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Nur für Gourmets

Gartenfrisches Grünzeug

Wenn eine Küche besonders schmackhaft ist, dann sind psychotrope Wirkstoffe nicht fern. Man denke nur an den Hype mit der Mittelmeerkost und ihren frischen Kräutern. Was bei uns die Petersilie, ist dort das Basilikum. In Form von Pesto handelt es sich fast um ein Grundnahrungsmittel italienischer Bambini, vergleichbar dem Ketchup unserer Kinder. Basilikum enthält vor allem Eugenol und Methyleugenol. Beides sind waschechte Betäubungsmittel, Eugenol dient beispielsweise zum Betäuben von Fischen 18, Methyleugenol zur Betäubung von Nagetieren, die Nebenwirkungen sind geringer als bei Pentobarbital. 3 Wegen ihrer schmerzstillenden Wirkungen werden beide Substanzen auch medizinisch genutzt.

Zu allem Überfluss nimmt die Wirksamkeit bei wiederholter Anwendung zu. Das ist ein typisches Anzeichen für eine Enzyminduktion: Je häufiger der Organismus mit Eugenol in Kontakt kommt, je öfter Sie Ihren Salat mit Basilikum würzen, desto mehr Enzyme bildet er, die dieses Eugenol dann in «Stoff», genauer gesagt in ein Amphetamin umwandeln, bevor es ausgeschieden wird. 25 Auch die Blätter des immergrünen Lorbeerbaums verdanken ihre kulinarischen Qualitäten ihrem ätherischen Öl, das unter anderem Eugenol und Methyleugenol enthält. Im Tierversuch bestätigte sich dessen sedierende und analgetische Wirkung: «Der schmerzlinderende … Effekt des ätherischen Öls war vergleichbar mit Referenzanalgetika» – in diesem Falle Morphium. 21

Das Kraut der Bordelle: Petersilie

«Zuweilen brauchet die Familie/als Suppenkraut die Petersilie» reimte einst Wilhelm Busch. Egal, ob als Kräutersträußchen («Bouquet garni») für Schmorgerichte oder der in der Frankfurter Gegend so beliebten «Grünen Soße», die schon dem Freiherrn von Goethe vorzüglich gemundet haben soll, die Petersilie ist traditioneller Bestandteil unserer Küche. Heute gibt es Petersilie (Petroselinum crispum) bei uns in drei chemischen Varianten, die jedoch nichts damit zu tun haben, ob das Kraut glatt oder kraus ist. «Mooskrause» Petersiliensorten wurden nur gezüchtet, um eine Verwechslung mit der ähnlich aussehenden, aber giftigen Hundspetersilie (Aethusa cynapicum) zu verhindern. Nach dem jeweiligen Hauptaromastoff unterscheidet man zwischen dem Myristicin-, dem Apiol- und dem Allyltetramethoxybenzol-Typ.33 Der Hauptinhaltsstoff macht jeweils etwa zwei Drittel des ätherischen Öls aus! 2 Ihnen verdankt das Kraut seine Bedeutung in unserer Küche.

Während das Myristicin (von dem Petersilie allerdings weniger enthält als die Muskatnuss) bekanntermaßen entspannend und halluzinogen ist, wirkt das Apiol stark uteruserregend und zudem krampflösend – Grund genug, Petersilie in hohen Dosen zum Austreiben der Leibesfrucht zu verwenden. 6 Dem Volksglauben nach soll Apiol beim Manne jedoch aphrodisierend wirken, was zumindest bei Meerschweinchen zutrifft. In vielen mittelalterlichen Städten hießen die Gassen, in denen sich die Bordelle befanden, denn auch «Petersiliengassen» oder «Peterles Gässchen», weil dort nach allgemeiner Ansicht Petersilie besonders vonnöten war – ganz gleich, ob sie nun mehr den Herren oder den Damen zu Diensten war. Die Petersilie wäre damit der Gegenspieler des wilden Verwandten unseres Kopfsalats, des Lattichs. Dieser hieß aufgrund seiner etwas andersartigen hormonellen Nebenwirkungen bei den Hellenen schlicht «Eunuchenkraut». 15

Petersiliensamen waren beliebte Abtreibungsmittel, wobei nicht selten auch die Mutter ihr Leben ließ. Daher die Volksweisheit «Petersilie hilft dem Mann aufs Pferd, der Frau aber unter die Erd’». Als Doldenblütler enthält Petersilie neben Myristicin und Apiol auch noch giftige, bitter schmeckende Polyacetylene (vor allem in der Wurzel), die Fadenwürmer (Nematoden) und Schadpilze abwehren sollen. 5 Eine weitere unerquickliche Stoffgruppe in der Petersilie sind die Furocumarine. Feldarbeiter auf Petersilienplantagen haben manchmal unter schweren Verbrennungen zu leiden, da Furocumarine auf der Haut die Empfindlichkeit für UV-Strahlen drastisch erhöhen. 4, 14 Zudem gilt Petersilie als leber- und nierenschädigend. 1 Kein Wunder, dass die Petersilie nie dieselben Preise erreichte wie die Muskatnuss.

Andererseits konnten all die Nebenwirkungen den kulinarischen Siegeszug der Petersilie auch nicht aufhalten. Spätestens ab dem 17. Jahrhundert war die Petersilie als Würzkraut aus der feineren Küche nicht mehr wegzudenken. Zeitweise wurde getrocknete Petersilie mit Haschisch geraucht, in der Hoffnung, eine apiolarme und myristicinreiche Varietät erwischt zu haben. 12 Und es finden sich immer noch neue legale und illegale Verwendungsmöglichkeiten für das ehrwürdige Kraut: Während Petersilienöl schon seit längerem zur Produktion von Speisewürzen verwendet wird, dient es seit neuerem auch zur illegalen Herstellung von Phenylethylaminen, die ähnlich wie Ecstasy und andere Designerdrogen wirken 12 – Petersilie ist ein Paradebeispiel dafür, wie eng bei unseren scheinbar vertrauten Küchenkräutern Kulinarisches, Psychogenes, Medizinisches und Toxisches beieinanderliegen.

Abb. 11: Eines der berühmten «Kreutterbücher», hier zusammengestellt 1533 von dem Arzt Eucharius Rhodion.

Koma von der Oma: Chicorée & Muckefuck

Wie fließend die Übergänge zwischen Gewürz, Rohkost und Droge sind, zeigt der Bericht einer venezolanischen Uniklinik: Dort wurden von 1997 bis 2005 insgesamt zwölf Kinder mit dem Verdacht auf Opiatvergiftung eingeliefert. Die Drogen stammten nicht etwa aus den Giftküchen des Medellínkartells, sondern aus einem völlig unverdächtigen Produkt: der Zichorie (Cichorium intybus). 20 Ihr Saft dient in Lateinamerika als «natürliches» Schlafmittel für Kinder. Die genannte Patientenzahl ist sicher nur die Spitze eines Eisbergs, denn in diesen Ländern landet nicht jedes verschlafene Kind gleich in der Notaufnahme. Die Zichorienvergiftung ähnelt stark einer Überdosis Morphium – und sie wird erfolgreich mit Naloxon behandelt, halt so wie eine Morphiumvergiftung auch.

Die Zichorie, auch Wegwarte genannt, liefert bei uns gleich drei «gesunde» Lebensmittel, die natürlich vor allem Kindern empfohlen werden: Muckefuck, Chicorée und Radicchio. Letztere sind gärtnerische Sonderformen der Zichorie. Hohe Gehalte an verwandten Drogen finden sich zu allem Überfluss in einem ähnlichen Erzeugnis, nämlich dem wilden Verwandten des Kopfsalats (Lactuca sativa): dem Giftlattich (Lactuca virosa). Nach den Worten der Benediktineräbtissin und Mystikerin Hildegard von Bingen (geb. 1098) macht er «wahnsinnig»; 30 folgerichtig war er in der Renaissance Bestandteil von Hexensalben. Doch dann ging die Kenntnis der Droge offenbar verloren. Erst um 1780 wurde das Kraut von dem Wiener Arzt H. J. Collin erneut als Opiumersatz popularisiert. 7

Alsbald wurde der Milchsaft des Giftlattichs in großem Stil gewonnen. 8, 28 Dazu wurden die Stiele angeschnitten, der Saft aufgefangen, auf einer Holzunterlage getrocknet und zu Klümpchen von etwa 30 Gramm Gewicht geformt. Sie verströmten einen «stark narkotischen, an Opium erinnernden Geruch», wie 1855 Ernst Freiherr von Bibra vermerkt. 29 Der Giftlattich wurde vorwiegend rund um Wien und im Rheinland angebaut und sein Milchsaft unter der Bezeichnung «Lactucarium germanicum» bzw. «Deutsches Opium» gehandelt.

Als Narkosemittel bei Operationen spielte Lactucarium germanicum bis zur Entdeckung des Chloroforms eine wichtige Rolle. 16 Noch bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts wurde es «als Sedativum, Narkotikum, Hypnotikum und Analgetikum» verordnet. 10 Bei Asthma, Unruhe und Appetitlosigkeit galt es als Mittel der Wahl. Und wer gesund war, der rauchte es einfach in der Pfeife. Das sorgte für eine gewisse Euphorie und weitete die Pupillen. Bei Überdosierungen litten die Patienten auch schon mal unter Schweißausbrüchen, Sehstörungen, Kopfschmerz, Schläfrigkeit oder Albträumen. 24, 28, 32 Tödliche Vergiftungen sind aber nicht bekannt.

Glücksfall für Schnecken: Kopfsalat

Auch Kopfsalat enthält etwas «Salat-Opium», erkennbar an der leicht bitteren Note – so wie auch bei Radicchio und Endivie. Schon der griechische Arzt Dioskurides, der berühmteste Pharmakologe der Antike, beschreibt im 1. Jahrhundert den gewöhnlichen grünen Salat als schlaffördernd und vermeldet, dass die Ärzte seiner Zeit gewöhnlich den Milchsaft von Lactuca mit dem Saft des Schlafmohns mischten. Das Präparat, das später in der Neuzeit aus dem Kopfsalat gewonnen wurde, hieß Thridax oder Thridiacum, benannt nach Thridace, einem Synonym für Lactuca sativa. Gewonnen wurde es aus dem eingedampften Presssaft ganzer, bereits blühender Salatköpfe. 2, 29 Seine Wirkung galt im Vergleich zum wilden Lattich als milder. Aufgrund der Instabilität der Wirkstoffe gerieten beide Präparate jedoch in Verruf und kamen so aus der Mode. 8

Verantwortlich für die therapeutischen Effekte sind vermutlich bittere Sesquiterpene wie Lactucin und Lactupikrin. Sie sind doppelt so wirksam wie das Schmerzmittel Ibuprofen. 23, 31 Dazu kommt eine Vielzahl verwandter Verbindungen, die – soweit geprüft – im Tierversuch gleichsinnig wirken. 13, 19, 27

Es ist bisher – trotz erheblicher Bemühungen, die noch vor 1850 begonnen haben – nicht gelungen, die Wirkprinzipien von Chicorée, Lattich und Salat zweifelsfrei zu identifizieren. 17 Wie es der Zufall will, lassen sich im Kopfsalat so ziemlich die gleichen Sesquiterpene nachweisen wie in Lattich oder Chicorée. 2, 26 Zudem fand man im Lactucarium Substanzen, die die Enkephalinase blockieren, also ein Enzym, das körpereigene Opiate, die Enkephaline, abbaut. 11 Daneben gibt es allerlei Tierversuche, die eine entspannende Wirkung auf die Muskulatur zeigen, deren klinische Relevanz aber nicht klar ist. 2 Klar ist hingegen, dass Salat und Chicorée weniger Nebenwirkungen haben als Morphium, weil sie die Darmperistaltik nicht verzögern. 15

Das bedeutet allerdings nicht, dass das Grünzeug frei von unerwünschten Effekten ist. So lässt sich der Literatur entnehmen, dass selbst Gartensalat (Lactuca sativa) gelegentlich Schläfrigkeit auslöst. 9 Manche Menschen reagieren sogar mit Kopfschmerzen auf den Verzehr des Schneckenfutters. Aus unerfindlichen Gründen gibt es hierzu keinerlei neuere Untersuchungen – sieht man mal von einem Selbstversuch von Junkies ab, die sich Lattichsuppe intravenös verabfolgten und prompt über Kopfweh jammerten. 16 Das bringt uns zu der naheliegenden Frage, ob die Salatfütterung von Weinbergschnecken in den einschlägigen Mastbetrieben den Genusswert der Schlachtkörper erhöht. Hier fehlen leider Untersuchungen, doch die Mäster können sich nicht über mangelhaften Appetit ihrer Gourmetschleimer beklagen.

Blatt für Blatt erhellt sich so manch ein schwerverständlicher Umstand: Bis dato war nicht nachvollziehbar, wie sich ein obskures Produkt wie Muckefuck bis zum heutigen Tage als Kindergetränk halten konnte. Zugleich erklärt es, warum ernährungsphysiologische Nullnummern wie Kopfsalat, Endivie oder Chicorée ihre treuen Abnehmer finden. Übrigens zersetzt sich das Salat-Opium während der Lagerung bzw. durch Tageslicht 22, weshalb das Laubwerk vorzugsweise «frisch» konsumiert wird – während man andere Salate wie Gurken- oder Krautsalat lieber ziehen lässt.