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Wenn die Rauschgoldengel kiffen

Frohes Fest!

Der Mittel- und Nordeuropäer hat es, rein geographisch betrachtet, nicht leicht. Der Lichtmangel und das kühle Klima sorgen dafür, dass er diese unwirtlichen Landstriche nur mit genetischen Defekten erfolgreich besiedeln konnte. Das eine ist seine helle Haut, die es ihm erlaubt, zumindest mit seinen roten, gutdurchbluteten Bäckchen auch noch im Winter ein wenig Sonne einzufangen, um ein wenig von einem Hormon zu bilden, das irrtümlicherweise als «Vitamin», genauer gesagt als Vitamin D, firmiert. Der zweite Defekt ist mit dem ersten unmittelbar verbunden: In unseren Breiten vertragen die meisten Menschen bis ins hohe Alter frische Milch. Die Fähigkeit, Milchzucker zu verdauen, begünstigt die Aufnahme von Calcium und vermag so ebenfalls, den Lichtmangel ein wenig auszugleichen. 25

Damit ist zwar der Körper versorgt, aber der Geist leidet immer noch Mangel – den Mangel an Licht. Das Licht hebt die Stimmung: Scheint die Sonne, fühlen wir uns viel besser als an einem trüben Novembertag. Der Mechanismus ist psychopharmakologisch entschlüsselt: Das Tageslicht unterdrückt den Abbau des Botenstoffes Serotonin – dadurch bleibt die Laune erhalten, wenn es am Morgen oder vormittags gelang, das Serotonin ein wenig zu puschen, beispielsweise mit Zucker oder Coffein, dem typischen Frühstück. 26 Für die Blockade des Serotoninabbaus ist allerdings eine Lichtmenge erforderlich, wie sie nur das Tageslicht bietet. Innerhalb von Wohnungen und Büros reicht es tagsüber meist auch dann nicht, wenn sie relativ hell erleuchtet sind. 25 Deshalb ist der Konsum von Süßem, egal, ob Gebäck oder Pausenriegel und Kaffee, in Büros deutlich höher als bei einer Arbeit im Freien.

Nicht umsonst ist Weihnachten seit jeher – also auch schon vor der Umdeutung der Wintersonnenwende in ein christliches Fest – ein Fest des Lichtes. Wesentlich für die Wirkung auf die Stimmung des Menschen ist, dass nach Einsetzen der Dämmerung weitaus geringere Lichtmengen für eine Euphorie reichen als während des Tages. Das ist der Grund, warum sich das Weihnachtsgefühl nicht so recht einstellen will, wenn man am zweiten Weihnachtsfeiertag die Rollläden herunterlässt und die Christbaumbeleuchtung einschaltet.

Die Euphorie ist ganz klar an die Nacht in der dunklen Jahreszeit gebunden. Wer an Weihnachten Urlaub in Australien macht, wo dann Hochsommer herrscht, bei dem werden auch die schönste Erinnerung und die besten Plätzchen keine Wirkung zeigen. Die Lichtmenge ist dafür zu groß. Angesichts dieser Zusammenhänge bietet die lichtarme Jahreszeit, insbesondere die Vorweihnachtszeit, ein ideales Studienfeld auf der Suche nach Stimmungsaufhellern. Denn hier scheinen Kaffee und Kuchen nicht mehr zu reichen.

Auf dem Weihnachtsmarkt

Was wäre die Adventszeit ohne Glühwein, der erst die Hände wärmt und dann von innen Körper und Geist? Auffällig ist, dass es niemanden stört, wenn man dafür einen eher minderwertigen Wein verwendet. Ein guter Wein sei zu schade, sprich, er würde nichts bringen. Im Gegenteil: Was im Verdacht steht, Kopfschmerz zu fördern, also reichlich mit biogenen Aminen gesegnet ist, landet schnell zusammen mit den üblichen exotischen Gewürzen wie Zimt, Nelken und Sternanis im Topf. Zimt und Nelken liefern Allylbenzole, Sternanis Propenylbenzole, namentlich das Anethol, den meisten bekannt als typischer Aromastoff von Ouzo und Pernod. Diese reagieren in der Wärme mit den Aminen zu Amphetaminen. 13

Und es gibt noch eine Auffälligkeit: Viele Menschen glauben, der erhitzte Alkohol sorge bei nasskaltem Wetter für die nötige Wärme und gute Laune. Doch beim Zubereiten eines Glühweins achtet niemand darauf, dass der Alkohol auch im Topf bleibt. Er verdampft ungeniert bei offenem Kessel an den Ständen am Weihnachtsmarkt. Der Grund: Alkohol dient im Glühwein primär als Lösungsmittel. Er sorgt dafür, dass die Aromastoffe wie Anethol aus den Gewürzen herausgelöst werden, was die Reaktion mit den biogenen Aminen aus dem (schlechten) Wein beschleunigt. Damit steht der Bildung einer breiten Palette von Halluzinogenen nichts mehr im Wege. Deshalb macht Glühwein Laune. Oder auch Kopfweh, je nachdem, welche Amine der Wein enthielt …

Die beinahe gleichen Gewürze, die zur Bereitung eines Glühweins dienen, sind auch beim Lebkuchen unverzichtbar. Doch sie enthalten weder Alkohol als Lösungsmittel noch nennenswerte Mengen an biogenen Aminen. Und vor allem: Können die Aromen von Anis, Muskat oder Nelken in Lebkuchen oder Glühwein überhaupt noch physiologisch wirksam sein? Schließlich führt die Erhitzung, der Backprozess zu unvermeidlichen Verlusten – was schon am intensiven Duft erkennbar ist.

Doch die fraglichen Allylbenzole und Propenylbenzole aus Lebkuchengewürzen wie Anis, Nelken, Zimt, Muskat und Kardamom verdampfen meistenteils erst bei Temperaturen von weit über 200 Grad Celsius. Insofern bleiben sie bis ins fertige Gebäck erhalten und stehen zumindest für chemische Reaktionen zur Verfügung – sofern sich eine Aminogruppe als Reaktionspartner findet. Die wird in diesem Falle extra dem Teig zugesetzt. Es ist das klassische Treibmittel für Lebkuchen: Ammoniumcarbonat, auch Hirschhornsalz genannt. Die ätherischen Öle reagieren beim Backen – in furno – mit dem Ammonium des Hirschhornsalzes zu Amphetaminen. 13 Da von mehreren konkurrierenden Reaktionswegen auszugehen ist, sind neben den Amphetaminen auch Ephedrin-Derivate zu erwarten. 28, 29

Mandelstollen und Vanillekipferl

Auch Mandeln haben zur Weihnachtszeit Hochkonjunktur, also nehmen wir mal ihre Pharmakologie in Augenschein – insbesondere die der bitteren Mandeln. Obzwar als ziemlich giftig bekannt – fünf bittere Mandeln können ein Kind töten –, dürfen sie trotzdem zur Weihnachtsbäckerei sowie zur Herstellung von Marzipan oder Mandellikör verwendet werden. 30 Bittere Mandeln enthalten Amygdalin, das bei der Zerkleinerung in seine Komponenten gespalten wird: Dabei tritt Blausäure aus, gleichzeitig wird Benzaldehyd freigesetzt, jener Aromastoff, der Mandellikören wie Amaretto seinen typischen Geruch verleiht. Die Attraktivität der Mandelprodukte scheint einer chemischen Reaktion geschuldet zu sein: Der Benzaldehyd reagiert bereitwillig – auch ohne Wärmezufuhr – mit Tryptophan zu einem β-Carbolin-Alkaloid. Deshalb lässt sich Marzipan auch «kalt» durch simples Verreiben herstellen und hat somit als Genussmittel eine ganz andere Attraktivität, als gezuckerte Mandeln es hätten. Gewürze sind überflüssig.

Ähnliches wie für Benzaldehyd gilt für den Hauptaromastoff der Vanilleschote, das Vanillin, sowie den nahe verwandten, ebenfalls stark duftenden Anisaldehyd. Beide reagieren ebenfalls zu β-Carbolinen, allerdings erst beim Backen oder Kochen. Die Reaktionsprodukte sind bisher nicht untersucht, eine halluzinogene Wirkung ist aber wahrscheinlich. 10 Anisaldehyd ist Bestandteil vieler Gewürze wie Anis, Fenchel oder Vanille, aber auch beliebter Speisepilze wie des Austernseitlings und des Anischampignons. 24 Diese und ähnliche Aldehyde sind in zahllosen ätherischen Ölen zu finden, so der Zimtaldehyd im Zimt oder die Citronellale und Citrale in Zitrusfrüchten, insbesondere in der zum Backen beliebten Schale. Warum sonst würden wir aufwendig Zitronat und Orangeat herstellen? Niemand kommt auf die Idee, die angeblich so gesunden Apfelschalen, die beim Backen eines Apfelstrudels anfallen, mitzuverwenden oder gar zu kandieren.

High vom Honig
Honig, das Symbol einer naturgemäßen Bäckerei, vermag das gute Gefühl, etwas Natürliches zu speisen, noch zu steigern. Seine Zusammensetzung hängt davon ab, was die Bienen in der freien Natur so alles finden. Dazu gehören nicht nur gelegentlich giftiger Nektar vom Rhododendron, sondern gleichermaßen auch Nektar von drogenliefernden Pflanzen. Psychoaktiver Honig stammt von Eisenhut (Aconitum), Tollkirsche (Atropa), Wolfsmilch (Euphorbia), Prunkwinden (Ipomoea), Sumfporst (Ledum), Greiskraut (Senecio), Eibe (Taxus baccata), Winde (Turbina corymbosa) oder Paspalum-Gräsern (die manchmal ergotaminhaltigen Honigtau liefern). 1 Schließlich sind auch Bienen gern gut gelaunt: Sie bevorzugen Tracht, die high macht. 2 Wer in Sachen «Sucht» auf der sicheren Seite sein will, dem sei zu hochreinem Haushaltszucker geraten.

Neben Mandeln, Anis und Vanille zählen auch Rosinen zum Festtagsprogramm. Detailliertere Studien ergaben, dass es im Weihnachtsgebäck nur so wimmelt von derartigen Substanzen, etwa Harman und Norharman. Auch ihre Vorstufen wurden in Mengen bis zu 50 Milligramm pro Kilo Rosinen gefunden. Dabei erwiesen sich die dunkleren Sorten als «gehaltvoller». 10 Da die meisten Stollenteige leicht sauer sind, herrschen ideale Reaktionsbedingungen für die Bildung von β-Carbolinen. Die wässrigen Extrakte der Rosinen haben sich zudem als wirkungsvolle MAO-Hemmer erwiesen. Sie verlangsamen den Abbau von Botenstoffen wie Serotonin und verlängern die Wirkung der psychotropen Stoffe im Essen, was die Weihnachtseuphorie weiter unterstützt.

Es hat dennoch seinen Grund, warum die Rosinen nicht mit Zimt bestreut und so aus Schälchen gelöffelt werden, sondern als klassische Backzutat gelten: Sie liefern etwas Traubenzucker, der nun mit Tryptophan ebenfalls im Rahmen der Bräunungsreaktion beim Backen zur Bildung von β-Carbolinen beiträgt. 27 Erst dann schmecken die Plätzchen wirklich lecker. Aber auch dies will gelernt sein – und selbst die Weihnachsbäckerei fußt bis heute auf der Erfahrung zahlloser Hausfrauengenerationen und nicht auf wissenschaftlicher Einsicht.

Das braune Gold

Schokolade ist das ultimative Genussmittel, das an Weihnachten hochdosiert dem Verzehr anheimfällt, egal ob Nikoläuse, Schokolebkuchen oder Weinbrandpralinen. Zu Ostern ist der große Run schon vorbei. Der Umsatz mit Schokohasen fällt jedes Jahr deutlich geringer aus als der Nikolausabsatz. Die Tage sind dann bereits deutlich länger.

Schokolade bietet als Antidepressivum von allem etwas, wobei Rezeptur und Verfahrenstechnik unterschiedliche chemische «Schwerpunkte» setzen. Zunächst einmal enthält der Kakao (Theobroma cacao) von Natur aus diverse Stoffe, die für einen gewissen Kick sorgen. Da sind in erster Linie die sogenannten Pseudo-Alkaloide wie Theobromin und das jedem geläufige Coffein zu nennen. Im Kakao dominiert das Theobromin. 17 Die Fermentation der Kakaobohnen, die noch in den Erzeugerländern erfolgt, sorgt dann für reichlich biogene Amine sowie reaktionsfreudige Aldehyde. Die hohen Temperaturen beim anschließenden Rösten der Bohnen generieren reichlich Maillard-Produkte. Beim nachfolgenden Konchieren wird die inzwischen gezuckerte Schokoladenmasse intensiv in milder Wärme verrieben, was ebenfalls optimale Bedingungen für die Bildung stimmungsbeeinflussender Stoffe schafft.

Die biogenen Amine Serotonin und Tryptamin können in das Amphetamin DMT und das Amin Bufotenin umgewandelt werden. 11 Bufotenin ist das Gift der Kröte und gilt als äußerst wirksames Halluzinogen. 20 Auch wenn in Schokolade – oder Ketchup – vermutlich allenfalls Spuren enthalten sind, bedeutet das nur, dass davon niemand high wird, aber nicht, dass es nicht zum guten Geschmack und zur Lebensfreude beiträgt. Der bekannteste Vertreter dieser Indolamin-Halluzinogene ist das Psilocybin des Mexikanischen Zauberpilzes. Dazu kommt in der Schokolade als mengenmäßig dominierendes Amin das Phenylethylamin. 4 Dieses ist der Ausgangsstoff zur Bildung der Phenylethylamin-Halluzinogene. 18 Hier ist der bekannteste Vertreter das Meskalin. Doch bisher wurden keine entsprechenden Analysen publiziert. Verständlich, denn wer will schon leichtfertig Schokoriegel für jeden Suchtfuzzi leicht erkennbar in die Drogenecke stellen?

Zudem findet sich in der Schokolade das schon aus der Banane bekannte Isochinolin-Alkaloid Salsolinol, und zwar in ansehnlichen Konzentrationen von bis zu 25 Milligramm pro Kilo. 21 Ähnlich hohe Gehalte erreichen auch weitere neuroaktive Alkaloide. Doch in der Schokolade dominieren andere Carboline als jene, die in Ketchup, Würstchen oder Sojasoße vorkommen. Sie erinnern vielmehr an die Begleitstoffe, die in alkoholischen Getränken gefunden wurden. 9, 11 Damit nicht genug. Vor wenigen Jahren wurden in Schokolade auch Anandamide entdeckt. 5 Anandamid ist ein körpereigener Botenstoff, der in größeren Konzentrationen vor allem im Zentralnervensystem vorkommt. Im Gehirn docken die Schoko-Anandamide an Rezeptoren an, die sonst von körpereigenen Botenstoffen, den Cannabinoiden bedient werden. Insofern besteht hier eine kleine, aber feine Verbindung zu Cannabis. Die Stoffe sind zwar nicht identisch, wirken aber vergleichbar. Was dem einen sein Glas Bier, ist der anderen ihre Pralinenschachtel.

Hundeleben
Theobrominhaltige Kakaoabfälle rufen bei Verfütterung an Geflügel, Schweinen und Kälbern Übererregbarkeit und Krämpfe hervor und führen in höherer Dosis zu schweren Vergiftungen. 5 bis 15 Prozent im Futter haben in der Regel Tod durch Herzversagen zur Folge. 4 Denn Theobromin kann von manchen Tieren nicht ausreichend entgiftet werden. Auch zartschmelzendes Naschwerk, das unsere lieben Kleinen in oft erstaunlichen Quantitäten unbeschadet verdauen können, bereitet unseren vierbeinigen Freunden schon in geringen Mengen heftigste Bauchschmerzen. Die Empfindlichkeit scheint zwar von Hunderasse zu Hunderasse verschieden zu sein, aber man sollte es sich besser verkneifen, Bello mit Schokolade zu beglücken.

Nun kommt es noch darauf an, auf welchen «Stoff» der Schoko-Fan abfährt. In der Bitterschokolade überwiegt die Wirkung der Pseudo-Alkaloide (Methylxanthine) des Kakaos, namentlich des Theobromins. Sie entspannen und fördern die Durchblutung. In der Vollmilchvariante regt der Zucker die Serotoninbildung im Gehirn an, was sich positiv auf die Stimmung auswirkt. Die fettreiche Kakaomasse unterstützt den Serotonineffekt noch. 31 Außerdem stecken in der Milchschokolade die natürlichen Exorphine des Milchpulvers (siehe Kapitel 2).

Aber der Genuss lässt sich noch weiter steigern: Beim stundenlangen Konchieren der Schokomasse, das ja dem innigen Vermengen von chemischen Ausgangsprodukten in einer Reibschale gleicht, mit der dann die Reaktion in Gang gesetzt wird, werden die Milcheiweiße in Bruchstücke aufgespalten und oxidiert. Dadurch entwickelt sich nicht nur das Aroma, eine weitere Folge «könnte die Bildung eines ziemlich wirksamen Exorphins sein», wie einmal ein altgedienter Pharmakologe in der Fachpresse durchblicken ließ. 12

Weihrauch

Der passende Duft darf an Weihnachten nicht fehlen. Egal, ob in der Kirche oder im Räuchermännchen aus dem Erzgebirge, der Weihrauch hat in der dunkelsten Zeit des Jahres Hochkonjunktur. Auch wenn man ihn heute nicht mehr dem Wein zusetzt, gehört er wie die Düfte der Weihnachtsbäckerei zum Ambiente des uralten Festes. Nicht zuletzt wurden auch viele Gewürze wie die Muskatnuss als Räucherwerk verwendet, weil sich ihre Wirkstoffe auch über die Nase applizieren lassen. Der Weihrauch hingegen wurde fast immer nur erhitzt oder verbrannt. Doch warum?

Das aromatische Harz liefern die Weihrauchbäume (verschiedene Boswellia-Arten), die auf der Arabischen Halbinsel bis nach Äthiopien wachsen. Der Bedarf an Weihrauch war schon zu klassischen Zeiten enorm. Herodot (484 – 425 v. u. Z.) berichtet von riesigen Rauchopfern in den Tempeln Babylons, bei denen bis zu 80 Kilo Weihrauch verbrannt wurden. 19 Die Griechen waren nicht weniger daran interessiert. So meinen einige Historiker, dass der Reichtum an Weihrauch- und Myrrhebäumen für Alexander von Makedonien der Anlass war, Pläne für die Eroberung ganz Arabiens auszuarbeiten. Plinius berichtet, dass Alexander in seiner Jugend von seinem Erzieher Leonidas scharf getadelt wurde, als er verschwenderisch mit Weihrauch umging. Dies dürfe er erst dann, wenn er die Völker unterworfen habe, die den Stoff liefern. Plutarch ergänzt, dass Alexander nach Einnahme von Gaza 500 Talente Weihrauch und 1000 Talente Myrrhe an Leonidas sandte, damit dieser den Göttern gegenüber nicht mehr knausern müsse. 19, 23

Die Römer hielten es nicht anders. Bereits im 1. Jahrhundert v. u. Z. importierte Rom bis zu 3000 Tonnen Weihrauch und 600 Tonnen Myrrhe. 23 In unsicheren Zeiten übernahmen Flottenexpeditionen den günstigeren Direkteinkauf beim Erzeuger. 8 Nach Aussage von Gaius Plinius Secundus ließ Kaiser Nero (37 – 68 u. Z.) zum Begräbnis seiner Gattin Poppaea Sabina die gesamte arabische Weihrauchernte eines Jahres in Rauch aufgehen. 19 Später mauserte sich die katholische Kirche zum Hauptabnehmer, sie benötigte für ihre kultischen Handlungen reichlich Weihrauch und Myrrhe – die sie nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches allerdings nicht mehr aus eigener Macht gewinnen konnte. Sie musste ihren Weihrauch stets von den Glaubenskonkurrenten im arabischen Raum beziehen. Offenbar gab es in Europa keinerlei gleichwertige Ware, obwohl es nie an aromatischen und zugleich deutlich billigeren Räucherstoffen mangelte.

An der psychotropen Wirksamkeit des Weihrauchs besteht heute kein Zweifel mehr. Eine Destillation bei hohen Temperaturen – so, wie sie beim Erhitzen zur Freisetzung des aromatischen Duftes praktiziert wird – ergibt ein Produkt, das schmerzstillend und sedierend wirkt. 14 Ursache ist zum einen das Incensolacetat, das antidepressiv wirkt, 22 zum anderen eine Boswellinsäure, die die Wirkung verschiedener Schmerzmittel verstärkt. 3 Weihrauch ist ein klassisches Psychopharmakon.

Aufmerksam geworden auch durch immer wieder beobachtete Suchtfälle, entdeckte man noch ein kleines Geheimnis. Beim Verbrennen des Harzes entsteht Tetrahydrocannabinol (THC). Und das ist der Hauptwirkstoff von Haschisch. 19 Die Analyse, die massenspektrometrisch abgesichert wurde, erbrachte bis zu 17 Prozent THC im Rauch. 16

Wer die Wirkung des Weihrauchs begreifen will, braucht dafür kein Labor und auch kein Chemieverständnis: Der Hanauer Staatsanwalt und Drogenspezialist Thomas Geschwinde erklärt das gemeinsame Merkmal von Haschisch und Marihuana: «In beiden Fällen ist der Geruch weihrauchartig». 7 Und beides geht beim Konsum in Rauch auf. Natürlich ist es hilfreich, die kirchliche Räuchermischung mit anderen Komponenten chemisch aufzuwerten. Da wäre zunächst die Myrrhe zu erwähnen, deren Sesquiterpene an die Opiatrezeptoren im ZNS binden und deren Wirkung mit Naloxon aufgehoben werden kann. 6

An hohen Feiertagen darf ein Zusatz namens Styrax nicht fehlen, also phenolische Verbindungen, ideale Reaktionspartner zur Erzeugung von THC. Und damit es besser dröhnt, gibt’s dazu auch noch allerlei Öle aus Gewürznelke, Zimt oder Bergamotte. Da kann es schon hin und wieder vorkommen, dass ein Kind beim Gottesdienst «wegtritt». Und weil die Mixtur nach einer gewissen Gewöhnung einen wohlriechenden Duft verströmt, wollte auch die Kirche nicht auf dieses uralte schamanistische Ritual verzichten, schafft der Rauch doch die Verbindung zum Göttlichen und verspricht das THC und seine Verwandtschaft den Gläubigen jene mystische Verzückung, die sie zu allen Zeiten gesucht haben.

Als diese Erkenntnis in die Öffentlichkeit durchsickerte, war schnelles Reagieren erforderlich. 15 Prompt legalisierte die (damals konservative) deutsche Regierung den Besitz kleiner Mengen THC-haltiger Drogen. Sonst hätte man jeden Priester, der seine Ministranten mit Weihrauchkesseln durch die Gemeinde scheucht, wegen des Verdachts auf illegalen Drogenkonsum überprüfen müssen. Kaum war diese Klippe umschifft, musste das Kirchenschiff abermals seinen Kurs ändern: Damals waren Mädchen noch vom Dienst am Weihrauchkessel und damit von frühen Drogenkontakten ausgeschlossen. Diese himmelschreiende Benachteiligung wurde 1994 ganz im Sinne der Gleichberechtigung aufgehoben.