren zu abergläubisch und verbanden zu viel Pech mit dem Besitz.

Jetzt erhob sich ein neues und fremdartig-merkwürdiges Haus oben auf dem Hügel. Es gab Anlaß zu Spekulationen und Neid. Die Spekulationen drehten sich um seinen Besitzer, diesen merkwürdigen Erhabenen. Der Neid bezog sich auf sein Haus, auf die Konstruktion, die eine Revolution für die Architektur der Tsuranis darstellte. Dies war nicht mehr das traditionelle, dreistöckige Gebäude mit offenem Innenhof. Statt dessen stand da jetzt ein langgestrecktes, einstöckiges Anwesen. Mehrere kleinere Häuser waren durch überdachte Gänge damit verbunden.

Seine Konstruktion war eine Sensation, ebenso wie der Entwurf als solcher, denn es bestand hauptsächlich aus Stein mit gebrannten Ziegeln auf dem Dach. Die Leute vermuteten, daß es in der Hitze des Sommers kühlen Schutz bieten würde.

Zwei weitere Tatsachen trugen noch zu der Faszination bei, die das Haus und sein Besitzer erregten. Da war zuerst einmal die Art, in der das Projekt ausgeführt worden war. Eines schönen Tages war der Erhabene in Ontoset, im Heim von Tumacel, dem reichsten Geldverleiher der Stadt, erschienen. Er eignete sich mehr als dreißigtausend Taler an und ließ den Geldverleiher – entsetzt über den Verlust seiner Mittel – zurück. Das war Milambers Art und Weise, mit der Leidenschaft der Tsuranis für Bürokratie umzugehen. Jeder Händler, der den Befehl erhielt, einem Erhabenen einen Dienst zu erweisen, war gezwungen, die kaiserliche Schatzkammer um Rückzahlung anzuschreiben. So kam es, daß nur langsam Material geliefert wurde, daß die Dienstleistungen alles andere als enthusiastisch ausfielen, und daß dies sogar Abneigung erzeugte. Milamber zahlte einfach im voraus und überließ es dem Geldverleiher, sich von der Schatzkammer entschädigen zu lassen. Aufgrund seiner Buchführung war er eher in der Lage als die meisten anderen Händler, sich seine Verluste wieder zurückzuholen.

Die zweite Tatsache war der Stil des Hausschmuckes. Anstelle der für gewöhnlich kühnen Wandmalereien war das Gebäude größtenteils unbemalt gelassen worden. Nur hier und da war eine Landschaft in gedämpften, natürlichen Farben dargestellt worden. Viele gute, junge Künstler hatten an diesem Projekt gearbeitet, und als sie fertig waren, war die Nachfrage nach ihren Diensten phänomenal. Innerhalb eines Monats gab es eine neue Richtung in der Kunst der Tsuranis.

Fünfzig Sklaven bearbeiteten jetzt die Felder um das Haus herum. Sie alle durften kommen und gehen, wann sie wollten, und trugen die Kleider ihrer Heimat, Midkemias. Alle waren eines Tages vom Sklavenmarkt von dem Erhabenen persönlich ohne Bezahlung geholt worden.

Viele Reisende, die nach Ontoset kamen, verbrachten einen Nachmittag damit, die Hügel in der Nähe zu erklettern, um das Haus zu betrachten. Natürlich taten sie dies aus respektvoller Entfernung.

»Der Glaube, daß der derzeitige große Spalt nach Midkemia hin zu kontrollieren ist, ist nur teilweise richtig.« Milamber machte eine Pause, damit sein Schreiber das Diktat fertigstellen konnte. »Man kann sagen, daß Spalten entstehen können, ohne daß dabei zerstörerische Energien freigesetzt werden, die normalerweise mit der zufälligen Schaffung einhergehen.«

Milambers Erforschung der speziellen Aspekte von Spaltenergie würde den Archiven der Versammlung hinzugefügt werden, wenn sie vollständig war. Wie bei anderen Projekten auch, von denen Milamber in den Archiven gelesen hatte, hatte die Untersuchung der Spalten große Lücken aufgewiesen. Im allgemeinen wurden Projekte einfach nicht bis zur Vollendung durchgeführt. War man erst einmal so weit, daß man Spalten hervorrufen konnte, dann wurden sie nicht weiter untersucht.

Er diktierte weiter: »Was bei der Kontrolle fehlt, ist die Fähigkeit, den Spalt zu ›zielen‹. Die Erscheinung des Schiffes, das Fanatha an die Küsten von Crydee getragen hat, auf der Welt Midkemia, hat gezeigt, daß eine gewisse Affinität zwischen einem neu entstehenden und einem bestehenden Spalt möglich ist, wenn nicht sogar wahrscheinlich. Weitere Versuche haben jedoch erwiesen, daß die Affinität begrenzt ist. Bislang können wir diese Grenzen jedoch noch nicht voll verstehen. Die Wahrscheinlichkeit eines zweiten Spalts in der näheren Umgebung des ersten nimmt zwar beständig zu, ist aber keinesfalls als sicher anzusehen.«

Milambers Bericht wurde vom Geräusch des Gongs unterbrochen, der die Ankunft eines Mitglieds der Versammlung ankündigte. Er entließ seinen Schreiber und begab sich zum Musterraum. Während er ging, grübelte er über seinen wirklichen Grund nach, warum er sich in den vergangenen zwei Monaten so intensiv mit der Forschung beschäftigt hatte. Er umging damit die Entscheidung, die er bald treffen mußte, ob er zum Besitz der Shinzawai zurückkehren und Katala zu sich holen sollte.

Milamber wußte, daß die Möglichkeit bestand, daß sie bereits die Frau eines anderen geworden war, denn sie waren fast fünf Jahre lang getrennt gewesen, und sie hatte kaum Grund zu der Annahme, daß er zurückkehren würde. Aber weder die Zeit noch seine Ausbildung hatten seine Gefühle ihr gegenüber schwächer werden lassen. Als er den Transportraum mit seinem gekachelten Muster erreichte, faßte er seinen Entschluß: Morgen würde er sie besuchen.

Als er das Zimmer betrat, sah er Hochopepa vom Muster in dem gekachelten Boden treten. »Ah, da bist du ja«, sagte der dickliche Magier. »Da es zwei Wochen her ist, seit ich dich gesehen habe, habe ich beschlossen, dir einen Besuch abzustatten.«

»Ich freue mich, dich zu sehen. Ich war in meine Studien vertieft, und eine kurze Pause wird mir guttun.«

Sie traten aus dem Raum in einen der Gärten in der Nähe. Milamber klatschte in die Hände, und ein Diener erschien mit einem Teller und einem Tablett mit Erfrischungen. Der Diener Netoha war einstmals Hadonra der Familie gewesen, die früher hier gelebt hatte. Milamber war auf ihn gestoßen, als er jemanden suchte, der die Vielzahl von Pflanzen versorgen konnte, die er sich für seine Gärten wünschte. Der Mann war so kühn gewesen, sich ihm zu nähern. Dies war etwas, das ihn von den gewöhnlichen Tsuranis unterschied. Da er nicht in der Lage gewesen war, eine Arbeit zu finden, für die er ausgebildet worden war, hatte Netoha sich nur mühsam seinen Lebensunterhalt verdient, nachdem sein Herr seinen Besitz verlassen hatte. Milamber hatte ihn eingestellt, gleichermaßen aus Sympathie als auch aus dem Gefühl heraus, daß er wirklich jemanden benötigte.

Er hatte sich schnell auf hunderterlei Art nützlich gemacht, und ihre Beziehung hatte sich als für beide Seiten äußerst zufriedenstellend entwickelt.

Hochopepa nahm dankbar das Essen und Trinken entgegen. »Ich bin gekommen, um dir einige Neuigkeiten mitzuteilen. In zwei Monaten wird ein kaiserliches Fest mit Wettbewerben stattfinden.

Wirst du auch kommen?«

Milamber stellte fest, daß seine Neugier erregt wurde. Mit einem Wink entließ er Netoha. »Und warum ist dieses Fest etwas so Besonderes? Ich kann mich nicht erinnern, dich jemals zuvor so lebhaft gesehen zu haben.«

»Der Kriegsherr gibt dieses Fest zu Ehren seines Neffen, des Kaisers. Er hat Pläne für eine neue Großoffensive in der Woche vor den Spielen, und man hofft, daß er den Erfolg dieses Feldzugs bei den Festspielen verkünden kann.« Er senkte die Stimme. »Für diejenigen unter uns, die Zugang zum Hof haben, ist es kein Geheimnis, daß er unter großem Druck steht, um seine Kriegführung rechtfertigen zu können. Es geht das Gerücht, daß er gezwungen worden ist, große Konzessionen der Partei der Blauen Räder gegenüber zu machen, damit diese ihn im Krieg unterstützt.

Aber das Besondere an diesen Spielen wird sein, daß das Licht des Himmels seinen Palast verlassen wird und damit eine uralte Tradition bricht. Das wäre die richtige Gelegenheit für dich, Zugang zur Gesellschaft des Hofes zu finden.«

»Tut mir leid, Hocho, aber ich habe keine große Lust, an den Festspielen teilzunehmen. Ich war Anfang dieses Monats bei einem in Ontoset, als Teil meiner Studien. Die Tänze sind langweilig, die Speisen schrecklich, und der Wein ist so nichtssagend wie die Reden. Die Spiele sind noch weniger interessant. Wenn das die Hofgesellschaft ist, von der du sprichst, dann bin ich ohne sie gut dran.«

»Milamber, in deiner Ausbildung sind noch viele Lücken. Auch wenn du die schwarze Robe erlangt hast, so bedeutet das noch nicht, daß du ein Meister unseres Handwerks bist. Es gehört ein bißchen mehr dazu, das Kaiserreich zu schützen, als herumzusitzen und von neuen Wegen zu träumen, wie man Energie umherschleudern oder ein wirtschaftliches Chaos bei den ortsansässigen Händlern schaffen kann.« Er nahm sich einen neuen Keks und plapperte weiter: »Es gibt verschiedene Gründe, warum du mit mir zu den Festspielen kommen solltest, Milamber. Zum einen bist du so etwas wie eine Berühmtheit unter den Adligen dieses Gebietes. Die Nachricht von deinem wunderlichen Haus ist bis in die fernste Ecke des Kaiserreiches gedrungen, hauptsächlich wohl mit Hilfe dieser jungen Banditen, die du so gut bezahlt hast, damit sie die zarten Gemälde malen, die du so gern hast. Jetzt gilt es als vornehm, dieselbe Art von Arbeit für sich machen zu lassen.

Und dann dieses Haus.« Seine Hand vollführte einen Bogen vor ihm, und spöttisches Staunen trat auf sein Gesicht. »Jeder, der so schlau ist, ein solches Gebäude zu entwerfen, muß es wert sein, daß man ihm Aufmerksamkeit schenkt.« Sein spöttischer Ton verging, als er hinzufügte: »Übrigens, dieser ganze Unsinn hat um keinen Deut nachgelassen, nachdem du dich hier im Hinterland so zurückgezogen aufhältst. Im Gegenteil, dein Ruf ist nur noch besser geworden.

Aber jetzt zu den wichtigeren als den gesellschaftlichen Gründen. Wie du zweifellos weißt, wächst allgemein die Sorge, daß die Nachrichten über den Krieg irgendwie heruntergespielt werden. In all diesen Jahren hat er nicht viel gebracht, und jetzt geht das Gerücht, daß der Kaiser sich gegen die Politik des Kriegsherrn stellen könnte. Wenn das der Fall ist…« Er ließ den Gedanken unbeendet.

Milamber schwieg eine Weile. »Hocho, ich glaube, es wird Zeit, daß ich dir etwas erzähle. Wenn du glaubst, daß es ausreicht, um mein Leben zu riskieren, dann magst du in die Versammlung zurückkehren und es vorbringen.«

Hochopepa war voller Aufmerksamkeit. Alle spöttischen und spitzen Bemerkungen waren beiseite geschoben.

»Ihr, die ihr mich ausgebildet habt, habt gute Arbeit geleistet, denn mich erfüllt das Bedürfnis, nur das Beste für das Kaiserreich zu tun. Ich empfinde nur noch wenig für das Land, in dem ich geboren wurde, und du wirst nie ermessen können, was das bedeutet. Aber als ihr mich zu dem gemacht habt, was ich jetzt bin, ist es euch nicht gelungen, in mir die Heimatliebe zu entflammen, die ich einstmals für mein Crydee aufgebracht habe. Was ihr geschaffen habt, ist ein Mann mit starkem Pflichtgefühl. Keinerlei Liebe zu diesem Etwas, dem gegenüber er verpflichtet ist, zügelt dieses Gefühl.« Hochopepa schwieg, als ihm bewußt wurde, was Milamber da gesagt hatte. Dann, als Milamber fortfuhr, nickte er.

»Ich bin vielleicht die größte Bedrohung für das Kaiserreich, seit der Fremde eure Himmel heimsuchte, denn wenn ich mich in die Politik einmische, dann werde ich gerecht sein ohne Gnade.

Ich habe von den Cliquen innerhalb der Parteien gehört, vom Übertritt von Familien von einer Partei in die andere, und auch von den Konsequenzen solcher Handlungen. Glaubst du, nur weil ich hier oben auf meinem Hügel im Ostland sitze, wüßte ich nichts von den Unruhen der politischen Tiere in der Hauptstadt? Natürlich nicht. Wenn die Partei der Blauen Räder zusammenbricht, wenn sich ihre Mitglieder mit der Kriegspartei oder den Kaisertreuen neu verbünden, dann stellt am nächsten Tag auf dem Marktplatz jeder einzelne Straßenhändler von Ontoset seine Vermutungen darüber an. Ich weiß genausogut wie jeder andere, der nicht direkt davon betroffen ist, was hier vor sich geht. Und in den Monaten, seit ich hier lebe, bin ich zu einem Schluß gekommen: Das Kaiserreich tötet sich langsam selbst.«

Einen Augenblick lang sagte der ältere Magier nichts. Dann erwiderte er: »Hast du dich auch gefragt, warum unser System so ist, daß wir uns selbst töten?«

Milamber erhob sich und schritt auf und ab. »Natürlich. Ich habe es untersucht und beschlossen abzuwarten, ehe ich handle. Ich brauche mehr Zeit, um die Geschichte zu verstehen, die ihr mir so gut beigebracht habt. Aber ich stelle natürlich auch Vermutungen an.« Er neigte fragend den Kopf, ob er fortfahren sollte. Hochopepa nickte zustimmend. »Mir kommt es so vor, als gäbe es hier verschiedene Hauptprobleme, Probleme, über deren Bedeutung für das Kaiserreich ich nur Vermutungen anstellen kann.

Erstens« – er hielt den Zeigefinger hoch – »sind diejenigen an der Macht mehr an ihrer eigenen Größe als am Wohlergehen des Kaiserreiches interessiert. Und da sie es sind, die nach außen hin, für den flüchtigen Beobachter, das Kaiserreich verkörpern, ist es nicht schwer, das zu übersehen.«

»Was meinst du damit?« fragte der ältere Magier.

»Wenn du an das Kaiserreich denkst, an was denkst du dann? An die Geschichte von Armeen, die über die Landesgrenzen hinweg Krieg führen? Oder an den Aufstieg der Versammlung?

Vielleicht erinnerst du dich auch an eine Chronik der Herrscher? Was es auch ist, höchstwahrscheinlich wird die eine, einzige und offensichtlichste Wahrheit übersehen. Das Kaiserreich, das sind all jene, die innerhalb seiner Grenzen leben, von den Adligen bis herab zu den einfachsten Dienern, selbst die Sklaven, die auf den Feldern arbeiten, gehören dazu. Es muß als ein Ganzes gesehen werden, es wird nicht durch einen kleinen, aber sichtbaren Teil verkörpert wie zum Beispiel durch den Kriegsherrn oder den Hohen Rat. Verstehst du das?«

Hochopepa sah besorgt und beunruhigt aus. »Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube schon … fahre fort.«

»Wenn das wahr ist, dann denke über den Rest nach. Zweitens darf es niemals eine Zeit geben, in der das Bedürfnis nach Stabilität das nach Wachstum und Größe übertrifft.«

»Aber wir sind immer größer geworden!« wandte Hochopepa ein.

»Das stimmt nicht«, widersprach Milamber. »Ihr habt eure Grenzen ausgedehnt, und das sieht dann aus wie Größe, wenn man nicht genauer nachforscht. Aber während eure Armeen euch neues Land einverleibt haben, was ist in dieser Zeit aus eurer Kunst, eurer Musik, eurer Literatur und Forschung geworden? Selbst die Versammlung tut kaum mehr, als alles das zu verfeinern, was bereits bekannt ist. Du hast vorhin gesagt, daß ich meine Zeit verschwende mit der Suche nach neuen Wegen, ›Energie umherzuschleudern‹. Nun, und was ist daran nicht in Ordnung? Da stimmt alles. Aber es stimmt etwas nicht mit einer Gesellschaft, wenn sie auf alles Neue nur mit Mißtrauen blickt.

Schau dich doch um, Hocho. Eure Künstler sind entsetzt, weil ich beschrieben habe, was ich in meiner Jugend an Gemälden gesehen habe, und ein paar junge von ihnen sind ganz aufgeregt geworden. Eure Musiker verbringen all ihre Zeit damit, die alten Lieder zu lernen. Sie spielen sie perfekt, auf die Note genau, aber niemand komponiert neue oder wenigstens hübsche Abwandlungen der jahrhundertealten Melodien. Niemand schafft neue Epen. Sie alle erzählen nur immer wieder die alten. Hocho, euer Volk stagniert. Dieser Krieg ist nur ein Beispiel dafür. Er ist ungerechtfertigt. Er wird nur aus Gewohnheit geführt, um gewisse Gruppen an der Macht zu halten, um Reichtum für jene anzuhäufen, die bereits reich sind, und um das Spiel des Rates zu spielen.

Und die Kosten! Jahr für Jahr werden Tausende von Leben vergeudet, das Leben derjenigen, die das Kaiserreich sind, seiner eigenen Bürger. Das Kaiserreich ist ein Kannibale, der seine eigenen Bürger verschlingt.«

Der ältere Magier war beunruhigt von dem, was er hörte, denn es stand im totalen Gegensatz zu dem, was er zu sehen glaubte: einer lebendigen, energischen Kultur.

»Drittens: Wenn es meine Pflicht ist, dem Kaiserreich zu dienen, und wenn die soziale Ordnung des Kaiserreichs für seine Stagnation verantwortlich ist, dann ist es auch meine Pflicht, die soziale Ordnung zu ändern, selbst wenn ich sie dabei zerstören muß.«

Jetzt war Hochopepa entsetzt. Milambers Logik war ohne Fehler, aber die vorgeschlagene Lösung bedeutete Gefahr für alles, was Hochopepa kannte und verehrte. »Ich verstehe, was du sagst, Milamber, aber das, wovon du sprichst, ist zu vielschichtig, um sofort verstanden zu werden.«

Milambers Stimme nahm einen beruhigenden Ton an. »Ich will damit nicht sagen, daß die Zerstörung der jetzigen sozialen Ordnung die einzig mögliche Lösung wäre, Hocho. Ich habe das nur gesagt, um dich zu schockieren und meinen Standpunkt klarzumachen. Darum geht es bei meinen Untersuchungen, nicht um die sichtbare Beherrschung der Energie. Meine Arbeit war die Erforschung der Natur des Tsurani-Volkes und des Kaiserreichs. Glaube mir, ich bin mehr als bereit, alle Zeit auf diese Frage zu verwenden, die ich benötige. Aber wenn ich zu einer Entscheidung komme, was getan werden muß, dann werde ich handeln.«

Hochopepa stand mit besorgtem Gesicht auf. »Nicht, daß ich mit dir nicht übereinstimmen würde, mein Freund, aber ich brauche einfach noch Zeit, um das zu verkraften, was du gesagt hast.«

»Ich konnte dir nur die Wahrheit sagen, Hocho, ganz gleich, wie beunruhigend sie auch ist.«

Hochopepa lächelte. »Diese Tatsache weiß ich zu würdigen, Milamber. Ich muß einige Zeit über deinen Vorschlag nachdenken.« Etwas von dem für ihn typischen Humor klang wieder aus seiner Stimme. »Vielleicht begleitest du mich zur Versammlung? Du warst lange nicht mehr da. Du warst mit dem Hausbau und mit sicher anderen Dingen beschäftigt, aber es wäre gut, wenn du hin und wieder einmal auftauchen würdest.«

Milamber lächelte seinem Freund zu. »Natürlich.« Er machte Hochopepa ein Zeichen, daß dieser vorausgehen sollte. Unterwegs meinte Hochopepa: »Wenn du unsere Kultur studieren möchtest, Milamber, dann würde ich dir doch vorschlagen, zum Fest des Kaisers zu kommen. Auf den Plätzen der Arena wirst du an diesem einen Tag mehr politische Aktivitäten beobachten können als in einem ganzen Monat im Hohen Rat.«

Milamber wandte sich Hochopepa zu. »Vielleicht hast du recht. Ich werde darüber nachdenken.«

 

Als sie auf dem Muster der Versammlung erschienen, stand Shimone ganz in der Nähe. Er verbeugte sich leicht und sagte: »Willkommen. Ich wollte gerade nach euch beiden Ausschau halten.«

Hochopepa entgegnete leicht amüsiert: »Sind wir so wichtig für die Geschäfte der Versammlung, daß man dich schicken muß, um uns zurückzuholen?«

Shimone neigte leicht den Kopf. »Vielleicht, aber heute nicht. Ich dachte bloß, daß ihr die Punkte der Tagesordnung heute interessant finden würdet.«

»Worum geht es denn?« wollte Milamber wissen.

»Der Kriegsherr hat der Versammlung eine Nachricht übersandt, und Hodiku hat Fragen dazu. Wir beeilen uns besser, denn sie sind fast bereit zu beginnen.«

Hastig begaben sie sich zur zentralen Halle der Versammlung und traten ein. Um ein großes, offenes Gebiet erhob sich ein Amphitheater. Sie nahmen in einer der unteren Reihen mit freien Bänken Platz. Schon saßen ein paar hundert schwarzgewandete Erhabene auf ihren Plätzen. In der Mitte des Bodens konnten sie Fumita erkennen, den ehemaligen Bruder des Shinzawai-Herrschers.

Er stand allein, denn er hatte am heutigen Tag den Vorsitz über die Versammlung. Die Präsidentschaft wurde zufällig an einen der Anwesenden vergeben. Milamber sah Fumita erst das zweite Mal in der Versammlung, seit er Milamber hierher gebracht hatte.

Shimone sagte: »Es sind fast drei Wochen vergangen, seit ich dich das letzte Mal in der Versammlung gesehen habe, Milamber.«

»Ich muß mich entschuldigen, aber ich war sehr beschäftigt damit, mein Heim in Ordnung zu bringen.«

»Das habe ich gehört. Du bist eine Quelle für den Klatsch am kaiserlichen Hofe. Ich habe erfahren, daß selbst der Kriegsherr begierig darauf wartet, dich kennenzulernen.«

»Eines Tages vielleicht.«

Hochopepa wandte sich an Shimone. »Wer kann einen solchen Mann verstehen? Einen, der ein so merkwürdiges Heim errichten läßt.« Er wandte sich an Milamber. »Als nächstes wirst du mir dann erzählen, daß du dir eine Frau nimmst.«

Milamber lachte. »Hochopepa, wie konntest du das erraten?« Hochopepas Augen wurden groß.

»Das ist nicht dein Ernst!«

»Und warum nicht?«

»Milamber, glaube mir, das ist kein kluger Kurs, den du da einschlagen willst. Bis zum heutigen Tage habe ich meine eigene Ehe bedauert.«

»Hocho, ich wußte ja gar nicht, daß du ein verheirateter Mann bist.«

»Ich spreche nicht viel darüber. Meine Frau ist eine feine Person, wenngleich sie eine scharfe Zunge und einen beißenden Verstand mit in die Wiege bekommen hat. In meinem eigenen Heim bin ich nicht viel mehr als ein zusätzlicher Diener, den man herumkommandieren kann. Deshalb sehe ich sie auch nur an vorgeschriebenen Ferientagen. Es wäre schlecht für meine Nerven, wenn ich sie öfter treffen würde.«

Shimone wollte wissen: »Wer ist deine Auserwählte, Milamber? Die Tochter eines Edlen?«

»Nein. Sie war Sklavin mit mir, auf dem Shinzawai-Besitz.«

Hochopepa grübelte. »Ein Sklavenmädel … hmm. Das könnte gehen.«

Milamber lachte, und Shimone kicherte. Ein paar andere Magier schauten neugierig zu ihnen herüber, denn gewöhnlich ging es in der Versammlung nicht so fröhlich zu.

Fumita streckte eine Hand empor, und sofort wurde es in der Versammlung ruhig. »Heute wird Hodiku der Versammlung eine Angelegenheit vortragen.«

Ein dünner Erhabener, mit rasiertem Kopf und Hakennase, erhob sich von einem Sitz vor Milamber und Hochopepa und trat in die Arena.

Er betrachtete die Magier in der Halle, ehe er seinen Vortrag begann. »Ich bin heute hier erschienen, damit ich über das Kaiserreich sprechen kann.« Es war die offizielle Eröffnung einer jeden Angelegenheit, die der Versammlung vorgetragen werden sollte. »Ich spreche zum Wohle des Kaiserreiches«, fügte er hinzu und vervollständigte damit das Ritual. »Ich mache mir Sorgen wegen der Bitte des Kriegsherrn, die er heute vorgebracht hat. Er wünscht Hilfe, damit er die Front im Krieg gegen Midkemia verstärken kann.«

Rufe wie »Politik!« und »Setzt Euch!« ertönten von allen Seiten. Bald waren auch Shimone und Hochopepa auf den Beinen und schrien mit den anderen: »Laßt ihn reden!«

Fumita hielt ruhegebietend eine Hand empor, und gleich darauf verstummte das Gebrüll. Hodiku fuhr fort. »Einen ähnlichen Fall hat es schon einmal gegeben. Vor fünfzehn Jahren hat die Versammlung dem Kriegsherrn den Befehl gegeben, den Krieg gegen die Thuril-Konföderation zu beenden.«

Ein anderer Magier sprang auf. »Wenn der Kampf mit den Thuril angedauert hätte, hätten sich in dem Jahr im Norden zu wenige befunden, um die Thun-Einwanderer zurückzudrängen. Es war ein klarer Fall der Errettung der Szetac Provinz und der Heiligen Stadt. Jetzt aber sind unsere Grenzen im Norden sicher. Die Situation ist nicht dieselbe.«

In der gesamten Halle brachen Diskussionen aus, und es dauerte ein paar Minuten, bis Fumita die Ruhe wiederherstellen konnte. Hochopepa erhob sich und sagte: »Ich würde gern Hodikus Grund hören, warum er dieses Problem für die Sicherheit des Kaiserreiches für so wichtig hält.

Jeder Magier, der dazu bereit ist, darf diese Eroberung unterstützen.«

»Das ist genau der Punkt«, entgegnete Hodiku. »Es gibt für einen Magier, der der Ansicht ist, daß dieser Krieg in einer anderen Raum-Zeit richtig und gut im Sinne des Kaiserreichs ist, keinen Grund, diese Eroberung nicht zu unterstützen. Ohne die Schwarzen Roben, die dem Kriegsherrn schon gedient haben, wäre der Spalt für ein solches Unternehmen niemals vorbereitet worden. Aber ich erhebe Einspruch dagegen, daß er jetzt Forderungen an die Versammlung selbst stellt. Wenn fünf oder sechs Magier beschließen, im Feld zu dienen, ja, sogar in diese andere Welt zu reisen und ihr Leben in der Schlacht zu riskieren, dann ist das ihre Sache. Aber wenn ein Magier auf diese Forderung eingeht, ohne über die Folgen nachzudenken, dann wird es den Anschein erwecken, als wäre die Versammlung jetzt dem Willen des Kriegsherrn unterworfen.«

Ein paar Zauberer applaudierten, andere schienen darüber nachzudenken und es abzuwägen. Nur einige wenige Buh-Rufe ertönten. Hochopepa erhob sich erneut. »Ich würde gern einen Vorschlag machen. Ich werde es auf mich nehmen, im Namen der Versammlung eine Nachricht an den Kriegsherrn zu senden. Darin werde ich unser Bedauern kundtun, daß die Versammlung als Ganzes keinem Magier befehlen kann, dieser Forderung nachzukommen. Ich werde ihm aber mitteilen, daß er jederzeit die Freiheit hat, sich einen Magier zu suchen, der bereit ist, für ihn zu arbeiten.«

Ein allgemeines, zustimmendes Gemurmel breitete sich im Raum aus, und Fumita fragte:

»Hochopepa hat angeboten, im Namen der Versammlung eine Nachricht an den Kriegsherrn zu senden. Hat irgend jemand etwas dagegen einzuwenden?« Als keine Einwände vorgebracht wurden, sagte er: »Die Versammlung dankt Hochopepa für seine weise Entscheidung.«

Nachdem sich die Versammlung aufgelöst hatte, sagte Shimone: »Du solltest öfter kommen, Milamber. Wir sehen dich ja kaum noch. Und du verbringst zu viel Zeit allein.«

Milamber lächelte. »Das ist richtig, aber ich beabsichtige, diese Situation morgen zu verändern.«

 

Der Gong hallte durchs Haus, und die Diener sprangen herbei, um alles für den Besuch des Erhabenen vorzubereiten. Kamatsu, der Herr der Shinzawai, wußte, daß ein Erhabener einen Gong in den Hallen der Versammlung angeschlagen hatte, damit sein Ton ihm vorauseilte und seinen bevorstehenden Besuch ankündigte.

In Kasumis Zimmer saßen Laurie und der ältere Sohn des Hauses vor einem Spiel Pashawa, wozu sie angemalte Stücke festen Papiers benutzten. Es wurde in Gasthöfen und Kneipen in ganz Midkemia gern gespielt, und hier war es Teil der Ausbildung des jungen Tsuranis, der alles über das Leben in Midkemia wissen wollte.

Kasumi erhob sich. »Höchstwahrscheinlich ist er es, der einst mein Onkel war. Ich gehe jetzt besser.«

Laurie lächelte. »Könnte es auch sein, daß Ihr Euren Verlust einschränken wollt?«

Der Tsurani schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, ich habe in meinem eigenen Haus ein Problem geschaffen. Du warst nie ein guter Sklave, Laurie, und du scheinst noch widerspenstiger geworden zu sein. Nur gut, daß ich dich mag.«

Sie lachten beide, und der älteste Sohn des Hauses verließ das Zimmer. Ein paar Minuten später kam ein Haussklave herbeigelaufen und teilte Laurie mit, daß der Herr des Hauses ihn auffordere, unverzüglich zu ihm zu kommen. Laurie sprang auf, mehr aufgrund der offensichtlichen Aufregung des Sklaven als wegen eines angeborenen Gefühls für Gehorsam. Er eilte zum Gemach des Herrn und klopfte an den Türrahmen. Die Tür glitt beiseite, und Kasumi hielt sie auf. Laurie trat hindurch und sah den Shinzawai-Herrn und seinen Gast. Dann überwältigte ihn seine Verwirrung. Der Gast trug die schwarze Robe eines Erhabenen der Tsuranis, aber das Gesicht gehörte Pug. Er wollte sprechen, brach wieder ab und setzte erneut an. »Pug?«

Der Herr des Hauses schien zornig über dieses vorlaute Verhalten seines Sklaven zu sein. Aber ehe er einen Befehl verlauten lassen konnte, wurde er von dem Erhabenen unterbrochen. »Dürfte ich diesen Raum einige wenige Minuten benutzen, Herr? Ich möchte unter vier Augen mit diesem Sklaven reden.«

Kamatsu, der Herr der Shinzawai, verbeugte sich steif. »Euer Wille geschehe, Erhabener.« Mit seinem Sohn an seiner Seite verließ er den Raum. Er befand sich noch immer im Schockzustand aufgrund des Erscheinens des ehemaligen Sklaven, und die Konflikte in seinem Innern verwirrten ihn. Er war wirklich ein Erhabener, daran bestand kein Zweifel. Die Art seines Erscheinens bewies das. Aber Kamatsu konnte das Gefühl nicht unterdrücken, daß seine Ankunft Unheil für den Plan brachte, den er und sein Sohn im Laufe der letzten neun Jahre so sorgfältig verfolgt und genährt hatten.

Milamber sprach: »Mach die Tür zu, Laurie.«

Laurie schloß sie. Dann musterte er seinen früheren Freund. Er sah gesund, aber völlig verändert aus. Seine Haltung war fast königlich, als wenn der Umhang der Macht, die er jetzt besaß, eine innere Kraft widerspiegelte, die ihm früher gefehlt hatte.

»Ich…«, setzte Laurie an, verstummte dann aber und wußte nicht, was er sagen sollte. Schließlich fragte er: »Geht es dir gut?«

Milamber nickte. »Sehr gut, alter Freund.«

Laurie lächelte, durchquerte das Zimmer und umarmte seinen Freund. Dann trat er einen Schritt zurück. »Laß mich dich anschauen.«

Milamber lächelte. »Ich werde jetzt Milamber genannt, Laurie. Der Knabe, den du als Pug gekannt hast, ist so tot wie der Schnee von gestern. Komm, setz dich und laß uns miteinander reden.«

Sie ließen sich an dem Tisch nieder und schenkten sich zwei Becher mit Chocha ein. Laurie nippte an dem bitteren Gebräu und sagte: »Wir haben nichts mehr von dir gehört. Nach dem ersten Jahr habe ich dich aufgegeben. Tut mir leid.«

Milamber nickte. »So ist es die Art der Versammlung. Als Magier erwartet man von mir, daß ich all meine früheren Bindungen aufgebe, abgesehen von jenen, die m einer Weise aufrechterhalten werden können, die die Gesellschaft billigt. Da ich ohne Clan oder Familie war, hatte ich nichts zu verlieren. Und du warst immer schon ein schlechter Sklave, der seinen Platz nicht kannte.«

Laurie nickte. »Ich bin froh, daß du zurückgekommen bist. Wirst du bleiben?«

Milamber schüttelte verneinend den Kopf. »Ich habe hier keinen Platz mehr. Außerdem gibt es Arbeit für mich. Ich habe jetzt meinen eigenen Besitz m der Nähe der Stadt Ontoset. Ich bin gekommen, um dich zu holen. Und Katala, wenn…« Seine Stimme erstarb, als hätte er Angst, nach ihr zu fragen.

Laurie, der seine Verlegenheit spürte, sagte: »Sie ist noch hier, und sie hat keinen anderen Mann genommen. Sie wollte dich nicht vergessen.« Sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. »Götter von Midkemia! Das habe ich ganz vergessen. Du kannst es ja gar nicht wissen.«

»Was?«

»Du hast einen Sohn!«

Milamber saß wie vom Donner gerührt. »Einen Sohn?«

Laurie lachte. »Acht Monate nachdem du fortgeholt worden bist, wurde er geboren. Er ist ein prächtiger Junge, und Katala ist eine gute Mutter.«

Milamber war überwältigt von diesen Neuigkeiten. »Bitte, würdest du sie herholen?«

Laurie sprang auf die Füße. »Sofort.«

Er stürzte aus dem Zimmer. Milamber kämpfte gegen ein Gefühl an, das ihn zu verschlingen drohte. Er riß sich zusammen und wandte an, was er als Magier gelernt hatte, um seinen Geist zu entspannen.

Die Tür glitt auf, und Katala wurde sichtbar. Unsicherheit zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.

Laurie stand hinter ihr, einen etwa vierjährigen Knaben in den Armen.

Milamber stand auf und breitete die Arme aus. Katala lief zu ihm, und in seiner Freude hätte er fast geweint. Einen Moment umarmten sie sich schweigend und klammerten sich aneinander, dann murmelte sie: »Ich hielt dich für tot. Ich hatte gehofft… aber ich dachte, du wärest von uns gegangen.«

Noch ein paar Minuten blieben sie so stehen. Ein jeder war versunken in die Freude über die Gegenwart des anderen. Schließlich befreite sie sich aus seinen Armen. »Du mußt deinen Sohn kennenlernen, Pug.«

Laurie brachte den Jungen zu ihm. Er schaute Milamber mit großen, braunen Augen an. Er war ein hübscher Junge, der seiner Mutter ähnlicher sah als seinem Vater. Aber irgend etwas an der Art, wie er den Kopf schief hielt, erinnerte auch an den Knaben aus der Burg Crydee. Katala nahm ihn Laurie ab und schob ihn zu Milamber hinüber. »William, das ist dein Vater.«

Der Junge schien das recht skeptisch aufzunehmen. Er wagte ein schüchternes Lächeln, hielt sich aber möglichst fern. »Ich will runter«, erklärte er abrupt. Milamber lachte und stellte den Jungen auf die Füße. Er schaute seinen Vater an, verlor dann aber sofort das Interesse an diesem Fremden in Schwarz. »Ooh!« rief er und lief hinüber, um mit den Schachfiguren des Herrn der Shinzawais zu spielen.

Milamber schaute ihm einen Augenblick zu. Dann sagte er: »William?«

Katala stand neben ihm. Sie hatte den Arm um seine Taille gelegt, als hätte sie Angst, er würde wieder verschwinden. Laurie sagte: »Sie wollte einen Namen aus Midkemia für ihn, Milamber.«

Katala zuckte zusammen. »Milamber?«

»Das ist mein neuer Name, Liebling. Du mußt dich daran gewöhnen, mich so zu nennen.« Sie runzelte die Stirn, ganz und gar nicht erfreut bei dieser Vorstellung. »Milamber«, wiederholte sie und prüfte den Klang. Dann meinte sie achselzuckend: »Ein guter Name.«

»Wie bist du auf William gekommen?«

Laurie ging zu dem Jungen hinüber, der gerade versuchte, die Figuren aufeinanderzutürmen.

Vorsichtig nahm er sie ihm fort. Der Knabe warf ihm einen düsteren Blick zu. »Ich will spielen«, erklärte er empört.

Laurie hob ihn hoch und sagte: »Ich habe ihr einen ganzen Schwung von Namen gegeben, und sie hat sich diesen ausgesucht.«

»Mir gefiel der Klang«, erklärte sie. »William.«

Als der Junge seinen Namen hörte, schaute er seine Mutter an. »Ich hab’ Hunger.«

»Mir hätte ja Hans oder Peter besser gefallen, aber sie hat darauf bestanden«, fuhr Laurie fort, während der Junge versuchte, sich aus seinen Armen zu lösen.

Katala nahm ihm Laurie ab. »Ich muß ihn füttern. Ich werde ihn in die Küche bringen und dann zurückkommen.« Sie küßte Milamber und verließ das Zimmer.

Der Magier blieb einen Augenblick schweigend stehen. »Das ist alles mehr, als ich je zu hoffen gewagt hatte. Ich hatte schon Angst, sie hätte einen anderen gefunden.«

»Nicht sie, P… – Milamber. Sie wollte mit keinem anderen Mann etwas zu tun haben, der ihr den Hof machte, und das waren nicht wenige. Sie ist eine gute Frau. Du brauchst nie an ihr zu zweifeln.«

»Das werde ich auch nicht, Laurie.«

Sie setzten sich. Ein diskretes Hüsteln an der Tür ließ sie sich umwenden. Kamatsu stand dort.

»Darf ich eintreten?«

Milamber und Laurie wollten schon aufstehen, aber der Herr des Hauses bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, sitzen zu bleiben. »Bitte, behaltet doch Platz.« Hinter seinem Vater trat nun auch Kasumi ein und schloß die Tür. Zum erstenmal fiel Milamber jetzt auf, daß der Sohn des Hauses Kleider nach Art Midkemias trug. Er zog die Braue hoch, sagte aber nichts.

Der Herr der Shinzawai-Familie sah zutiefst besorgt aus und versuchte, seine Gedanken zu sammeln. Nach ein paar Minuten sagte er: »Erhabener, darf ich ganz offen mit Euch sein? Euer Kommen heute ist etwas für uns Unerwartetes und könnte die Quelle möglicher Schwierigkeiten werden.«

»Bitte«, forderte Milamber ihn auf. »Ich möchte keinen Aufruhr in Eurem Haushalt verursachen, Herr. Ich möchte nur meine Frau und meinen Sohn holen. Und diesen Sklaven hier verlange ich ebenfalls.« Er wies auf Laurie.

»Euer Wille geschehe, Erhabener. Die Frau und der Knabe sollten natürlich mit Euch gehen.

Aber wenn ich Euch darum bitten darf, erlaubt diesem Sklaven, hierzubleiben.«

Milamber sah von einem zum ändern. Die beiden Shinzawai verloren zwar nicht die Beherrschung, aber die Art, wie sie einander und dann Laurie anschauten, verriet ihre Unruhe. In den letzten fünf Jahren hatte sich hier etwas geändert. Das Verhältnis zwischen den Männern m diesem Raum war nicht so, wie es zwischen Herren und Sklaven sein sollte.

»Laurie? Was hat das zu bedeuten?« erkundigte sich Milamber.

Laurie schaute erst die beiden anderen Männer, dann Milamber an. »Ich muß dich um ein Versprechen bitten.«

Kamatsus Entsetzen wurde deutlich, als er scharf Luft holte. »Laurie! Du wagst zu viel. Mit einem Erhabenen handelt man nicht. Sein Wort ist Gesetz.«

Milamber hielt eine Hand empor. »Nein. Laßt ihn reden.«

In beschwörendem Ton sagte Laurie zu seinem Freund: »Ich verstehe nicht viel von diesen Dingen, Milamber. Du weißt, daß ich nie viel vom Protokoll gehalten habe. Ich verletze vielleicht eine Sitte, aber ich bitte dich um unserer früheren Freundschaft willen, das, was du in diesem Raum hörst, für dich zu behalten.«

Der Magier dachte über die Bitte nach. Er konnte dem Herrn der Shinzawai befehlen, ihm alles zu erzählen, und der Mann würde es tun. Er würde so automatisch gehorchen wie ein Soldat einem Befehl. Aber seine Freundschaft mit dem Troubadour war ihm wichtig. »Ich gebe dir mein Wort, daß ich nicht wiederholen werde, was du mir erzählst.«

Laurie seufzte und lächelte, und die Shinzawai schienen ein wenig von ihrer Spannung zu verlieren. Laurie erzählte: »Ich habe mit meinem Herrn hier einen Handel abgeschlossen. Wenn wir gewisse Aufgaben abgeschlossen haben, gibt er mir meine Freiheit zurück.«

Milamber schüttelte den Kopf. »Das ist unmöglich. Das Gesetz erlaubt nicht, einen Sklaven freizusetzen. Nicht einmal der Kriegsherr kann einen Sklaven befreien.«

Laurie lächelte. »Und du selbst?«

Milamber schaute ihn ernst an. »Ich stehe außerhalb des Gesetzes. Niemand kann mich befehligen. Verlangst du also, ein Magier zu werden?«

»Nein, Milamber, nichts Derartiges. Es stimmt, daß ich hier nur ein Sklave sein kann. Aber ich werde nicht hier bleiben. Ich werde nach Midkemia zurückkehren.«

Milamber sah ihn erstaunt an. »Wie ist das möglich? Es gibt nur einen Spalt nach Midkemia, und der wird von den Lieblingsmagiern des Kriegsherrn bewacht. Es gibt keine anderen, sonst wüßte ich davon.«

»Wir haben einen Plan. Er ist kompliziert, aber einfach ausgedrückt ist es so: Ich werde Kasumi begleiten, verkleidet als Priester von Turakamu dem Roten. Er wird Soldaten anführen, die die Truppen an der Front ablösen sollen. Wahrscheinlich wird meine Größe niemandem auffallen, denn die Priester der Roten sind alle recht groß. Außerdem sind die Truppen den Shinzawai alle treu ergeben. Wenn wir erst einmal in Midkemia sind, werden wir durch die Reihen schlüpfen und unseren Weg zu den Truppen des Königreichs suchen.«

Milamber nickte. »Jetzt verstehe ich den Sprachunterricht und die Kleider. Aber sag, Laurie, bist du wirklich bereit, als Spion für die Tsuranis zu arbeiten, damit sie dir deine Freiheit wiedergeben?«

Aus seiner Stimme sprach keine Mißbilligung. Es war eine einfache Frage.

Laurie errötete. »Ich gehe nicht als Spion, sondern als Führer. Ich soll Kasumi nach Rillanon führen, wo er um eine Audienz beim König ersuchen will.«

»Warum?« Milamber war sichtlich erstaunt.

Kasumi unterbrach sie. »Ich will den König treffen und ihm ein Friedensangebot unterbreiten.«

»Aber wie könnt ihr erwarten, den Krieg zu beenden, solange die Kriegspartei noch immer den Hohen Rat beherrscht?«

»Es gibt da etwas, was zu unseren Gunsten spricht«, entgegnete Kamatsu. »Dieser Krieg hat jetzt neun Jahre lang gedauert, und ein Ende ist nirgendwo in Sicht. Erhabener, darf ich Euch vielleicht ein paar Dinge erklären?«

Milamber nickte als Zeichen, daß er fortfahren sollte.

Kamatsu nippte an seinem Getränk und erzählte: »Seit dem Ende des Krieges mit der Thuril-Konföderation hat die Kriegspartei es schwer, die Dominanz über den Hohen Rat zu behalten. Jeder Grenzkonflikt mit Thuril ließ Rufe nach einer Erneuerung ertönen. Zwischen den Kämpfen entlang der Grenzen und dem beständigen Versuchen der Thun, sich einen Weg in den Norden zu bahnen und ihre früheren, südlichen Gebiete zurück zuerlangen, ist die Kriegspartei kaum in der Lage gewesen, ihre Majorität zu erhalten. Eine Koalition, angeführt von der Partei der Blauen Räder, hätte sie vor zehn Jahren fast verdrängt. Doch dann entdeckte die Versammlung den Spalt in Euer ehemaliges Heimatland. Der Ruf nach Krieg ertönte im Rat, sobald bekannt wurde, wie reich Euer Heimatland an Metallen ist. Alle Fortschritte, die wir im Laufe der Jahre gemacht hatten, waren innerhalb eines Augenblicks dahin.

Wir fingen also unverzüglich an, diesem Irrsinn entgegen zu arbeiten. Das Metall, das in Eurer früheren Welt gefördert wird – so hat Laurie uns erzählt –, befindet sich in verlassenen Minen. Die Wesen, die ihr Zwerge nennt, halten sie nicht für wert, dort zu arbeiten. Aber für Tsuranuanni ist es eine Entschuldigung, um das Kriegsbanner zu erheben und Blut zu vergießen.

Ihr kennt unsere Geschichte. Ihr wißt, wie schwer es uns fällt, unsere Streitigkeiten auf friedliche Art beizulegen. Ich war Soldat und kenne die Herrlichkeit des Krieges – aber auch die Nachteile, die Verschwendung. Laurie hat mich überzeugt, daß meine Vermutung bezüglich der Einwohner des Königreichs richtig war. Ihr seid kein sehr kriegerisches Volk, trotz Eurer Adligen und ihrer Armeen. Ihr wäret zum Handel bereit gewesen.«

Milamber unterbrach ihn. »Das ist ja alles schön und wahr. Aber ich bin mir nicht sicher, daß es irgend etwas damit zu tun hat, wie die Dinge jetzt stehen. Mein früheres Heimatland hat fast fünfzig Jahre lang keinen größeren Krieg ausgefochten, abgesehen von kleinen Gemetzeln mit den Trollen im Norden und entlang der Grenzen nach Kesh. Aber jetzt dröhnen die Kriegstrommeln durch den Westen. Die Armeen des Königreichs sind ausgeblutet. Die Nation ist ohne Grund angefallen worden. Ich glaube nicht, daß sie bereit wären, einfach aufzuhören und zu vergeben. Es würden Forderungen nach Vergütung oder zumindest Entschädigung gestellt werden. Wäre der Hohe Rat denn bereit, die Ehre der Tsuranis bloßzustellen und gleichzeitig auch noch Entschädigung zu leisten für das, was durch die Hände ihrer Soldaten geschehen ist?«

Der Herr der Shinzawai sah ihn besorgt an. »Ich bin sicher, daß der Hohe Rat nicht dazu bereit sein würde. Aber der Kaiser.«

»Der Kaiser?« Milamber war überrascht.

»Ichindar, möge der Himmel ihn segnen, fühlt, daß dieser Krieg das Kaiserreich ausblutet. Als er gegen die Thuril in den Krieg zog, haben wir dabei gelernt, daß einige Grenzen einfach zu lang und zu weit entfernt vom Kaiserreich sind, um noch unter Kontrolle zu sein – wenn die Kosten nicht weit größer werden sollen, als der Sieg es wert ist. Das Licht des Himmels hat nun eingesehen, daß es nirgends eine Grenze gibt, die länger oder weiter entfernt ist als die nach Midkemia. Deshalb greift er in das Spiel des Rates ein. Vielleicht handelt es sich dabei um das größte Spiel, das jemals in der Geschichte von Tsuranuanni gespielt worden ist. Das Licht des Himmels ist bereit, dem Kriegsherrn den Frieden zu befehlen und ihn nötigenfalls von seinem Amt abzuziehen. Aber er will das Risiko eines so großen Bruches mit den Traditionen nicht auf sich nehmen, wenn er keine Garantie dafür hat, daß König Rodric zu Verhandlungen bereit ist. Er muß vor dem Hohen Rat erscheinen, und der Frieden muß bereits beschlossene Sache sein. Andernfalls riskiert er zu viel.

Nur ein einziges Mal in der Geschichte des Kaiserreichs ist es zum Königsmord gekommen, Erhabener. Der Hohe Rat jubelte dem Mörder zu und ernannte ihn zum Kaiser. Er war der Sohn des Mannes, den er umgebracht hatte. Sein Vater hatte versucht, neue Steuern zu erheben. Es war das letzte Mal, daß ein Kaiser am Spiel des Rates teilgenommen hat. Wir können ein hartes Volk sein, Erhabener, selbst mit uns selbst. Niemals hat ein Kaiser versucht, was Ichindar nun versuchen will, was andere, sehr viele andere sogar, als undenkbaren Akt ansehen werden, denn in ihren Augen bedeutet es, die Ehre des Kaiserreiches abzulegen.

Aber wenn er dem Rat den Frieden bringen kann, dann wird deutlich werden, daß die Götter ein solches Unternehmen segnen, und niemand wird es wagen, ihn anzuklagen.«

»Ihr riskiert viel, Herr der Shinzawai.«

»Ich liebe mein Volk und mein Kaiserreich, Erhabener. Ich würde bereitwillig im Krieg dafür sterben. Als ich noch jünger war, habe ich während der Feldzüge gegen die Thurils oft alles riskiert.

Ich würde mein Leben, meine Söhne, die Ehre meines Hauses, meiner Familie, meines Clans ebenso hergeben, um das Kaiserreich zu retten. Genau wie der Kaiser. Wir sind ein geduldiges Volk. Dieser Plan steckt seit Jahren in der Vorbereitung. Die Partei der Blauen Räder ist seit langem mit der Friedenspartei verbunden, wenngleich auch heimlich. Im dritten Jahr des Krieges haben wir uns zurückgezogen, um den Kriegsherrn in Verlegenheit zu bringen. Gleichzeitig haben wir so schon die Vorarbeit geleistet, damit Kasumi auf die kommende Reise vorbereitet werden konnte.

Mehr als ein Jahr haben wir damit verbracht, zu verschiedenen Herren innerhalb der Parteien der Blauen Räder und des Friedens zu reisen. Wir haben uns ihrer Mitarbeit versichert und haben dafür gesorgt, daß jedes Mitglied im Spiel des Rates seine Rolle spielen würde. Das geschah alles, noch ehe Ihr und Laurie als unsere Lehrer hierhergeholt worden seid.

Wir sind Tsuranis, und das Licht des Himmels würde keine Übergabe zulassen, ehe wir nicht einen bereitwilligen Führer und Boten gefunden haben. Wir haben Kasumi dazu auserwählt und versuchen, ihm die größtmögliche Chance zu geben, Euren ehemaligen König sicher zu erreichen.

Wir müssen es so machen, denn wenn irgend jemand außerhalb der Verschwörung von dem Versuch erfährt und er fehlschlägt, dann würden viele Köpfe, darunter auch mein eigener, rollen, und der Preis wäre ein verlorenes Spiel. Wenn Ihr Laurie nun fortholt, hat Kasumi kaum eine Chance, Euren früheren König zu erreichen, und der Versuch, Frieden zu schaffen, müßte verschoben werden, bis wir einen neuen vertrauenswürdigen Führer finden. Diese Verzögerung würde uns mindestens ein oder zwei Jahre kosten. Die Situation ist kritisch. Wieder ist die Partei der Blauen Räder Mitglied in der Kriegsallianz, nachdem sie sich jahrelang der Kriegspartei ferngehalten hat, und Tausende von Männern werden entsandt, um zu kämpfen. All das geschieht, damit Kasumi durch die Reihen der königlichen Armeen in Euer früheres Heimatland schlüpfen kann. Die Zeit ist bald reif. Ihr müßt bedenken, was auch nur ein einziges weiteres Kriegsjahr bedeuten würde. Wenn Euer früheres Heimatland erst erobert worden ist, können wir dem Kriegsherrn vielleicht überhaupt nichts mehr anhaben.«

Milamber überlegte. Dann wandte er sich an Kasumi: »Wann?«

»Bald, Erhabener, in ein paar Wochen. Der Kriegsherr hat überall seine Spione, und er hat Hinweise auf unsere Pläne bekommen. Er traut dem plötzlichen Wechsel der Partei der Blauen Räder nicht, aber er kann die Hilfe nicht ablehnen. Er hat das Gefühl, einen großen Sieg erringen zu müssen. Er plant die Großoffensive im Frühling gegen die Streitkräfte von Lord Borric und Lord Brucal. Sie soll direkt vor dem kaiserlichen Fest stattfinden, so daß er den Sieg zu seinem eigenen persönlichen Ruhm bei den kaiserlichen Spielen verkünden kann.«

Kamatsu sagte: »Es ist fast so wie beim Schachspiel, Erhabener. Ein überraschender großer Sieg wird dem Kriegsherrn alles verschaffen, was er benötigt, um die Herrschaft über den Hohen Rat zu übernehmen. Aber wir riskieren das, um unseren letzten Zug ausführen zu können. An der Front wird durch die Vorbereitungen auf die Offensive Verwirrung herrschen. So haben Kasumi und Laurie Gelegenheit, durch die Reihen zu schlüpfen. Sollte König Rodric zustimmen, kann das Licht des Himmels im Hohen Rat erscheinen und den Frieden verkünden, und alles, worauf sich die Macht und der Einfluß des Kriegsherrn stützt, wird zusammenbrechen. Um es wie beim Schachspielen auszudrücken: Wir opfern unsere letzte Figur dem Gegner, damit unser Kaiser einen Kriegsherrn schachmatt setzten kann.«

Milamber dachte eine Weile nach. »Ich denke, da habt Ihr einen kühnen Plan in Angriff genommen, Herr der Shinzawai. Ich werde mein Versprechen halten und nichts sagen. – Laurie möge weiterhin hierbleiben.« Er sah seinen Freund an. »Mögen die Götter unserer Vorfahren dich schützen und dir Erfolg schenken. Ich bete darum, daß dieser Krieg bald ein Ende findet.« Er stand auf. »Wenn Ihr nichts dagegen habt, möchte ich mich jetzt verabschieden. Ich möchte meine Frau und mein Kind jetzt gern heimbringen.«

Kasumi erhob und verbeugte sich. »Eines möchte ich gern noch sagen, Erhabener.«

Milamber bedeutete ihm zu sprechen. »Vor Jahren, als Ihr darum gebeten habt, daß ich Euch Katala zur Frau gebe, erklärte ich Euch, daß diese Bitte abgeschlagen werden würde. Ich sagte Euch aber auch, daß es dafür einen Grund gäbe. Es war unsere Absicht, Euch ebenfalls in Eure Heimat zu entlassen. Ich hoffe, Ihr versteht das nun. Wir sind ein hartes Volk, Erhabener, aber kein grausames.«

»Das war offensichtlich, sobald der Plan enthüllt wurde.« Er schaute Laurie an. »Jetzt, wo ich ein Erhabener bin, ist das hier meine Heimat. Aber ein Teil in meinem Innern ist noch immer unverändert, und aus diesem Grund beneide ich dich darum, daß du heimkehren kannst. Ich werde dich nie vergessen, alter Freund.«

Mit diesen Worten verließ Milamber den Raum. Vor dem großen Haus fand er Katala im Garten warten. Sie sah ihrem Sohn beim Spiel zu. Sie kam zu ihm. Sie umarmten sich und schwelgten in der süßen Wiedervereinigung. Nach einer langen Weile sagte er: »Komm, Geliebte, laß uns unseren Sohn in unser Heim bringen.«