Landsitz

In den letzten drei Wochen war es kälter geworden.

Doch noch immer deutete alles auf die Hitze des Sommers hin. Der Winter, wenn man ihn überhaupt so nennen konnte, dauerte in diesem Land nicht länger als knappe sechs Wochen und brachte nur kurze, kalte Regen aus dem Norden. Die Bäume behielten den Großteil ihrer blaugrünen Blätter, und nichts zeigte an, daß der Herbst verstrichen war. In den vier Jahren, die Pug in Tsuranuanni gelebt hatte, konnte er keines der vertrauten Anzeichen für die verschiedenen Jahreszeiten bemerken: keine Vogelwanderungen, keinen Frost am Morgen, keinen Regen, der gefror, keinen Schnee, auch nicht das Knospen wilder Blumen. Dieses Land schien sich immer im ewigen Sommer zu befinden.

Die Shinzawai-Karawane näherte sich den Grenzen des Familienbesitzes im Norden. Pug und Laurie hatten unterwegs nur wenig zu tun gehabt. Nur ab und zu erhielten sie kleine Aufgaben: Sie mußten die Kochtöpfe reinigen, den Kot der Needras fortschaffen und Vorräte auf- und abladen.

Jetzt fuhren sie hinten auf einem Wagen mit. Ihre Beine baumelten über den Rand. Laurie biß genüßlich in eine reife Jomach-Frucht. Er spuckte die Kerne aus und fragte: »Was macht deine Hand?«

Pug musterte seine Rechte und untersuchte die rote Narbe, die über die ganze Handfläche verlief.

»Immer noch steif. Ich glaube, besser wird sie nie heilen.«

Laurie warf einen Blick darauf. »Glaube kaum, daß du je wieder ein Schwert halten wirst.« Er grinste.

Pug lachte. »Du wohl auch nicht. Jedenfalls glaube ich nicht, daß sie für dich einen Platz bei der Kaiserlichen Garde finden werden.«

Laurie spuckte einen Schwall Kerne aus. Sie tanzten auf der Nase der Needra, die den Wagen hinter ihnen zog. Das sechsbeinige Tier schnaubte, während der Fahrer wütend mit seinem Stock fuchtelte. »Merke dir eines, mein lieber Freund«, erklärte Laurie in hochmütig-aristokratischem Ton, »wir Troubadoure werden oft von Männern bedrängt, die weniger vornehm sind, von Räubern und Halsabschneidern zum Beispiel, die es auf unser schwer verdientes Geld abgesehen haben – so selten die auch sein mögen. Wenn man nicht beizeiten lernt, sich selbst zu verteidigen, dann bleibt man nicht lange im Geschäft. Wenn du verstehst, was ich meine.«

Pug lächelte. Er wußte, daß ein Troubadour in jeder Stadt fast ein Heiliger war. Wurde ihm ein Leid zugefügt oder wurde er ausgeraubt, dann verbreitete sich die Kunde darüber blitzschnell, und kein anderer Troubadour suchte diese Stadt noch jemals auf. Aber unterwegs auf der Straße, da war das etwas anderes. Er zweifelte nicht an Lauries Fähigkeit, auf sich selbst achtzugeben. Dennoch wollte er nicht zulassen, daß der Sänger in diesem hochmütigen Ton mit ihm sprach. Gerade setzte er zu einer Erwiderung an, als Rufe von der Spitze des Zuges ihn schweigen ließen. Soldaten eilten vorwärts, und Laurie wandte sich an seinen kleineren Kameraden. »Was, meinst du, hat das alles zu bedeuten?«

Ohne auf eine Antwort zu warten, sprang er vom Wagen und eilte hinterher. Pug folgte ihm. Als sie die Spitze der Karawane erreichten und hinter der Sänfte des Herrn der Shinzawai standen, konnten sie Gestalten auf der Straße entdecken, die auf sie zuhielten. Laurie packte Pug am Ärmel.

»Reiter!«

Pug wagte seinen Augen nicht zu trauen. Tatsächlich schien es so, als näherten sich ihnen Reiter auf der Straße vom Herrenhaus der Shinzawai. Als sie näher kamen, konnte er erkennen, daß es sich um einen Mann zu Pferde und drei Cho-Jas handelte, die alle dunkelblau gefärbt waren.

Der Reiter, ein junger, braunhaariger Tsurani, größer als die meisten von ihnen, stieg ab. Seine Bewegung war ungelenk. Laurie bemerkte: »Die werden niemals eine militärische Bedrohung darstellen, wenn sie nicht besser reiten lernen. Sieh nur, er hat weder Sattel noch Zaumzeug. Nur ein paar Lederriemen, mit denen er das Pferd lenkt. Und das arme Tier sieht aus, als wäre es seit mindestens einem Monat nicht mehr anständig versorgt worden.«

Der Vorhang der Sänfte wurde beiseite gezogen, als der Reiter näher kam. Die Sklaven setzten das Gefährt ab, und der Herr der Shinzawai stieg aus. Hokanu war an die Seite seines Vaters getreten und umarmte jetzt zur Begrüßung den Reiter. Dann drückte der junge Mann auch den Herrn der Shinzawai an sich. Pug und Laurie konnten hören, wie er sagte: »Vater! Es ist schön, dich zu treffen!«

Der Gebieter der Shinzawai entgegnete: »Kasumi! Es ist eine Freude für mich, meinen erstgeborenen Sohn zu sehen. Wann bist du zurückgekehrt?«

»Vor weniger als einer Woche. Ich wäre nach Jamar gekommen, hörte aber, daß Ihr nach hier aufgebrochen seid. So habe ich gewartet.«

»Ich bin froh. Wer ist da bei dir?« Er deutete auf die Gestalten.

»Dies«, sagte sein Sohn und zeigte auf den Vordersten, »ist Befehlshaber X’calak. Er ist soeben vom Kampf gegen die Kurzen unter den Bergen von Midkemia zurückgekehrt.«

Das Wesen trat vor und hob die rechte Hand – eine sehr menschliche Geste – zum Salut. Dann erklärte er mit hoher, piepsiger Stimme: »Heil, Kamatsu, Gebieter der Shinzawai. Ehre sei mit deinem Hause.«

Der Herr der Shinzawai verbeugte sich leicht aus der Hüfte heraus. »Seid gegrüßt, X’calak. Ehre deinem Schwärm. Die Cho-jas sind uns immer willkommene Gäste.«

Das Wesen trat zurück und wartete. Der Herr wandte sich um und starrte das Pferd an. »Was ist das, worauf du sitzt, mein Sohn?«

»Ein Pferd, Vater. Eine Kreatur, auf der die Barbaren in die Schlacht reiten. Ich habe dir schon früher davon erzählt. Es ist wahrhaftig ein wunderbares Wesen. Auf seinem Rücken kann ich schneller laufen als der schnellste Cho-ja-Läufer.«

»Wie bleibst du oben?«

Der ältere Sohn lachte. »Nur mit großen Schwierigkeiten, leider. Die Barbaren haben da Tricks, die ich erst noch lernen muß.«

Hokanu lächelte. »Vielleicht können wir für Unterricht sorgen.«

Kasumi schlug ihm spielerisch auf den Rücken. »Ich habe mehrere Barbaren gefragt. Aber dummerweise waren sie alle tot.«

»Ich habe hier zwei, die es nicht sind.«

Kasumi schaute an seinem Bruder vorbei und entdeckte Laurie, der einen ganzen Kopf größer war als alle anderen Sklaven, die sich hier versammelt hatten. »Das sehe ich. Nun, wir werden ihn fragen. Vater, mit deiner Erlaubnis werde ich jetzt zum Haus zurückreiten und alles für dein Kommen vorbereiten lassen.«

Kamatsu umarmte seinen Sohn und willigte ein. Der ältere Sohn stieg wieder auf und ritt mit kurzem Winken davon.

Hastig kehrten Pug und Laurie wieder auf ihre Plätze auf dem Wagen zurück. Laurie erkundigte sich: »Hast du schon mal solche Wesen gesehen?«

Pug nickte. »Ja. Die Tsuranis nennen sie Cho-jas. Sie leben wie die Ameisen in großen Haufen.

Die Tsurani-Sklaven, mit denen ich im Lager gesprochen habe, haben mir erzählt, daß sie existieren, seit sie zurückdenken können. Sie sind dem Kaiserreich treu ergeben, aber ich meine mich erinnern zu können, daß irgend jemand mir erklärt hat, daß jeder Schwärm seine eigene Königin hat.«

Laurie spähte nach vorne am Wagen vorbei. Er mußte sich dazu mit einer Hand festhalten. »Ich möchte keinem zu Fuß begegnen. Schau nur, wie die rennen.«

Pug sagte nichts. Die Bemerkung des ältesten Sohnes des Shinzawai, der die Kurzen unter den Bergen erwähnte, hatte alte Erinnerungen in ihm wachgerufen. Wenn Tomas noch lebt, dann ist er jetzt ein Mann. Wenn er noch lebt.

Das Herrenhaus der Shinzawai war riesig. Es war das größte einzelne Gebäude – mit Ausnahme von Tempeln und Palästen –, das Pug je gesehen hatte. Es stand oben auf einem Hügel, und von dort aus hatte man einen meilenweiten Überblick über die Landschaft, die es umgab. Das Haus war eckig wie das in Jamar, aber es war einige Male so groß. Das Stadthaus hätte leicht im zentralen Garten dieses Gebäudes Platz gefunden. Dahinter lagen die Nebengebäude, das Kochhaus und die Sklavenunterkünfte.

Pug verrenkte sich den Hals, um den Garten sehen zu können, denn sie gingen hastig hindurch, und er hatte nur wenig Zeit, um alles in sich aufzunehmen. Der Hadonra Septiem schalt ihn.

»Trödle nicht.«

Pug beschleunigte seinen Schritt und holte Laurie ein. Aber selbst auf den ersten, kurzen Blick war der Garten eindrucksvoll. Mehrere Schattenbäume waren neben drei Tümpeln gepflanzt worden, welche wiederum inmitten von Miniaturbäumen und blühenden Pflanzen lagen. Es gab Steinbänke, auf denen man ausruhen konnte, und überall führten Kieswege entlang. Um diesen winzigen Park herum erhob sich das Gebäude. Es war drei Stockwerke hoch. Die beiden oberen hatten Balkone, und mehrere Treppen führten hinauf, die sie miteinander verbanden. Man konnte Bedienstete sehen, die auf den oberen Ebenen entlangeilten. Doch im Garten schien außer ihnen niemand zu sein, zumindest nicht in dem Teil, durch den sie gekommen waren.

Sie erreichten eine Schiebetür, und Septiem wandte sich zu ihnen um. Streng erklärte er: »Ihr beiden Barbaren werdet euch vor den Herren dieses Hauses benehmen. Oder, bei den Göttern, ich werde jeden einzelnen Zentimeter Haut von euren Rücken kratzen. Jetzt seht zu, daß ihr alles tut, was ich euch gesagt habe, oder ihr werdet euch noch wünschen, daß Meister Hokanu euch in den Sümpfen zurückgelassen hätte, um dort zu verfaulen.«

Er schob die Tür zurück und kündigte die Sklaven an. Sie erhielten den Befehl, einzutreten, und Septiem drängte sie hinein. Sie befanden sich in einem hell erleuchteten Raum. Das Licht fiel durch die große, durchsichtige Tür. An den Wänden hingen Wandteppiche, Gemälde und Schnitzereien, alles sehr fein gearbeitet, kunstvoll und zart. Gemäß der Sitte bei den Tsuranis, war der Boden mit einer dicken Lage aus Pelzen und Kissen bedeckt. Auf einem großen Polster thronte Kamatsu, der Herr der Shinzawai. Ihm gegenüber saßen seine beiden Söhne. Alle trugen die kurzen Roben aus kostbarem Stoff, die sie immer anhatten, wenn sie nicht arbeiteten. Pug und Laurie blieben mit gesenkten Augen stehen, bis man sich an sie wandte.

Hokanu sprach als erster. »Der blonde Riese wird Loh-‘re gerufen, und der normalgroße heißt Puug.«

Laurie öffnete schon den Mund, aber Pug brachte ihn mit einem kurzen Stoß in die Rippen schnell zum Schweigen.

Dem älteren Sohn entging dies jedoch nicht, und er fragte: »Wolltest du etwas sagen?«

Laurie blickte auf, schlug dann jedoch schnell wieder die Augen nieder. Die Anweisungen waren klar gewesen: nicht reden, ehe es befohlen wurde. Laurie war sich nicht sicher, ob die Frage ein Befehl war.

Der Herr des Hauses forderte ihn auf: »Sprich.«

Laurie schaute auf Kasumi. »Ich bin Laurie, Herr, nicht Lori. Und mein Freund heißt Pug, nicht Puug.«

Hokanu sah aus, als wäre er beleidigt, weil man ihn verbessert hatte. Der ältere Bruder aber nickte und wiederholte die Namen so lange, bis er sie korrekt aussprach. Dann sagte er: »Seid ihr schon einmal auf Pferden geritten?«

Beide Sklaven nickten. Kasumi fuhr fort: »Gut. Dann könnt ihr mir zeigen, wie man es am besten macht.«

Pugs Blick schweifte umher, so gut es ihm mit gesenktem Kopf gelang. Aber etwas stach ihm ins Auge. Gleich neben dem Herrn der Shinzawai stand ein Spielbrett, und darauf waren Figuren, die ihm bekannt vorkamen. Kamatsu bemerkte seinen Blick. »Du kennst dieses Spiel?« Er griff danach und zog das Brett vor, bis es zwischen ihnen lag.

»Ja, Herr, ich kenne das Spiel. Wir nennen es Schach.«

Hokanu schaute seinen Bruder an, der sich vorbeugte. »Wie es schon viele behauptet haben, Vater: Es muß schon früher Kontakt mit den Barbaren gegeben haben.«

Sein Vater winkte ab. »Das ist eine Theorie.« Zu Pug gewandt sagte er: »Setz dich und zeige mir, wie die Figuren ziehen.«

Pug setzte sich und versuchte sich zu erinnern, was Kulgan ihm beigebracht hatte. Er war bei diesem Spiel kein guter Schüler gewesen, aber er kannte ein paar einfache Eröffnungen. Er zog einen Bauern vor und erklärte: »Diese Figur darf nur ein Feld vorrücken, außer beim ersten Zug, Herr. Da darf sie zwei Felder vorgehen.« Der Herr des Hauses nickte und bedeutete ihm, fortzufahren. »Dies hier ist ein Springer. Er bewegt sich so.«

Nachdem Pug die Züge der verschiedenen Figuren demonstriert hatte, sagte der Herr der Shinzawai: »Wir nennen dieses Spiel échec. Auch die Figuren haben andere Namen, aber es ist dasselbe. Komm, laß es uns spielen.«

Kamatsu reichte Pug die weißen Figuren. Er eröffnete mit einem konventionellen Zug des Bauern, und Kamatsu konterte. Pug spielte schlecht und war bald geschlagen. Die anderen sahen dem Spiel zu, ohne einen Ton von sich zu geben. Als es vorbei war, sagte der Herr: »Giltst du bei deinen Leuten als guter Spieler?«

»Nein, Herr. Ich spiele schlecht.«

Der alte Herr lächelte. Falten zeigten sich in seinen Augenwinkeln. »Dann ist dein Volk wohl doch nicht so barbarisch, wie wir allgemein annehmen. Wir werden bald wieder miteinander spielen.«

Er nickte seinem älteren Sohn zu, und Kasumi erhob sich. Er verneigte sich vor seinem Vater und befahl Pug und Laurie: »Kommt.«

Sie verbeugten sich vor dem Gebieter und folgten Kasumi aus dem Zimmer. Er führte sie durchs Haus zu einem kleineren Gemach mit Kissen und Schlafplätzen. »Ihr werdet hier schlafen. Mein Zimmer ist nebenan. Ich möchte euch jederzeit in meiner Nähe haben.«

Laurie meldete sich kühn zu Wort. »Was wünscht der Herr von uns?«

Kasumi betrachtete ihn einen Augenblick lang. »Ihr Barbaren werdet niemals gute Sklaven abgeben. Ihr Vergeßt zu oft, wo euer Platz ist.«

Laurie stammelte eine Entschuldigung, wurde aber unterbrochen. »Es ist nicht wichtig. Ihr sollt mir einiges beibringen, Laurie. Ihr werdet mir zeigen, wie man reitet, und ihr werdet mich auch eure Sprache lehren. Alle beide. Ich möchte lernen, was diese« – er machte eine kurze Pause und stieß dann ein paar nasale Laute aus – »Töne zu bedeuten haben, wenn ihr miteinander sprecht.«

Ihre weitere Unterhaltung wurde durch ein Klingeln unterbrochen, das durch das ganze Haus hallte. Kasumi erklärte: »Ein Erhabener kommt. Bleibt in eurem Zimmer. Ich muß ihn mit meinem Vater willkommen heißen.« Er eilte davon. Die beiden Midkemianer blieben in ihrem neuen Quartier sitzen und fragten sich, was diese Wendung in ihrem Leben mit sich bringen würde.

In den folgenden beiden Tagen erhaschten Pug und Laurie zweimal einen kurzen Blick auf den wichtigen Besucher der Shinzawais. Er sah fast so aus wie der Gebieter der Shinzawais. Er war etwas dünner, und er trug die schwarze Robe eines Erhabenen der Tsuranis. Pug stellte den Bediensteten im Haus ein paar Fragen und erfuhr auch einiges. Noch nie hatten Pug und Laurie etwas gesehen, das sich mit der Ehrfurcht der Tsuranis vor ihren Erhabenen vergleichen ließ. Sie schienen eine Macht für sich zu sein. Pug wußte nur wenig von der Gesellschaftsordnung der Tsuranis, aber gerade deshalb begriff er nicht, wie sie sich in dieses Schema fügten. Zuerst hatte er gedacht, daß sie von der Gesellschaft ausgestoßen wären, denn das einzige, was man ihm je erzählt hatte, war, daß sie »außerhalb des Gesetzes« standen. Doch dann erklärte ihm ein Tsurani-Sklave, der einfach nicht glauben konnte, daß jemand so unwissend war, wenn es um so wichtige Dinge ging, daß die Erhabenen keinerlei gesellschaftliche Verpflichtungen hatten. Es war ihr Lohn für einen unbekannten Dienst, den sie dem Kaiserreich erwiesen hatten.

Inzwischen hatte Pug etwas entdeckt, was sein Gefühl, ein Gefangener zu sein, beträchtlich milderte. Hinter den Needra-Pferchen hatte er einen Zwinger mit japsenden, schwanzwedelnden Hunden gefunden. Sie waren die einzigen Tiere in Kelewan, die wirklich aussahen, als wären sie aus Midkemia, und bei ihrem Anblick durchströmte ihn eine unerklärliche Freude. Er war in ihr Zimmer zurückgestürzt und hatte Laurie geholt, damit er sie auch sehen konnte. Und jetzt hockten sie inmitten einer Gruppe spielender Welpen.

Laurie lachte über ihr wildes, ungestümes Spiel. Sie waren ganz anders als die Jagdhunde des Herzogs. Sie hatten längere Beine und waren magerer. Ihre Ohren waren spitz, und bei jedem Ton drehten sie sie lauschend hin und her.

»Ich habe schon einmal solche Hunde gesehen, in Gulbi. Das ist eine Stadt an der Großen Handelsstraße des Nordens in Kesh.

Man nennt sie Greyhounds, und sie werden gezüchtet, um die schnellen Katzen und Antilopen des Graslands in der Nähe des Tals der Sonne zu jagen.«

Der Zwingermeister, ein dünner Sklave mit halb geschlossenen Augen, Rachmad, kam herbei und musterte sie mißtrauisch. »Was tut ihr hier?«

Laurie schaute den Mann an und zupfte spielerisch an der Schnauze eines jungen Hundes. »Wir haben keine Hunde mehr gesehen, seit wir unsere Heimat verlassen haben, Rachmad. Unser Herr ist mit dem Erhabenen beschäftigt, und da dachten wir, wir könnten einmal deinen feinen Zwinger besuchen.«

Als er sagte ›feinen Zwinger‹, erhellte sich das düstere Gesicht des Sklaven beträchtlich. »Ich bemühe mich, die Hunde gesund zu halten. Wir müssen sie einsperren, weil sie immer versuchen, die Cho-jas zu jagen, die sie überhaupt nicht mögen.« Einen Augenblick lang dachte Pug, sie kämen vielleicht genauso aus Midkemia wie auch das Pferd. Doch als er fragte, woher sie stammten, sah Rachmad ihn an, als wäre er verrückt. »Du redest, als hättest du zu lange in der Sonne gesessen. Es hat hier schon immer Hunde gegeben.« Nach dieser abschließenden Bemerkung zu diesem Thema betrachtete er die Unterhaltung als beendet und ging.

 

Spät am Abend erwachte Pug davon, daß Laurie ins Zimmer kam. »Wo bist du gewesen?«

»Pst! Willst du das ganze Haus aufwecken? Schlaf weiter.« »Wo bist du gewesen?« fragte Pug in gedämpfterem Ton.

Im schwachen Licht konnte er sehen, wie Laurie grinste. »Ich habe einem gewissen Küchenmädel einen Besuch abgestattet, um mit ihr zu… plaudern.«

»Oh. Almorella?«

»Richtig«, kam die fröhliche Antwort. »Das ist vielleicht ein Mädchen!« Die junge Sklavin, die in der Küche arbeitete, hatte Laurie schöne Augen gemacht, seit die Karawane vor vier Tagen eingetroffen war.

Nach einem Augenblick des Schweigens sagte Laurie: »Du solltest dir selbst auch ein paar Freunde suchen. Das gibt allem gleich ein anderes Aussehen.«

»Darum möchte ich wetten«, erwiderte Pug. In seinen mißbilligenden Ton mischte sich eine ganze Menge Neid. Almorella war ein hübsches und fröhliches Mädchen, etwa so alt wie Pug, mit lustigen, dunklen Augen.

»Da ist doch diese kleine Katala. Sie hat ein Auge auf dich geworfen, glaube ich.«

Mit brennenden Wangen warf Pug ein Kissen nach seinem Freund. »Ach, halt den Mund und schlaf.«

Laurie unterdrückte ein Lachen. Er legte sich hin und überließ Pug allein seinen Gedanken.

Der Wind roch schwach nach Regen. Pug freute sich über die Kühle, die er mit sich brachte.

Laurie saß rittlings auf Kasumis Pferd, während der junge Offizier danebenstand und zuschaute.

Laurie hatte Tsurani-Arbeitern gezeigt, wie man Sattel und Zaumzeug anfertigt, und jetzt demonstrierte er deren Gebrauch.

»Dieses Pferd ist für die Schlacht ausgebildet«, rief Laurie. »Es kann mit den Zügeln geführt werden« – er demonstrierte es, indem er diese erst auf die eine, dann auf die andere Seite des Pferdenackens legte – »oder mit Schenkeldruck.« Er hob die Hände und zeigte dem älteren Sohn des Hauses, wie man das machte.

Seit drei Wochen unterwiesen sie den jungen Adligen im Reiten, und er hatte ein angeborenes Talent dafür gezeigt. Laurie sprang vom Pferd, und Kasumi nahm seinen Platz ein. Zuerst ritt der Tsurani schlecht, plump, denn der Sattel war ihm unangenehm. Aber schon bald gewöhnte er sich daran, paßte seine Bewegungen denen des Pferdes an und galoppierte gleich darauf über die Felder.

Laurie zupfte einen langen Grashalm vom Boden und steckte ihn sich zwischen die Zähne. Dann hockte er sich nieder und kratzte das Ohr einer Hündin, die zu seinen Füßen lag. Einmal wollte er den Hund davon ablenken, hinter dem Pferd herzurennen, zum anderen wollte er auch mit dem Tier spielen. Es rollte sich auf den Rücken und biß ihn spielerisch m die Hand.

Laurie wandte seine Aufmerksamkeit Pug zu. »Ich frage mich, was unser junger Freund für ein Spielchen mit uns treibt?«

Achselzuckend erwiderte Pug: »Wie meinst du das?«

»Weißt du noch, als wir hier ankamen? Ich habe gehört, daß Kasumi mit seinen Cho-ja-Kameraden ausziehen sollte. Nun, die drei Cho-jas sind heute morgen abgereist – deshalb ist Bethel ja auch nicht im Zwinger –, und ich habe gehört, daß die Befehle für den älteren Sohn der Shinzawai sich plötzlich geändert hätten. Wenn man jetzt noch den Unterricht im Reiten und in unserer Sprache bedenkt… was hat man dann?«

Pug streckte sich. »Weiß nicht.«

»Ich auch nicht.« Laurie schien enttäuscht zu sein. »Aber auf jeden Fall ist das alles sehr wichtig.« Er schaute über die Ebene hinweg und meinte: »Ich habe nie etwas anderes gewollt, als zu reisen und meine Geschichten zu erzählen, meine Lieder zu singen, und eines Tages wollte ich eine Witwe finden, die einen Gasthof besitzt.«

Pug lachte. »Ich glaube, das würdest du ziemlich langweilig finden, nach all diesen Abenteuern.«

»Schöne Abenteuer. Da reite ich mit einer Gruppe Soldaten und gerate mitten hinein in die gesamte Tsurani-Armee. Seitdem bin ich mehrmals geschlagen worden, habe vier Monate in diesen verdammten Sümpfen verbracht, bin über diese halbe Welt marschiert -«

»In einem Wagen gefahren worden, wenn ich mich recht erinnere.«

»Also gut, um diese halbe Welt gereist, und jetzt gebe ich Kasumi Shinzawai, dem ältesten Sohn des Herrn von Tsuranuanni, Reitunterricht. Nicht gerade der Stoff, aus dem große Balladen gemacht werden.«

Pug lächelte reumutig. »Es hätten auch vier Jahre in den Sümpfen sein können. Glaube mir, du hast Glück gehabt. Wenigstens kannst du damit rechnen, morgen noch hier zu sein. Zumindest solange Septiem dich nicht dabei erwischt, wie du dich spätnachts in der Küche herumtreibst.«

Laurie musterte Pug scharf. »Ich weiß, daß du Witze machst, was Septiem angeht, meine ich. Ich wollte dich schon ein paar Mal fragen, Pug. Warum sprichst du nie über dein Leben, was vorher war, ehe du gefangengenommen wurdest?«

Pug blickte in die Ferne. »Ich glaube, das ist eine Angewohnheit, die ich im Lager im Sumpf angenommen habe. Es zahlt sich nicht aus, sich daran zu erinnern, was man gewesen ist, ehe man hierher kam. Ich habe gesehen, wie tapfere, anständige Männer gestorben sind, weil sie nicht vergessen konnten, daß sie frei geboren waren.«

Laurie zupfte am Ohr des Hundes. »Aber hier ist alles anders.«

»Ja? Denk mal daran, was du in Jamar gesagt hast. Von einem Mann, der etwas von dir will. Ich glaube, je wohler wir uns hier fühlen, desto leichter wird es für sie sein, das von uns zu bekommen, was sie haben wollen. Dieser Gebieter der Shinzawai ist kein Narr.« Scheinbar das Thema wechselnd, fuhr er fort: »Ist es besser, einen Hund oder ein Pferd mit der Peitsche oder mit Liebe auszubilden?«

Laurie schaute auf. »Was? Nun, mit Liebe natürlich. Aber Disziplin ist auch notwendig.«

Pug nickte. »Uns zeigt man ebensoviel Liebe wie Bethel und ihren Kameraden, glaube ich. Aber wir sind immer noch Sklaven. Vergiß das niemals.«

Lange Zeit schaute Laurie über das Feld. Er sagte nichts mehr.

Das Paar wurde aus seinen Gedanken gerissen, als der ältere Sohn des Hauses zurückkehrte.

Schon von weitem rief er ihnen etwas zu. Schließlich brachte er das Pferd vor ihnen zum Stehen und sprang ab. »Er fliegt«, erklärte er in seiner gebrochenen Sprache des Königs. Kasumi war ein gelehriger Schüler, der die Sprache schnell lernte. Er ergänzte seinen Sprachunterricht mit einem beständigen Strom von Fragen über das Land und die Leute in Midkemia. Es schien keinen einzigen Aspekt des Lebens im Königreich zu geben, an dem er nicht interessiert war. Er hatte um Auskünfte über die alltäglichsten Dinge gebeten. Zum Beispiel, wie man mit Händlern umging, oder wie man Leute verschiedenen Ranges anredete.

Kasumi führte das Pferd in den Stall zurück, der extra für das Tier gebaut worden war. Pug suchte nach Anzeichen dafür, ob das Pferd hinkte. Sie hatten seine Hufe neu beschlagen, mit Holz, das mit Harz behandelt worden war. Sie hatten es mehrmals ausprobiert, und jetzt endlich schien es zu halten. Während er ging, meinte Kasumi: »Ich habe über etwas nachgedacht. Ich verstehe nicht, wie euer König regiert, mit alldem, was ihr mir über den Kongreß der Gebieter erzählt habt. Bitte erklärt mir das.«

Mit hochgezogener Braue schaute Laurie Pug an. Obwohl er sich in der Politik des Königreiches auch nicht besser auskannte als Laurie, schien er doch eher in der Lage zu sein, es zu erklären. »Der Kongreß wählt den König. Aber eigentlich ist das nur eine Formsache.«

»Form?«

»Nun ja, Tradition. Der Thronerbe wird immer gewählt, außer wenn es keinen klaren Nachfolger gibt. Das hält man für die beste Art, einen Bürgerkrieg zu unterbinden, denn die Entscheidung des Kongresses ist endgültig.« Er erklärte, wie der Prinz von Krondor hinter seinem Neffen zurückgetreten war, und wie der Kongreß sich seinen Wünschen gebeugt hatte. »Wie ist das denn im Kaiserreich?«

Kasumi überlegte. »Eigentlich gar nicht so viel anders. Jeder Kaiser wird von den Göttern erwählt. Aber nach allem, was ihr mir erzählt habt, ist er nicht wie euer König. Er herrscht in der Heiligen Stadt, aber seine Führung ist geistiger Art. Er schützt uns vor dem Zorn der Götter.«

»Aber wer regiert dann?« wollte Laurie wissen.

Sie hatten den Stall erreicht, und Kasumi nahm den Sattel und das Zaumzeug ab und fing an, das Pferd trockenzureiben. »Da ist es anders als bei euch.« Er schien Schwierigkeiten mit dem Ausdruck zu haben und wechselte in die Tsurani-Sprache über. »Jede Familie gehört einem Clan an. In diesem verfügt jeder Herr über eine gewisse Macht. Die Shinzawai gehören zum Clan der Kanazawai. In diesem sind wir nach den Keda die zweitmächtigste Familie. In seiner Jugend war mein Vater Kommandeur der Armee des Clans, ein General, wie ihr ihn nennen würdet. Die Stellung der Familien ändert sich von Generation zu Generation. So ist es unwahrscheinlich, daß auch ich eine so hohe Position erhalten werde. Der führende Gebieter eines jeden Clans gehört dem Hohen Rat an. Dieser wiederum berät den Kriegsherrn. Er regiert im Namen des Kaisers.«

»Beherrscht oder überstimmt der Kaiser den Kriegsherrn tatsächlich manchmal?« fragte Laurie.

»Niemals.«

»Wie wird der Kriegsherr gewählt?« erkundigte sich Pug.

»Das ist schwer zu erklären. Wenn der alte Kriegsherr stirbt, versammeln sich die einzelnen Clans. Das ist eine große Versammlung von Gebietern, denn nicht nur der Rat, sondern die Köpfe aller Familien kommen zusammen. Sie treffen sich und beraten, und manchmal entstehen Blutfehden. Aber am Ende wird immer ein neuer Kriegsherr gewählt.«

Pug strich sich das Haar aus den Augen. »Aber was hält dann den Clan des Kriegsherrn davon ab, dieses Amt für sich zu beanspruchen? Ich meine, wenn er der mächtigste von allen ist.«

Kasumi schien besorgt. »Das ist nicht leicht zu erklären. Ihr müßtet Tsuranis sein, um das zu verstehen. Es gibt Gesetze dafür, aber noch wichtiger sind die Sitten, ganz gleich, wie mächtig ein Clan wird, oder eine Familie in einem Clan. Nur der Gebieter von einer von fünf Familien kann Kriegsherr werden. Diese Familien sind die Keda, Tonmargu, Minwanabi, Oaxatucan und die Xacatecas. Also kommen nur fünf Gebieter in Betracht. Der jetzige Kriegsherr ist ein Oaxatucan.

Also leuchtet das Licht der Kanazawai Clans nur schwach. Sein Clan, die Omechan, ist im Aufsteigen begriffen. Das ist der Lauf der Dinge.«

Laurie schüttelte den Kopf. »Neben diesem ganzen Getue mit Familien und Clans scheint unsere Politik ganz simpel zu sein.«

Kasumi lachte. »Das hat nichts mit Politik zu tun. Das wäre Sache der Parteien.«

»Parteien?« fragte Laurie, der sich offensichtlich von der Unterhaltung hinreißen ließ.

»Es gibt viele Parteien. Das Blaue Rad, die Goldene Blume, das Jade-Auge, die Fortschrittspartei, die Kriegspartei und andere. Familien können unterschiedlichen davon angehören. Jeder versucht, seine eigenen Bedürfnisse zu fördern. Manchmal gehören auch Familien desselben Clans verschiedenen Parteien an. Es kommt auch vor, daß sie sich mit anderen verbünden, wenn es die Situation des Augenblicks erfordern sollte. Dann wieder helfen sie zwei Parteien gleichzeitig oder gar keiner.«

»Das scheint eine ausgesprochen unsichere Regierung zu sein«, bemerkte Laurie.

Kasumi lachte. »Sie besteht seit mehr als zweitausend Jahren. Wir haben ein altes Sprichwort:

›Im Hohen Rat gibt es keinen Bruder.‹ Wenn du das nicht vergißt, verstehst du es vielleicht.«

Pug überlegte seine nächste Frage sorgfältig. »Meister, bei dem habt Ihr nicht ein einziges Mal die Erhabenen erwähnt. Wieso nicht?« Kasumi hörte auf, das Pferd zu striegeln, und schaute Pug einen Moment an. Dann nahm er seine Arbeit wieder auf.

»Sie haben nichts mit Politik zu tun. Sie stehen außerhalb des Gesetzes und gehören keinem Clan an.« Wieder machte er eine Pause. »Warum fragst du das?«

»Bloß weil es so aussieht, als wurde ihnen sehr viel Respekt entgegengebracht werden. Und da erst kürzlich einer von ihnen zu Besuch hier war, dachte ich, Ihr würdet es mir erklären.«

»Man bringt ihnen Respekt entgegen, weil das Schicksal des Kaiserreichs zu allen Zeiten in ihren Händen liegt. Das ist eine schwere Verantwortung. Sie müssen all ihre Bindungen hinter sich lassen, und nur wenige haben ein Privatleben. Diejenigen, die Familie haben, wohnen abseits, und ihre Kinder werden fortgeschickt, wenn sie volljährig werden, um mit ihren früheren Familien zu leben. Das ist eine schwere Sache. Sie bringen viele Opfer.«

Pug musterte Kasumi scharf. Irgendwie schien ihm das Kummer zu bereiten, was er sagte. »Der Erhabene, der meinen Vater besuchen kam, war als Junge ein Mitglied dieser Familie. Er war mein Onkel. Jetzt ist es für uns schwierig, denn wir müssen die Formalitäten beachten und können uns nicht auf die Verwandtschaft berufen. Ich glaube, es wäre besser, wenn er fernbleiben würde.« Er sagte dies ganz leise.

»Warum dies, mein Herr?« fragte Laurie in gedämpftem Ton.

»Weil es für meinen Bruder hart ist. Ehe er mein Bruder wurde, war er der Sohn des Erhabenen.«

Sie beendeten die Pflege des Pferdes und verließen den Stall. Bethel lief voraus, denn sie wußte, daß die Fütterungszeit bevorstand. Als sie am Zwinger vorbeikamen, rief Rachmad nach ihr, und sie gesellte sich zu den anderen Hunden.

Während des gesamten Weges unterhielten sie sich nicht mehr. Kasumi betrat sein Zimmer, ohne noch etwas zu einem der beiden Midkemianer gesagt zu haben. Pug hockte sich auf seine Schlafstatt und wartete darauf, daß man sie zum Abendessen rief. Er dachte über das nach, was er erfahren hatte. Trotz ihrer merkwürdigen Art waren die Tsuranis doch nicht viel anders als andere Männer. Irgendwie fand er diese Erkenntnis gleichzeitig beruhigend und beunruhigend.

Zwei Wochen später stellte sich Pug ein neues Problem, über das er grübeln konnte. In letzter Zeit hatte Katala deutlich zu verstehen gegeben, daß ihr Pugs Mangel an Aufmerksamkeit ihr gegenüber zutiefst mißfiel. Zuerst unauffällig, dann immer kühner hatte sie versucht, sein Interesse zu erwecken. Schließlich spitzte sich die Lage zu, als er eines Nachmittags hinter dem Kochhaus mit ihr zusammenstieß.

Laurie und Kasumi versuchten, mit Hilfe eines Holzschnitzers der Shinzawai, eine Laute anzufertigen. Kasumi hatte sein Interesse an der Musik des Troubadours bekundet. In den vergangenen Tagen nun hatte er genau aufgepaßt, als Laurie mit dem Künstler die Auswahl des Materials besprach, die Art, wie das Holz geschnitzt und bearbeitet werden sollte. Er war überrascht, als es darum ging, ob Needradärme brauchbare Saiten abgeben würden, und lauschte stumm, als es um tausend andere Kleinigkeiten ging. Pug hatte dies alles andere als interessant gefunden, und nach ein paar Tagen kam er mit immer neuen Ausreden, um sich verabschieden zu können. Der Geruch des bearbeiteten Holzes erinnerte ihn zu sehr an seine Arbeit im Sumpf, als daß er es hätte genießen können, sich in der Nähe der Harztöpfe im Schuppen des Künstlers aufzuhalten.

Eines Tages lag er im Schatten des Kochhauses, als Katala um die Ecke bog. Sein Magen zog sich zusammen. Er fand sie äußerst attraktiv. Aber jedesmal, wenn er mit ihr sprechen wollte, stellte er fest, daß ihm nichts einfiel. Er wurde verlegen und eilte dann davon. So war er seit kurzem dazu übergegangen, einfach gar nichts mehr zu sagen. Er hatte nichtssagend gelächelt, und sie war vorbeigegangen. Dann jedoch hatte sie sich plötzlich umgewandt und schien den Tränen nahe zu sein.

»Was ist los mit mir? Bin ich so häßlich, daß du meinen Anblick nicht ertragen kannst?«

Pug war sprachlos dagesessen. Sie war einen Moment stehengeblieben. Dann hatte sie ihm ans Bein getreten. »Dummer Barbar«, hatte sie geschluchzt und war davon gerannt.

Jetzt saß er in seinem Zimmer, verwirrt und traurig nach dem Vorfall dieses Nachmittags. Laurie schnitzte Holzstifte für sein Instrument. Schließlich legte er das Messer beiseite. »Was bekümmert dich, Pug? Du siehst aus, als wollten sie dich zum Sklavenmeister ernennen und in die Sümpfe zurückschicken.«

Pug legte sich auf seiner Schlafstatt zurück und starrte an die Decke. »Es ist wegen Katala.«

»Oh«, zischte Laurie.

»Was willst du damit sagen, ›Oh‹?«

»Nichts. Bloß, daß Almorella mir erzählt hat, daß sich das Mädchen in den beiden letzten Wochen unmöglich benommen hat. Und du siehst auch nicht gerade fröhlich aus. Was ist los?«

»Ich weiß nicht. Sie ist einfach… Sie ist bloß… Sie hat mich heute getreten.«

Laurie warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Warum, um Himmels willen, hat sie denn das getan?«

»Ich weiß es nicht. Sie hat mich einfach getreten.«

»Was hast du getan?«

»Ich habe überhaupt nichts getan.«

»Ha!« Laurie explodierte förmlich vor Vergnügen. »Das ist es eben, Pug. Es gibt wohl nur eines, was eine Frau noch mehr haßt, als wenn ein Mann, den sie nicht mag, ihr zu viel Aufmerksamkeit schenkt – und das ist, daß ein Mann, den sie mag, ihr keine Aufmerksamkeit entgegenbringt.«

Pug sah ihn verzagt an. »Ich dachte mir schon, daß es so etwas sein müßte.«

Überraschung zeigte sich auf Lauries Gesicht. »Was soll das denn nun? Gefällt sie dir nicht?«

Pug beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Das ist es nicht. Ich mag sie. Sie ist sehr hübsch und scheint auch ganz freundlich zu sein. Bloß…«

»Was?«

Pug warf seinem Freund einen scharfen Blick zu, um zu sehen, ob er sich über ihn lustig machte.

Laurie lächelte, aber auf freundliche, beruhigende Art. Pug fuhr fort: »Es ist bloß… Da gibt es noch jemanden.«

Laurie blieb der Mund offen stehen. Dann klappte er ihn zu. »Wen? Abgesehen von Almorella ist Katala das hübscheste Frauenzimmer, das ich in dieser gottverlassenen Welt gesehen habe.« Er seufzte. »Um ehrlich zu sein, sie ist noch hübscher als Almorella, aber nur ein bißchen. Außerdem hätte ich es gemerkt, wenn du einer anderen nachgeschlichen wärest.«

Pug schüttelte den Kopf und schaute zu Boden. »Nein, Laurie. Ich meine – daheim.«

Wieder blieb Lauries Mund offen. Dann fiel er auf den Rücken und stöhnte. »Daheim! Was soll ich bloß mit diesem Kind machen? Es hat den Verstand verloren!« Er stützte sich auf einen Ellbogen und sagte: »Ist das tatsächlich Pug, der da spricht? Der Knabe, der mir immer rät, die Vergangenheit zu vergessen? Der immer wieder betont, daß es zu einem schnellen Tod führen kann, wenn man daran denkt, wie es zu Hause war?«

Pug kümmerte sich nicht um all diese Fragen. »Das ist etwas anderes.«

»Wieso? Inwiefern ist das anders? Bei Ruthia, die in ihren besseren Momenten Narren, Trunkenbolde und Minnesänger schützt, wie kannst du mir sagen, daß dies anders ist? Bildest du dir tatsächlich auch nur einen Augenblick lang ein, daß du hoffen kannst, dieses Mädchen wiederzusehen, egal, wer sie ist?«

»Ich weiß. Aber die Erinnerung an Carline hat mich mehr als einmal davor bewahrt, den Verstand zu verlieren…« Er seufzte laut. »Wir brauchen alle einen Traum, Laurie.«

Laurie musterte schweigend seinen jungen Freund. »Ja, Pug, wir brauchen alle einen. Aber«, fügte er fröhlich hinzu, »ein Traum ist eine Sache, eine lebendige, atmende, warme Frau eine andere.« Als er sah, daß Pug über diese Bemerkung ärgerlich wurde, wechselte er das Thema. »Wer ist Carline, Pug?«

»Lord Borrics Tochter.«

Lauries Augen wurden groß. »Prinzessin Carline?« Pug nickte. Lauries Stimme verriet seine Belustigung. »Die begehrteste Tochter im westlichen Reich nach der Tochter des Prinzen von Krondor? Du überraschst mich doch immer wieder. Das hätte ich nie für möglich gehalten! Erzähl mir von ihr.«

Pug fing an, von der Geschichte zu berichten. Zuerst erzählte er von seiner jugendhaften Verliebtheit, dann, wie sich ihre Beziehung entwickelte. Laurie blieb still, stellte keine Fragen, ließ Pug die Gefühle ausdrücken, die sich seit Jahren in ihm angestaut hatten. Schließlich sagte Pug:

»Vielleicht ist es das, was mich an Katala so beunruhigt. In gewisser Weise ist sie wie Carline. Sie hat einen starken Willen, und sie läßt uns ihre Launen spüren.«

Laurie nickte, ohne etwas zu sagen. Pug fuhr fort: »Als ich in Crydee war, dachte ich eine Zeitlang, ich würde Carline lieben. Aber jetzt weiß ich es nicht. Ist das nicht merkwürdig?«

Laurie schüttelte den Kopf. »Nein, Pug. Es gibt viele Arten, jemanden zu lieben. Manchmal wünschen wir uns die Liebe so sehr, daß wir nicht sehr wählerisch sind, wenn wir uns jemanden aussuchen. Dann wieder erklären wir die Liebe zu einer so edlen, reinen Sache, daß kein armes, menschliches Wesen unserer Vorstellung je entsprechen kann. Aber meistens bedeutet es die Gelegenheit, zu sagen: ›Du hast etwas an dir, was mir gefällt.‹ Es muß nicht unbedingt die Ehe nach sich ziehen, nicht einmal die körperliche Liebe. Man kann seine Eltern lieben, seine Stadt oder Nation, das Leben, die Menschen. Alles ist anders, und doch ist das alles Liebe. Aber nun sag mir: Sind deine Gefühle für Katala so wie die, die du Carline entgegengebracht hast?«

Pug lächelte und erwiderte achselzuckend: »Nein, nicht ganz. Bei Carline hatte ich immer das Gefühl, ich müßte sie mir fernhalten, weißt du, auf Armeslänge. Ich wollte wohl nicht die Kontrolle verlieren, denke ich mir.«

Laurie bohrte weiter. »Und Katala?«

Wieder zuckte Pug mit den Achseln. »Ich weiß nicht. Das ist anders. Ich habe nicht das Gefühl, ich müßte sie unter Kontrolle halten. Es ist mehr so, als wollte ich ihr etwas sagen, ich weiß aber nicht, wie. Weißt du, als sie mich das erste Mal anlächelte, hat sich in mir alles zusammengezogen.

Mit Carline konnte ich reden, wenn sie mich ließ und selbst still blieb. Katala ist ruhig, aber ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Er machte eine Pause. Plötzlich gab er einen Laut von sich, halb ein Seufzen, halb ein Stöhnen. »Wenn ich bloß an sie denke, tut mir schon alles weh, Laurie.«

Laurie legte sich zurück und lachte freundlich. »Nun, nur gut, daß ich diesen Schmerz kenne.

Und ich muß zugeben, du hast dir interessante Frauen ausgesucht. Nach allem, was ich so sehe, hast du mit Katala wirklich einen guten Fang gemacht. Und die Prinzessin Carline…«

Ein bißchen schnippisch bemerkte Pug: »Ich werde daran denken, dich ihr vorzustellen, wenn wir heimkommen.«

Laurie ignorierte den Ton. »Ich nehme dich beim Wort, Pug. Ich wollte doch nichts weiter, als dir sagen, daß du ein Talent dafür hast, Frauen zu finden, die es wert sind, geliebt zu werden.« Ein bißchen traurig fügte er hinzu: »Ich wünschte, ich könnte das von mir auch behaupten. Mein Leben hat mich hauptsächlich mit Kneipendirnen, Bauerstöchtern und gewöhnlichen Straßenhuren zusammengebracht. Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll.«

»Laurie«, antwortete Pug. Dieser setzte sich auf und schaute seinen Freund an. »Ich weiß nicht…

Ich weiß nicht, was ich machen soll.«

Laurie musterte Pug einen Augenblick. Dann dämmerte es ihm, und er warf den Kopf zurück und lachte schallend. Er konnte sehen, wie Pug wütend wurde, und hob bittend die Hände. »Tut mir leid, Pug. Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Ich hatte bloß überhaupt nicht erwartet, so etwas zu hören.«

Irgendwie beruhigt, meinte Pug: »Ich war noch sehr jung, als ich gefangengenommen wurde, noch nicht einmal sechzehn. Ich war nie so groß wie die anderen Knaben. Deshalb haben die Mädchen mich auch nicht beachtet, bis Carline kam, meine ich. Und nachdem ich dann zum Junker ernannt worden war, hatten sie Angst, mit mir zu reden. Anschließend… verdammt, Laurie. Ich war vier Jahre lang in den Sümpfen. Welche Gelegenheit habe ich schon gehabt, eine Frau kennenzulernen?«

Einen Augenblick blieb Laurie stumm sitzen. Die Spannung wich von ihnen. »Pug, das hätte ich nie im Leben gedacht. Aber du hast recht: Wann hättest du die Zeit haben sollen?«

»Laurie, was soll ich tun?«

»Ich glaube, du solltest einfach zu dem Mädel gehen und ihr sagen, was du fühlst.«

»Bloß so? Einfach mit ihr reden?«

»Natürlich. Mit der Liebe ist das wie mit vielen Dingen. Am besten geht das immer mit dem Kopf. Hebe dir geistlose Anstrengungen für geistlose Dinge auf. Und jetzt lauf.«

»Jetzt?« Pug schien von Panik ergriffen.

»Du kannst kaum früh genug damit anfangen, oder?«

Pug nickte und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Er ging die dunklen, stillen Gänge entlang, hinaus zu den Sklavenunterkünften und stand schließlich vor ihrer Tür. Er hob die Hand, um an den Rahmen zu klopfen. Dann hielt er aber plötzlich inne. Einen Augenblick blieb er unschlüssig davor stehen und versuchte, einen Entschluß zu fassen, was er jetzt tun solle. In diesem Moment glitt die Tür beiseite. Almorella stand vor ihm, das Haar zerzaust. »Oh«, wisperte sie, »ich dachte, es wäre Laurie. Warte einen Augenblick.« Sie verschwand im Zimmer und erschien gleich darauf mit einem Bündel unter dem Arm. Sie tätschelte Pugs Arm und ging in Richtung auf sein und Lauries Zimmer zu.

Pug stand noch kurz in der Tür, ehe er zögernd eintrat. Er konnte Katala unter einer Decke auf ihrem Lager liegen sehen. Er ging zu ihr hinüber und hockte sich neben sie. Sacht berührte er ihre Schulter und sprach leise ihren Namen. Sie erwachte und setzte sich abrupt auf und raffte die Decke um sich zusammen. »Was machst du hier?«

»Ich… ich wollte mit dir reden.« Nachdem er erst einmal angefangen hatte, überschlugen sich seine Worte fast. »Es tut mir leid, wenn ich etwas getan habe, das dich wütend auf mich gemacht hat. Oder wenn ich nichts getan habe. Ich meine, Laurie hat gesagt, wenn man etwas nicht macht, was ein anderer eigentlich erwartet, dann ist das genauso schlimm, als wenn man zu viel tut. Ich bin nicht sicher, weißt du.« Sie bedeckte ihren Mund, um ein Kichern zu verbergen, denn obwohl das Zimmer nicht beleuchtet war, konnte sie seinen Kummer erkennen. »Was ich meine ist… ich… es tut mir leid. Es tut mir leid, was ich getan habe. Oder nicht getan habe…«

Sie brachte ihn zum Schweigen, indem sie die Fingerspitzen auf seinen Mund legte. Dann schob sie einen Arm um seinen Hals und zog seinen Kopf zu sich herab. Sanft küßte sie ihn, und dann sagte sie: »Dummkopf. Nun geh und mach die Tür zu.«

 

Sie lagen beieinander. Katalas Arm ruhte auf Pugs Brust, und er starrte an die Decke. Sie gab Geräusche von sich, als würde sie schlafen, und er fuhr mit seinen Händen durch ihr dichtes Haar und über ihre weiche Schulter.

»Was ist?« fragte sie schlaftrunken.

»Ich habe gerade gedacht, daß ich noch nie so glücklich gewesen bin, seit dem Tag, als man mich zu einem Mitglied des herzoglichen Hofstaats gemacht hat.«

»Gut«, murmelte sie und wurde ein bißchen wacher. »Was ist ein Herzog?«

Pug überlegte einen Augenblick. »So etwas Ähnliches wie ein Lord hier. Bloß eben anders. Mein Herzog war ein Cousin des Königs und der drittmächtigste Mann im Königreich.«

Sie kuschelte sich enger an ihn. »Du mußt wichtig gewesen sein, wenn du zum Hof eines solchen Mannes gehört hast.«

»Eigentlich nicht. Ich habe ihm einen Dienst erwiesen und bin dafür belohnt worden.« Er wollte Carlines Namen hier lieber nicht erwähnen. Irgendwie erschienen ihm seine jungenhaften Phantasien über die Prinzessin nach dieser Nacht kindisch.

Katala rollte sich auf den Bauch. Sie hob den Kopf und stützte ihn in eine Hand. »Ich wünschte, es wäre anders.«

»Wie denn, Liebes?«

»Mein Vater war Bauer in Thuril. Wir gehören zu den letzten freien Leuten in Kelewan. Wenn wir dorthin gehen könnten, könntest du eine Stellung im Coaldra finden, dem Rat der Krieger. Sie können immer kluge, einfallsreiche Männer gebrauchen. Dann könnten wir Zusammensein.«

»Hier sind wir doch auch zusammen, oder nicht?«

Katala küßte ihn flüchtig. »Ja, mein lieber Pug, das sind wir. Aber wir können uns doch beide noch daran erinnern, wie es ist, frei zu sein, oder?«

Pug setzte sich auf. »Ich versuche, diese Art von Gedanken aus meinem Kopf zu vertreiben.«

Sie legte die Arme um ihn und hielt ihn, wie sie wohl ein Kind gehalten hätte. »In den Sümpfen muß es schrecklich gewesen sein. Wir hören Geschichten darüber, aber niemand weiß etwas Genaues«, sagte sie leise.

»Das ist nur gut so.«

Sie küßte ihn, und bald hatten sie wieder alle Gedanken an schreckliche, fremdartige Dinge vergessen und waren sicher an dem Ort, den alle Liebenden kennen. In den restlichen Nachtstunden fanden sie Vergnügen aneinander und entdeckten eine Tiefe von Gefühlen, wie sie beiden neu war.

Pug hätte nicht sagen können, ob sie vor ihm andere Männer gehabt hatte, und er fragte auch nicht danach. Es war nicht wichtig für ihn. Es zählte nur, daß er jetzt und hier mit ihr zusammen war. Er wurde fortgerissen von neuen Gefühlen, von einem Meer des Entzückens. Er verstand es nicht völlig, zweifelte aber nicht daran, daß das, was er für Katala empfand, realer, stärker, verlockender war als das verwirrte Sehnen, das er gefühlt hatte, als er mit Carline beisammen war.

Die Wochen vergingen. Pugs Leben nahm eine beruhigende Routine an. Gelegentlich verbrachte er einen Abend mit dem Herrn der Shinzawais beim Schachspiel, und ihre Unterhaltungen gaben Pug Einblick in das Leben der Tsuranis. Für ihn waren diese Leute keine Fremdlinge mehr, denn er sah, daß ihr tägliches Leben ganz ähnlich verlief wie das, das er als Junge geführt hatte. Es gab überraschende Unterschiede, wie zum Beispiel das strikte Einhalten eines Ehrenkodex, aber die Ähnlichkeiten überwogen bei weitem.

Katala wurde zum Mittelpunkt seiner Existenz. Wann immer sie die Zeit fanden, trafen sie sich.

Sie aßen zusammen, wechselten hastig ein paar Worte miteinander, und sooft sie konnten, verbrachten sie die Nacht gemeinsam. Pug war sicher, daß die anderen Sklaven des Haushalts von ihren nächtlichen Zusammenkünften wußten. Aber die ständige Nähe anderer im Leben der Tsuranis hatte sie blind für die persönlichen Gewohnheiten anderer werden lassen, und niemand kümmerte sich um das Kommen und Gehen zweier Sklaven.

Ein paar Wochen nach seiner ersten Nacht mit Katala war Pug einmal allein mit Kasumi, denn Laurie stritt wieder mit dem Holzschnitzer über die Fertigstellung seiner Laute. Der Mann hielt Laurie für unvernünftig, weil dieser nicht wollte, daß das Instrument leuchtendgelb angemalt und mit einem purpurfarbenen Rand versehen wurde. Er konnte absolut keinen Sinn darin finden, die natürlichen Holzfarben beizubehalten. Pug und Kasumi überließen es dem Sänger, dem Künstler zu erklären, was für einen schönen Klang und eine gute Resonanz notwendig war. Anscheinend versuchte Laurie, den Mann nicht nur mit Worten, sondern auch durch Lautstärke zu überzeugen.

Pug und Kasumi gingen zu den Ställen hinüber. Angestellte des Herrn der Shinzawai hatten noch weitere erbeutete Pferde aufgekauft und sie auf seinen Besitz in den Norden des Landes gebracht.

Pug hielt das für irgendein politisches Manöver und war überzeugt davon, daß es sehr viel Geld gekostet haben mußte. Wenn er mit den Sklaven allein war, sprach Kasumi nur noch die Sprache der Könige und bestand darauf, daß sie ihn beim Namen nannten. Er lernte ihre Sprache ebenso schnell, wie er das Reiten gelernt hatte.

»Freund Laurie«, sagte der ältere Sohn des Hauses gerade, »wird vom Tsurani-Standpunkt aus niemals einen guten Sklaven abgeben. Er weiß unsere Künste nicht zu schätzen.«

Pug lauschte auf den Streit, der immer noch aus dem Haus des Holzschnitzers drang. »Ich glaube, es geht mehr darum, daß er fürchtet, daß seine eigene Kunst nicht recht gewürdigt wird.«

Sie hatten den Korral erreicht. Ein lebhafter, grauer Hengst wieherte und bäumte sich auf, als sie näher kamen. Das Pferd war vor einer Woche gebracht worden. Es war mit mehreren Leinen sicher an einem Wagen angebunden gewesen und hatte seither wiederholt versucht, jeden anzugreifen, der in seine Nähe kam.

»Was glaubst du, warum macht dieses Tier so viel Ärger, Pug?«

Pug sah zu, wie das prachtvolle Pferd um die Koppel lief und die anderen von den Männern forttrieb. Als die Stuten und ein anderer, scheuer Hengst in sicherer Entfernung waren, drehte sich der Graue um und schaute die beiden Männer wachsam an.

»Ich bin mir nicht sicher. Entweder ist er einfach ein boshaftes Tier, vielleicht ist er aber auch durch schlechte Behandlung so geworden, oder er ist ein speziell ausgebildetes Kriegspferd. Die meisten von ihnen werden bei uns dahingehend abgerichtet, daß sie in der Schlacht nicht scheuen, daß sie sich ruhig verhalten, wenn sie am Zügel geführt werden, und daß sie ihrem Reiter auch unter Druck gehorchen. Ein paar jedoch – hauptsächlich von unseren Herrschern gerittene – erhalten eine spezielle Ausbildung. Sie gehorchen nur ihrem Meister, und sie sind nicht nur Mittel zum Transport, sondern auch eine Waffe. Sie greifen auch an. Er könnte eines dieser Tiere sein.«

Kasumi beobachtete ihn genau, als der Hengst auf den Boden stampfte und den Kopf nach hinten warf. »Eines Tages werde ich ihn reiten«, erklärte er. »Auf jeden Fall wird er der Begründer einer kräftigen Familie sein. Wir haben jetzt fünf Stuten, und mein Vater hat weitere fünf sichergestellt.

In ein paar Wochen werden sie hier sein. Außerdem suchen wir jeden Besitz im Kaiserreich ab, um noch mehrere zu finden.« Kasumis Blick schweifte in die Ferne, ins Nichts. »Als ich das erste Mal in eurer Welt war, Pug, da haßte ich den Anblick von Pferden. Sie ritten auf uns zu, und unsere Soldaten starben. Aber dann habe ich erkannt, welch wundervolle Geschöpfe das sind. Ich habe mit anderen Gefangenen gesprochen, als ich noch in eurer Welt war. Sie haben mir erzählt, daß es adelige Familien gibt, die vor allem für ihre edlen Pferde bekannt sind, die sie züchten. Eines Tages werden die besten Pferde im Kaiserreich die der Shinzawai sein.«

»Wenn ich mir diese hier so anschaue, würde ich sagen, das ist ein guter Beginn. Aber nach allem, was ich weiß, braucht ihr wohl noch mehrere zum Züchten.«

»Wir werden so viele bekommen, wie wir benötigen.«

»Kasumi, wie können eure Anführer im Krieg auf diese Tiere verzichten? Ihr müßt euch doch darüber im klaren sein, daß ihr schnell berittene Einheiten aufbauen müßt, wenn ihr euren Eroberungszug fortsetzen wollt.«

Kasumis Gesicht nahm einen traurigen Ausdruck an. »Die meisten unserer Anführer sind an die Tradition gebunden, Pug. Sie weigern sich einzugestehen, daß es klug wäre, eine Kavallerie aufzubauen. Sie sind Narren. Eure Reiter reiten unsere Krieger über den Haufen, und dennoch tun sie so, als könnten wir nichts von euch lernen, und nennen euer Volk Barbaren. Ich habe einstmals ein Schloß in deiner Heimat belagert. Die Verteidiger brachten mir viel über Kriegsführung bei.

Viele würden mich als Verräter bezeichnen, weil ich das sage, aber wir haben nur durchgehalten, weil wir so viele waren. Eure Generäle sind besser, geschickter und klüger. Wenn man versucht, seine Soldaten am Leben zu erhalten, anstatt sie in den Tod zu senden, dann deutet das auf ein gewisses Geschick hin.

Nein, die Wahrheit ist, daß uns Männer anführen, die -« Er brach ab, als er erkannte, daß er nahe daran war, gefährliche Dinge auszuplaudern. »Die Wahrheit ist«, endete er schließlich, »daß wir ein ebenso hartnäckiges Volk sind wie ihr.«

Er musterte Pugs Gesicht einen Moment, ehe er lächelnd sagte: »Im ersten Jahr griffen wir an, um Pferde zu bekommen. Die Erhabenen des Kriegsherrn sollten die Tiere untersuchen und feststellen, ob sie so intelligente Verbündete waren wie unsere Cho-jas oder bloß Tiere. Es war eine ziemlich komische Sache. Der Kriegsherr bestand darauf, der erste zu sein, der versuchte, ein Pferd zu reiten. Ich vermute, daß er eines aussuchte, das diesem Grauen hier ähnlich war. Nun, auf jeden Fall griff das Pferd ihn an, und es hätte ihn fast umgebracht. Seine Ehre läßt es nicht zu, daß irgend jemand sonst reitet, wenn er versagt hat. Und ich glaube, er fürchtete sich, es noch einmal mit einem anderen Tier zu versuchen. Unser Kriegsherr, Almecho, ist selbst für einen Tsurani ein überaus stolzer und launischer Mann.«

»Wie kann dein Vater dann weiterhin gefangengenommene Pferde erstehen? Und wie kannst du sie reiten, trotz des ergangenen Befehls?«

Kasumis Lächeln wurde noch breiter. »Mein Vater ist ein Mann von beträchtlichem Einfluß im Rat. Unsere Politik ist merkwürdig verflochten, und es gibt immer Mittel und Wege, um einen Befehl zu umgehen, selbst den des Kriegsherrn oder des Hohen Rates. Und auch einen Befehl kann man mißachten, außer er kommt vom Licht des Himmels persönlich. Aber in erster Linie geht das einfach, weil die Pferde hier sind und der Kriegsherr nicht.«

Seit sie zum Landsitz der Shinzawai gekommen waren, hatte Pug sich Sorgen gemacht, was Kasumi und sein Vater wohl planten. Er zweifelte nicht daran, daß sie in eine politische Intrige der Tsuranis verwickelt waren, aber er hatte keine Ahnung, was das wohl sein könnte. Ein mächtiger Herrscher wie Kamatsu würde sich nicht soviel Mühe machen, um eine Laune zu befriedigen, selbst nicht die eines so geliebten Sohnes wie Kasumi. Aber Pug wußte, daß es besser war, wenn er sich nicht noch weiter in die Sache einmischte. So wechselte er das Thema. »Kasumi, ich habe eine Frage.«

»Ja?«

»Wie lautet das Gesetz hinsichtlich einer Ehe unter Sklaven?«

Kasumi schien von seiner Frage überrascht. »Mit der Genehmigung ihres Herrn dürfen Sklaven heiraten. Aber diese Erlaubnis wird selten erteilt. Wenn sie einmal verheiratet sind, dürfen Mann und Frau nicht getrennt werden, und auch die Kinder können nicht verkauft werden, solange die Eltern leben. So will es das Gesetz. Sollte ein verheiratetes Paar lange leben, könnten drei oder vier Generationen von Sklaven einen Besitz zu sehr belasten. Das könnte mehr sein, als er wirtschaftlich tragen kann. Aber gelegentlich wird doch die Erlaubnis gewährt. Warum fragst du? Willst du Katala zur Frau nehmen?«

Pug schien überrascht. »Du weißt es?«

Ohne überheblich zu wirken, erwiderte Kasumi: »Auf dem Besitz meines Vaters geschieht nichts, von dem er nicht informiert ist. Und er vertraut sich mir an. Das ist eine große Ehre.«

Pug nickte nachdenklich. »Ich weiß noch nicht. Ich empfinde viel für sie, aber irgend etwas hält mich zurück. Es ist, als ob…« Er zuckte mit den Achseln. Ihm fehlten die Worte.

Kasumi schaute ihn scharf an, ehe er sagte: »Es ist meines Vaters Wille, daß du lebst, und auch wie du lebst.« Kasumi blieb minutenlang stehen, und wieder einmal wurde Pug schmerzlich bewußt, welch riesiger Abgrund zwischen ihnen beiden klaffte. Der eine war der Sohn des mächtigsten Herrschers, und der andere sein niedrigster Besitz, ein Sklave. Die falsche Freundschaft riß, und wieder fiel Pug ein, was er schon im Sumpf gelernt hatte: Das Leben galt hier nichts, und nur das Vergnügen dieses Mannes, oder das seines Vaters, stand zwischen Pug und der Zerstörung.

Als hätte er seine Gedanken gelesen, sagte Kasumi: »Vergiß nicht, Pug, das Gesetz ist hart und sehr streng. Ein Sklave darf niemals befreit werden. Aber es gibt immer noch den Sumpf. Oder unseren Besitz hier. In unseren Augen seid ihr aus dem Königreich sehr ungeduldig.«

Pug wußte, daß Kasumi versuchte, ihm etwas zu sagen, etwas, das vielleicht für ihn wichtig war.

So offen er manchmal war, so leicht konnte Kasumi doch wieder in die Verhaltensweise der Tsuranis zurückfallen, die Pug nur als rätselhaft bezeichnen konnte. Hinter Kasumis Worten verbarg sich eine unausgesprochene Warnung, und Pug hielt es für das beste, ihn nicht zu drängen.

So wechselte er erneut das Gesprächsthema. »Wie läuft der Krieg, Kasumi?«

Kasumi seufzte. »Schlecht, für beide Seiten.« Er betrachtete den grauen Hengst. »Wir kämpfen an festen Fronten. Daran hat sich in den vergangenen drei Jahren nichts geändert. Unsere beiden letzten Offensiven wurden gestoppt, aber eure Armee hat auch keine Gewinne erzielt. Jetzt vergehen Wochen, ohne daß gekämpft wird. Dann greifen deine Landsleute eine unserer Enklaven an, und wir geben das Kompliment zurück. Dabei wird nichts erreicht, bloß Blut vergossen. All das ist mehr als sinnlos und gereicht niemandem zur Ehre.«

Pug war überrascht. Alles, was er von den Tsuranis gesehen hatte, bestärkte nur noch Meechams Beobachtung, die dieser schon vor Jahren gemacht hatte, daß nämlich die Tsuranis ein sehr kriegerisches Völkchen seien. Überall, wohin er auch blickte, hatte er Soldaten gesehen, als sie zu diesem Besitz kamen. Beide Söhne des Hauses waren bereits Soldaten, wie es auch ihr Vater in seiner Jugend gewesen war. Hokanu war Kommandeur der Wache dieses Haushalts – und nur aus Höflichkeit als Soldat angesehen –, aber eines Tages würde er ein Kommando übernehmen, wie es sein Bruder bereits getan hatte. Die Art, wie er im Sumpf mit dem Sklavenmeister umgegangen war, wies auf einen rücksichtslosen Zug in ihm hin. Er war ein Tsurani, und den Tsuranis wurde ihr Kodex schon in frühester Jugend beigebracht. Und anschließend wurde er strikt befolgt.

Kasumi spürte, daß er beobachtet wurde. »Ich fürchte, eure ausländische Art verweichlicht mich, Pug.«

Plötzlich meldete sich Pug. »Kasumi, ich möchte deinen Vater um die Erlaubnis bitten, Katala heiraten zu dürfen.«

Kasumi seufzte. »Hör mir mal gut zu, Pug. Ich habe versucht, es dir beizubringen, aber du scheinst mich nicht verstanden zu haben. Jetzt will ich ganz offen reden. Du kannst ihn fragen, aber deine Bitte wird dir abgeschlagen werden.«

Pug wollte Einwände erheben, aber Kasumi schnitt ihm das Wort ab. »Wie ich schon bemerkte, ihr seid ungeduldige Leute. Mehr kann ich nicht sagen. Aber es gibt Gründe dafür, Pug.«

Ärger flackerte in Pugs Augen auf. In der Sprache der Könige erklärte Kasumi: »Sprich ein wütendes Wort in Hörweite irgendeines Soldaten dieses Hauses, und du bist ein toter Sklave.« Er wies auf die Soldaten, die auf sie zukamen. Steif erwiderte Pug: »Wie Sie wünschen, Herr.« Als er die Bitterkeit in Pugs Gesicht bemerkte, wiederholte Kasumi leise: »Es gibt Gründe dafür, Pug.«

Einen Augenblick lang versuchte er, nicht der Tsurani-Herr zu sein, sondern ein Freund, der bemüht ist, einen Schmerz zu lindern. Ihre Blicke trafen sich, offen und ehrlich. Doch dann fiel ein Schleier über Kasumis Augen, und wieder waren sie Sklave und Herr.

Pug senkte die Augen, wie es von einem Sklaven erwartet wurde, und Kasumi sagte: »Kümmere dich um die Pferde.« Damit schlenderte er davon und ließ Pug allein zurück.

 

Pug sprach niemals mit Katala über seine Bitte. Sie spürte, daß da etwas war, was ihn zutiefst beunruhigte, etwas, das ihrem sonst so fröhlichen Beisammensein eine bittere Note verlieh. Er erkannte die Tiefe seiner Liebe zu ihr und fing an, ihre komplexe Natur zu ergründen. Sie hatte nicht nur einen starken Willen, sondern begriff auch schnell. Er mußte ihr eine Sache nur einmal erklären, und schon hatte sie ihn verstanden. Er lernte ihren trockenen Humor lieben, eine Eigenschaft, die ihrem Volk, den Thuril, angeboren war. In ihrem Fall war er durch ihre Gefangennahme noch verschärft worden. Sie beobachtete aufmerksam alles, was um sie her geschah, und dann gab sie ihren gnadenlosen Kommentar zu den Schwächen eines jeden Haushaltsmitglieds ab. Pug fand das ungemein amüsant. Sie bestand auch darauf, etwas von Pugs Sprache zu lernen. Also fing er an, ihr die der Könige beizubringen. Sie erwies sich als gute Schülerin.

Zwei Monate verstrichen, ohne daß etwas geschah. Dann, eines Abends, wurden Pug und Laurie ins Speisezimmer des Herrn des Hauses gerufen. Laurie war mit der Arbeit an der Laute fertig.

Obwohl er in hundert kleinen Dingen noch unzufrieden damit war, glaubte er doch, darauf spielen zu können. Heute abend sollte er den Herrn der Shinzawai eine musikalische Vorführung darauf geben.

Sie betraten den Raum und sahen, daß der Herr einen Gast hatte, einen Schwarzgewandeten Mann, den Erhabenen, den sie schon vor Monaten hier gesehen hatten. Pug blieb neben der Tür stehen, während Laurie sich am Fuß des niedrigen Eßtisches niederließ. Er rückte das Kissen zurecht, auf dem er saß, und fing zu spielen an.

Nach ein paar gezupften Tönen begann er zu singen. Es war eine alte Weise, die Pug gut kannte.

Sie handelte von den Freuden der Ernte und dem Reichtum des Landes und wurde in allen Dörfern des Königreiches gern gesungen. Außer Pug verstand nur Kasumi die Worte, wenngleich sein Vater das eine oder andere wiedererkannte, das er im Verlauf seiner Schachpartien mit Pug gelernt hatte.

Pug hatte Laurie nie zuvor musizieren hören und war jetzt ehrlich beeindruckt. Der Troubadour hatte zwar geprahlt, aber er war wirklich besser als alle, die Pug jemals erlebt hatte. Seine Stimme war klar und rein und ausdrucksvoll. Als er fertig war, schlugen die Speisenden höflich mit dem Messer auf den Tisch. Pug vermutete, daß dies die Tsurani-Art war, zu applaudieren.

Laurie stimmte ein anderes Lied an, eine fröhliche Weise, die man bei Festlichkeiten im gesamten Königreich hören konnte. Pug erinnerte sich, wann er sie zum letztenmal gehört hatte. Es war beim Banapis-Fest gewesen, im Jahr ehe er Crydee verließ, um nach Rillanon zu reisen. Er sah das vertraute Heim fast vor sich. Zum erstenmal seit Jahren verspürte Pug eine tiefe Traurigkeit und Sehnsucht, die ihn fast überwältigte.

Pug schluckte, seine Kehle war wie zugeschnürt. Heimweh und Hoffnungslosigkeit kamen in ihm auf. Er merkte, wie seine mühsam erworbene Selbstbeherrschung ihn zu verlassen drohte.

Hastig griff er auf eine der Beruhigungsübungen zurück, die Kulgan ihm beigebracht hatte. Ein Gefühl von Wohlsein lullte ihn ein, und er entspannte sich. Während Laurie seine Kunst darbot, setzte Pug all seine Konzentration ein, um die Erinnerungen an daheim zu vertreiben. Mit all seinem Können schuf er sich eine Aura der Ruhe, in der er bleiben konnte.

Mehrmals während des Vortrags fühlte Pug den Blick des Erhabenen auf sich ruhen. Der Mann schien ihn mit einer Frage in den Augen zu mustern. Als Laurie geendet hatte, beugte sich der Magier vor und sprach mit dem Gastgeber.

Der Herr der Shinzawai winkte Pug herbei. Als er am Tisch saß, sprach der Erhabene: »Ich muß dich etwas fragen.« Seine Stimme war klar und kräftig, und sein Ton erinnerte Pug an Kulgan, wenn dieser ihn auf den Unterricht vorbereitete. »Wer bist du?«

Die direkte, einfache Frage überraschte alle bei Tisch Anwesenden. Auch der Herr des Hauses schien von ihr verunsichert Und wollte antworten: »Er ist ein Sklave -«

Die Hand des Erhabenen fuhr empor und unterbrach ihn. Pug sagte: »Man nennt mich Pug, Herr.«

Wieder musterten ihn die dunklen Augen des Mannes eindringlich. »Wer bist du?«

Pug war verwirrt. Er war nie gern im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestanden, und diesmal drehte sich alles um ihn, mehr als je zuvor.

»Ich bin Pug, ehemals Mitglied des Hofstaats des Herzogs von Crydee.«

»Wer bist du, daß du hier stehst und die Macht ausstrahlst?« Bei diesen Worten zuckten alle drei Männer aus dem Haushalt der Shinzawai zusammen, und Laurie schaute Pug verwirrt an.

»Ich bin ein Sklave, Herr.«

»Gib mir deine Hand.«

Pug streckte den Arm aus, und der Erhabene ergriff seine Hand. Die Lippen des Mannes bewegten sich. Ein Schleier fiel vor seine Augen. Pug spürte, wie eine Wärme von seiner Hand ausging und ihn durchflutete. Der Raum schien in einem sanften, weißen Dunst zu glühen. Bald sah er nichts mehr als die Augen des Magiers. Sein Verstand wurde umnebelt, und die Zeit stand still.

Er spürte einen Druck in seinem Kopf, als versuchte etwas, dort einzudringen. Er kämpfte dagegen an, und der Druck ließ nach.

Jetzt konnte er auch wieder klar sehen. Die beiden dunklen Augen schienen sich von seinem Gesicht zurückzuziehen, und er konnte wieder den ganzen Raum erkennen. Der Magier ließ seine Hand los. »Wer bist du?« Ein kurzes Flackern m seinen Augen war das einzige Zeichen seiner tiefen Besorgnis.

»Ich bin Pug, Lehrling des Magiers Kulgan.«

Bei diesen Worten erbleichte der Herr der Shinzawai. Verwirrung zeichnete sich auf seinem Gesicht. »Wie…«

Der schwarzgewandete Erhabene erhob sich und verkündete: »Dieser Sklave ist nicht länger Eigentum des Hauses. Er fällt in den Bereich der Versammlung.«

Schweigen breitete sich im Raum aus. Pug verstand nicht, was hier vorging. Er hatte Angst.

Der Magier zog einen Gegenstand aus seiner Robe. Pug erinnerte sich, daß er so etwas schon einmal gesehen hatte, während ihres Angriffs auf das Lager der Tsuranis, und seine Furcht wurde noch größer. Der Magier nahm das Ding in Betrieb. Es brummte genauso, wie das andere es auch getan hatte. Dann legte er eine Hand auf Pugs Schulter, und der Raum verschwand in grauem Dunst.